Der Landesverband Brandenburg der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten, kurz VVN-BdA, ruft zum 75. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus am 8. Mai 2020 zu einem dezentralen Gedenken und Erinnern auf. Durch die COVID-19- Pandemie können in diesem Jahr keine Befreiungsfeierlichkeiten und keine zentralen Veranstaltungen stattfinden. Die Ordnungsmaßnahmen und Sicherheitsvorkehrungen im Kontext von COVID-19 schränken damit nicht nur das gesellschaftliche Leben ein, sondern auch die antifaschistische und erinnerungspolitische Arbeit an diesem für uns so wichtigen Jahrestag.
Trotzdem wollen wir, mit großer Rücksicht um die Gesundheit unserer Mitglieder*innen und antifaschistischen Freunde, den 75. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus würdig und ehrenvoll im Sinne der Befreier*innen, der Roten Armee, sowie der Opfer und Verfolgten des Nationalsozialismus gestalten. Im ganzen Land Brandenburg befinden sich eine Vielzahl an Erinnerungsstätten zur Befreiung oder an die Opfer und Verfolgten des Faschismus. Diese lokalen, kleinen und dezentralen Gedenkstätten, wie Denkmäler, Friedhöfe, Ehrenhaine, Gedenksteine, Gräber oder Gedenktafeln, wollen wir mit eurer Unterstützung in den Fokus des antifaschistischen Gedenkens setzen.
Wir rufen daher alle Brandenburger*innen auf, in der Zeit um den 8. Mai 2020, dem 75. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus, individuell und unter Einhaltung der notwendigen medizinischen Bestimmungen und Sicherheitsvorkehrungen, an den verschiedenen Erinnerungsstätten im Land Brandenburg Blumen und Kränze niederzulegen und dies per Fotos zu dokumentieren. Wir wollen, dass durch die Vielzahl von Blumen an den zahlreichen Erinnerungsstätten im Land Brandenburg der Appell des „Nie wieder Krieg und Faschismus“ trotz des Fehlens von klassischen Gedenkveranstaltungen mehr als deutlich wird.
Sendet uns die Fotos mit kurzen Hinweisen oder Berichten aus den verschiedenen Orten zwecks Veröffentlichung an die untenstehende E‑Mail‑, Post‑, Facebook- oder Twitter-Adresse. Zudem verweisen wir auf unser digitales Gedenken zum 75. Jahrestag der Befreiung am 8. Mai ab 16 Uhr per Livestream (www.freiland-potsdam.de).
Abbildung 1:* “Hier beginnt das verfluchte Deutschland” . Solche Schilder stellte die Rote Armee auf, als 1945 deutsches Territorium erreicht wurde [1]Wie sollte der Utopia e.V. — ein ehrenamtlicher, von jungen Menschen getragener, kleiner Verein — anlässlich der 75-jährigen Befreiung von der Vorherrschaft der Nationalsozialist*innen in Frankfurt (Oder) diese Pressemitteilung beginnen? Als erstes mit einem kurzen „Danke! Спасибо! Thank You! Merci!“ an die Alliierten und Widerständigen, die vor 75 Jahren am 23. April zur Befreiung Frankfurts und des heutigen Słubices beigetragen haben. Denn die Niederlage des deutschen Faschismus war unsere Befreiung!
Ein „Danke“ jedoch wird nicht genügen, um Geschehenes zu verstehen, damit es sich nicht wiederholt! Auch die Fragen: „Was, wie und warum war der Nationalsozialismus, der Vernichtungskrieg oder der Holocaust?“ können wir nicht alleine beantworten, aber wir können Impulse setzen!
Denn auch 75 Jahre nachdem die Vorherrschaft deutscher Faschist*innen und ihrer Kollaborateure endete, sind ihr Gedankengut und ihre Strukturen keineswegs verschwunden:
Seit 2016 verdoppelte sich die Anzahl der mit Schusswaffen ausgerüsteten Rechtsextremen [2]. Der NSU, eine Gruppe die offiziell 10 Menschen ermordete und 43 Mordanschläge verübte [3], enttarnte sich teilweise selbst. Ob auf der Insel Utøya oder in Städten wie Christchurch, Hanau und Halle — die Anschläge von extrem Rechten häufen sich. Im Jahr 2019 wurden in der Bundesrepublik 120 Angriffe auf Asylunterkünfte verübt und 1.620 Angriffe auf Geflüchtete registriert [4]. Jüngst wurde im Landkreis Oder-Spree ein Waffenlager mit nationalsozialistischen Devotionalien ausgehoben [5]. Unsere Stadt, Frankfurt (Oder), entwickelte sich zu einem Knotenpunkt der internationalen, neonazistischen Terrororganisation „Combat 18“ [6]. In Libbenichen zeigten erst letzten Monat während einer „Reichs-Party“ Jugendliche den Hitlergruß [7]. Ein „NR-Zonen“-Graffito diente als Platzhalter für Hakenkreuze und verblieb mehrere Monate am Kaufland im Zentrum[8]. Mittlerweile werden (gar) von parlamentarischen Kräften die Leistungen von deutschen Soldaten in zwei Weltkriegen honoriert und eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ [9] gefordert.
Genauso wie die Ideen, Symbole, und Struktur des Nationalsozialismus nicht einfach 1945 endeten, tauchten die Nationalsozialist*innen nicht erst 1933 auf. Bereits am 26. Mai 1929 begann die SA durch Frankfurt zu marschieren [10] und schon 1927 war in einer Kneipe zu hören:
„Die nationalsozialistische Bewegung ist entschlossen alles daran zu setzen, um das deutsche Volk von Juden- und Marxistenherrschaft zu befreien. Die Nationalsozialisten werden die Besten unter ihre Fahne sammeln und einen erbitterten Kampf gegen die inneren Feinde der Nation führen“. [11]
Auch heute sind in Frankfurter Kneipen solche Aussagen nicht ausgeschlossen.
Im Sommer 1932 wurde dann der Terror der Nazis in Frankfurt immer zügelloser. Am Abend des1. Juli kam es zu einem Überfall auf Antifaschist*innen. Am 4. Juli, in der heutigen Rathenaustraße, schossen Nazis über 100 Mal auf Arbeiter*innenwohnungen. Und am 5. Juli durften sie dann ungehindert durch unsere Stadt marschieren. Die 17
Vollzugspolizist*innen, die vor der faschistischen Gefahr und dieser Demonstration warnten, wurden daraufhin festgenommen [12].
So spricht auch die dramatische Entwicklung der Wahlergebnisse Bände. Lag die NSDAP bei der Reichstagswahl 1928 in Frankfurt erst bei 330 Stimmen, erhielt sie bei der Kommunalwahl 1929 bereits 2.400 Stimmen und wenige Jahre später, bei der Machtübernahme Hitlers im März 1933, eine absolute Mehrheit. Diese Machtübernahme führte in ihrer Konsequenz zu unzähligen furchtbaren Schicksalen, auch in Frankfurt (Oder).
So zum Beispiel auch für Marie und Adolf Köhn, deren Stolpersteine in der Großen Oderstraße 46 liegen. Adolf Köhn wurde von Faschist*innen während der Reichsprogromnacht verhaftet, einen Monat lang im Konzentrationslager Sachsenhausen inhaftiert und vier Jahre später, wahrscheinlich mit seiner Frau, ins Warschauer Ghetto deportiert. Über ihr weiteres Schicksal ist nichts bekannt.
In der Großen Scharrnstraße 32 liegen zwei weitere Stolpersteine — die von Marie und Bruno Friedländer. Ihre Kinder schafften es auf einen Kindertransport und bekamen Asyl in Schottland und Australien. Marie und Bruno erhielten keine Zuflucht und wurden am 02. April 1942 in das Warschauer Ghetto deportiert, wo sie am 05. April ankamen. Das weitere Schicksal der Familie ist auch hier nicht bekannt.
Bis zum letzten Tag des Nazi-Regimes ließ die Gewalt und Brutalität nicht nach. Selbst der Niederlage ins Auge sehend, wurde Frankfurt (Oder) am 26. Januar 1945, einen Tag vor der Befreiung von Auschwitz, noch zu einer Festung erklärt. Am Tag des 30. Januars in Swiecko (im damaligen Schwetig) mussten 1.600 Gefangene des Frankfurter Gestapo-Arbeitserziehungslagers zum sogenannten „Todesmarsch“ antreten. 70 nicht marschfähige Menschen wurden direkt in Krankenbaracken verbrannt und ermordet. In der Nacht auf den 31. Januar erschossen in Słonsk (im damaligen Sonnenburg) Angehörige der SS und Gestapo 800 Inhaftierte des dortigen Zuchthauses [13]. Selbst in der Niederlage waren die Nationalsozialist*innen nicht davon abzubringen ihr Morden einzustellen.
So schwor im Februar 1945 Joseph Goebbels Frankfurt ein letztes Mal auf die Ideologie von “Blut und Boden“ ein, nachdem er am 31.Oktober 1929 erstmals in der Stadt davon gesprochen hatte. Frankfurt, das ein Zentrum für den Einsatz und die Verwaltung von Zwangsarbeiter*innen, Deportierten und Inhaftierten war, war gar Hauptstadt des Gaus Mark Brandenburg. Unzählige Waggons mit Menschen wurden ohne nennenswerten Widerstand deportiert. Unzählige Tonnen Kriegsmaterial fuhren ungehindert durch unsere Stadt.
Der Krieg endete für Frankfurt (Oder) am 23. April 1945, als belarussische Einheiten der Roten Armee „die fast menschenleere, keinen Widerstand leistende, überall brennende Stadt“ [14] befreiten, bis dann in der Nacht am 8. auf den 9. Mai die Wehrmacht gänzlich kapitulierte und die Hegemonie des Faschismus gebrochen war.
Auch wenn ein Großteil der Deutschen diesen Tag als Niederlage empfand — vielleicht sogar heute noch so empfindet: Der Sieg der Alliierten bedeutete das Ende der nationalsozialistischen Vorherrschaft, des Krieges in Europa und des Holocaustes und ist für uns ein Grund zum fröhlichen Tanz. Deshalb sagen wir immer wieder freundschaftlich: „Спасибо! Thank You! Merci! Danke!“.
Als Kultur- und Bildungsträger der offenen Kinder- und Jugendhilfe sagen wir auch ernst: „Nie wieder!“
Und um diesen Ernst zu begreifen; um den Impuls des Erinnerns und Gedenkens nicht bei dieser Mitteilung zu belassen, organisiert der Utopia e.V. im letzten Drittel diesen Jahres eine Gedenkstättenfahrt für Jugendliche und junge Erwachsene zu den ehemaligen Konzentrations- und Vernichtungslagern von Auschwitz, mit demokratisch-partizipatorischer Vor- und Nachbereitung:
„Denn die Forderung, dass Auschwitz nicht noch einmal sei, ist die allererste an Erziehung. Sie geht so sehr jeglicher anderen voran, dass [wir] weder glaube[n], sie begründen zu müssen noch zu sollen. […] Sie zu begründen hätte etwas Ungeheuerliches angesichts des Ungeheuerlichen, das sich zutrug“ [15].
Und so fordern wir auch andere Akteur*innen oder bisher nicht-Aktive dazu auf, sich am Engagement gegen faschistoide Bewegungen und Ideen in Frankfurt (Oder) zu beteiligen und zu organisieren – die Gründe sind bekannt und wir werden über weitere Termine berichten.
Eure Freund*innen und Assoziierten des Utopia e.V.
Dem 75. Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus in Potsdam-Babelsberg am 24.April kann in diesem Jahr aufgrund der Covid-19-Pandemie und ihrer daraus resultierenden Beschränkungen und Sicherheitsmaßnahmen nicht in adäquater und würdiger Weise gedacht und erinnert werden. Im Voraus geplante Veranstaltungen der Geschichtswerkstatt Rotes Nowawes zur Befreiung von Babelsberg, wie zum Beispiel eine Radtour zu authentischen Orten, mussten wir schweren Bedauerns einstellen. Weil jedoch dieses Jubiläum nicht nur wichtig im Kontext der allgemeinen politischen Lage zu sehen ist – in einer Zeit, wo Rassismus, Nationalismus und Populismus wieder salonfähig sind – sondern auch im Kontext der lokalen Geschichte in einem Stadtteil, der als Industriestandort stark durch die Arbeiter*innenbewegung geprägt wurde und die letztendlich einen großen Anteil daran hatte, dass Babelsberg ohne wesentliche Kämpfe und Opfer befreit werden konnte, möchten wir diese Sonderwebseite der Öffentlichkeit präsentieren.
Unter der Webadresse https://1945.rotes-nowawes.de wollen wir mittels einer digitalen Rundtour auf historisch interessante Orte in Babelsberg aufmerksam machen. Zu den aktuellen Fotos gibt es je eine Kurzbeschreibung. Des Weiteren wollen wir der Öffentlichkeit verschiedene Dokumente und Materialien bereitstellen, die im Zusammenhang mit der Befreiung von Babelsberg, aber auch dem Neuanfang in dieser Stadt stehen. Wir sind uns bewusst, dass die ausgewählten Quellen und die Literatur, hier vor allem die Erinnerungsberichte, eine gewisse politische Färbung aus der Zeit der DDR beinhalten und deswegen immer im zeitgeschichtlichen Kontext gelesen werden müssen.
Nichts desto trotz sind vor allem die historischen Dokumente nicht zu verfälschen und stehen in ihrer Echtheit. Zudem dokumentieren sie die Zeitgeschichte jenes Momentes, der für viele Unsicherheit und Ungewissheit brachte, aber an einem Industriestandort wie Babelsberg – dem ehemaligen Roten Nowawes – mit seiner großen Arbeiter*innenschaft und den tausenden Zwangsarbeiter*innen, auch Befreiung und Erlösung.
Am Donnerstag den 20.02.2020 findet um 19 Uhr in der Havelstraße 13 an der Gedenkplatte eine Kundgebung für den von einem Neonazi ermordeten Punk Sven Beuter statt.
Sven Beuter wurde am 15.02.1996 von Sascha L. angegriffen und erlag am 20.02.1996 den Folgen des brutalen Angriffs. Sascha L. ist, so erschreckend es sein mag, nach wie vor Neonazi und im Brandenburger Stadtbild präsent. Oft ist er an seiner Kleidung zu erkennen, die deutlich aufzeigt, dass L. nach wie vor das faschistische Gedankengut nicht abgelegt hat, sondern es offen zur Schau trägt. Auf der Kleidung steht z.B. “Hass Made in Germany”, “Fresst keinen Döner” oder “Aryan”. Zuletzt provozierte L. beim Gedenken 2015 mit weiteren Neonazis und zeigte seinen Hohn gegenüber dem getöteten Sven Beuter.
Wer glaubt, dass solche Taten der Vergangenheit angehören, der irrt. Der Anschlag in Halle oder das Attentat auf Walter Lübcke zeigen, dass sich zwar der Tätertypus geändert hat, aber nicht die mordende faschistische Ideologie dahinter. Es ist nach wie vor wichtig, an die Opfer solcher grausamen Taten zu erinnern, ihnen zu gedenken und zu mahnen.
Daher kommt am Donnerstag den 20. Februar um 19 Uhr in die Havelstraße 13 zur Gedenkplatte um Sven Beuter zu gedenken.
Niemand ist vergessen. Nichts ist vergeben.
Antifa Jugend Brandenburg/Havel, linksjugend[solid] Brb/Havel und das Alternative Schulbündnis Brandenburg
Weitere Informationen zum Opfer findet ihr unter folgenden Link: Hier
Freude über geplante Aufnahme von Geflüchteten – Mahnung zur umfassenden Kehrtwende bei Ausländerbehörde
Die Initiative Seebrücke Potsdam begeht mit der heutigen Kundgebung um 14:30 Uhr am Rathaus Potsdam vor der letzten diesjährigen Sitzung der Stadtverordnetenversammlung den Jahrestag des Beschlusses „SICHERERHAFEN“ mit Anlass zur Freude und zur Mahnung zugleich.
Am 05.12.2018 beschloss die Stadtverordnetenversammlung sieben Maßnahmen¹, um die Landeshauptstadt Potsdam zum „Sicheren Hafen“ für geflüchtete Menschen zu machen. Der Beschluss war Startpunkt für die Landeshauptstadt Potsdam, sich bundesweit für eine zusätzliche Aufnahme von geflüchteten Menschen aus der Seenotrettung über den bisherigen Verteilungsschlüssel hinaus zu engagieren. Wir sind in freudiger Hoffnung, dass nun gemäß neuesten Meldungen² die ersten geflüchteten Menschen aus der Seenotrettung nach Potsdam kommen sollen.
Unter maßgeblicher Beteiligung des Oberbürgermeisters Mike Schubert und des Verwaltungsbereichs Partizipation und Tolerantes Potsdam unter Leitung von Frau Dr. Ursula Löbel wurde das bundesweite Bündnis „Städte Sicherer Häfen“ vor einem halben Jahr gegründet.
Potsdam ist damit sowohl ausstrahlendes Vorbild für eine menschenfreundliche Aufnahmepolitik für viele Kommunen als auch eine zentrale Akteurin für die Migrationspolitik in Deutschland. Wir freuen uns mit der Stadtverwaltung über die Nominierung der Landeshauptstadt als Organisatorin des Bündnisses „Städte Sicherer Häfen“ für den diesjährigen „Innovation in Politics Award“³.
Jedoch bringt die zentrale Rolle im Bündnis „Städte Sicherer Häfen“ eine besondere Verantwortung mit sich, die die Frage nach den Bedingungen eines Sicheren Hafens in der eigenen Kommune stellt. Wir fordern die Stadt Potsdam auf, den Beschluss „SICHERERHAFEN“ in all seinen sieben Punkten konsequent und zeitnah zu erfüllen. Besonders ist die Verbesserung der Bedingungen in der Ausländerbehörde wichtig. Nur so kann unsere Stadt ein wirklich sicherer Hafen für Menschen sein, wenn die Ausländerbehörde Integrationschancen fördert statt sie zu blockieren.
Nach jahrelangen Debatten über fehlende Umsetzungen des Integrationskonzeptes und regelmäßigen Berichten über Missstände in der Ausländerbehörde fordern wir eine umfassende Kehrtwende der Ausländerbehörde zu einer echten Willkommensbehörde⁴, in deren Mittelpunkt der Beschluss „SICHERERHAFEN“ steht, nämlich „alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um Geflüchteten in Potsdam dauerhafte legale Aufenthalts- und Lebensperspektiven zu schaffen“.
Unter Beteiligung der Seebrücke Potsdam Initiative wurden in einer Arbeitsgruppe des Bündnisses Potsdam! Bekennt Farbe Handlungsempfehlungen ausgearbeitet, die nun mit konkreten Maßnahmen und Zeitplänen unterfüttert werden müssen, um die überfällige Kehrtwende in der Ausländerbehörde einleiten zu können.
Wir als Seebrücke Potsdam werden die Landeshauptstadt auf den Weg zum Sicheren Hafen vor Ort und bundesweit weiterhin tatkräftig unterstützen!
Am 2.12.2019 haben vor dem Sozialamt Märkisch-Oderland in Vierlinden mehr als 50 Menschen demonstriert. Sie forderten die Gesundheitskarte für Geflüchtete von Anfang an und die Überweisung ihrer Sozialleistungen auf ein Konto. Märkisch-Oderland ist der einzige Landkreis in Brandenburg, der diese inhumane Praxis bis jetzt aufrecht erhält.
Der Protest wurde getragen von Betroffenen und Personen aus Selbstorganisationen, Willkommensinitativen sowie weiteren Gruppen aus Brandenburg und Berlin. Geschmückt mit einem großen Banner „Equal rights for all people – also in MOL!“ und „Stop police brutality!!!“ war ein Protest-Bus aus Brandenburg vor Ort. Geflüchteten berichteten über ihre Lebenssituation, es wurde gemeinsam getanzt und gegessen.
Medienberichten zufolge, lenkte der Landkreis bei Ausstellung der Gesundheitskarte bereits ein. Der anwesende Vizelandrat Friedemann Hanke (CDU) rechne mit einer entsprechenden Entscheidung der Landesregierung bis Jahresende. Geldüberweisungen würde es weiterhin nicht geben, um den Aufenthaltsort von Geflüchteten kontrollieren und besser mit der Polizei kooperieren zu können. Während der Vizelandrat vor der Presse vom Funktionieren seiner Behördenpraxis spricht, kommt es im Sozialamt zu einem weiteren Vorfall. Die Polizei nimmt einen Mann gewaltsam in Gewahrsam.
„Schön, dass wir bei der Gesundheitskarte mit unserem Protest erfolgreich waren. Jetzt müssen wir mit der Geldkarte weiter machen. Die Bedingungen für uns Geflüchtete hier in MOL sind einfach unmenschlich, da muss sich noch vieles ändern. Vor allem müssen die Schikanen aufhören.“ So ein Bewohner der Gemeinschaftsunterkunft Müncheberg, der die Aktion mit vorbereitet hatte.
In Roddan (Landkreis Prignitz) führten Neonazis im Geheimen ein Konzert durch. Grund: ein Liedermacher mit indizierter Musik trat auf. Das Brandenburger Innenministerium erfuhr davon erst hinterher, wie es jetzt auf parlamentarische Anfrage von Landtagsabgeordneten mitteilte.
Geheimes Konzert
Eine typische Dorfgaststätte im ländlichen Raum mit kleiner Bühne auf halber Höhe und Holzvertäfelung in natürlichem braun, an der Wand eine überdimensionale schwarz-weiß-rote Fahne und davor sitzend ein Musiker mit Gitarre. Auf seinem Telegram-Kanal verbreitete der neonazistische Liedermacher „Fylgien“ als erster die Bilder seines Konzertes im Norden Brandenburgs. Dazu noch ein paar Schnappschüsse, die den Musiker mit mutmaßlichen Fans zeigte (Redaktioneller Hinweis: alle Fotos liegen als Screenshots vor). Doch zu erkennen geben wollte sich sein Anhang anscheinend nicht. Alle Gesichter waren unkenntlich gemacht – offenbar aus Gründen. Denn offiziell angemeldet war die Versammlung, wie das Brandenburger Innenministerium auf eine parlamentarischen Anfrage der Landtagsabgeordneten Andrea Johlige und Thomas Domres (beide LINKE) zu erkennen gab, nicht.
Auftritt Liedermacher mit indizierter Musik
Liedermacher Sebastian D mal ohne Gitarre: Als Sprecher während einer extrem rechten Demonstration in Templin (2019)
Grund für die Geheimhaltung dürfte übrigens eben jener Auftritt des Liedermachers „Fylgien“ gewesen sein. Denn Sebastian D aus Templin (Uckermark), so dessen bürgerlicher Name, spielt indizierte Musik. Dabei handelt es sich um Liedgut, welches wegen seines jugendgefährdenden Charakters nicht in der Öffentlichkeit vorgetragen werden darf. Ds veröffentlichte Eigenproduktion: „Mein Glaube heißt Deutschland“ war bereits 2011 von einer Indizierung durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) betroffen. Im Milieu erfreut er sich jedoch – möglicherweise gerade wegen derartigen Liedgutes – bester Beliebtheit. So vergeht kaum ein Wochenende an dem D nicht irgendwo in einem neonazistischen Clubhaus in Deutschland auftritt. Am 14. September 2019 war dies nun der Saal in der kleinen Gemeinde Roddan, ein Ortsteil von Legde/Quitzöbel in der Nähe der Stadt Havelberg. Dort trat D gemeinsam mit Maik S aus Magdeburg, welcher im Milieu unter dem Pseudonym „Eidstreu“ firmiert, sowie der Formation „Hermunduren“ aus dem Raum Eisenach/Schmalkalden (Thüringen) auf.
Treffen militanter Neonazis
Die „Freien Kräfte Prignitz“ während eines Aufmarsch in Wittstock/Dosse (2015)
Anlass des Konzertes war – so wird es aus einem Konzertflyer ersichtlich – die Jahresfeier der „Freien Kräfte Prignitz“ (FKP), ein vereinsähnlicher Zusammenschluss militanter Neonazis aus den Städten Wittenberge und Lenzen. „Alle Personen, welche der Gruppierung FKP zugerechnet werden, sind polizeilich bekannt“, schreibt das Innenministerium in seiner Antwort auf die parlamentarische Anfrage der LINKE-Abgeordneten zu Konzert und Veranstalter. „Ein Großteil der Personen“ sei zu dem als „politisch rechtsmotivierte Straftäter (PMK – rechts -) erfasst“. Allerdings würden diese Taten nicht in direktem Zusammenhang mit dem Label „Freie Kräfte Prignitz“ bestehen. Unter diesem Namen betätigen sich die ihm zugeordneten Neonazis fast „nur“ als Aktivisten im vorpolitischen Raum, beispielsweise als Teilnehmende von Aufzügen. Erstmals gaben sich die „Freien Kräfte Prignitz“, laut Innenministerium, während einer Demonstration am 14.01.2014 in Magdeburg zu erkennen. Die Gruppe sei gut vernetzt, habe Kontakte nach Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern. Darüber wird unter dem Label „Freie Kräfte Prignitz“ eine Facebook-Seite betrieben, auf der „Veranstaltungshinweise gegeben, Kommentare und Bilder zu eigenen Aktionen gepostet sowie Berichte über Aktionen anderer rechtsextremistischer Gruppierungen und Parteien geteilt“ werden.
In Rathenow wurde vor Kurzem ein ehemaliger Naziskin-Anführer zu Grabe getragen. Der mehrfach verurteilte Mann war einer schweren Krankheit erlegen. Seine einstigen Kameraden kondolierten mit dem SS Treuelied.
Verabschiedung im Geiste der SS
„Wenn alle Brüder schweigen“ – die „alten Freunde“ erinnerten mit einer Zeile aus dem „SS Treuelied“
Etliche grüne Kränze lagen auf einem Rondel für Urnenbestattungen auf dem Städtischen Friedhof in Rathenow. „Wenn alle Brüder schweigen“ ist mit goldener Schrift auf einer schwarzen Trauerschleife zu lesen – ein ungewöhnliches Geleit zur letzten Ruhe. Es ist eine Zeile aus dem Lied „wenn alle untreu werden“, welches in der Zeit des Nationalsozialismus als “SS Treuelied” Verwendung fand. Im SS Liederbuch kam es deshalb gleich hinter dem „Horst Wessel Lied“ und dem „Lied der Deutschen“. Der Verstorbene, dem dessen „alte Freunde“ auf diese Art und Weise gedachten, war Mario Knudsen, einer der Köpfe der neonazistischen Szene in Rathenow. Er starb im Oktober 2019 nach langer schwerer Krankheit.
Baseballschlägerjahre
Knudsen und seine „alten Freunde“ galten in den 1990er Jahren als Bürgerschreck. Mit Glatze, Bomberjacke, Baseballschlägern und Springerstiefeln machten sie Rathenow unsicher. „Skins verunsichern Rathenow – muss eine Bürgerwehr gegründet werden?“, betitelte die Märkische Allgemeine Zeitung im Frühjahr 1991 u.a. das Treiben der Gruppe. Zu ihren Opfern gehörten Angehörige der sowjetischen Garnison, ausländische Vertragsarbeiter, Geflüchtete, Angehörige linker Subkulturen, aber auch ganz normale Bürger. Wie etwa im Januar 1991, als Knudsen, sein Kumpan Sandy A und weitere Nazi-Skins in Premnitz zwei Ehepaare, welche gerade von einer Faschingsparty kamen, mit Gegenständen attackierten und brutal zusammenschlugen. Eine Blutsspur zog sich durch die Region. Mehrfach saß Knudsen vor Gericht, zuletzt im November 1998. Er und Sandy A hatten im Frühjahr 1997 zwei junge Männer – nach einem Streit in einer Friesacker Diskothek – brutal zusammengeschlagen. Nach sechs relativ „milden“ Urteilen, darunter eine Bewährungsstrafe für den zuvor erwähnten Überfall in Premnitz, wurde Knudsen schließlich zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten ohne Bewährung verurteilt.
Der „Freundeskreis Rathenow“ gedenkt in den Farben: schwarz-weiß-rot.
Erst in den 2000er Jahren beruhigte sich die Situation scheinbar. Knudsen führte anscheind ein bürgerliches Familienleben, wurde Vater einer Tochter. Doch dies war offenbar nur Fassade. Im April 2005 war Knudsen von Maßnahmen des Brandenburger Innenministeriums bei der Auflösung der Kameradschaft “Hauptvolk” betroffen. Damals wurden die Wohnungen von insgesamt 39 Mitgliedern dieser vereinsähnlichen Struktur durchsucht und die Organisation offiziell aufgelöst. Die Tätigkeit und der Zweck des “Hauptvolkes” richtete sich u.a. gegen die verfassungsmäßige Grundordnung und lief Strafgesetzen zuwider, so das Innenministerium. Im Kameradschaftsrundbrief Heft 1 waren u.a. die Abzeichen von 20 Divisionen der Waffen SS abgebildet. Das “Hauptvolk” sah sich als Elitegemeinschaft und in der Tradition vorgenannter NS Organisation. Knudsens langjähriger Kumpan Sandy A war ebenfalls in der Kameradschaft aktiv. Dieser galt sogar als deren Kopf. Die Website der Organisation war auf A’s Namen angemeldet. Ein Trauerkranz des “Hauptvolkes” war bei Knudsens Beerdigung jedoch nicht zu finden – offenbar wegen des Verbotes der Kameradschaft. Stattdessen legte ein “Freundeskreis Rathenow” einen in schwarz-weiß-rot gehaltenen Kranz mit der Aufschrift: “Im Leben uns treu, im Tode an unserer Seite” sowie das Grabgesteck mit eben jener Zeile aus dem SS Treuelied nieder. Später bedankte sich Knudsens Familie bei seinen “treuen Kumpels”, sowie im Besonderen bei “Sandy A”.
Seit 10 Jahren berät die Antidiskriminierungsberatung des Vereins Opferperspektive überall in Brandenburg Menschen, die rassistische Diskriminierungen erlebt haben. An uns wenden sich zum Beispiel Familien, die wegen eines ausländisch klingenden Namens bei der Wohnungssuche benachteiligt werden; Frauen, die bei der Jobsuche abgelehnt werden, weil sie ein Kopftuch tragen; Eltern, deren Kinder in der Schule ausgegrenzt werden; junge Menschen, denen der Eintritt in eine Diskothek oder die Mitgliedschaft in einem Fitnessstudio verweigert wird, weil sie Schwarz sind.
In den letzten drei Jahren wurde unsere Arbeit etwa zur Hälfte mit Geldern des Programms Demokratie leben! finanziert. Diese Gelder werden uns ab Beginn des kommenden Jahres nicht mehr zur Verfügung stehen. Unser Antrag auf weitere Förderung durch den Bund wurde abgelehnt. Wir bemühen uns derzeit um eine alternative Finanzierung, diese ist jedoch davon abhängig, dass die Opferperspektive einen Eigenanteil von mindestens 12.180 EUR erbringt. Um diesen Betrag aufzubringen, benötigen wir Ihre Unterstützung. Jeder Betrag hilft uns weiter!
In diesem Jahr gab es erstmalig zwei Gedenkveranstaltungen, um an die Schrecken der Novemberpogrome zu erinnern.
Gedenken am ehemaligen jüdischen Altenheim in Babelsberg
Bei einer Veranstaltung am Vormittag wurde an einem authentischen Ort der Shoa, dem ehemaligen jüdischen Altenheim in der Spitzweggasse 2a, gedacht. Von hier aus gingen 1943 die letzten Transporte aus Potsdam in die Vernichtungslager. In den Redebeiträgen wurde auf die Enteignungen in Neu-Babelsberg eingegangen und welche Orte seit 1933 von NS-Verbänden
besetzt und bewohnt worden sind. Anschließend wurden von ca. 30 Menschen am Gedenkstein Blumen und Kränze niedergelegt, sowie mit einer Schweigeminute der Novemberpogrome gedacht.
Gedenken am OdF Mahnmal
Um 19 Uhr trafen sich ungefähr 200 Leute am Denkmal für die Opfer des Faschismus am Platz der Einheit. In mehreren Beiträgen wurde an die Geschehnisse der Novemberpogrome erinnert und ein Gedicht von Halina Birenbaum verlesen. Ein Redebeitrag von der Emanzipatorischen Antifa Potsdam kennzeichnete die lange Tradition von Antisemitismus, auch vor 1933, in Deutschland und dass dieser bis heute tief in der Gesellschaft verankert ist.
Dazu sagt Lisa Redlich von der EAP „Gedenken ist nicht nur das
Erinnern an ein bestimmes Ereigniss oder an eine bestimmte
Begebenheit. Es ist auch wichtig zu betrachten wie es zu dem Ereignis gekommen ist und dann daraus auch die Schlüsse auf das hier und heute zu ziehen“ Den Redebeitrag finden sie weiter unten in der kompletten Länge.
Respekt- und würdeloses Verhalten der Polizei Brandenburg
Dass die Polizei Brandenburg jegliche Würde verloren hat, zeigte sich gestern mal wieder. Ein Gedenken von Opferverbänden und
Antifaschisten*innen zu stören, in dem sie einen Verantwortlichen
wollen, ist ein Skandal und zeigt, dass sie jegliches
Geschichtsverständnis vermissen lassen. In Brandenburg müssen
Gedenkveranstaltungen nicht angemeldet werden, weshalb ihre Nachfrage wie eine Provokation und Schikane wirkte.
Heute stehen wir wieder hier am Mahnmal für die Opfer des Faschismus.
Jedes Jahr müssen wir erneut feststellen, wie wichtig eine aktive
Gedenkkultur ist und wie wichtig es ist aus dem Gedenken Rückschlüsse auf das hier und heute zu ziehen! Vor exakt einem Monat, dem 9.10.2019 kam es zu einem neonazistischen Angriff auf eine Synagoge in Halle.
Dabei starben zwei Menschen. Der Angriff, der am jüdischen Feiertag Jom Kippur stattfand, zielte klar gegen Jüdinnen und Juden.
Der 9.11. ist ein Datum von herausragender Bedeutung. Vor 81 Jahren wurden Synagogen und Geschäfte jüdischer Menschen zerstört, Menschen wurden verhaftet und ermordet. Auch hier direkt hinter uns wurde die Synagoge geplündert und ausgeraubt. Keine 100 Meter weiter links wurde das Geschäft von Abraham Kallmannsohn in der Schwertfegerstraße 1 geplündert und er wurde im KZ Sachsenhausen interniert. An diese Gräueltaten zu erinnern ist die Verantwortung derer wir uns heute annehmen müssen. Erinnern heißt nicht vergessen.
Der 9.11.1938 war Testlauf und Startpunkt für die spätere systematische Vernichtung durch Massenerschießungen in Osteuropa und Vergasungen in den Konzentrationslagern. Nach dem 9.11.1938 war klar, dass gegen antisemitische Hetze und Gewalttaten aus der deutschen Bevölkerung nicht mit Widerstand zu rechnen war – ganz im Gegenteil!
Die Aneignung von und Auseinandersetzung mit der Geschichte muss bis in unsere Gegenwart hineinreichen! Auch wenn Deutschland 1945 besiegt wurde, ist der Antisemitismus in großen Teilen der Gesellschaft verblieben und erneuert sich unentwegt. Alleine im letzten Jahr gab es 1.799 dokumentierte antisemitische Angriffe. Das sind 5 antisemitische Angriffe am Tag!
Dieser moderne Antisemitismus hat eine lange Tradition in Deutschland. Schon Jahrzehnte bevor die Nationalsozialist*innen die Macht in die Hände gelegt bekamen. So kam es beispielsweise schon 1916, mitten im ersten Weltkrieg, zu sogenannten „Judenzählungen“ in der Reichswehr. Mit dieser Zählung sollte geklärt werden, ob Juden ihre sogenannten „vaterländischen“ Pflichten in ausreichender Zahl erfüllten. Die Ergebnisse dieser staatsoffiziellen Untersuchung wurden nicht an die
große Glocke gehangen, denn von den 500.000 deutschen Juden diente 1/5 in der Reichswehr. Die für „Kaiser und Vaterland“ kämpfenden Juden erhofften sich durch ihren Kampfeinsatz die volle Gleichberechtigung und Anerkennung der deutschen Gesellschaft zu erkämpfen. Aber noch nicht einmal unter Einsatz ihres Lebens war ihnen dies möglich. Sie galten weiterhin als Projektionsfläche. Alle Auswüchse und Missstände des sich
etablierenden Kapitalismus wurden mit ihnen identifiziert und somit personalisiert. Ein Umstand, der aus der kapitalistischen
Warenproduktion und dem ihr notwendigen falschen Alltagsbewusstsein erwächst. Dabei war für die Antisemiten unerheblich, was Juden in der Realität taten oder wer sie waren. Denn, wie Adorno so treffend formulierte: „Der Antisemitismus ist das Gerücht über den Juden.“
Nach der Beendigung des ersten Weltkrieges durch die Kapitulation des deutschen Reiches nahm der Antisemitismus folglich nicht ab. Im Gegenteil, auch die Aufstände und Massenstreiks der Jahre 1918 und 1919 wurden nicht lediglich auf eine kriegsmüde, nach Brot und Freiheit strebende Bevölkerung zurückgeführt, sondern von Beginn an galten die Urheber*innen als „jüdische Bolschewist*innen“. Und entsprechend hart wurde mit ihnen umgegangen.
Liebe Zuhörende, der 9. November ist nicht nur der Tag an dem wir der Reichspogromnacht mit ihren Schrecken und grausamen Folgen gedenken. Wir gedenken auch der Tausenden Toten die von Freikorps ermordet wurden. Diese Freikorps bestanden zumeist aus ehemaligen Soldaten, die sich nach der deutschen Niederlage zum Schutz eines reaktionären Deutschlands zusammen schlossen. Sie unterstanden dem damaligen SPD-Verteidigungsminister Noske und handelten auf seinen Befehl. So auch als sie in Berlin im März 1919 ein Massaker an linken Proletarier*innen anrichteten. Damals flogen erstmals Flugzeuge Luftangriffe und schmissen Brandbomben auf Wohnviertel. Maschinengewehre wurden in
belebten Straßen eingesetzt. Diese Gewalt übertraf in ihrer Stärke und Durchschlagskraft die vorher eingesetzte revolutionäre Gewalt um ein Hundertfaches. Wurden während der Novemberrevolution 1918 nur Wenige getötet, fielen der entfesselten Gewalt der Freikorps allein im März 1919 in Berlin 1.200 Menschen zum Opfer: größtenteils Zivilist*innen. An diesen Gewaltausbrüchen waren auch Potsdamer Freikorps beteiligt. Zu nennen sind hier das Freikorps Potsdam und das Freikorps Hülsen, beide
waren in Potsdam stationiert. Das Potsdamer Freikorps Hülsen ging später als Teil der 3. Infanterie Division in der Wehrmacht auf und war unter anderem am Überfall auf Polen im Jahr 1939 beteiligt.
Es dürfte also niemanden der Anwesenden verwundern, wenn sich die Angehörigen und die Kommandierenden der Potsdamer Freikorps oder anderer Freikorps Verbände später den Nazis anschlossen oder sogar an deren Spitze stellten.
In der Zeit nach Beendigung des 1. Weltkrieges und vor der Machtübergabe an die NSDAP fühlten sich auch schon verschiedene Täter (es waren und sind ja meist Männer) dazu berufen Morde und Massaker an vermeintlichen oder realen Gegner*innen zu begehen. Damals wie heute handelt es sich bei den Tätern angeblich um Einzeltäter. Damals wie heute sind diese Menschen eingebunden in ein politisches Umfeld das geprägt ist von Untergangsängsten und Bedrohungsszenarien. Damit wirre Ideen aber zu Taten werden, braucht es mehr: Es braucht eine indifferente oder sich sogar positiv auf die Taten beziehende Bevölkerung und es braucht einen Staat, welcher die antijudaistische, die antisemitische, die faschistische oder rassistische Bedrohung konftontationslos hinnimmt.
Hierzu braucht es weiterhin eine Gesellschaft in der die
gesellschaftlichen Beziehungen der Menschen nicht bewusst geregelt sind, sich die Menschen in freier Konkurrenz als Privateigentümer*innen gegenüberstehen und menschliches Handeln lediglich als persönliches Fehlverhalten ausgelegt wird,begründet durch persönliche Überzeugung oder Abstammung. Die gesellschaftlichen Verhältnisse haben sich seitdem nie grundlegend geändert!
Angesichts des im Brandenburger Landtag sitzenden bayrischen Neonazis Kalbitz, der bis heute nicht verbotenen rechts-terroristischen Organisation Combat 18 oder der weithin bekannten Unterstützung (neo)nazistischer Gruppen durch Teile des deutschen Sicherheitsapparates muss klar sein, dass eine faschistische Gefahr mitnichten gebannt ist!
Fakt ist, dass auf die Reichspogromnacht jahrzehntelang hin gearbeitet wurde und es ist wichtig sich nicht nur dieses Datum mit all seinen Schrecken ins Gedächtnis zu rufen, sondern auch die unzähligen Grausamkeiten, die den Weg dorthin geebnet haben und danach noch folgten. Denn nur so ist Lernen aus der Geschichte möglich. Nicht indem wir uns an, vom Fluss der Geschichte losgelöste, singuläre Ereignisse erinnern, sondern indem wir die Geschichte als von Menschen gemachte Realität anerkennen, in der viele verschiedene Aspekte zu dem führten dessen wir heute mahnen wollen.