Seit Wochen treffen sich deutschlandweit Menschen zu sogenannten „Spaziergängen“, um mit dieser Aktionsform gegen die Corona-Maßnahmen, das Impfen und teilweise auch gegen die Pandemie an sich zu protestieren. Einige Teilnehmende haben dabei tatsächlich berechtigte Kritik an einzelnen Coronamaßnahmen. Sie sind, wie die meisten von uns auch, nach 2 Jahren Pandemie am Ende angekommen und halten die gesellschaftlichen Zustände nicht mehr aus. Doch anstatt sich um solidarische Lösungen zu kümmern (Nachbarschaftshilfen, Unterstützung der Arbeitskämpfe in den Kliniken, Forderung der Patentfreigabe für Impfstoffe), verweigern sie sich wissenschaftlichen Erkenntnissen und gehen als vermeintliche Freiheitskämpfer*innen auf die Straße. Dass bei ihren Aufmärschen auch aktive und gewaltbereite Neonazis mit- oder vorneweg laufen, scheint den meisten egal zu sein.
So beteiligten sich in Strausberg von Anfang an bekannte Neonazi-Kader rund um die Kameradschaft AO Strausberg sowie Mitglieder der Nazi-Jugendgruppe Division MOL. Dabei bepöbeln sie umstehende Personen, treten teilweise vermummt auf und zeichnen sich vor allem durch Gewaltbereitschaft aus – was vermutlich auch das Hauptmotiv zur Teilnahme sein dürfte.
Erst kürzlich, am 17. Januar, wurde ein Passant aus der Demo heraus von zehn vermummten Neonazis bedroht. Dieses Phänomen finden wir nicht nur in Strausberg. Die wenigsten Spaziergänge distanzieren sich klar von Neonazis, in den meisten Fällen werden sie geduldet oder sogar mit offenen Armen willkommen geheißen. Vielerorts sind Neonazis sogar die Organisator*innen, so werden die Proteste in Wittstock und Wittenberge beispielsweise von der nationalsozialistischen Partei „Der III. Weg“ veranstaltet. Meist findet die Organisation in lokalen Telegramgruppen statt, so auch in Strausberg. Hier werden immer wieder Drohungen gegen Ärzte ausgesprochen, Aufrufe zum gemeinsamen Einkaufen ohne Maske geteilt oder dazu aufgefordert, Antifaschist*innen rauszuwerfen. Scheinbar fällt eine Abgrenzung nach links deutlich leichter als gegenüber Neonazis.
So ist es für die Neonazis ein leichtes, sich an dem Spaziergängen zu beteiligen und gewaltbereit aufzutreten. Kritik daran wird schnell unter dem Schlagwort „Lügenpresse“ abgetan.
Wir fordern daher alle Teilnehmer*innen der Spaziergänge auf: Werft die Nazis von euren Veranstaltungen! Wer Neonazis Raum in seinen Veranstaltungen einräumt, darf sich nicht wundern, mit ihnen in einen Topf geworfen zu werden.
Wir stehen gemeinsam für einen solidarischen Umgang mit der Pandemie, für Impfen als Selbst- und Fremdschutz und für gegenseitige Unterstützung in der Krise.
Darum kommt am 31. Januar um 17:30 zum Marktplatz Strausberg und protestiert mit uns gegen die Querdenken-Spaziergänge und für einen solidarischen Weg raus aus der Pandemie!
Gemeinsamer Aufruf der VVN – BdA Kreisverband Märkisch-Oderland, der Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt Märkisch-Oderland und Die Linke – Strausberg
Ab Mittwoch gilt in Potsdam für ungeimpfte Personen eine Ausgangssperre zwischen 22.00 und 6.00 Uhr. Demnach dürfen nicht geimpfte Personen das Haus dann nur noch „in gewichtigen Ausnahmefällen“ verlassen, etwa zum Aufsuchen der Arbeitsstätte.
In dieser Regelung wird die ganze Absurdität deutlich, die seit zwei Jahren die staatlichen Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie prägt. Diese Maßnahmen haben offensichtlich nicht das Ziel, so schnell und so effektiv wie möglich die Pandemie zu beenden, das Leben möglichst vieler Menschen zu schützen und dabei negative soziale und psychische Folgen der Pandemiebekämpfung möglichst gut abzufedern. Stattdessen steht im Mittelpunkt der Pandemiebekämpfung der Grundsatz „The show must go on“. Die kapitalistische Verwertung von Arbeitskraft soll ungehindert weitergehen, Produktion und Vertrieb ungestört bleiben. Deswegen wird die Durchseuchung von Kindern und Jugendlichen in Kauf genommen – damit die Eltern weiter arbeiten gehen können. Deswegen müssen Menschen auf dem Weg zur Arbeit und an ihren Arbeitsplätzen gegen die wichtigsten Schutzmaßnahmen verstoßen: Abstand halten und regelmäßig lüften.
Was so an tatsächlicher Pandemiebekämpfung nicht stattfindet wird kompensiert durch symbolische aber repressive Gesten wie die Ausgangssperre für Ungeimpfte. Als ob die ungeimpfte Person, die um 23:00 Uhr über den leeren Alten Markt geht, ihren Hund ausführt oder um 5:00 Uhr durch die Ravensberge joggt, ein Infektionsrisiko darstellen würde.
Gesteigert wir diese Absurdität noch dadurch, dass infizierte Personen im Gesundheitswesen und in Bereichen der kritischen Infrastruktur schneller wieder aus der Quarantäne an die Arbeit gebracht werden. Dass die Möglichkeit zu kostenlosen PCR-Tests nicht ausgeweitet, sondern drastisch eingeschränkt werden soll, ist ein weiterer Beweis, dass für die Regierungen Kostenargumente stärker wiegen als die Pandemiebekämpfung. Maßnahmen, die nachweisbar etwas gegen die Pandemie bringen und die deswegen von vielen Menschen bereitwillig befolgt werden, wie z.B. das regelmäßige Testen, um Infektionsketten schnell unterbrechen zu können, werden aufgegeben oder eingeschränkt, weil sie den gewohnten Ablauf der Profiterzeugung stören könnten. Aber ein abendlicher Spaziergang einer ungeimpften Person am Havelufer zieht jetzt ein Bußgeld nach sich.
Die Folgen dieser Politik, die am Beispiel der Potsdamer Ausgangssperre im Kleinen erkennbar wird, sind in den letzten Tagen deutlich geworden. Allein in Deutschland sind bisher rund 116.000 Menschen an der Pandemie gestorben. Weltweit sind schätzungsweise 17 Millionen Menschen an Covid-19 gestorben¹. Viele von ihnen könnten noch leben, wenn 2019 weltweit schnell wirksame und gerechte Maßnahmen gegen die Pandemie ergriffen worden wären. Dies ist nicht passiert. Stattdessen wurden Maßnahmen ergriffen, die zur Folge hatten, dass heute weltweit die Reichen wesentlich reicher und die Armen viel ärmer sind¹. Unsinnige Maßnahmen, wie die Ausgangssperre für Ungeimpfte in Potsdam gehören zu dieser Art von Maßnahmen.
Potsdam gegen Impfpflicht“ aka. „Potsdam für eine freie Impfentscheidung“
(Quellen und Screenshots siehe pdf)
Inhalt: Monothematisch gegen die Impfpflicht. Allerdings ist das Durchsetzen der Maskenpflicht und Abstandsregeln ein Dauerbrenner auf den Demonstrationen, obwohl die Teilnehmenden regelmäßig dazu aufgefordert werden, halten sie Abstände nicht ein und Maskenpflicht zu maximal 50% dauerhaft und korrekt.
Demonstrations-Auftreten: Legalistisch, selbst echte Kerzen (offenes Feuer!) wurden untersagt. Es gab von Anfang an viele Ordner*innen (Warnwesten). Selbst bei der ersten Demonstration am 20.12.2021. Diese war, wenn überhaupt, lediglich online angemeldet, ohne Bestätigung der Polizei.
Das führte am 20.12.2021 zu längerer Wartezeit auf das Eintreffen der Polizei und entsprechende Verhandlungen.
(Partei-)Politische Statements sind nicht gern gesehen. Anfangs gab es nur ein Fronttransparent und ein paar elektronische Lichterketten. Mittlerweile werden auch (wenige) Pappschilder getragen, es gibt kleine Trommeln und Trillerpfeifen. Die Außenwirkung wird durch größtenteils schweigende, bzw. in Privatgespräche vertiefte Demonstrationteilnehmende bestimmt sowie durch Megafondurchsagen zur Maskenpflicht. Seitdem es Protest gegen die Demonstration gibt, gibt es auch Megafondurchsagen die sich davon distanzieren, dass in der Demonstration Nazis mitlaufen würden.
Publikum: Im Wandel. Zu Beginn deutlich erhöhter Anteil an Frauen*, Kindern, Familien. Nur wenige Männer*gruppen mit eher aggressivem Auftreten. Mittlerweile vermehrt PKW-Anreisen aus mindestens dem Potsdamer Umland und Westberliner
Bezirken (Spandau, Kladow etc). Zunehmend mehr Männer*gruppen mit eher aggressivem Auftreten, größtenteils eher eine Art „Weihnachtsmarktstimmung“. Bei der letzten Demo am 10.01.2022 war auch die Neonazigruppierung „Freies Potsdam“ anwesend. Die Neonazi Kleinstpartei war am 3.01.2022 mit dabei.
Kommunikation: Erfolgt nach Außen hauptsächlich über einen Telegram-Chat. Die Inhalte werden teilweise bei Twitter und Instagram oder in sehr geringem Ausmaß bei Facebook gespiegelt. Während der Demonstration gibt es ein Fronttransparent mit dem Demonstrationsmotto und besagtebMegafondurchsagen. Ab dem 13.01.2022 wird eine professionelle Soundanlage in Aussicht gestellt.
Bis zum 3.Januar erfolgten Teile der organisatorischen Diskussion nach Innen ebenfalls im Telegram-Chat. Dieser wurde dann ab dem 06.01.2022 zu einem reinen Informationskanal ohne Diskussionsmöglichkeit, da es den Admins nicht möglich war, den Chat von antisemitischen,
verschwörungsideologischen Nachrichten, Links und Videos frei zu halten. Die Schuld dazu wurde der Antifa und der Presse gegeben, diese würden entweder selbst derartige Nachrichten posten und dann einen Screenshot als Beweis machen oder seien zumindest schneller darin als die Admins beim Löschen. Auch habe es Anfragen und Nachfragen bis in die Nacht hinein gegeben.
Kooperationen: Keine bekannt. Im Gegenteil, grenzen sich die Demonstrationsverantwortlichen
sowohl von Neonazis (III.Weg), als auch von unangemeldeten „Spaziergängen“ ab. Sogar Werbung für letztere war im Telegram-Chat untersagt. Hierbei wird besonders das Ausbleiben von Repression und der Schutz vor „der Antifa“ betont als Argumente für die Abgrenzung von anderen
Impfgegner*innen.
Als am 20.12.2021 die unangemeldete Demonstration auf dem Vorplatz des Riesenrads endete wurden die Teilnehmenden vom Demonstrationsanmelder Sven Hausdorf per Megafon aufgefordert sich auf die Marktseite des Bassinplatzes zum Demonstrationsstartpunkt zu begeben. Dort mussten dann einige Durchsagen erfolgen, bis endlich alle Teilnehmenden Masken trugen und die Demonstration starten konnte.
Vermischungen: Durch die öffentliche Abgrenzung von unangemeldeten „Spaziergängen“ bildet die Demonstration eine Art Rückzugsort für Anti-Corona-Protest in Potsdam. So ist schon mehrfach beobachtet worden, dass die unangemeldeten Spaziergänge und die angemeldete Demonstration
sich personell vermischen. Dies geht tendenziell von den selbsternannten „Spaziergänger*innen“ aus, wird von der angemeldeten Demonstration aber nicht zurückgewiesen. Im Gegenteil, als am 13.12.2021 sich beide Demonstrationszüge vermischten, nahmen auch die Maskenträger*innen der angemeldeten Demonstration ihre Masken ab und verblieben mehrheitlich bei der sehr verschwörungsideologischen Kundgebung am Filmmuseum. Im Nachgang veröffentlichte Teilnehmer*innen und Verantwortliche der Demonstration „Potsdam gegen Impflicht“ Videos vom
vereinten Demonstrationszug und freuten sich über die Menschenmassen.
Strategie: Mit ihrer Strategie das Corona-Thema nur über die Impfpflicht anzugehen, sind die Veranstalter*innen bislang vergleichsweise erfolgreich. Es ist eine zunehmende Professionalisierung im Auftreten zu beobachten. Es wird technisches Equipment organisiert und es sollen zukünftig durch die Demonstration mehr Inhalte nach außen getragen werden. Hier sind zukünftig auch nach außen wahrnehmbare Entgleisungen des Publikums zu erwarten. Dabei dient die monothematische Herangehensweise einer besseren, weniger abschreckenden
Außenwirkung der Demo. Es geht nicht um eine inhaltliche Abgrenzung von Reichskriegsflaggen, Maskenverweigerung, Impfgegnerschaft, Anti-Wissenschaftlichkeit, Verschwörungsideologien (Qanon, Gates, Nanopartikel), sondern ausschließlich um die Außenwahrnehmung durch Politik, Presse und Öffentlichkeit. Es geht darum möglichst viele Menschen über die Thematik der freien Impfentscheidung zu aktivieren, aber möglichst ohne jemanden vor den Kopf zu stoßen, weder diejenigen die oben genanntem Verschwörungsdenken anhängen, noch diejenigen die diese Verschwörungserzählungen ablehnen. Eine starke Abgrenzung erfolgt lediglich auf der legalistischen Ebene, hier wird die Strategie der angemeldeten Demonstration als einzig richtiger Weg dargestellt, mit einer starken Abgrenzung zu unangemeldeten Demonstrationen. Diese Idee (der monothematischen und angemeldeten Demonstration) hat der Anmelder Sven Hausdorf, laut eigenen Angaben von einem Youtuber namens „Agent 00 Bielefeld“, dieser verbreitet ansonsten verschwörungsideologische Videos, die er vorgeblich „kritisch satirisch“ einordnet, eigentlich aber nur einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich macht.
Da es auf inhaltlicher Ebene keine politische Abgrenzung von den diversen Verschwörungsideologien erfolgte, ist es unter anderem möglich, dass immer wieder aktive Neonazis an dem Aufzug teilnehmen (die Kleinstpartei „Der 3. Weg“ am 03. Januar 2022 und Mitglieder von „Freies Potsdam“ am 10. Januar 2022). Auch das Chat-Verhalten des Anmelders ist nicht ausgerichtet auf inhaltliche Abgrenzung zu neonazistischen, verschwörungstheoretischen Positionen, es geht ihm nur darum, diese nicht öffentlich zu artikulieren.
Mitorganisator*innen:
Gunnar Gast: Gunnar Gast ist nicht nur Mitglied des Organisationsteams, sondern hier auch tonangebend. Er ist Anhänger diverser Verschwörungstheorien, (ehemaliger) Mitveranstalter der „Montagsmahnwachen“ und fleißige Social-Media-Ameise. Er ist nicht nur großer Fan von Trump, sondern gibt auch den Erklärbär was Polizeitaktiken betrifft. Er ist der Meinung, dass Corona nicht viel schlimmer sei als eine Grippe bzw. sogar weniger schlimm. (s.o.)
Nima: Bis vor kurzem war auch noch ein gewisser „Nima“ im Chat aktiv. Dieser scheint ebenfalls Anhänger diverser Verschwörungsideologien zu sein, u.a. des „Great Reset“.
Fazit:
Das Konzept der Demonstration „Potsdam gegen Impfpflicht“ bzw. „Potsdam für freien
Impfentscheid“ ist auf Wachstum der Teilnehmer*innenzahlen ausgerichtet. Deshalb erfolgen die Demonstrationen jeden Montag zur gleichen Uhrzeit und zukünftig wohl mit der immer gleichen Route. Dieses Wachstum sehen die Verantwortlichen gefährdet durch Distanzierungen von Themen, die nichts mit dem direkten Demonstrationsmotto zu tun haben. Den Teilnehmenden wird sogar geraten nicht auf Fragen durch Journalist*innen einzugehen, da den Verantwortlichen klar ist, wer einen nicht geringen Teil ihres Publikums und ihres Organisationsteams stellt: Menschen die Verschwörungsglauben anhängen oder diese sogar aktiv verbreiten. Somit ist die Potsdamer Demonstration „Für freien Impfentscheid“ nichts als ein weiteres U‑Boot, welches durchaus berechtigte Kritik an den Corona-Maßnahmen aufnimmt um eine eigene Agenda durchzusetzen.
Seit Anfang Dezember kommt es auch in Märkisch-Oderland wieder verstärkt zu Protesten gegen die anhaltenden Corona-Maßnahmen. Dabei trifft sich an Montagen, anmaßend angelehnt an die friedliche Revolution 1989 in der DDR, bundesweit eine heterogene Mischung aus Impfunwilligen, Corona-Leugner*innen, AfD-Politiker*innen bis hin zu organisierten Neonazis. Angefacht wurden diese erneuten Proteste rund um die Debatten zur Einführung einer Impflicht. Allein am ersten Januarwochenende gingen mehrere zehntausend Menschen bundesweit auf die Straße. Dabei kam es auch zu gewaltvollen Auseinandersetzungen mit der Polizei.
Die selbsternannten “Montagsspaziergänge” in unserer Region finden in größeren Dimensionen in Strausberg, Wriezen, Altlandsberg, Bad Freienwalde, Neuenhagen, Fredersdorf, Müncheberg, Buckow und Seelow statt. Dazu kommen weitere kleinere Spaziergänge in anderen Gemeinden und Dörfern. Zum Teil kommen bis zu 300 Personen zusammen, ohne offizielle Anmeldung bei der Versammlungsbehörde, ohne Beachtung des Mindestabstands und ohne Masken. Und das mitten in einer weltweiten Pandemie, die mit der neuen Omikron-Variante nicht als Welle, sondern beinahe als Mauer zu rasanten Anstiegen der Infektionszahlen führt. Anders als an anderen Orten und auch abweichend von den “Hygieneprotesten” aus dem Frühjahr 2021 gibt keinerlei politischen Ausdruck wie Transparente oder Schilder, selbst Sprechchöre werden nicht angestimmt.
Das es sich aber um politische und durchaus auch rechte Veranstaltungen handelt, zeigt ein Blick auf die Teilnehmer*innen der Spaziergänge und den Ton in den entsprechenden Telegram-Gruppen. In Strausberg laufen Mitglieder der 2005 verbotenen neonazistischen Kameradschaft ANSDAPO mit, darunter z.B. Falko Hesselbarth. Auch der bundesweit vernetzte rechte Kampfsportler und Musiker der Band “Exzess”, Tobias Vogt, war dabei, ebenso Malwig Stelter und weitere Mitglieder der gewaltbereiten rechte Jugendgruppe Division MOL.
Auch jenseits dieser Beteiligung durch Neonazis wird der extrem rechte Charakter der Spaziergänge schon deutlich, wenn man Wortfetzen der Teilnehmenden vor Beginn der “Spaziergänge” aufschnappt. Beispielsweise eine Gruppe bei den Strausberg Spaziergängen, die noch auf “Mengele” warten soll (vermutlich ein Spitzname, der sich auf den berüchtigten SS-Arzt in Auschwitz-Birkenau bezieht).
Anfang Dezember gründeten sich zeitgleich brandenburgweit “Brandenburg_steht_auf”-Telegramgruppen mit jeweils regionalen Bezügen. In Märkisch-Oderland koordiniert eine Person zentral diese Gruppe und führt Buch über die Anwesenheiten auf den jeweiligen Spaziergängen. Es wird dazu aufgerufen, antifaschistisch Aktive in den Gruppen an die Moderation zu melden und aus den Gruppen zu entfernen. In der Strausberg-Gruppe kam es zudem im Rahmen des Angebots eines Kinderimpftages in der Tagespflege “Im alten Lokschuppen” am 15.Januar 2022 zu Aufrufen, dort zu protestieren. Es wurde gedroht, den*die Impfärzt*in herauszufinden und diese persönlich zu besuchen. Solche Drohungen gegen medizinisches Fachpersonal reihen sich ein in eine sich zuspitzende gesellschaftliche Stimmung, in der aus Drohungen auch Gewaltanwendung wird.
Die Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt Märkisch-Oderland beobachtet diese Spaziergänge mit Sorge. “Die Weigerung, sich an Hygieneregelnzu halten ebenso wie die Selbstverständlichkeit, mit gewaltbereiten Nazis auf die Straße zu gehen, besorgt uns”, so Tom Kurz von der Beratungsstelle. Er befürchtet eine mögliche gewaltätige Zuspitzung der Proteste, wie es in Südbrandenburg oder Sachsen der Fall ist. “Zusätzlich ist ein Treffen so vieler Menschen ohne Maske und Abstand ignorant und ignoriert die schnelle Ausbreitungsrate der Omikron-Variante.”
Angesichts dieser Entwicklungen kommt uns die Verantwortung zu, den extrem rechten Charakter der Aufzüge zu entlarven UND gleichzeitig eine solidarische Kritik an den Maßnahmen zu formulieren. Eine linke Stimme ist von Anbeginn der Pandemie viel zu leise, gerade vor dem Hintergrund der aktuellen massenhaften “Spaziergänge” wird sie dringlicher denn je. Die weltweite Pandemie ist real und hat viele Menschen das Leben und die Gesundheit gekostet. Viele weitere sind bei einer möglichen Infektion aufgrund von Vorererkrankungen von schweren Verläufen bedroht, viele Pfleger*innen und Ärzt*innen in den Krankenhäusern und auf den Intensivstationen an ihren Grenzen. Lasst uns mit diesen gemeinsam für eine gute medzinische Absicherung und bessere Arbeitsbedingungen kämpfen statt Eigeninteressen in den Vordergrund zu stellen. Lasst uns zusammen stehen mit dem Blick auf den Schutz der gesellschaftlich Schwächsten. Lasst uns gemeinsam linke, antikapitalistische Antworten auf die Corona-Krise finden und uns nicht mit vermeintlich einfachen Antworten aus dem Querdenken-Spektrum zufrieden geben.
Kurz vor Weihnachten, am 20. Dezember, gab es in der Eberswalder Flämingstraße im Brandenburgischen Viertel einen 4‑stündigen Großeinsatz von Polizei und Ausländerbehörde. Ziel war die Abschiebung eines jungen Mannes und einer Familie nach Russland. Alle Betroffenen waren vor der Bedrohung durch die brutale Diktatur in der russischen Teilrepublik Tschetschenien geflohen. Am Ende des Einsatzes wurde ein junger 20jähriger abgeschoben, seine Mutter bleibt allein zurück. Die Abschiebung der Familie musste zwar abgebrochen werden, aber die Betroffenen stehen unter Schock. Die Angst vor weiteren Abschiebungen ist groß, auch unter den vielen anderen geflüchteten Tschetschenen, die in Eberswalde leben.
„Wir haben mit einigen der Betroffenen gesprochen und möchten der offiziellen Darstellung die der betroffenen Familien gegenüberstellen“, erklärt Thomas Janoschka vom Barnimer Bürger*innenasyl. „Der Einsatz war organisiert, als gälte es bewaffnete Schwerverbrecher oder Terroristen festzunehmen. Die Betroffenen wollten aber nichts anderes, als hier in Sicherheit leben. Abschiebungen sind unmenschlich — wir fordern dagegen ein Bleiberecht für alle!“
Wie uns Frau Kukieva berichtete, kamen Polizisten mit Maschinengewehren bewaffnet in die Wohnung ihrer Familie und blieben dort für die Dauer des Einsatzes. Aus Verzweiflung wollte Frau Kukieva ein Messer gegen sich selbst verwenden um sich zu verletzen, aber die Polizei hat sich kurzzeitig selbst bedroht gefühlt. Inzwischen hat die Polizei ein Ermittlungsverfahren wegen “Nötigung” gegen sie eingeleitet. Glücklicherweise war der 16-jährige Sohn der Familie nicht zu Hause, vermutlich wurde auch deshalb die Abschiebung der Familie abgebrochen.
Die Familie, die schon seit 9 Jahren in Deutschland lebt, hatte nicht mit einer Abschiebung gerechnet. Laut Gesetz muss diese angekündigt werden, wenn die Betroffenen schon mehr als ein Jahr lang geduldet werden. Dabei wird den Betroffenen nicht der genaue Termin mitgeteilt, aber die Absicht in nächster Zeit abzuschieben. Weil die Ausländerbehörde die Abschiebung nicht wie vorgeschrieben angekündigt hatte, hat die Anwältin der Familie eine Einstweilige Verfügung bei Gericht beantragt. Zunächst hat die Barnimer Ausländerbehörde dem Gericht mündlich zugesagt, in den nächsten vier Wochen keine Abschiebeversuche zu unternehmen. Außerdem ist ein Antrag auf Bleiberecht wegen guter Integration für den 16jährigen Sohn anhängig.
Für den Vater der Familie, Herrn Tsechoev, hatte die Familie der Ausländerbehörde ein mehrseitiges ärztliches Gutachten vorgelegt. Wegen einer Krebserkrankung ist er nicht reisefähig. Eine Mitarbeiterin der Ausländerbehörde soll bei Vorlage des Attestes gesagt haben: „Selbst wenn sie daliegen wie ein Toter, ist mir das egal und sie werden abgeschoben werden.“
Frau Kukieva wird immer noch schlecht, wenn sie an die Anspannung dieses Polizeieinsatzes denkt. Auf die Frage: „Wie fühlt es sich an, so lange schon mit einer ‚Duldung‘ zu leben?“ sagt sie: „Wir sind immer im Stress. Wir haben immer Angst, dass eine Abschiebung kommen könnte. Wir haben keine Chance, eine Arbeit zu finden, weil die Duldung nur 3 Monate gilt. Wir können fast nie entspannen.“
Bei dem selben Polizeieinsatz wurde ein 20-jähriger aus demselben Haus tatsächlich nach Russland abgeschoben. Seine Mutter, Frau Osmaeva, arbeitet als Erzieherin und hat seit Oktober eine Aufenthaltserlaubnis. Ihr Sohn hatte im Sommer die Schule abgeschlossen und hatte gerade viele Bewerbungen für einen Ausbildungsplatz geschrieben. Außerdem hatte er für Anfang Januar einen OP-Termin, den er nun nicht mehr wahrnehmen kann.
„Für mich ist das ein großer Schock.“, sagt Frau Osmaeva „Ich war seit 2013 mit meinem Sohn in Deutschland. Ich war immer alleinerziehend. Im Herbst habe ich den Aufenthaltstitel bekommen und nicht geahnt, dass mein Sohn trotzdem abgeschoben werden kann, weil er volljährig ist.“ Jetzt sei er in Moskau und es sei unklar, ob er jemals wieder her kommen könne. „In Russland hat er nur gelebt bis er 12 Jahre alt war. Er hat 8 Jahre in Deutschland gelebt — er ist hier viel besser integriert als in Russland.“
“Wir fordern die sofortige Erlaubnis der Rückkehr des abgeschobenen 20jährigen”, so Thomas Janoschka vom Barnimer Bürger*innenasyl, “und wir werden uns weiterhin dafür einsetzen, dass es keine weiteren Abschiebungen aus dem Barnim gibt.”
Der III.Weg versucht Coronaproteste für sich zu nutzen (Quelle: Presseservice Rathenow)
Neben der leider im Vergleich zum Vorjahr nur in geringem Maße zurückgegangenen und damit auf einem hohen Niveau verbleibenden Zahl rassistischer, antisemitischer und rechter Angriffe, waren im Jahr 2021 vor allem Mobilisierungen gegen Menschen, die migriert oder geflohen sind, sowie rund um das Themenfeld der Schutzmaßnahmen gegen die Verbreitung des COVID19-Virus Hauptbetätigungsfeld von rechten und rassistischen Einzelpersonen und Organisierungen.
Die Akteurslandschaft in Bewegung: AfD bleibt stark, Neonazis bauen Strukturen aus
Bei der diesjährigen Bundestagswahl erzielte die AfD 18,3 Prozent, 1,1 Prozent weniger als bei den Bundestagswahlen 2017. Damit schnitt sie in Brandenburg weit über dem Bundesdurchschnitt ab und verschlechterte sich weniger als auf Bundesebene. Sie bleibt knapp hinter der CDU drittstärkste Partei. Insbesondere in Süd- und Ostbrandenburg erzielte sie hohe Ergebnisse. In Südbrandenburg stützt sie sich weiterhin auf das Milieu, das seit 2015 die rassistischen Proteste gegen die Aufnahme und Unterbringung von Asylsuchenden trug.
Nachdem die AfD jahrelang das rechte Spektrum parteipolitisch zum größten Teil allein abdeckte, begann sich 2021 die Situation zu verändern. Das Milieu aktivistischer Neonazis begann wieder verstärkt eigene Strukturen aufzubauen beziehungsweise zu reaktivieren.
Die NPD, die in den letzten Jahren in Brandenburg keine öffentlich wahrnehmbare Rolle spielte, bemüht sich in Cottbus, Königs-Wusterhausen und Frankfurt/Oder um den Aufbau lokaler Strukturen. In Frankfurt/Oder organisierte sie in diesem Zusammenhang im Frühjahr eine Kampagne gegen einen wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern verurteilten Mann, mit dem Ziel diesen aus der Stadt zu vertreiben. Es gelang ihr, in diesem Zusammenhang mehrere Versammlungen durchzuführen, die z.T. durch eine gewaltbereite Teilnehmerschaft geprägt waren.
Im Gegensatz zur NPD verfügte der III. Weg in den letzten Jahren punktuell über kontinuierlich aktive Strukturen in Brandenburg. Diese baut er aktuell weiter aus, wobei er sich u.a. auf ehemalige Mitglieder von NPD und Kameradschaften stützt. Seit diesem Jahr verfügt die Partei auch in der Prignitz über aktive Mitglieder. Grundlage ihrer politischen Tätigkeit ist dabei weiterhin vor allem ein vigilantistischer Ansatz, den sie in Brandenburg in kleinem Rahmen schon in den letzten Jahren praktiziert hatte. Durch Patrouillengänge versucht die Partei sich lokal als Ordnungsfaktor darzustellen und das staatliche Gewaltmonopol auszuhöhlen. Dabei setzt sie vor allem auf rassistische Mobilisierungen. So patrouillierten Aktive des III. Wegs in der nordbrandenburgischen Kleinstadt Kyritz, in der es zuvor einige Gewaltvorfälle unter Beteiligung tschetschenischer Jugendlicher gab.
Auch die im Kreis Märkisch-Oderland (MOL) aktive Division MOL steigerte in diesem Jahr ihre Aktivitäten. Dabei handelt es sich um eine Gruppe jugendlicher Neonazis im Alter von 15 bis 20 Jahren, deren maßgebliche Akteur:innen Kinder bekannter rechtsradikaler Aktive in der Region sind. Nachdem sie erstmals Anfang 2020 mit dem Verkleben von Stickern und rechten Sprühereien auffielen, nahmen sie in diesem Jahr an mehreren rechten Aufmärschen in Berlin, Leipzig und Dresden teil. Dabei fielen sie auch mit gewalttätigen Aktionen auf. Anfang 2021 zerstörten sie den Gedenkort für Phan Văn Toản, der 1997 in Fredersdorf bei Berlin ermordet worden war. Sie entwendeten eines der Gedenk-Transparente und posierten in Hooligan-Manier mit dem umgedrehten Transparent. Im Dezember 2021 griffen Mitglieder der „Division MOL“ auf einer Querdenker-Demonstration in Berlin Journalist:innen an.
Vorbereitung auf den Tag X: Waffenlager und Schießübungen
Über das Jahr verteilt gab es immer wieder Meldungen zu aufgedeckten Waffenlagern in Brandenburg, so etwa in der Prignitz und in Märkisch Oderland. Im August wurde vor dem Landgericht Neuruppin ein Soldat aus Hennigsdorf wegen illegalen Waffenbesitzes verurteilt, der größere Mengen an Waffen und Munition gehortet und sich mit anderen zu Schießübungen getroffen hatte. Bei der Durchsuchung seiner Wohnung war auch eine Hitlerbüste gefunden worden. Er selbst behauptete von sich, auf dem Boden des Grundgesetzes zu stehen und lediglich historisch interessiert zu sein. Inwiefern die „Waffenleidenschaft“ des Mannes einen politischen Hintergrund hat, wurde in dem Prozess jedoch nicht geklärt. Anfang Dezember fand eine Großrazzia in Cottbus und Forst sowie bei Bautzen in Sachsen in mehreren Wohnungen von Mitgliedern beziehungsweise aus dem Umfeld der neonazistischen Vereinigung „Brigade 8“ statt. Dabei fand man u.a. Waffen, Elektroschocker, einen Teleskopschlagstock und Drogen. Auch über Razzien und Prozesse hinaus gibt es immer wieder Hinweise von Anwohner:innen, dass in Brandenburgs Wäldern Menschen mit Schusswaffen und Sprengmitteln experimentieren – in Einzelfällen berichten sie auch, dass es sich dabei um Neonazis handelt.
Mobilisierungen: Rassismus und Corona-Leugnung
Die ab September 2021 stärker werdende Diskussion über den Umgang mit dem Versuch von Menschen aus dem Nahen Osten und Afghanistan, über die Grenze zwischen Belarus und Polen in die EU einzureisen, wurde von verschiedenen rechten Akteur:innen in Brandenburg für Mobilisierungsversuche genutzt.
Die AfD veranstaltete zu dem Thema zwei Kundgebungen in Frankfurt/Oder und äußerte sich wiederholt medial dazu. Der III. Weg rief am dritten Oktoberwochenende zu Patrouillen an der Grenze auf. Dabei orientierte er sich offensichtlich am Vorbild rechter Milizen, die einigen Ländern Osteuropas in Grenznähe Jagd auf Migrant:innen machen. Die Aktion wurde polizeilich unterbunden. Dabei wurden mehr als 50 Rechte aus Brandenburg, Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Berlin und Bayern festgestellt, die zum Teil mit Pfefferspray, Schlagstöcken und Stichwaffen bewaffnet waren.
Im Widerstand gegen die Infektionsschutzmaßnahmen während der Corona-Pandemie formierte sich auch in Brandenburg ein zum Teil gewaltbereites (beziehungsweise gewalttätiges) Milieu. Mit der Zuspitzung der pandemischen Lage im Herbst und der daraus resultierenden Verschärfungen der Maßnahmen nahmen auch auch die Aktionen dieses Milieues stark zu. In vielen Städten häuften sich insbesondere gegen Jahresende die Demonstrationen, sogenannte „Spaziergänge“ und auch martialisch anmutende Fackelmärsche, wie etwa in Oranienburg, Falkensee, Rathenow, Bernau und Potsdam. Im Dezember fanden derartige Aufmärsche in vielen brandenburgischen Städten wöchentlich statt.
Auch wenn die Szene heterogen zusammengesetzt ist – unter den Teilnehmenden an den Protesten befinden sich etwa auch auch „linke“ Esoteriker:innen – bestimmen Neonazis und Reichsbürger:innen doch zunehmend den Charakter der Demonstrationen.
Die AfD war auch im zweiten Pandemie-Jahr einer der zentralen Akteure bei der Mobilisierung gegen die Infektionsschutzmaßnahmen, um sich diese politisch zu Nutzen zu machen und um die Demonstrierenden zu werben. Neben der Beteiligung an zahlreichen Demonstrationen, rief die AfD auch selbst immer wieder zu Protesten gegen die Corona-Auflagen auf. Anfang Dezember etwa zu einer mehrtägigen Mahnwache gegen die Corona-Maßnahmen vor dem Landtag in Potsdam. Im Frühjahr hatte die AfD in Bezug auf das geplante Infektionsschutzgesetz Vergleiche zur Machtergreifung Hitlers im Jahr 1933 gezogen und von der Errichtung eines totalitären Staates gesprochen. Ein Bedrohungsszenario, das sich in radikalen Corona-Leugner und sogenannten Querdenker-Gruppen großer Beliebtheit erfreut und dort den Eindruck erweckt, man befinde sich als Teil einer Widerstandsbewegung bereits in einer Art Bürgerkrieg. Auf diese Weise wird in solchen Gruppen dann auch Gewalt als Mittel gegen diese vermeintliche Bedrohung legitimiert und zur Notwehr stilisiert.
Das Thema Corona wird dabei mit klassisch rechten Themen vermengt. Besonders deutlich wurde das bei den von der AfD und der rechten Gruppierung „Zukunft Heimat“ veranstalteten Aufmärschen in Cottbus, die von rechten Hooligans angeführt wurden, u.a. mit einem Banner, auf dem zu lesen war „Kontrolliert eure Grenzen, nicht euer Volk“. Auch andernorts mischen sich unter Aussagen zur Pandemiepolitik immer wieder geflüchtetenfeindliche Parolen. In Wittstock (Ostpringniz-Ruppin) gelang es dem III. Weg etwa 300 Teilnehmende zu einem Fackelmarsch gegen die Corona-Maßnahmen zu mobilisieren.
Bei einer Demonstration in Treuenbrietzen (Potsdam-Mittelmark) wurde der Rechtsextremist Maik Eminger gesichtet, ehemaliges Mitglied der Partei „Der III. Weg“ und Bruder des verurteilten NSU-Unterstützers André Eminger.
An mehreren Orten entlud sich der Widerstand gegen die Infektionsschutzmaßnahmen dann auch gewaltsam. So gab es neben mehreren Angriffen auf Mitarbeitende im Einzelhandel, die etwa auf die Maskenpflicht hingewiesen hatten, Ende November einen Buttersäureanschlag auf zwei Testzentren in Brandenburg an der Havel, bei dem glücklicherweise niemand verletzt wurde. Ebenfalls Ende November bedrohte ein Mann in der Notaufnahme eines Krankenhauses in Potsdam einen Mitarbeiter mit einem Messer, nachdem er auf die Coronaregeln hingewiesen wurde.
Bei einem Anfang Dezember verübten Verbrechen ist die Rolle, die die Mobilisierung gegen die Corona-Schutzmaßnahmen für dessen Begehung spielte, noch genauer zu untersuchen. In Königs Wusterhausen erschoss ein Mann seine Frau und die gemeinsamen drei Töchter. Durch die zuständige Staatsanwaltschaft Cottbus wurde öffentlich bekannt gemacht, dass es einen Abschiedsbrief gebe. In diesem werde als Motiv der Tat benannt, dass die Frau bei ihrem Arbeitgeber einen gefälschten Impfnachweis vorgelegt habe, was aufgeflogen sei. Den gefälschten Impfnachweis hatte der Mann besorgt. Aus diesem Grund hätten die Eltern eine Inhaftierung und den Entzug ihrer Kinder befürchtet. Diese im Abschiedsbrief formulierte Begründung lässt befürchten, dass die Tathandlung von politischen Verschwörungsmythen gelenkt war. Mittlerweile wurde auch bekannt, dass sich das Paar in regionalen Querdenkerkreisen bewegt haben soll.
Bemerkenswert ist, dass der rechten Mobilisierung gegen die Corona-Schutzmaßnahmen von Seiten der Zivilgesellschaft, die in den letzten 20 Jahren die Proteste gegen Naziaufmärsche und rassistische Mobilisierungen trug und den Handlungsspielraum rechtsradikaler Akteure in Brandenburg effektiv begrenzen konnte, nur vereinzelt etwas entgegengesetzt wird. Auch hierdurch verstärkt sich der fälschliche und fatale Eindruck, man habe es mit einer wachsenden Massenbewegung zu tun und nicht mit einer lauter werdenden und sich radikalisierenden Minderheit. Es ist zu befürchten, dass sich daraus substantielle politische Machtverschiebungen im Land ergeben können.
Gedenken an Opfer rechter Gewalt
Zu Beginn dieses Jahres fand zum ersten Mal ein öffentliches Gedenken für Phan Văn Toản statt, der am 31. Januar 1997 am S‑Bahnhof Fredersdorf im Landkreis Märkisch Oderland von zwei Neonazis zusammengeschlagen wurde und drei Monate später im Alter von 42 Jahren an den Folgen des Anriffs verstarb. Organisiert wurde die Mahnwache von der Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt Märkisch-Oderland und VVN-BdA Märkisch-Oderland. Das Gedenken soll von nun an jährlich stattfinden und die Organisator:innen setzen sich dafür ein, dass am S‑Bahnhof Fredersdorf eine Gedenktafel dauerhaft an Phan Văn Toản erinnert.
Zum 25. Jahrestag des Angriffs auf Noël Martin in Mahlow im Landkreis Teltow-Fläming fand in Blankenfelde-Mahlow im Juni eine Aktionswoche gegen Rassismus statt, an der sich neben vielen anderen Mitwirkenden auch die Opferperspektive beteiligte. Am 16. Juni 1996 hatten Neonazis in Mahlow einen rassistischen Anschlag auf Noël Martin und seine Kollegen Arthur B. und Mikel R. verübt. Martin überlebte nur knapp und war seitdem querschnittsgelähmt. Er lebte mit massiven körperlichen Einschränkungen – und verstarb infolge dieser am 14. Juli 2020 im Alter von 60 Jahren.
In diesem Jahr jährte sich auch der Angriff auf den Punk Sven Beuter zum 25. Mal. Eine Gruppe Aktivist:innen, die schon die vergangenen Gedenkveranstaltungen organisiert hatte, gründeten zu diesem Anlass die „Initiative zum Gedenken an Sven Beuter“ und organisierten rund um den Jahrestag verschiedene Veranstaltungen und eine Demonstration. Einige der geplanten Veranstaltungen konnten aufgrund der Pandemielage allerdings nicht stattfinden. Der damals 23-jährige Sven Beuter wurde am 15. Februar 1996 in Brandenburg an der Havel von einem Neonazi zusammengeschlagen und erlag fünf Tage später seinen Verletzungen.