Nach der rassistischen Demonstration von „Zukunft Heimat“ am Sonnabend
in Cottbus kam es zu Bedrohungen gegen Mitarbeiter_innen der
Opferperspektive e.V. Die Berater_innen für Betroffene rechter Gewalt
wurden im Rahmen ihrer Berufsausübung zum Ziel gewalttätiger
Demonstrationsteilnehmer_innen.
Die Berater_innen wurden Zeug_innen des Angriffs auf eine Journalistin
durch einen bekannten Cottbusser Hooligan. Dieser stieß die Betroffene
von einer Bank, so dass sie zu Fall kam. Die Berater_innen begaben sich
zu der angegriffenen Person, um sie u.a. bei der Aufgabe einer
Strafanzeige zu unterstützen. Ein sie begleitender Sozialarbeiter der
Stadt Cottbus wurde in dieser Situation durch einen rechten
Fußballanhänger angerempelt, so dass sein Handy zu Boden fiel und
beschädigt wurde.
Während der Anzeigenaufnahme wurden die Journalistin, der Sozialarbeiter
und die Mitarbeiter_innen der Opferperspektive durch rechte
Demonstrantinnen beleidigt und gefilmt. Diese Täter_innengruppe hatte
schon während der Demonstration eine weitere Journalistin angespuckt und
beleidigt.
Nachdem die Strafanzeige aufgegeben wurde, verließen die Berater_innen
den Platz. Dabei wurden sie von einer Gruppe Hooligans bis zum Parkhaus
verfolgt und sexistisch beleidigt und beschimpft. Einer der Beteiligten
war bereits im Sommer 2017 bei einer Demonstration von „Zukunft Heimat“
im Zusammenhang mit einem gewalttätigen Übergriff aufgefallen. Erst als
erneut die Polizei zur Hilfe gerufen wurde, ließen die Hooligans von den
Mitarbeiter_innen der Opferperspektive ab.
„Aus unserer Sicht ging es den Täter_innen darum, eine Atmosphäre der
Bedrohung aufzubauen. Die Täter_innen benutzen gezielt ihr Image als
bekannte Gewalttäter, um Menschen, die sich dem rassistischen Klima und
der rechten Gewalt in Cottbus entgegenstellen könnten, einzuschüchtern.“
erklärte dazu die Geschäftsführerin der Opferperspektive e.V. Judith
Porath.
Die Berater_innen der Opferperspektive waren am Samstag in Cottbus, um
die Demonstration zu beobachten, weil dort rechte Übergriffe zu erwarten
waren. Die Opferperspektive berichtet seit drei Jahren von einem
Anwachsen rassistischer Stimmungen in Cottbus und warnt vor einer
rechten Gewalteskalation.
„Die Ereignisse nach der Demonstration verdeutlichen, dass es sich
hierbei nicht um die Artikulation berechtigter Sorgen handelt, sondern
um den Versuch, in Cottbus eine rechte Hegemonie zu manifestieren und
Ausländer_innen aus der Stadt zu vertreiben. In dieser Situation muss das
Handeln staatlicher und kommunaler Stellen davon bestimmt sein,
demokratische Verhältnisse und die Sicherheit aller Einwohner_innen
Cottbus zu garantieren. Es bedarf spätestens jetzt einer abgestimmten
Strategie gegen das Klima rassistischer Gewalt in Cottbus. Der Verein
Opferperspektive e.V. stellt unmissverständlich klar, dass wir rechte
Einschüchterungsversuche nicht stillschweigend hinnehmen und Betroffene
rechter Gewalt in Cottbus solidarisch unterstützen werden,“ so Porath
weiter.
Kategorie: Law & Order
„Deshalb wende ich mich auch ganz dezidiert gegen die Ausgrenzung anders
orientierter gesellschaftlicher Gruppen, solange sie nicht als
verfassungsfeindlich gelten.“ [1] Diese Worte sprach der Präsident der
Universität Potsdam beim Neujahrsempfang 2018. Doch wer entscheidet an
der Uni eigentlich über Verfassungsfeindlichkeit und vor allem wie?
Am 10.01.2018 wurde der Neonazi Tom Fischer durch die AR_P//U
(Antifaschistische Recherche_Potsdam//Umland) geoutet [2]. Fischer
studiert seit 4 Jahren Philosophie an der Universität Potsdam und
fungiert derzeit als Kickboxtrainer beim Hochschulsport. In dem
veröffentlichten Text wird eindeutig gefordert, die Trainertätigkeit von
Fischer zu beenden: „Als Trainer ist Tom Fischer im Hochschulsport nicht
haltbar. Aus einfachsten politischen Erwägungen und mit Rücksicht auf
andere Studierende ist den Verantwortlichen dringendst nahegelegt, das
Verhältnis mit Fischer umgehend zu beenden“[2]. Doch wie reagierte die
Universität und der Hochschulsport?
Sie stellten sich bereitwillig vor Fischer, indem sie als adäquate
Beweisquelle den Verfassungsschutz Brandenburg benannten [3]. Genau
dieser Verfassungsschutz, der in den letzten Monaten und Jahren heftig
in Kritik geraten ist. Ein prominentes Beispiel sind die Verstrickungen
des brandenburgischen Verfassungsschutz im NSU Komplex und eine
unverantwortliche Zusammenarbeit mit dem V‑Mann Carsten Szczepanski
(alias „Piatto“) [4]. Der Verfassungsschutz Brandenburg trägt eine
Mitverantwortung, dass ein Teil der NSU-Gruppierung untertauchen und in
den Jahren 2000 bis 2007 morden konnte. Auch der Bundesverfassungsschutz
war nicht in der Lage zehn rassistisch motivierte Morde zu verhindern,
obwohl es bereits 1998 schon Hinweise auf den Aufenthaltsort des
NSU-Trios, bestehend aus Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe, gab [5].
Und jetzt argumentiert die Universität Potsdam – mithilfe von nicht
vorhandenen Informationen des Verfassungsschutzes – dass Fischer kein
Neonazi ist? Dabei liefert der Text der AR_P//U nicht nur ein Argument
dafür, dass Fischer ein aktiver Neonazi war und ist. Das Trainingsvideo
wurde eindeutig von der rechtsradikalen Partei ‚Der III. Weg‘ erstellt
und veröffentlicht. Fischer trägt auch in diesem Video ein T‑Shirt von
der Partei ‚Der III. Weg’! Er trainiert mit Sympathisanten des III. Wegs
und es ist auch bekannt, dass mindestens eine weitere Person, die in
diesem Video gezeigt wird, am Kickboxtraining der Uni Potsdam teilnimmt.
Wenn all dies nicht ausreicht, was muss dann noch passieren?
Wird der Hochschulsport zum Anlaufpunkt für Rechtsradikale? Wenn diesem
nicht aktiv entgegengewirkt wird, ist das durchaus denkbar. Die Aktionen
der Identitären Bewegung zeigt eindeutig die Reichweite von Neonazis in
den Hochschulbetrieb [6].
Wir können nur die Worte unseres kürzlich veröffentlichten Textes über
„Rechtes Gedankengut in sozialen Berufen“ wiederholen. „Es liegt an uns
dem etwas entgegenzusetzen, die Dinge beim Namen zu nennen und offensiv
darauf aufmerksam zu machen“ [7]. Und da müsst ihr aktiv werden! Nervt
die Hochschulleitung! Macht bei euren Sportkursen darauf aufmerksam,
wenn dort ein Neonazi trainiert! Macht es öffentlich! Schließt euch
zusammen, tauscht euch aus! Neonazis dürfen keine ruhige Minute haben!
Neonazis offensiv entgegentreten!
Für den heutigen Tag luddas Innenministerium anlässlich eines Übergriffs
jugendlicher Flüchtlinge auf ein Ehepaar zu einem Spitzentreffen in
Cottbus ein, um über die Sicherheitslage in der Stadt zu sprechen. In
der Pressemitteilung des Ministeriums ist kein Wort über die zahlreichen
Angriffe gegen Flüchtlinge in Cottbus und die rassistisch motivierte
Gewalt in Sachsendorf in der Neujahrsnacht zu lesen. Während andere noch
feierten, wurden Geflüchtete durch die Stadt gejagt und in ihrer
Unterkunft angegriffen. Der Wachschutz schaute zu. Ein Sprecher der
Stadt Cottbus relativierte den Angriff auf Geflüchtete als einen der
„Konflikte aufgrund unterschiedlicher Herkunft“. Das ist eine grobe
Verharmlosung von Rassismus und rechter Gewalt in Cottbus. Inzwischen
ergaben journalistische Recherchen, dass mehrere Mitarbeiter von
Sicherheitsdiensten in Cottbus Verbindungen zu rechten Strukturen haben
oder selbst Teil davon sind.
Cottbus ist in den letzten Jahren ein Hotspot rechter Strukturen und
Angriffe auf Geflüchtete gewesen. Die Forschungsstelle Antisemitismus
und Rechtsextremismus des Moses Mendelssohn Zentrums beobachtet die
größten einschlägigen Aktionen in Brandenburg in 2017 im Rahmen der
„Zukunft-Heimat“-Kampagne in Cottbus. Die höchste Gesamtsumme der
lokalen Teilnahmezahlen wurde in Cottbus verzeichnet (4030 Personen),
gefolgt vom Landkreis Havelland (940). Brandenburgweit fand in 2017 in
Cottbus die höchste Anzahl rechter und flüchtlingsfeindlicher
Straßenaktionen statt.
Die Opferperspektive betrachtet die Entwicklung in Cottbus seit mehreren
Jahren mit großer Sorge. Mindestens im Verlauf des Jahres 2015 hat die
rassistische Gewalt gegen Geflüchtete und internationale Studierende in
der Stadt massiv zugenommen. „Spätestens seit 2016 kann von einer
enthemmten rassistischen Gewalt in Cottbus gesprochen werden. Die
Opferperspektive zählte im Jahr 2015 17 rassistisch motivierte Angriffe
und 2016 bereits 29 rassistisch motivierte Angriffe, die bei den
Betroffenen zu teilweise schweren Verletzungen führten.“ sagt Martin
Vesely von der Opferperspektive. Auch für 2017 geht der Verein von einem
ungebrochenen rassistischen Ausnahmezustand in der Stadt mit
vergleichbaren Zahlen wie in 2016 aus.
Seit zwei Jahren macht der Verein immer wieder auf die wachsende
Mobilisierung und Gewalt gegen Geflüchtete in Cottbus aufmerksam – ohne
dass sichtbare Konsequenzen seitens der politisch Verantwortlichen aus
Landesregierung und Innenministerium gefolgt wären.
Statt dessen organisiert das MIK wenige Tage nach dem Angriff junger
Geflüchteter auf das Ehepaar öffentlichkeitswirksam ein Gespräch über
die Sicherheit in der Stadt und blendet dabei die rassistische und
organisierte rechte Gewalt völlig aus. „Minister Schröter setzt dabei
wieder die Null-Toleranz-Attitüde auf und will diese Gewalt „keinem
Bürger in Cottbus erklären“. Dabei verkennt er, dass Flüchtlinge auch
Bürger_innen von Cottbus sind, deren Sicherheit dort immer wieder
gefährdet ist.“ sagt Ivana Domazet vom Flüchtlingsrat Brandenburg. Nach
einem rassistischen Übergriff auf Geflüchtete in Sachsendorf wird
hingegen kein Sicherheitsgespräch einberufen, obwohl der Leiter des
Wachschutzes laut journalistischen Recherchen Verbindungen zum rechten
Milieu hat.
*Rassistische Gewalt wird hier unsichtbar gemacht und zugleich der
Rassismus durch die Zuspitzung der Sicherheitsdebatte auf Flüchtlinge
weiter geschürt. Der Innenminister profiliert sich wieder einmal über
seine gegen Flüchtlinge gerichteten Law and Order-Äußerungen und fischt
hier offensichtlich am rechten Rand.
Am frühen Neujahrsmorgen verletzte eine zehnköpfige Gruppe drei Flüchtlinge schwer. Eines der Opfer kommt mit gebrochenem Kiefer ins Krankenhaus. Die Wachleute des verantwortlichen Sicherheitsunternehmens griffen nicht ein. „Ist der Sicherheitsdienst von Rechtsextremen unterwandert?“, fragt die Bürgerinitiative Cottbus schaut hin.
Eine Gruppe von drei afghanischen Flüchtlingen ist in den Morgenstunden des neuen Jahres in Cottbus auf ihrem Heimweg in Sachsendorf. Als sie gegen 1:30 Uhr am Gelsenkirchener Platz in Sachsendorf ankommen, beginnt eine etwa zehnköpfige Gruppe von jungen Deutschen sie als „Scheiß Ausländer“ zu beschimpfen und zu verfolgen. So erzählt es einer der drei Betroffenen des Angriff der Bürgerinitiative Cottbus schaut hin.
Die drei Opfer versuchten die Täter zu ignorieren und schnellstmöglich in ihre Unterkunft in der Zielona-Gora-Straße 17 und 19 zu gelangen. Schon auf dem Weg seien sie mit Schlagringen und Bierflaschen malträtiert worden. An der Unterkunft angekommen, dann aber der Schock.
Die zwei diensthabenden Wachleute ließen die drei Bewohner zwar in den Eingangsbereich, kurz darauf aber auch die Angreifer.
„Wir haben mehrmals zu den Wachmännern gesagt, dass sie die Polizei anrufen sollen. Aber sie haben nicht reagiert und einfach 20–25 Minuten zugeschaut, wie wir von über zehn Deutschen im Flur und Treppenbereich geschlagen wurden.
Nach ca. 25 Minuten haben die Wachmänner die Tür für die Deutschen geöffnet und zu ihnen gesagt, dass sie raus gehen müssen, weil jetzt die Polizei kommt.“
Der zehn Minuten später eintreffenden Polizei habe einer der Wachleute danach noch eine falsche Richtungsangabe darüber gemacht, wohin die Täter geflohen seien.
Alle drei Opfer des Angriff trugen massive Verletzungen im Gesicht davon. Einer von ihnen wird immer noch mit gebrochenem Kiefer im Carl-Thiem-Klinikum behandelt. Die drei jungen Afghanen fordern die Bestrafung der Täter und des Wachpersonals, Polizei und Sozialamt haben sie bereits informiert.
Distelkam Dienstleistungsgruppe – Neonazis im Dienste der Stadt?
Die Initiative „Cottbus schaut hin“ richtet folgende Fragen an die Stadt Cottbus: Ist Ihnen bekannt, was für ein Sicherheitsunternehmen in den Unterkünften der Zielona-Gora-Straße tätig ist? Wurden die Sicherheitsleute auf diesem speziellen und hochsensiblen Arbeitsfeld ausreichend überprüft? Gab es schon vorher Beschwerden? Welche Aufgabe hat dieses Sicherheitsunternehmen in den einzelnen Objekten: Schutz der Bewohner vor Angriffen von außen oder Hilfestellung bei Angriffen von außen?
Nach Recherchen der Bürgerinitiative handelt es sich bei dem vor Ort zuständigen Sicherheitsunternehmen um die Distelkam Dienstleistungsgruppe aus Chemnitz. Eine Analyse des Facebook-Auftritts von Unternehmer Kai Distelmann (facebook.com/kai.distelmann) zeige, dass er alles andere als ein unbeschriebenes Blatt sei, so die Pressesprecherin Maria Koch von Cottbus schaut hin.
In Distelkams „Gefällt-mir-Angaben“ fänden sich mehrere einschlägige Seiten, die auf eine rechtspopulistische bis rechtsextreme Gesinnung schließen ließen. Unter anderem finden sich dort Seiten mit folgenden Titeln: Das Ritterkreuz and the Ritterkreuzträger Wehrmacht (eine Wehrmachtstraditionsseite), Frank Rennicke (ein rechtsextremer Liedermacher), Unbequeme Jugend Cottbus (Jugendgruppe von Inferno Cottbus), Sachsen stellt sich quer: Asylmissbrauch stoppen; Chemnitz, Sachsen, Deutschland gegen Scheinasylanten und mehrere Facebookseiten der AfD.
Distelkam teilt Nachrichten von „Heimat und Tradition Chemnitz Erzgebirge“ unter anderem einen Aufruf unter dem Titel „Einsiedel sagt Nein zur Erstaufnahme-Einrichtung“. Im Mai spekuliert er, der Tod von Michèle Kiesewetter sei gar nicht auf Neonazis, sondern auf Islamisten zurückzuführen und ein Freund rät ihm die verschwörungstheoretische Dokumentation mit dem vielsagenden Titel „Das NSU Märchen“ anzusehen.
Distelkams Unternehmen wird von Freunden beworben, die sich wenig Mühe geben ihr neonazistisches Gedankengut zu verbergen. Einer der Beschäftigten nimmt seinen Arbeitgeber gegen den Vorwurf, Löhne nicht auszuzahlen in Schutz; er sei stolz dort beschäftigt zu sein. Seine eigenes Facebookprofil wird derweil von seiner „Weihnachtsdeko“ geschmückt im Nazi-Stil samt Hakenkreuz.
Die Initiative bewertet ihre Ergebnisse wie folgt: „Der Vorfall in Cottbus und die im Internet sichtbaren Netzwerkstrukturen lassen nur einen Schluss zu: Distelkam will weniger Ausländer in seiner Heimat, während sein Unternehmen davon lebt Ausländer zu „bewachen“. Seine Gesinnungsgenossen werben unterdessen dafür, sich genau bei diesem Sicherheitsdienst zu bewerben. Dass das nicht lange gut gehen würde, hätte man ahnen können.“
Cottbus schaut hinschließt sich den Forderungen der Opfer des Angriffs aus der Silvesternacht an: „Die Täter und Mittäter müssen zur Rechenschaft gezogen werden – das ist klar. Aus meiner Sicht ist es aber auch völlig indiskutabel, dass dieses Unternehmen weiterhin von der Stadt Aufträge erhält.“, so Maria Koch weiter.
Der Vorfall habe eine besondere und auch überregionale Bedeutung, da Distelkams Unternehmen nicht nur für zahlreiche weitere Flüchtlingsunterkünfte, sondern auch für den Schutz des Landgerichts in Chemnitz zuständig sei.
Die Unterzeichnenden, darunter die Jugendinitiativen Careleaver e.V. und Jugendliche ohne Grenzen (JoG), appellieren an Politik und Verwaltung, unbegleitete Minderjährige auf dem Weg in die Volljährigkeit nicht alleine zu lassen. Systembedingt werden zum Jahreswechsel****jugendliche Geflüchtete regelmäßig volljährig (gemacht). Werden sie dann sich selbst überlassen, drohen Destabilisierung, Schul- und Ausbildungsabbrüche und im schlimmsten Fall die Obdachlosigkeit. Die Weichen für gute Übergänge und funktionierende Anschlussversorgung müssen daher jetzt von Politik und den zuständigen Trägern gestellt werden.
Während junge Flüchtlinge als „jugendlich, männlich, Ausländer“ medial insbesondere im Kontext von Kriminalität thematisiert werden, ist wenig bekannt über die zahlreichen Hürden, mit denen junge Geflüchtete tagtäglich zu kämpfen haben. Unbegleitete Minderjährige gehören zu den besonders Schutzbedürftigen unter den Geflüchteten. Trotzdem werden ihnen, insbesondere seit dem Jahr des großen Flüchtlingszugangs 2015/2016, fundamentale Rechte vorenthalten: So wurde ihr Recht auf Elternnachzug massiv eingeschränkt und ihre Unterbringung und Versorgung in vielen Kommunen unterhalb geltender Standards der Jugendhilfe vielfach hingenommen. Viele der damals als Jugendliche im Alter von 15 oder 16 Jahren eingereisten Geflüchteten werden nun volljährig, ein Großteil von ihnen zum 31.12. oder 1.1. – ein fiktives Geburtsdatum, das bei ungeklärtem oder nicht nachweisbarem Geburtstag behördlich festgelegt wird, ohne dass sich die jungen Menschen effektiv dagegen wehren könnten.
Mit diesem festgelegten Datum wird in zahlreichen Kommunen die Jugendhilfe beendet, obwohl es einen rechtlichen Anspruch auf Weitergewährung der Hilfe bis zum 21. Lebensjahr gibt, wenn ein individueller Bedarf vorliegt. Damit stellt sich insbesondere die Frage
nach Unterbringung und Lebensunterhaltssicherung neu. Eine Anschlussversorgung ist nicht immer unmittelbar gewährleistet. Mit den hier entstehenden Versorgungslücken bei Beendigung der Jugendhilfe haben auch junge Menschen ohne Fluchthintergrund, die die Jugendhilfe verlassen, zu kämpfen. Bei jungen Geflüchteten kommt hinzu, dass ihr
Aufenthalt oftmals noch nicht gesichert ist, die Anschlussversorgung aber hiervon abhängt und sie zum Teil gezwungen werden, ihren Wohnort zu wechseln. Ohne Unterstützung führt dies zu Schul- und Ausbildungsabbrüchen, Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften oder
gar Obdachlosigkeit.
Fehlende Übergangsmechanismen, unzureichende Hilfe-Koordination, mangelnde Beratungsstrukturen und nicht aufeinander abgestimmte Gesetze sowie Behördenpraxis sorgen hier für Perspektivlosigkeit: „Für meine Freunde ist der 18. Geburtstag ein Freudentag. Ich habe große Angst davor 18 zu werden. Durch die Jugendhilfe bin ich dabei meine Ziele im Leben zu erreichen und plötzlich soll damit Schluss sein.“ sagt ein Jugendlicher der Initiative Jugendliche ohne Grenzen (JoG) befragt zu seinem bevorstehenden „Geburtstag.“ Belastend hinzu kommt die Angst vor Abschiebung, denn bei geduldeten Jugendlichen endet mit dem 18. Geburtstag der Schutz vor der Abschiebung.
Die Jugendhilfe ist deshalb in besonderem Maße gefordert, damit die erforderliche Unterstützung gewährt wird und der Übergang in die vorgesehenen Unterstützungssysteme gelingen kann. Sie darf aber mit dieser Aufgabe nicht alleine gelassen werden. Auch die Träger von Sozialhilfe und Jobcenter müssen endlich Verantwortung für die jungen Menschen übernehmen. Dafür ist allerdings zentral, dass Politik zu den jungen Menschen sowie zu ihrer Integration in die deutsche Gesellschaft auch tatsächlich steht und ihnen (Aus)Bildung und Perspektivschaffung ermöglicht, statt diese durch fortwährende gesetzliche Verschärfungen zu torpedieren und zu verhindern.
„Bildungserfolge, Integration und Erfolge der Jugendhilfe dürfen an der Schwelle zur Volljährigkeit nicht riskiert werden“, erklärt Nerea González Méndez de Vigo vom Bundesfachverband umF. „Geschaffene Perspektiven müssen aufrechterhalten und verfolgt werden können, wenn Integration gelingen soll. Das Primat der Kinder- und Jugendhilfe muss nachhaltig umgesetzt werden. Gerade junge volljährige Geflüchtete benötigen vielfältige Unterstützung, um ihre Zukunft in die Hand nehmen zu können.“
Brandenburg liegt unter dem Bundesdurchschnitt bei der Gewährungen von Jugendhilfeleistungen für geflüchtete Jugendliche, die älter als 18 Jahre sind. Während im Bundesdurchschnitt 43% der jungen Volljährigen Unterstützung erhalten, sind es in Brandenburg aktuell 31%. Besonders auffällig sind die großen Unterschiede zwischen den Landkreisen: Absolute Schlusslichter in der Hilfegewährung sind die Prignitz mit 0%,
Frankfurt Oder mit 7,7% und Oberspreewald-Lausitz mit 8%. Weit über dem Bundesdurchschnitt liegt hingegen der Landkreis Märkisch-Oderland mit 54% Hilfen für junge Volljährige, die geflüchteten Jugendlichen gewährt werden. Es braucht daher dringend eine Auseinandersetzung zu den Ursachen und Konsequenzen nicht bzw. zu selten gewährter Unterstützung. Den besonderen Bedarfen von jungen Geflüchteten muss uneingeschränkt Rechnung getragen werden.
Potsdam, den 14.12.2017
Ansprechperson:
Kirstin Neumann| Flüchtlingsrat Brandenburg
|neumann@fluechtlingsrat-brandenburg.de|Tel: 0160 – 56 33 193
Chris P. gab an, die Tat gemeinsam mit seinem Freund Felix G. begangen zu haben. Die beiden Männer seien durch den Vater des Angeklagten, der auch die Brandsätze gebaut habe, zu der Tat angestiftet worden. Ein Zeuge berichtete im Verfahren, dass im Laufe des Tatabends gemeinsam neonazistische Lieder am Lagerfeuer gesungen wurden. Der rassistisch motivierte Brandanschlag vom 01. Oktober 2016 war eine der schwersten rechten Gewalttaten im Land Brandenburg, die vom Verein Opferperspektive im vergangenen Jahr erfasst wurde. Einige der Bewohner der Unterkunft litten noch Monate nach der Tat unter den psychischen Folgen des Anschlags. Nur aufgrund glücklicher Umstände ist in der Tatnacht keiner der Bewohner und Betreuer*innen körperlich schwer verletzt worden oder zu Tode gekommen.
„Die öffentliche Wahrnehmung des Verfahrens beschränkt sich leider auf die Beschreibung des Tathergangs und die Äußerungen der Täter. Es ist zu wünschen, dass sowohl die Tatfolgen für die Betroffenen jugendlichen Geflüchteten, als auch der rassistische Normalzustand in Jüterbog und Umgebung stärker in den Fokus der Öffentlichkeit gelangen“, so Martin Vesely vom Verein Opferperspektive. So war der Brandanschlag im vergangenen Jahr einer von insgesamt neun rassistisch motivierten Angriffen im Landkreis Teltow-Fläming. Auch in diesem Jahr erfasste der Verein bereits sechs rassistisch motivierte Angriffe in Jüterbog und benachbarten Gemeinden. Darunter am 07. Februar ein massiver Angriff von Rechten auf einen Jugendclub in Jüterbog, der auch von Geflüchteten frequentiert wird.
Geflüchtete und deren Unterstützer_innen berichten der Opferperspektive immer wieder von einem feindlichen Klima in der Region. Dies äußert sich, neben direkten körperlichen Angriffen auf Geflüchtete, auch in Bedrohungen und Beleidigungen in Alltagssituationen, beispielsweise beim Einkaufen im Supermarkt. „Menschen, die sich solidarisch auf der Seite von Geflüchteten positionieren, haben Angst dies in der Öffentlichkeit zu zeigen, weil sie Anfeindungen von Rechten befürchten oder bereits real bedroht werden. Dieser Zustand ist für die Betroffenen unerträglich. Wenn dann auch noch der örtliche Bürgermeister bewusst Ängste vor Geflüchteten schürt, verschärft dies die Situation zusätzlich. Es müssen – auch über Jüterbog und Umgebung hinaus – dringend Anstrengungen unternommen werden, rechte Einstellungen in der Region zurückzudrängen“, so Martin Vesely weiter.
Die morgige Urteilsverkündung fällt zufällig mit dem 25. Jahrestag des rassistischen Brandanschlags in Mölln vom 23. November 1992 zusammen, und verweist somit auf eine bedrückende Kontinuität rassistischer Gewalt in der Bundesrepublik. In der Kleinstadt in Schleswig-Holstein ermordeten damals Neonazis die zehn- und vierzehnjährigen Mädchen Yeliz Arslan und Ay?e Y?lmaz, sowie ihre 51-jährige Großmutter Bahide Arslan.
Die Kanzlei von MAIK BUNZEL, einem jungen Rechtsanwalt, befindet sich im brandenburgischen Cottbus. Auf einer Homepage wird für seine Expertise im Straf- und Verkehrsrecht geworben. In einem kurz gefassten Lebenslauf wird unter anderem auf seine einjährige Tätigkeit als Richter am Amtsgericht im oberfränkischen Lichtenfels hingewiesen. Wie konnte es dazu kommen, dass ein Neonazi ein Jahr lang ungestört als Richter in Oberfranken arbeitete?
Ein bayerischer Richter mit Rechtsrock-Vergangenheit und guten Kontakten zur Neonazi-Szene
MAIK BUNZEL verlegte im Oktober 2013 seinen Erstwohnsitz nach Bayern, und zwar ins oberfränkische Mainleus. Von da an arbeitete er als Amtsrichter in Lichtenfels, zuständig vor allem für Zivilstreitigkeiten. Am 26. Februar 2014 teilte der brandenburgische Verfassungsschutz, der den Umzug BUNZELS offensichtlich registriert hatte, dem bayerischen Verfassungsschutz seine Erkenntnisse über die extrem rechte Karriere des Mannes mit. Die bayerische Polizei wurde seitens des Polizeipräsidiums Eberswalde ebenfalls entsprechend informiert. BUNZEL landete somit in den entsprechenden Staatsschutz-Dateien.
In der geheimdienstlichen „Erkenntnismitteilung“ aus Brandenburg wurden BUNZELS Aktivitäten in der extrem rechten Szene beschrieben: Seine Mitgliedschaft in der mittlerweile verbotenen neonazistischen WIDERSTANDSBEWEGUNG SÜDBRANDENBURG, seine „Kontakte in die nationale und internationale rechtsextreme Szene“. Mit seiner Band HASSGESANG war er auf verschiedenen neonazistischen Schulhof-CDs vertreten gewesen. Entsprechende extrem rechte Tonträger seien im Juni 2007 in Wunsiedel sowie in Cham, im September 2009 in Kronach sowie im Februar 2013 in Hösbach verteilt worden.
In Brandenburg war die Nazi-Band HASSGESANG mit ihrem Frontmann MAIK BUNZEL den Behörden wohl bekannt. Entsprechende Einträge finden sich in den dortigen Verfassungsschutz-Berichten von 2006 bis 2013. Gegen „den Urheber“ der Hassgesang-CD „Bis zum letzten Tropfen Blut“ ist im Jahr 2008 ein Urteil des Amtsgerichts Cottbus wegen öffentlicher Aufforderung zu Straftaten und Volksverhetzung in Höhe einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen ergangen. Dazu passt: Noch im Jahr 2013 wurde die „Hassgesang“-CD „Generation, die sich wehrt“ in den Teil A der Indizierungs-Liste der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien aufgenommen.
Der bayerische Verfassungsschutz fand nichts heraus, obwohl der volle Name seit Oktober 2013 im Internet stand
Von einem Jurastudium und einer entsprechenden Karriere BUNZELS im Justizsektor war in der „Erkenntnismitteilung“ aus Brandenburg angeblich nicht die Rede. Der bayerische Innengeheimdienst habe nun nach neonazistischen Aktivitäten BUNZELS in Bayern recherchiert, habe jedoch nichts gefunden, so der bayerische Innenminister Herrmann.
Im Juni 2014 half dann der Zufall: BUNZEL wurde als Zeuge zu einem Diebstahl in einem Fitnessstudio vernommen. Hierbei habe er seinen Beruf – Richter – genannt. Der polizeiliche Staatsschutz brauchte jedoch trotz einer Trefferanzeige im polizeiinternen Datensystem noch weitere drei Monate, bis die Erkenntnis reifte, dass es sich bei BUNZEL um einen Mann mit neonazistischer Vorgeschichte im Richteramt handelte. Die Folgen – der freiwillige Rücktritt des rechten Richters und die Entlassung im Oktober 2014 – sind bekannt.
Pikant ist, dass der volle Name von MAIK BUNZEL in Kombination mit seiner Tätigkeit als Richter seit dem 30. Oktober 2013 im Internet stand. Laut MdL Ulrike Gote habe BUNZEL während seiner Zeit als Amtsrichter zudem unter seinem Namen eine Facebook-Seite für seine Nazi-Band HASSGESANG betrieben. Eine simple Internet-Recherche hätte also genügt, um Neonazi BUNZEL und Richter BUNZEL zu kombinieren.
Epilog: Die weitere Karriere des Rechts-Anwalts
Auf der Facebook-Seite der Brandenburger Rechtsanwalts-Kanzlei BUNZELS findet man neben Beiträgen zu verschiedenen Rechtsfragen einen lobenden Kommentar von PHILIPP HASSELBACH: „Danke für diese gute Zusammenfassung“. HASSELBACH ist seit langem aktiver Neonazi. Am 7. August 2016 teilte BUNZEL einen Facebook-Beitrag der Rechtsanwaltskanzlei STEFFEN W. HAMMER („Bundesgerichtshof hebt Urteil des Landgerichts Stuttgart im AN Göppingen-Verfahren auf“). Die
AUTONOMEN NATIONALISTEN GÖPPINGEN sind Neonazis. Anwalt STEFFEN HAMMER war Leadsänger der Rechtsrock-Band NOIE WERTE, deren Songs eine frühe Version der Bekenner-CD des NATIONALSOZIALISTISCHEN UNTERGRUNDES untermalten. Er gilt als Szene-Anwalt.
Neben der Niederlassung in seiner Cottbuser Kanzlei bemühte sich BUNZEL auch um einen guten Abschluss seiner akademischen Karriere. Dies gelang schließlich mit der Promotion an der Universität Greifswald. Der dortige Jura-Professor RALPH WEBER hatte offensichtlich trotz öffentlicher Proteste kein Problem mit seinem Zögling, sitzt seit September 2016 für die AFD im mecklenburgvorpommerschen Landesparlament und gilt selbst innerhalb dieser Partei als Rechtsaußen.
Wie wird die berufliche Laufbahn BUNZELS nach seiner vergleichsweise ungestörten Zeit in Bayern weitergehen? Einiges deutet auf eine Karriere als Szene-Anwalt hin: BUNZEL landete erneut in den Schlagzeilen, als er einen der Stammverteidiger des Neonazis RALF WOHLLEBEN im Münchner NSUProzess
vertrat. Zudem war er zeitweise als Vertretung im so genannten Ballstädt-Prozess tätig, in dem gegen vierzehn Männer und eine Frau aus der rechten Szene verhandelt wurde, die im Februar 2014 eine Kirmesgesellschaft u?berfallen und dabei zehn Menschen zum Teil schwer verletzt haben sollen.
Der Artikel erschien 2017 in der Broschüre “Braune Soße aus Nordbayern”. Bestellungen können an argument e.V. gerichtet werden.
Sven Sch., Jahrgang 1978, ist ein brandenburgischer Neonazi und war Funktionär des militanten Blood-&-Honour-Netzwerkes. Er gab Informationen unter anderem an das brandenburgische Landeskriminalamt weiter und unterhielt ein enges Verhältnis zur Polizei. In der Neonaziszene wurde er in der Folge als Verräter gemieden. Er war vernetzt mit Neonazis aus Potsdam und Umgebung, die im Verdacht standen, an den Anschlägen der Nationalen Bewegung beteiligt gewesen zu sein.
Sven Sch. galt bis zum Verbot von Blood & Honour im Jahr 2000 als ein Anführer der Sektion Brandenburg und zudem als „Kassenwart“ der Dachorganisation Blood & Honour Deutschland. Bei einer Durchsuchung seiner Wohnung in Borkwalde (Potsdam-Mittelmark) wurde ein Sparbuch mit 73.000 D‑Mark sichergestellt – die „Kriegskasse“ von Blood & Honour Deutschland.
Sch. war im Jahr 2000 an der Verbreitung der illegal produzierten und konspirativ vertriebenen CD „Ran an den Feind“ der Neonazi-Band Landser beteiligt. Er hatte 500 CDs zum Weitervertrieb bestellt. Den Druck des Booklets dieser CD hatte der Verfassungsschutz-V-Mann Toni Stadler organisiert. Im gleichen Jahr war Sch. an der Arbeit für den „Brandenburg-Sampler“ von Blood & Honour mit Brandenburger und Berliner Neonazi-Bands beteiligt. Anfang 2000 war Sven Sch. zusammen mit Stefan Rietz und Dirk H., zwei weiteren Brandenburger Blood-&-Honour-Aktivisten auf dem Weg zu einem Neonazi-Konzert in Schweden festgenommen worden.
Sch. unterhielt ein enges Verhältnis zu Christian Kö., einem Neonazi und V‑Mann des brandenburgischen Verfassungsschutzes. Zeitweise war Sch. Mitbewohner von Kö.. Seit Anfang 2000, berichtete Kö. später, habe er zudem „verbotenes Zeug“, das Sch. gehörte, in seinem Keller „gebunkert“.
Im Rahmen des Verbotes von Blood & Honour wurde auch die Wohnung von Sch. durchsucht. Nach dem Verbot von Blood & Honour betrieb Sch. einen Versand für Neonazi-Kleidung und Musik, der den Namen Hatesounds (alternative Schreibweise: Hate Sounds) trug und in Werder (Havel) ein Postfach nutzte.
Unmittelbar nach dem Blood-&-Honour-Verbot fand in Annaburg (Landkreis Wittenberg) am 25. November 2000 ein Konzert statt, gegen das die Polizei vorging. Die Neonazis hinterließen in altdeutscher Schrift gesprühte Schriftzüge: „BH“ und darunter der Schriftzug „Hallo Otto [gemeint ist Innenminister Otto Schily], trotz Verbot sind wir nicht tot“. Die Organisation dieses Konzertes war über Werder (Havel) gelaufen.
Bei Hatesounds wurden unter anderem Alben der militanten US-Band Blue Eyed Devils und der Rostocker Gruppe Nordmacht veröffentlicht. An den Produktionen war teilweise Sch.s Partnerin Karolina W., eine polnische Neonazistin, beteiligt. Weil Sch. andere Neonazis mit Aussagen bei der Polizei belastet haben soll, wurden zwischenzeitlich Boykottaufrufe gegen Hatesounds verbreitet. Sch. setzte sich mit Stellungnahmen gegen diese „Lügen“ zur Wehr.
Im Februar 2001 wurde Sch. vom V‑Mann Christian Kö. telefonisch vor einer Razzia gewarnt, die sich gegen die brandenburgische Neonaziszene richtete und die maßgeblich auch Neonazis betraf, die wegen der Anschläge der Nationalen Bewegung verdächtigt wurden.
Bei der folgenden Durchsuchung bei Sch. wurden zum Teil in Cornflakes-Schachteln versteckte Entwürfe von CDs gefunden, die sich in der Produktion befanden. Nach der Durchsuchung wurde seitens des Landeskriminalamts ein „guter Draht“ zu dem Neonazi aufgebaut. Insbesondere der Polizist Michael K. traf sich regelmäßig mit Sch.. Die beiden duzten einander und Sch. gab Informationen aus der Neonaziszene weiter. Diese Tipps gingen unter anderem in ein Verfahren gegen den Neonazi Bernd Peruch in Bayern und in ein Verfahren in Sachsen-Anhalt ein. Im Gegenzug beriet K. den Neonazi, wie dieser seinen Hatesounds-Katalog und seine CDs strafrechtlich „sauber“ halten könne. Bei einem Treffen an einer Tankstelle nannte Sch. dem Polizisten K. einen Neonazi, der nach seinen Informationen für die Taten der „Nationalen Bewegung“ verantwortlich gewesen sein soll. Auch mit dem Potsdamer Staatsschutz stand Sch. in Kontakt – mit einem Mitarbeiter traf er sich mindestens 16 Mal. Trotz dieser Zusammenarbeit wird von Seiten der Brandenburger Behörden betont, dass Sch. kein „offizieller“ V‑Mann der Polizei gewesen sei.
In einem Vermerk des Landeskriminalamts Sachsen-Anhalt hieß es dagegen, dass sich Sch. „aus der Konzert- Organisation und sonstigen strafrechtlich relevanten Aktivitäten zurückgezogen hat, seit er als Informant für das LKA Brandenburg geführt wird“. Im Jahr 2002 kursierte im Internet und in der Neonaziszene genau dieser Aktenteil.
In der Zeitschrift Der weiße Wolf wurde 2002 die folgende Notiz veröffentlicht: „Vielen Dank an den NSU, es hat Früchte getragen“. In der gleichen Ausgabe wurde Sch. unter der Überschrift „V‑Männer fliegen nach und nach auf!“ als Verräter geoutet. Kurz darauf zog sich Sch. zurück.
Uwe Menzel ist ein 1974 geborener Potsdamer Neonazi, der seit den 1990er Jahren als Musiker in diversen Rechtsrockbands (u.a. Proissenheads, Uwocaust) tätig ist und eine Schlüsselfigur in der brandenburgischen Rechtsrockszene einnimmt. Seit Anfang der 1990er Jahre bewegt er sich in der neonazistischen Szene.

1993 gründete er die Band Proissenheads, in der er als Sänger fungierte und die eine der ersten brandenburgischen Rechtsrockbands war, die im Rahmen der „akzeptierenden Sozialarbeit“ einen Proberaum in einem städtischen Jugendclub nutzen konnte. Innerhalb weniger Jahre erspielte sich die Band einen hohen Bekanntheitsgrad in der Bundesrepublik, was auch die Vernetzung in andere Städte förderte. Gute, teils freundschaftliche Kontakte bestanden seit spätestens 1997 zu den sächsischen Blood-&-Honour-Führungsfiguren Jan Werner und Thomas Starke, also wichtigen Unterstützern des NSU-Trios. Menzel soll ein häufiger Gast bei Blood-&- Honour-Konzerten in Chemnitz und Umland gewesen sein. So war er über diese Verbindung auch in das finanziell ertragreiche transnationale Beziehungsgeflecht neonazistischer Musiknetzwerke eingebunden. Im April 1997 sollte in Buffalo (USA) ein Konzert mit verschiedenen Neonazi-Bands, unter anderem mit der US-Gruppe Blue Eyed Devils stattfinden. Dazu reiste eine Gruppe deutscher Neonazis an, zu der neben Andreas Graupner, Jens Schaarschmidt, Thomas Starke und auch Uwe Menzel gehörten. Diesem Besuch folgte ein Gegenbesuch. Im Sommer 1997 spielten die Proissenheads und die Blue Eyed Devils gemeinsam in Anklam. Ein Mitglied der Blue Eyed Devils, Wade Michael Page, erschoss 2012 in einem Sikh-Tempel sechs Menschen aus rassistischen Motiven.
Um die Band Proissenheads, die sich zeitweise einen Proberaum mit der Berliner Nazirockband Landser teilte, bildete sich ab Mitte der 1990er Jahre eine brandenburgische Sektion von Blood & Honour. Dass sie sich nicht nur auf die Vertonung rassistischer Rockmusik beschränkten, zeigte ihr sonstiger Aktionismus, der auf weite Vernetzung in das militante Lager und auf eine Mobilisierungsfähigkeit verweist und einmal mehr das Wechselverhältnis von neonazistischen Musiknetzwerken und gewalttätigen politischen Aktionen verdeutlicht. Im August 1998 mobilisierten Potsdamer Neonazis dazu, die wöchentlich abgehaltene Wachparade der preußischen Traditionsgruppe Lange Kerls in Potsdam gegen linke antimilitaristische Proteste zu schützen, die unter anderem von der Potsdamer Kampagne gegen Wehrpflicht organisiert wurden. Am 5. September 1998 gab es zum wiederholten Male eine telefonische Morddrohung gegen ein Mitglied der Kampagne gegen Wehrpflicht. Eine Fangschaltung führte zu der Wohnung einer Frau in Babelsberg, in der sich das Proissenheads-Mitglied Ilja Sch. regelmäßig aufhielt. Drohbriefe einer Potsdamer „Anti-Antifa“ gegen die Kampagne gegen Wehrpflicht, die im Dezember 1998 auftauchten, sind vermutlich aus dem gleichen Umfeld, da sich die Schreiben inhaltlich auf eine vorangegangene Schmähung Uwe Menzels beziehen. Bei einer folgenden Durchsuchung der Wohnung von Ilja Sch. wurde u.a. die Gründungserklärung einer Anti-Antifa Aktion Potsdam gefunden. Am 26. September 1998 tauchten erneut mehrere Neonazis aus Potsdam und Brandenburg bei der Lange-Kerls-Wachparade auf. Sie verübten Übergriffe auf linke Demonstrant*innen. Unter den anwesenden Neonazis war auch Carsten Szczepanski alias V‑Mann „Piatto“, der sich im Combat-18-T-Shirt präsentierte. Dieser hatte noch am Vorabend in Brandenburg an einem Treffen mit einem Musiker der Band Landser (vermutlich Christian Wenndorf) und britischen Neonazis teilgenommen. Bei den Briten handelte es sich Steve Sargent und Tony Williams, die zur National Socialist Movement (NSM) gehörten, aus deren Reihen sich David Copeland rekrutierte, der 1999 mehrere Nagelbombenanschläge verübte. Szczepanski und ein Teil der Potsdamer Neonazis, die am 26. September 1998 in Potsdam auftraten, besuchten am gleichen Abend ein von der sächsischen Sektion von Blood & Honour organisiertes Konzert im sächsischen Munzig, an dem „Piatto“ und Jan Werner sich darüber austauschten, dass Werners Waffensuche für das untergetauchte Neonazi-Trio noch nicht erfolgreich war.
Zwischen „Piatto“ und Menzel bestand offenbar eine Vertrauensbeziehung. Im Sommer 2000 wurde ein Repetiergewehr, das Carsten Szczepanski für Menzel besorgte, bei einer Hausdurchsuchung in Menzels Wohnung sichergestellt. Den Anlass für die Hausdurchsuchung gab ein von der Polizei mitgehörtes Telefonat, in dem es um eine Demonstration von Hausbesetzer*innen im Juli 2000 in Potsdam ging und Aussagen wie „alle Mann unter Waffen“ und „Horrorfestival“ austauschten. Bei der Durchsuchung fand das LKA auch ein Foto, auf dem Menzel mit einer Maschinenpistole posierte, die Waffe selbst war nicht in der Wohnung. Menzel übergab die Waffe der Polizei und gab an, diese in einem Depot im Wald gefunden zu haben, von dem er aber nicht wisse, wer dies angelegt habe. Ob und wie und mit welchen Ergebnissen die Polizei damals bezüglich dieses Waffendepots noch nachermittelt hat oder ob sich die „Sache“ mit Menzels bekundeten Unwissenheit tatsächlich erledigt hatte, ist bisher noch nicht öffentlich aufgeklärt.
Menzel verfügte auch über Kontakte zu Nick Greger, der an der rechtsterroristischen Gruppe National-Revolutionären Zellen (NRZ) beteiligt war, die im Jahr 2000 Rohrbombenanschläge plante. Wie sich die Kontakte zu Greger wirklich gestalteten ist allerdings unklar.
In der NSU-Untersuchungsausschusssitzung im brandenburgischen Landtag im Juni 2017 kamen erste Hinweise zur Beziehung zutage, die Menzel zur Nationalen Bewegung gehabt haben könnte: Der Potsdamer Neonazi Marcus Sch. äußerte am 1. Februar 2001 in einem vom Berliner LKA überwachten Telefonat gegenüber Uwe Menzel: „Gut ich wollt nur sagen, ich habe die Bombe gelegt. Und Nationale Bewegung hehehe“. Vermutlicher Hintergrund: Am 30. Januar 2001 las der Kabarettist Serdar Somuncu aus Hitlers Buch „Mein Kampf“. Am 30. und 31. Januar 2001 gingen im Namen der Nationalen Bewegung diesbezüglich an verschieden Stellen Schreiben mit folgendem Wortlaut ein:
„Am 30. Januar 2001, wird im Theaterhaus Am Alten Markt das Blut derer fließen, welche meinen, sich mit der Teilnahme an der Veranstaltung gegen den größten deutschen Kanzler schmücken zu können.“
Auffällig ist, dass im Zuge der Ermittlungen zur Nationalen Bewegung nicht gegen Menzel als Beschuldigter ermittelt wurde. Dieser Umstand wurde in der NSU-Untersuchungsausschusssitzung am 2. Juni 2017 an die geladenen Zeugen herangetragen, die jedoch keine Erklärung liefern konnten oder wollten. Ebenso wenig wurde geklärt, warum Menzel, trotzdem er sich auf der Liste der Verdächtigen und zu Durchsuchenden ganz oben befand, nicht zu jenen gehörte, die im Zeitraum Ermittlungen mit Hausdurchsuchungen bedacht wurden.
Menzel ist bis heute als Texter und Sänger in verschiedenen Neonazi-Bands aktiv, die die Idee von „White Power“ propagieren. Menzel, der sich heute auch „Uwocaust“ nennt, ist seit Jahren eine Szene-Größe. 2012 beteiligte er sich mit einem Song am Solidaritätssampler „Solidarität IV“ für den NSU-Angeklagten Ralf Wohlleben. Beim Neonazi-Konzert im Sommer 2017 in Themar trat „Uwocaust“ vor tausenden Neonazis auf.
Dass Menzel immer noch eine Ideologie artikuliert, die auch für den NSU richtungsweisend war, ist offensichtlich. Ebenso offensichtlich ist seine Nähe zu den maßgeblichen Unterstützern des NSU und dem neonazistischen Milieu in Chemnitz und Königs Wusterhausen. Was seine Rolle im Fall der Nationalen Bewegung angeht, nähren diverse Hinweise den Verdacht, das Menzel und sein damaliges Umfeld mit den Taten der Nationalen Bewegung mehr zu tun gehabt haben könnte, als bisher polizeilich aufgeklärt wurde.