Im Jahr 2015 nahmen neonazistische und rassistische Aktivitäten in Brandenburg an der Havel zu. Es gab insgesamt fünf Demonstrationen, zwei Kundgebungen und sechsmal wurde das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zur Anzeige gebracht. Des Weiteren nahmen bei vier Informationsveranstaltungen zu geplanten Geflüchtetenunterkünften Neonazis teil. Sie verhielten sich jedoch immer auffällig ruhig. Während eines Gedenkspazierganges am 21. Februar für den ermordeten Sven Beuter, provozierten fünf Neonazis, unter ihnen der verurteilte Totschläger Beuters, die Teilnehmenden. Des Weiteren gab es drei zur Anzeige gebrachte und nachweislich rassistisch motivierte Übergriffe auf Geflüchtete. Es gab noch mindestens zwei weitere Übergriffe, bei denen Menschen mit Migrationshintergrund Opfer waren, ob es sich hierbei um rassistisch motivierte Angriffe handelt ist noch nicht abschließend geklärt. Hinzu kommen drei Verhandlungen gegen Neonazis am Amtsgericht der Havelstadt.
Insgesamt wurden im Laufe des Jahres drei rassistische Facebookseiten gegründet: »Nein zum Heim in Kirchmöser«, »Nein zum Heim in Brandenburg« und »Brandenburg sagt NEIN zur aktuellen Flüchtlingspolitik«.
Im vergangenen Jahr rückte auch wieder der »Hof Märkische Heide«, er befindet sich im Besitz des »Bundes für Gotterkenntnis«, in den Fokus, denn dieser warb öffentlich für ein Seminarwochenende im März. Hierbei wurden krude Verschwörungstheorien und Geschichtsrevisionismus verbreitet. Nach eigener Aussage finden dort jeweils im Frühjahr und im Herbst Seminarwochenenden statt.
Im Folgenden werden einige Akteure und ihre Aktionen in der Havelstadt näher beleuchtet.
BraMM und Freiheitliche Liga
Die Brandenburger für Meinungsfreiheit und Mitbestimmung (BraMM) sind eine Gruppierung, die sich die Ziele der PEGIDA-Bewegung zu eigen machte und sie auf das Land Brandenburg zu übertragen versucht. Bevor sie ihren ersten selbstorganisierten »Spaziergang« durchführten, nahmen sie mit einem Hochtransparent mit der Aufschrift »Brandenburger für Meinungsfreiheit und Mitbestimmung« an den Montagsdemonstrationen in Dresden im Jahr 2014 teil.
Zu Beginn des Jahres 2015 begann das Organisationsteam der BraMM mit der Mobilisierung für einen »Spaziergang« am 26. Januar in der Havelstadt. Sie versammelten sich an der Ecke Steinstraße/Hauptstraße. Nach einer Kundgebung vor circa 150 Personen setzten sie sich in Bewegung. Die Route führt einmal durch die Steinstraße und endete auf dem Trauerberg mit einer kleinen Abschlusskundgebung. An den drei darauffolgenden Montagen organisierte die BraMM weitere »Spaziergänge«. Die Teilnehmer_innenzahlen nahmen dabei kontinuierlich ab, sodass bei der vierten Veranstaltung nur noch circa 70 Personen teilnahmen. Im Anschluss veranstalteten die Organisator_innen in anderen Städten weitere »Spaziergänge« mit unterschiedlichem Erfolg. Am 01. Juni wurde ein weiterer »Spaziergang« in der Havelstadt, diesmal nicht im Zentrum sondern im Stadtteil Görden, angemeldet. Dem Aufruf folgen nur circa 20 Personen. Am sich anschließenden »Spaziergang« nahm nur noch die Hälfte dieser teil. Seither ist die BraMM in der Havelstadt nicht mehr aktiv.
Der Organisationskreis setzt sich primär aus Mitgliedern und Sympahtisant_innen der Partei »Die Republikaner« zusammen. Der Landesvorsitzende Heiko Müller trat nach dem Bekanntwerden seiner parteipolitischen Aktivitäten aus der Partei aus und widmete sich nun ausschließlich der BraMM. Die Spaziergänge zogen neben rassistischen Bürger_innen zahlreiche Neonazis aus Brandenburg an der Havel und den umliegenden Landkreisen an. Sie stellten zwischen 25 % bis 50 % der Teilnehmer_innen. Es nahmen Personen aus folgenden neonazistischen Gruppierungen teil: NPD, III. Weg und Ein Licht für Deutschland. Lediglich die letztgenannte Gruppierung viel durch ein eigenes Transparent und Schilder auf, die andern beiden hielten sich mit ihren Parteiemblemen zurück. Diese Taktik ist bei zahlreichen asylfeindlichen Demonstrationen im Land Brandenburg zu beobachten: Neonazistische Gruppierungen stellen oftmals Technik, Ordner_innen und Redner_innen, die sich häufig als Anwohner_innen inszenieren, und dominieren so verdeckt die Kundgebungen und Demonstrationen.
Obwohl die BraMM mittlerweile offizieller PEGIDA-Ableger im Land Brandenburg ist, wurde sie von der PEGIDA-freundlichen Alternative für Deutschland bei einer Kundgebung am 23. September in Potsdam nicht herzlich empfangen. So wurde auf der BraMM-Facebookpräsenz geschrieben, dass die BraMM-Mitglieder vom Veranstalter nur geduldet wurden, bis sie das BraMM-Banner entrollten (Der Post wurde mittlerweile gelöscht, die Bilder sind jedoch noch online, eine Bildschirmkopie vom Post existiert). Das AfD Landtagsmitglied Steffen Königer versuchte das Banner zu verdeckten und fordert die BraMM-Mitglieder auf es wieder einzurollen und bekräftigte dies, in dem er über die Lautsprecheranlage verkünden ließ das man sich »gegen eine Vereinnahmung der Demonstration durch beide Seite (gemeint sind »Linke, Grüne und die üblichen Antifanten«)« verwehre. Damit ordnete Königer die BraMM als rechts von der AfD stehend ein. Ein Schulterschluss zwischen BraMM und AfD scheint somit vorerst nicht realistisch.
Neben der Gründung der BraMM, gründete der gleiche Personenkreis noch die Freiheitliche Liga. Am 19. Juni 2015 postete diese auf ihrer Facebookpräsenz ein Bild mit dem Text: »Die Eintragung im Vereinsregister ist nun endlich geschafft und die Freiheitliche Liga kann ihre Arbeit aufnehmen!«. Neben dem Personenkreis ist auch der politische Inhalt der gleiche, denn auf der Website der Freiheitlichen Liga wird sich auf die »Grundgedanken der BraMM-PEGIDA« bezogen. Vorsitzender ist Heiko Müller, stellvertretender Vorsitzender Patrick Holler, weitere Beisitzer sind Detlef Stamm, Peter Kleemann und Andreas Jahnke. Alle fünf Männer fanden sich vor der Gründung der Freiheitlichen Liga auf zahlreichen Bildern der Facebookpräsenz der Partei »Die Republikaner Brandenburg«. Ob sie nun alle Mitglieder waren, kann nicht sicher geklärt werden. Peter Kleemann wird auf der Internetseite der Partei immer noch als Beisitzer des Landesvorstandes genannt.
Beide Labels verfügen jeweils über eine Internetseite und eine Facebookpräsenz, wobei die primäre Aktivität bei der Facebookseite liegt. Während auf der Seite der Freiheitlichen Liga hauptsächlich Bilder von Informationsveranstaltungen und Stammtischen zu finden sind, finden sich auf der BraMM-Seite wahllos Onlinezeitungsartikel die negativ über Geflüchtete berichten. Hinzu kommen die Aufrufe zu ihren Demonstrationen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Partei »Die Republikaner« die Zeichen der Zeit erkannt hat, nämlich das die Partei in der Bedeutungslosigkeit versinkt und sogenannte Bürgerbewegungen auf dem Vormarsch sind. Aus diesem Grund heraus gründeten sie, beziehungsweise Personen aus dem Parteiumfeld, die BraMM und die Freiheitliche Liga um weiterhin politisch wirken zu können. Während das BraMM-Label primär für Demonstrationen und Kundgebungen benutzt wird, wird das der Freiheitlichen Liga für die Bewerbung von Informations- und Bildungsveranstaltungen verwendet. Beide Labels schließen sich jedoch nicht aus, sodass bei den Demonstrationen auch das Banner der Freiheitlichen Liga auftaucht und umgedreht. Zwar schaffen sie es immer wieder mehrere hundert Leute zu ihren Demonstrationen zu bewegen, ein wirkliches politisches Ziel, beispielsweise ein Hinarbeiten auf Mandate in politischen Parlamenten ist bisher nicht zu erkennen.
Der III. Weg
Am 18. April führte der III. Weg unter anderem in der Havelstadt eine Kundgebung durch. An diesem Tag verkündeten Parteimitglieder die Gründung des Verbandes »Potsdam/Mittelmark«. In den darauffolgenden Monaten tauchten wiederholt Aufkleber und Plakate der Partei im Stadtgebiet auf. Zusätzlich werden in unregelmäßigen Abständen Flyer in Briefkästen gesteckt. Sowohl Flyer als auch Plakate konzentrieren sich hierbei im Bereich der Innenstadt. Einige Neonazis aus der Havelstadt nehmen regelmäßig an Kundgebungen des III. Weges im ganzen Land Brandenburg Teil und tragen dabei T‑Shirts der Kleinstpartei. Auch reisten einige Neonazis aus der Havelstadt am 01. Mai zur Demonstration nach Saalfeld, bei der es zu Auseinandersetzungen zwischen den Neonazis und der Polizei, als auch zu Übergriffen auf Antifaschist_innen, kam. Mindestens drei Neonazis aus Brandenburg an der Havel nahmen am Sommerfest der Partei in der Uckermark teil, es macht somit den Anschein, dass versucht wird die lokalen Neonazis für die Partei zu werben und zu integrieren. Dies bleibt auch vom Brandenburger Verfassungsschutz nicht unbemerkt, denn dieser machte bei einem Mitglied der Partei, das in Brandenburg an der Havel wohnt, einen sogenannten Anquatschversuch, der, laut der Internetpräsenz des III. Weges, erfolglos blieb.
Insgesamt ist die Partei in der Havelstadt nur mäßig aktiv. Die Aktivist_innen vor Ort beschränken sich auf die Teilnahme an Kundgebungen und Demonstrationen. Eigene Veranstaltungen werden nicht organisiert. Es scheint an einer lokalen Führungsfigur zu fehlen. Der Einfluss innerhalb der lokalen Szene scheint auch nur gering zu sein, denn die Aktivist_innen nehmen an allen neonazistischen Veranstaltungen in der Havelstadt teil, egal ob BraMM, NPD oder der III. Weg diese organisiert. Auch übernehmen die Neonazis aus der Havelstadt vorerst keine wichtigen Aufgaben (Ordner_in, Redner_in). Die Flyerverteilaktion werden entweder aus Werder/Havel oder aus dem Raum Bad Belzig gesteuert, wo es jeweils sehr aktive Mitglieder der Partei gibt, welche regelmäßig durch ihre Teilnahme an Kundgebungen und Demonstrationen, sowie Flyer verteilen auffallen. Der III. Weg scheint aufgrund seiner starken Orientierung am Nationalsozialismus, der hohen Aggressivität bei Kundgebungen und Demonstrationen und des engen Kameradschaftsgeist, der durch eigene T‑Shirts, Jacken, etc. manifestiert wird, für die lokale Szene am interessantesten zu sein.
Die NPD
Die NPD verliert auch in Brandenburg an der Havel nach und nach an Einfluss. Ein aktiver Stadtverband existiert nicht und alle Aktionen innerhalb der Stadt werden primär vom Kreisverband Havel-Nuthe koordiniert. Dieser organisierte gemeinsam mit dem Stadtverband Bad Belzig am 29. Oktober eine Kundgebung auf dem Neustädtischen Markt. Insgesamt haben an dieser 29 Menschen teilgenommen. Aus der Havelstadt kamen ungefähr zehn Personen. Unter diesen waren auch Neonazis, die wiederholt beim Verteilen von Flyern des III. Weges beobachtet wurden. Seit der Kundgebung im Oktober finden sich vermehrt Aufkleber in der Innenstadt.
Auch bei der NPD fällt auf, dass sie keine feste Struktur in der Havelstadt besitzen, stattdessen werden die Aktionen von außerhalb gesteuert. Des Weiteren nahmen zahlreiche NPD-Aktivist_innen bei den Demonstrationen der BraMM in der Havelstadt teil, jedoch ohne die Verwendung von Parteiwerbung. Sie ist auf politischer Ebene in Brandenburg an der Havel von sehr geringer Bedeutung.
AfD
In der Havelstadt existiert ein Parteibüro der AfD, welche mit drei Personen in der Stadtverordnetenversammlung vertreten ist. Nachdem Skandal um den ehemaligen Kreisverbandsvorsitzenden ist dieser zurückgetreten und seither ist es extrem ruhig um die AfD geworden. Von den BraMM-Spaziergängen nahmen sie Abstand und wollten diese nach eigenen Aussagen erst einmal beobachten. Aufgrund der Tatsache, dass sie bei keinem der Spaziergänge teilnahmen, ist davon auszugehen, dass sie sich nicht mit den Zielen der BraMM identifizieren oder sie die hohe Neonazipräsenz, die deutlich medial thematisiert wurde, abschreckte. Als ein weiterer Grund kann das AfD-Landtagsmitglied Steffen Königer angeführt werden, dessen Parteibüro sich in der Havelstadt befindet. Der gemäßigte Königer verlor vor kurzem bei dem Landesparteitag die Wahl zum Stellvertreter der Landespartei.
Die lokale AfD gilt es zwar weiterhin im Fokus zu behalten, momentan konzentriert sich diese jedoch primär auf ihr politisches Wirken in der SVV, wo sich kaum Platz für die typischen Parolen der AfD finden, sondern die Abgeordneten mit der realen Politik konfrontiert werden.
»Nein zum Heim in…«
Am 27. August, einen Tag bevor die Geflüchtetennotunterkunft im Stadtteil Kirchmöser bezogen werden sollte, ist die Facebookpräsenz »Nein zum Heim in Kirchmöser« gegründet worden. Diese kann mittlerweile 219 Klicks auf sich vereinen. Dass die Seite nicht von Personen aus Brandenburg an der Havel oder Kirchmöser betrieben wird, lässt unter anderem das Titelbild vermuten. Es zeigt das Ortseingangsschild des Brandenburger Stadtteils. Bei der Eingabe des Wortes »Kirchmöser« bei Google, findet sich auf Seite 3 ein identisches Bild, es gehört zu einem Artikel des »SPD-Unterbezirks Brandenburg an der Havel« vom 26.06.2007. Schon im Jahr 2014 war zu beobachten, dass überall dort »Nein zum Heim in …«-Seiten auftauchten, wo es neue Geflüchtetenunterkünfte geben sollte. Häufig hatten und haben diese ein sich stark ähnelndes Aussehen, sodass die Vermutung nahe liegt, dass sie gezielt von einer Personengruppe gegründet wurden. Dafür spricht aus das Posten von zahlreichen asylkritischen Artikeln, die keinen Bezug zum eigentlichen Ort der Seite haben. Diese ist auch auf den Facebookseiten zu Brandenburg und Kirchmöser zu beobachten.
Am 01. Oktober wird die Seite »Nein zum Heim in Brandenburg« gegründet. Sie wurde bisher von 220 Personen geliked. Inhaltlich ist sie nahezu identisch mit der Seite »Nein zum Heim in Kirchmöser«.
Bei »Brandenburg sagt NEIN zur aktuellen Flüchtlingspolitik« handelt es sich ebenfalls um eine Facebookseite mit Bezug zur Havelstadt. Dies kann aufgrund des Titelbildes, welches das Stadtwappen zeigt, vermutet werden. Sie wurde bisher von 282 Personen geliked und am 30. September gegründet. Auf dieser werden, ähnlich den beiden anderen Seiten, zahlreiche asylkritische Beiträge von diversen Internetseiten und Medienportalen geteilt.
Bis auf einige seltene Kommentare, scheinen die drei Seiten lediglich der Verlinkung von asylkritischen Texten zu dienen. Aufrufe zu Demonstrationen und Kundgebungen werden ab und zu, jedoch nicht regelmäßig, geteilt. Ob hinter den Seiten jeweils die gleichen Personen stehen, bleibt zweifelhaft. Die nahezu zeitgleichen Posts auf den Seiten von »Nein zum Heim in Kirchmöser« und »Nein zum Heim in Brandenburg« sprechen jedoch dafür, dass sich hinter diesen die gleiche Person oder Personengruppe verbirgt.
Alle drei Seiten haben nur einen sehr geringen Einfluss in Brandenburg an der Havel, dies liegt zum einen an den Postings, welche sich auf die ganze Bundesrepublik beziehen und anderen an fehlenden eigenen Analysen und Stellungnahmen sowie Aktivitäten auf der Straße.
Fazit und Ausblick
Alle größeren Aktivitäten werden in der Havelstadt von Gruppierungen außerhalb der Stadt organisiert. Zwar nehmen regelmäßig lokale Neonazis und Rassist_innen an diesen teil, eine aktive Mitarbeit ist jedoch nicht zu beobachten. Bei der Betrachtung der die Stadt umgebenden Landkreise Potsdam-Mittelmark und Havelland, fällt auf, dass gerade da NPD (Havelland/Potsdam-Mittelmark) und der III. Weg (Potsdam-Mittelmark) besonders stark sind. Dort verteilen sie regelmäßig Flyer und die NPD sitzt in den lokalen Parlamenten.
Insgesamt kann die neonazistische Szene in der Havelstadt auf zehn bis fünfzehn Personen geschätzt werden. Sie wird durch vornehmlich junge Männer dominiert die sich um den verurteilten Totschläger Sascha L. gruppieren, denn wo er auftaucht, finden sich die Jungneonazis häufig auch. Gleichzeitig hat L. immer noch Kontakt zu anderen Neonazis, welche seit den 1990er Jahren aktiv sind oder mit ihm im Knast saßen. L. sorgt immer wieder für Provokationen, so marschierte er schon im Jahr 2012 bei einer NPD-Demonstration unter Zeigen des Victory-Zeichens mit. Während des ersten BraMM-Spaziergangs wurden seine Personalien aufgenommen, weil er den Kühnengruß zeigt, mittlerweile wurde er dafür auch verurteilt. Des Weiteren provozierte er mit weiteren Neonazis bei einem Gedenksparziergang in Erinnerung des von ihm ermordeten Sven Beuter.
Eine Bedrohung durch Neonazis und Rassist_innen ist in der Havelstadt gegeben, dafür sprechen die zahlreichen Kundgebungen und Spaziergänge, der Brandanschlag auf eine geplant, noch nicht bewohnte Notunterkunft für Geflüchtete sowie die Übergriffe und der Alltagsrassismus gegenüber diesen. Aus diesen Gründen heraus ist es wichtig, weiter kontinuierliche antifaschistische Arbeit zu leisten.
Neonazistische Aktivitäten in Brandenburg an der Havel im Jahr 2015
Demonstrationen, Kundgebungen, Übergriffe, Gerichtsverhandlungen
(Die Quellenangabe beziehen sich nicht ausschließlich auf Artikel, sondern auf Fotos, welche zahlreiche Journalist_innen online frei zur Verfügung stellen.)
25. Januar
In der Nacht vom 24. zum 25. Trampeln Unbekannte drei Hakenkreuze, zweimal den Schriftzug »Hitler« und einmal »Adolf« in den Schnee. Der Tatort findet sich unweit des Übergangswohnheims für Geflüchtete Menschen in der Flämingstraße.
(Meetingpoint Brandenburg, 25. Januar 2015)
26. Januar
150 Personen, darunter zahlreiche organisierte Neonazis aus der Havelstadt und der Umgebung, nehmen an einem sogenannten Spaziergang der »Brandenburger für Meinungsfreiheit und Mitbestimmung« (BraMM) teil. Etliche Neonazis stammen aus der Havelstadt, einer von ihnen war als Ordner tätig. Der Totschläger des von Sven Beuter, der bekennende Neonazi Sascha L. wurde kurzzeitig verhaftet, da er einen verbotenen Gruß gezeigt hat.
(Presseservice Rathenow, 26. Januar 2015; MAZ, 27. Januar 2015; AG Antifa, 29. Januar 2015; MAZ 31. Januar 2015)
02. Februar
Circa 100 Personen nehmen an einem Spaziergang der BraMM teil. Unter den Teilnehmer_innen befinden sich circa 40 Neonazis. Etliche von diesen stammen aus Brandenburg an der Havel.
(Presseservice Rathenow, 02. Februar 2015; AG Antifa, 03. Februar 2015; MAZ 04. Februar 2015)
05. Februar
Bei einer Informationsveranstaltung der SPD zum Thema Geflüchtete in der Havelstadt nimmt mindestens ein Neonazi teil.
(Antifa Jugend Brandenburg)
09. Februar
Circa 80 Personen folgen dem BraMM-Aufruf zu einem dritten Spaziergang. Der Anteil der Neonazis wächst auf 50 Personen, unter ihnen zahlreiche Menschen aus Brandenburg an der Havel.
(Presseservice Rathenow, 09. Februar 2015; AG Antifa, 22. Februar 2015; MAZ 10. Februar 2015)
16. Februar
70 Personen nehmen an einem Spaziergang der BraMM teil. 50 bis 60 Teilnehmende sind dem neonazistischen Spektrum zuzurechnen, darunter zahlreiche Personen aus der Havelstadt.
(Presseservice Rathenow, 16. Februar 2015¸ AG Antifa, 17. Februar 2015)
20. Februar
Während eines antifaschistischen Gedenkspaziergangs zu Erinnerung an den ermordeten Sven Beuter provozieren fünf Neonazis, darunter der Totschläger von Beuter Sascha L., die Teilnehmenden.
(Presseservice Rathenow, 20. Februar 2015; AG Antifa, 22. Februar 2015)
21. Februar
Bei einer Kundgebung der neonazistischen Partei der »III. Weg« in Eisenhüttenstadt, nehmen zwei in Brandenburg an der Havel wohnhafte Neonazis und der Totschläger Sascha L. teil.
(Presseservice Rathenow, 21. Februar 2015; MAZ, 23. Februar 2015)
09. März
Am Abend wird ein Kenianer in der Straßenbahn beleidigt und, nachdem er an der Haltestelle in der Nähe der Gördenbrücke ausgestiegen ist, ins Gesicht geschlagen.
(MAZ, 10. März 2015)
14. März
Bei einer NPD-Kundgebung in Nauen nimmt ein in Brandenburg an der Havel wohnender Kader der Freien Kräfte Neuruppin und Osthavelland (FKN) gemeinsam mit seiner Freundin teil.
(Presseservice Rathenow, 14. März 2015)
14.–15. März
Am Samstag und Sonntag führt der »Hof Märkische Heide«, er befindet sich im Besitz des »Bundes für Gotterkenntnis«, ein Seminarwochenende durch.
(AG Antifa, 15. März 2015; MAZ, 19. März 2015)
25. März
Eine Parteimitglied des neonazistischen »III. Wegs« wurde vom Verfassungsschutz Brandenburg angesprochen und sollte für eine zukünftige Zusammenarbeit geworben werden.
(Antifa Jugend Brandenburg)
28. März
Ein in der Havelstadt wohnhafter Neonazi und Kader von FKN nimmt an einer Demonstration in Wittstock/Dosse teil. Begleitet wird er dabei von seiner neonazistischen Freundin.
(Presseservice Rathenow, 28. März 2015)
28. März
Ein Neonazi aus Frankfurt/Oder wird zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Während eines Fußballspiels der WM 2014 skandierte er im Audimax der Fachhochschule wiederholt neonazistische Parolen. Ein Zuschauer versuchte dies zu unterbinden. Nachdem Spiel wurde er von dem Neonazi brutal zusammengeschlagen.
(MAZ, 29. März 2015)
14. April
Ein betrunkener 43 Jahre alter Neonazi ruf am Hauptbahnhof wiederholt »Sieg Heil«. Des Weiteren zerschlug er zwei Bierflaschen auf dem Boden. Der Mann ist wegen ähnlicher Delikte schon vorbestraft. Die Polizei ermittelt wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen.
(MAZ, 15. April 2015)
18. April
Bei Kundgebungen des neonazistischen »III. Wegs« in Werder/Havel und Brandenburg an der Havel nehmen unteranderem fünf Neonazis aus Brandenburg an der Havel teil. Unter den Teilnehmenden ist auch der Totschläger Sascha L. Sie erhalten auf der Kundgebung Flyer, welche sie am 19. April im Bereich der Bahnhofsvorstadt und der Neustadt verteilen.
(Presseservice Rathenow, 18. April 2015; AG Antifa, 20. April 2015)
19. April
Zwei bekannte Neonazis verteilen Flyer des neonazistischen »III. Wegs« in der Bahnhofsvorstadt und in der Innenstadt.
(Antifa Jugend Brandenburg)
25. April
Bei einem rassistischen Aufmarsch in Frankfurt/Oder nimmt unter anderem der Totschläger Sascha L. teil.
(Presseservice Rathenow, 25. April 2015)
01. Mai
Bei der 1. Mai-Demonstration des neonazistischen »III. Wegs« in Saalfeld nehmen der Totschläger Sascha L. und mindestens zwei weitere Neonazis aus Brandenburg an der Havel teil.
(Antifa)
11. Mai
Der in Brandenburg an der Havel wohnhafte Kader der Freien Kräfte Neuruppin/Osthavelland wird wegen Landfriedensbruch zu einer Haftstrafe von vier Monaten verurteilt. Diese ist auf zwei Jahre Bewährung ausgesetzt. Am 12. Oktober 2013 stachelte er in Viereck circa 100 Neonazis auf, eine Polizeikette zu durchbrechen und die Beamt_innen mit Flaschen und Steinen zu attackieren. Bei dem Versuch, wurden mehre Polizist_innen verletzt. Der Beschuldigte hat Rechtsmittel eingelegt, das Verfahren ist folglich noch nicht abgeschlossen.
(Gegenrede.info, 12. Mai 2015; MAZ, 12. Mai 2015; MOZ, 19. Mai 2015)
15. Mai
Ein in Brandenburg an der Havel wohnhafter Kader der Freien Kräfte Neuruppin und Osthavelland nimmt gemeinsam mit seiner Freundin an einer rassistischen Demonstration in Nauen teil. Er fungiert sowohl als Ordner und Redner.
(Presseservice Rathenow, 15. Mai 2015)
01. Juni
Die BraMM ruft zu einem weiteren Spaziergang auf. An diesem nehmen nur noch 20 Personen teil, unter ihnen mindestens vier Neonazis aus der Havelstadt und der Totschläger Sascha L.
(Presseservice Rathenow, 01. Juni 2015; AG Antifa, 02. Juni 2015)
05. Juni
Eine junge Frau wird aufgrund ihrer sexuellen Orientierung von einem Mann bedroht. Er beleidigt sie und versucht sie zu schlagen. Dies kann sie abwehren.
(Opferperspektive)
06. Juni
Mindestens drei Neonazis aus der Havelstadt, darunter ein Kader der Freien Kräfte Neuruppin und Osthavelland und seine Freundin, nehmen an der Demonstration »Tag der deutschen Zukunft« in Neuruppin teil. Der Kader ist unter anderem als Redner tätig.
(Presseservice Rathenow, 06. Juni 2015)
26. Juni
Ein in Brandenburg an der Havel wohnhafter Kader der Freien Kräfte Neuruppin und Osthavelland nimmt an einer neonazistischen Kundgebung in Wittstock/Dosse teil. Er ist hier als »Anti-Antifa«-Fotograf und Redner tätig.
(Presseservice Rathenow, 26. Juni 2015)
30. Juni
Der Totschläger Sascha L. wird wegen des Zeigens des »Kühnengrußes« zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung und zu einer Geldstrafe von 300 € verurteilt.
(Presseservice Rathenow, 30. Juni 2015; MAZ, 02. Juli 2015)
01. Juli
Während einer antifaschistischen Gedenkkundgebung in Neuruppin provozieren circa 20 Neonazis. Unter diesen befindet sich ein in der Havelstadt wohnender Kader der Freien Kräfte Neuruppin und Osthavelland und seine Freundin. Er ist hier als »Anti-Antifa«-Fotograf tätig.
(Presseservice Rathenow, 01. Juli 2015)
06. Juli
Vor dem Amtsgericht in der Havelstadt wird gegen den ehemaligen NPD-Abgeordneten und jetziges Parteimitglied des neonazistischen »III. Weges« wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen verhandelt. Der Angeklagte wird zu einer Geldstrafe von 900 € verurteilt.
(Presseservice Rathenow, 06. Juli 2015; MAZ 15. Juli 2015)
10. Juli
Ein in der Havelstadt wohnender Kader der Freien Kräfte Neuruppin und Osthavelland und seine Freundin nehmen an einer Kundgebung der NPD und Freien Kräfte in Nauen teil. Der Kader ist als Redner, die Freundin als Fahnenhalterin aktiv.
(Presseservice Rathenow, 10. Juli 2015)
24. Juli
Nachdem ein Mann einen 29-jährigen Tunesier rassistisch und sexuell diskriminierend beleidigt, schlägt er auf ihn ein.
(Polizei)
01. August
Bei Kundgebungen des neonazistischen »III. Weges« in Damsdorf und Zossen nehmen mindestens drei Neonazis aus der Havelstadt und der Totschläger Sascha L. teil.
(Presseservice Rathenow, 01. August 2015)
06. August
Als Polizist_innen in einem Streifenwagen die Haltestelle »Fouqèstraße« passieren, hob ein wartender Mann den Arm zum »Kühnengruß«. Die Beamt_innen nahmen die Personalien des 26-Jährigen Brandenburgers auf und erstatten Anzeige. Die Kripo ermittelt wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen.
(Polizei, 26. August 2015)
09. August
Mindestens drei Neonazis aus Brandenburg an der Havel nehmen an dem Sommerfest des neonazistischen »III. Weges« in der Uckermark teil.
(Antifa Jugend Brandenburg)
14. August
Im Veilchenweg skandierte eine Gruppe von Personen strafrechtlich relevante neonazistische Parolen. Polizeibeamte nahmen die Personalien auf und erstatteten Anzeigen.
(Polizei, 14. August 2015)
24. August
Bei einer Versammlung zu einer geplanten Notunterkunft für Geflüchtete im Stadtteil Kirchmöser, nimmt mindestens ein Neonazi teil.
(Antifa Jugend Brandenburg)
27. August
Im Laufe des Tages wird die Facebookseite »Nein zum Heim in Kirchmöser« gegründet.
(Antifa Jugend Brandenburg)
29. August
In der Nacht vom 28. zum 29. August pöbeln zwei Männer vor der Notunterkunft in Kirchmöser. Die herbeigerufene Polizei kann die Täter nicht ergreifen.
(Antifa Jugend Brandenburg)
29. August
Ein in der Havelstadt wohnender Kader der Freien Kräfte Neuruppin und Osthavelland und seine Freundin nehmen an Kundgebungen der NPD in Wusterhausen/Dosse, Wittstock/Dosse und Rheinsberg teil. Der Kader ist als »Anti-Antifa«-Fotograf und Redner, die Freundin als Bannerhalterin aktiv.
(Presseservice Rathenow, 29. August 2015)
12. September
Bei einer Kundgebung der NPD in Bad Belzig nimmt mindestens ein Neonazi aus der Havelstadt teil.
(Presseservice Rathenow, 12. September 2015)
16. September
Bei einer Bürger_innenversammlung im Stadtteil Hohenstücken nimmt mindestens ein Neonazi aus der Havelstadt teil. Thematisch ging es bei der Veranstaltung um die Errichtung einer Notunterkunft für Geflüchtete.
(Antifa Jugend Brandenburg)
28. September
Die Freiheitliche Liga führt einen Info-Stammtisch in der Havelstadt durch.
(Antifa Jugend Brandenburg)
30. September
Im Laufe des Tages wird die Facebookseite »Brandenburg sagt NEIN zur aktuellen Flüchtlingspolitik« gegründet.
(Antifa Jugend Brandenburg)
01. Oktober
Im Laufe des Tages wird die Facebookseite »Nein zum Heim in Brandenburg« gegründet.
(Antifa Jugend Brandenburg)
12. Oktober
Bei einer Veranstaltung zur Errichtung einer Notunterkunft auf dem Gelände der Regattastrecke nimmt mindestens ein Neonazi teil
(Antifa Jugend Brandenburg)
31. Oktober
Die NPD führt mit 29 Personen eine Kundgebung auf dem Parkplatz am Neustädtischen Markt durch. Unter diesen waren mindestens sieben Personen aus der Havelstadt.
(Presseservice Rathenow, 31. Oktober 2015)
01. November
Der Totschläger Sascha L. nimmt an einer asylfeindlichen Demonstration in Frankfurt/Oder teil. Er trägt das Banner der neonazistischen Organisation »Ein Licht für Deutschland«.
(Pressedienst Frankfurt/Oder, 01. November 2015)
13. November
Ein Journalist des Stadtkanals Brandenburg wird Aufgrund seiner Berichterstattung über eine asylkritische Kundgebung in Rathenow eingeschüchtert.
(Antifa Jugend Brandenburg)
21. November
An einer Neonazidemonstration in Remagen, Rheinland-Pfalz, nimmt ein in der Havelstadt wohnender Kader der Freien Kräfte Neuruppin und Osthavelland mit seiner Freundin teil.
(Antifa Jugend Brandenburg)
23. November
Der AfD-Landtagsabgeordnete Steffen Königer nimmt an einem »Zukunftsdialog« zum Themenbereich der Geflüchtetenunterstützung teil.
(Antifa Jugend Brandenburg)
27. November
Auf eine geplante Notunterkunft wird in der Nacht vom 26. auf den 27. November ein Brandanschlag verübt.
(MAZ, 27. November 2015)
In Rathenow steht am kommenden Dienstag die nächste Versammlung des rechtsoffenen „Bürgerbündnisses Havelland“ an. Es wird mittlerweile die sechste Großveranstaltung dieser Vereinigung in der havelländischen Kreiststadt sein. Um die 500 Personen werden dazu erwartet – für den größten kontinuierlich aktiven PEGIDA-ähnlichen Aufzug im Land Brandenburg. Das sich diese Versammlung von selber „totläuft“ scheint momentan noch Illusion, zumal aktuelle Ereignisse immer wieder rassistisch gefärbte Debatten befeuern. Das „Bürgerbündnis Havelland“ hat mittlerweile gelernt wie es seine Mitläufer_innen ansprechen muss. Nämlich durch tägliche Schauergeschichten über vermeintliche kriminelle Flüchtlinge und Täter_innen mit ausländischer Abstammung . Das dabei nur äußerst wenig zwischen der schutzsuchenden Mehrheit der in der Bundesrepublik ankommenden Menschen und einzelnen Ausnahmen differenziert wird, scheint beabsichtigt. Für viele Sympathisant_innen des „Bürgerbündnisses Havelland“ sind Asylsuchende ohnehin nur „faule Wirtschaftsflüchtlinge“ oder „Geld fressendes Pack“. Entsprechend argwöhnisch werden neu ankommende Menschen von einigen nicht sehr gastfreundllichen Havelländern beäugt.
Unterkunft in Semlin ausgespäht
Gestern machte beispielsweise eine „besorgte Bürgerin“ beim „Bürgerbündnis Havelland“ Meldung, dass in einer Ferienwohnlage im Rathenower Ortsteil Semlin Flüchtlinge untergebracht werden sollen. Sofort war dieser Hinweis ein Topthema in einem sozialen Netzwerk. Das „Bürgerbündnis Havelland“ zeigte sich brüskiert. Der Landkreis Havelland hatte sich offenbar „erdreistet“ Menschen ohne Rücksprache mit dem „Volk“ unterzubringen. Ein „Hans S.“, der auf seinem Socialmedia-Profil mit NPD Slogans wirbt, fühlte sich dabei besonders „übergangen“. „Solch Frechheit darf man sich eigentlich nicht gefallen lassen und eine Eilversammlung, wie gerade in Einsiedel) anmelden. Diese Fachkräfte sollten von Anfang an merken, dass sie nicht willkommen sind“, so S. in einem Kommentar. Als „interessierter Mensch“, der weniger Tage zuvor bereits eine andere Flüchtlingsunterkunft in Rathenow fotografiert und davon ein Bild mit der Aufschrift: „Rathenow sagt: nein zum Heim“ auf der Seite des „Bürgerbündnis Havelland“ veröffentlicht hatte, fühlte er sich offenbar erneut berufen eine Unterkunft für Asylsuchende aus der „Nähe“ zu betrachten. Wenig später waren mehrere Fotos der Unterbringung inkl. dem Slogan „Nein zum Heim“ sowie einem kleinen Aufklärungsbericht auf der Seite des „Bürgerbündnisses Havelland“ zu finden. In dem Bericht heißt es u.a. „Auch wenn dort gerade noch nicht viel passiert, sollte man, meiner Meinung nach, trotzdem nicht untätig bleiben! Man darf diese geheimen Machenschaften der etablierten Politiker und Asylprofiteure nicht unbeantwortet lassen! Macht euch auf und leistet gegen jene Verbrechen auf jeder Ebene passenden & kreatives Widerstand! Nein zum Heim! – Weder in Rathenow, noch in Semlin oder anderswo!“. Eine unvervohlende Drohung, die durch entsprechende Kommentare unter weiteren Artikeln zum Thema noch verstärkt wird. „Direkt davor Versammlung es reicht echt“, war beispielsweise noch ein eher „harmloser“ Kommentar. Eine andere Person würde, laut eigenem bekunden, die Flüchtlinge lieber in einem Semliner Gewässer unterbringen, „der See“ sei „schließlich groß genug“. Das es sich bei den in Semlin untergebrachten Menschen um alleinreisende Jugendliche handelt scheint dabei niemanden zu störenden, auch nicht das viele Flüchtlingskinder bereits im Mittelmeer ertrunken sind.
Zunehmende Radikalisierung
Mit der immer wieder betonten „Friedfertigkeit“ und „Gewaltlosigkeit“ seitens des „Bürgerbündnisses Havelland“ hat dies nur noch wenig zu tun. Im Gegenteil eine schleichende Radikalisierung wird immer deutlicher erkennbar, vor allem in der verbalen Artikulation im Internet als auch auf den Veranstaltungen. Insbesondere letztere wirken durch die von der Versammlungsleitung sehr intensiv gepflegten Feindbilder von mal zu mal aggressiver. Eine Eskalation der Ereignisse in naher Zukunft scheint dabei bewusst beabsichtigt. Diesbezüglich ebenfalls bedenklich scheint auch das seit Dezember 2015 aktive „Bürgerbündnis Deutschland“ zu sein, ein Netzwerk das maßgeblich auf Initiative des „Bürgerbündnisses Havelland“ gebildet wurde und in dem auch Organisationen mit einbezogen sind, die mit dem militanten Neonazimilieu oder verbotenen Vereinigungen verwoben sind.
Ticker für den 12.Januar: http://twitter.com/Ticker_rthnw
In verschiedenen Städten Brandenburgs treffen sich, mitunter wöchentlich, rassistische Bürger_innen und Neonazis um u.a. gegen Geflüchtete zu hetzen. Städte wie Nauen können getrost als “National befreite Zone” bezeichnet werden.
In Rathenow demonstrieren seit Monaten bis zu 800 deutsche Deutsche, Neonazis, rassistische Bürger_innen und “besorgte” Anwohner_innen gegen vermeintlichen Asylmissbrauch, “Multikulti”, Migrant_innen und für eine Rückbesinnung auf das “eigene Volk”. Längst ist Rathenow zum aktuellen Brennpunkt rassistischer Mobilisierungen in Brandenburg geworden. Grund genug zu intervenieren und lokale progressive Akteure zu unterstützen.
Das „Bürgerbündnis Havelland“ und seine Neonazis
Wie üblich versucht sich auch das Rathenower „Bürgerbündnis“ an einem seriösen Auftreten. Seit Beginn der Demonstrationen waren und sind jedoch immer wieder bekannte und zum Teil wegen mehrfacher schwerer Gewaltdelikte vorbestrafte Neonazis als Ordner_innen eingesetzt, was der Anmelder, Nico Tews, fleißig zu leugnen versucht. Neben den Neonazis und Rassist_innen, die diese Demonstration anmelden, finanzieren und organisieren, kommen auch bis zu 100 Teilnehmende aus diesem politischen Spektrum, ob nun Neonazi-Bands (Preußenstolzsänger Patrick Danz), NPD-Kader (Michel Müller) und diverse Gruppierungen wie die „Freien Kräfte Neuruppin /Osthavelland, „PEGIDA Havelland“, „Der III. Weg“ oder DIE RECHTE.
Wir wissen nicht genau, was schlimmer ist, die massive Beteiligung von Neonazis oder die Tatsache, dass der Großteil dieses offensichtlich rechten Aufmarsches aus “ganz normalen Bürger_innen” besteht.
Wachstumstendenzen
Schon jetzt handelt es sich hierbei um den größten regelmäßig stattfindenden rassistischen Aufmarsch in Berlin und Brandenburg — Tendenz steigend! Er strahlt weit über Rathenow hinaus und mobilisiert inzwischen auch über die Landesgrenzen hinaus regelmäßig Massen — vom Nazikader bis hin zum ganz “normalen Bürger”, während der Widerstand bisher von verhältnismäßig wenigen Schultern getragen wird. Aus dem Aufmarsch heraus kommt es immer wieder zu Übergriffen auf Journalisten und Antifaschist_innen und es ist nur eine Frage der Zeit bis diese Gewaltbereitschaft sich noch andere Bahnen sucht.
Es droht eine hegemoniale Stellung des rechten Mobs in der Region. Denn Fakt ist, um so länger organisierte Neonazis und “besorgte Bürger_innen” eine gemeinsame Wohlfühlveranstaltung haben, um so mehr Raum bietet sich einer permanenten Radikalisierung von Teilen der Bevölkerung.
Brandenburg ist schon jetzt hinter Sachsen und Meck-Pomm, das Bundesland mit den meisten rechten Gewaltdelikten.
Antirassistischer Widerstand
Wir möchten mit euch gemeinsam dieser unerträglichen Situation vor Ort Einhalt gebieten. Es gilt zu verhindern, dass sächsische Zustände um sich greifen. Am 12. Januar plant das „Bürgerbündnis“ wieder eine Demonstration durch Rathenow. Wir wollen die antifaschistischen und antirassistischen Strukturen vor Ort in ihrem Handeln bestärken. Unsere Solidarität soll eine praktische werden, um den Menschen, die seit Monaten regelmäßig eine Gegenkundgebung abhalten, Mut zu geben und sie zu unterstützen.
Es ist längst überfällig dem deutschen Mob entgegenzutreten — In Rathenow und anderswo!
Demonstration am 12. Januar 2016 um 17.45 Uhr vom Bahnhof Rathenow
Zugtreffpunkt Berlin: 15.50 Uhr HBF
Zugtreffpunkt Potsdam: 16.20 Uhr HBF
Zugtreffpunkt Brandenburg Havel: 16.50 Uhr HBF
Plakat: Hier herunterladen.
Flyer: Hier herunterladen.
Weitere Bilder: Presseservice Rathenow

Das Amtsgericht Neuruppin verurteilte heute zwei Funktionäre der NPD zu mehrmonatigen Freiheitsstrafen, die allerdings zur Bewährung ausgesetzt wurden. Den Angeklagten Dave Trick und Pierre B. wurde vorgeworfen am 19. Mai 2014 einen Wahlhelfer der Linkspartei angriffen zu haben. Der Betroffene wurde damals zu Boden geworfen und mit Schlägen malträtiert. Wenige Tage später wurde Dave Trick als Kandidat der NPD in die Stadtverordnetenversammlung von Neuruppin gewählt. Dieses Mandat hat der 28 Jährige bis heute inne. Pierre B. trat in der Vergangenheit mehrfach als Anmelder von neonazistischen Versammlungen sowie als Redner auf derartigen Veranstaltungen in Erscheinung. Im Jahr 2010 war er zudem Ersatzdelegierter für den Landesparteitag der NPD.
Physischer Kommunalwahlkampf

Zur Tatzeit waren beide Angeklagte gerade damit beschäftigt abgehängte Wahlplakate der NPD in der Bechliner Chaussee wieder aufzuhängen, als der betroffene Zeuge zufällig mit dem Fahrrad vorbeifahren wollte. Der später Geschädigte war als Wahlhelfer der Partei DIE.LINKE unterwegs und verteilte deren Werbezeitungen. Als der Betroffene die beiden Neonazis passieren wollte, soll ihn der Angeklagte Dave Trick zunächst vom Fahrrad gestoßen haben. Anschließend soll sich der NPD Mann auf sein Opfer heraufgesetzt und es zusätzlich geschlagen haben. Der Mitangeklagte Pierre B. soll zudem auf den Kopf des Betroffenen eingetreten haben. Wenig glaubhaft war hingegen die bereits im Vorfeld des Prozesses von der NPD thematisierte Schutzbehauptung, dass beide Angeklagten zuvor von dem Linken bespuckt und beleidigt wurden.
Schuld erwiesen

Nach einem äußerst langwierigen Prozess war das Gericht allerdings von der Täterschaft der beiden Angeklagten überzeugt. Es verurteilteDave Trick wegen Körperverletzung und Beleidigung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten, ausgesetzt zu drei Jahren auf Bewährung sowie zur Zahlung einer Geldstrafe von 500,00 €. Der in Nauen (Landkreis Havelland) wohnhafte Pierre B. wurde wegen Körperverletzung zu acht Monaten auf Bewährung und ebenfalls zur Zahlung einer Geldstrafe von 500,00 € verurteilt. Bei B. kam strafverschärfend dazu, dass er bereits strafrechtlich in Erscheinung trat. Am 11. Dezember 2008 soll er Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte geleistet und 2011 eine Straftat vorgetäuscht haben. Beide Delikte zogen Geldstrafen nachsich.
Wir sind keine Gruppe von erfahrenen Antira- Aktivist*innen, sondern trafen uns vor Kurzem im Zuge der »Willkommenseuphorie« und merkten schnell, dass uns vor lauter »Helfen« die politischen Entwicklungen überrollten. Uns wurde klar, dass ohne eine politische Debatte mögliche Analysen und Perspektiven fehlten. Die brauch(t)en wir aber, da wir plötzlich Arbeiten und Aufgaben erledigten, die wir mit einem linksradikalen Selbstverständnis nicht vereinbaren konnten.
Deswegen luden wir zu einem Kongress ein. Wir wollten diskutieren. Und das vor allem mit den Migrant*innen selber. Wir wollten dieser überheblichen Perspektive des »Wir helfen euch Armen« entfliehen und die vergangenen wie die aktuellen Kämpfe von Migrant*innen, aber auch unsere eigenen, in den Mittelpunkt rücken und nach den Verbindungen dazwischen fragen.
Letztlich waren über den Tag verteilt 100 teils organisierte Leute aus Berlin und Brandenburg anwesend. Der Anteil von MigrantInnen war für unseren Erfahrungshorizont recht hoch. Inhaltlich bereiteten wir Thesen und Workshops vor, die in zwei Blöcken über den Tag hinweg parallel liefen.
Einstiegsthesen beim Kongress
1. Die Lagerverwaltung der „Refugees“ hat zwei Ziele: Selbstbestimmte Mobilität von Migrant*innen zu unterbinden, um sie effizient zu registrieren und zu kategorisieren. Gleichzeitig werden sie in einen Status gezwungen (Duldung), in dem sie selbst mobil und flexibel jede Arbeit annehmen müssen. Gelingt ihnen das nicht und es fallen staatliche Kosten an, droht Abschiebung.
2. Vor 25 Jahren gab es bereits eine Verschärfung der Asylgesetze in Deutschland. Die dort erprobten Maßnahmen wurden 10 Jahre später mit den Hartz-Gesetzen in der Breite umgesetzt. Was für die damaligen Asylbewerber*innen an Lebens – Arbeitsbedingungen galt, sollte später für weite Teile der »unteren Berufsgruppen« (auch viele radikale Linke) gelten.
3. Weder gegen die Asylrechtseinschränkungen noch gegen die Hartz-Gesetze gab es erfolgreichen Widerstand, denn soziale oder berufliche Gruppen kämpften politisch isoliert voneinander: Student*innen gegen die Bedingungen an der Uni, Hausbesetzer*innen in ihren Immobilien, die Erzieher*innen & Lehrer*innen in Schule und Kita, die Industriearbeiter*innen in den Fabriken, die von Hartz IV Drangsalierten montags auf der Straße, der Einzelhandel im Supermarkt, die Bahner*innen auf dem Bahnhof und die Migrant*innen gegen Residenzpflicht, Sachgutscheine, Lagerhaltung und Abschiebungen.
4. Die aktuelle Situation stellt uns vor eine ähnliche Entwicklung mit dem Unterschied, dass wir es nicht mit bundesdeutschen, sondern mit weltweiten Verschärfungen der Lebens- und Arbeitsbedingungen zu tun haben.
5. Wir müssen aus den letzten 25 Jahren viel lernen. Zwei Dinge ganz besonders: Dieser Staat kennt nur die kapitalistische Logik. Diese zeigt sich überall: In Waffenexporten, Kriegen, unternehmerischer Lagerverwaltung von Migrant*innen, in den Reformen des Bildungswesens und des Arbeitsmarktes, … Wir müssen uns klar von dieser Logik der Verwaltung und Inwertsetzung distanzieren. Wir können nicht als Verwalter*innen für diesen Staat auftreten. Wir können uns nur auf Augenhöhe begegnen, die zunehmende Verschlechterung der Lebens- und Arbeitsbedingungen in den Mittelpunkt rücken und wieder gemeinsam kämpfen.
Workshops
1. »Experiences in self-organization in Syrian/Kurdistan«
Die »Refugees« sind keine Opfer. Sie sind Subjekte ihrer Geschichte. Die Anschläge in Paris zeigen die Ausweitung des »War on terror« vom Süden in den Norden. Lasst uns aus Syrien lernen, wie sich in solchen Zeiten politisch organisieren lässt.
2. »Experiences in breaking through the croatian border«
Die Erfahrungen in Potsdam zeigen, wie schnell wir in staatliche Strukturen gezogen werden. Eine antistaatliche Organisierung ist nötig. Die Unterstützung an der kroatischen Grenze setzte sich explizit über staatliche Politik hinweg. Aber hat diese Art von Politik ein Perspektive?
3. »Migrant House occupations — a subversive answer or institutionalization?«
Hausbesetzungen eröffnen meist autonome Räume. Erfahrungen aus Italien zeigen jedoch, dass angesichts massiver Wohnungsnot diese Räume nicht per se unabhängig bleiben.
4. »‘Industry of welfare’ of DRK, Caritas, AWO and Co.«
Viele Leute versuchen politische Arbeit mit und für »Geflüchtete« zu leisten. Problematisch ist, dass sie meist gefangen sind zwischen dem Zwang Geld zu verdienen und der kommerziellen Verwaltung von »Geflüchteten«. Die politische Handlungsfähigkeit in solchen Strukturen ist stark begrenzt, nicht wenige verausgaben sich und vereinzeln.
5. »Administration of concurrence — ‘Life’ & Work between ‘Duldung’ & Deportation«
Lohnarbeit ist für »Geflüchtete« die einzige Chance dem Duldungsstatus zu entkommen. Andernfalls droht ihnen die Abschiebung. Zu welchen Arbeitsbedingungen lassen sich die Leute ausbeuten und was hat dies mit den Arbeitsverhältnissen allgemein zu tun?
6. Interregional Mobilization in the Lager
Abschließend stellt sich die folgende Frage: Wie lässt sich mit verstreuten, mehr oder minder organisierten Gruppen gemeinsam politisch handeln? Die Lagerverwaltung ist ein überregionaler Mechanismus, dem wir nur überregional begegnen können.
Zusammenfassung des Feedbacks zum Kongress
Der DIY Charakter des Kongresses sollte eine Ansage sein. Wir wollten ohne Anträge bei irgendwelchen Stiftungen auskommen und auch vermeiden, dass wir uns finanziell ein riesiges Gerüst aufbauen, was uns dann zu bestimmten Formen zwingen kann. Wir wollten sagen: »Hey jede*r kann so einen Kongress ins Leben rufen!«
DIY war aber auch eine Notlösung. Die Vorbereitungsgruppe blieb sehr klein und die Potsdamer Szene konnte trotz ihrer großen Aktivität innerhalb der »Willkommenseuphorie« weder in die Vorbereitung einbezogen noch zur Teilnahme bewegt werden. Dies hat zwei Gründe. Die aktiven Leute sind mit Arbeit und Verantwortung überschüttet und finden keine Zeit für eine politische Auseinandersetzung. Und unsere Idee die politischen Küchentische zu mobilisieren, war eine Illusion. Wir verzichteten bewusst auf Einladungsbündnisse, die in unseren Augen nur Marketing- oder Lippenbekenntnisse sind, sondern sprachen gezielt Wohngemeinschaften an. Wir erhoff(t)en uns eine Debatte unter kritischen Menschen und nicht unter Politiker*innen.
Die Übersetzung während des Kongresses war für uns die größte Herausforderung und hat nur teilweise geklappt. Wichtig war mehrsprachig einzuladen und Englisch als Hauptsprache zu nutzen. Da gerade die älteren Brandenburger*innen, zum Teil aber auch Migrant*innen (die die ganze Zeit drangsaliert werden Deutsch zu lernen) dies nicht gewohnt sind, mussten wir spontan auch andere Lösungen finden. Zwei Dinge haben wir dabei gelernt: 1. Eine gut vorbereitete Moderation ist wichtig, die nicht nur einen Blick für den Inhalt, sondern vor allem für die Leute in der Runde hat. 2. Alle Menschen sollten sich über ihre (nicht) vorhandenen Sprachkenntnisse bewusst sein und im Zweifelsfall Freund*innen mitbringen, die mittels »stiller« Übersetzungen in Diskussionen und Workshops aushelfen können.
Beim Kongress ist sehr deutlich geworden, dass es ein Bedürfnis zu diskutieren gibt. Wir waren überrascht, wie viele Leute bereits am Samstag Morgen teilnahmen. Die Inhalte der Workshops stießen auf positive Resonanz, wobei die eingangs gestellten Thesen nur teilweise inhaltlich bearbeitet wurden. Dies hat vorrangig mit dem »Kommen und Gehen« über den Tag hinweg zu tun und führte letztlich auch zu einer Überforderung im Abschlussplenum. Teilweise wurde beklagt, dass wir nicht zielorientiert auftraten, sondern das Treffen offen formulierten. Wir wollten keinen großen Kongress mit Perspektive anbieten, sondern einen »Stich ins Wespennest« wagen. Rückblickend hätten wir es inhaltlich nicht so breit fächern müssen. Deswegen spitzen wir nun die uns wichtigen Punkte zu. Denn es gibt Redebedarf, es gibt ähnliche Kongresse und es gibt politische Entwicklungen, die wir nicht hinnehmen werden!
Weiter im Stoff – die »eigene Rolle« hinterfragen
Lager abschaffen!
Ausgangspunkt unserer Zweifel und Fragen waren die spezifische Erfahrung und die Beobachtungen, welche wir an unterschiedlichen Stellen in Potsdam machen mussten. Hier zeigte sich zuerst innerhalb der hauptsächlich von der linken Szene in wenigen Tagen aufgebauten Außenstelle der Erstaufnahme, wie schnell wir in staatliche Strukturen gezogen werden und uns plötzlich in der Rolle der Knastaufseher wiederfinden. Kurz darauf bescherte uns die Diskussion um die Errichtung von Leichtbauhallen auf dem Gelände des alternativen Kulturzentrums freiLand die bittere Erkenntnis, dass die Stadtverwaltung bewusst dieses Gelände gewählt hat, in der nicht unbegründeten Hoffnung, dass sich die dortigen Aktiven als dankenswerte Steigbügelhalter_innen eines repressiven Asylsystems erweisen werden. Ähnliche Fälle der Unterbringung in unmittelbarer Nähe zu linken Zentren wurden auch aus anderen Städten berichtet.
Von Lagern außerhalb Deutschlands vermittelte der Workshop zu Erfahrungen an der kroatischen Grenze einen Eindruck. Was als antistaatliche, grenzüberwindende Aktion begann, wurde schnell von sogenannten Sachzwängen bestimmt. Statt politisch frei agieren zu können, wurde man immer wieder auf eine rein versorgende Unterstützung zurückgeworfen. Zudem ließ sich in den drei vor Ort besuchten Lagern folgendes Dilemma formulieren: Während es auf der einen Seite Lager gibt (bspw. Presova/Slowakei), in dem eine chaotische Lage und schlechte hygienische Situation herrscht, aber die Migrant*innen eine mehr oder weniger uneingeschränkte Bewegungsfreiheit haben, existieren auf der anderen Seite Lager (bspw. Dobova/Slowenien), in denen eine erstklassige (auch humanitäre) Infrastruktur und grundlegende Versorgung sicher gestellt ist. Allerdings ist dieses Lager komplett militarisiert und abgeriegelt. Es gibt keine selbstbestimmte Bewegungs- und Handlungsfreiheit.
Unabhängig von den jeweiligen Bedingungen in Lagern und Heimen erweist sich eine politische Mobilisierung in diesen Strukturen als kaum durchführbar. Im Workshop zur interregionalen Lagermobilisierung wurden diesbezüglich kontinuierliche Anstrengungen und Misserfolge der letzten Jahre geschildert. Als besondere Hindernisse wurden die oft schwer erreichbare geografische Lage, die Zugangsverweigerung durch die jeweiligen Betreiber, die starke Fluktuation der Bewohner*innen sowie deren prekäre Lebensumstände benannt.
Als naheliegende Alternative zur Schaffung von freiem, kollektivem Wohnraum gab/gibt es in Potsdam die Idee leer stehende Objekte einer sinnvollen Nutzung zuzuführen. Dafür wollen wir an bereits gemachte Erfahrungen anknüpfen.
Häuser besetzen!
Nicht nur in Italien und Frankreich werden seit Jahren wieder Häuser besetzt, auch in der BRD gibt es wieder Besetzungen. Die Motivation hierfür ist jedoch sehr unterschiedlich. Der Nenner scheint die Migration zu sein. Uns war es wichtig, aus der jüngeren Vergangenheit zu lernen, das »Rad nicht neu zu erfinden« und vor allem nicht bereits begangene Fehler zu kopieren. Hierfür haben wir Erfahrungen von italienischen Hausbesetzungen gesammelt und Leute von der Besetzung in der Ohlauer Straße (Berlin) eingeladen.
Die italienischen Erfahrungen lassen sich in drei Strängen fassen. 1. Die alten besetzten Strukturen sind überfordert oder existieren nicht mehr. Migrant*innen nutzen seit Jahren die Räumlichkeiten, privatisieren diese aber gleichzeitig. 2. Neue Besetzungen werden meist von Linken initiiert und dann für die Migrant*innen geöffnet. Meist geht es hier um die Legalen, die in Italien den kleineren Anteil unter den Migrant*innen ausmachen. Die Häuser sind offiziell besetzt, werden geduldet und italienische Vereine übernehmen dann im Einklang mit dem Staat/der Stadt die »Verwaltung« der Leute. Das heißt, es gibt Geld vom Staat für die Integration der Asylsuchenden. Dies aber nur über den Umweg italienischer Träger. Diesen Job übernehmen meist die Besetzer*innen, also Sprachkurse, Rechtshilfe, Beratung, etc. Hierbei kommt es auch zu Überschneidungen mit der Mafia, die ebenfalls daran verdient. 3. Es gibt Armutsbesetzungen, die oft mit erst kürzlich verarmten Italiener*innen, denen nichts anders übrig bleibt, gemeinsam stattfinden, wobei es weder eine kollektive noch eine wirkliche politische Perspektive gibt. Die Häuser sind oft gut verwaltet und werden von staatlicher/städtischer Seite geduldet.
Die Schulbesetzung in der Ohlauer Straße in Berlin ist drei Jahr her. Im Zuge des Protestcamps auf dem Oranienplatz wurde aufgrund der Wetterlage eine leerstehende Schule besetzt. Es wurde ein festes Gebäude zum Schlafen gebraucht. Die Schule wurde besetzt, der Bürgermeister wurde angerufen und mit dem Kälteschutz-Argument konfrontiert. Das hat funktioniert. Es war eine Doppelbesetzung. Der Hauptteil der Schule war als Unterkunft gedacht, ein kleinerer Teil, ein Pavillon als politischer Aktionsraum. Die Idee ist jedoch nicht aufgegangen, da plötzlich über 300 wohnungslose Menschen meist in Familienzusammenschlüssen kamen, die keinen Beitrag zum vorherigen (oder nachfolgenden) politischen Kampf leisteten. Das hat alle komplett überfordert.
Die Besetzung war keine rechtliche, sondern eine politische Frage. Ein Jahr lang wollte der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg Regeln bestimmen und einführen. Gleichzeitig hat der Bezirk auf Zuspitzung und Eskalation gesetzt. Das hat funktioniert, es kam zwangsläufig zu Streit und einem Toten. Im Zuge dessen gab es mehr Security auf dem Gelände, die die Leute voneinander isolierten, vor allem die Aktivist*innen mit deutschem Pass von denen ohne.
Es sollte ein Haus geöffnet und politische Gruppen eingeladen werden. Das hat nicht funktioniert. Denn schnell war der Großteil des Hauses eine Notunterkunft, in der die individuellen Probleme der Leute wichtiger waren als die politische Dimension, in der sie entstehen. Letztlich haben die Aktivist*innen mit und ohne Migrationserfahrung sehr darunter gelitten, weil sie in eine Situation rutschten, die sie nicht mehr unter Kontrolle hatten, aber auch nicht einfach aufgeben konnten. Ein ähnliches Beispiel des Ausgeliefertseins an scheinbare Sachzwänge wurde aus Frankreich berichtet, wo die Besetzer*innen eines Hauses, das als Frauenschutzraum gedacht war, sich letztlich unfreiwillig als 24/7‑Einlasskontrolleur*innen wiederfanden. Fazit: Es muss sofort von Anfang an um politische Standards gehen. Ein ausschließlich humanitärer Anspruch reicht nicht aus! Denn wohin augenscheinlich »humanitäre« Arbeit ohne politischen Anspruch führt, zeigt uns in makabrer Art und Weise die »Wohlfahrtsindustrie«, die sich derzeit ganz besonders an der Verwaltung von Migrant*innen labt.
»Wohlfahrtsindustrie«? Ohne uns!
»Refugees« sind momentan ein großes Geschäft: Milliarden Euro fließen in Unterbringung, Versorgung, Gebäudereinigung, Sicherheitsdienste, Baugewerbe, Verwaltung, Bullen, Aufrüstung, Sprachkurse, “Staats-Antifa”, Lehrer*innen, Erzieher*innen, etc.
Viele profitieren massiv von der sogenannten »Flüchtlingskrise«. Viele, nur nicht die Betroffenen selbst. Zu den Profiteuren gehören als gemeinnützig eingestufte und private Träger von »Flüchtlings«unterkünften, z.B. das Diakonische Werk, die Arbeiterwohlfahrt, die Caritas, das Deutsche Rote Kreuz und andere. Es ist wichtig zu erkennen, dass es sich hierbei um Unternehmen handelt, deren Umsätze in Millionen gerechnet werden. Jedes einzelne funktioniert mit Hunderttausenden Hauptamtlichen sowie der Unterstützung von mindestens ebenso vielen (meistens jedoch mehr) Ehrenamtlichen. Insgesamt arbeiten für Caritas und Diakonie zusammen, circa 1 Million Menschen. Damit sind sie, nach dem Staat, der zweitgrößte Arbeitgeber in Deutschland. Dabei schlagen diese Unternehmen nicht nur aus Freiwilligen und Angestellten Profit, sondern auch aus den Menschen, die sie »betreuen«. Solche Verbände stellen sich gern als »Wohltäter_innen« dar. Besonders aktuell versuchen sie als »soziale Versorger_innen« von Migrant_innen zu punkten.
In Bund und Ländern werden derzeit Haushalte überarbeitet, um Geld für die »Bewältigung« der sogenannten »Krise« bereitzustellen. Das Geld wandert dann – zumeist über Pauschalen – vom Bund über die Länder und Kreise zu den Kommunen. Verantwortlichkeiten und Gelder werden hin- und hergeschoben bis zur absoluten und scheinbar forcierten Undurchsichtigkeit. Auch bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen wird mittlerweile auf Ausschreibungsstandards verzichtet. Ein Schelm, wer Vetternwirtschaft unterstellt.
Abgesehen von den nur schwer nachvollziehbaren Geldströmen fungieren Träger von »Flüchtlings«unterkünften schlicht als verlängerter Arm des Staates. Sie erfüllen einen staatlichen Auftrag, d.h. Lagerhaltung, Kontrolle, Repression und Ermöglichung von Abschiebung. Es ist eine Irrtum zu glauben, ein menschlicherer Umgang mit den »Geflüchteten« würde daran etwas ändern. Kein*e noch so nette*r Sozialarbeiter*in kann die fehlende Bewegungsfreiheit wett machen oder die Tatsache kompensieren, dass Menschen, die in Deutschland als »Geflüchtete« gelabelt werden, kaum Rechte haben. Selbst wenn Menschen hier im Heim ein paar angenehme Monate haben sollten, in Zeiten von Massenabschiebungen ist das nicht von Bedeutung.
Polemisch gesprochen spielen komfortable Gemeinschaftsunterkünfte mit engagiertem Personal eine noch perfidere Rolle, denn sie verhindern im Zweifelsfall, dass sich die Betroffenen ihrer Entmachtung und Inhaftierung gewahr werden und die Kurve kratzen.
Nun stehen wir vor einer Situation, in der viele Menschen, die sich eigentlich linken und linksradikalen Positionen verpflichtet fühlen, beginnen für solche Träger der Wohlfahrtsindustrie zu arbeiten, in dem Irrglauben, sie täten etwas Gutes.
In diesen Strukturen ökonomisch abhängig zu arbeiten, führt zu einer krassen Reduktion individueller und kollektiver Handlungsfähigkeit.Ein gleichberechtigtes solidarisches Verhältnisses der »Betreuungsperson« zu den »zu betreuenden« Menschen, in diesem Fall Migrant*innen, ist, strukturell bedingt, nicht möglich.
Neben den ökonomischen Vorteilen, welche die staatliche Struktur aus den Netzwerken von Ehrenamtlichen oder schlecht bezahlten, aber engagierten Angestellten zieht, gibt es auch ein großes Interesse an dem Wissen, das in linken Netzwerken und Supportgruppen vorhanden ist.
Indem der Staat ehemals außerstaatliche oder gar antistaatliche Strukturen bezuschusst, zum Beispiel durch Projektfonds, und in die regionalen Verwaltungs- oder Bildungsprogramme einbindet, erhält er aus erster Hand Einblicke in bestimmte Zusammenhänge, die ihm sonst verwehrt bleiben würden. Mit der »Staats-Antifa« Initiative um das Jahr 2000 wurden autonome Antifa-Strukturen angegriffen und nachhaltig geschwächt. 15 Jahre später haben wir es mit der Neuauflage dieses Prinzips, sprich mit einer »Staats-Antira«-Offensive zu tun.
Die Bild-Zeitung titelt »Refugees Welcome«, während über Nacht sämtliche Errungenschaften der selbstorganisierten Kämpfe von Migrant*innen zunichte gemacht werden und das repressivste Asylgesetz in der Geschichte der BRD verabschiedet wird. Hunderttausende Freiwillige übernehmen die Erstversorgung der Neuankommenden und ersparen den lokalen Behörden jede Menge Kosten, während die Menschen von nun an nur entsprechend wirtschaftlicher Verwertbarkeit sortiert werden sollen. Die Rolle der Sozialarbeiter*innen in diesem Kontext ist wieder einmal Befrieden und Verwertbarmachen.
In der Konsequenz kann die Zielvorstellung nur lauten: Heime und Lager abschaffen, Grenzen öffnen, Bewegungsfreiheit für alle.
Genau das sind die Forderungen, die seit Jahrzehnten von selbstorganisierten Migrant*innengruppen formuliert werden und im gesellschaftlichen Diskurs allgemein, aber auch in innerlinken Debatten ungehört untergehen. Viele von uns haben weder Kenntnisse über die Selbstorganisationsstrukturen noch Kontakte zu Migrant*innen(-gruppen). Demzufolge muss der erste Schritt auf dem Weg zu einem gemeinsamen, solidarischen Agieren jetzt erst einmal die Auseinandersetzung mit den bisherigen migrantischen Kämpfen sowie den existierenden Gruppen sein.
Wenn sich linke Menschen trotzdem entscheiden, in die geschilderte Verwaltungsindustrie einzusteigen, müssen sie sich sowohl der Verwertung ihrer Arbeitskraft und ihres Wissens, als auch der möglichen Konsequenzen für ihre politischen Aktivitäten bewusst sein. Sozialarbeit ist meistens Lohnarbeit zu extrem schlechten Bedingungen, die wiederum zu miserablen Konditionen in der jeweiligen Einrichtung führen. Aus diesem Teufelskreis können wir nur ausbrechen, indem die gesamte Logik der staatlichen Flüchtlingsverwaltung – und dazu gehört auch die entsprechende Lohnarbeit/Verwertbarmachung des Menschen – in Frage gestellt wird.
Arbeit verweigern!
Hierbei kommen wir nicht an der Frage vorbei: Wie verdiene ich meine Brötchen?
In Vorbereitung zu einem Workshop haben wir Menschen mit und ohne deutschen Pass zu ihren Möglichkeiten Geld zu verdienen interviewt. Für uns war die These zentral: Die Lagerverwaltung der »Refugees« hat zwei Ziele: Selbstbestimmte Mobilität zu unterbinden, um sie effizient zu registrieren und zu kategorisieren. Gleichzeitig werden sie in einen Status gezwungen (Duldung), in dem sie selbst mobil und flexibel jede Arbeit annehmen müssen. Gelingt ihnen das nicht und es fallen staatliche Kosten an, droht ihnen die Abschiebung.
Wir sprachen länger über das Wechselspiel mit Arbeitsamt und Ausländerbehörde, welche Arbeitsvertragszeiten und Duldungszeiten koppeln. Teilweise führt die Bürokratie zu zirkulären Widersprüchen, da die Leute ohne Arbeit keine Duldung und ohne Duldung keine Arbeit bekommen. Das sind aber nur Randerscheinungen, konkret geht es darum, dass die Leute alle Jobs annehmen müssen, und die Unternehmen sie jederzeit wieder loswerden können. Anders als bei Deutschen, die dann einfach wieder zum Amt gehen (oft weil sie das System auch besser kennen) sind die Migrant*innen durch ihren Duldungsstatus zur Arbeit gezwungen. Erscheinst du nicht auf Arbeit, wird die Duldung nicht verlängert.
Das ist aber nur die eine Seite. Überraschend und neu waren für uns die Dimensionen der Illegalität. Sowohl bei der Registrierung als auch bei der Jobsuche. Das ist sicherlich kein neues Phänomen, aber es drängt sich die Frage auf, die wir auch an uns selber stellen können. In die Illegalität zu gehen bedeutet in die völlige Vereinzelung unterzutauchen. Eine Tatsache, die auch Linke, wenn auch auf einer anderen Ebene, kennen. Wie sollen vereinzelte Leute kämpfen?
Die Antwort müsste lauten: Indem sie über ihren Alltag überhaupt mal reden!
Allgemein glauben die betroffenen Menschen, dass sie durchhalten müssen, wenn nötig auch über Jahre, irgendwann wird es besser. Die Deutschen denken dabei oft an Karriereleitern, Migrant*innen ans schlichte Überleben und das bedeutet Geld zu verdienen.
Doch dieser Durchhaltewille ist eine Selbsttäuschung. Die derzeitige Politik von EU und BRD verfolgt keinen vorgefertigten Plan und ist zugleich auch kein Versagen gegenüber Krisenerscheinungen. Vielmehr zeigt sich eine Transformation des politisch-ökonomischen Systems, zu der man sich nicht nicht verhalten kann. Die stattfindenden Veränderungen drängen jede*n von uns zu einer klaren Positionierung – »Neutralität« ausgeschlossen.
Es wäre ein guter Zeitpunkt mal wieder gemeinsam nach dem »Oben« und »Unten« zu fragen und (gerade als Linke) unser Verhältnis zum Staat zu hinterfragen.
Eure Vorbereitungsgruppe »M. Pitsow« — Januar 2016
„Wir werten den heutigen Tag als großen Erfolg. Die Neonazis konnten ihren Hass und ihre rechte Propaganda nicht wie geplant auf die Straße tragen“, so Christopher Voß, Sprecher der Initiative „Beeskow gegen Rassismus“. Insgesamt haben sich über 200 Personen an den Protesten gegen die rassistische Hetze beteiligt. Die Teilnehmenden bildeten ein Querschnitt der demokratischen Zivilgesellschaft: Geflüchtete, Vertreter_innen von Gewerkschaften, Kirchen, Parteien, Vereinen und auch Einzelpersonen aus der Stadtverwaltung, wie der Bürgermeister Beeskows Frank Steffen, waren anwesend. Zahlreiche Redner_innen machten in ihren Beiträgen klar, dass Beeskow sich der Willkommenskultur für Geflüchtete verpflichtet fühlt. Die Nachricht, dass die Naziroute blockiert sei, wurde auf der Kundgebung der Initiative mit Jubel quittiert.
Die rund 50 Teilnehmenden der extrem rechten Versammlung, unter ihnen maßgeblich Anhänger_innen der Parteien „Der III. Weg“, „Die Rechte“, der „NPD“ und freien Kameradschaften, reagierten aggressiv auf die Blockade ihrer angemeldeten Route. So versuchten die teilweise vermummten Rechten, gewaltsam zu den Gegendemonstrant_innen durchzudringen. Dies wurde von der Polizei vereitelt. Aufgrund der antifaschistischen Blockade wurde die Versammlung der Neonazis beendet.
Die Polizei löste die antifaschistische Blockade anschließend auf und stellte die Personalien aller Beteiligten fest. „Wir halten die Feststellung der Personalien für überzogen. Ziviler Ungehorsam ist ein legitimes Mittel zur Verteidigung einer demokratischen Gesellschaft“ so Christopher Voß.
Obwohl die Teilnehmer_innen der neonazistischen Versammlung gewalttätig waren, wurde etwa 30 Personen eine spontane Kundgebung auf dem Marktplatz gewährt. „Ein Aufmarsch der Neonazis fand heute nicht statt. Das ist der Verdienst von engagierten Antifaschist_innen. Wir werden auch in Zukunft Rassismus und Neonazismus die Stirn bieten. Wir stehen für ein offenes und vielfältiges Beeskow“, so weiter Christopher Voß.
INFORIOT Der erste Aufmarsch im Jahr begann für die Neonazis in Beeskow mit einer großen Pleite. Am letzten Sonntag blockierten Antifaschist_innen die Neonazidemonstration. Später hielten sie eine kleinere Kundgebung am Beeskower Marktplatz ab. Dabei kam es zu einem Übergriff auf einen Gegendemonstranten.

Brauner Schulterschluss kommt nicht gegen Blockade an
Unter dem Motto “Stopp den Asylwahn” hatte die rassistische Facebook-Initiative “Beeskow wehrt sich” für den 3. Januar eine Demonstration durch die Kreisstadt Beeskow (Oder-Spree) angekündigt. Dem Aufruf folgten Neonazis der Kleinstpartei “Der Dritte Weg”, aber auch Vertreter_innen der NPD und der Partei “Die Rechte”. Kurz nach 15 Uhr sollte der Aufmarsch nach einer kleinen Ansprache des Anmelders und “Dritte Weg”-Kaders Michael Fischer vom Bahnhof Beeskow starten. Dazu kam es jedoch nicht, denn knapp 50 Antifaschist_innen blockierten in der Bahnhofsstraße die Route, die in die Innenstadt führen sollte. Einige Meter weiter hielten außerdem 30 Aktivist_innen vom Bündnis “Beeskow gegen Rassismus” eine Kundgebung ab.

Auf Grund der Blockade lösten die Neonazis ihre Versammlung nach etwa einer halben Stunde am Beeskower Bahnhof auf. Ein Großteil der Demonstration lief unkontrolliert und grölend zur antifaschistischen Blockade in der Bahnhofsstraße. Es kam zu Pöbeleien. Die Polizei griff jedoch nicht ein. Die Neonazis versuchten anschließend auf verschiedenen Wegen in Richtung Markplatz zu gelangen.

Aggressive Kundgebung auf dem Marktplatz
Gegen 16.30 Uhr hatten sich inzwischen etwa 30 der zuvor 50 Neonazis zu einer spontanen Kundgebung auf den Beeskower Marktplatz versammelt. Dort sprach die NPDlerin Manuela Kokott. Kokott nahm kein Blatt vor den Mund und hetzte nicht nur gegen Asylsuchende, sondern auch direkt gegen einige Gegendemonstrant_innen, die den Weg zum Marktplatz gefunden hatten und ihren Unmut über die rassistischen Ausfälle der Rednerin Kund taten. Über das Mikrofon beschimpfte Kokott einen Gegendemonstranten und forderte ihn auf, doch “her zu kommen”. Als sich dieser der Neonazikundgebung näherte, wurde er von Kokotts Lebensgefährten Frank Odoy, ebenfalls bei der NPD, erst geschubbst und dann geschlagen. Weitere Naziordner strömten in schnelleren Schritt auf den Gegendemonstranten zu. Die Polizei, die in Beeskow mit einer Hundertschaft im Einsatz war, griff nur zögerlich ein. Der Gegendemonstrant wurde vom Platz geschickt.

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Am 03.01.2016 wollen Rassist_innen der Gruppierung ‘Beeskow wehrt sich’ durch Beeskow marschieren. Als Startpunkt dient ihnen dabei der Bahnhof von Beeskow. Die Initiative “Beeskow gegen Rassismus” ruft alle Bürger_innen dazu auf ein gemeinsames Zeichen der Solidarität mit den Geflüchteten und gegen Rassismus zu setzen. Ab 14:30 Uhr findet in diesem Sinne eine Kundgebung auf dem Parkplatz Bahnhofstraße / Ringstraße statt.
“Wir stehen für ein Beeskow das Geflüchtete willkommen heißt und all jenen, die mit rassistischen Parolen und dumpfen Hass die Atmosphäre vergiften wollen, eine Absage erteilt!”,
so Christopher Voß, Sprecher der Initiative “Beeskow gegen Rassismus”. Auf der Kundgebung werden u.a. Redebeiträge von einem Vertreter der Initiative, des DGB, der DKP, eines Mitgliedes des Landtages sowie der evangelischen Kirchengemeinde Tauche zu hören sein. Für eine musikalische Untermalung ist auch gesorgt.
“Unser Schulterschluss im gemeinsamen Agieren gegen Rassismus und für eine offene Gesellschaft kann als Versprechen für die Zukunft verstanden werden. Wir werden weiter für eine humanistische Flüchtlingspolitik und gegen Rassismus streiten.”
, so Voß.
Der Abgeordnete Gerd Wollenzien hat sich heute aus der Linksfraktion in der Stadtverordnetenversammlung Rathenow zurückgezogen. Er kam damit einem Ausschlussverfahren der Fraktion zuvor.
Teilnahme bei BraMM-Demo?

Wollenzien war zuvor vorgeworfen wurden, sich an einer Demonstration der von den extrem rechten REPUBLIKANERn initiierten und PEGIDA-nahen Vereinigung „Brandenburger für Meinungsfreiheit & Mitbestimmung“ (BraMM) beteiligt zu haben. Er soll dabei eine Flagge der ebenfalls extrem rechten „Identitären Bewegung“ geschwungen haben. Mehrere Personen wollen den Fahnenträger auf Fotos als Gerd Wollenzien identifiziert haben. Er selber bestreitet dies jedoch bisher. Tatsächlich war der Fahnenträger während der BraMM-Demo – übrigens entgegen dem Versammlungsgesetz –vermummt und für Außenstehende nur schwer identifizierbar.

Der Mann mit der „Identitären“-Fahne war allerdings in Begleitung von Wollenziens Sohn Norman unterwegs. Und dieser ist regional mittlerweile kein unbeschriebenes Blatt mehr. Norman W. wurde unlängst vom Polizeidienst in Berlin suspendiert, weil er auf der selben BraMM-Demo ein Schild mit der Aufschrift: „Antirassismus, weltoffen, bunt, Vielfalt sind Kennwörter für weißen Genozid – Europa den Europäern“ getragen hatte. Zuvor war er wegen anderer rechtsradikaler Vorfälle in der Polizei aufgefallen. Darüber hinaus gehört Norman W. dem Kreisvorstand der havelländischen AfD an.
Umstrittener Abgeordneter

Anders als sein Sohn Norman war Gerd Wollenzien bisher parteilos, trat aber seit Jahren auf einer Liste für die Partei DIE.LINKE an. Allerdings war er dort zuletzt auch nicht unumstritten. Am 27. April 2014 stimmte Gerd Wollenzien im Kreistag Havelland, in dem er damals ebenfalls für die Linkspartei saß, beispielsweise gegen den Bau einer Unterkunft für Asylsuchende in Rathenow. Wollenzien sowie ein NPD Kreisrat waren damals übrigens die einzigen Abgeordneten, welche die Unterbringung ablehnten. Seit dem 27. Oktober 2015 nahm Gerd Wollenzien zudem an mehreren flüchtlingsfeindlichen und rechtsoffenen Versammlungen des so genannten „Bürgerbündnisses Havelland“ teil. Er trug dabei mehrfach eine große schwarz-rot-goldene Deutschland-Fahne.
In den vergangenen Monaten lösten sich etliche große Antifazusammenhänge auf und es konnte viel darüber gelesen werden, dass sich die antifaschistische Bewegung in der Krise befindet. Nahezu ausnahmslos wird diese Diskussion nur in größeren Städten geführt, wobei allen klar sein muss, dass gerade außerhalb von Großstädten die Situation mit der in den Städten nur schwer vergleichbar ist und es für viele Dorfantifas, zu denen wir uns auch zählen, ein Schlag ins Gesicht war.
Die Situation in den Großstädten aus Sicht der Dorfantifas
Für viele ist gerade Berlin oder auch Leipzig ein großes Vorbild, sobald es neonazistische Aktivitäten gibt, wird gehandelt. Neonaziaufmärsche werden blockiert. Diese Situation hat sich jedoch in den vergangenen Monaten deutlich geändert, Neonazis und Rassist_innen gehen in die Randbezirke von Berlin und haben dort immer leichtes Spiel, denn viele berliner Antifaschist_innen verlassen die eigene Wohlfühlzone, diese endet häufig am S‑Bahn-Ring, nur selten. Gleichzeitig beobachten wir, dass zahlreiche Antifaschist_innen aus dem Land Brandenburg nicht nur immer und immer wieder nach Berlin fahren sondern auch quer durch das Land Brandenburg um Proteste gegen Neonazis und Rassist_innen zu unterstützen. Dieses solidarische Verhalten muss sich auf die Menschen in Berlin übertragen, denn nur durch eine gelebte Solidarität kann verhindert werden, dass die Dörfer und Städte im Land Brandenburg nach und nach aufgegeben werden müssen.
Durch die starke antifaschistische Szene innerhalb des S‑Bahn-Rings und teilweise gefährliche Situation in zahlreichen Gemeinden und Städten im Land Brandenburg, ziehen immer mehr antifaschistische und linksgerichtete Personen nach Berlin. Sie tun dies nicht nur in der Hoffnung sicher zu sein, sondern auch um politisch weiter voran zu kommen, das Gegenteil ist häufig zu beobachten. Die Menschen versacken in den Szenelokalen, während in ihren Heimatstädten wöchentlich Neonazis und Rassist_innen auf die Straße gehen und Geflüchtete angegriffen werden. Gleichzeitig lähmt sich die Szene durch interne Richtungsstreitigkeiten. Zwar sind Diskussionen notwendig und müssen geführt werden, dies ist jedoch häufig ein Privileg von Großstädten. Wir wollen jedoch die Szenen in Berlin, Leipzig und anderen Städten jedoch nicht allgemein schlecht machen, denn es gibt immer wieder Gruppen, die regelmäßig die Homezone verlassen und ländliche Strukturen unterstützen.
Des Weiteren wurde vor kurzem eine neue Debatte mit dem Spruch „Die Zeit der Sitzblockaden ist vorbei“ aufgemacht. Diese Forderung kann sicherlich vereinzelt unterstützt werden, jedoch muss die Wahl der politischen Mittel auch immer an die Situation vor Ort angepasst werden. Es darf nicht vergessen werden, dass gerade Sitzblockaden in vielen ländlichen Regionen eine gute Möglichkeit sind, um effektiv gegen Neonaziaufmärsche aktiv zu werden. Sie bieten gute Anschlussmöglichkeiten für gemäßigte oder bürgerliche Antifaschist_innen, die in Klein- und Mittelstädten bei Protesten unverzichtbar sind.
Die Situation in Brandenburg an der Havel und den umgebenden Gemeinden
Richten wir den Blick auf Brandenburg an der Havel, einer Stadt mit rund 71.000 Einwohner_innen, scheint die Situation nicht unbedingt schlecht. Es gibt zwar keine wirklichen alternativen, selbstverwalteten Häuser oder Räume, wie sie in anderen brandenburgischen Städten zu finden sind, trotzdem existiert seit den 1990er Jahren eine kontinuierliche antifaschistische Bewegung. Diese ist zwar nicht auf einem gleichbleibenden Niveau aktiv, trotzdem ist sie immer da. Gerade durch diese permanente Arbeit gelang es über die letzten Jahre hinweg die verschiedenen neonazistischen Strukturen immer wieder zurückzudrängen. Zu Beginn des Jahres 2015 waren Antifaschist_innen aus der Havelstadt mit vier aufeinanderfolgenden rassistischen Aufmärschen des lokalen PEGIDA-Ablegers BraMM (Brandenburger für Meinungsfreiheit und Mitbestimmung) konfrontiert und hier zeigte sich ein stark eingeschränkter Handlungsspielraum. Es war eine bittere Erkenntnis, dass es keine entsprechende Reaktion auf bis zu 150 Rassist_innen die durch die Straßen marschierten gegeben hat.
Je weiter wir in die ländlichen Regionen fahren, umso schwieriger wird die Situation. Zum einen werden junge Menschen selten politisiert, da weder linke Strukturen noch etablierte Parteien vor Ort sind und zum anderen finden sich dort häufig Vorurteile gegenüber Geflüchteten und emanzipatorischer Politik. Gleichzeitig dienen kleine Dörfer häufig Neonazis als Rückzugsräume. Sich in kleinen Dörfern als links erkennen zu geben, geht häufig mit Problemen einher und eben darum müssen wir genau diese jungen Menschen unterstützen und ihnen zeigen, dass sie nicht alleine sind.
Eigene Akzente setzen
Wir sind der festen Überzeugung, dass es nicht sinnvoll ist, immer nur den rassistischen und neonazistischen Demonstrationen und Kundgebungen hinterher zu reisen und auf diese zu reagieren, wenn eine antifaschistische Intervention sowieso keine Aussicht auf Erfolg hat. Eine Begleitung dieser Kundgebungen und Demonstrationen aus Recherchezwecken ist jedoch weiterhin sinnvoll und notwendig.
Eine starke antifaschistische Bewegung muss eigene Akzente setzen, sie muss aktiv Politik betreiben und für interessierte Menschen einen Anlaufpunkt bilden. Um Menschen wieder in die Szene zu bekommen, beziehungsweise konsumorientierte Antifaschist_innen wieder aus ihrer Wohlfühlzone herauszuholen, sind politische Angebote unverzichtbar. Aus diesem Grund haben wir uns dafür entschieden nicht nur am Todestag von Sven Beuter eine antifaschistische Demonstration in der Havelstadt zu organisieren, sondern diese mit einer Kampagne zu umgeben. Dadurch wollen wir genau die Leute ansprechen, die sich engagieren wollen, die keine Lust mehr haben einfach nur auf der Couch zu sitzen und sich über die aktuellen Zustände zu echauffieren, sondern aktiv werden möchten. Wir sehen die Demonstrationen als ein klares Signal an alle Dorfantifas nicht aufzugeben und weiter aktiv für eine bessere Welt zu kämpfen. Wir hoffen, dass sich anderen Strukturen im Land dem anschließen und antifaschistische und linke Politik wieder etablieren.
Ausblick
Strategiediskussionen sind notwendig um angemessen auf neue Entwicklungen reagieren zu können, doch sie dürfen nicht dazu führen, dass die Aktionsbereitschaft, gerade im Bezug auf Berliner Randgebiete und den brandenburgischen Outback, sinkt. Neue Strategien nutzen nichts, wenn sie nur partiell umgesetzt werden, da an anderen Orten einfach zu wenig Aktivist_innen vorhanden sind. Auch die Absage an alte, aber gerade auf dem Dorf wirksame, Aktionsformen wie Sitzblockaden, darf nicht absolut sein. Es gab und wird wahrscheinlich nie eine Aktionsform geben, die zu jeder Situation passt. Flexibilität und Solidarität sind probate Mittel, die genutzt werden müssen. Es kann auch nicht nur darum gehen ein Event zu organisieren, damit organisierte Gruppen aus größeren Städten anreisen. Wir brauchen auch Unterstützung bei Kundgebungen und Mahnwachen, denn manchmal sind diese Aktionsformen diejenigen, welche sich für die Gegebenheiten vor Ort am besten eignen.
Gerade im havelländischen Rathenow marschieren alle zwei Wochen 500 bis 600 Rassist_innen und Neonazis. Der bürgerliche Protest schafft es gerade mal 200 Menschen zu mobilisieren. Nun ist es in diesem Fall einfach unrealistisch, Blockaden als Aktionsform zu diskutieren. Dies liegt hauptsächlich an den örtlichen Begebenheiten. Gleichzeitig wäre es ein starkes Signal, wenn organisierte Gruppen gemeinsam mit Menschen vor Ort eine gemeinsame Demonstration organisieren oder die angemeldeten Kundgebungen unterstützen. Antifaschist_innen müssen dahin gehen, wo es den Neonazis und Rassist_innen wehtut und wo es auch gefährlich sein kann, denn Geflüchtete und Dorfantifas leben genau in diesen Städten und Regionen.
Kommt in die Provinz und unterstützt die lokalen Antifaschist_innen!
Solidarität muss praktisch werden!