Hörlitz (dpa/PNN). Zwei Jugendliche haben nach einem Bericht der “Lausitzer Rundschau” den Brandanschlag auf einen türkischen Dönerstand in Hörlitz (Oberspreewald-Lausitz) gestanden. Die Männer im Alter von 18 und 20 Jahren
aus dem Hörlitzer Nachbarort Schipkau seien in Untersuchungshaft. Sie hätten nach bisherigen Ermittlungen in der Nacht zum 31. Januar zwei mit Benzin gefüllte Bierflaschen in den Holzbau geworfen, der völlig ausbrannte. Als Tatmotiv hätten sie Ausländerfeindlichkeit genannt. Wie die Zeitung berichtet, erhält der türkische Inhaber inzwischen großzügige Hilfe von Nachbarn und der Gemeinde.
Monat: Februar 2004
(Tagesspiegel, Claus-Dieter Steyer) Frankfurt (Oder). Mit dem Beitritt Polens zur EU am 1. Mai beginnt an der
Grenze keineswegs die große Freiheit für deutsche Zigaretten‑, Alkohol- und
Benzinkäufer. Zwar zieht sich der Zoll von den Übergängen an den Straßen,
Autobahnen und Bahnhöfen zurück, aber die Einfuhrbeschränkungen für die
genannten Waren bleiben im Großen und Ganzen bestehen.
“Wir kontrollieren die Menschen und Kraftfahrzeuge nicht mehr unmittelbar
bei der Einreise”, sagte der Chef des Hauptzollamtes in Frankfurt (Oder),
Jörg Birkemeyer, gestern. “Aber wir bilden mobile Ermittlungstrupps, die im
Hinterland die Einhaltung der Gesetze garantieren sollen”. Jeder müsse damit
rechnen, auch einige Zeit nach dem Grenzübertritt noch seine Taschen oder
den Kofferraum öffnen zu müssen.
Bis zum 31. Dezember 2008 darf jeder Erwachsene wie bisher nur 200
Zigaretten aus Polen oder Tschechien nach Deutschland einführen. Wer mit
einer größeren Menge erwischt wird, zahlt 13 Cent pro Zigarette Strafe und
muss die Glimmstengel dem Zoll abgeben. Bis zum 30.April liegt die
Strafzahlung bei 26 Cent pro Zigarette. Dafür darf er die Packungen derzeit
aber noch behalten.
Bei Spirituosen und Kaffee steigen die zollfreien Mengen an. Der Autofahrer
darf ab 1.Mai neben dem eigentlichen Tank noch einen
20-Liter-Reservekanister füllen, das sind 10 Liter mehr als derzeit. Ein
Liter Benzin “Super bleifrei” kostete an Tankstellen in Polen gestern
zwischen 76 und 78 Cent, in Deutschland wurden rund 1,07 Euro verlangt. Der
Direktor des Hauptzollamts rechnet mit einem starken Anstieg der
Zigarettenkäufer ab dem 1. Mai: Mit der Preiserhöhung in Deutschland
verschärft sich ab März noch der Unterschied zwischen Polen und Deutschland.
Eine Schachtel der gängigsten Tabakmarken kostet in Polen weniger als einen
Euro.
Im Vorjahr stellten die Zöllner an der deutsch-polnischen Grenze rund 30
Millionen unverzollter Zigaretten sicher. Die meisten waren auf Lastwagen in
speziellen Hohlräumen oder in Computergehäusen und Kaffeemaschinen
versteckt. Der größte der Teil der bei Stichproben entdeckten Lieferungen
aus Ost€pa sollte in Großbritannien verkauft werden, da hier der größte
Gewinn zu machen ist.
Da sich die Zoll mehr und mehr auf Verdachtskontrollen beschränkt, sinkt
auch die Zahl der Beschäftigten. Von ehemals 1600 Bediensteten bleiben im
Bereich des Hauptzollamtes Frankfurt (Oder) nur knapp 1000 übrig. Etwa 370
Personen kam bei anderen Bundesbehörden unter, 230 Angestellten wurden
Arbeitsplätze in anderen Bundesländern angeboten. 190 Zöllner widmen sich
künftig der Bekämpfung von Schwarzarbeit in Ostbrandenburg. Zu ihnen gehören
auch ehemalige Ermittler der Arbeitsämter. Derzeit erlernen sie den Umgang
mit Waffen. “Wir müssen uns schließlich auf Erscheinungen der organisierten
Kriminalität einstellen”, begründete der Chef der “Finanzkontrolle
Schwarzarbeit”, Dietmar Siepert, die Aufrüstung.
(LR, 12.02.) Auf eine breite Front von Helfern darf Mehmet Alatas nach dem Brandanschlag auf seinen Döner-Imbiss in Hörlitz bauen.
Ortsbürgermeister Adalbert Budich und Schipkaus Bürgermeister Siegurd Heinze
mühen sich um Spendengeldgeber, damit der 48-jährige türkische Kurde eine
neue Imbiss-Ausstattung gebraucht kaufen und möglichst bald wieder arbeiten
kann. Das Autohaus Hörlitz stellt Alatas vorübergehend einen fahrbaren
Imbisswagen kostenlos zur Verfügung. Auf Pacht und Miete verzichtet
Holzhändler Al bert Liesk, bis Alatas wieder verdient. Anstelle der
abgebrannten Holzbude baut Liesk einen gemauerten Imbiss.
Hörlitzerin Angela Schneider, die Alatas Behördengänge abnimmt, berichtet
von Hörlitzern, die Geld- und Sachspenden angeboten haben. 4000 Euro braucht
Alatas, um den fahrbaren Imbiss auszustatten. Der Verein Opferperspektive
hat ein Spendenkonto eingerichtet. Konto: 350 202 30 41, BLZ: 160 500 00,
Mittelbrandenburgische Sparkasse Potsdam, Stichwort «Hörlitz» .
Die beiden Jugendlichen aus Schipkau, die den Anschlag verübt haben,
befinden sich nach RUNDSCHAU-Informationen noch in U‑Haft.
(MAZ, 11.02.) NEURUPPIN — Wegen versuchter schwerer Brandstiftung und versuchten Mordes in
sieben Fällen muss ein 27-Jähriger aus Hohen Neuendorf (Oberhavel) hinter
Gitter. Das Landgericht Neuruppin verhängte gestern eine Freiheitsstrafe von
sechs Jahren gegen den Beschuldigten, der zwei Molotow-Cocktails gegen
Scheiben eines türkischen Bistros in Hennigsdorf geschleudert hatte.
Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der Beschuldigte aus Rache und
damit aus niederen Beweggründen gehandelt hatte. Auch Ausländerfeindlichkeit
hatte nach Überzeugung der Kammer eine Rolle spielte. Der Mann wird der
Neonaziszene zugerechnet. Zwar habe der Brandanschlag selbst nur einen
geringen Sachschaden verursacht, sagte ein Gerichtssprecher. Der Angeklagte
habe jedoch billigend den Tod der sieben Menschen in Kauf genommen, die sich
in dem Bistro aufhielten. Die Darstellung des Mannes, er habe dem Inhaber
nur einen Schrecken einjagen wollen, sei nicht akzeptiert worden. Vor der
Verhandlung habe der 27-Jährige bedauert, dass die Tat fehlgeschlagen sei.
Der Angeklagte hatte am Nachmittag des 3. September 2003 in angetrunkenem
Zustand in dem Bistro in Hennigsdorf einen Zeugen aufgefordert, eine
Strafanzeige gegen zwei seiner, der rechten Szene zuzuordnende Bekannte
zurückzunehmen. Anschließend kam es zu einer Schlägerei, bei der der
27-Jährige verletzt wurde. Nach ambulanter Behandlung im Krankenhaus kehrte
er mit zwei Molotow-Cocktails zum Bistro zurück und versuchte, einen
Brandsatz in das Lokal zu schleudern. Die Brandflaschen durchschlugen
jeweils nur die erste Scheibe der Doppelverglasung der Schaufenster und
konnten gelöscht werden.
Sechs Jahre Haft für Mord-Anschlag auf türkischen Imbiss
(LR, 11.2.) Fünf Monate nach dem ausländerfeindlichen Brandanschlag auf einen türkischen
Imbiss in Hennigsdorf (die RUNDSCHAU berichtete) ist ein 27-jähriger
Rechtsextremist zu sechs Jahren Haft verurteilt worden.
Der Mann ist des versuchten Mordes und versuchter schwerer Brandstiftung schuldig, wie der Vorsitzende Richter der ersten Strafkammer am Landgericht Neuruppin gestern sagte. Ein Motiv sei Ausländerfeindlichkeit gewesen. Der ehemalige Vorsitzende der rechten Kameradschaft Oberhavel, die später verboten wurde, hatte vor Gericht zugegeben, die Brandsätze aus Rache auf den Imbiss geschleudert zu haben. Verletzt wurde niemand.
“Die Wirkung der Molotow-Cocktails war ihnen klar, das Schicksal der Menschen in dem Lokal egal”, sagte Richter Gert Wegner. In dem Lokal hatten sich nach Erkenntnissen des Gerichts zur Tatzeit sechs Menschen aufgehalten.
“Das ist wie ein Stempel”
(LR, 10.2.) Asylbewerber in der Lausitz erhalten oft statt Bargeld Warengutscheine, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Eine umstrittene Praxis, die in den
vergangenen Wochen in Hohenleipisch und Bahnsdorf sogar zu gewalttätigen Ausschreitungen geführt hat. In Cottbus versuchen junge Leute, die ihrer Ansicht nach diskriminierende Gutscheinpraxis durch eine Tauschbörse
praktisch zu unterlaufen.
Beim Selbstversuch macht sich ein flaues Gefühl im Magen breit: Ob die Leute mir ansehen, dass ich den Discounter statt mit Geld mit einem rosafarbenen
Zettel in der Tasche betrete« Natürlich nicht, sage ich mir. Das Gefühl bleibt trotzdem.
«Man muss das selber erlebt haben» , sagt Sven Witzke. Gemeinsam mit Thomas Richter kämpft der junge Cottbuser in der Initiative «Bargeld statt Gutscheine» gegen die Zettel, die seiner Ansicht nach Asylbewerber gegenüber
anderen Mitmenschen diskriminieren. Einmal im Monat fahren sie zum «Haus für begleitetes Wohnen für Asylbewerber und ausländische Flüchtlinge» am Cottbuser Stadtrand und tauschen Gutscheine gegen Bargeld aus. Die
Flüchtlinge haben Euro in der Tasche, die Zettel werden an Cottbuser verteilt, die damit einkaufen. Da jeder Schein den Namen des Berechtigten trägt, müssen die Flüchtlinge eine Vollmacht unterschreiben, damit andere
damit ins Geschäft gehen können. Etwa 350 Euro tauscht die Initiative so im
Monat. Um mehr Gutscheine zu Geld zu machen, bräuchte es mehr Abnehmer. Doch
die zu finden ist schwer. Asylbewerber haben keine große Lobby. «Es ist eben
eine kleine Hilfe» , sagt Thomas Richter.
Mit Taschenrechner in den Markt
Für zehn Euro kann ich mit dem Gutschein einkaufen. «Dinge des täglichen Bedarfs» steht auf dem Zettel. Es gibt andere Scheine für Nahrung oder Kleidung. Höchstens zehn Prozent Wechselgeld gibt es zurück. Ich überschlage: Toilettenpapier, doppelt Duschgel, Taschentücher, macht etwa
neun Euro. Ich nehme noch Spülmaschinensalz (75 Cent). Das brauche ich zwar nicht, doch so kommt das mit dem Wechselgeld auf jeden Fall hin. Es ist
schwer, exakt zehn Euro auszugeben.
Soumaila Savadogo geht immer mit einem Taschenrechner einkaufen. Der 17-Jährige aus Burkina Faso besucht die Cottbuser Theodor-Fontane-Gesamtschule und wohnt im Wohnheim am Stadtrand. 40,90 Euro in bar bekommt er im Monat. Der Rest sind Gutscheine im Wert von 184,07
Euro, die zweimal monatlich ausgegeben werden. 30 Euro bekommt der Asyl-Anwalt, zehn Euro gibt er fürs Krafttraining aus. Da bleibt nichts für ein Eis mit Schulfreunden, für Kino oder Disko.
In Cottbus hat es Soumaila Savadogo vergleichsweise gut: In der Stadt werden nur etwa 100 Asylbewerber, die meisten leben im Haus am Stadtrand, mit Warengutscheinen versorgt, sagt Stadtsprecher Peter Lewandrowski. Das Gros
hat eigene Wohnungen und bekommt Bares. Da die dezentrale Unterbringung in Cottbus die Regel ist, kann Soumaila bei Volljährigkeit auf eine eigene Wohnung und eigenes Geld hoffen. Und wer in Cottbus Warengutscheine hat,
kann sie in relativ vielen Geschäften in der Stadt einlösen.
Anders in Hohenleipisch (Elbe-Elster) oder Bahnsdorf
(Oberspreewald-Lausitz). Größere Städte sind fern, die Bewohner unter sich. In den vergangenen Monaten kam es bei der Gutscheinausgabe zu Protesten und Ausschreitungen. In Hohenleipisch wurde eine Sozialamtsmitarbeiterin
verletzt, die Polizei musste anrücken. Während in Cottbus die Supermärkte meist um die Ecke liegen, müssen Asylbewerber in den Nachbarkreisen oft weit
zu den Märkten fahren, wo Gutscheine einlösbar sind. Gibt es dann Probleme, liegen die Nerven blank. Wie im Dezember in einem Elsterwerdaer Markt, in dem Asylbewerber mit Lebensmittelgutscheinen Kleidung kaufen wollten. Erst
die Polizei konnte damals die Lage beruhigen.
Der Puls steigt. Ich fühle mich wie ein ertappter Ladendieb, als ich die Artikel aufs Band stelle. Hinter mir wartet eine zierliche junge Frau mit einer Kuchenplatte. «9,93 Euro» , sagt die Kassiererin lächelnd. Das Lächeln gefriert, als ich den Gutschein überreiche. Eine Sekunde schaut sie unverwandt auf den rosa Zettel. Gucken die Kunden hinter mir auf den Schein», schießt es mir durch den Kopf. Ich schäme mich. Was denkt die Frau
mit der Kuchenplatte von mir? Die Kassiererin gibt mir die sieben Cent Restgeld zurück und drückt einen Knopf unter der Kasse, mit der sie wohl den Marktleiter anfordert. Ich sage hastig «Tschüss» , höre im Gehen keine Antwort, eile schnell aus dem Discounter und atme auf.
Umstrittenes Prinzip
Nicht immer geht es so glatt mit den Gutscheinen, erzählt Soumaila. In manchen Märkten darf man sie nur an bestimmten Kassen einlösen, manchmal nur an der Information. Oft gibt es Debatten zwischen Kassenpersonal und Asylbewerbern, was man mitnehmen darf. «Das ist wie ein Stempel» , sagt
Soumaila.
Das Gutscheinprinzip ist umstritten im Land: Potsdam und Brandenburg an der Havel geben inzwischen Bargeld aus. Das Ausgeben und Einsammeln der Scheine sei auch für die Ämter viel zu umständlich, heißt es dort. Das Sozialministerium rüffelte die Städte und verwies auf ein Bundesgesetz, nach
dem Barauszahlung meist untersagt sei. Nun geht das Ganze vor Gericht. So lange dort keine Entscheidung fällt, wollen vie le Städte und Landkreise in Brandenburg ihre Praxis beibehalten.
Etwa die Hälfte der brandenburgischen Landkreise reichen an Asylbewerber, die länger als drei Jahre in Deutschland leben, zumindest teilweise Bargeld aus. Dies ist nach Ansicht des Landesministeriums auch vom Gesetz gedeckt.
Bezugsberechtigt waren Ende 2002 in Brandenburg 4072 Asylbewerber und 3551 Personen mit Duldung.
Mit den Gutscheinen will das Asylgesetz Missbrauch vermeiden. Flüchtlinge sollen nicht mit Staatsmitteln Schleuserbanden bezahlen, Familienoberhäupter
nicht das Essens- und Kleidergeld für die Kinder verprassen. Soumaila erzählt, dass auch mit den Gutscheinen gehandelt wird. Allerdings gibt es
für die Zettel auf dem Schwarzmarkt nicht den vollen Gegenwert, sondern nur etwa 70 Prozent.
Zwar gebe es wirklich Leute, die mit Geld nicht umgehen könnten und die Warengutscheine bräuchten, sagt Sven Witzke. Doch «man kann nicht eine ganze Gruppe in eine Schublade stecken» . Auch wenn der Tausch immer wieder ein
logistisch aufwändiges Unterfangen ist, will die Initiative weitermachen.
Das flaue Gefühl im Magen ebbt erst ab, als ich mich mit den Einkäufen ins
Auto setze und losfahre. Ich falle endlich nicht mehr auf.
Asylbewerber trifft keine Schuld
(LR, 10.2.) Zur Diskussion über den Umgang mit Asylbewerbern in Bahnsdorf, die gegen die
Gutschein-Praxis protestierten (die RUNDSCHAU berichtete), schreibt Siegmar Bloedorn aus Lauchammer: Ja, es kommen Menschen in unser Land, «nur» weil sie Zuhause nicht gut leben, weil ihre Kinder im Heimatland durch
schmutziges Trinkwasser krank werden, keine Bildung bekommen und weil sie und ihre Familien keine medizinische Betreuung haben. Sie wollen Asyl — wie anmaßend« Viele Asylbewerber kommen aber auch nach Deutschland, weil sie in
ihrem Heimatland den Mut zum Widerstand gehabt haben, verfolgt werden und ihr Leben dort in Gefahr ist.
Herr Dr. Karl-Heinz Mehrling, in unserem Land wird nun mit juristischen Spitzfindigkeiten versucht, diesen Menschen ihr Aufenthaltsrecht zu nehmen. Diese Gerichtsprozesse kosten viel Geld, was sich alle sparen könnten, denn
wir alle wissen, wie undemokratisch und unmenschlich die politischen Verhältnisse in vielen Herkunftsländern sind.
Asyl ist in Deutschland Verfassungsrecht, und den Asy
lbewerbern steht das Geld für ihren Lebensunterhalt gesetzlich zu. Asylbewerber können in Deutschland nicht selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen, sie dürfen in
Deutschland laut Gesetz nicht arbeiten.
Wie kommt man eigentlich auf die Idee, Asylbewerbern Gutscheine, statt Geld
zu geben» Die Scheine müssen gedruckt werden, sie werden verteilt und müssen
auch wieder mit den Geschäften zurückverrechnet werden, das alles kostet
Geld und erscheint mir völlig sinnlos.
Gewalt ist in jedem Fall zu verurteilen. Aber erst, als die Asylbewerber die
Annahme der Gutscheine verweigerten, wurde ihre Stimme gehört. Die
Asylbewerber wollen zum Beispiel mit dem Bus fahren, Telefonkarten kaufen
und sich auch ein kleines Stück Luxus leisten. Welch unerfüllbare Forderung, Herr Georg Philipp, denn das gibt es nicht für Gutscheine.
Integration — wie denn« Im Wald bei Bahnsdorf oder in den Russenbaracken bei Hohenleipisch» Anpassung, indem man den Asylbewerbern mit den «Gutscheinen» noch ein Etikett für ihr Anderssein angeheftet. Ich kenne Asylbewerber, die in der Volkshochschule Deutsch lernen, das muss bezahlt werden, mit Euro, nicht mit Gutscheinen.
Ich weiß, die soziale Situation in unserem Land wird immer schlechter, und gerade unsere Region ist sehr stark davon betroffen. Aber warum wenden wir uns gegen die Schwächsten der Gesellschaft. Sind die Asylbewerber schuld, dass hier nur die Landschaften blühen und nicht die Wirtschaft« Es waren Politiker, die uns sichere Renten versprachen und gleichzeitig den Sozialkassen die Kosten für die Vereinigung aufbürdeten.
Wer wollte die Arbeitslosen halbieren und hat doch nur für immer weniger Arbeitsplätze gesorgt» Wer denkt Jahr für Jahr über die Erhöhung seiner Diäten nach? Ja, wir sollten uns wehren, in Deutschland, einem schönen und hoffentlich gastfreundlichen Land.
(BM, 10.2.) Potsdam — In Brandenburg sind drei CDs mit Gewalt verherrlichender und rassistischer Musik auf den Index gesetzt worden. Die Bundesprüfstelle für
jugendgefährdende Medien folgte einem Antrag des Landeskriminalamtes (LKA) Brandenburg, sagte ein Sprecher des Innenministeriums gestern in Potsdam. Betroffen seien die Titel “The Blackshirts rise again” der Gruppe
Blackshirts, “Affirmative Apartheid” der Gruppe “Vaginal Jesus” und “Freiheit” der Gruppe “Stromschlag”. Die CDs dürfen nicht öffentlich verkauft werden. Auch Werbung dafür ist verboten.
Die Beamten fanden die CDs bei einer Hausdurchsuchung in Nuthe-Urstromtal (Teltow-Fläming). Im November 2003 stellte das LKA die Indizierungsanträge. Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) begrüßte die Entscheidung. Gegen
derartige Tonträger und ihre Urheber müsse mit aller Konsequenz vorgegangen werden, da sie der Verbreitung von Rassismus und Gewalt Vorschub leisteten. Erst in der vergangenen Woche hatten andere Bands mit Gewalt
verherrlichenden Texten für Aufregung gesorgt: Sie stammten von einer Band, in der Sozialarbeiter mitspielten.
In Brandenburg hat ein Kreisverband der NPD Lebewohl gesagt. Weil hunderte Kilometer entfernt ein junger Bosnier auf die Europaliste der Nationalistenpartei gerutscht war. Bei den Rechtsnationalen will jeder gern Führer sein
(TAZ, 9.2.) BERLIN taz Was hunderte Kilometer entfernt in ihrer Partei geschieht, ist
den NPDlern in der Prignitz nicht egal. Der Brandenburger Landesvorsitzende
der Nationaldemokraten, Mario Schulz, schaut jedenfalls voller Wut nach
Trier. Dort rutschte ein 22-jähriger Bosnier auf die Europaliste der
Rechtsnationalen. “Da sich die NPD offenbar vom Grundsatz Deutscher ist,
wer deutschen Blutes ist verabschiedet”, wetterte Schulz danach gegen seine
eigene Partei, “hat sie ihr Existenzrecht verloren.”
Schulzens eigener Kreisverband folgte seinem Anführer. Die NPD-Filiale
Prignitz-Ruppin hat sich wegen des Bosniers kurzerhand selbst aufgelöst. 22
von 24 Mitgliedern des NPD-Kreises fassten den Beschluss kürzlich. Damit ist
die Partei nicht nur Landeschef Schulz los — sie hat Konkurrenz bekommen.
Schulz nämlich gründete mit Getreuen eine “Bewegung für Nationale Ordnung”
(BNO). Bei den “Feinden unseres Volkes”, so Schulz, wolle er sich nicht
einreihen.
Dennoch wurde die Ausreihung nur verzögert durchgesetzt. Die NPD hatte sich
schon im Oktober 2003 auf dem Bundesparteitag entschieden, Safet Babic auf
Platz 21 der Europawahlliste zu nominieren. Der 22-jährige Bosnier studiert
Jura an der Universität Trier. Er ist schon seit Jahren in rechten Gruppen
und der NPD aktiv und schreibt für die Parteizeitung Deutsche Stimme. Der
NPD-Beschluss war kein Zufall. Der Vorstand wollte so die Öffnung der Partei
für Ausländer einleiten.
“Der Grund Babic ist vorgeschoben”, sagt NPD-Bundessprecher Klaus Beier. Er
war bisher stellvertretender Landeschef der Rechten und ist nun in die
Position von Schulz aufgestiegen. “Schulz wollte einfach seine eigene kleine
Sekte”, sagt Beier, “sein Parteidienst war schon länger schwach ausgeprägt.”
Die Nominierung des Bosniers auf die nach Nationalistengeschmack blutreine
Wahlliste verstärkt nur das Glaubwürdigkeitsproblem der NPD in der rechten
Szene. Der Verbotsantrag gegen die NPD ist zwar vor dem Verfassungsgericht
in Karlsruhe gescheitert. Aber “einer Partei, in der so viele V‑Leute sind,
vertraut niemand”, sagt der Rechtsextremismusforscher Henning Flad von der
Europauniversität “Viadrina” in Frankfurt (Oder). “Daraus ist ein beliebtes
Spielchen geworden. Wenn ein NPDler den anderen ausbooten möchte, sagte er
einfach, der sei ein V‑Mann.” Die Folgen: Die einst 6.100 Mann starke Partei
hat inzwischen noch 5.000 Mitglieder. Allein in Berlin traten 60
Nationaldemokraten aus, jetzt gibt es dort wie in Brandenburg noch 200
rechte Parteigänger.
Die NPD Brandenburgs weint ihrem Exchef Schulz und den an den BNO verlorenen
Kameraden angeblich keine Träne nach. Thomas Salomon, der Sprecher des
Landesverbands, nannte den Abgang als Klärungsprozess. Für “Schädelvermesser
und Blutkontrolleure” sei kein Platz in der NPD, sagte Salomon der taz.
Der Politologe Henning Flad glaubt, dass die Motive für die Prignitzer
Abspaltung von der NPD ganz andere sind. “Jedes Jahr spaltet sich bei der
NPD jemand ab”, sagt Flad, “weil im rechten Spektrum jeder gern der Anführer
sein möchte.”
Der Landesvorsitzende Klaus Beier sieht das ähnlich. “Unsere Partei wird im
März 40 Jahre alt”, erzählt er. In dieser Zeit habe die Partei ungefähr 180
Abspaltungen erlebt. Beier weiß auch, wie man das Problem behandeln muss -
durch Neuaufbau. Der regionale NPD-Chef will praktisch nicht mehr existente
Kreisverbände wie Prignitz-Ruppin und andere einfach wieder neu etablieren.
Ein Brandenburger Gericht verurteilt einen 27-Jährigen wegen versuchten Mordes. Er hatte Brandsätze auf einen türkischen Imbiss geschleudert
(WELT.de/dpa) Neuruppin — Fünf Monate nach dem ausländerfeindlichen Brandanschlag auf einen türkischen Imbiss in Hennigsdorf im Land Brandenburg ist ein 27-jähriger Rechtsextremist zu sechs Jahren Haft verurteilt worden. Der Mann ist des versuchten Mordes und versuchter schwerer Brandstiftung schuldig.
Dies erklärte der Vorsitzende Richter der ersten Strafkammer am Landgericht Neuruppin am Dienstag. Ein Motiv sei Ausländerfeindlichkeit gewesen. Der ehemalige Vorsitzende der rechtsextremen Kameradschaft Oberhavel, die später verboten wurde, hatte vor Gericht zugegeben, Brandsätze aus Rache auf den Imbiss geschleudert zu haben.
In dem Lokal hatten sich nach Erkenntnissen des Gerichts zur Tatzeit sechs Menschen aufgehalten. Ein Angestellter konnte die Tür des Lokals geschlossen halten – niemand wurde verletzt. Das Feuer breitete sich an der Fassade des Hauses aus und wurde dann gelöscht.
Angeklagter wollte sich rächen
Der gelernte Bürokaufmann hatte vor Gericht erklärt, er habe den Betreibern einen Denkzettel für vorherige Prügel verpassen wollen. Das sei unglaubwürdig, erklärte der Richter.
Der Verurteilte hatte das Lokal bereits Stunden vor der Tat aufgesucht und einen 48-jährigen Türken aufgefordert, eine Strafanzeige wegen Beleidigung gegen einen seiner Freunde zurückzuziehen. Kurz nach dieser Absprache kam es zu einer Schlägerei.
Die Polizei brachte den 27-Jährigen zur ambulanten Behandlung ins Krankenhaus. Anschließend fuhr er eigenen Angaben zufolge nach Berlin, um sich die Brandsätze zu besorgen.
Sechs Jahre haft für Karsten G.
Urteil im Hennigsdorfer Brandanschlag
NEURUPPIN Sichtlich geknickt nahm Karsten G. gestern das Urteil entgegen: Für den Brandanschlag auf den türkischen Imbiss in Hennigsdorf vom September 2003 mit zwei Molotow-Cocktails soll er sechs Jahre ins Gefängnis.
Damit folgte das Gericht der Staatsanwaltschaft und der Nebenklage-Vertretung, die von einem versuchten Mord, versuchten schwerer Brandstiftung und einem Verstoß gegen das Waffengesetz ausgegangen waren. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass er nicht nur sauer auf den Imbissbesitzer A. wegen einer Niederlage in einer Schlägerei vom Nachmittag jenes Tages war. Zugleich habe der 27-Jährige auch seine Ausländerfeindlichkeit ausgelebt, die sich in der Abneigung gegen Türken zeige.
Brandanschlag – Verharmlosung verurteilt
Hennigsdorf: Bewusster Angriff auf Menschen mit „gemeingefährlichem Mittel“ und keine lasche Alkoholtat
NEURUPPIN/HENNIGSDORF Gegen die Verharmlosung der Tat vom 3.September durch Karsten G. in Hennigsdorf wandten sich gestern die Anklage- und die Nebenklagevertreter, die beide weiter auf versuchten Mord beharrten. Das Gericht folgte ihnen.
Die verharmlosende Darstellung der Tätigkeit „Kameradschaft Oberhavel“ sei ein Spiegelbild der politischen Ansichten des Angeklagten. Denn einen einfachen Denkzettel verpasse man einem türkischen Imbissarbeiter nicht mit Molotow-Cocktails. „Herr G. hat in Kauf genommen, dass Menschen sterben können“, so die Anwältin des Nebenklägers.
Ähnlich hatte zuvor die Staatsanwaltschaft plädiert. Die Flammen hätten den dort beschäftigten Y. erfassen können, der die Tür von innen zuhielt, als er die nahende Gefahr durch G. erkannte – der immerhin vom Streit am Nachmittag bekannt war. Das klare Ziel der Tat war gewesen, das Bistro in Brand zu setzen. Ein Molotow-Cocktail sei als „gemeingefährliches Mittel“ einzuschätzen.
Die Angaben des Angeklagten, er habe sowohl von der Hintertür gewusst als auch von dem Sicherheitsglas im Imbiss, sah die Anklage als wiederlegt an. Denn in dem abgehörten Telefongespräch gab er an, nichts von dem Doppelglas gewusst zu haben, das den Brandsätzen standgehalten hatte. Die Anklage sah es als gegeben an, dass G. eine abneigung gegen Ausländer habe – in seinen Schriften für die „Kameradschaft Oberhavel“ habe er dies bekundet.
Der Verteidiger Peter Stöckicht spielte die Sache herunter. Er meinte, dass es sich um „eine törichte, eine dumme Tat“ handle. G. habe damit rechnen müssen, erkannt und verfolgt zu werden. „Dümmer kann man es gar nicht anfangen“, wollte er G. als unterbelichtet in jener Stunde hinstellen. Er sah außerdem wegen des konsumierten Alkohols durchaus eine verminderte Schuldfähigkeit gegeben.
Das Gericht schätzte jedoch ein, dass G. „der Neonazi-Szene zuzurechnen ist“. Der Antrieb zur Tat stehe „auf niedrigster Stufe“ und müsse entsprechend geahndet werden. Die Absicht, das Bistro in Brand zu setzen und „Menschen durch unkontrolliertes Feuer an Leib und Leben zu verletzten“, sah die Kammer als gegeben an.
Sieben Tage haben die Beteiligten nun Zeit gegen das Urteil in Revision zu gehen.
OSTPRIGNITZ-RUPPIN Wer sich heute in Rüthnick oder morgen in Teetz für die Erlebnisse des Abenteurers Jo Bentfeld interessiert, wird wilde Geschichten hören. Aber nicht nur solche aus der kanadischen Wildnis. Bentfeld wirbt für die Partei Rechtsstaatliche Offensive (PRO), vor dem Rauswurf ihres Gründers Ronald Schill besser bekannt unter dem Namen Schill-Partei.
Aber beim Werben für die umstrittene Law and Order-Partei belässt es PRO-Mitglied Bentfeld nicht. „Ich werde Bundsvorsitzender“, sagte Bentfeld gestern, als er beim Ruppiner Anzeiger auf Redaktionsbesuch war. Sein Kanada-Abenteuer wird er für drei Jahre unterbrechen, und sich in dieser Zeit einem großen Ziel widmen: „Ich will die Wende zurück zu alten Werten.“
Wie man sich diese Werte vorzustellen hat, steht in jenen Büchern, die der gelernte Polizist, studierte Wirtschaftswissenschaftler, erfolglose SPD-Bundestagskandidat und spätere Aussteiger nach seinen Lesungen verteilt. So ist im von Bentfeld und Klaus Schreiber verfassten „Wirtschaftsgutachten 2003/2004“ unter der Überschrift „Albtraum Zuwanderung“ unter anderem zu lesen: „Problematisch, bis hin zur Gefährdung des sozialen Besitzstandes, ist der Import von Armut: Die Aufnahme jener Asozialen und Kriminellen, der Untauglichen und Unbrauchbaren … Sozialhilfe ist ein Köder, der ohne Ende nutzlose Fliegenschwärme anlockt … Wir dürfen keinen einzigen Ausländer mehr aufnehmen. Wir müssen die vorhandenen zurückschicken, um uns der eigenen, der häuslichen Last widmen zu können.“ Damit meint er arbeitslose Deutsche, für die er folgendes Rezept bereit hält: „… wir müssten der zunehmenden Zahl an überflüssigen und nicht im Arbeitsmarkt benötigten deutschen Arbeitskräfte durch finanzielle Hilfen die Auswanderung schmackhaft machen“.
Diese Schriften verkauft Bentfeld nach seinen Lesungen, und neuerdings verteilt er auch einen Aufruf mit einer Generalabrechnung zur deutschen Politik: „Die in Berlin sind unfähig! Die können es nicht!“ Für Sonnabend, 21.Februar, hat er nach Neuruppin zur Gründung des PRO-Ortsverbandes eingeladen. Das habe er mit dem PRO-Landesgeschäftsführer abgesprochen. Der hat mittlerweile aber die Partei verlassen. Laut PRO-Pressesprecher Florian Gottschalk darf Bentfeld auch nicht zur Gründung eines Ortsverbandes aufrufen. Das darf nur der Landesverband, und der wusste gestern noch nichts davon. Und als Gottschalk von Bentfelds Plänen hört, sich am 6.März zum Bundesvorsitzenden wählen zu lassen, lacht er nur. Noch sei der alte Vorstand im Amt. Sein Vorschlag für Bentfeld: „Der soll lieber Abenteuertouren machen.“
Extreme Entwicklungen
Die braune Szene verändert sich: Sicherheitsexperten stellen fest, dass sich die Neonazis stärker politisch organisieren. Aber der Terror auf den Straßen bleibt – auch wenn die Zahl der gewaltbereiten Rechten rückläufig ist.
(Tagesspiegel, Frank Jansen) Sie nennen sich „Pommersche Aktionsfront“, „Nationaler Widerstand Dresden“, „Märkischer Heimatschutz“ oder „Siegener Bärensturm“. Bundesweit haben sich Neonazis in 160 „Kameradschaften“ zusammengeschlossen, die wie Durchlauferhitzer funktionieren: Diffus rechts orientierte Jugendliche und junge Erwachsene werden von älteren Neonazis ideologisch gehärtet. Das Ziel lautet: Eine Elite „politischer Soldaten“ führt einen Volksaufstand, der die Demokratie zertrümmert. So irre solche Parolen auch klingen mögen, die Sicherheitsbehörden beobachten mit Sorge, dass der Wahn populärer wird. „Ein Teil der Szene ist dabei, sich politisch zu professionalisieren“, sagt ein Experte. Und beschreibt den neuen Trend: Die Zahl der Neonazis ist im letzten Jahr beträchtlich gestiegen – um etwa 600 auf 3200.
Gleichzeitig nahm das Potenzial der gewaltbereiten Rechtsextremisten, vor allem Skinheads, erstmals seit Jahren deutlich ab (2003: 9800, 2002: 10700). Obwohl sich die Milieus überlappen, unterscheiden die Behörden zwischen gewaltbereiten Rechtsextremisten und Neonazis: Erstere gelten als unpolitisch-brutaler Mob, die Hitler-Fans hingegen als ideologisch gefestigt und aus taktischen Gründen weniger gewalttätig.
Die Zahl der Straftaten, insbesondere die der Gewaltdelikte, bleibt allerdings hoch. Das bedeutet: Die rechtsextreme Gefahr wird vielschichtiger. Der Straßenterror dumpfer Kahlköpfe geht weiter, parallel dazu versuchen brav gescheitelte Neonazis, eine neue außerparlamentarische Opposition zu präsentieren. Mit einem Mix aus Provokation und Pseudo-Bürgernähe. Betroffen von dem Zuwachs im Neonazi-Lager ist vor allem Ostdeutschland. Die neuen Länder und Berlin gelten in der braunen Politszene als erfolgsträchtiges Experimentierfeld. Im Osten ist der Alltagsrassismus in der „normalen“ Bevölkerung aggressiver als in Westdeutschland.
Davon wollen Neonazis profitieren. Und sie versuchen, effektive Aktionsformen zu entwickeln. Mal mit, mal ohne die NPD, die trotz des überstandenen Verbotsverfahrens Mitglieder verloren hat. Schon seit längerem pirschen sich braune Liedermacher an Seniorenheime heran, bisweilen gelingt auch ein Auftritt mit altdeutschem Liedgut. Einige Neonazi-Gruppen orientieren sich am linken Gegner. So haben Rechtsextremisten im vergangenen Jahr in Brandenburg kurz einen leer stehenden Bauernhof besetzt. Sie wollten angeblich darauf hinweisen, „dass die Berliner Jugend – egal ob rot oder braun – auf der Straße sitzt“, wie es auf einer Homepage heißt. Bei einem Aufmarsch in Berlin trugen Neonazis rote Fahnen und skandierten die altlinke Parole „hoch die internationale Solidarität“. Außerdem versuchen Szene-Anführer, auf eigenen Anwesen in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen Schulungsstätten oder zumindest Treffpunkte zu etablieren.
„Die rechte Szene befindet sich in einer Such-Phase“, sagt ein Sicherheitsexperte. Ein Teil der Szene, vor allem die Veranstalter von Konzerten rechtsextremer Bands, agiere auch zunehmend konspirativ. Da die deutschen Behörden einen hohen Verfolgungsdruck ausübten, weiche die Szene öfter in Nachbarstaaten aus, zum Beispiel ins Elsaß.
Der braune Brachialsound garantiert auch auf zynische Weise, dass die Gewaltbereitschaft hoch bleibt – selbst wenn das Potenzial der in einschlägig aufgefallenen Rechtsextremisten abgenommen hat. Geradezu exemplarisch erscheint der Überfall einer braunen Meute in Sachsen-Anhalt. Im August randalierten in Halberstadt etwa 15 Rechtsextremisten und attackierten den linken Szenetreff „Zora“. Zwei junge Linke wurden schwer verletzt. Als einer der Hauptverdächtigen gilt ein Mitglied der Band „Skinheads Sachsen-Anhalt“, abgekürzt „SSA“. Auf ihrer ersten CD grölt der Sänger, „ihr roten Schweine sollt um Gnade flehen“. So animiert die Kakophonie zum Krawall.
Und auch zu Terrorismus? Trotz des gerade noch verhinderten Bombenanschlags auf die Baustelle des jüdischen Gemeindezentrums in München sehen die Sicherheitsbehörden weiterhin keine „Braune Armee Fraktion“. Aber gerade in München habe sich gezeigt, wie hoch die Gefahr sei, dass auch Neonazis und eine „Kameradschaft“ in den bewaffneten Kampf abdriften.