(von Kamil Majchrzak) Als »Nahtstelle zwischen West- und Ost€pa« bezeichnet Oberbürgermeister Martin Patzelt (CDU) den vorgeschobenen Grenzposten Frankfurt/Oder: »Dies verhalf der Stadt zu ihrer Weltoffenheit, die auch heute noch zu spüren ist«, behauptet der OB. Ironisch dürften diese Worte für eine Vielzahl ausländischer Studenten der »Europa-Universität Viadrina« und afrikanischer Migranten klingen, die seit Anfang der 90er Jahre in der deutsch-polnischen Grenzstadt Zielscheibe ausländerfeindlicher Übergriffe sind. Und auch von seiten der Ausländerbehörde stehen sie unter Druck. Aufsehen erregte der Fall des Kenianers Joseph Mathenge, der sich am 23.März aus dem Fenster der Ausländerbehörde stürzte und seither querschnittsgelähmt ist. Mathenge sollte – nur wenige Tage vor seinem Trauungstermin – abgeschoben werden.
Ein weiterer Fall ist der des ukrainischen Wissenschaftlers Igor Panasiuk. Bereits kurz nach Abschluß seines kulturwissenschaftlichen Studiums an der Viadrina 2003 forderte ihn die Ausländerbehörde auf, »seine Sachen zu packen«. Auf ein gerade bewilligtes Begabtenstipendium für seine Doktorarbeit könne er verzichten, hieß es. Ähnlich erging es einigen polnischen Doktoranden, die kurz vor dem EU-Beitritt am 1. Mai 2004 aufgefordert wurden, Deutschland zu verlassen. »Seit Anfang meines Studiums hatte ich nur Probleme mit dieser Behörde«, berichtet Leszek Stachura. »Es kam auch zu amüsanten Szenen: Die zuständige Sachbearbeiterin forderte mich einmal auf, ihr meine Wohnungsschlüssel zu geben, um zu überprüfen, ob ich denn wirklich meinen Doktor in Frankfurt mache.«
Die polnische Studentin Agnieszka Górska ergänzt: »Für uns hat sich die Lage nach dem EU-Beitritt leicht entspannt. Doch umso stärker richtet sich nun der Behördenrassismus gegen Ost€päer und Ausländer, die keinen Studierendenausweis besitzen. Sie werden als Menschen zweiter Klasse behandelt.«
Igor hat mittlerweile seine Doktorarbeit über kulturelle Aspekte der Literaturübersetzung verteidigt und eine Stelle als Übersetzer gefunden. Damit hofft er, seine Habilitation an der Viadrina finanzieren zu können. Die Ausländerbehörde bezweifelt bislang aber die Ernsthaftigkeit des Jobangebotes bei der Übersetzungsfirma PEX, obwohl deren Leiter Romuald Pacak persönlich bei dem Amt vorsprach. »Angeblich bin ich für diese Stelle überqualifiziert«, sagt Igor.
Die Ergebnisse einer Arbeitsmarktüberprüfung sind der Ausländerbehörde laut Arbeitsagentur in einer Stellungnahme mitgeteilt worden. »Wir haben keine Stellungnahme von der Bundesagentur erhalten«, erklärte hingegen der Leiter der Ausländerbehörde Mirko Marschner gegenüber junge Welt. Die Behörde stellte deshalb nach Ablauf der Aufenthaltsgenehmigung lediglich eine »Fiktionsbescheinigung« für einen Monat aus. Der Wissenschaftler befürchtet nun, abgeschoben zu werden: »Nun werde ich noch einen Monat länger – mit scheinheiligen Begründungen – im unklaren gehalten, was mit mir passiert.« So wird es von der Ausländerbehörde seit Jahren gehalten – eine Methode mit System, um die Betroffenen zu verunsichern.
Ausländerbeirat Robin Kendon hat während seiner sechsjährigen Amtszeit viele ähnliche Fälle kennengelernt: »Ausländer, die z.B. eine Aufenthaltserlaubnis wollen, werden immer wieder hingehalten – hat man gerade einen Nachweis erbracht, wird ein neuer verlangt.« Eine Rückkehr in seine Heimatstadt Chmelnizki würde Igor schwer fallen. »Ich lebe seit zwölf Jahren in Deutschland, habe hier Freunde, eine Wohnung, Arbeit, mein ganzes Leben«, erklärt er.
Seit Anfang 1993 sind nach einer Dokumentation der Antirassistischen Initiative (ARI) 162 Menschen auf dem Weg in die Bundesrepublik umgekommen – davon 121 Personen an der Ostgrenze. Diese Opfer werden von den Verantwortlichen genauso tabuisiert wie die Praktiken der Ausländerbehörde. Die Sorge der Stadtväter gilt lediglich dem Image der »Kleiststadt«, das sie mit der Werbeaktion »Freundliches Frankfurt« aufzupolieren suchen. Aufkleber mit diesem Slogan und dem Foto zweier lachender Jungs zieren die Einsatzfahrzeuge der Bundespolizei – gleich neben der Hotline. Unter dieser Nummer können »auffällige, ausländisch aussehende Personen im Grenzgebiet« der Polizei gemeldet werden.