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Schwere Ermittlungspannen im Fall Ermyas M.

Pots­dam — Im Prozeß um den Über­fall auf den Deutsch-Äthiopi­er Ermyas Muluge­ta sind schw­er­wiegende Ermit­tlungspan­nen ans Licht gekom­men. So wur­den nach der Attacke in der Oster­nacht 2006 in Pots­dam die Spuren nicht von den Spezial­is­ten der Krim­i­nalpolizei gesichert, son­dern von ein­fachen Streifen­polizis­ten. Dies berichtete ein beteiligter Beamter am Fre­itag vor dem Landgericht Pots­dam. Der Streifen­polizist, der als ein­er der ersten am Tatort war, räumte Män­gel bei der Spuren­sicherung ein. Zahlre­iche umher­liegende Glass­cher­ben von ver­schiede­nen Bier­flaschen seien in ein­er Papiertüte aufge­sam­melt wor­den. An ein­er Scherbe stell­ten die Ermit­tler später eine ver­wis­chte DNA-Spur fest, die nicht mehr mit let­zter Sicher­heit einem der Angeklagten zuge­ord­net wer­den kon­nte. Der Polizist forderte am frühen Mor­gen jenes 16. April 2006 eige­nen Angaben zufolge die krim­inal­tech­nis­che Unter­suchung. »Dies wurde verneint, aus welchen Grün­den auch immer«, sagte er. Die Tatort­fo­tos sind offen­bar unbrauch­bar. Der Streifen­beamte, der die Bilder gemacht hat­te, räumte ein: »Die kann man im Prinzip vergessen.« 

Unklar blieben außer­dem die Wahrnehmungen eines Tax­i­fahrers, der während der Tat zweimal an der Hal­testelle vor­bei­fuhr. Der Mann habe aus­ge­sagt, zwei Män­ner hät­ten auf einen Dunkel­häuti­gen einge­treten, sagte eine Polizistin. Genauer nachge­fragt habe sie nicht. Später bei der Staat­san­waltschaft schilderte der Fahrer, der auch vor Gericht gehört wer­den soll, den Ablauf anders: Der Dunkel­häutige habe nach einem der anderen Män­ner getreten. 

Erschw­ert wird die Aufk­lärung auch wegen der Gedächt­nis­lück­en Muluge­tas nach dessen lebens­ge­fährlichen Kopfver­let­zun­gen. »Ich habe defin­i­tiv keine Erin­nerung«, sagte der 38jährige vor den Richtern. In der am Mittwoch abend aus­ges­trahlten RTL-Sendung »Stern TV« hat­te er noch geäußert: »Wenn ich ehrlich bin, die bei­den waren es.« Vor Gericht sagte er nun, er wisse nur noch, daß er den Abend vor der Tat mit sein­er Frau bei ein­er Grill­par­ty in einem Nach­bar­garten ver­bracht habe. Dort habe er etwa drei Bier und einen Schnaps getrunk­en. Gegen drei Uhr sei er los­ge­gan­gen, um noch einen Fre­und zu besuchen. Seine Frau bestätigte diese Angaben im wesentlichen. 

Die 32jährige berichtete außer­dem von einem Tele­fonat, das ihr Handy zum Zeit­punkt der Attacke erre­ichte. Als sie abgenom­men habe, seien zunächst nur Schritte und Hun­dege­bell zu hören gewe­sen. Kurz darauf habe ein Mann gesagt: »Laß uns abhauen.« Dies sei jedoch nicht die Stimme gewe­sen, die mit ras­sis­tis­chen Belei­di­gun­gen auf ihrer Mail­box zu hören war. Das Gerät hat­te Beschimp­fun­gen wie »Scheiß Nig­ger« mit­geschnit­ten, weil Ermyas kurz vor der Tat ver­sucht hat­te, seine Frau zu erre­ichen. In der knapp zwei Minuten lan­gen Auf­nahme ist eine Auseinan­der­set­zung zwis­chen Muluge­ta und anderen Män­nern zu hören.

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Polizei leistete sich schwere Ermittlungspannen

Während des Prozess­es um den lebens­ge­fährlichen Angriff auf den Deutsch-Äthiopi­er in Pots­dam sind mehrere Ver­fehlun­gen der Polizei ans Licht gekom­men. So wurde etwa die Spuren­sicherung nicht von Spezial­is­ten, son­dern von ein­fachen Polizis­ten erledigt. Auch bei der Zeu­gen­be­fra­gung leis­teten sich die Beamten grobe Schnitzer. 

Pots­dam — Im Prozess um den fol­gen­schw­eren Über­fall auf den Deutsch-Äthiopi­er Ermyas M. sind schw­er­wiegende Ermit­tlungspan­nen ans Licht gekom­men. So wur­den nach der Pots­damer Attacke in der Oster­nacht 2006 die Spuren nicht von den Spezial­is­ten der Krim­i­nalpolizei gesichert, son­dern von ein­fachen Streifen­polizis­ten. Dies berichtete ein beteiligter Beamter am Fre­itag vor dem Landgericht Pots­dam. Vertei­di­ger Matthias Schöneb­urg sprach von ein­er großen Panne. 

Der Streifen­polizist, der als ein­er der ersten am Tatort war, räumte Män­gel bei der Spuren­sicherung ein. Zahlre­iche umher­liegende Glass­cher­ben von ver­schiede­nen Bier­flaschen seien in ein­er Papiertüte aufge­sam­melt wor­den. An ein­er Scherbe stell­ten die Ermit­tler später eine ver­wis­chte DNA-Spur fest, die nicht mehr mit let­zter Sicher­heit einem der Angeklagten zuge­ord­net wer­den kon­nte. Der Polizist hat­te am frühen Mor­gen jenes 16. April 2006 eige­nen Angaben zufolge die Krim­inal­tech­nik ange­fordert. „Dies wurde verneint, aus welchen Grün­den auch immer“, sagte er. 

„Das ist eine große Panne“, erk­lärte Recht­san­walt Matthias Schöneb­urg, der den Angeklagten Björn L. vertei­digt. „Üblich ist, dass bei solchen Fällen von Kör­per­ver­let­zung die Spezial­is­ten von der Kripo kom­men.“ Auch auf den Tatort­fo­tos sei fast nichts zu erken­nen. „Die sind schwarz“, sagte Schöneb­urg. Der Streifen­beamte, der die Bilder gemacht hat­te, räumte ein: „Die kann man im Prinzip vergessen.“ 

Auch die Wahrnehmungen eines Tax­i­fahrers blieben unklar, der während der Tat zwei Mal an der Hal­testelle vor­bei fuhr. Der Mann habe aus­ge­sagt, zwei Män­ner hät­ten auf einen Dunkel­häuti­gen einge­treten, sagte eine Polizistin. Sie habe aber nicht nachge­fragt, auf welche Weise und wie stark dies geschehen sei. Später bei der Staat­san­waltschaft schilderte der Fahrer, der auch vor Gericht gehört wer­den soll, den Ablauf anders. Danach sollte der Dunkel­häutige nach einem der anderen Män­ner getreten haben. 

Erschw­ert wird die Aufk­lärung auch wegen der Gedächt­nis­lück­en M.s nach dessen lebens­bedro­hen­den Kopfver­let­zun­gen. „Ich habe defin­i­tiv keine Erin­nerung“, sagte der 38-Jährige vor den Richtern. Er äußerte sich nicht dazu, ob er die bei­den Angeklagten wieder­erken­nt. In ein­er TV-Sendung hat­te er gesagt: „Wenn ich ehrlich bin, die bei­den waren es.“ Die Angeklagten bestre­it­en aber jede Beteili­gung. Sie hat­ten vor Gericht erk­lärt, nicht am Tatort gewe­sen zu sein. 

M. berichtete, er wisse nur noch, dass er den Abend vor der Tat mit sein­er Frau bei ein­er Grill­par­ty in einem Nach­bar­garten ver­bracht habe. Dort habe er etwa drei Bier und einen Schnaps getrunk­en, sagte der Neben­kläger. Gegen 3 Uhr sei er los­ge­gan­gen, um noch einen Fre­und zu besuchen. Seine Frau bestätigte diese Angaben im Wesentlichen. 

Die 32-Jährige berichtete außer­dem von einem Tele­fonat, das ihr Handy zum Zeit­punkt der Attacke erre­ichte. Als sie abgenom­men habe, seien zunächst nur Schritte und Hun­dege­bell zu hören gewe­sen. Kurz darauf habe ein Mann gesagt: „Lass uns abhauen.“ Dies sei jedoch nicht die Stimme gewe­sen, die mit ras­sis­tis­chen Belei­di­gun­gen auf ihrer Mail­box zu hören war. 

Das Gerät hat­te Beschimp­fun­gen wie „Ey Nig­ger“ und „Scheißnig­ger“ mit­geschnit­ten, weil Ermyas kurz vor der Tat ver­sucht hat­te, seine Frau zu erre­ichen. In der knapp zwei Minuten lan­gen Auf­nahme ist eine Auseinan­der­set­zung zwis­chen M. und anderen Män­nern zu hören.

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2006: Anstieg linker und rechter Gewalt

Die Zahl link­sex­trem und recht­sex­trem motiviert­er Gewalt­tat­en ist im Schutzbere­ich Pots­dam im ver­gan­genen Jahr gegen den Trend in Bran­den­burg um rund 30 Prozent gestiegen. Dies geht aus den vor­läu­fi­gen Zahlen der Krim­i­nal­itätssta­tis­tik für 2006 her­vor, die das Pots­damer Polizeiprä­sid­i­um gestern für den Schutzbere­ich auf PNN-Anfrage bekan­nt gab. Neben Pots­dam gel­ten die Zahlen für die Region Teltow-Stahnsdorf-Kleinmachnow.

Danach ereigneten sich im Schutzbere­ich vom 1. Jan­u­ar bis zum 30. Novem­ber 2006 ins­ge­samt 29 poli­tisch motivierte Gewalt­de­lik­te, acht mehr als 2005 im sel­ben Zeitraum. Die Zahl link­sex­tremer Gewalt­tat­en hat sich dabei mehr als ver­dop­pelt: Sie stieg von vier auf neun Fälle. Den­noch über­wiegt die recht­sex­treme Gewalt: Hier stieg die Zahl von 17 auf 20 gemeldete Straftat­en. „Dies sind vor­läu­fige Zahlen, die sich noch ger­ingfügig ändern kön­nen“, sagte Rudi Son­ntag, Sprech­er des Polizeiprä­sid­i­ums. Die endgülti­gen Zahlen für 2006 sollen im Laufe des Feb­ru­ars bekan­nt gegeben werden.

Damit liegt der Pots­damer Schutzbere­ich zumin­d­est bei den Zahlen recht­sex­tremer Gewalt­tat­en gegen den Trend im Land Bran­den­burg. Gestern hat­te das Bran­den­burg­er Innen­min­is­teri­um für die Mark von vor­läu­fig 89 recht­en Gewalt­tat­en berichtet, acht Fälle weniger als 2004. Im Ver­gle­ich zu 2004 sei die Zahl der recht­en Gewalt­de­lik­te sog­ar um 15 Prozent gesunken. Dage­gen erwarten Experten für das gesamte Bun­des­ge­bi­et in diesem Jahr einen neuen Höch­st­stand bei rechter Krim­i­nal­ität (PNN berichteten).

Unter­dessen ist die Suche nach mehreren offen­bar linken Gewalt­tätern vom ver­gan­genen Woch­enende erfol­g­los geblieben. In der Nacht zum Son­ntag waren nach Polizeiangaben ein 21-jähriger Caputher sowie dessen 26-jähriger Bekan­nter am Bahn­hof gegen 2.30 Uhr von sechs ver­mummten Män­nern zusam­mengeschla­gen wor­den. Bei dem Angriff wurde laut Polizei Pfef­fer­spray ver­wen­det, die Täter sollen den 21-Jähri­gen zudem als „Scheiß Nazi“ beze­ich­net haben. „Bish­er gibt es noch keine neuen Emit­tlungsergeb­nisse“, so Polizeis­precherin Ange­li­ka Chris­ten gestern auf Anfrage.

Wegen der Zunahme der poli­tisch motivierten Gewalt – beson­ders im Som­mer 2005 hat­te sich die Lage nach mehreren Über­fällen zuge­spitzt – hat­te die Polizei vor zwei Jahren eine Son­derkom­mi­sion „Soko Pots­dam“ gegründet.

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Großer Andrang zum Prozess um den Fall Ermyas M.

Pots­dam (dpa) Die Anspan­nung ste­ht Ermyas M. ins Gesicht geschrieben. Immer wieder beißt er sich auf die Unter­lippe und gibt knappe Antworten auf die Fra­gen, die auf ihn nieder­pras­seln. Dutzende Kam­eras sind auf ihn gerichtet — auf das Opfer des lebens­ge­fährlichen Über­griffs vor fast zehn Monat­en in Pots­dam. In weni­gen Minuten soll der Prozess gegen die bei­den mut­maßlichen Täter begin­nen, wegen gefährlich­er Kör­per­ver­let­zung und unter­lassen­er Hil­feleis­tung. Ermyas M. sagt, es gehe ihm “rel­a­tiv sehr gut”. Und: “Es ist nicht alles wieder wie vorher.”

Vorher, das ist vor dem 16. April 2006, als der dunkel­häutige Deutsch-Äthiopi­er an ein­er Pots­damer Hal­testelle durch einen Faustschlag ins Koma geprügelt wurde. Entset­zen in der ganzen Repub­lik — wieder eine frem­den­feindliche Attacke im Osten Deutschlands?

Der dama­lige Gen­er­al­bun­de­san­walt Kay Nehm zog die Ermit­tlun­gen an sich — wegen Mord­ver­suchs aus Aus­län­der­hass. Das löste einen Stre­it mit Bran­den­burgs Innen­min­is­ter Jörg Schön­bohm (CDU) aus, der vor “Hys­terie” warnte. Die bei­den Verdächti­gen waren damals schnell gefasst und kamen in Unter­suchung­shaft. Aber schon wenig später rud­erte Nehm zurück, die Pots­damer Staat­san­waltschaft über­nahm wieder die Ermit­tlun­gen. Am Mittwoch nun sitzen die bei­den Angeklagten — seit län­gerem wieder auf freiem Fuß — in dem angesichts des Medi­en­spek­takels viel zu kleinen Saal 009 des Pots­damer Landgerichts.

Wäre nicht die drama­tis­che Vorgeschichte, wäre es ein Prozess unter vie­len — es geht schließlich “nur noch” um gefährliche Kör­per­ver­let­zung, unter­lassene Hil­feleis­tung und Belei­di­gung. Aber so haben sich Über­tra­gungswa­gen vor dem Gericht aufge­baut, der Ein­gang ist abges­per­rt, Zuschauer und Presse müssen Sicher­heit­skon­trollen über sich erge­hen lassen. Nur 15 Jour­nal­is­ten erhiel­ten eine Akkred­i­tierung, nicht wenige müssen draußen bleiben. Drin­nen würdi­gen sich die 29- und 31-jähri­gen Angeklagten, die jegliche Schuld von sich weisen, kaum eines Blick­es. Auch Ermyas M. — seine lan­gen Ras­ta-Lock­en sind ein­er Kurzhaar­frisur gewichen — wird nur flüchtig beachtet.

Erkan­nt hat der Wasser­bauin­ge­nieur die Bei­den ver­mut­lich nicht. “Mein Man­dant kann sich über­haupt nicht an die Tat erin­nern”, sagt Opfer-Anwalt Thomas Zip­pel. Nur “dif­fuse Bilder” seien da. Während die Staat­san­waltschaft die Anklage ver­li­est, hören die Beschuldigten äußer­lich regungs­los zu: In der Tat­nacht sollen sie sich mit dem Opfer ein Wort­ge­fecht geliefert haben,. Beschimp­fun­gen, darunter auch “Scheiß Nig­ger”, zeich­nete die Handy-Mail­box der Ehe­frau auf, die Ermyas M. ger­ade angerufen hatte.

Als sich die Beschuldigten zunächst ent­fer­n­ten, so die Anklage, ver­suchte M. den Haup­tangeklagten Björn L. ins Gesäß zu treten. Daraufhin habe dieser mit der Faust zugeschla­gen. Thomas M. soll dem am Boden liegen­den Opfer nicht geholfen haben. Soweit die Anklageschrift, Begriffe wie “frem­den­feindlich” oder “aus­län­der­feindlich” ste­hen nicht darin. Dafür kom­men sie aber mehrfach in den Erk­lärun­gen vor, die die Angeklagten über ihre Anwälte ver­lesen lassen. So beteuert Björn L.: “Ich habe mit der Ver­let­zung von Ermyas nichts zu tun und bin in kein­ster Weise aus­län­der­feindlich”. Zur Tatzeit sei er zu Hause gewe­sen. Ähn­lich äußert sich Thomas M..

Björn L. scheint mehrfach den Trä­nen nahe zu sein, als es in sein­er Erk­lärung um seinen “irrepara­blen per­sön­lichen Schaden” durch den Fall geht. Der­weil ver­fol­gt Ermyas M. die Ver­hand­lung ruhig und hoch konzen­tri­ert. Schon am Fre­itag soll er in den Zeu­gen­stand gerufen wer­den. Nach dem etwas mehr als halb­stündi­gen ersten Prozesstag weist er Fra­gen von Medi­en zurück: “Ich möchte jet­zt nur noch Ruhe.” 

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Prozeßauftakt im Fall Ermyas M.

Pots­dam — Knapp zehn Monate nach dem Über­fall auf den Deutsch-Äthiopi­er Ermyas M. hat am Mittwoch vor dem Landgericht in Pots­dam der Prozeß gegen die mut­maßlichen Täter begonnen. 

Nach den Vor­wür­fen der Staat­san­waltschaft hat­ten der 29jährige L. und der 31jährige M. in der Nacht des 16. April 2006 gegen vier Uhr mor­gens an ein­er Hal­testelle in Pots­dam-Char­lot­ten­hof ihr Opfer zunächst beschimpft, so etwa als »Scheiß Nig­ger«. Bei­de hät­ten sich, so trug es Staat­san­wältin Juliane Heil vor, nach der ver­balen Auseinan­der­set­zung etwa 50 Meter ent­fer­nt, als ihnen Ermyas M. nachge­laufen sei und ver­sucht haben soll, Björn L. in den Hin­tern zu treten. L. habe, so die Staat­san­wältin weit­er, die fehlgeschla­gene Attacke bemerkt, sich sofort umge­dreht und dem 38jährigen aus Äthiopi­en stam­menden Wasser­bauin­ge­nieur einen der­art hefti­gen Faustschlag ver­set­zt, daß dieser, lebens­ge­fährlich ver­let­zt das Bewußt­sein ver­lor und zu Boden ging. Nach dem bru­tal­en Angriff sollen sich die bei­den Angeklagten vom Tatort ent­fer­nt und dabei ihr Opfer blu­tend liegen gelassen haben. 

Björn L. ließ erk­lären, ihm tue aufrichtig leid, was dem Opfer wider­fahren sei. Er sei jedoch wed­er am Tatort noch an diesem Tag mit dem Mitangeklagten zusam­men gewe­sen. Sein Vertei­di­ger sprach von einem Indizien­prozeß mit aus sein­er Sicht aus­ge­sprochen dün­ner Beweis­lage. Er werde deshalb auf Freis­pruch plädieren. 

Polizei und Staat­san­waltschaft standen vor kom­plizierten Ermit­tlun­gen, weil es wegen der mor­gendlichen Tatzeit kaum Zeu­gen gibt. Lediglich die zufäl­lige Aufze­ich­nung der Beschimp­fun­gen auf dem Handy von Ermyas M. brachte etwas Licht ins Dunkel. In den von der Polizei veröf­fentlicht­en Mitschnit­ten waren Schimpf­worte wie »Nig­ger«, »oller Nig­ger« und »Scheißnig­ger« deut­lich zu hören. 

Dies hat­te damals Gen­er­al­bun­de­san­walt Kay Nehm ver­an­laßt, die Ermit­tlun­gen an sich zu ziehen, weil die Behör­den von einem ras­sis­tisch motivierten Mord­ver­such aus­gin­gen. Vier Tage nach der Tat hat­te die Polizei die bei­den Angeklagten festgenom­men. Als sich der Anfangsver­dacht nicht mehr hal­ten ließ, gab Nehm die Ermit­tlun­gen an die Pots­damer Staat­san­waltschaft zurück, und die bei­den Tatverdächti­gen kamen wieder frei. Björn L. wurde später noch zweimal ver­haftet, befind­et sich aber seit Sep­tem­ber 2006 auf freiem Fuß. Im Falle ein­er Verurteilung müssen bei­de Angeklagte mit Haft­strafen rech­nen. Für Björn L. kann sie bis zu zehn, für Thomas M. bis zu zwei Jahre dauern. 

Ermyas M., der nach der Tat auf­grund sein­er schw­eren Ver­let­zun­gen wochen­lang im kün­stlichen Koma gele­gen hat­te, erk­lärte am Mittwoch vor Jour­nal­is­ten, er wisse im Grunde nicht, ob es sich bei den Angeklagten um die Täter han­dele. Er wolle an dem Prozeß als Zuhör­er teil­nehmen, um den Über­fall zu ver­ar­beit­en. Sein Anwalt sagte, sein Man­dant ver­füge über keine konkrete Erin­nerung an die Tat, es gebe in seinem Kopf davon nur »dif­fuse Bilder«. »Mir geht’s rel­a­tiv sehr gut, wirk­lich«, so Ermyas M. am Mittwoch. Das Opfer soll am Fre­itag als erster Zeuge vom Gericht befragt wer­den. Neben Ermyas M. sind weit­ere 59 Zeu­gen und sechs Sachver­ständi­ge geladen. Mit einem Urteil wird nicht vor Ende April gerechnet. 

Das Pots­damer Landgericht gab sich zum Ver­hand­lungsauf­takt alle Mühe, die Öffentlichkeit weit­ge­hend auszus­per­ren. Obwohl seit Monat­en klar war, daß es sich um einen Straf­prozeß von bun­desweit­em Inter­esse han­delt, hat­te die Press­es­telle des Landgerichts ganze zehn (!) Akkred­i­tierun­gen vergeben. Für die restlichen rund 50 Pres­sev­ertreter standen noch knapp 20 Zuschauer­plätze zur Verfügung.

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Nur ein Vorfall?

Oster­mon­tag war es bere­its in den Medi­en zu hören und zu lesen: Ein weiterer
ras­sis­tis­ch­er Über­griff, mit­ten in Pots­dam, ihres Zeichens Landeshauptstadt
bran­den­bur­gis­ch­er Tol­er­anz. Verübt auf einen Men­schen, der den Tätern ganz
offen­sichtlich nicht in ihr Welt­bild passte. Eine harte Verurteilung traf
augen­blick­lich die Angreifer; fast schien es, als wolle die gesamte Zivilbevölkerung
in den offe­nen Wider­stand gegen jede Form von Aus­gren­zung und Alltagsrassismus
gehen, wo immer sie ihn zu erken­nen glaubte. 

Die Ernüchterung fol­gte schnell. Nicht nur, dass jede noch so Gewis­sen reinigende
Empörung ein­mal mehr erst nach dem eigentlichen Über­griff kam, melde­ten die ersten
reflek­tierten Köpfe Bedenken an: Eine pauschale Verurteilung der Täter dürfe nicht
erfol­gen, eine klare ras­sis­tis­che Moti­va­tion wäre trotz dementsprechender
Belei­di­gung des Opfers plöt­zlich abhan­den gekom­men — und kon­nte dem Opfer nicht
sog­ar ein viel zu hoher Alko­holpegel nachgewiesen wer­den? Auch tauchte in den Medien
immer wieder der Begriff eines „Deutschen äthiopis­ch­er Herkun­ft“ oder des
„Deutsch-Äthiopiers“ auf, um auch den let­zten klar zu machen, dass es sich nicht um
ein „rein“ deutsches Opfer han­dle. Spätestens hier man­i­festieren sich der blanke
Hohn und der Schlag ins Gesicht der Opfer.
Den ras­sis­tis­chen Schlägern ist egal, welchen Pass sein Opfer hat, ob es von
deutsch­er Sozial­hil­fe lebt oder eine Dok­torar­beit schreibt. Und auch die
Gesellschaft unter­schei­det höch­stens in „gute“ und „schlechte“ Aus­län­derIn­nen. Und
Men­schen mit ander­er Haut­farbe bleibt ein Weg in die Gesellschaft ver­wehrt – sie
erleben tagtäglich Diskri­m­inierung und Abwehr. Und schwarze Deutsche kom­men im
Konzept der Medi­en nicht vor. 

Das flugs her­bei­hal­luzinierte „Einzelfall-Phänomen“ macht eines überdeutlich:
Ras­sis­mus, Aus­gren­zung und Diskri­m­inierung haben Tra­di­tion, sei es durch seit Jahren
ansteigende Zahlen so genan­nter Einzelfälle, also gewalt­tätige Über­griffe durch
Deutsche „deutsch­er Herkun­ft“, oder sys­tem­a­tis­che Abschiebung von Flüchtlin­gen in
ihre jew­eilige „Heimat“.
Dabei ist der Ras­sis­mus, den die Öffentlichkeit so vehe­ment totzuschweigen oder zu
bestre­it­en sucht, all­ge­gen­wär­tig. Die wohl „pop­ulärste“ Spielart zeigt sich dabei
eben in jenen Über­grif­f­en auf Nicht(genug)deutsche, die allerd­ings nur die Spitze
des Eis­berges darstellen. Zu den Kreisen der TäterIn­nen zählen auch bei weit­em nicht
mehr nur jene klis­chee­be­hafteten kahlköp­fi­gen Per­so­n­enkreise mit ein­er Affinität zu
Base­ball­spie­len mit Köpfen fremder Leute. Vielmehr ist der Ras­sis­mus ist allen
Gesellschaftss­chicht­en angekom­men und damit auch die gewalt­tätige Umsetzung. 

Ver­suche und immer wieder gern wieder­holte Ver­sprechen seit­ens der Poli­tik den
gewalt­samen Auswüch­sen des Ras­sis­mus’ effek­tiv etwas ent­ge­gen­zuset­zen, scheitern
kläglich. [..] Denn Parolen wie „Arbeit zuerst für Deutsche“ oder das altbekannte
Lied von willkomme­nen „nüt­zlichen Aus­län­dern“ sind längst nicht mehr allein Kreisen
wie NPD oder DVU zuzuord­nen, vielmehr sind sie auch bei den „großen“ Parteien wie
der CDU und SPD angekom­men. Die Parolen der „etablierten“ Poli­tik­erIn­nen sind nur
noch Wass­er auf die Mühlen der TäterInnen. 

Die Außen- und Asylpoli­tik spricht Bände. Jährlich wird von
Men­schen­recht­sor­gan­i­sa­tio­nen die Zahl der Abschiebun­gen allein aus Deutsch­land auf
rund 50000 geschätzt. Die Prob­lematik liegt im gesellschaftliche Sys­tem begründet,
die sys­tem­a­tis­che Abschiebung und „Abwehr“ von Flüchtlin­gen set­zt sich fort. Wenn
die Zahl der an deutschen Gren­zen Umgekomme­nen sinkt, liegt dies wohl kaum an der
plöt­zlichen Human­ität deutsch­er Behör­den wie der Bun­de­spolizei, son­dern wohl eher an
der verbesserten Effizienz der Flüchtlings­bekämp­fung an den Gren­zen der Festung
Europa. Mit der Poli­tik der “Regionalen Immi­gra­tionsnet­zw­erke” wer­den “Deutsche
Inter­essen” auch in Nord-Afri­ka gesichert. 

Inner­halb des kap­i­tal­is­tis­chen Sys­tems ist eine men­schen­würdi­ge Behand­lung von
Flüchtlin­gen offen­sichtlich nicht möglich. In der Logik von Gren­zen, Prof­iten und
Konkur­ren­z­denken ist kein Platz für Men­schen, die sich dieser Sys­tem­atik nicht
anpassen kön­nen oder wollen. Daher muss der Kampf gegen den Ras­sis­mus auch
gle­ichzeit­ig der Kampf gegen ein inhu­manes Sys­tem der immer­währen­den Aus­beu­tung und
der weltweit­en Logik des Kap­i­tals und der Nation­al­staatlichkeit sein. Nur durch die
Über­win­dung dieser Prinzip­i­en ist eine Alter­na­tive zum Kap­i­tal­is­mus denkbar.
Kampf dem Ras­sis­mus bedeutet Kampf dem System! 

Fight racism – smash capitalism!

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Wie eine Prügelei in Potsdam zum Politikum wurde


Ermyas M.s Schick­sal stieß im ver­gan­genen Früh­jahr, kurz vor der Fußball-WM, eine hitzige poli­tis­che Debat­te um No-go-Areas und Ras­sis­mus an

BERLIN taz Während der 38-jährige Fam­i­lien­vater Ermyas M. im April 2006 mit schw­er­sten Gehirn­ver­let­zun­gen im kün­stlichen Koma lag und um sein Leben rang, wurde sein Schick­sal zum Poli­tikum. Die Repub­lik fieberte der Fußball-Welt­meis­ter­schaft ent­ge­gen — Mot­to: “Die Welt zu Gast bei Fre­un­den”. Und den WM-Organ­isatoren dro­hte wegen des Angriffs auf Ermyas M. ein PR-Desaster. In Pots­dam gin­gen mehrere tausend Men­schen gegen Frem­den­hass und Gewalt auf die Straße. Ober­bürg­er­meis­ter Jann Jakobs sprach von einem “Angriff auf das Lebens­ge­fühl aller Potsdamer”. 

Der dama­lige Gen­er­al­bun­de­san­walt Kay Nehm stritt sich öffentlich mit Bran­den­burgs Innen­min­is­ter Jörg Schön­bohm (CDU). Nehm hat­te wegen des ver­muteten ras­sis­tis­chen Hin­ter­grunds die Ermit­tlun­gen an sich gezo­gen. Schön­bohm warf ihm vor, er habe “über­zo­gen”. Bun­desin­nen­min­is­ter Wolf­gang Schäu­ble (CDU) sagte: “Es wer­den auch blonde blauäugige Men­schen Opfer von Gewalt­tat­en, zum Teil sog­ar von Tätern, die möglicher­weise nicht die deutsche Staat­sange­hörigkeit haben. Das ist auch nicht besser.” 

SPD-Gen­er­alsekretär Huber­tus Heil warf Schäu­ble vor, er ver­harm­lose “solch aggres­siv­en Ras­sis­mus zumin­d­est fahrläs­sig”. Exregierungssprech­er Uwe-Karsten Heye warnte: “Es gibt kleine und mit­tlere Städte in Bran­den­burg und ander­swo, wo ich keinem, der eine andere Haut­farbe hat, rat­en würde, hinzuge­hen. Er würde sie möglicher­weise lebend nicht mehr ver­lassen.” Es fol­gte eine heftige Debat­te um No-go-Areas im Osten. Ende Mai musste Nehm den Fall an die Pots­damer Ermit­tler zurück­geben. Seine These von einem frem­den­feindlichen Mord­ver­such war nicht zu halten. 

Ermyas M. äußerte sich im Stern später kri­tisch zu dem Medi­en­rum­mel um die Tat. Natür­lich sei es gut, dass Men­schen gegen Ras­sis­mus auf die Straße gin­gen. Er wolle jedoch nicht in die Rolle als “leben­der Beweis für Frem­den­feindlichkeit” gedrängt wer­den. Gesund­heitlich gehe es ihm inzwis­chen wieder ziem­lich gut, berichtete M. vor eini­gen Monat­en. Er könne sog­ar schon wieder mit seinen Kindern Fußball spie­len: “Nur mit Kopf­bällen lasse ich mir noch Zeit.” AGX

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Jenseits der Schlagzeilen

Drei Män­ner tre­f­fen sich zufäl­lig an ein­er Hal­testelle. Es ist Nacht. Man hat getrunk­en. Man pöbelt sich an. Man provoziert sich. Ein­er holt aus und schlägt zu. Ein ander­er bleibt liegen. Schw­er verletzt. 

Ein Fall wie viele. Nichts Ungewöhn­lich­es. Kein Aufreger. Nichts für die Zeitung. Es sei denn der Täter ist Neon­azi, das Opfer Schwarz­er, der Tatort Ost­deutsch­land. Dann ist es ein Skandal. 

Deutsch­land hat wieder einen beson­ders bru­tal­en Fall von Aus­län­der­feindlichkeit, als am frühen Oster­son­ntag 2006 der Deutsch-Äthiopi­er Ermyas M. in ein Pots­damer Kranken­haus ein­geliefert wird. Die Augen­höh­len­wand des 37-Jähri­gen ist nach einem hefti­gen Schlag zertrüm­mert, um ihn zu ret­ten, wird er von Ärzten in ein kün­stlich­es Koma ver­set­zt. Ob er je wieder ganz gesund wer­den kann, ist zu diesem Zeit­punkt unklar. 

Von “ver­suchtem Mord” spricht tags darauf — als bun­desweit die Empörungs­mas­chine anläuft — die Pots­damer Polizei. “Abscheulich, men­schen­ver­ach­t­end”, schnaubt Bun­deskan­z­lerin Angela Merkel. Gen­er­al­bun­de­san­walt Kay Nehm zögert nicht, die Ermit­tlun­gen an sich zu reißen. Von einem “Mord­ver­such aus frem­den­feindlichen Motiv­en” spricht auch er, geeignet, die innere Sicher­heit des Lan­des zu gefährden. Für Innen­min­is­ter Wolf­gang Schäu­ble ste­ht fest: Das war ein “frem­den­feindlich­er Exzess”. Nur: War es das wirklich? 

Vom heuti­gen Mittwoch an wird die 4. Große Strafkam­mer des Landgerichts Pots­dam ver­suchen, Licht ins Dunkel des Falls Ermyas M. zu brin­gen. Man darf orakeln: Ein­fach wird das nicht. 17 Prozesstage wur­den im Bran­den­bur­gis­chen ange­set­zt, 24 Seit­en umfasst die Anklageschrift gegen Björn L. und Thomas M. Von Mord­ver­such freilich ist darin keine Rede mehr, von frem­den­feindlichen Motiv­en eben­so wenig. Es geht nur noch um gefährliche Kör­per­ver­let­zung und unter­lassene Hil­feleis­tung. Nur noch? Wie es aussieht, wer­den die drei Richter und ihre Schöf­fen nicht nur über zwei Angeklagte zu befind­en haben — wie es aussieht, wer­den sie sich auch ein Urteil über Vorurteile bilden müssen. 

Fol­gt man der Staat­san­waltschaft, dann war es nicht dumpfer Ras­sis­mus, der sich vor zehn Monat­en in der Pots­damer Innen­stadt Bahn brach. Dann kam es dort nur zu ein­er Rangelei — mit fatal­en Fol­gen. Es gibt einen Handy-Mitschnitt von der nächtlichen Szene, er stammt vom Mobil­tele­fon des Opfers und ist etwa 80 Sekun­den lang. Ihm vor allem haben es die Ermit­tler zu ver­danken, dass sie den Tather­gang einiger­maßen genau rekon­stru­ieren konnten. 

Dem­nach traf Ermyas M. um vier Uhr mor­gens an der Straßen­bahn-Hal­testelle Char­lot­ten­hof auf Björn L. und Thomas M. und rief ihnen zu: “Geht mal anders rum, Mann!” Außer­dem ist das Wort “Schweine­sau” zu hören. Ver­mut­lich aus seinem Mund. Eine hohe Stimme antwortet: “Hey, Nig­ger!”, eine dun­klere: “Hey Nig­ger, wie bitte?” M., so glauben die Ermit­tler, sei daraufhin hin­ter den bei­den Män­nern herge­laufen und habe ver­sucht, Björn L. zu treten. Der jedoch habe sich umge­dreht und M. mit einem einzi­gen, hefti­gen Schlag zu Boden gestreckt. 

All das weiß noch nie­mand, als einen Tag später in deutschen Redak­tion­sstuben an grif­fi­gen Schlagzeilen gebastelt wird. Es passt alles zu gut zusam­men: Ein halb tot geprügel­ter Schwarz­er, ein Tax­i­fahrer, der zwei Kurzgeschorene am Tatort gese­hen hat, Pots­dam, eine Hochburg brauner Kam­er­aden — die Sache scheint ein­deutig. Wenige Wochen bevor die Welt zu Gast bei Fre­un­den ist, ein solch­er Gewal­texzess von Neon­azis: Deutsch­land ist empört. Ein Gefühl, das noch gesteigert wird durch Bun­de­san­walt Nehm, der die bei­den Tatverdächti­gen vor laufend­en Kam­eras mit ver­bun­de­nen Augen im Hub­schrauber abtrans­portieren lässt. Als Innen­min­is­ter Jörg Schön­bohm (CDU) das als “über­zo­gen” kri­tisiert, sieht er sich post­wen­dend Rück­tritts­forderun­gen gegenüber. 

Erst als Nehm drei Wochen später die Zuständigkeit wieder abgegeben hat und erst als Einzel­heit­en über die fatale Nacht von Pots­dam nach außen sick­ern, scheint auch eini­gen Amts- und Wür­den­trägern zu däm­mern, dass sich die Real­ität wom­öglich doch nicht so braun-weiß zeich­nen lässt. “Doch kein recht­sradikaler Hin­ter­grund?”, titelt fast schon ent­täuscht Bild am Son­ntag. Andere machen sich gar nicht erst die Mühe, ein Frageze­ichen zu set­zen und nehmen sich nun plöt­zlich Ermyas M. vor, als habe der seine tödliche Ver­let­zung nur gespielt. Ist es nicht so, dass der Dok­torand mit den Rastalock­en in jen­er Nacht zwei Promille im Blut hat­te? Hat­te er zuvor nicht Stunk gemacht in der Dis­co “Art Spe­ich­er”? Und war er nicht schon einem Bus­fahrer laut­stark pöbel­nd aufge­fall­en? Lebt der Mann, der über Wochen stets als char­mant, intel­li­gent und san­ft­mütig skizziert wor­den war, nicht auch getren­nt von sein­er Frau? 

Was ist Dich­tung? Was Wahrheit? Es wird nicht ein­fach sein für das Landgericht Pots­dam, diesen Fall, der schon zahllose Male öffentlich ver­han­delt wurde, unvor­ein­genom­men aufzulösen. Matthias Schön­burg, der Anwalt des Angeklagten Björn L., spricht von einem Ver­fahren, das längst schon “poli­tis­che Dimen­sio­nen” angenom­men habe. Ver­mut­lich ist das untertrieben. 

Rel­a­tiv unstrit­tig ist, dass es tat­säch­lich L. und sein Kumpane Thomas M. waren, die in jen­er Nacht auf Ermyas M. trafen. Bei­de behaupten zwar, zum fraglichen Zeit­punkt zu Hause gewe­sen zu sein. Die Gegen­be­weise aber sind fast erdrück­end: Vom 31-jähri­gen Thomas M. wur­den auf Flaschen­scher­ben am Tatort DNA-Spuren gefun­den. Dem mut­maßlichen Haupt­täter Björn L. (29) dage­gen dürfte seine Fis­tel­stimme zum Ver­häng­nis wer­den, die ihm den Spitz­na­men “Pieps” einge­bracht hat. Nach einem Abgle­ich mit der fast weib­lich klin­gen­den Stimme auf Ermyas M.s Handy ist sich die Polizei sich­er: Er war’s. Zudem soll L. einem Mithäftling in Unter­suchung­shaft gesagt haben: “Hätte ich mal richtig zugetreten.”

Aber schon bei der Frage, ob es sich bei den bei­den um Recht­sex­trem­is­ten han­delt, ist es mit der Sicher­heit vor­bei. “Die hat­ten wir nicht auf dem Schirm”, heißt es beim Pots­damer Ver­fas­sungss­chutz. In Pots­dam selb­st dage­gen gibt es nicht wenige, die behaupten, L. und M. gehörten “seit Jahren” zur Neon­azi-Szene. Noch so ein Fragezeichen. 

Vieles in diesem Prozess wird abhän­gen von der Aus­sage des inzwis­chen 38-jähri­gen Ermyas M., der auch als Neben­kläger auftritt. Er hat sich erholt von sein­er schw­eren Ver­let­zung, aber nach 13 Tagen im Koma noch immer Gedächt­nis­lück­en. Zweimal ist er bis­lang öffentlich in Erschei­n­ung getreten, dem Stern hat er mit sein­er Frau ein länglich­es Inter­view gegeben, und im Fernse­hen bei Gün­ther Jauch war er ein­er der “Men­schen 2006”. Er hat ein biss­chen gere­det in bei­den Fällen, aber nicht wirk­lich viel gesagt, um keine “unnöti­gen Angriffs­flächen” zu bieten. All jenen, die in ihm nun “eine Art Aushängeschild” sehen, einen “leben­den Beweis für Frem­den­feindlichkeit”, hat er mit­gegeben: “Diese Rolle möchte ich nicht annehmen.” 

Was weiß Ermyas M. noch von der Nacht des 16. April 2006? Und was wird er davon dem Landgericht erzählen? Der Mann, der auf so bru­tale Weise berühmt wurde, hat das Recht zu schweigen, sollte er sich selb­st belas­ten. Man wird genau hin­hören, nicht nur im Gerichtssaal. Erst ganz am Ende jedoch wird man in der Lage sein, sich ein endgültiges Urteil über diesen denkwürdi­gen Fall zu bilden. Es wird, so viel ist jet­zt schon klar, nicht jedem gefallen.

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Notlösung Anstalt: Uwe K. eingewiesen


Was tun mit dem ent­lasse­nen Sex­u­altäter? Bran­den­burg psy­chi­a­trisiert ihn kurz­er­hand — ein umstrit­ten­er Weg

BERLIN Die Stadt Brandenburg/Havel hat beantragt, den jüngst ent­lasse­nen Sex­u­altäter Uwe K. in einem psy­chi­a­trischen Kranken­haus unterzubrin­gen. Am Mon­tag wurde von Amt­sarzt Uwe Peters der entsprechende Antrag gestellt. Das örtliche Amts­gericht gab gestern dem Antrag statt. Der Mann war bere­its am Mon­tag in eine Klinik gebracht worden. 

Der Fall ist brisant, weil Uwe K. ver­mut­lich gar nicht psy­chisch krank ist. Uwe K. hat­te von 1992 bis 1995 neun Mäd­chen verge­waltigt. Er lebte in Falkensee in sozial schwieri­gen Ver­hält­nis­sen, die Mäd­chen aus der Nach­barschaft kamen frei­willig zu ihm, weil er sich um sie küm­merte. Er miss­brauchte ihr Ver­trauen. Das Landgericht Pots­dam verurteilte K. zunächst zu 14 Jahren Haft plus anschließen­der Sicherungsver­wahrung. Der Bun­des­gericht­shof bean­standete dies aber, weil es in den neuen Län­dern bis 1995 keine Sicherungsver­wahrung gab. 

Da es in der Haft keine neuen gravieren­den Vor­fälle gab, kon­nte auch keine nachträgliche Sicherungsver­wahrung beantragt wer­den. Die Bran­den­burg­er Lan­desregierung forderte deshalb vom Bund eine Geset­zesän­derung, um “Alt­fälle” wie K. nicht ent­lassen zu müssen. Immer­hin hat­ten zwei Gutachter bei K. “unver­min­dert fortbeste­hende Gefährlichkeit” attestiert. Auch der Bran­den­burg­er Gen­er­al­staat­san­walt Erar­do Raut­en­berg beze­ich­nete K. als tick­ende Zeitbombe. 

Am 25. Jan­u­ar wurde K. aus der Haft ent­lassen, einige Tage früher, als die Lan­desregierung dachte, weil ihm — wie vie­len Häftlin­gen — die zeitweise rechtswidrig schlechte Bezahlung für Knas­tar­beit straf­min­dernd angerech­net wurde. Das hat­te die Staat­san­waltschaft der Lan­desregierung aber nicht mitgeteilt. 

K. war nach Darstel­lung des Pots­damer Jus­tizmin­is­teri­ums wie vorge­se­hen in ein betreutes Wohn­heim für ent­lassene Strafge­fan­gene einge­zo­gen. Dort wollte man auch ver­hin­dern, dass er wieder soziale Kon­tak­te zu jun­gen Mäd­chen aufn­immt. Zudem wurde ihm eine Ther­a­pie aufgegeben, er musste Schul­höfe und Kindergärten meiden. 

Doch weil die Aufre­gung um seinen Fall plöt­zlich so groß war, wurde K. Ende let­zter Woche von der Polizei mit Bil­li­gung des Amts­gerichts in Vor­beuge­haft genom­men, um eine “Gefährdungs­analyse” zu erstellen. Und das, obwohl fast alles nach Plan gelaufen ist — bis auf die Kom­mu­nika­tion­spanne über den Ent­las­sung­ster­min, für die K. nichts konnte. 

Da die Vor­beuge­haft max­i­mal vier Tage dauern darf, wäre K. gestern ent­lassen wor­den. Doch am Mon­tag zauberte die Bran­den­burg­er Stadtver­wal­tung plöt­zlich die Idee aus dem Hut, K. in die Psy­chi­a­trie zu steck­en. Nach dem Bran­den­burg­er Psy­chisch-Kranken-Gesetz ist dies jedoch nur möglich, wenn K. durch “krankheits­be­d­ingtes Ver­hal­ten” eine Gefahr für sich oder andere darstellt. Die bloße Gefährlichkeit genügt also nicht, sie muss krankhafte Ursachen haben. Doch von ein­er psy­chis­chen Erkrankung des Häftlings war bish­er nie die Rede gewe­sen. Son­st hätte man ihn ja auch erst gar nicht ent­lassen. Amt­sarzt Uwe Peters hat­te vor seinem über­raschen­den Antrag am Mon­tag mit K. gesprochen und die bish­eri­gen Gutacht­en zu Rate gezogen.

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Kommentar: Vom Täter zum Politikum

Dass Men­schen, die nicht psy­chisch krank sind, in die Psy­chi­a­trie gesteckt wer­den, ist typ­isch für Dik­taturen aller Art. Eine solche Zwangspsy­chi­a­trisierung haben nun aber auch die Behör­den in Brandenburg/Havel ver­sucht. Weil gegen den jüngst aus dem Gefäng­nis ent­lasse­nen Sex­u­altäter Uwe K. aus rechtlichen Grün­den keine Sicherungsver­wahrung ver­hängt wer­den kon­nte, sollte er zwangsweise in einem psy­chi­a­trischen Lan­deskranken­haus unterge­bracht wer­den — und das nur, um auf eine selb­st geschaf­fene Medi­en­hys­terie eine zupack­ende Antwort zu liefern. So etwas macht aus Bran­den­burg zwar keine Dik­tatur, zeich­net die Stadt aber als Ort min­deren Rechts­be­wusst­seins aus. 

Der Fall ist frap­pierend, weil bei K. nie von ein­er psy­chis­chen Krankheit die Rede war, wed­er bei sein­er Verurteilung noch während der Haft und auch nicht bei sein­er Ent­las­sung. K. hat­te nur das Pech, ein Poli­tikum zu sein. Weil er mehrere Mäd­chen verge­waltigte, als es in Bran­den­burg noch keine Sicherungsver­wahrung gab, musste er nach Ver­büßung der Strafe aus der Haft ent­lassen wer­den. Der Pots­damer Innense­n­a­tor machte dafür die Bun­desjus­tizmin­is­terin per­sön­lich ver­ant­wortlich, weil sie die Geset­zes­lücke nicht rechtzeit­ig schloss. In dieser Auseinan­der­set­zung wurde aus Uwe K. plöt­zlich eine “tick­ende Zeit­bombe”, obwohl K. ein rel­a­tiv leicht kon­trol­lier­bar­er Beziehungstäter ist, der sich nie wahl­los an frem­den Opfern verging. 

K. hätte also nicht ein­mal eine Rund-um-die-Uhr-Überwachung benötigt, wie sie derzeit dem wohl deut­lich gefährlicheren Quedlin­burg­er Frauen­mörder Frank O. zuteil wird. Bei Uwe K. hät­ten eine strenge Führungsauf­sicht und ein wach­samer Bewährung­shelfer ver­mut­lich genügt. 

Doch als der Boule­vard das The­ma ent­deckt hat­te, gab es kein Hal­ten mehr. Zunächst wurde K. vier Tage in Vor­beuge­haft genom­men, obwohl keine akute Gefahr vor­lag. Dann beantragte der Amt­sarzt die Unter­bringung in der Psy­chi­a­trie, weil es die kurzfristig einzige real­isier­bare drastisch klin­gende Maß­nahme war. Wer Hys­terie sät, muss pop­ulis­tisch han­deln. Das zeigt das Beispiel von Brandenburg.

Inforiot