Es war Gabriele Steidl etwas peinlich, als sie die Veranstaltung „Asylmonologe“ am gestrigen Abend im Rathenower Friedrich Ludwig Jahngymnasium eröffnete. Peinlich deshalb, weil die Integrationsbeauftragte des Landkreises Havelland wahrscheinlich mit mehr Menschen rechnete, die ein objektiveres Bild von Asylsuchenden sehen wollten, als nur die klischeehaften Vorurteile und die rassistische Hetze auf NPD Plakaten. Denn schließlich waren diese, laut Frau Steidl, „als überwunden“ geglaubten „Denkmuster“ zum einem im Zuge der aktuellen Diskussion zum Ausbau des Asylheimes in Rathenow und zum Neubau eines Heimes in Premnitz und zum anderen im Zuge der Bundestagswahlen wieder (massiv) ans Tageslicht gelangt.
So versuchte sie die Stimmung des Abends zu retten, in dem sie das Ausbleiben der „üblichen Verdächtigen“ aus Stadt und Aktionsbündnis mit einer zeitgleich stattfindenden, außerordentlichen Sondersitzung zur Lage der Stadtfinanzen, entschuldigte. Die de facto nicht existente Zivilgesellschaft, von der gerne gesprochen wird, oder die Anwohner_innen des Rathenower Asylheimes, die unlängst gegen die Erweiterung der Asylunterkünfte protestierten, wurden offenbar ohnehin nicht erwartet.
Dennoch konnte Frau Steidl immerhin 30 interessierte Menschen, darunter viele Flüchtlinge aus dem Rathenower Heim am Birkenweg, begrüßen.
Asylmonologe: Aus dem Leben von Flüchtlingen
Nach einer kurzen organisatorischen Einleitung, in der unter anderem die Übersetzung der Monologe ins Englische und Französische abgeklärt wurden, betraten drei Schauspieler_innen die Bühne und nahmen an drei vorbereiteten Podien platz. Ein Saxophonspieler positionierte sich am linken Rand. Er sorgte für die musikalische Untermalung von Denkpausen. Rechts lief via Beamer die textalische Übersetzung der Monologe.
Erzählt wurden die authentischen Lebensgeschichten von Safiye aus der Türkei, Ali aus Togo und Felleke aus Äthiopien.
Sie beginnen in der Kindheit, zeigen glückliche Momente in der Heimat, aber auch die ersten Vorboten des Unheils, das folgen wird:
Safiye ist Kurdin alawitischen Glaubens und damit einer unterdrückten und verfolgten Minderheit in der Türkei angehörig. Sie mochte das Leben in ihrem Heimatdorf, erlebte aber auch wie ihr Onkel vom türkischen Militär wegen politischer Aktivitäten verschleppt und anschließend im Gefängnis gefoltert wurde. Später wurde Safiye selber zum Ziel von Militärhandlangern und 1994 inhaftiert. Sie wurde zu elf Jahren Haft verurteilt und u.a. mit Elektroschocks immer wieder gefoltert. Nach ihrer Entlassung floh Safiye in die Bundesrepublik und beantragte dort Asyl, sah sich jedoch auch hier, vor allem durch eine mitunter unmenschliche Gesetzgebung, diskriminiert. Zudem wurde Safiye’s Asylantrag zunächst aufgrund eines Übersetzungsfehlers bei einer Befragung abgelehnt. Dennoch ließ sie sich nicht beirren, kämpfte um ihr Recht und wurde schließlich doch in der Bundesrepublik aufgenommen.
Ali’s Leben begann auf einem Dorf in den der togolesischen Provinz. Später zog es ihn in die Hauptstadt Lomé. Er machte dort eine Schneiderlehre, lernte seine Frau kennen und bekam mit ihr zwei Kinder.
Daneben engagierte sich Ali aber auch politisch, in Opposition zu Togos ehemaligem Diktator Eyadema, nahm an Demonstrationen teil und sprach vor Student_innen. So wurde das Militär auf ihn aufmerksam, verfolgte ihn und durchsuchte seine Wohnung. Ali musste fliehen, kam so in die Bundesrepublik und beantragte Asyl. Lange Zeit lebte er daraufhin in einer Kleinstadt in Mecklenburg und sah sich dort immer wieder Diskriminierungen durch Polizei, Ausländerbehörde und Neonazis ausgesetzt. Schließlich erkrankte er und wurde nur deshalb noch in der Bundesrepublik geduldet. Sein Asylantrag wurde hingegen abgelehnt. Ali ist nun permanent von Abschiebung bedroht, erhält aber immer wieder Unterstützung durch die Flüchtlingshilfsorganisation Karawane.
Auch Felleke’s Leben begann in der Provinz, in einem Dorf in Äthiopien. Er lebte dort glücklich, bis der Krieg gegen Eritrea ausbrach. Das Militär kam nun regelmäßig aufs Land und warb, zum Unwillen der Landbevölkerung, Soldaten an. Einige Männer versteckten sich daraufhin im Wald, um den Häschern zu entgehen. Doch das Militär fackelte nicht lange und zündete den Wald einfach an. Die Männer starben. Darüber geredet werden durfte nicht, wer es trotzdem tat wurde verfolgt. Auch Felleke sollte nun an die Front, floh jedoch mittels eines Visas nach Amsterdam. Dort war er allerdings zunehmender rassistischer Diskriminierung ausgesetzt. Felleke war am verzweifeln. Er überlegte zurückzukehren, es sei doch egal wo man sterbe, in Amsterdam oder Äthiopien. Während des Rückfluges entschied Felleke sich jedoch anders, stieg beim Zwischenstopp in Frankfurt am Main aus dem Flieger und beantragte in der Bundesrepublik Asyl. Doch auch hier wartete bisher kein menschenwürdiges Leben: Katastrophale Zustände im Asylheim, Rassismus und obendrein noch die Ablehnung des Asylantrags. Es folgten immer wieder Abschiebehaft und Ausflugversuche. Dennoch gab Felleke nicht auf und errang 2009 ein Abschiebeverbot.
Diskussion: Vom Monolog zum Dialog
Nach einer kleinen Pause ging es nun zur Diskussion. Ein Vertreter, der am Kreuzberger Oranienplatz campierenden Flüchtlinge, leitete die Runde ein. Er bestätigte die Authentizität der dargestellten Schicksale anhand seiner eigenen Erfahrungen, insbesondere die Erlebnisse mit der Asylbehörde. Er hatte sich deshalb mit vielen anderen Flüchtlingen organisiert und war in einem Protestmarsch von Würzburg nach Berlin gezogen.
Nun meldeten sich auch die anwesenden Flüchtlinge aus dem Rathenower Flüchtlingsheim am Birkenweg zu Wort und berichteten über ihre Situation im Ort.
Adjola aus Ostafrika sieht sich ebenfalls in den Monologen bestätigt. Er empfindet seine allgemeine Situation bedrückend und fühlt sich vor allem durch die Willkürmaßnahmen der Behörden gedemütigt. Insbesondere störe ihn die Residenzpflicht. Diese sei für Brandenburg allerdings längst aufgehoben, wandte hingegen Frau Steidl ein. Dennoch, so die havelländische Integrationsbeauftragte weiter, existiere die Residenzpflicht in anderen Ländern, so in Berlin, weiter fort. Sie, als Lokalverantwortliche sei dagegen jedoch machtlos. Schuld seien die Bundesländer, die sich immer wieder gegen die Abschaffung der Residenzpflicht stemmen.
Eine junge Frau fragt die Flüchtlinge nun, wie es eigentlich mit der Diskriminierung im Alltag aussehe, ob es stimme, dass beispielsweise die Hautfarbe oder Nationalität über den Zugang zu einem Musikclub entscheidet.
Victor, wie Adjola ebenfalls aus Ostafrika, bestätigt die Anfrage. In den meisten Clubs oder Diskos werden Ausweise verlangt und Ausländer_innen dann eben oft nicht reingelassen. Nur in einigen wenigen Lokalen, in denen auch explizit Migrant_innen erwünscht sind, sei ein Einlass möglich.
Eine ältere Frau, die mit Flüchtlingskindern Handball spielt, fragt Victor wie eine bessere Integration dennoch gelingen kann, ob vielleicht gemeinsame Sportaktivitäten eine gute Schnittstelle wären. Victor bestätigt dies, er spielt schließlich in der zweiten Mannschaft des Fußballsportvereins Optik Rathenow. Seine Mannschaftskollegen seien anfangs zwar verschlossen gewesen, öffneten sich dann aber umso schneller, als sie Vertrauen zu ihm gefunden hatten, so Victor. Diesen positiven Erfahrungen steht allerdings ein Erlebnis mit einem älteren Herrn in einer Rathenower Apotheke gegenüber. Dieser habe Victor als „Nigger“ beschimpft.
„Es gibt halt sehr unterschiedliche Leute hier…“
Pressefotos: hier