Großer Andrang herrschte gestern im Saal des Amtsgerichtes Rathenow, als zur
Verhandlung gegen zwei Flüchtlinge aus dem Rathenower Flüchtlingsheim am
Birkenweg aufgerufen wurde.
Verhandelt werden sollte gegen die Beiden wegen des Vorwurfes der
Verleumdung, der Urkundenfälschung und der üblen Nachrede. Ihnen wurde laut
Anklageschrift der Staatsanwaltschaft konkret vorgeworfen im Juli 2002 ein Memorandum
verfasst zu haben, in dem sie Eingriffe in die Privatsphäre und die Überwachung
im Heim anprangerten und den wegen rechtsextremer Umtriebe im Visir des
Brandenburger Verfassungschutz geratenden und bald darauf abgelösten Wachschutz
dort als “Ex — Neonazis” darstellten.
Zur Verhandlung kam es allerdings nicht, da die Staatsanwaltschaft versuchte
den absurden Prozess in einem Deal mit den beiden Flüchtlingen kurz vorher
einzustellen, wobei allerdings den Angeklagten die Kosten des Verfahrens
aufgebürdet werden sollten. Dies wollten die beiden Flüchtlinge aber nicht, weil
für sie nur eine Einstellung ohne Auflagen — und vor allem ohne
Schuldeingeständnis — in Frage käme. Daraufhin entschied die Richterin, dass das
Verfahren
auf einen unbestimmten Termin verschoben wurde. Dann solle aber in mehreren
Tagen verhandelt und etliche Zeugen gehört werden, die wohl aber letztendlich
nur die im Memorandum genannten Zustände bestätigen dürften.
Aber vielleicht kriegt ja die SPD — nahe Arbeiterwohlfahrt (AWO), als
Betreiberin des Flüchtlingsheims und Anzeigenerstatterin, noch die Kurve und
beweisst Charakter indem sie sich bei den Flüchtlingen entschuldigt, die Anzeige
zurückzieht und der Landeskasse und damit dem Steuerzahler enorme
Prozesskosten erspart.
Jahr: 2004
Demo und Rock gegen Rechts
ORANIENBURG — “Nur, wer sich bemerkbar macht, kann etwas verändern”, blickt
Minette von Krosigk auf die Wochen voller Engagement im Kampf um den Erhalt
des Oranienburger Runge-Gymnasiums zurück. Und diese vielschichtige
Unterstützung, diesen gemeinsamen Blick über den Tellerrand hinaus, weg von
der eigenen Nabelschau — all das wünscht sie sich in diesem Jahr auch für
die Veranstaltungen rund um den internationalen Antirassismustag 2004.
Wichtigster Termin: die Antirassismusdemo am Sonnabend, 20. März, durch die
Stadt. Sie wird um 14 Uhr in der Gedenkstätte Sachsenhausen beginnen mit der
Begrüßung vor dem Neuen Museum durch Monika Knop, stellvertretende Leiterin
der Gedenkstätte, und Eberhard Zastrau vom Verband der Lesben und Schwulen
in Deutschland. Danach macht sich der Zug auf dem Weg durch Oranienburg,
vorbei am Bahnhof bis zum Parkplatz in der Poststraße nahe des Gedenksteins
für die Opfer der Reichskristallnacht.
Die Abschlusskundgebung ist für 16 Uhr vorgesehen. Musikalisch werden den
bunten Zug die Percussiongruppen der Kreismusikschule und des
Runge-Gymnasiums zusammen mit den Musikern von “Jazzkomplott” begleiten.
Zu einem Gespräch mit der Filmautorin Melanie Spitta und Regisseurin Kathrin
Seybold über den Streifen “Das Falsche Wort” lädt Minette von Krosigk für
das Forum gegen Rassismus und rechte Gewalt am Freitag, 26. März, ein. Ab 19
Uhr läuft der Film im Regine-Hildebrandt-Haus. Der 1987 fertig gestellte
Film zeigt zum ersten Mal zusammenhängend und ergreifend die Verfolgung der
deutschen Zigeuner in der Nazizeit, aus der Sicht der Sinte erzählt.
Mit einem Rockkonzert finden die Antirassismustage 2004 am Sonnabend, 27.
März, ihren Abschluss. Wie immer wird im Friedrich-Wolf-Haus in Lehnitz
gerockt “gegen Rechts”. Ab 20 Uhr an diesem Abend auf der Bühne dabei: SO
JA, Sun Fucking Ocean, Dawn und Radium 3000.
“In der derzeitigen Umbruchphase wird es nicht besser, wenn wir nur in den
vier Wänden verharren und meckern”, so Minette von Krosigk, “lasst uns auf
die Straße gehen und unsere Sorgen und Wünsche laut verkünden”, fordert sie
auf.
Besinnung auf die Toleranz
Die Woche der Brüderlichkeit findet bundesweit vom 15. bis 21. März statt.
Das Jahresthema lautet diesmal “Verantwortung: ich, du, wir”. Miteinbezogen
ist der 21. März, der Internationale Tag zur Überwindung von Rassismus. Am
15. März um 18 Uhr erfolgt im Plenarsaal des Landtages die feierliche
Eröffnung der Woche im Land Brandenburg. Festredner ist der Rabbiner Walter
Homolka, Rektor des Abraham Geiger Kollegs an der Universität Potsdam.
Initiator der Woche in Potsdam ist seit einigen Jahren die vor zehn Jahren
gegründete Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit e.V.. “Wir
wollen uns einmal mehr auf die Toleranz besinnen und das friedliche
Miteinander der Menschen fördern, unabhängig von der Religion”, sagte
Vorsitzender Hans-Jürgen Schulze-Eggert gestern vor Journalisten. Die
Gesellschaft habe 45 Mitglieder, kümmere sich um die Verständigung zwischen
den Menschen und unterstützt die Jüdische Gemeinde.
Zum Thema “Zusammenleben in Potsdam” laden die Gesellschaft und die
Ausländerbeauftragte Magdolna Grasnick am 18. März um 19 Uhr zu einer
Podiumsdiskussion in das Gemeindehaus Kiezstraße 10 anlässlich des
Antirassismustages am 21. März ein. Neben anderen nimmt Michael Shvarts als
Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Potsdam e.V. teil. Am 17. März um 19.30
Uhr lädt der Verein “Begegnung, Dialog, Toleranz” zum Interreligiösen Dialog
ins “al globe”, Charlottenstraße 31. Thema des Abends: In der Religion gibt
es keinen Zwang.
Die ersten Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit wurden nach
dem Zweiten Weltkrieg in der Bundesrepublik gegründet. Federführend beim
Aufbau waren Mitarbeiter der amerikanischen Besatzungsmacht. Heute gibt es
83 lokale und regionale Gesellschaften in Deutschland.Seit 1952 findet
jährlich im März die Woche der Brüderlichkeit statt.
Den 21. März hatte die Uno 1966 zum Antirassismustag erhoben im Gedenken an
die Opfer eines friedlichen Aufstandes Schwarzer gegen das Passgesetz am 21.
3. 1960 in Südafrika. Er wurde von den weißen Machthabern blutig
niedergeschlagen.
Berliner Zeitung
RATHENOW. Der Andrang vor dem Amtsgericht in Rathenow war groß. 60
Asylbewerber und Sympathisanten hatten sich am Donnerstag vor dem Gebäude
versammelt, um zwei der Ihren zu unterstützten. Mohamad M. und Mohammed A.
müssen sich vor Gericht wegen übler Nachrede verantworten. Sie hatten im
Sommer 2002 im Asylbewerberheim der Stadt Unterschriften für einen
Protestbrief gegen die aus ihrer Sicht unhaltbaren Lebensbedingungen im Heim
gesammelt. Ihr schwerster Vorwurf: Ausgerechnet Neonazis würden ein
Asylbewerberheim bewachen, viele der etwa 300 Bewohner würden regelmäßig
schikaniert. Die Arbeiterwohlfahrt (AWO), die das Heim betreibt, erstattete
daraufhin Anzeige — die beiden Asylbewerber hätten nicht nur die Unwahrheit
behauptet, sondern angeblich sogar Unterschriften unter Vorspiegelung
falscher Tatsachen erschlichen oder gar gefälscht.
Der erste Prozesstag war nach wenigen Minuten zu Ende. Richterin Uta Werner
wollte das Verfahren einstellen — wegen Geringfügigkeit der Schuld und um
einen langen Prozess zu vermeiden. Der Staatsanwalt war dazu nur bereit,
wenn gegen die Angeklagten Auflagen verhängt werden — gemeinnützige Arbeit
oder Geldbußen, zu zahlen an eine karitative Organisation.
“Das konnten und wollten die Angeklagten nicht akzeptieren. Sie sind
unschuldig”, sagte Ulrich von Klinggräff, einer der Verteidiger. “Die
Vorwürfe der AWO gegen sie sind ungeheuerlich. Mit unseren Zeugen können wir
nachweisen, dass alle Behauptungen im offenen Brief zutreffen.” Es sei
belegbar, dass private Post der Asylbewerber unerlaubt geöffnet und mit
Zweitschlüsseln in die Zimmer der Bewohner eingedrungen wurde. Nun wollten
die Angeklagten im Prozess den “Wahrheitsbeweis ihrer Vorwürfe” erbringen
und zugleich die menschenunwürdigen Lebensverhältnisse in dem Heim
öffentlich machen.
Die beiden Angeklagten werden in dem Prozess auch immer wieder das Thema
Wachschutz durch Neonazis ansprechen. Gerade weil die Staatsanwaltschaft
diesen Anklagepunkt inzwischen fallen gelassen hat. Denn selbst der
Verfassungsschutz hatte diesen Missstand im Wohnheim bemängelt. In einer
Aktennotiz heißt es, dass vier Männer der Wachschutzfirma Zarnikow damals
tatsächlich dem “Kern der rechtsextremistischen Szene” von Rathenow
angehörten und der Neonazi-Gruppierung “Kameradschaft Hauptvolk” zugerechnet
werden müssten. Das Innenministerium soll damals das zuständige
Sozialministerium informiert haben. Doch das erhielt eine Entwarnung von der
Kreisverwaltung Havelland: Nur ein Firmenmitarbeiter habe früher zur
rechtsextremen Szene gehört, gelte aber als “resozialisiert”. Dennoch
bewacht inzwischen eine andere Firma das Heim.
Der Prozess ist vorläufiger Höhepunkt im Streit um das Rathenower
Asylbewerberheim und die Lage seiner Bewohner. In den vergangenen Jahren
hatte es wiederholt gewalttätige Übergriffe gegen Ausländer in der Stadt
gegeben. Die Asylbewerber hatten immer wieder protestiert, weil sie sich in
der Stadt und im Heim nicht sicher fühlen. In einem Aufsehen erregenden
Memorandum hatten sie aus Angst vor Übergriffen im Februar 2000 sogar ihre
Verlegung in andere Bundesländer gefordert. Doch die offiziellen Stellen
kamen bei ihren Untersuchungen stets zu dem Ergebnis, dass die
Schikane-Vorwürfe haltlos sind und keine Rechtsverstöße im Heim
festzustellen seien.
Elisabeth H. aus Kamerun ist zur Unterstützung der Angeklagten ins Gericht
gekommen. “Wir wollen hier wie Menschen behandelt werden und nicht
angeklagt, wenn wir Missstände ansprechen”, sagte sie.
MAZ
RATHENOW Der Prozess gegen zwei Asylbewerber vor dem Rathenower Amtsgericht
ist gestern Mittag auf einen späteren Zeitpunkt vertagt worden. Unmittelbar
vor Prozessbeginn war die vorsitzende Richterin mit dem Versuch gescheitert,
das Verfahren einzustellen. Der Staatsanwalt wollte einer Einstellung nur
unter Auflagen zustimmen. Die Angeklagten beharrten auf einer Einstellung
ohne Auflagen.
Die Staatsanwaltschaft hatte gegen den 27-jährigen Abdel A. und den
33-jährigen Mahmoud M. Anklage wegen übler Nachrede erhoben. Die Anklage
folgte einer Anzeige gegen Unbekannt, die im Sommer 2002 vom Kreisverband
der Arbeiterwohlfahrt, der das Asylbewerberheim im Rathenower Birkenweg
betreibt, erhoben worden war. Mit der Klage hatte die Awo auf einen offenen
Brief reagiert, in dem die Asylbewerber wenige Tage zuvor die Leitung des
Heimes scharf angegriffen hatten.
Die Verfasser des Briefes — damals wohnten beide im Heim — warfen der
Heimleitung schwere Verletzungen der Privatsphäre vor. Rund um die Uhr werde
das Gebäude von Kameras überwacht, Briefe würden vor der Aushändigung an die
Empfänger geöffnet, Zimmer ohne Ankündigung betreten. Außerdem seien in der
Firma, die das Heim bewache, Mitarbeiter aus der rechten Szene beschäftigt.
Ralf Schröder, Geschäftsführer des Awo-Kreisverbandes, hatte die Vorwürfe
scharf zurückgewiesen und Anzeige wegen Verleumdung und übler Nachrede
erstattet. Allerdings entzog er im Dezember 2002 der Wachschutzfirma den
Auftrag, nachdem das Nachrichtenmagazin Focus ein Papier des
Verfassungsschutzes publik gemacht hatte, demzufolge vier Mitarbeiter des
Wachdienstes der rechten “Kameradschaft Hauptvolk” zuzurechnen seien.
Die vorsitzende Richterin kündigte in dem von diversen Medienvertretern
begleiteten Prozessauftakt an, dass die Verhandlung sich aller Voraussicht
nach über mehrere Tage erstrecken werde, weil eine Vielzahl von Zeugen
gehört werden müsse. Mit der vorgeschlagenen Einstellung des Verfahrens habe
das Gericht versucht, einen langen Prozess zu verkürzen.
Der Angeklagte Abdel A. erklärte nach der Vertagung der Verhandlung
gegenüber der MAZ, dass für ihn nur eine Einstellung des Prozesses ohne
Auflagen in Frage gekommen wäre. Alles andere hätte wie ein
Schuldeingeständnis gewirkt, und ein solches werde er nicht geben.
Abdel A. machte nach der Verhandlung außerdem klar, dass die Öffentlichkeit,
die mit einem solchen Prozess hergestellt werde, nützlich sei, um auf die
mangelhafte rechtliche Lage von Asylbewerbern in Deutschland und in Rathenow
aufmerksam zu machen.
Seit dem Spätsommer 1938 ließ die SS unweit der Lehnitz-Schleuse bei
Oranienburg von Häftlingen des KZ Sachsenhausen das weltweit größte Ziegelwerk
errichten. Hier sollten durch die rücksichtslose Ausbeutung der KZ-Häftlinge die
Baustoffe für die gigantischen Bauvorhaben der SS in der Reichshauptstadt Berlin
hergestellt werden. Das Strafkommando und spätere KZ-Außenlager (seit 1941)
Klinkerwerk war das Todeslager des KZ-Sachsenhausen, wo die SS einzelne Häftlinge
oder Häftlingsgruppen durch die mörderischen Arbeitsbedingungen oder gezielte
Mordaktionen tötete.
Nachdem die Anlagen des Klinkerwerks bei einem alliierten Luftangriff im
April 1945 fast vollständig zerstört worden waren, wurden die Ruinen durch die
sowjetische Besatzungsmacht beseitigt. bis 1989 wurde das Gelände militärisch
genutzt. In Zukunft soll ein “Geschichtspark KZ-Außenlager Klinkerwerk” über die
Geschichte des Ortes informieren. Bis dahin kann das Gelände nur im Rahmen von
Führungen besichtigt werden.
Eine solche veranstalten die FreundInnen des Sachsenhausenkomitees am 3.
April um 13.00 Uhr. Treffpunkt ist um 12.00 Uhr auf dem S‑Bahnsteig des Bahnhof
Oranienburg.
Für das vierte Multikulturelle Festival «Cottbus Open» sucht die Stadt noch
Mitstreiter. Das Festival steht unter dem Motto «Vielfalt gegen Einfalt -
Miteinander für eine lebenswerte Stadt» .
Wie das Rathaus mitteilt, sind insbesondere Schüler, Studierende, Kinder-
und Jugendeinrichtungen, Vereine, Musik- und Tanzgruppen, Kleinkünstler,
Gastronomen mit ausländischer Küche sowie hier lebende Menschen
ausländischer Herkunft gesucht.
Das Festival wird unter anderem von den beiden Cottbuser Hochschulen sowie
dem Verein Jugendhilfe unterstützt. Das Festival findet am Sonntag, 20.
Juni, im Rahmen des Stadtfestes im Puschkinpark statt. Gesucht werden auch
regelmäßig Mitwirkende für einen Interessenverband «Cottbus Open» .
Kontakt: Stadt Cottbus, Integrationsbeauftragter, Neumarkt 5, 03046
Cottbus, Telefon 0355 6122944, Fax 0355 6122103 oder E‑Mail
Michael.Wegener@neumarkt.de
Wer sich beschwert, wird verklagt
Flüchtlinge im brandenburgischen Rathenow beklagten sich öffentlich über
Neonazis unter dem Wachpersonal ihres Wohnheims. Nun stehen sie wegen übler
Nachrede vor Gericht. Der Verfassungsschutz allerdings bestätigt ihren
Vorwurf.
Flüchtlinge, die Kritik an ihrer Unterbringung geäußert haben, müssen sich
im brandenburgischen Rathenow vor Gericht verantworten. Heute verhandelt das
Amtsgericht Rathenow gegen den 28-jährigen Mohamed Abdel Amine aus Togo und
den 34-jährigen Palästinenser Mohamad Mahmoud. Ihnen wird üble Nachrede
vorgeworfen.
Beide hatten sich im Sommer 2002 gemeinsam mit sechzig anderen Bewohnern des
Asylbewerberheims Rathenow mit einem Brief an die Öffentlichkeit gewandt.
Darin prangerten die Flüchtlinge an, dass die Wachschutzfirma “Zarnikow”,
die zur Sicherung der Unterkunft eingesetzt wurde, Neonazis beschäftige.
Außerdem beschuldigten sie die Arbeiterwohlfahrt (AWO), die das Wohnheim
betreibt, private Briefe geöffnet zu haben. Zudem seien AWO-Mitarbeiter
unberechtigt in die Zimmer der Bewohner eingedrungen. “Nach unseren
Beschwerden erklärte die Heimleitung, dazu sei sie durch Bestimmungen zur
Rasterfahndung verpflichtet”, heißt es in dem Schreiben.
Sowohl die Wachschutzfirma als auch die AWO zeigten die Verfasser wegen
übler Nachrede an. Doch inzwischen hat sich der wichtigste Vorwurf der
Asylbewerber bestätigt. Der Brandenburger Verfassungsschutz schrieb im
August 2002 in einem internen Bericht, dass die Wachleute der Firma Zarnikow
zum Teil “dem Kern der rechtsextremistisch orientierten Szene Rathenow
angehören und der einschlägigen Gruppierung Kameradschaft Hauptvolk
zugerechnet werden müssen”. Der Bericht liegt der taz vor. Im Januar 2003
wurde die Wachschutzfirma auf eigenen Wunsch von ihren Aufgaben entbunden.
Trotz dieser Enthüllungen ermittelte die Staatsanwaltschaft Potsdam weiter
gegen zwei der Unterzeichner des offenen Briefes. “Es ist auffällig, dass
die politische Abteilung der Staatsanwaltschaft so ein starkes Interesse an
der Verfolgung dieses Falles entwickelt hat”, sagte Ulrich von Klinggräff,
der Anwalt von Abel Amine, der taz. Er spricht sogar von einem
“Strafverfolgungswahn” der Ermittler: “Meiner Meinung nach geht es darum,
politisch denkende Flüchtlinge mundtot zu machen.”
Die AWO verteidigte dagegen den Gang vor Gericht. Es sei “wohl kaum
hinnehmbar, sich solcherart ungerechtfertigt öffentlich beschimpfen zu
lassen”, erklärte Ralf Schröder, Geschäftsführer des AWO-Kreisverbandes
Havelland, auf Anfrage der taz. Die Kündigung des Vertrags mit Zarnikow sei
kein Eingeständnis, dass die Vorwürfe der Asylbewerber zuträfen: “Die Firma
hat selbst den Auftrag abgeben wollen.” Auch der Sprecher der
Staatsanwaltschaft, Ralf Roggenbuck, hält die Erhebung der Anklage für
zulässig. “Wenn das Gericht der Meinung gewesen wäre, der Fall wäre eine
Bagatelle, hätte es die Akten an uns zurückgeschickt”, sagte Roggenbuck der
taz.
In einem ähnlichen Verfahren gegen einen anderen Rathenower Asylbewerber vor
zwei Jahren hatte der damals zuständige Richter allerdings deutlich gemacht,
dass er das Verhalten der Staatsanwaltschaft für falsch hielt. Der damalige
Angeklagte, Christopher Nsoh, hatte sich nach einem rechtsradikalen Angriff
über das Verhalten zweier Polizistinnen beklagt. Nachdem sein Begleiter, ein
Journalist aus Hongkong, von einem Rechtsradikalen geschlagen worden sei,
hätten die Beamtinnen den Mann “im Polizeigriff” auf die Wache gebracht. Die
Polizei zeigte Nsoh wegen übler Nachrede an. Im Anschluss an das
eingestellte Verfahren wurde der ermittelnde Staatsanwalt von seiner
vorgesetzten Stelle gerügt, weil er Material, das Nsoh entlastet hätte,
zurückgehalten hatte.
Sowohl Nsoh als auch Abdel Amine und Mohamad Mahmoud sind Mitglieder der
Flüchtlingsinitiative Brandenburg (Fib). Diese setzt sich durchaus
erfolgreich gegen Rassismus in Ämtern und Gesellschaft ein. Nachdem die Fib
vor vier Jahren von den Behörden verlangte, die Flüchtlinge entweder vor
rechtsradikalen Angriffen zu schützen oder sie zu verlegen, geriet das Land
Brandenburg auch international in die Schlagzeilen. Im Anschluss an den
“Aufstand der Anständigen” im Dezember 2000 zeichnete die “Internationale
Liga für Menschenrechte” die Fib für ihr Engagement mit der
Carl-von-Ossietzky-Medaille aus.
Abdel Amine, der wegen seiner Mitgliedschaft in der Oppositionspartei “Union
des Forces du Changement” aus Togo fliehen musste, will diese
antirassistische Arbeit fortführen. Er ist optimistisch, vor Gericht belegen
zu können, dass Mitarbeiter der AWO unberechtigt Briefe öffneten und in
private Zimmer eindrangen. Sollte dies zutreffen, könnte sich die
Strafanzeige der Wohlfahrtsorganisation gegen diese selbst richten: “Wenn
die Institutionen in diesem Land versuchen, uns durch Verleumdungsklagen zum
Schweigen zu bringen, werden wir diese Prozesse als politische Plattform
nutzen”, so Amine zur taz.
Unbekannte haben in der Nacht zum Mittwoch den Grenzübergang Stadtbrücke mit
Farbbeuteln beworfen. Der Schaden wurde um kurz nach sechs Uhr bemerkt. Wie
Dieter Schulze, Pressesprecher des Polizeipräsidiums Frankfurt (Oder),
mitteilte, wurden die Fenster der Fußgänger-Ausreisespur getroffen.
Der oder die Täter warfen grüne, gelbe und rote Farbbeutel gegen die
Fenster. BGS-Beamte haben unmittelbar nach der Feststellung das Gelände im
Umfeld des Grenzüberganges abgesucht, doch dabei wurden weder verdächtige
Personen noch irgendwelche Hinweise gefunden, teilte Claudia Skowronek,
Pressesprecherin des Bundesgrenzschutzamtes, mit.
Noch am Mittwochmittag wurde mit der Säuberung begonnen. Zum Hintergrund der
Tat konnte die Polizei keine Angaben machen. “Wir wissen nicht, ob die
Attacke einen politischen Hintergrund hat”, erläuterte Dieter Schulze. Die
Ermittlungen der Kriminalpolizei dauern an.
Nach Angaben des Bundesgrenzschutzes passieren in beide Richtungen jeden Tag
durchschnittlich 16 000 Reisende den Grenzübergang.
Die Stadtbrücke wird vom Zoll verwaltet. Die Pressestelle des Hauptzollamtes
war am Mittwoch nicht für eine Stellungnahme erreichbar.
Stiftung sichert Geld zu
MAHLOW Der Förderverein Freunde der Herbert-Tschäpe-Schulen Mahlow hat
grünes Licht bekommen, eine weitere Jugendbegegnung in Birmingham zu
organisieren. “Endlich”, sagte Vereinsvorsitzender Siegfried Suchowski,
“denn es ist schon März. Wenn im Herbst die Fahrt stattfinden soll, wird es
knapp” Und Vorstandsmitglied Ingo Thiedemann, der bereits zwei Mal
Jugendliche aus Mahlow und Umgebung in die Heimatstadt Noël Martins
begleitet hat, bestätigt: “Am aufwendigsten ist die Vorbereitung, weil wir
vor Ort keine Kontaktperson haben”, sagt er.
Die Stiftung “Großes Waisenhaus zu Potsdam” verwaltet seit Dezember 2003 den
Noël-und-Jaqueline-Martin-Fonds mit rund 25 000 Euro aus Landesmitteln und
will um zusätzliche Mittel werben. Jetzt hat Stiftungs-Geschäftsführer
Jürgen Pankonin den Mahlowern bis zum Jahre 2006 fachliche und finanzielle
Unterstützung zugesagt.
“Wir wollen gemeinsam mit dem Bildungsministerium so lange wie möglich
helfen, um eine Nachhaltigkeit der Aktivitäten zu erreichen”, erklärte er.
“Der Vorfall verpflichtet uns dazu.” — Der Fonds war 2001 vom damaligen
Ministerpräsidenten Manfred Stolpe und Noël Martin gegründet worden. Den
britischen Bauarbeiter hatten am 16. Juni 1996 in Mahlow junge
Rechtsextremisten überfallen. Seitdem ist der farbige Brite jamaikanischer
Herkunft vom Hals abwärts gelähmt. Doch bisher kam das Projekt, das junge
Leute aus Mahlow und Birmingham näher bringen sollte, nicht richtig in
Schwung. Erst zweimal fuhren Schüler und Lehrlinge aus Mahlow nach
Birmingham und besuchten dort Noël Martin.
Das soll nun öfter geschehen, erwarten neben Pankonin die Vertreter vom
Bildungsministerium, vom Büro der Ausländerbeauftragten des Landes
Brandenburg, vom Aktionsbündnis gegen Gewalt, Rechtsextremismus und
Fremdenfeindlichkeit. Sie kennen die Mahlower gut, die sich jetzt den Hut
aufsetzen. Denn ein großer Teil gehörte davon zu den Ehrenamtlichen, die
unter anderem den Besuch Noël Martins in Mahlow in 2001 vorbereitet hatten.
Sie engagieren sich anderem in den Initiativen Tolerantes Mahlow, Bürger für
Bürger Mahlow, Miteinander wachsen, in der Kirche, in der
Gemeindevertretung.
Wie kann man feste Kontakte knüpfen? Sollten nicht auch Erwachsene an
Begegnungsfahrten teilnehmen? Wie bezieht man rechtsorientierte Jugendliche
ein? Wie werden die Erlebnisse ausgewertet und öffentlich dargestellt? “Mit
jedem Mal werden wir klüger und ergänzen das Konzept”, sagt Siegfried
Suchowski vom Tschäpe-Förderverein. Der Vorsitzende ist froh, dass die
nächsten Jahre finanziell abgesichert werden: “Nur so erreichen wir
Kontinuität.” Der Förderverein ist Träger von vier Jugendeinrichtungen in
Mahlow und Blankenfelde.
Weniger rechte Übergriffe
NEURUPPIN Die Zahl der politisch motivierten Straftaten im Landkreis ist im
vergangenen Jahr im Vergleich zu 2002 von 76 auf 58 zurückgegangen. Zugleich
stieg die Aufklärungsquote von 57 auf 78 Prozent. Von einem
“durchschlagenden Erfolg” wollte Polizeipräsident Bruno Küpper, der gestern
zu einem Arbeitsbesuch in Neuruppin weilte, dennoch nicht sprechen. Hat sich
doch die Zahl der Gewalttaten von drei auf sechs verdoppelt.
Küpper und sein Schutzbereichsleiter Dieter Kahler führen den Rückgang der
politisch motivierten Straftaten auf den verstärkten Kontrolldruck durch
Polizei und Kommunen zurück. “Wir kennen die Leute, wir kennen ihre
Treffpunkte und stehen ihnen ständig auf den Schuhen”, so Kahler. Folge:
Wittstock ist nicht mehr der Brennpunkt rechtsradikaler Übergriffe im
Landkreis. Darauf will auch die Polizei reagieren und ihre Sondereinheiten
Tomeg (täterorientierte Maßnahmen gegen extremistische Gewalt) und Mega
(mobile Einsatzeinheiten gegen Gewalt und Ausländerfeindlichkeit) auf
Neuruppin, Rheinsberg und Neustadt (Dosse) ausrichten. “Wir gehen dahin, wo
die Kriminalität ist”, sagte Kahler. In der Polizeiwache Wittstock sind
bisher sieben der 19 Kriminalisten im Kommissariat “Jugend, Tomeg, Mega”
beschäftigt.
Kahler widersprach zudem der allgemein verbreiteten Auffassung, dass allein
junge Leute politisch motivierte Straftaten begehen. “Die Leute sind
zwischen 14 und 40 Jahre alt.”
Indes trat Polizeipräsident Küpper gestern Gerüchten entgegen, wonach die
Autobahnwache Walsleben durch Umstrukturierung innerhalb der Polizei
gefährdet sei. “Walsleben bleibt”, so Küpper, schon wegen seiner zentralen
Lage. Derzeit werde durch das Innenministerium lediglich geprüft, wie
Autobahnwachen ausgestattet werden müssen und wie sie auszusehen haben. Ein
Aus- oder Umbau der Walslebener Wache sei nicht ausgeschlossen. Doch sei
noch völlig offen, wann gebaut werde, so Küpper. Die Autobahnwache Walsleben
befindet sich in der Raststätte. Diese ist damit Anlaufpunkt für 60
Polizisten, die für 175 Autobahnkilometer zuständig sind.