Am Dienstag, den 20. April 2010, veranstaltete die NPD in der Zeit von 19.30 Uhr bis 21.00 Uhr im osthavelländischen Nauen eine so genannte „Mahnwache“, mit der vorgeblich an den Bombenangriff vor 65 Jahren erinnert werden sollte.
Am 20. April 1945 hatten 82 B‑17 Bomber der 8.USAF in der Zeit von 9.48 – 10.10 Uhr ungefähr 192,5 Tonnen Bomben im Bereich des Nauener Bahnhofs abgeworfen, dadurch das Bahnhofsgebäude, umliegende Kleinbetriebe sowie einige in der Nähe befindliche Wohngebäude beschädigt. Ungefähr 60 Menschen kamen dabei ums Leben.
Für die NPD und hier ihr Stadtverband Nauen bzw. deren Sympathisant_innen aus den so genannten „Freien Kräfte“ ist dieser Angriff, wie auch ähnliche Ereignisse aus dieser Zeit, ein Beleg für vermeintliche „Kriegsverbrechen“ der Alliierten im zweiten Weltkrieg. Sie sollen die von der Partei nicht thematisierten Verbrechen des Nationalsozialismus aus dem öffentlichen Bewusstsein verdrängen und gleichzeitig nationalsozialistische Weltanschauungen wieder „hoffähig“ machen.
In immer dreisterer Weise versucht die NPD bzw. hier hiesiger Kreisverband Havel-Nuthe, zu dem eben auch der Nauener Stadtverband zählt, dabei auch historische Abläufe gezielt zu verfälschen. So wurden beispielsweise erst in der vergangenen Woche Flugblätter der Kreisverband Havel-Nuthe in den westhavelländischen Städten Rathenow und Premnitz verbreitet, welche unter dem Titel „Bereit für die Wahrheit?“ die Schuld des nationalsozialistischen Deutschen Reiches am zweiten Weltkrieg klar in Abrede stellen. Der Republik Polen wird dagegen indirekt unterstellt den Kriegsbeginn am 1. September 1939 provoziert zu haben.
Hitler, als oberster Repräsentant des NS Staates, argumentierte ähnlich. Seine berüchtigte Rede am ersten Kriegstag, in der er erklärt, dass „seit 5.45 Uhr … zurück geschossen“ werde, steht beispielhaft dafür. Nur waren es, wie eindeutig historisch belegt, Hitlers Truppen selber, die mit dem Überfall auf den Sender Gleiwitz die Provokation für den lange vorbereiten Ernstfall lieferten.
Bei dem Überfall auf die Sowjetunion, am 22. Juni 1941, machte sich die NS Führung dann weniger Mühe. Ohne ersichtlichen Grund oder Kriegserklärung und unter Missachtung des geltenden Nichtangriffspaktes marschierten die Truppen der nationalsozialistischen Armeen sowie deren faschistische Verbündete in sowjetisches Staatsgebiet ein. Ihnen folgten die berüchtigten Einsatzgruppen und sonstige Mordkommandos, die hinter der Front systematisch die dort lebenden Jüd_innen ermordeten sowie im Zuge der so genannten „Bandenbekämpfung“ die Bevölkerung terrorisierten.
In den Apriltagen des Jahres 1945 kam dann der Krieg spürbar an seinen Ausgangspunkt zurück. Die Rote Armee stand inzwischen an der Oder, die US Armee an der Elbe und trotzdem wollten Hitler und sein Generalstab, trotz abzusehender Niederlage, nicht kapitulieren.
Um die nationalsozialistischen Aggressoren endgültig zu schlagen und gleichzeitig die zum Regime konträren Bevölkerungsteile, die Zwangsarbeiter_innen, die Kriegsgefangenen sowie die politisch, religiös oder rassisch verfolgten Häftlinge in den Haftanstalten und Konzentrationslagern zu befreien, setzten auch die Alliierten ihre Angriffe auf das noch verblieben NS Herrschaftsgebiet fort. Dabei widmeten sich die amerikanischen, englischen und französischen Verbände hauptsächlich der Eroberung der so genannten „Alpenfestung“, während sowjetische und polnische Einheiten im Zuge der „Berliner Operation“ den Hauptschlag gegen das NS Regime einleiteten und die Hauptstadt des nationalsozialistischen Deutschen Reiches, Berlin, mittels einer Zangenbewegung zunächst einkesselten und dann Stück für Stück, nach schweren Kämpfen, einnahmen.
Zur Unterstützung der beiden sowjetischen Angriffskeile übernahmen die amerikanische und die englische Airforce die Bombardierung zahlreicher Verkehrsknotenpunkte, um die Truppenbewegungen des nationalsozialistischen Heeres zu stören und einen möglichen Entsatz von Berlin oder Ausbruchsversuche zu verhindern. Insgesamt neun Ziele, u.a. in Elsterwerda, Falkenberg, Treuenbrietzen, Brandenburg an der Havel, Seddin, Neuruppin, Oranienburg und Wustermark hatten die alliierten Luftstreitkräfte deshalb am 19. und 20. April 1945 anvisiert. Nauen war ebenfalls in diesem Zusammenhang strategisches Angriffsziel. Die Stadt lag zu diesem Zeitpunkt an der einzigen noch intakten Bahnverbindung zwischen Berlin und dem verbliebenen nationalsozialistischen Herrschaftsbereich. Der Bombenangriff auf Nauen am 20. April 1945 brachte diesen Eisenbahnverkehr schließlich zum erliegen
Am 24. April 1945 erreichte die Spitze des nördlichen Angriffskeils der sowjetischen und polnischen Truppen Nauen und schloss gemeinsam mit dem südlichen Angriffskeil am 26. April 1945 ungefähr 16 km südlich von der Stadt entfernt, bei Ketzin, den Ring um Berlin. Hitler nahm sich am 30. April 1945 das Leben, die verbliebene NS-Führung kapitulierte am 8. Mai 1945 bedingungslos.
Trotzdem versuchen (Neo)nazis immer wieder an ihre historischen Vorbildern anzuknüpfen und deren verbrecherische Ideologie als Ideal für die Herausforderungen unserer Zeit anzupreisen, können sich aber aufgrund des weit verbreiteten Bewusstseins über die Abscheulichkeit dieser Weltanschauung nicht wirklich durchsetzen. Sie spielen deshalb auf Zeit, hoffen einerseits auf das nachlassende Gedächtnis der interessierten Öffentlichkeit oder greifen sprichwörtlich nach „Strohhalmen“.
Die Kriegsschuld des nationalsozialistischen Deutschen Reiches wird, wie in der aktuellen, regionalen NPD Publikation „Bereit für die Wahrheit?“, einfach als „ungeheure Geschichtslüge“ dargestellt um damit das gesamte System in Frage zu stellen. Wobei der NPD vor allem die aktuelle „Familienpolitik“ der Bundesregierung ärgert, bei der, laut Publikation, versucht wird „die niedrige Geburtenrate durch Ausländer auszugleichen“ und malt in diesem Zusammenhang düstere Bilder „ethnische® und kulturelle® Konfrontationen“.
Die Argumentation ist aber nur zum Schein. „Ausländer“ sind nämlich für die NPD nicht einfach nur Menschen die aus anderen Staatsgebieten in den Geltungsbereich des Grundgesetzes gelangen, sondern sind und bleiben für die (Neo)nazis „Artfremde“ (im rassistisch (neo)nationalsozialistischen Sinne), auch wenn diese als Einwander_innen nach erfolgreicher Integration die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten.
Um sie dennoch verächtlich zu machen und dabei Zustimmung in breiten Bevölkerungsschichten zu erlangen, wird fast ausschließlich von „kriminellen Ausländern“ gesprochen, wobei das Adjektiv „kriminell“ aber eher zweitrangig aufgrund eventueller Verstößen gegen beispielsweise latent rassistische Asylgesetze oder Verordnungen der Bundesrepublik verwendet wird, sondern hauptsächlich zu erwartende Beziehungen mit Angehörigen der einheimischen Bevölkerung diskreditieren soll.
Wie mit den ins Bundesgebiet gelangten „Ausländern“ oder „Mischlingen“ dann zu verfahren ist, deutete die NPD bereits 2006 in einer parteiinternen Argumentationshilfe an: sie werden, so die Partei, das „renationalisierende Deutschland über kurz oder lang freiwillig verlassen, weil ihnen der nationale Klimawandel nicht passt“. Der für das Flugblatt mit der Überschrift „Bereit für die Wahrheit“ verantwortliche Vorsitzende des NPD Kreisverbandes Havel-Nuthe, Michel Müller, hat diesen „nationalen Klimawandel“ bereits in seiner Heimatstadt Rathenow vorgelebt. Er saß in drei Jahre wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Beihilfe zum versuchten Mord in Strafhaft, weil er und weitere Gesinnungsgenossen pakistanische Flüchtlinge gejagt, gestellt und brutal zusammengeschlagen hatten.
Zur Zeit des Nationalsozialismus unter Hitler ist ähnlich verfahren worden. Zunächst wurden Regimegegner durch Schlägertrupps der NS Sturmabteilung (SA) auf offener Straße angegriffen, drangsaliert und ab 1933 in deren Konzentrationslager, wie das im Nauener Ortsteil Börnicke verfrachtet, gefoltert und ermordet.
Die heutige Veranstaltung der NPD in Nauen in Zusammenhang mit den zuvor in Rathenow und Premnitz verbreiteten Flugblättern stellt somit eine Provokation, auch im Hinblick auf das Datum (Hitlers Geburtstag), dar.
Ein breites Bündnis aus Bürger_innen, Parteien, Vereinigungen und antifaschistischen Gruppen hatte deshalb zu Gegenaktivitäten mobilisiert. Daran nahmen insgesamt ungefähr 80 Personen teil.
Mit vielfältigen, bunten und lauten Aktionen gelang es dem Bündnis dabei den ungefähr 30 (Neo)nazis aus den Stadt- und Landkreisen Potsdam, Havelland, Ostprignitz-Ruppin und Oberhavel die Show zu stehlen.
Sehr beliebt bei passierenden Autofahrern war auch das „Hupen gegen Nazis“, dass die kläglichen Versuche der (Neo)nazis unterband, ihre Veranstaltung musikalisch zu untermauern. Dabei hatten sich die Organisatoren extra Tonaufnahmen der Fanfarenstöße aus Franz Liszts symphonischer Dichtung „Les Preludes“ beschafft, die bereits während der Zeit des Nationalsozialismus den „Wehrmachtsbericht“ im Rundfunk und in den Wochenschauen einleiteten.