FRANKFURT (ODER) — Kann man rechte Schläger einschüchtern, wenn man etwa vor dem Bahnhof eine Videokamera aufstellt? Werden Sympathisanten bekehrt, wenn man ein Verbot gegen die NPD ausspricht? Solche Fragen beschäftigen den an der Frankfurter Viadrina tätigen Sozialforscher Michael Minkenberg schon lange. Der Herausgeber des Bandes “Neue Radikale Rechte im Vergleich” möchte sich nicht mehr mit reiner Ursachenforschung begnügen. “Mich interessiert mehr die Frage: Wie geht die Gesellschaft mit dem Phänomen Rechts und rechter Gewalt um?”, sagt er.
Als ihm der Sozialforscher Wilhelm Heitmeyer von der Universität Bielefeld am Rande einer Tagung im Sommer 2001 anbot, in einem Verbundprojekt über Desintegrationsprozesse in modernen Gesellschaften mitzuarbeiten, ergriff Minkenberg die Gelegenheit beim Schopfe. Seit September fördert nun das Bundesbildungsministerium seine Forschungsgruppe über die Wirkung von Repression auf rechtsradikale Gruppen. Minkenbergs Projekt ist eines von 17 in dem vom Bielefelder Heitmeyer geleiteten Verbund über die “Stärkung von Integrationspotenzialen einer modernen Gesellschaft”.
“Unsere Arbeitshypothese ist klar”, erklärt Minkenberg: “Staatliche Repression wie Parteienverbot oder erhöhte Polizeipräsenz führt in der Regel zu ideologischen und organisatorischen Verhärtungen.” Zwar könnten am Rande des rechten Spektrums Mitläufer abgeschreckt werden, doch der harte Kern werde bei steigendem Druck meistens noch mehr radikalisiert. So hätten sich Mitglieder der in den 90er Jahren verbotenen Nationalen Offensive zum Teil wieder in Kameradschaften organisiert, wo sie wieder gewalttätig wurden. Bisher gebe es aber nur Fallbeispiele und keine systematische Forschung. Allerdings hat Friedhelm Neidhardt für linke Gruppen seine These von der “S‑Kurve” vorgelegt. Sie beschreibt linke Aktivitäten und Gewalt in Abhängigkeit von staatlicher Repression als liegendes S. Zu Beginn schreckt der Druck ab. Wird er stärker, kommt es zu Gegenreaktionen, die schließlich in Radikalismen enden. Erst wenn der Staat so stark wird, dass von Freiheit keine Rede mehr sein kann, wird die Gewalt zurückgedrängt. “Wir haben dies bewusst als Hypothese gesetzt”, sagt Minkenberg, “sind aber für jedes Ergebnis offen.”
Zur Forschung gehöre auch die Untersuchung existierender Gruppen in deutschen Städten mit sozialen Brennpunkten. “Wir versuchen, bestehende Kontakte zu benutzen.” Minkenbergs Mitarbeiter, der Antisemitismusforscher Rainer Erb, hat bereits früher Gespräche mit Mitgliedern über ihre Beweggründe geführt. Feste Fragebögen gebe es nicht, wohl aber einige Grundfragen, etwa die, ob Polizeitaktiken innerhalb rechter Gruppen diskutiert würden und wie sie auf jene reagierten. Erste Ergebnisse glaubt Minkenberg schon in einem Jahr vorlegen zu können. Diese sollen auch praktische Folgen haben: “Wir wollen Workshops für Polizisten und Sozialarbeiter organisieren.” Minkenberg könnte sich vorstellen, dass die Studie später in einen Ländervergleich mündet. Interessant fände er den Umgang mit Rassismus in Frankreich: “Auch dort gibt es eine Verbotsdiskussion.”