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Bildung & Kultur Geschichte & Gedenken

100 Jahre Arbeiterfußball – 125 Jahre Arbeitersport“

Gestern erfol­gte vor zahlre­ichen Besuch­ern die Eröff­nung der Ausstel­lung „Der andere Fußball: 100 Jahre Arbeit­er­fußball – 125 Jahre Arbeit­er­sport“ im AWO Kul­turhaus Babelsberg.

Auf Ini­tia­tive der Geschichtswerk­statt Rotes Nowawes und mit Unter­stützung des Fan­pro­jek­tes Babels­berg, der Fußbal­lvere­ine SV Con­cor­dia Nowawes 06 e.V. und SV Babels­berg 03 e.V. sowie der Rosa-Lux­em­burg-Stiftung ist die Ausstel­lung bis zum 15.11.2021 immer Don­ner­stag und Fre­itag je 16 bis 19 Uhr und an den Woch­enend­ta­gen von 13 bis 19 Uhr zu sehen. 

Die Ausstel­lung beleuchtet die Geschichte vom Beginn des Arbeit­er­sports und Arbeit­er­fußballs bis zu sein­er Zer­schla­gung durch die Nation­al­sozial­is­ten. Als Teil der Arbeit­er­sport­be­we­gung hat­te der Arbeit­er­fußball eigene Ver­bände und Vere­ine. Ihren Fußball prak­tizierten sie in eige­nen Ligen mit eige­nen Meisterschaften. 

Auch im ehe­ma­li­gen indus­triell geprägten Nowawes (Babels­berg) gab es eine starke Tra­di­tion der Arbeit­er­be­we­gung, die sich in ein­er Organ­isierung des kul­turellen und sportlichen Lebens aus­drück­te. Dies wird in der Ausstel­lung am Beispiel des Fußball­sports dargestellt. Im Fokus ste­hen dabei die Geschichte des Arbeit­er­sportvere­ins Con­cor­dia, der im Rah­men der Spal­tung des Arbeit­er­sports durch die poli­tis­chen Kämpfe zwis­chen SPD und KPD als ein Vere­in von „Rot-Sport“ neuge­grün­det wurde, aber auch die Gle­ich­schal­tung des heuti­gen SV Babels­berg 03 in den ersten Monat­en des Nation­al­sozial­is­mus mit dem Aus­tausch der Vereinsspitze. 

Auf die bei­den Per­so­n­en Max Graup­n­er und Heinz „Schupo“ Tietz, die den Fußball in Babels­berg maßge­blich prägten, wird in der Ausstel­lung eben­so Bezug genom­men. Außer­dem gibt es zahlre­iche his­torische Exponate zu sehen. Umrun­det wird das Ange­bot der Ausstel­lung durch einige Son­derver­anstal­tun­gen, wie eine Rad­tour zu den Sport­stät­ten und Ver­samm­lungslokalen des Arbeit­er­sports, eine Führung durch das soge­nan­nte Rote Nowawes oder eine his­torische Führung durch das Karl-Liebknecht-Stadion. 

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Antifaschismus Geschichte & Gedenken jüdisches Leben & Antisemitismus

Neonazis betten einen Shoahleugner auf ein jüdisches Grab

Shoahleugn­er unter sich: Horst Mahler zeigt sich nach langer Zeit der Haft mit sein­er Frau Elz­bi­eta und Thomas Wulff beim Begräb­nis für Hen­ry Hafenmayer.

Szenetreffen von Antisemit*innen, Revisionist*innen und Neonazis

Die Urnen-Beiset­zung des jus­tizbekan­nten Shoahleugn­ers Hen­ry Hafen­may­er auf dem Süd­west­kirch­hof in Stahns­dorf war ein Szen­e­tr­e­f­fen von bekan­nten Antisemit*innen, Revisionist*innen und Neon­azis. Viele von ihnen wur­den mehrfach wegen Volksver­het­zung verurteilt. Unter den rund 55 Ver­sam­melten war nicht nur der erst im Okto­ber 2020 nach ein­er über 10-jähri­gen Haft­strafe ent­lassene Horst Mahler mit sein­er Ehe­frau Elz­bi­eta Mahler, auch seine frühere Lebens­ge­fährtin, die mit Berufsver­bot belegte Recht­san­wältin und selb­st wegen Shoahleug­nung und Strafvere­it­elung verurteilte Sylvia Stolz befand sich unter den Trauergästen. Weit­ere Anwe­sende waren der Neon­azi-Kad­er Thomas Wulff, mehrfach wegen Volksver­het­zung und Ver­wen­dens von Kennze­ichen ver­fas­sungswidriger Organ­i­sa­tio­nen verurteilt und der ehe­ma­lige Grund­schullehrer Niko­lai Ner­ling, der sich auf per­fide Ver­anstal­tun­gen spezial­isiert hat, auf denen neben der Präsen­ta­tion von Volk­stänzen und Liedern als ver­meintlich deutsches Volksgut, ins­beson­dere der Nation­al­sozial­is­mus glo­ri­fiziert wird. Ner­ling, der sich den Beina­men „Volk­slehrer“ gegeben hat, wurde erst Ende 2020 wegen Leug­nung der Shoah in der KZ-Gedenkstätte Dachau der Volksver­het­zung recht­skräftig für schuldig gesprochen. Eben­falls mit ein­er Gruppe vor Ort war der gewalt­bere­ite, mehrfach verurteilte Thüringer Neon­azi Michel Fis­ch­er, der für die Klein­partei „Der Dritte Weg“ poli­tisch aktiv war und sich heute in deren Abspal­tung „Neue Stärke“ engagiert. Von der NPD hat­ten sich der ehe­ma­lige Lan­desvor­sitzende Berlin und Mit­be­grün­der der neon­azis­tis­chen Vere­ini­gung „Deutsches Kol­leg“ Uwe Mee­nen, der Vor­sitzende aus Nieder­sach­sen Man­fred DammannRichard Mios­ga oder auch Rigolf Hen­nig einge­fun­den. Let­zter­er war Mit­glied der inter­na­tionalen Shoahleugn­er-Vere­ini­gung „Europäis­che Aktion (EA)“, die als Nach­folge-Organ­i­sa­tion für den „Vere­in zur Reha­bil­i­tierung der wegen Bestre­it­ens des Holo­caust Ver­fol­gten“ (VRBHV) vom Schweiz­er Shoahleugn­er Bern­hard Schaub gegrün­det wurde. Die EA ver­suchte nach ein­er Großrazz­ia ihre Aktiv­itäten mit der Selb­stau­flö­sung 2017 zu ver­schleiern. Weit­ere wegen Volksver­het­zung verurteilte Neon­azis waren der zulet­zt im Jan­u­ar 2021 wegen Leug­nung der Shoah zu ein­er Haft­strafe von 8 Monat­en ohne Bewährung verurteilte Gerd Walther und der gerichts­fest bekan­nte Reichs­bürg­er und Anti­semit Den­nis Ingo Schulz, der via Youtube neon­azis­tis­che Pro­pa­gan­da ver­bre­it­et. Laut Eige­naus­sage wurde Schulz nur wenige Tage vor dem Begräb­nis, am 05.10.2021, zu ein­er Haft­strafe von 14 Monat­en ohne Bewährung verurteilt. Aus Dort­mund waren Pas­cal Ostholte und Matthias Dey­da von der neon­azis­tis­chen Klein­partei „Die Rechte“ angereist, so wie sich auch eine Gruppe aus Ober­hausen einge­fun­den hat­te. Darunter war Thomas Eck­led­er, Vor­sitzen­der des Kreisver­bands „Die Rechte Duis­burg“, der 2019 gemein­sam mit dem hier geehrten Toten Hen­ry Hafen­may­er an einem gewalt­täti­gen Angriff auf Antifaschist*innen beteiligt war. Mit Michele Renouf und Peter Rush­ton nah­men auch Per­so­n­en der inter­na­tionalen Revisionist*innen-Szene an dieser Ver­anstal­tung teil.

Eine bewusste Provokation

Der 1972 in Berlin geborene Hafen­may­er war Teil­nehmer und Red­ner ver­schieden­ster neon­azis­tis­ch­er Ver­samm­lun­gen und lebte in Ober­hausen. Er war Betreiber des Blogs „Ende der Lüge“, wo er anti­semi­tis­che Pam­phlete veröf­fentlichte und den Nation­al­sozial­is­mus glo­ri­fizierte. Dazu insze­nierte er sich gerne auch vor ein­er Hak­enkreuz­fahne. Wie viele andere Ange­hörige dieser Szene, nutzte auch Hafen­may­er Gerichtssäle nicht nur als Bühne zur Ver­bre­itung anti­semi­tis­ch­er Pro­pa­gan­da, son­dern vor allem, um die Gren­zen des Para­graphen § 130 StGB (Volksver­het­zung) aufzuwe­ichen. Er ver­starb laut ein­schlägiger Kanäle am 11. August nach län­ger­er Krankheit in Süddeutschland.

Die Grab­stelle während der Bestat­tung Hafen­may­ers und nach Abgang der Neonazis.

Am Fre­itag, den 08.10.2021 wurde Hafen­may­er in Stahns­dorf bei Pots­dam zwei Monate nach seinem Tod auf dem von der Evan­ge­lis­chen Kirche Berlin-Bran­den­burg-schle­sis­che Ober­lausitz (EKBO) getra­ge­nen und wegen sein­er Geschichte und den his­torischen Grab­mälern auf der Denkmalliste Bran­den­burgs ste­hen­den Fried­hof beige­set­zt. Das Begräb­nis wirft Fra­gen auf – ins­beson­dere weil die Urne des Anti­semiten direkt in das his­torische Grab des 1934 ver­stor­be­nen deutsch-jüdis­chen Musik­wis­senschaftlers Prof. Dr. Max Fried­laen­der gebet­tet wurde. Die Neon­azis hiel­ten vor dem Grab Fried­laen­ders eine Zer­e­monie mit Reden der wegen Volksver­het­zung verurteil­ten Szene­größen Horst Mahler, Sylvia Stolz und Thomas Wulff ab. Dazu wurde der alte Gedenkstein des deutschen Juden schwarz ver­hangen und darauf die per­sön­lichen Dat­en Hafen­may­ers ange­bracht. Auf dem Grab wur­den Kränze mit neon­azis­tis­ch­er Sym­bo­l­ik drapiert sowie die ver­meintliche Wahrheits­find­ung Hafen­may­ers glo­ri­fiziert. Konkret bedeutet das: Die Neon­azis haben vor einem his­torischen jüdis­chen Grab den deutschen Opfermythos zele­bri­ert und die Leug­nung der Shoah zum Wahrheit­skampf erhoben. Während die schwarze Verklei­dung des Gedenksteins nach dem Abgang der Neon­azis ent­fer­nt wurde, blieben Blu­men und Kränze samt der recht­en Sym­bo­l­ik liegen. Ein Kranz ist in den Far­ben schwarz-weiß-rot gehal­ten und trägt eine gle­ich­far­bige Schleife mit Eis­er­nen Kreuzen. Eine weit­ere Schleife glo­ri­fiziert Hafen­may­ers Shoahleug­nung. Zurück­ge­blieben ist ein grotesker Ort, der Zeug­nis darüber ablegt, wie Neon­azis selb­st noch im Tod Jüdin­nen und Juden verhöhnen.

Wie kon­nte das passieren? Die EKBO gibt sich bedeckt, jedoch ist offen­sichtlich, dass die Neon­azis die Grab­stätte Fried­laen­ders bewusst aus­ge­sucht haben. Laut Presse­bericht­en wurde ein zuvor für Hafen­may­ers Urne gefordertes Grab ver­weigert, bevor diese in das Grab von Prof. Dr. Fried­laen­der kam, und zwar ver­mut­lich über ein “Paten­schaftsver­hält­nis”. Davor hieß es dazu wider­sprüch­lich, das Grab sei von den Neon­azis gekauft wor­den. Offen bleibt in jedem Fall, warum die Urne von Hafen­may­er ent­ge­gen der Fried­hof­sor­d­nung fern von seinem Lebens­mit­telpunkt bestat­tet wurde, welche Liegestätte abgelehnt wurde und wer die Pat­en von Fried­laen­ders Grab sind, die offen­bar in die Urnenbestat­tung des Shoahleugn­ers eingewil­ligt haben. Mit­tler­weile spricht die EKBO von einem Fehler und bedauert die Beiset­zung des Shoahleugn­ers Hafen­may­er auf der Grab­stätte des jüdis­chen Wis­senschaftlers. Gle­ichzeit­ig vertei­digt sie die grund­sät­zliche Entschei­dung, eine Bestat­tung Hafen­may­ers auf diesem Fried­hof ermöglicht zu haben, weil  “jed­er Men­sch ein Anrecht auf eine let­zte Ruh­estätte hat.“  Das mag richtig sein, jedoch klingt hier eine Ver­harm­lo­sung der Vorgänge durch. Noch mehr, da nun via Telegram ein Bild ver­bre­it­et wurde, das zeigt, dass die Neon­azis den Anti­semiten Hafen­may­er nicht nur in das Grab des deutschen Juden Max Fried­laen­der geset­zt haben, sie kon­nten ungestört auch die Fried­hof­skapelle in einen Ort der neon­azis­tis­chen Helden­verehrung verwandeln.

Das alles ist eine gezielte anti­semi­tis­che Pro­voka­tion, die hätte ver­hin­dert wer­den müssen. Laut Beobachter*innen vor Ort muss die Fried­hofsver­wal­tung gewusst haben, was hier am Geschehen war. So war die Trauer­feier in der Kapelle offiziell am Fried­hof­sein­gang bekan­nt­gegeben und der Fried­hofsver­wal­ter O. Ihle­feld war selb­st vor Ort. Wenn Hafen­may­er nicht wieder umge­bet­tet wird, ist es den Neon­azis hier nicht nur gelun­gen eine his­torische jüdis­che Grab­stätte zu entwürdi­gen, sie hät­ten sich auch eine zen­tral in Deutsch­land gele­gene Pil­ger­stätte mit hohem Sym­bol­w­ert gesichert, wo jährlich der deutsche Opfermythos und die Erhe­bung über Jüdin­nen und Juden zele­bri­ert wer­den kön­nte. Die EKBO muss han­deln und die Grab­stätte Fried­laen­ders auch für die Zukun­ft schützen. Nur so kann dieser neon­azis­tis­che Wall­fahrt­sort noch ver­hin­dert und die Sym­bo­l­ik der Vorgänge gebrochen wer­den. Laut Fried­hof­sor­d­nung ist die Umbet­tung von Toten innher­halb ein­er bes­timmten Zeit möglich.
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Bildung & Kultur Geschichte & Gedenken

Monolog mit meinem „asozialen“ Großvater

Das Theaterstück Monolog mit meinem »asozialen« Groß­vater han­delt von der vergesse­nen Opfer­gruppe der soge­nan­nten »Asozialen« während der NSZeit. Als »asozial« gal­ten den Nation­al­sozial­is­ten diejeni­gen, die durch ihre Lebensführung ver­meintlich dem »Volk­skör­p­er« schade­ten. Gemeint waren damit meist: Men­schen aus der »Unter­schicht«. Arme, Obdachlose, Suchtkranke, Pros­ti­tu­ierte, Arbeit­slose. Erst 2020 wur­den auch die »Asozialen« vom Bun­destag offiziell als Opfer der NS-Dik­tatur anerkan­nt. Per­sön­liche Zeug­nisse gibt es von ihnen kaum und das Erin­nern an sie kann her­aus­fordernd sein: dem saufend­en Großonkel gedenken, der mitunter gewalt­tätig wurde? Der obdachlosen Groß­mut­ter, die sich prostituierte?

In einem sehr per­sön­lichen Erzählthe­ater spricht der The­ater­ma­ch­er und Päd­a­goge Har­ald Hahn in einfühlsamen Monolo­gen mit seinem ver­stor­be­nen Groß­vater Anton Knödler, der als soge­nan­nter »asozialer« Häftling in Buchen­wald inhaftiert war. Er spricht über das Fam­i­lienge­heim­nis, die Scham und die Zeit in Buchen­wald. Aus­ge­hend von den Monolo­gen schlüpft Har­ald Hahn in die Rolle eines SS Mannes und ver­wan­delt sich zurück in das Kind, das er einst war. Ein schwäbis­ch­er Haus­meis­ter kom­men­tiert das Geschehen und schafft so die Verbindung zwis­chen Geschichte, Schaus­piel­er und ver­meintlich unbeteiligten Zuschauer*innen. Denn die aufge­wor­fe­nen Fra­gen ver­weigern sich dem rein pas­siv­en Kon­sum – sie wollen und sollen alle Anwe­senden mit einbeziehen.

Das Stück dauert etwa 60 Minuten und schließt mit einem etwa 30-minütigen Pub­likums­ge­spräch ab.

http://asozialer-grossvater.de/

Ein­tritt bei Aus­tritt, d.h. Ihr zahlt beim Ver­lassen des Bahn­hofs in die Sammelbüchse/Hut.

Anmel­dung: info@bahnhof-biesenthal.de

Die Hygien­eregeln:
Beim Ein­treten und son­sti­gen Herum­laufen bitte Maske auf­set­zen. Am Platz braucht ihr keine Maske. Es wird regelmäßig gelüftet. treik.org/

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Antifaschismus Geschichte & Gedenken

Brandenburger Baseballschlägerjahre Podcast #3

Liebe Freund:innen und Aktive,

die dritte Folge der Audior­ei­he „Bran­den­burg­er Base­ballschläger­jahre – Wende, rechte Gewalt und Sol­i­dar­ität in Frank­furt (Oder)” ist online und kann über­all gehört wer­den, wo es Pod­casts gibt. Im Gespräch mit Matthias Dörr (Mit­be­grün­der der Umwelt­bib­lio­thek Frank­furt (Oder), damals Haus­be­set­zer, Radiomach­er), Kamil Majchrzak (ehe­mals Stu­dent in Frank­furt (Oder), aktiv im Bere­ich Erin­nerungspoli­tik), Moi­ses Mvua­ma (Palan­ca e.V. – Afrikanis­ch­er Kul­turvere­in, aktiv in anti­ras­sis­tis­ch­er Bil­dungsar­beit), Maria Woj­tas (ehe­mals Migra­tions­ber­atung), geht es um eine Zeit, über die heute viel zu wenig gesprochen wird. Im April 1991 wur­den die Reisebeschränkun­gen für Ein­reisende aus Polen behoben und die Visafrei­heit einge­führt. Ein­her ging die mas­sive rechte Mobil­isierung in Frank­furt (Oder) und zeigte, welch­es gewalt­tätige Aus­maß die rechte Szene in Ost­bran­den­burg ein­nehmen kann.

Der Link zum Pod­cast #3: https://www.opferperspektive.de/aktuelles/bbj-podcast

In der Audior­ei­he “Bran­den­burg­er Base­ballschläger­jahre” sind Gespräche aus unseren Diskus­sionsver­anstal­tun­gen zu hören, die wir gemein­sam mit dem Aktions­bünd­nis Bran­den­burg ver­anstal­tet haben. Die aktuelle Folge ist ein Mitschnitt des Gesprächs vom 18. Mai 2021, das wir in Koop­er­a­tion mit der Part­ner­schaft für Demokratie Frank­furt (Oder) organ­isiert haben. Im Mit­telpunkt der Audior­ei­he ste­hen die Analy­sen und Erfahrun­gen von Zeitzeug:innen zu Ras­sis­mus und rechter Gewalt in den 1990er Jahren sowie die Frage der Solidarität.

Weit­ere Episo­den zum Anhören und Abon­nieren erscheinen in den kom­menden Monat­en bei uns auf der Web­seite, auf der Web­site des Aktions­bünd­nis Bran­den­burg und über­all, wo es Pod­casts gibt, u.a. bei Spo­ti­fy, iTunes, fyyd, Deez­er.

Wir wür­den uns sehr freuen, wenn Ihr auch in euren Social Media Kanälen und über Eure Verteil­er auf diese Pod­cast-Folge hin­weisen würdet.

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Geschichte & Gedenken

Gedenkveranstaltung anlässlich der Novemberpogrome

Am 09.11.1938 und in den fol­gen­den Tagen wur­den im gesamten Deutschen Reich Geschäfte, Woh­nun­gen und Syn­a­gogen ange­grif­f­en, zer­stört bzw. niederge­bran­nt, jüdis­che Men­schen in Konzen­tra­tionslager deportiert und ermordet. Der 09. Novem­ber war ein weit­er­er, sys­tem­a­tis­ch­er Schritt auf dem Weg zur Shoah, welche nur durch die mil­litärische Nieder­lage Deutsch­lands been­det wurde.

Doch auch nach 1945 ist der Anti­semitismus in Deutsch­land geblieben. Allein im Jahr 2020 wur­den im Land Bran­den­burg 141 anti­semi­tis­che Vor­fälle reg­istri­ert. Im Zuge der soge­nan­nten Coro­n­aproteste gehen Holocaustleugner*innen, Reichsbürger*innen, Anhänger*innen von Ver­schwörungserzäh­lun­gen und Neon­azis gemein­sam auf die Straße. Sie alle eint der Anti­semitismus. Sie tra­gen ihn offen zur Schau. In den sozialen Medi­en wer­den anti­semi­tis­che Bilder und Erzäh­lun­gen ver­bre­it­et. Es ist ein his­torisches Ver­säum­nis, in der Ver­gan­gen­heit und auch heute, über latente sowie offene anti­semi­tis­che Äußerun­gen hin­wegzuse­hen. Struk­tureller Anti­semitismus wird als solch­er oft nicht erkan­nt oder bagatel­lisiert. Wir müssen da ein­schre­it­en wo Anti­semitismus anfängt, sei es ein Witz, eine Belei­di­gung oder die Forderung nach der Ver­nich­tung oder dem Boykott des jüdis­chen Staates Israel. Nur mit ein­er aktiv­en Erin­nerungsar­beit kön­nen wir uns das Ver­gan­gene ins Bewusst­sein bringen,mahnen und han­deln. Nach wie vor gilt es jegliche Form des Anti­semitismus kon­se­quent zu the­ma­tisieren und zu bekämpfen.

Gemein­sam wollen wir anlässlich des 83. Jahrestages an die Schreck­en und Fol­gen der Novem­ber­pogrome erinnern.

Kommt am Dien­stag, den 09.11.2021 um 19 Uhr zum Mah­n­mal für die Opfer des Faschis­mus am Platz der Ein­heit in Potsdam.

Erin­nern – Gedenken – Mahnen

Bitte denkt an das Tra­gen eines Mund-Nasen-Schutzes und hal­tet einen Min­destab­stand ein.

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(Anti-)Rassismus Antifaschismus Geschichte & Gedenken Law & Order

Kein Wegschauen! Kein Vergessen!

Am 4.11.2021 jährt sich die Selb­stent­tar­nung des soge­nan­nten Nation­al­sozial­is­tis­chen Unter­grunds zum 10. Mal. Die Täter:innen ermorde­ten min­destens 10 Men­schen zum Opfer: Enver Şimşek, Abdur­rahim Özü­doğru, Süley­man Taşköprü, Habil Kılıç, Mehmet Turgut, İsm­ail Yaşar, Theodor­os Boul­gar­ides, Mehmet Kubaşık, Halit Yoz­gat und Michele Kiesewetter.

Seit­dem ist einiges passiert. Es haben Betrof­fene ihre Stimme erhoben und punk­tuell Sol­i­dar­ität erhal­ten. Aber nur wenig lässt darauf hof­fen, dass in Zukun­ft neon­azis­tis­chen Ter­rorzellen das Mor­den erschw­ert wird.

Hierzu zählt, dass der NSU nicht als Ter­rorzelle in einem Net­zw­erk ver­han­delt wurde, nicht vor Gericht in München und nicht in den diversen Unter­suchungsauss­chüssen der Land­tage in u.a. Bran­den­burg. Es war neben dem gesellschaftlichen Kli­ma der 90er Jahre die Ein­bindung ein­er Vielzahl von Neon­azis, welche das Leben und Mor­den des Kern­trios im soge­nan­nten “Unter­grund” erst ermöglicht­en. Von Krankenkassenkarten bis hin zu Waf­fen und gemein­samen Konz­ertbe­suchen reichte die Zusammenarbeit.

Die Ein­bindung staatlich­er Stellen (vom bspw. Bran­den­bur­gis­chen Ver­fas­sungss­chutz und der Bun­desver­fas­sungss­chutz, bis zum Berlin­er LKA und dem Mil­itärischen Abschir­m­di­enst) bzw. ihr zeitlich gut geplantes “Wegse­hen” wurde und wird nicht angemessen aufgear­beit­et. Es häuften sich die Schred­der­ak­tio­nen in Archiv­en und Beamt:innen mit auf­fal­l­en­den Erin­nerungslück­en, zumeist ohne Kon­se­quen­zen für Lauf­bahn und Leben der daran Beteiligten.

Und auch heute zeigen staatliche Stellen wenig bis kein Inter­esse daran, neon­azis­tisch motiviertes Mor­den zu ver­hin­dern. Anders sind die massen­weise auftre­tenden “Einzelfälle” ras­sis­tis­ch­er und anti­semi­tis­ch­er Chat­grup­pen von Polizist:innen und Soldat:innen nicht zu erk­lären — auch nicht der geringe staatliche Willen zur Aufk­lärung über neon­azis­tis­che Gehe­im­bünde, soge­nan­nte Prep­per­grup­pen, wie die Gruppe Nord­kreuz. Diese Gruppe ver­fügte (und ver­fügt ver­mut­lich immer noch) nicht nur über massen­weise Waf­fen und Muni­tion, son­dern beschaffte sich sog­ar Mate­r­i­al zum Umgang mit Leichen.

Daneben entsch­ied sich in eini­gen Bran­den­burg­er Wahlkreisen jede 4. Wähler:in für die ras­sis­tis­che und min­destens in Teilen faschis­tis­che AfD. Es ist die AfD in Zusam­me­nar­beit mit Teilen der CDU und sog­ar der SPD (Stich­wort Sar­razin), welche den poli­tis­chen Nährbo­den für neon­azis­tis­che Täter bildet. Ange­fan­gen bei Has­skom­mu­nika­tion in sozialen Medi­en über Ent­men­schlichung von Teilen der Bevölkerung und Gewalt- sowie Mord­dro­hun­gen und schlussendlich Morde, haben sich rechte Bedro­hungsal­lianzen gebildet.

Gegen dieses Ungetüm des Gesamt­prob­lems wird keine Polizei, kein soge­nan­nter Ver­fas­sungss­chutz und kein Gericht wirkungsvoll vorge­hen kön­nen oder vorge­hen wollen. Es sind wir, die wir das Gedenken an die Opfer des NSU am Leben erhal­ten müssen, genau­so wie wir es sind, die gegen Neon­azis, Rassist:innen und Antisemit:innen vorge­hen müssen.

Kommt deshalb zur Gedenkkundge­bung und Demo am 04.11.2021 ab 17.00 Uhr am Steuben­platz am Land­tag Brandenburg!

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(Anti)militarismus Antifaschismus Geschichte & Gedenken

VVN-BdA fordert kritische Kommentierung des Glockenspiels

Behauptet wird, damit besitze die Pots­damer Stadt­ge­sellschaft die Chance, anhand orig­i­naler Sub­stanz sich ihrer eige­nen jüng­sten Geschichte zu vergewis­sern und diese weit­er zu erforschen.
Der Anspruch klingt hon­orig, aber er ist geschichtsvergessen und poli­tisch problematisch.
Es han­delt es sich hier nicht um eine „orig­i­nale Sub­stanz“. Die Gar­nisonkirche sel­ber existiert wed­er in ihrer Bausub­stanz, noch in irgendwelchen Über­resten, die denkmals­fähig wären. Das Glock­en­spiel als früher­er Teil der Gar­nison­skirche ist eben­falls eine Nachbildung.
Schon seine Rekon­struk­tion in den 1980er Jahren in der dama­li­gen BRD war ein extrem recht­es Ide­olo­giepro­jekt, das genau darauf abzielte, den ursprünglichen Sym­bol­ge­halt der Gar­nisonkirche aufzu­greifen, um einen Sym­bol­ort für die poli­tis­che Rechte zu schaffen.
Die VVN-BdA und mit ihr Grup­pen und Ini­tia­tiv­en, die sich für eine angemessene Beschäf­ti­gung mit der deutschen Zeit­geschichte engagieren, fordern eine kri­tis­che Kon­tex­tu­al­isierung des Glock­en­spiels. Nur dadurch kann ein­er­seits die durch die Obere Lan­des­denkmal­be­hörde als Grund der Unter­schutzstel­lung genan­nte öffentliche Kon­tro­verse und prob­lema­tis­che Vorgeschichte des Glock­en­spiels sicht­bar gemacht wer­den und gle­icher­maßen der men­schen­feindliche Sym­bol­ge­halt des Glock­en­spiels gebrochen werden.
Wir erwarten von der Lan­deshaupt­stadt Pots­dam, dass sie in einem trans­par­enten und demokratis­chen Prozess Ideen für eine kri­tis­che Ein­bindung des Glock­en­spiels in den Stad­traum entwick­elt. An diesem authen­tis­chen Ort muss Pots­dam Farbe beken­nen, eine geeignete kün­st­lerische Inter­ven­tion oder Kom­men­tierung zulassen und einen Lern‑, Erin­nerungs- und Gedenko­rt schaffen.
Als bun­desweit­er Inter­essen­ver­band der Opfer des NS-Regimes und ihrer Nachkom­men und Unterstützer*innen möcht­en wir zugle­ich unsere Beteili­gung an diesem Prozess einfordern.

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(Anti)militarismus Antifaschismus Geschichte & Gedenken

Diebstahl der Gedenktafel im Gamengrund

Die Bronzetafel, die an das Tre­f­fen von über fün­fzig antifaschis­tis­chen Widerstandskämpfer*innen im Gamen­grund am 24. August 1941 erin­nert, wurde aus ihrer Ver­ankerung geris­sen und gestohlen. Der Gedenko­rt wurde 1974 auf Betreiben des Vor­läufers unser­er Organ­i­sa­tion ein­gerichtet, um an dieses his­torische Tre­f­fen nur wenige Wochen nach dem Über­fall auf die Sow­je­tu­nion zu erin­nern. Ein Großteil der Teil­nehmenden wurde später durch den Ver­rat eines Gestapo-Spitzels festgenom­men. Viele ver­loren durch diesen Ver­rat ihr Leben. Die Deutsche Kom­mu­nis­tis­che Partei (DKP) Straus­berg pflegte in den ver­gan­genen Jahren diesen wichti­gen Gedenkort.

Wol­fram Wet­zig, Sprech­er des Kreisvor­stands Märkisch-Oder­land der Vere­ini­gung der Ver­fol­gten des Naziregimes – Bund der Antifaschist*innen (VVN-BdA) sagte zum Dieb­stahl: „Wir sind wütend und bestürzt über diesen dreis­ten Dieb­stahl. Dieser ist vor dem Hin­ter­grund des diesjähri­gen 80. Jahrestags des Über­falls auf die Sow­je­tu­nion umso ver­ab­scheuungswürdi­ger. Denn genau aus diesem Anlass trafen sich damals die muti­gen Frauen und Männer.“

Der Kreisver­band der VVN-BdA wird sich gemein­sam mit der DKP Straus­berg und dem Stadtver­band der LINKEN für die Anbringung ein­er neuen Tafel ein­set­zen. Zudem wer­den wir auch in diesem Jahr die Widerstandskämpfer*innen im Rah­men unser­er Antifaschis­tis­chen Gedenkwan­derung am 21. August 2021 von Tiefensee nach Straus­berg würdigen.

Inschrift der gestohle­nen Bronzetafel

Lasst die Toten in euren Tat­en leben!

Am 24. August trafen sich hier im Forst ille­gal über 50 Berlin­er Antifaschisten.

Im Feb­ru­ar 1942 wur­den viele dieser Genossen durch Ver­rat der Gestapo ausgeliefert.

Zu ihnen gehörten:

Dr. Josef Römer geb. 17.12. 1892 hin­gerichtet an 25.9.1944

Willy Sachse „ 7.1.1896 „ „ „ 21.8.1944

Fritz Riedel „ 1.3.1908 „ „ „ 21.8.1944

Kurt Rit­ter „ 31.12.1909 „ „ „ 28.9.1944

Ihr Helden­hafter Kampf wurde unsere Wirklichkeit

 

Unsere Pressemit­teilung war Anlass für die MOZ einen Artikel über die geklaute Tafel und ihre Geschichte zu schreiben: https://www.moz.de/lokales/strausberg/diebstahl-gedenktafel-fuer-widerstandskaempfer-gegen-nazis-bei-strausberg-gestohlen-58611789.html

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Antifaschismus Geschichte & Gedenken

Erich Mühsam Gedenktag in Oranienburg

Dieses Jahr jährt sich der Todestag von Erich Müh­sam zum 87ten Mal. Er wurde 1934 im KZ Oranien­burg von Faschis­ten grausam gefoltert und ermordet.

Wir möcht­en sein­er gedenken und sicht­bar machen, dass es dieses KZ (was viele nicht ken­nen) mit­ten in unser­er Stadt gegeben hat. Kein Men­sch kann mehr sagen, er hätte davon nichts gewusst.

Gegen das Vergessen!
Nie wieder Faschismus!

Eine Koop­er­a­tion des Forums gegen Ras­sis­mus und rechte Gewalt Oranien­burg mit der Linksju­gend, den Jusos und dem JBR.

Die Ver­anstal­tung wird gefördert im Rah­men des Jugend­fonds der Part­ner­schaft für Demokratie im Land­kreis Oberhavel.

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Zwischen Gedenken und Gefahr

Gün­ter Morsch ist 68 Jahre alt, aber er sieht jünger aus. Er hat eine kräftige Statur, Voll­bart und trägt eine Horn­brille. Der His­torik­er hat die Gedenkstätte und Muse­um Sach­sen­hausen geleit­et. Nun ist er in Rente und kön­nte seinen Ruh­e­s­tand genießen, doch da ist noch etwas.

Gün­ter Morsch stand auf ein­er der Lis­ten des NSU, auf denen die Ter­ror­is­ten um Beate Zschäpe aufgeschrieben hat­ten, wer in ihr Ziel­raster passte, wen sie töten woll­ten oder zumin­d­est ins Auge gefasst hat­ten: Türken, sozial engagierte Men­schen – und eben Gün­ter Morsch.

Bis zur E‑Mail aus dem Reporterteam von CORRECTIV hat nie­mand mit ihm darüber gere­det, dass er ein möglich­es Opfer der Recht­ster­ror­is­ten war. Gün­ter Morsch wusste nichts. Nie­mand hat ihm Bescheid gesagt, mit ihm gere­det. Und das beschäftigt ihn.     

Angesichts der guten Zusam­me­nar­beit mit der Polizei in mein­er Zeit als Gedenkstät­ten­leit­er und Stiftungs­di­rek­tor war ich wirk­lich ent­täuscht“, sagt Morsch. Das tut weh. Die guten Kon­tak­te zu den Behör­den waren ein wichtiger Bestandteil sein­er Arbeit, sagt His­torik­er Morsch. Immer wieder war Recht­sex­trem­is­mus sein The­ma. Von 1993 bis 2018 leit­ete er die „Gedenkstätte und Muse­um Sach­sen­hausen“ in Bran­den­burg. Jährlich kom­men rund 700.000 Men­schen hier­her. Ab 1997 war Morsch als Direk­tor der Stiftung Bran­den­bur­gis­che Gedenkstät­ten (SBG) zusät­zlich für vier weit­ere Orte verantwortlich.

Ursprünglich kommt Morsch aus dem Saar­land, das hört man heute noch. Er kam sieben Jahre nach Kriegsende auf die Welt. „Wir sind in der Auseinan­der­set­zung mit der nation­al­sozial­is­tis­chen Ver­gan­gen­heit groß gewor­den, das prägte meine Jugend stark“, sagt Morsch. In sein­er Gemeinde lebten damals rund 2.000 Leute, zu ver­steck­en gab es da nicht viel: „Anders als in ein­er Großs­tadt sind in einem über­schaubaren Dorf, in dem jed­er jeden ken­nt, die Anhänger und Träger der NS-Bewe­gung und des NS-Staates auch viele Jahre später noch namentlich bekan­nt.“ Es war selb­stver­ständlich, dass der Bürg­er­meis­ter früher bei der NSDAP war und die lokalen Eliten bei SA, SS und anderen Organ­i­sa­tio­nen, sagt Morsch. Die meis­ten hät­ten sich damit arrang­iert, eine Auseinan­der­set­zung damit sei immer eine Sache von Min­der­heit­en gewe­sen. „Von daher war man immer das, was man bis heute Nest­beschmutzer nen­nt.“ Der Stre­it um die NS-Ver­gan­gen­heit sei deshalb lei­der nicht immer nur mündlich, son­dern „vere­inzelt auch physisch“ aus­ge­tra­gen worden.

Später studierte er in Berlin, arbeit­ete an his­torischen Ausstel­lun­gen mit und war Ref­er­ent für Erwach­se­nen­bil­dung. Dann ver­brachte er fünf Jahre am Indus­triemu­se­um im nor­drhein-west­fälis­chen Ober­hausen. Als His­torik­er und Ausstel­lungs­mach­er, der sich viel mit dem Nation­al­sozial­is­mus beschäftigt hat­te, kam er schließlich zum früheren „Konzen­tra­tionslager bei der Reichshaupt­stadt“, wie Sach­sen­hausen zur NS-Zeit genan­nt wurde.

Morsch betont immer wieder, wie her­vor­ra­gend in seinen Augen seine Koop­er­a­tion als Gedenkstät­ten­leit­er nicht nur mit Poli­tik und Lan­deskrim­i­nalamt (LKA), son­dern auch mit dem Ver­fas­sungss­chutz lief. Und das, obwohl ger­ade das Lan­desamt in Bran­den­burg im Zusam­men­hang mit dem NSU beson­ders in der Kri­tik ste­ht, da es die Fes­t­nahme von Beate Zschäpe, Uwe Mund­los und Uwe Böhn­hardt behin­dert haben soll. Als die Thüringer Polizei die drei 1998 per Haft­be­fehl suchte, ver­weigerten ihr die bran­den­bur­gis­chen Ver­fas­sungss­chützer Infor­ma­tio­nen zu einem V‑Mann aus dem NSU-Umfeld, der die Ermit­tler zum Aufen­thalt­sort des Trios hätte führen können.

Als Morsch von dem Ein­trag mit seinem Namen erfuhr, schrieb er einen Brief an den Innen­min­is­ter von Bran­den­burg, Michael Stüb­gen (CDU). Ein per­sön­lich­er Ref­er­ent antwortete inner­halb weniger Tage, kurz darauf auch jemand von der Polizei: Wir küm­mern uns, hieß es. Einige Wochen später wollen zwei Beamte vom Bun­deskrim­i­nalamt (BKA) aus Meck­en­heim in Nor­drhein-West­falen anreisen, um mit ihm in der Polizei­hochschule in Oranien­burg zu sprechen. Es sind einige Wochen des Wartens, des Nachdenkens.

Schon ein­mal war Morsch auf ein­er Fein­desliste, Anfang der Nuller­jahre bei „Alter­me­dia“: ein inter­na­tionales Neon­azi-Por­tal, das 2016 ver­boten wurde. „Wenn der Name ‚Morsch‘ fällt, geht das Mess­er in der Tasche auf“, hieß es dort über ihn. Auch über diesen Ein­trag wurde Morsch nie informiert, er ent­deck­te ihn selb­st. Weil er wusste, dass er für Recht­sex­treme eine exponierte Fig­ur war, suchte er früher sys­tem­a­tisch nach seinem Namen im Inter­net. Angst hat­te er nie, sagt er, auch beson­dere Sicher­heitsvorkehrun­gen traf er nicht: Kein Name auf dem Klin­gelschild, keine Num­mer im Tele­fon­buch – das war‘s.

Gün­ter Morsch hat viel erlebt in seinen mehr als 25 Jahren als Leit­er der Gedenkstätte im 1936 errichteten Sach­sen­hausen. SS-Chef Hein­rich Himm­ler nan­nte es ein „vol­lkom­men neues, jed­erzeit erweiterungs­fähiges, mod­ernes und neuzeitlich­es Konzen­tra­tionslager“. Mehr als 20.000 Men­schen kamen dort bis Kriegsende ums Leben. Von 1945 bis 1950 diente es dann als sow­jetis­ches Spezial­lager. Dort waren rund 60.000 Men­schen inhaftiert, vor allem „untere und mit­tlere NS-Funk­tionäre“. Cir­ca 12.000 von ihnen star­ben in den fünf Jahren, vor allem an Hunger und Krankheit­en, Anfang der 90er wur­den Mas­sen­gräber ent­deckt. An den Gräbern der Häftlinge kam es später zu Ver­anstal­tun­gen mit Hak­enkreuzen und Hit­ler­grüßen. Neon­azis ver­sucht­en, Lager und Opfer für nation­al­sozial­is­tis­che Pro­pa­gan­da zu instru­men­tal­isieren. Seit­ens der Opfer­ver­bände gab es kaum Wider­stand, erzählt Morsch. Im Gegen­teil, sie hät­ten die Toten­zahlen über­trieben, wis­senschaftliche Erken­nt­nisse über die Geschichte des Spezial­lagers bestrit­ten und manche Per­so­n­en aus dem Vor­stand von Ver­bän­den hät­ten sog­ar die Exis­tenz von Gaskam­mern in Zweifel gezo­gen. Er ver­mutet, dass es diese per­ma­nente Auseinan­der­set­zung um die Geschichte war, die ihn zur Zielscheibe von Recht­sex­tremen machte.

Wir haben vor allem in den 90er Jahren in der Stadt und in den Gedenkstät­ten Bran­den­burgs fast die gesamte Palette an recht­sex­tremen, ras­sis­tis­chen und anti­semi­tis­chen Aktiv­itäten erfahren müssen“, sagt er. Im Herb­st 1992 zün­de­ten zwei Neon­azis eine Baracke an, in der früher Juden inhaftiert waren. Prak­tisch genau zehn Jahre nach der Tat fand ein weit­er­er Bran­dan­schlag statt, dies­mal auf die KZ–Gedenkstätte im Below­er Wald, für die Morsch eben­falls ver­ant­wortlich war. Auf eine Erin­nerungsstele sprüht­en die Täter SS-Runen und ein Hak­enkreuz, daneben schrieben sie: „Juden haben kurze Beine.“ Auch andere Gedenk­tafeln in Bran­den­burg wur­den immer wieder beschädigt. Ins­ge­samt seien die Angriffe seit Ende der 90er Jahre aber deut­lich zurück­ge­gan­gen, sagt Morsch. Zwei Aspek­te seien damals entschei­dend gewe­sen und auch heute noch wichtig beim Kampf gegen Recht­sex­trem­is­mus: die Her­aus­bil­dung ein­er „Bürg­erge­sellschaft“, die sich deut­lich posi­tion­iert – und eine entsch­iedene Poli­tik des Staates.

Als Morsch in Oranien­burg anf­ing, war die Stadt ein Neon­azi-Hotspot. So ste­ht es im Bericht des Ver­fas­sungss­chutzes. Bürg­er­meis­ter hät­ten das Prob­lem anfangs nicht wahrhaben wollen. Das änderte sich irgend­wann: „Entschei­dend war, dass die Men­schen anerkan­nten, dass die Neon­azis zum Teil ihre eige­nen Kinder sind und dass es sich um ein struk­turelles Prob­lem han­delt, das man nicht ein­fach irgend­wohin abschieben kann.“ Auch Polizei und Jus­tiz seien entsch­ieden gegen Recht­sex­trem­is­mus vorge­gan­gen. Zum Ende sein­er Amt­szeit hin habe es dann keine nen­nenswerten Skan­dale mehr gegeben – mit Aus­nahme ein­er Besucher­gruppe, die 2018 auf Ein­ladung von AfD-Bun­destags­frak­tion­schefin Alice Wei­del in der Region war. Sie wur­den wegen Störun­gen der Gedenkstätte ver­wiesen, ein Mann zweifelte die Exis­tenz von Gaskam­mern an und wurde später zu ein­er Geld­strafe von 4.000 Euro wegen Volksver­het­zung und Störung der Toten­ruhe verurteilt.

Heute sei für ihn das Beun­ruhi­gend­ste, wenn der Staat von Recht­sex­tremen durch­set­zt werde. „Jed­er Vor­fall, der belegt, dass der Staat und die Gesellschaft auf dem recht­en Auge schwäch­er sehen oder blind sind, ist eine ern­sthafte Bedro­hung für die Demokratie“, sagt Morsch hin­sichtlich der aktuellen Entwick­lun­gen in der Bun­deswehr, der Polizei und der Jus­tiz. Recht­sex­trem­is­mus und Recht­ster­ror­is­mus wür­den unter­schätzt. „Es erbost mich immer wieder, wenn ich zu sehen glaube, dass es offen­sichtlich erst durch den Mord an einem bedeu­ten­den Poli­tik­er ein wirk­lich­es Umdenken in maßge­blichen Teilen unseres Staates und der Gesellschaft gegeben hat“, sagt Morsch. Er macht sich Sor­gen, ist aber auch Opti­mist: „Ich ver­traue den Regeln der Demokratie und des Rechtsstaates und darauf, dass die In-
stru­mente, die wir zur Ver­fü­gung haben, wenn wir sie denn auch nutzen und auss­chöpfen, zu einem pos­i­tiv­en Ergeb­nis let­ztlich führen.“

Morsch befür­wortet eine Weit­er­bil­dungspflicht für Bedi­en­stete in öffentlichen Stellen, etwa Polizei, Jus­tiz, Bun­deswehr. Wer in den höheren Dienst der Polizei in Bran­den­burg will, beschäftigt sich in der Regel mit der Geschichte der Polizei im NS-Staat –  in Koop­er­a­tion mit der Gedenkstätte. Das Pro­jekt sei damals ein Pio­nier­pro­jekt gewe­sen, heute werde Ähn­lich­es in mehreren Bun­deslän­dern gemacht. „Solange unsere Gesellschaft mit Min­der­heit­en so umge­ht, wie sie es tut, so lange bleibt auch die Geschichte des Nation­al­sozial­is­mus aktuell“, sagt Morsch. Als Lehrbeauf­tragter zu NS-The­men an der Freien Uni­ver­sität in Berlin leis­tet er auch in der Rente noch immer seinen Beitrag dazu.

Wie angekündigt tre­f­fen sich im Herb­st zwei BKA-Beamte mit Morsch, um über seinen Namen auf der Fein­desliste zu sprechen. Zwei LKA-Beamte sind bei dem Gespräch in der Polizei­hochschule Oranien­burg eben­falls dabei.

Ich habe das Tre­f­fen als sehr nüt­zlich und auf­schlussre­ich emp­fun­den und bin nun doch einiger­maßen beruhigt“, sagt Morsch. Die Beamten hät­ten für ihn überzeu­gend dargelegt, dass die aus ver­schiede­nen Doku­menten beste­hende Samm­lung von Namen noch keine „Todesliste“ darstelle, wie das häu­fig berichtet wor­den sei. Die Beamten hiel­ten eine Weit­er­ver­wen­dung der vom NSU angelegten Daten­samm­lun­gen in der recht­sex­tremen Szene für höchst unwahrschein­lich. Morsch zufolge sagten die Behör­den­vertreter zudem, das Kreuz hin­ter seinem Namen habe keine Her­vorhe­bung bedeutet, „son­dern eher im Gegen­teil“. Schließlich habe der NSU sich entsch­ieden, in erster Lin­ie Migranten zu töten, daher sei die hand­schriftliche Notierung seines Namens, mut­maßlich durch Uwe Böhn­hardt, ohne Kon­se­quen­zen geblieben, ein Anschlag nicht ern­sthaft erwogen worden.

Über die Ver­gan­gen­heit Bescheid zu wis­sen, sei heute noch hil­fre­ich, sagt Morsch. Aber man dürfe sie auch nicht als Topfdeck­el nehmen, in den man die Gegen­wart hinein­presse. Morsch for­muliert es so: „Wer die Geschichte nur als ein Instru­ment von aktueller Poli­tik begreift und nicht nach his­torischen Ursachen und Zusam­men­hän­gen fragt, der kommt erst gar nicht darauf, bes­timmte Fra­gen an die Gegen­wart zu stellen.“

Inforiot