Uckermark (MOZ) Mit einem Bekenntnis zu Frieden und Versöhnung fand der Volkstrauertag an vielen Stellen der Uckermark in diesem Jahr eine starke Resonanz. Landrat Klemens Schmitz würdigte die kleinen Erinnerungsstätten in Städten und Dörfern des Landkreises als Orte der Trauer in unmittelbarer Nähe der Betroffenen. Er wandte sich gegen einen Missbrauch solcher Stätten. An der zentralen Veranstaltung der Uckermark in der Kirche von Günterberg nahmen zahlreiche Kreistagsabgeordnete, Bundeswehrangehörige und Angermünder Stadtverordnete teil. Kranzniederlegungen zum Gedenken an die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft gab es in den Städten Angermünde, Prenzlau und Schwedt.
Monat: November 2006
Farbe bekannt
HALBE Erst als er in den Bus steigt, kommt Andreas Mallé zur Ruhe. Er setzt sich auf den vordersten Platz gleich neben dem Busfahrer. Nachdenklich lässt er die Märkische Landschaft an sich vorüberziehen. Eben hat er noch koordiniert, organisiert und 70 Mitfahrer gezählt: Menschen aus Falkensee und Umgebung, die am Sonnabend in zwei Havellandbussen zum Tag der Demokraten nach Halbe reisen.
“Ich hoffe, dass es in Halbe mehr Demokraten als Nazis gibt, damit die mit demokratischen Mitteln, ohne Gewalt, an den Rand gedrängt werden”, sagt Mallé, Koordinator gegen Fremdenfeindlichkeit und Gewalt der Stadt Falkensee. In dieser Funktion und als Mitglied des Bündnisses gegen Rechts (BgR) hat Mallé, der auch Mitglied der CDU ist, mit den anderen Aktiven die Fahrt der Demokraten organisiert. In die kleine Gemeinde, die rund 40 Kilometer südöstlich von Berlin liegt.
Falkensee war 2005 bereits mit seinem neu gegründeten BgR beteiligt. “Wir werden auch in Zukunft regelmäßig dabei sein”, kündigt Mallé jetzt schon an. Doch zunächst erreichen die zwei Falkenseer Busse Halbe und entlassen die Demokraten in das sonnenbeschienene Städtchen.
Ein eigener Stand an der Lindenstraße wird bezogen und dekoriert, die Farbe Gelb dominiert. Sie nimmt den kleinen Stand komplett ein. Sie ist Hintergrund, Flyerfarbe, die Menschen tragen sie an sich: als gelbe T‑Shirts und auf Plakaten am Körper. Der Stand ist ein Hingucker, viele lassen sich davon anziehen. Immer wieder kommen Interessierte zum Falkenseer BgR und geben sich als Havelländer zu erkennen. “Die Präsenz unseres Landkreises ist sehr groß”, staunt Andreas Mallé, nun in gelb gehüllter Standbetreuer. Mitglieder aller Parteien, der Arbeiter-Samariter-Bund, der Stadtjugendring, die Antifa-Jugend und viele Privatpersonen sind allein in den BgR-Bussen nach Halbe gefahren, um hier im wahrsten Sinne des Wortes Farbe zu bekennen.
Doch damit nicht genug. Der Kreistag ist mit 40 Vertretern aller Fraktionen in einem weiteren Bus gekommen. Unter ihnen Landrat Burkard Schröder (SPD) und sein Vize Roger Lewandowski (CDU). “Das Havelland ist wirklich gut vertreten”, stellt auch er fest. Als “großen Erfolg”, “beeindruckend” und “wichtig” werten parteiübergreifend die Kreistagsrepräsentanten den Tag der Demokraten in Halbe.
Sie mischen sich unter die insgesamt 8000 Menschen, lauschen den Konzerten und Politikerreden auf der großen Bühne. Überall sind sie anzutreffen, die Demokraten aus dem Havelland. Auch auf dem Waldfriedhof des 2 200-Seelen-Ortes, auf dem mehr als 22500 Kriegstote aus dem Zweiten Weltkrieg liegen. Franka Albrecht und Frank Packhäuser aus Falkensee betrachten die unzähligen Grabtafeln mit der Aufschrift “unbekannte Kriegstote” und Tafeln mit Namen und Geburtsdaten der Toten. Menschen jeden Alters sind dabei. Dass der hier geplante Neonazi-Aufmarsch verhindert wurde (er fand im 100 Kilometer entfernten Seelow statt), finden sie gut und richtig. “Ein wichtiges Signal”, sagt Frank Packhäuser.
Auf der Rückfahrt ist Andreas Mallé noch aufgekratzt von dem Tag in Halbe. “Wir, das Bündnis, haben großen Zuspruch erhalten”, freut er sich. Man habe viele neue Kontakte knüpfen können. Mallés Hoffnung auf mehr Demokraten als Neonazis in Halbe und ihre friedliche Verdrängung hatte sich erfüllt: “Es war ein wirklich erfolgreicher Tag für uns Demokraten”, sagt er zufrieden, während die märkische Landschaft im Dunkeln an ihm vorüberzieht.
Halbe feiert den Tag der Demokraten
Rund 8000 Menschen nahmen gestern in Halbe am „Tag der Demokraten” teil. Mit Fahnen und Transparenten mit Slogans wie „Stoppt den Missbrauch der Geschichte“ oder „Bunt statt Braun“ wurde gegen Rechtsextremismus demonstriert. Nach einem Gottesdienst bildeten Hunderte Neonazi-Gegner unter dem Motto „Brandenburg: lebendig und weltoffen“ eine Menschenkette.
Im Zentrum des 2500-Einwohner-Ortes hatten Gewerkschaften, Parteien, Sport- und Jugendverbände mit Infoständen und Bühnen eine „Straße der Demokratie“ aufgebaut. Mit dabei waren Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD), Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) und der Sänger Heinz Rudolf Kunze. Er trete sonst nicht bei politischen Veranstaltungen auf, sagte Kunze, aber der antifaschistische Protest in Halbe habe aber für ihn persönlich eine große Bedeutung.
Jörg Schönbohm betonte, dass er nicht nur als Innenminister und Dienstherr der zahlreich anwesenden Polizisten Halbe besuche, sondern sich der Veranstaltung auch als Mensch und Brandenburger angeschlossen habe. Anne Böttcher vom Aktionsbündnis gegen Heldengedenken und Naziaufmärsche in Halbe lobte die „großartige Stimmung“. „Für heute haben wir die Rechtsextremen aus Halbe vergrault“, sagte Landtagspräsident Gunter Fritsch. Zur Veranstaltung in Halbe seien mehr Demokraten gekommen, als es Nazis in ganz Deutschland gebe.
Ministerpräsident Platzeck hatte sich – bevor er nach Halbe kam – ein Bild von der Lage in Seelow gemacht. Wie berichtet, war erwartet worden, dass die Rechtsextremisten dorthin ausweichen, nachdem ihnen untersagt worden war, durch Halbe zum Waldfriedhof zu marschieren. „Auch die Bürger von Seelow wehren sich gegen rechts“, sagte Platzeck. In Halbe nehme er als Bürger und SPD-Landesparteivorsitzender am „Tag der Demokraten“ teil. Ein mögliches NPD-Verbot ersetze nicht die Auseinandersetzung mit rechtem Gedankengut, sagte Platzeck. Auch Claudia Roth, Bundesvorsitzende der Grünen, und Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Linkspartei/ PDS) waren dabei.
Obwohl der Rechtsextremist Christian Worch eine bis 18 Uhr genehmigte Kundgebung am abgelegenden Bahnhof des Ortes angemeldet hatte, verirrten sich nur zehn Neonazis dorthin. Die Rechten traten kurz nach Ankunft umgehend den Rückweg an, Festnahmen gab es nach Polizeiangaben keine.
Frankfurt (Oder) (ddp-lbg). Die Polizei hat am Rande einer Demonstration der «Plattform gegen Rechts» am Freitagabend 35 Platzverweise gegen mutmaßlich rechtsextremistische Störer ausgesprochen. Weil 16 Personen dieser Aufforderung nicht nachkamen, wurden sie vorübergehend in Gewahrsam genommen, wie eine Polizeisprecherin sagte. Die Demonstration selbst sei störungsfrei verlaufen.
Rund 300 Menschen hatten mit dem Marsch durch die Innenstadt gegen die Schändung des Gedenksteins für die frühere Frankfurter Synagoge protestiert. Die Polizei sicherte die Veranstaltung mit einem Großaufgebot ab.
Vor einer Woche hatten teils der rechtsextremistischen Szene angehörende Randalierer nach der Gedenkstunde zur Pogromnacht von 1938 am Gedenkstein niedergelegte Blumengebinde zertreten und weggeworfen. Eine Person soll «Sieg Heil» gerufen haben. Gegen neun Beschuldigte wird wegen Volksverhetzung, Landfriedensbruch, Störung der Totenruhe und Sachbeschädigung ermittelt.
Veranstaltung mit einem kolumbianischen Gewerkschafter über die Morde und die internationale Kampagne
Zeit: Donnerstag, 23.November 2006, 19:00 Uhr
Ort: Buchladen Sputnik (Charlottenstraße 28)
Im Jahr 1996 erschossen Paramilitärs den Gewerkschaftsführer Isidro Segundo
Gil auf dem Werksgelände des Coca-Cola Abfüllers in dem kolumbianischen
Städtchen Carepa. Kurz darauf brannten sie den Sitz der örtlichen
Gewerkschaft nieder und zwangen die Belegschaft zum Austritt aus der
Gewerkschaft Sinaltrainal. Seither hat es weitere acht Morde an
GewerkschafterInnen, die bei Coca-Cola beschäftigten sind gegeben.
Im Kontext der mörderischen Gewalt senkte Coca-Cola die Löhne auf ein
Drittel, die wenigsten Beschäftigten besitzen noch feste Arbeitsverträge.
Dies wäre gegen starke kämpferische Gewerkschaften nicht möglich gewesen.
Forderungen nach Aufklärung der Morde, nach öffentlicher Verurteilung der
Paramilitärs, nach Widereinstellung geflohener ArbeiterInnen und nach
Entschädigung der Opfer werden seit Jahren abgeschmettert. Stattdessen wurde
Sinaltrainal mit Verleumdungsklagen und Terrorismusvorwürfen überzogen.
Vor ein paar Jahren startete Sinaltrainal eine weltweite Boykottkampagne
gegen Coca-Cola. In den letzten Monaten legten in den USA, Kanada,
Großbritannien und Irland über 20 Universitäten aufgrund der Vorwürfe ihre
Verträge mit Coca-Cola auf Eis. In Italien schloss sich der Gemeinderat von
Turin, Standort der von Coca-Cola gesponserten Olympischen Winterspiele, dem
Boykott an. Auch in Deutschland haben die Studierenparlamente der Uni Köln
und der Universität der Künste Berlin einen Boykott von Coca-Cola Getränken
in Mensen und Cafeterien beschlossen. Die Gewerkschaft Ver.di hatte sich
bereits 2003 dem Boykott angeschlossen.
Wir haben einen Vertreter der kolumbianischen Gewerkschaft Sinaltrainal
eingeladen, um über den aktuellen Stand der internationalen Kampagne und
über die Situation in Kolumbien zu informieren. Gemeinsam mit dem
Gewerkschafter werden wir über Möglichkeiten diskutieren, die Kampagne in
Deutschland weiter zu stärken.
Organisiert von KillerCoke Kampagne Potsdam, unterstützt vom AStA Uni Potsdam.
(LR, 18.11.) Schüler malten Plakate, Landräte, Abgeordnete und Gewerkschaften riefen
zur Teilnahme auf, die Sonderbusse fahren voraussichtlich zuverlässiger
als der Nahverkehr sonst – in Halbe ist heute Tag der Demokraten.
Vorfälle der vergangenen Wochen und Monate zeigen jedoch: Die Demokraten
werden zwischen Dahme, Luckau, Lübben, Calau und Vetschau jeden Tag
gebraucht.
«Wir sind nicht untätig, was man aber manchmal nicht sieht und nicht
jeder weiß.»
Christoph Bartoszek,
Ordnungsamt Lübben
Drei große Plakate, die auf den Einsatz der Demokraten in Halbe gegen
braune Umtriebe hinwiesen, sind in den vergangenen Tagen in Lübben
beschmiert worden. Mitarbeiter vom Forum gegen Gewalt, Rechtsextremismus
und Fremdenfeindlichkeit konnten dem sogar etwas Gutes abgewinnen: «Wir
sind öfter als sonst darüber informiert worden. Das zeigt, dass es bei
den Bürgern eine gewisse Wachsamkeit und auch neue Wahrnehmung gibt» ,
heißt es beim Forum. Es nutze nichts, die Umtriebe der Rechten zu
verschweigen, sagen die Fachleute vom ehrenamtlich tätigen Forum, das im
Haus der Diakonie Opferberatung anbietet.
Denn die Provokationen der Szene sind Alltag in der Region. Da gibt es
immer wieder Nazi-Schmierereien am Aussichtsturm auf dem Wehlaberg bei
Krausnick. Da werden in Lübben Handzettel mit rechten Parolen aus
fahrenden Autos geworfen. Da ist der Golßener Markt Treffpunkt für
lautstarke Rechte, gegen die niemand mehr Anzeige erstatten mag. Da
kleistern Unbekannte das Ortsschild von Boblitz mit Rudolf
‑Heß-Aufklebern zu – immerhin gelang es, diese noch am gleichen Tag
wieder zu entfernen.
Manchem fielen auch die aufgemalten «Fenster» auf: Man sah sie an
Lübbener Hauswänden oder an einer Bank auf der Schiebefläche neben einem
Vetschauer Sportplatz. Doch ist das nicht der letzte architektonische
Schrei, sondern die gleichzeitig pfiffige wie ohnmächtige Beseitigung
von rechten Schmierereien im Spreewald. Denn unter den «Fensterrahmen»
verbergen sich meist Hakenkreuze. Für Lübben wird dies ebenso bestätigt
wie für Vetschau.
«Lübben ist eine saubere Stadt» , sagt der Leiter des Ordnungsamtes
Christoph Bartoszek. Vor allem rechte Schmierereien würden von
städtischen Gebäuden «möglichst schnell» entfernt. Nicht so schnell gehe
es bei privaten Eigentümern wie Supermärkten oder Wohnhäusern. «Da
müssen wir hinterher sein.»
Das eigentliche Lübbener Problem mit den Rechten hat einen Namen:
«Bunker 88» . Bis zu 40 Anhänger der rechten Szene finden sich dort
regelmäßig ein. Stadt und Polizei müssen meist machtlos zusehen, wie
sich dort die braune Suppe zusammenbraut. Das Gebäude in der früheren
Brauerei ist von privat vermietet. «Die Stadt hat dort keine Befugnis
einzuschreiten» , sagt Lübbens Rathaussprecherin Hannelore Tarnow. Auch
die Polizei könne nur anrücken, wenn es Straftaten gebe. Als Lösung des
Problems war zwischenzeitlich ein Kauf des Geländes durch die Stadt ins
Spiel gebracht worden. «Eine Fehlinterpretation» , so Hannelore Tarnow.
Allerdings würde die Stadt nach dem Muster von Delmenhorst eine
Bürgerinitiative unterstützen, die den Geländekauf über Spenden
finanzieren solle. Zumindest gelang es der Polizei Mitte Oktober, die zu
einem «Bunker» ‑Konzert anrückenden rechten Skinheads schon in den
Zufahrtsstraßen zu stoppen. Das Konzert fiel aus.
Lübben will die Probleme nicht mehr nur «in den eigenen vier
Rathaus-Wänden» behandeln. Hannelore Tarnow: «Wir werden mehr in die
Öffentlichkeit gehen, zeigen, dass wir die Probleme kennen und ernst
nehmen, aber auch die Bürger um Hilfe und alltäglichen Mut bitten.»
Gerade die Polizei sei auf Hinweise und Informationen beispielsweise bei
nächtlichen Schmierereien angewiesen. Und auf Zeugen. Die Stadt sei mit
ihrem durch gesetzliche Rahmen gezogenen Ohnmachtsgefühl «nicht
glücklich» . Deshalb seien um so mehr die Bürger gefragt. Erreichen will
man die auch durch Gespräche und Aufklärung über Symbole, Strukturen und
Verhalten der rechten Szene – wie sie in allen Lübbener Schulen geführt
wurden und werden. Ordnungsamtschef Bartoszek sagt über den «Bunker 88»
– die Zahl steht für das Signum «HH» – aber auch: «Wir sind da natürlich
nicht untätig, was man aber manchmal nicht sieht und nicht jeder weiß.»
Und wohl auch nicht sehen soll.
Wie weit rechte Gedanken, Sympathie dafür oder aber Desinteresse,
Verdrängung und Ignoranz verbreitet sind, zeigt ein Beispiel aus
Vetschau. In der Bahnhofstraße zierte ein Spruch wochenlang eine
Hauswand: «Rudolf Hess 1987 Mord» prangte dort in großen Buchstaben.
Solch ein Schriftzug fällt jedoch nicht unter die – strafbare –
Verwendung von Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organe. Heß,
Stellvertreter Hitlers, wird von Neonazis zum Märtyrer stilisiert.
Viele private Eigentümer haben resigniert, wenn es ums Entfernen solcher
Schmierereien geht. «Das kostet wahnsinnig viel Geld, und niemand kann
uns garantieren, dass nicht am nächsten Tag wieder was dransteht» , sagt
ein Hauseigentümer, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will –
eben aus Angst, nach mehreren Vorfällen erneut Ziel von Sprühern oder
Schmierern zu werden. Dann wird offenbar auch in Kauf genommen, dass
Firmenautos unterm Nazi-Slogan parken und dass die Sprüche stehen und
buchstäblich haften bleiben, denen man zumindest eine Nähe zu rechten
Gedanken attestieren muss.
«Betreffen solche Vorkommnisse städtische Gebäude oder Flächen, wird
umgehend Anzeige erstattet, eine Fotodokumentation gemacht und dann
entfernt» , sagt Vetschaus Bürgermeister Axel Müller (SPD). Es gebe
einschlägige Tage und bekannte Orte, an denen immer wieder Schmierereien
auftauchen – meist an Einkaufsmärkten oder an Schulen.
Schwieriger wird es auch in Vetschau, wenn private Hauseigentümer
betroffen sind. «Ich sag es nicht gern, aber da sind uns die Hände
gebunden» , so Müller. Manchmal werde aus Kostengründen auf die
Reinigung verzichtet, sehr zum Leidwesen der Stadt. «Touristen, die aus
Burg nach Vetschau kommen, sehen in der Bahnhofstraße natürlich auch
solche Sprüche» , sagt Müller.
Schmierereien seien aber nur ein Teil der Auseinandersetzung, in der
Müller für einen kreativen Umgang plädiert. «Linke Schüler haben mal
Hakenkreuze auf dem Schulhof umgestaltet und somit uminterpretiert. Das
ist vielleicht besser, als wenn sich das hochschaukelt, wenn entfernt
wird, und in der nächsten Nacht werden erneut Hakenkreuze geschmiert.»
Gleichzeitig müsse der Zugang zu Schülern gefunden werden, in Gesprächen
in der Schule ebenso wie bei Freizeitangeboten oder in Vereinen. Der
Jugendklub als Gebäude mache es da nicht. Aufklärung sei wichtig, sagt
Müller. «Ich will es nicht verniedlichen, aber manchmal sind
Hakenkreuz-Schmierereien eher Streiche von dummen Jungen. Man muss die
Symbolik erkennen, die sich da fast schon in einer Parallelwelt
herausbildet.» Es gebe aber kein Patentrezept. «Die Gesellschaft wird
immer komplizierter, da kommen viele nicht mehr mit und finden schnell
Zugang zu den vermeintlich einfachen Lösungen.» Oder eben zum «Schnauze
voll» ‑Protest bei Wahlen.
Was oftmals fehle, so die Fachleute von der Lübbener Opferberatung, sei
der öffentliche Druck gegen die rechten Aktivitäten. Politische Aufrufe
seien da nur eine Seite. D
ie Jugendarbeit, die Angebote für alle
Altersgruppen müssten stabilisiert werden.
Und die Strafverfolgung dürfe nicht fehlen. Immerhin hat das Amtsgericht
Lübben im Juni einen Überfall vom Januar dieses Jahres auf einen
Jugendklub in Neu Lübbenau gegen vier Angeklagte mit Freiheits- und
Bewährungsstrafen zwischen zwei Jahren und acht Monaten geahndet.
Hintergrund Rechte Übergriffe in der Region
Die Opferperspektive Brandenburg hat für die Spreewald-Region bislang
vier Fälle rechter Übergriffe im Jahr 2006 aufgezeichnet.
Sie reichen
von verbaler Bedrohung bis hin zu Schlägen und Tritten sowie dem
Überfall auf den Jugendklub in Neu Lübbenau. Seit 2003 steigt die Zahl
der Übergriffe im Landkreis Dahme-Spreewald wieder – von drei über
sieben auf neun. 2002 waren es sogar zwölf. Im Landkreis
Oberspreewald-Lausitz waren es 2002 sieben, in den Jahren danach eine
sowie jeweils vier.
Der Verein verweist auf eine Dunkelziffer, da rechte Straftaten nur
selten angezeigt werden. Im Internet www.opferperspektive.de
Strausberg — Keine Proteste aber jedes zehnte Auto von der Polizei
An jeder Zufahrtsstraße ein Mehrpersonenfahrzeug, mehr als eine Hundertschaft BereitschaftspolizistInnen aus Märkisch Oderland und Potsdam, jedes zehnte Auto eine Polizeistreife, hinterm Zaun der Kaserne alle hundert Meter ein Wachposten der Bundeswehr, eine Hundestaffel und berittene Polizisten — sie alle sollten heute das Gelöbnis in der Barnim Kaserne vor Störungen schützen. Das alles erinnert eher an einen Castortransport als an die Vereidigung von RekrutInnen der Bundeswehr.
Wachposten der Bundeswehr zum Schutz vor ungewünschtem Publikum
Bereits seit einem Jahr steht fest, dass die Bundeswehr in Strausberg ein Gelöbnis abhalten möchte. Dieses Ereignis sollte nicht wie üblich hinter den Mauern der Kaserne stattfinden, sondern einen Platz in der Öffentlichkeit finden. Diese militärische Werbeveranstaltung sollte in einem Stadion nahe der Innenstadt abgehalten werden. Die “Energie-Arena”, so der Name des Stadions, wurde schon 2001 für ein Gelöbnis dieser Art missbraucht und sollte in diesem Jahr ein zweites Mal dafür herhalten.
Um der offensiven Öffentlichkeitsstrategie der Bundeswehr etwas entgegen zu setzen und sich kritisch zu einer sukzessiven Militarisierung des öffentlichen Raumes zu positionieren, gründete sich Mitte des Jahres das “Bündnis gegen Militarismus Strausberg” (BgMS). Ende Oktober verteilte das Bündnis in vielen Haushalten Strausbergs Broschüren mit dem Titel “Sauberes Image — Befleckte Weste” und bot Raum für Diskussion auf seinem
Mit dieser Broschüre wurde die Armee “ins Kreuzfeuer” genommen. Sie gab einen Aufschluss darüber, in wie fern öffentliche Gelöbnisse für das gute Image der Bundeswehr sorgen sollen. In der Broschüre heißt es, dass es Ziel sei “die BunderwehrsoldatInnen als BürgerInnen in Uniform” darzustellen und nicht als ausgebildete “MörderInnen mit Kadavergehorsam”. Eine Sprecherin des “Bündnis gegen Militarismus Strausberg” (BgMS) sagte: “Mit solchen Gelöbnissen, wie es in Strausberg stattfinden sollte, versucht die Bundeswehr sich in das alltägliche Bild der StrausbergerInnen einzupassen und will somit Militär als bürgernah verkaufen.”
Im Zusammenhang mit der erschienenen Broschüre wurde eine Veranstaltungsreihe zu den Themen Bundeswehr im Ausland, Neue Deutsche Außenpolitik und Imagepflege der Armee organisiert. Ein Appell auf der Terminseite, das Gelöbnis zu stören, war auch zu finden. Gleichzeitig gab es eine Demoanmeldung direkt vor der “Energie-Arena”.
Diese Meldungen führte die Bundeswehr zu dem Entschluss, die öffentliche Vereidigung der LuftwaffenrekrutInnen in die Kaserne zurück zu verlegen. Dort wo sie vierteljährig stattfindet und nur von der Familien-Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Die Sprecherin des BgMS sagte, dass sie “die Entscheidung der Bundeswehr begrüßen” und “von einer weiteren Mobilisierung zu Störaktionen absehen”.
Eine der zwei Einfahrten der Barnim Kaserne
Gegen 16.00 Uhr konnten die Gäste der Vereidigung wieder nach Hause fahren. Einige wunderten sich, warum keinerlei Protest zu dieser Veranstaltung stattfand. Die Sprecherin des Bundnisses gegen Militarismus meinte dazu: “Wir mussten antimilitaristischen Gruppen aus dem ganzen Bundesgebiet absagen, weil wir das erreicht haben, was wir uns als Zielstellung gesetzt haben, nämlich das Gelöbnis im öffentlichen Raum zu verhindern. Trotz dieses Teilerfolges werden wir weiterhin die Situation in Strausberg kritisch verfolgen und unser Ziel, eine entmilitarisierte Gesellschaft, nicht aus den Augen verlieren.”
Weitere Fotos:
Polizei vor der Energie Arena in der Wiezener Straße
Fußgängerübergang vom Bahnhof zur Kaserne
Berittene Polizei zwischen Bahnhof Strausberg (Vorstadt) und dem Kasernengelände
Polizei hinter den Gleisen vom Bahnhof Strausberg (Vorstadt)
Neonazidemo in Lübben geplant
INFORIOT Neonazis aus dem Spektrum der freien Kameradschaften sowie der sächsischen JN planen eine Demonstration im brandenburgischen Lübben. Der Aufmarsch soll am 9. Dezember stattfinden. Unter dem Motto “Menschenrecht bricht Staatsrecht” soll gegen die vorgebliche “Kriminalisierung” von “widerständigen Jugendlichen” und “Widerstandskämpfern” protestiert werden.
Auf einer Werbehomepage für die Demo ist unter anderem die “Gefangenenliste” der neonazistischen “Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene” (HNG) eingestellt — eine Adresssammlung von inhaftierten Rechtsextremen. Die Demonstration soll zur Solidarität mit den dort aufgeführten Personen aufrufen. Unter ihnen finden sich Holocaustleugner, Schläger wie der Potsdamer Oliver Kalies, der Mörder Kay Diesner und der Terrorist Martin Wiese.
Die Demo ist für 10 Uhr angekündigt, die Neonazis wollen sich nach eigenen Angaben auf dem Bahnhofsvorplatz treffen. Noch ist nichts über etwaige Protestaktionen bekannt.
Wo demonstrieren sie?
Potsdam/ Seelow/ Halbe — Trotz der Ankündigung der rechtsextremen Organisatoren, ihr diesjährigen Marsch zum „Heldengedenken“ durch Halbe rund 100 Kilometer nordöstlich nach Seelow zu verlegen, ruft die Stadt Potsdam weiter zur Teilnahme am morgigen „Tag der „Demokraten“ in Halbe auf. Dies betonte gestern auf PNN-Nachfrage Stadtsprecherin Rita Haack: „Es geht bei dieser Demonstration darum, die Mehrheitsverhältnisse in diesem Land und die Stärke der Demokratie zu zeigen.“
Die Stadtverwaltung wird zu diesem Zweck nach eigenen Angaben eine unbegrenzte Zahl kostenloser Busse für die rund einstündige Fahrt nach Halbe stellen. Die Busse starten um 10.30 Uhr am Hauptbahnhof auf der Seite der Friedrich-Engels-Straße, die Rückfahrt beginnt um 18 Uhr. Bis gestern hatten sich bei der Stadt rund 180 Menschen für die Fahrt angemeldet. Mit dabei sind viele Mitglieder der Stadtfraktionen: Dabei zeigt die Teilnehmerliste, dass vor allem SPD und PDS ihre prominenteren Mitglieder mobilisieren konnten.
Auch Oberbürgermeister Jann Jakobs hat erneut sein Kommen angekündigt, ebenso Sozialbeigeordnete Elona Müller und Jugendamtsleiter Norbert Schweers. Der Fraktionschef der Potsdamer SPD, Mike Schubert, sah gestern gegenüber den PNN ebenso keinen Grund, sich von dem plötzlichen Ortswechsel für das rechtsextreme „Heldengedenken“ verwirren zu lassen. „Wir sollten dieses Katz-und-Mausspiel nicht mitmachen“, sagte Schubert. Es sei schon ein Teilerfolg, den rechten Aufmarsch aus Halbe vertrieben zu haben. Zudem gebe es genügend Demokraten, um auch die geplante Gegendemonstration in Seelow zu einem Erfolg werden zu lassen.
In Seelow selbst werden aus Potsdam vor allem Mitglieder der linken Szene der Stadt erwartet. Wenn „aufrechte Demokraten“ sich tatsächlich Neonazis in den Weg stellen wollten, müssten sie dies nun in Seelow tun, so Tamás Blénessy von der AG Antifaschismus der Universität Potsdam. Auch die AK Antifa Potsdam rief gestern zur Fahrt nach Seelow auf. Der geplante „Tag der Demokraten“ sei nun noch uneffektiver im Kampf gegen Rechtsextremismus, so eine Sprecherin der linken Gruppe. Denn trotz solcher Veranstaltungen wie dem „Tag der Demokraten“ sei die Bereitschaft in der Gesellschaft, bei rechtsextremen Übergriffen einzugreifen, weiterhin zu niedrig: „Antifaschismus ist für uns mehr als Bratwurstessen gegen Rechts.“ Wegen möglicher Ausschreitungen kündigte die Polizei gestern an, Seelow als Schwerpunkt ihrer Arbeit zu betrachten.
Ob die Potsdamer rechtsextreme Szene in nennenswerter Weise ins 125 Kilometer entfernt Seelow mobilisieren kann, ist unklar. Die Köpfe der lokalen Szene, etwa der 23-jährige Oliver K. – Mitbegründer der Anti-Antifa-Potsdam – verbüßen in der Justizvollzugsanstalt in Brandenburg a.d. Havel zurzeit mehrjährige Haftstrafen wegen gewalttätigen Überfällen.
Gute Stimmung gegen krude Riten
Am Sonnabend wollen hunderte Nazis wieder ihr “Heldengedenken” in Halbe abhalten. Doch ein neues Versammlungsgesetz und eine massive Bürgermobilisierung vermiesen den Rechten die Laune. Wieder ist ihnen der Zugang zum Friedhof verwehrt. Nun wollen sie nach Seelow ausweichen
Es werden immer mehr: Altbundespräsident Richard von Weizsäcker, Brandenburgs Exminister Manfred Stolpe und der aktuelle Landeschef Matthias Platzeck, Abgeordnete und Kommunalpolitiker, märkische Schulen, Kirchengemeinden — und gar Wohnungsbaugenossenschaften rufen inzwischen zum “Tag der Demokraten” nach Halbe auf. Selbst Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) liebäugelte mit einem Besuch in dem Brandenburgischen Dorf südöstlich von Berlin, musste aber absagen. Sie alle eint eines: so viele Bürger wie möglich am Sonnabend nach Halbe zu mobilisieren, um gemeinsam einen der größten deutschen Nazi-Aufmärsche zu verhindern.
Bereits zum siebten Mal finden sich am Vortag des Volkstrauertages Rechtsextreme aus dem ganzen Bundesgebiet an der dortigen Kriegsgräberstätte ein.
Doch Brandenburger Bürger und Politiker halten diesmal dagegen: mit ihrem “Tag der Demokraten”. 250 großflächige Plakate hat man im ganzen Bundesland verklebt, Mobilisierungsveranstaltungen organisiert. “Wir erfahren dieses Jahr eindeutig mehr Zuspruch”, freut sich Hans-Hartwig Lau, Mitorganisator des Aktionsbündnisses. Dessen Vorsitzender, Heinz-Joachim Lohmann, rechnet mit mindestens 4.000 Gegendemonstranten. “Im letzten Jahr hatten wir 14 Tage für die Organisation, diesmal fünf Monate — das macht sich bemerkbar”, so Lohmann.
Im vergangenen Jahr blockierten Landtagsprominenz und 2.000 Bürger die Halber Hauptstraße zum Friedhof. Die Rechten kamen keinen Schritt vorwärts, fuhren gefrustet mit den Zügen nach Hause. Diesmal haben die Brandenburger sich etwas anderes überlegt: eine Art Volksfest. Konzerte, Bratwürste, Zeitzeugengespräche und eine Menschenkette durch Halbe. “Das wird eine eigenständige Veranstaltung, die sich gegen die Ziele der Nazis richtet, aber mit dem rechten Aufmarsch nichts zu tun hat”, so Lohmann. Das Volksfest soll wieder auf der Hauptstraße, der Lindenstraße, in Halbe stattfinden.
Dabei hält auch eine neue Gesetzeslage die Rechtsextremen von ihrem Pilgerort fern. Mit Ausnahme der DVU stimmten die Landtagsparteien Ende Oktober für ein neues Versammlungsgesetz. Ab sofort sind damit Kundgebungen, die den Nationalsozialismus verherrlichen oder verharmlosen, auf Brandenburger Gräberstätten verboten. Explizit wird in dem Gesetz um den Friedhof eine Bannmeile gezogen.
Experten beurteilen den Gesetzestext kritisch. “Ich halte das für riskant, solange das Bundesverfassungsgericht noch nicht über Wunsiedel geurteilt hat”, sagte Ulrich Battis, Professor für Staatsrecht an der Berliner Humboldt Universität. Das Karlsruher Gericht wird im nächsten Jahr über das in den letzten beiden Jahren erteilte Versammlungsverbot für Rechtsextreme in dem Beerdigungsort des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß grundsätzlich entscheiden. “Bis dahin hätte man warten und dann ein neues Versammlungsgesetz aus einem Guss vorlegen sollen”, so Battis. Das beschlossene Gesetz sei “Flickwerk”.
Die Rechten haben auf das neue Gesetz reagiert: Anstatt auf “einem eher trostlosen Bahnhofsvorplatz gewissermaßen interniert zu werden”, wie es auf der Mobilisierungs-Internetseite heißt, wolle man nun in Seelow marschieren. Für die Nazis scheint der Ort nahe der polnischen Grenze für ihre kruden Gedenk-Riten genauso geeignet: Hier starben bei der größten Weltkriegsschlacht auf deutschem Boden im April 1945 über 100.000 Menschen.
Das Bürgerbündnis plant hingegen weiter seine Veranstaltungen in Halbe. Sollten die Nazis in Seelow marschieren, wird das Antifaschistische Bündnis seine Kundgebung in Seelow veranstalten. Auch die Gemeinde plant nun kurzfristig eine Gegenveranstaltung mit Konzert in Sichtweite der angemeldeten Nazi-Route und eine symbolische Besenreinigung der Straße nach Abzug der braunen Horden.
Einer wäre über das Fernbleiben der Rechten aus Halbe ganz besonders froh: Bürgermeister Ralf Kunze. “Pappsatt” sei er über den jährlichen Trubel in seinem Dorf. Der ganze Ort werde für einen kompletten Tag von Polizei und Demonstranten blockiert. “Es ist grotesk, dass man den Neonazis so eine Bühne bereitet. Die müssen sich ja regelrecht freuen, hierherzukommen”, schimpft Kunze. Er würde den rechten Aufmarsch schlicht verbieten. “Aber wir Kommunalpolitiker haben ja dabei nichts zu sagen.” Kunze jedenfalls werde am Sonnabend zum Gottesdienst der Gegendemonstranten gehen und dann schnellstmöglich aus Halbe verschwinden. “Da drängeln ja so viele vor die Kameras, da kann auf mich verzichtet werden.”