Es sollte die große Abrechnung mit Brandenburgs Sozialministerin Diana Golze (Linke) werden. Offen wurde bereits in der Veranstaltungsankündigung im Internet ihr Rücktritt vom Ministeramt gefordert. Doch in den Redebeiträgen von Christian Kaiser und Elke Metzner, die heute die Hauptredenden bei der Kundgebung des extrem rechten Bürgerbündnisses Havelland waren, blieben die Anfeindungen gegen Golze und andere Politiker – im Vergleich zum üblichen Niveau der Veranstaltungsreihe – eher unspektakulär und marginal. Stattdessen strotzten die Reden vor allem wieder von Anfeindungen u.a. gegen Geflüchtete, „Arbeitsunwillige“ und insbesondere gegen den „linksversifften Multikultistaatsapparat der BRD“, der aus Sicht von Veranstaltungsteilnehmenden keine Politik in ihrem Sinne mache. Entsprechend läge der Fehler schon längst nicht mehr im System – das „System“ sei „der Fehler“, so Kaiser in seinem Redebeitrag.
Für fehlerhaft hielt der Vorsitzende des „Bürgerbündnisses Havelland“ e.V. offenbar auch den Straftatbestand der „Volksverhetzung“ und solidarisierte sich erneut mit der verurteilten Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck. Zudem begrüßte er die „Schutzzonen“-Propaganda der NPD und äußerte sich positiv gegenüber so genannten „Bürgerbewehren“.
Ein anderer Veranstaltungsteilnehmer sah hingegen vor allem anwesende Presse als Feindbild und versuchte auf einen Fotografen loszugehen. Ein Security-Mann verhinderte schließlich Tätlichkeiten.
Trotz geringer Teilnehmendenzahl und politischer Bedeutungslosigkeit geht von einigen Veranstaltungsgästen also nach wie vor eine hohe Aggressivität aus, die möglicherweise aus einer Mixtur aus einem falschen Rechteverständnis und Rechthaberei heraus resultiert.
Zu dem scheinen die Veranstaltenden auch nur bedingt Interesse zu haben, ihre Gäste im Zaum zu halten. Redner, wie Wolfgang Hoppe, scheinen jedenfalls an keiner Deeskalation interessiert zu sein. Er drohte einmal mehr vom Podium aus, gegen einen namentlich genannten Pressevertreter vorzugehen.
Beinahe harmlos wirkte dagegen der letzte Redner Ralf Maasch, der angesichts hoher Temperaturen kurz und knapp alle Zuhörenden aufforderte für „arme Tiere“ ein bisschen Wasser herauszustellen. Für Geflüchtete hat er allerdings kein Mitgefühl, wenn die Botschaft auf seinem T‑Shirt richtig gedeutet wird. Darauf werden sie indirekt als kriminelle Subjekte entmenschlicht, für die „Politiker“ haften würden.
Insgesamt nahmen 20 Personen an der abendlichen Versammlung des „Bürgerbündnisses“ teil.
Monat: Juli 2018
In der Nacht von Sonntag auf Montag haben Aktivist*innen das Zentrum der rassistischen Mobilmachung und Neonazitreffpunkt in der Mühlenstraße mit Farbe eingedeckt. Hier wollen die AfD zusammen mit der Identitären Bewegung und einprozent, Cottbus zu einer “national befreiten Zone” machen. Somit tragen sie Verantwortung für rechte Gewalt und rassistische Vorherrschaft in der Stadt. Es ist Zeit Hetzer*innen das Handwerk zu legen!
Mit der Aktion haben Aktivist*innen ein deutliches Zeichen gesetzt, um das Schweigen um die Situation zu brechen. Denn die Stadt mit ihren Einwohner*innen muss sich klar gegen den unerträglichen, diskriminierenden Zustand stellen.
Die “Neue Rechte” wird versuchen, sich durch die Aktion als Opfer darzustellen, aber rassistische Täter*innen sind keine Opfer!
Wehret den Anfängen — keine Ruhe für fremdenfeindliche Brandstifter*innen!
Am 20.07.2018 versuchte eine Gruppe von 6 Anhängern der rechtsradikalen Partei “Der 3. Weg” auf dem Marktplatz in Templin mit einem Bollerwagen Unterschriften zu sammeln und wurde daran durch spontanen Protest erfolgreich gehindert.
Die Gruppe um Matthias Fischer und Patrick Krüger versuchte auf dem Templiner Marktplatz Unterschriften für ihre Wahlzulassung zur Europawahl zu erhalten. Die Polizei, die kurzzeitig anwesend war, verwies die Gruppe, von denen mehrere Personen einschlägig rechtsextreme und zum Teil verfassungsfeindliche Tattoos zur Schau stellten, nicht des Platzes. Auch wurde auf Nachfrage im Ordnungsamt der 3. Weg als normale Partei verhandelt und kein Spielraum gesehen, diesen “Infostand” zu unterbinden. So konnte die Gruppe sich also weiterhin mit einheitlichen TShirts, die sie als “National. Revolutionär. Sozialistisch.” auswiesen, Tattooschriftzügen, wie “Wolf’s hook – White Brotherhood” auf Patrick Krügers Hals und “Aryan hope” auf Mattias Fischers Kopf und mit ihrer rassistischen Propaganda auf dem Marktplatz aufhalten.
Daraufhin formierte sich spontan ein Protest für Bewegungsfreiheit von ebenfalls 6 Passantinnen, die die Neo-Nazis mit Diskussionen, Gesang und einem improvisierten Transparent abschirmten, bis diese nach etwa einer Stunde aufgaben und einpackten – ohne gesammelte Unterschriften.
Die Anastasia-Bewegung
Dieser Artikel erschien zuerst im AIB 119 | 2.2018
Auch wenn er lange auf sich warten ließ, der Sommer ist da! Mit ihm auch eine Reihe von esoterischen Terminen, die es sich lohnt zu verpassen, deren Hintergründe jedoch aufhorchen lassen. Wenn auf einem Festival neben Öko-Workshops „arisches Wissen weitergegeben“ wird und zu der deutschen Nationalhymne krude Strophen gedichtet werden, die von Blendung, fremden Mächten und Erwachen handeln, kann es sein, dass man sich auf einem Anastasia-Festival befindet. Mit entsprechendem Programm warb die Anastasia-Bewegung im letzten Jahr für das Festival inThüringen, an dem nach eigenen Angaben rund 550 Personen teilnahmen. Anfang September 2018 soll ein weiteres Festival mit dem Namen „Wiedergeburt“ stattfinden. Zudem organisieren AnhängerInnen der Szene bundesweit Treffen, Vorträge und Siedlerstammtische.
Die Anastasia-Buchreihe als Quelle der Bewegung
Die Anastasia-Bewegung beruht auf der Buchreihe „Die klingenden Zedern Russlands” von Wladimir Megre. Auf einer Geschäftsreise in die russische Taiga traf der 1950 in Russland geborene Megre 1994 angeblich eine Frau namens Anastasia, die einsam in der Wildnis lebt. Über seine Begegnung mit ihr berichtet Megre in insgesamt 10 Bänden, die in den Jahren 1996 bis 2010 auf russisch erschienen sind und mittlerweile auch auf deutsch vorliegen. Laut infoSekta, der schweizerischen Fachstelle für Sektenfragen, ist die Anastasia-Strömung eine „esoterische Bewegung mit einer stark nationalistischen, verschwörungstheoretischen und rechtsesoterischen Ausrichtung“.
Die Grundidee ist simpel: Jede Familie (bestehend aus Mann, Frau und Kindern) soll einen Hektar Land, den sogenannten Familienlandsitz, bewirtschaften und darauf ihr Haus bauen. Wenn alle Menschen diese Idee verfolgen würden, wären angeblich die Probleme dieser Welt gelöst und die Erde ein Paradies. Doch zwischen diesen fantastisch anmutenden Elementen finden sich auch immer wieder antisemitische, rassistische und sexistische Aussagen. Megre zeichnet eine stark vereinfachte Welt, in der böse Mächte und die Technokratisierung schuld an allem Übel sind.
Im ersten Band der Anastasia-Reihe „Tochter der Taiga” wird ausführlich von der Begegnung Megres mit Anastasia berichtet. Neben Ausführungen über ihre Wunderkräfte, die Bedeutung eines eigenen Gartens und von selbstgezogenem Gemüse, finden sich auch zahlreiche Andeutungen über dunkle Mächte, gepaart mit einem ausgeprägten Sexismus: „Zum Beispiel ist es mir unbegreiflich, wie die dunklen Kräfte es schaffen, die Frauen dermaßen zu verdummen, dass sie ahnungslos die Männer mit ihren Reizen anziehen und ihnen somit die richtige Wahl unmöglich machen, die Wahl der Seele.”[1] Während dem Mann die schöpferische Rolle zugeschrieben wird, gesteht Megre der Frau nur die passive Rolle der Muse zu.
In den weiteren Bänden geht es um die Bedeutung von Bäumen und Steinen, um Pädagogik, „die Schöpfung“ und das Wesen der Menschen. Im dritten Band „Raum der Liebe“ wird das Konzept der Schetinin-Schule vorgestellt. Inspiriert von der Anastasia-Lektüre, entwickelte der Lehrer Michail Petrowitsch Schetinin das Konzept, indem davon ausgegangen wird, dass Kinder allwissend sind und nur noch den Zugang zu ihrem Wissen finden müssen. Dann sei die sonst 11-jährige Schulausbildung auch in nur einem Jahr schaffbar. Zusätzlich zu dem Druck, den dieses Grundverständnis auf jedes einzelne Kind ausübt, kommt ein starker Militarismus und Nationalismus in der Ausbildung. Im europäischen Kontext wurde das Prinzip der Lais-‚Schulen‘ (in Wirklichkeit handelt es sich um Lerngruppen, da es keine Schul-Zulassung gibt) entwickelt, dass der Schetinin-Schule ähnelt, aber auch einige Unterschiede aufweist. Der Begriff ‚Lais‘ soll aus dem Gotischen stammen und übersetzt „ich weiß“ heißen.[2]
Vor allem im sechsten Band „Das Wissen der Ahnen” finden sich vermehrt antisemitische und rassistische Aussagen. So seien angeblich alle Jüd*innen von einem dunklen Oberpriester „programmiert“ worden und seitdem willenlose „Roboter“. Dies sei die Erklärung für all das Leid, dass den Jüd*innen in den letzten Jahrtausenden wiederfahren ist: „Da das schon mehr als ein Jahrtausend geschieht, kann man den Schluss ziehen, dass das jüdische Volk vor den Menschen Schulden hat. Aber worin besteht die Schuld? Die Historiker, die alten wie die neuen, sprechen davon, dass sie Verschwörungen gegen die Macht anzettelten. Sie versuchten alle zu betrügen, vom jungen bis zum alten. […] Das bestätigt die Tatsache, dass viele Juden wohlhabend sind und sogar auf die Regierung Einfluss nehmen können.“[3]
Die AnhängerInnen von Megre nutzen die Bücher als Informationsquelle und befolgen die dort gegebenen Anweisungen zum Aufbau von Familienlandsitzen. Wie ernst die Bewegung zu nehmen ist, zeigt auch die Unterstützung durch die russische Regierung: Mehrere Lokalregierungen haben kostenlos Land für die Gründung von Familienlandsitzen zur Verfügung gestellt.
Die Anastasia-Bewegung
In der Familienlandsitz-Bewegung treffen sich Ökos, „Weltverbesserer“, VerschwörungstheoretikerInnen und RassistInnen. Das verdeutlicht nicht zuletzt ein Beispiel aus Brandenburg.
„Solide arisch leben. […] fest verwurzelt – wie die deutsche Eiche. Deswegen, Männer: Baut ein Heim, legt einen Garten an, zeugt einen Sohn und pflanzt eine Eiche.“ — O‑Töne aus einem Video von Frank Willy Ludwig aus dem Juni 2017[4]. Ludwig ist Anastasia-Anhänger, lebt auf seinem Familienlandsitz in Liepe (Brandenburg)[5] und ist Betreiber der Internetseite „Urahnenerbe Germania“. Dort verknüpft Ludwig den Appell, „Familienlandsitze“ nach Anastasia aufzubauen mit Rasseideologien und antisemitischen Verschwörungstheorien.
Frank Willy Ludwig; Quelle: Urahnerbe Germania, 10.05.2018
Er stellt die Schuld Deutschlands am Holocaust in Frage, die die „vorläufigen Sieger […] uns reindrücken“, spricht von einer „Dämonkratie“, in der wir leben, einem „Weltjudentum“ und ersetzt die letzte Silbe von Wörtern wie Revolution und Zivilisation mit „-zion“.[6]
Kleingärtner werden laut Megre die Welt retten, und so erzählt auch Ludwig von sich als Gärtner und Weltretter.
Ähnlich krude und realitätsfern beschäftigt sich Thomas Patock, der 2016 wegen Holocaustleugnung und Volksverhetzung verurteilt wurde[7], mit den Anastasia-Romanen[8]. In reichsideologischer Manier möchte Patock, selbsternannter König von Wedenland, „den Aufbau von Familienlandsitzsiedlungen innerhalb des Deutschen Reiches sowie allen weiteren Königreichen im Staatenbund der Königreiche Wedenland [fördern]“[9]. Auf seiner Webseite heiltheke.de verkauft er Produkte, die aus Holz, Öl oder den Nüssen der Zedern bestehen.
Neben den oben genannten Akteuren spielen Gruppen, die bereits Land für ihre Familienlandsitz-Siedlung gekauft haben und sie nun aufbauen, eine große Rolle. Einerseits sind sie Vorzeigeobjekte in Reportagen und Fernsehsendungen, andererseits dienen bereits gegründete Siedlungen als Szenetreffpunkte. Mittlerweile existieren in Deutschland 12 Familienlandsitze, weitere sind in Planung.
Ein Beispiel ist das Goldene Grabow, eine Familienlandsitz-Siedlung in Brandenburg, auf der 18 Menschen auf bisher 23°ha leben. Dort fand 2015 nicht nur ein Anastasia-Festival statt, sondern laut einem Bericht des „Blick nach rechts“ auch das Sommerlager des rechtslastigen „Sturmvogel – Deutscher Jugendbund“[10]. Die Gruppe der SiedlerInnen lädt regelmäßig zu „volkssportlichen Wettkämpfen“, Festspielen und esoterischen Männer- und Schwesternkreisen ein. Zu den tabak- und alkoholfreien Events im Anastasia-Vorzeigeprojekt sind auch DorfbewohnerInnen herzlich eingeladen.
[1]Megre 2017: „Tochter der Taiga“, S. 66. 13. Taschenbuch-Auflage, Govinda-Verlag
[2]http://www.infosekta.ch/media/pdf/Anastasia-Bewegung_10112016_.pdf
[3]Megre 2016: „Das Wissen der Ahnen“, S.174. 7. Auflage, Verlag “Die Silberschnur”
[4]https://www.youtube.com/watch?v=CgFqrxCfFI0, letzter Aufruf 13.05.2018
[5]http://www.familienlandsitz.com/raum%20der%20liebe.htm
[6]https://www.youtube.com/watch?v=CgFqrxCfFI0, 14:50, letzter Aufruf 13.05.2018
[7]http://api.ning.com/files/V5Rxz5Og90O8SXY*4Q8*DUrOp9WUZrC2MS8XnHmsV7Kqp0T3nDucBs3sxYqjxiNugRi*kT0EbX5Rrrpkajsq4w9QTP8Sy0U6/WarumriskierenSiedasGefngnis.pdf
[8]http://static.woz.ch/1643/was-ist-die-anastasia-bewegung/990–000-jahre-mit-gott-im-paradies
[9]http://www.heiltheke.de/html/Heiltheke/index.php?XTCsid=b05813a33485a0a29d6d679c21ed20e1
[10]https://www.bnr.de/artikel/hintergrund/unter-dem-banner-des-sturmvogels
Gestern verurteilte das Amtsgericht Senftenberg nach einem Prozesstag den 19-jährigen Matthias W. zu einer Jugendstrafe von acht Monaten, ausgesetzt auf zwei Jahre Bewährung sowie zum Ableisten gemeinnütziger Arbeit im Umfang von 100 Stunden wegen des Angriffes auf eine schwangere Frau sowie weiterer Frauen und Kinder. Die Opferperspektive kritisiert die fehlende Nennung des politischen Motives in der Urteilsbegründung.
Die Aussagen der Verletzten, die als Zeuginnen gehört wurden, waren bedrückend: Der sichtlich angetrunkene Täter hatte sich am 25. August 2017 auf einem Spielplatz in Großräschen zielstrebig vor einer Gruppe von vier türkischen Frauen und ihren elf Kindern aufgebaut, sie rassistisch beleidigt und dann mit dem Finger auf einzelne Frauen gezeigt und sie nacheinander mit dem Tode bedroht. Er schlug einer offenkundig schwangeren Frau zunächst ins Gesicht und trat ihr mit erhobenen Bein in den Bauch als sie sich mit zwei kleinen Kindern auf dem Arm nicht schnell genug entfernen konnte. Einen 5‑jährigen Jungen, der vor ihm weglaufen wollte, trat er in den Rücken. Ein weiteres Mädchen flüchtete sich panisch auf die angrenzende befahrene Straße.
Nur durch glückliche Umstände erlitten die Betroffenen keine schwerwiegenden körperlichen Schäden, auch das Kind der Schwangeren wurde gesund geboren. Die psychischen Tatfolgen dauern dagegen bis heute an, schilderten die Betroffenen: Die Kinder hätten große Angst in der Öffentlichkeit und vermieden es z.B. auf Spielplätze zu gehen.
Anne Brügmann, Beraterin beim Verein Opferperspektive e.V., der die Betroffenen Frauen nach dem Angriff unterstützt und im Verfahren begleitet hatte, kommentierte den Prozess:
„Aus Sicht der Betroffenen ist es positiv, dass das Gericht mit der Verhängung einer Jugendstrafe die Schwere der Schuld des Täters anerkannt hat. Das Verfahren gab ihnen die Gelegenheit, ausführlich von ihrem Erleben öffentlich zu berichten und wahrgenommen zu werden. Allerdings war dies fast ausschließlich durch eine engagierte Nebenklagevertretung möglich. Insbesondere die Richterin hat sich so gut wie gar nicht für den rassistischen Hintergrund der Tat und wenig für die Folgen für die Betroffenen interessiert. Es ist nicht nachvollziehbar, warum die politische Motivation des Angriffs in der Urteilsbegründung mit keinem Wort erwähnt wurde“.
Auch das Plädoyer des Staatsanwalts, die Tat sei „zwar ausländerfeindlich, aber nicht politisch motiviert“ gewesen, ist aus Sicht der Opferperspektive eine Farce. Es reduziert Rassismus bzw. „Ausländerfeindlichkeit“ auf einen vermeintlichen Rand der Gesellschaft. Dabei sind es nicht allein organisierte Rechte, die politisch motivierte rassistische Gewaltstraftaten begehen. Der Angriff in Großräschen war die typische Tat eines Rassisten, der bei Gelegenheit vorsätzlich handelte. Wie alltäglich die Betroffenen den Rassismus erleiden, zeigte sich auch an diesem Verhandlungstag: „Zwar verstehe ich kein deutsch, aber ‚Scheiß Ausländer’ konnte ich verstehen, da wir diese Worte wirklich sehr oft hören”, äußerte eine der Betroffenen.
Vergangenen Sonnabend hielt die AfD Barnim eine Kundgebung unter dem Motto „Unsere Frauen und Töchter sind kein Freiwild“ auf dem Bahnhofsvorplatz in Bernau ab. Vor etwa 80 Teilnehmer*innen vermittelten die Redner*innen das in rechten Diskursen häufig bemühte Bild des „übergriffigen Fremden“ und instrumentalisierten sexualisierte Gewalt für rassistische Hetze und Angriffe auf die Asylpolitik Angela Merkels.
Etwa 40 Gegendemonstrant*innen versammelten sich mit Transparenten wie „Flüchtlinge Willkommen!“ oder „No Deportations“ und riefen Sprechchöre wie „Schluss mit Hetze!“.
Schafe und Wölfe
Der Vorsitzende der AfD Barnim, Klaus-Peter Kulack, eröffnete die Kundgebung mit einer hetzerischen Rede, in der er dazu aufrief, „Dem Gesindel den Kampf an zu sagen“. In Methaphern rief er die Kundgebungsteilnehmer*innen zu Gewalt auf:
„Seht euch vor – aus Schafen werden nämlich ganz schnell reißende Wölfe!“ (Teilnehmerrufe: „Ja!“) „Wir gewähren Leuten Schutz und unser Steuergeld und zum Dank benehmen sich einige wie der letzte Dreck gegen uns. Denen sagen wir: Wie sind nicht mehr eure Schafe, wir sind ab heute eure Wölfe! Wir sind die Herren im Haus und wir werden nur dulden wer sich hier vernünftig und angemessen bewegt. Alle anderen sollen uns fürchten lernen. Die Zeit der Schafe ist vorbei, Widerstand ist angesagt.“ (Sprechchöre „Widerstand!“)
„Wir wollen keine Schafe mehr sein! Gewöhnt euch daran, Wölfe zu sein, ab jetzt und ab sofort. Lasst uns die Wölfe zum Vorbild nehmen. Sie verteidigen ihre Rotte und fletschen die Zähne wenn sie ihr Revier verteidigen. Keine Frau und kein Mädchen ist Freiwild für hergelaufene Nichtsnutze. Und ich denke, wenn Sie merken, dass Sie keine Chance haben und auf selbstbewusste Menschen stoßen, die die ihnen die Zähne zeigen, werden sie ganz schnell dahin zurückkehren wo sie hergekommen sind. Die Zeit der Schafe ist vorbei!“
Kooperation mit der NPD
Unter den Teilnehmer*innen waren einige bekannte Aktivisten der NPD. Andreas Rokohl, langjähriger Aktivist der NPD Barnim, war zudem als offizieller Fotograf auf der AfD-Kundgebung, er trug eine Armbinde mit der Aufschrift „Medien“.
Weiterhin auffällig war, dass vier Teilnehmer T‑Shirts mit der Aufschrift „Schutzzone“ trugen und vor Beginn der Kundgebung für Fotos posierten. Diese wurden später auf der seit Juni 2018 bestehenden Facebook-Seite „Schutzzone Barnim“ veröffentlicht. Über diese Seite wurde auch die AfD-Kundgebung beworben. Hinter der „Schutzzone Barnim“ steckt die NPD Barnim, welche eine bundesweite Kampagne der NPD umsetzt. Ziel dieser Kampagne ist es, öffentlichkeitswirksam Bürgerwehren zu etablieren, um vermeintlich Recht und Ordnung durchzusetzen. Was das bedeutet, sieht man auf den auf „Schutzzone Barnim“ veröffentlichten Fotos. Darauf abgebildet sind durch Bernau patrouillierende Männer, die NPD-Aufkleber verkleben, und mit Reichsflaggen bestückte Gebäude.
INFORIOT — Am Donnerstag, den 05. Juli, verurteilte das Landgericht Neuruppin zwei Kremmener wegen gemeinschaftlich versuchter schwerer Brandstiftung. Sie verübten im April 2017 einen Anschlag auf die Gemeinschaftsunterkunft für Asylsuchende in Kremmen (Oberhavel). Das Gericht erkannte in dem Anschlag ein „fremdenfeindliches Motiv“.
Der 29-jährige Haupttäter Robert Urban muss für vier Jahre und sechs Monate in Haft. Er warf zwei selbst gebaute Brandsätze, so genannte Molotowcocktails, auf die Unterkunft. Durch den Bau und die Benutzung der Brandsätze hat er sich außerdem wegen Verstoß gegen das Waffengesetz strafbar gemacht. Der 35-jährige Mitangeklagte Nico Bensch wurde zu einer Bewährungsstrafe von drei Jahren verurteilt. Er war an der unmittelbaren Tat nicht beteiligt, wird jedoch für die Beteiligung an der Vorbereitung mitschuldig gemacht. Das Urteil des Landgerichtes folgt damit nicht den Forderungen der Staatsanwaltschaft. Diese hatte den Haupttäter wegen versuchten Mordes angeklagt und verlangte eine Haftstrafe von über neun Jahren.
Keine Tötungsabsicht
Zentral für die Entscheidung des Gerichtes war die Frage, ob es einen Tötungsvorsatz gab: Die Unterkunft, war zum Zeitpunkt der Tat bewohnt; in der Nacht brannte in einem der Zimmer Licht, ein Fenster war angekippt. Videoaufzeichnungen der Überwachungskamera zeigten, wie Urban einen Brandsatz gezielt in Richtung Fenster wirft. Einer der Bewohner, der sich in dem Zimmer aufhielt, schilderte vor Gericht, dass der Brandsatz das Fenster bzw. nah daneben die Fassade traf. Der Richter Udo Lechtermann erklärte in der Urteilsverkündung, dass ein Angriff, der in der Nachtzeit passiert und Menschen im Schlaf von dem Feuer überrascht werden, eine ernsthafte Gefährdung darstellt. Einen Mordversuch sieht er jedoch nicht. Dafür seien u.a. die Brandsätze zu klein. Auch schenkte er den beiden Angeklagten glauben, dass sie keine Personen schädigen wollten. Diese sagten aus „ein Zeichen setzen zu wollen“. Der Angriff, so der Richter, „zielte nicht nur auf die Bewohner, sondern auf alle Ausländer in der Region.“
„Dilettantisches Vorgehen“
Beide Täter waren von Beginn an geständig und zeigten Reue. „Es sei eine ganz dumme Aktion gewesen“, gaben Beide als Abschlussworte zu Protokoll. Die Staatsanwaltschaft sah in der Tat eine „dilettantische Aktion, die geeignet war sich selbst zu verletzen“. Urban und Bensch, so rekonstruierte das Gericht die Tatnacht, hatten in der Wohnung von Urban getrunken, RechtsRock gehört, sich über Zuwanderung und Geflüchtete unterhalten. Doch statt nur zu reden, verabredeten sich Beide um Taten sprechen zu lassen. Sie füllten zwei kleine Glasflaschen mit Rasenmäherbenzin, als Lunte dienten Socken. Gemeinsam machten sich die Täter auf den Weg zur zwei Kilometer entfernten Unterkunft. Auf dem Weg will Bensch auf seinen Kumpel eingeredet haben, die Aktion abzublasen. Da dieser nicht hörte, blieb Bensch einige Meter vor der Unterkunft stehen. Urban lief allein zum Gelände und warf beide Brandsätze.
„Zerstörerische Naziideologie“
Auch wenn sich die beiden Angeklagten bemühten, möglichst unpolitisch zu erscheinen, erkannte das Gericht die „nationale Gesinnung, gepaart mit Ausländerfeindlichkeit“. Fotos, Musik, Videos und Chatverläufe der Angeklagten zeigten deutlich deren neonazistische Ideologie.
Bensch beispielsweise hielt sich in Foren auf, deren Mitglieder sich „Deutsches Reich“, „Adolf Hitler“ oder „Eva Braun“ nannten. Urban sammelte insbesondere Militaria-Devotionalien, meinte dies aber nur aus Sammlerleidenschaft zu tun. Benschs Verteidiger, Rechtsanwalt Balke, warb um Nachsicht für die beiden Angeklagten. Er stellte Urban als wenig intelligente dar und auch sein Mandat Bensch sei zu bedauern, da er nun wieder im Keller seiner Eltern leben müsse. Balke ist der Meinung, die Naziideologie sei der einzige Halt, den die Beiden gehabt hätten. Bensch habe aber inzwischen, vor allem durch die U‑Haft, erkannt, wie zerstörerisch die Naziideologie sei und habe sich davon distanziert.
Am 1. September plant die AfD in Neuenhagen bei Berlin eine Tageskonferenz zum Thema „Der soziale Frieden Deutschlands in Gefahr“. Hinter dem Titel verbergen sich vor allem die Schwerpunkte Migrationspolitik und die laut AfD damit verbundende Erosion des Sozialstaates. Wieder einmal will die AfD in rassistischer Manier Geflüchtete für Probleme verantwortlich machen, die in einem von ihnen selbst forcierten neoliberalen Kapitalismus liegen. Dazu sind viele parteiinterne Größen als Redner und Rednerinnen gelanden. So zum Beispiel die Bundestagsabgeordneten Alexander Gauland, Martin Reichardt und Corinna Miazga, die Landstagsabgeordneten André Poggenburg und Andreas Kalbitz sowie die im Abgeordnetenhaus sitzende Jessica Bießmann. Neben völkischen-rassistischen Hardlinern der Partei ist zusätzlich der COMPACT-Redakteur Jürgen Elsässer und auch AfD nahe Gewerkschaften und Betriebsräte eingelanden. Neben Vorträgen der diversen aus dem ganzen Bundesgebiet stammenden Neuen Nazis, wird explizit mit einer Podiumsdiskussion geworben. Die Anmeldung läuft über den in Bad Freienwalde lebenden AfD-Aktiven Lars Günther.
Neuenhagen war in der Vergangenheit bereits öfter Ort für mehr oder weniger große AfD-Veranstaltungen. Neben den regelmäßig stattfindenden Stammtischen in der Region besuchte auch Frauke Petry schon die Gemeinde am östlichen Berliner-Rand in 2015. Das Bürgerhaus in Neuenhagen bietet über 500 Menschen Platz und hat eine gute Anbindung durch die S‑Bahn nach Berlin. Vermutlich hofft die AfD so Berliner Publikum anzusprechen, ohne sich dem Protest, den es im Berliner Stadtbereich geben würde, stellen zu müssen. Beim Besuch Petrys ist die Rechnung aufgegangen.
Lasst uns diesmal der AfD einen Strich durch die Rechnung machen. Achtet auf weitere Ankündigungen und werdet kreativ.
AfD-Konferenz in Neuenhagen sabotieren!
Flüchtlingsrat unterstützt offenen Brief von Tschetschen_innen aus Cottbus
Der Flüchtlingsrat Brandenburg unterstützt den beigefügten offenen Brief, in dem sich Tschetschen_innen aus Cottbus gegen die ihnen entgegengebrachten rassistischen Zuschreibungen sowie die angewandte Polizeigewalt wehren. Wir unterstützen ihre Forderungen nach einer Aufklärung der Vorfälle sowie nach einem Dialog zwischen den Verantwortlichen aus Ministerien, der Stadt Cottbus und den betreffenden Tschetschen_innen.
Die in dem Brief geschilderten Festnahmen etlicher Unbeteiligter, darunter Kranker, die Behandlung und Verwehrung von Rechten und Information auf der Polizeiwache, die Durchsuchungen von Kindern und ihren Eltern bei vorgehaltener Waffe sind unverhältnismäßig. Der offene Brief und das darin geschilderte Vorgehen der Behörden lassen ein rassistisches Profiling durch die Sicherheitsbehörden erkennen, das Tschetschen_innen unter Generalverdacht stellt und sie in ihren Grundrechten verletzt.
Die Verfasser_innen des offenen Briefes machen außerdem auf den antimuslimischen Rassismus gegenüber Tschetschen_innen aufmerksam, der ihnen im Alltag und bei Behörden sowie bei den Vorfällen der vergangenen Wochen entgegen schlägt. Rassistische Diskurse um innere Sicherheit werden dabei genutzt, um die Rechte von Tschetschen_innen im Asylverfahren und während ihres Aufenthaltes weiter einzuschränken, sie von Integrationsleistungen auszuschließen und sie gesellschaftlich zu isolieren.
Dabei werfen die Verantwortlichen demokratische Grundsätze gleich mit über Bord. So sprach der Leiter der Ausländerbehörde Cottbus Carsten Konzack auf dem vergangenen Sachsendorfer Bürgerdialog1 von Ausweisungen der betreffenden Tschetschenen, ohne dass eine Verurteilung seitens der Gerichte erfolgt wäre. Diejenigen, über deren Ausweisung nun in der Öffentlichkeit debattiert wird, haben gegen ihren ablehnenden Asylbescheid Klage beim Verwaltungsgericht eingelegt, das die behördlichen Bescheide prüft. Wenn Carsten Konzack sagt, er könne das Verfahren beschleunigen, ist das nicht nur anmaßend, sondern auch ein fragwürdiger Umgang mit der im Grundgesetz verankerten Gewaltenteilung.
In ihrem Offenen Brief schildern die Betroffenen ihre eigene Perspektive auf die aktuelle Situation in Cottbus und darüber hinaus. Es ist zentral, dass die Adressat_innen diese Perspektive sehr ernst nehmen, denn es ist eine Analyse, die in der öffentlichen Debatte bisher ungehört bleibt. Die Konstruktion von Tschetschen_innen als homogene Gruppe, von der eine Gefahr ausgehen würde, führt dazu, dass individuelle Schicksale, die Verletzlichkeit von einzelnen Betroffenen und die gravierenden Auswirkungen von Rassismus auf Einzelne ausgeblendet werden können. Wenn Menschen entmenschlicht werden, wird die Anwendung von Gewalt zu einem reinen Verwaltungsakt.
Seit Anfang des Jahres kritisiert der Flüchtlingsrat die zunehmende Kriminalisierung von Geflüchteten in Cottbus2. Der Flüchtlingsrat fordert einen selbstreflexiven Umgang der Behörden mit rassistischen Zuschreibungen, die sich in öffentlichen Äußerungen sowie ihren Handlungen widerspiegeln. Wir fordern ein Ende des vorgeschobenen und unverhältnismäßigen Sicherheitsdiskurses seitens der Behörden in Cottbus, deren Leidtragende schutzsuchende Menschen sind. Wir fordern die Aufklärung der Vorfälle in Cottbus und einen Dialog mit den Geschädigten.
1 https://www.lr-online.de/lausitz/cottbus/hartes-vorgehen-gegen-tschetschenen_aid-23645561
2 http://www.fluechtlingsrat-brandenburg.de/aktuelles/wessen-sicherheit-innenminister-auf-dem-rechten-auge-blind