Potsdam -Rund um das Nauener Tor in Potsdam hatten sich am gestrigen Dienstag auffällig viele Polizisten mit und ohne Uniform gruppiert. Das lag daran, daß vor der 1. Strafkammer im Landgericht ein Prozeß begann, der großes öffentliches Interesse hervorgerufen hat. Angeklagt sind Oliver Oe. (22), Michael G. (22), Marcus Sch. (32), Daniel Ko. (22), Oliver Ka. (22) und Marcell Sch. (23). Die Staatsanwaltschaft wirft den sechs jungen Neonazis versuchten Mord und gefährliche Körperverletzung vor.
Die sechs Angeklagten waren am 3. Juli 2005 gegen halb zwei nachts zusammen mit weiteren Kumpanen nach einer Party im Buga-Park mit der Straßenbahn Linie 92 in Richtung Hauptbahnhof unterwegs, als sie in der Friedrich-Ebert-Straße auf Höhe Brandenburger Straße den 25jährigen Christoph Bl. als »Linken« erkannten, der zusammen mit dem 24jährigen Tamàs Bi. von einer Veranstaltung im »Waschhaus« kam. Nach den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zog Oliver Ka. die Notbremse der Tram. Die Horde sprang aus der Bahn und bildete einen Kreis um ihre Opfer. Ein Mädchen, das noch im jugendlichen Alter ist und sich deshalb mit anderen jugendlichen Tätern in einem gesonderten Prozeß verantworten muß, soll Christoph Bl. eine halbvolle Bierflasche auf den Kopf geschlagen haben, worauf der zu Boden stürzte. Abwechselnd sollen die etwa 15 Neonazis dann auf ihn eingeschlagen und ‑getreten haben, auf den Kopf und auf den Körper. Dabei stießen sie Drohungen aus; Oliver Oe. soll gerufen haben: »Scheiß Zecke, ich mach dich alle, ich mach dich platt!«
Tamás Bi. wagte die Frage: »Was soll das?«, woraufhin auch er gegen eine Wand gedrängt und zu Boden geschlagen wurde. Die Peiniger sollen ihn so lange mit Bierflaschen geschlagen haben, bis diese zerbrachen. Zudem wurden ihm mit einem abgebrochenen Flaschenhals mehrere, bis zu vier Zentimeter lange Schnitte im Gesicht zugefügt. Nach der Gewaltorgie gab einer der Neonazis den Befehl »Abmarsch«, worauf die Gruppe geschlossen abrückte und ihre Opfer ihrem Schicksal überließ.
Bei ihrem Angriff sollen die Angeklagten den Tod von Bl. und Bi. zumindest billigend in Kauf genommen haben. Christoph Bl., der während des Tatgeschehens kurzzeitig bewußtlos gewesen sein soll, hat eine Gehirnerschütterung und multiple Hämatome erlitten. Er war mehrere Wochen in ärztlicher Behandlung. Die Wunden von Tamás Bi. mußten genäht werden, er lag drei Tage im Krankenhaus.
Soweit etwa der Tatverlauf, wie ihn Staatsanwalt Peter Petersen in der Klageschrift schilderte. Zuvor hatten die Verteidiger mit einer Reihe von Anträgen versucht, den Prozeß zu verhindern bzw. zu verzögern. Der absurdeste Antrag war, den Prozeß an einem anderen Ort außerhalb von Brandenburg weiterzuführen, weil in Potsdam die Öffentlichkeit gegen die Angeklagten voreingenommen sei. Nach der Frage des Vorsitzenden Richters, Dr. Frank Tiemann, wo denn der geeignetste Ort sei, antwortete der Antragsteller: »Aurich wäre angenehm«.
Zeugen und Beobachter könnten diesem Wunsch vielleicht sogar zustimmen. Denn die neubraunen Horden könnten dort in Ostfriesland sicherlich nicht die Zuschauerhoheit erringen wie in Potsdam, wo sie gestern die spärlichen 22 Publikumsplätze beherrschten. Und vielleicht gibt es in Aurich auch mehr als acht Plätze für die Presse.