In Brandenburg gibt es bundesweit die meisten Angriffe von Neonazis. In Cottbus sprechen Bürgerinitiativen schon von einer allgegenwärtigen Bedrohung und einem feindseligen Klima. Wie leben Geflüchtete, Linke, Punks und liberale Fußballfans in dieser Stadt?
Zum Nachhören: hier.
Kategorie: Antifaschismus
Am Montagabend setzte die extrem rechte Vereinigung „Bürgerbündnis Havelland“ ihre regelmäßige Kundgebungsreihe auf dem Märkischen Platz in Rathenow fort. Die Veranstaltung wurde im Internet unter dem Motto: „Wir für unser Volk“ beworben und sollte sich gegen den von den Vereinten Nationen angestrebten „Globalen Pakt für eine sichere, geordnete und reguläre Migration“, umgangssprachlich: „Migrationspakt“ richten. An der Veranstaltung nahmen im Kern 15 Personen aus Rathenow, Premnitz und Berlin teil.
Nach der üblichen Einleitungsprozedur, dem Abspielen der umstrittenen, inoffiziellen Landeshymne „Märkische Heide“, hielt Vereinsvorsitzender Christian Kaiser den ersten Redebeitrag. Dessen Kern beinhaltete allerdings fast nur die Verlesung von Antworten auf eine offizielle Anfrage des Bürgerbündnisses an die Stadtverwaltung Rathenow. Entsprechend ihrer üblichen Meinungskundgaben fragte die flüchtlingsfeindliche Vereinigung vor allem zu Themen wie „Zuwanderung“ und „Asylpolitik“. Insbesondere interessierte die Rassisten, wie viele Menschen „nichtdeutscher Herkunft“ im Stadtgebiet gemeldet seien.
Des Weiteren erkundigte sich das Bürgerbündnis über angeblich „zunehmende Kriminalität“, „Drogenprobleme“ oder aber auch wie die Bedingungen seien, um zur Wahl der Stadtverordneten im Jahr 2019 zu gelassen zu werden. Dabei betonte Kaiser einmal mehr seine Absichten bei der Kommunalwahl anzutreten, um im Stadtparlament aktiv zu werden.
Anschließend setzte eine verbittert und von Hass zerfressen wirkende, ältere Rednerin aus Berlin die Verlesung der Antworten der Rathenower Stadtverwaltung auf die Anfragen des Bürgerbündnisses fort und kommentierte diese in der für sie üblichen, geringschätzenden Art und Weise.
Auch die anderen drei Redner taten sich schwer das Niveau der Veranstaltung zu heben. Einer hatte Probleme einen inhaltlich zusammenfassenden Beitrag über den Besuch der Bundeskanzlerin in Chemnitz (Sachsen) vorzutragen. Ein Anderer sprach von seinen Eindrücken beim Fackelmarsch in Magdeburg sowie der Volksverdummung durch Migration, Chemtrails, Alkohol und Pornos. Und ein weiterer Redner sinnierte über wirre Träume sowie den Sturz der Regierung.
So blieb der „Migrationspakt“ nur der Aufhänger, um die wahnhaften öffentlichen Auftritte des Bürgerbündnisses fortzusetzen. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem 32 seitigen Dokument bzw. den darin formulierten Zielen fand nicht statt. Die allgemein gehaltenen, polemischen Statements erweckten den Eindruck, dass sich die Redenden nur oberflächlich mit dem Pakt beschäftigt hatten.
Fotos zur Kundgebung: https://www.flickr.com/photos/presseservice_rathenow/sets/72157703717882034
Gestern, am 14. November wurde das geplante neue Polizeigesetz für Brandenburg erstmalig im Potsdamer Landtag beraten. Nach dem Willen der Koalition könnte das Gesetz schon im ersten Quartal 2019 beschlossen werden.
Auch die Gegner*innen des neuen Polizeigesetzes haben ihre Arbeit am Mittwoch fortgesetzt. Die Organisator*innen der Großdemonstration am vergangenen Samstag in Potsdam, an der sich 2.300 Personen beteiligt haben, hatten zu weiteren Aktionen in dieser Woche aufgerufen.
Während der Diskussion im Landtag ließen Aktivist*innen ein Transparent mit der Aufschrift „Neues Polizeigesetz stoppen!“ von der Empore. Die Landtagspräsidentin reagierte mit einem Ordnungsruf.
In Cottbus hatte das Bündnis gegen das neue Polizeigesetz in Brandenburg zu einer Kundgebung um 17 Uhr aufgerufen. Die Veranstalter*innen geben die Teilnehmerzahl mit 50 an. Auf der Kundgebung sprachen unter anderem Gegner des Berliner Polizeigesetzes, Fußballfans, eine Vertreterin des Frauencafé Cottbus und ein Mitglied der Internationalen Jugend.
Saskia Thiele, Sprecherin des Bündnisses in Cottbus, bewertete die Aktion positiv: „Hier ist ein wirklicher Querschnitt unserer Stadt zusammengekommen. Wir haben heute als Schüler*innen, Studierende, Fußballfans, linke Aktivist*innen, Industriearbeiter*innen, Lehrer und Renter*innen gemeinsam lautstark gegen dieses undemokratische Gesetz protestiert. So ein breiter Protest ist gut, denn genauso groß ist die Zahl der potentiellen Betroffenen solch eines Gesetzes. Gerade jetzt müssen wir im Bezug auf den weiteren Gesetzgebungsprozess unseren Widerstand entschlossen fortsetzen.“
Inforiot’s Geburtstags-Rückblick
Diesen Samstag, den 17.11., findet endlich Inforiot’s Geburtstags-Zeckentreff statt. Um 20:00 geht es im Spartacus los. Euch erwarten eine Lesung, Konzerte, im Anschluss Party und natürlich alles, was sonst noch zu einer guten Geburtstagsfeier dazugehört.
Als Einstimmung werden diese Woche Redaktionsmitglieder erzählen, wie sie eigentlich zu Inforiot gekommen sind und was das Projekt für sie bedeutet.
Den Anfang macht Summer.
„Ich komme aus einer Kleinstadt im Speckgürtel von Berlin. Geboren bin ich in einem ganz anderen Land. Wie es zu der Zeit nicht ganz unüblich war, ist der Nachbarsjunge irgendwann ein Nazi geworden. Er fing an meine Familie, die einen eindeutig ausländisch klingenden Namen hat, zu terrorisieren, indem er nächtliche Saufgelage bei sich veranstaltete. So eine Plattenbau-Wand ist dünn. Und so kam es, dass ich regelmäßig unter „Sieg Heil“ und „Ausländer Raus“-Rufen sowie dem Trällern von Landser-Songs mitten in der Nacht geweckt wurde. Die Polizei kam hin und wieder an, nachdem meine Eltern dort ganz entnervt anriefen. Aber sobald die Polente weg war, ging der Psycho-Terror von vorne los. Irgendwann reichte es mir und ich beschloss, selbst dagegen vor zu gehen. Während ich vorgab Hausaufgaben zu machen, suchte ich nach Kontakt zu Gleichgesinnten im Internet, denn meine Mitschüler_innen haben sich einen Dreck für Politik interessiert. Ich stieß dabei auf die Seite „antifa.de“. Die schrieb ich dann an. In ihrer Antwort verwiesen sie mich an die Opferperspektive, die lokale Antifa-Gruppe und eben an Inforiot. Das war der Tag, an dem Inforiot meine Verbindung zu einem gewaltigen Micro-Kosmos wurde, in dem ich mich nicht mehr alleine gefühlt habe. Noch bevor ich die Leute aus der lokale Antifa-Gruppe kennenlernen konnte, machten diese Abitur und verpissten sich nach Berlin. Aber Inforiot blieb und wurde zu meinem täglichen Begleiter. Fünf Jahre nach diesem Erlebnis wurde ich dann gefragt, ob ich Teil der Redaktion werden möchte. Mittlerweile bin ich nun fast sieben Jahre dabei und hoffe all denen, die sich in den Kleinstädten und Dörfern auch so ohnmächtig und allein fühlen, wie ich es einst war, Mut und Hoffnung zu geben.“
Heute erzählt Jess seine Geschichte.
„Als Jugendlicher, in einer kleinen Stadt in Brandenburg, ohne Smartphones, gutes Internet oder einen Raum, in dem man sich hätte treffen können, war es manchmal gar nicht so einfach aufzuwachsen und sich politisch außerhalb von Parteien einzubringen. Die Bedrohung durch Neonazis war regelmäßig gegeben und es war auch keine Seltenheit, dass 20 Neonazis vor der Schule warteten, um links aussehende Jugendliche abzufangen und einzuschüchtern. Oft stand man damit allein da oder hatte das Gefühl, nichts machen zu können, da es an eigenen Erfahrungen mangelte und der Austausch mit älteren Generationen von linken Menschen nicht möglich war.
Da fühlt man sich als linker Jugendlicher schnell sehr allein. Mit dem Fachabitur, welches ich in der nächst größeren Stadt machte, lernte ich zum ersten Mal ein Hausprojekt kennen und weitere Menschen, die den Wunsch nach Räumen ohne Neonazis mit mir teilten. Dort hörte ich auch das erste Mal von Inforiot.
Mit dem Umzug in eine größere Stadt in Brandenburg, ergab sich auch die Möglichkeit, sich mit vielen verschiedenen Themen zu beschäftigen. Zentral dabei war immer die Prävention der extremen Rechten, woraus natürlich auch politische Arbeit resultierte, für die IR nicht wegzudenken war. Einerseits war es sehr bestärkend zu sehen, dass so viel in Brandenburg passiert und nicht nur in Berlin. Wie viele linke Häuser es gibt, wie viele Gruppen, Veranstaltungen oder Bildungswochenenden. Das zu sehen gab auf jeden Fall Kraft.
Nach Jahren der politischen Arbeit in Brandenburg blieb IR immer ein fester und wichtiger Bestandteil für mich und somit war es eine große Freude, dann auch gefragt zu werden und selbst dieses, für mich so wichtige, Projekt unterstützen zu können.“
Kalle:
„Nachdem mir Inforiot von einem guten Freund nahe gelegt wurde, fing ich innerhalb kurzer Zeit an, dort genauso oft nach Neuigkeiten zu suchen wie auf linksunten.indymedia. Für mich, als jugendlichen Antifa, war Inforiot nicht nur ein Anschluss an die “Szene”, die es in der eigenen Stadt nicht gab. Inforiot war auch eine Art riesiger virtueller Bibliothek. Ich habe damals auch oder vor allem tagelang ungeduldig auf den nächsten Rechercheartikel gewartet. Egal ob aus Nord‑, Süd, Ost- oder Westbrandenburg, ich habe alles verschlungen.
Ich finde, dass Inforiot eine extrem wichtige Struktur, auch in social media dominierten Zeiten, ist. Obwohl jüngere Menschen mittlerweile oft gar nicht mehr auf Webseiten gehen, weil Facebook alles bis in den Feed liefert, sind und bleiben Projekte wie Inforiot strukturell wichtig.“
Zum Abschluss erzählt Rachel ihre Geschichte zu Inforiot:
„Als ich nach Brandenburg gezogen bin (Ja, bei IR gibt es Leute aus dem kapitalistischen Westen!), war Inforiot meine erste Adresse, um zu schauen, was in meiner neuen (Provinz-)Heimatstadt so geht. Die Übersicht über Gruppen und Projekte war ein guter Einstieg.
Um so cooler, dass ich jetzt Teil des Redaktionskollektives sein kann! Gerade wenn mensch noch nicht so eingebunden ist, sei es, weil mensch neu in der Region oder frisch politisiert ist, ist eine landesweite Plattform enorm hilfreich, um sich zu orientieren.“
Feiert morgen, 17.11.2018, mit uns zusammen im Spartacus den Inforiot-Geburtstag. Wir freuen uns!
Brandenburgs Regierung um Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) will das Polizeigesetz verschärfen. Dagegen regt sich Widerstand. Am 14.11. findet dazu eine Kundgebung in Cottbus statt – genau an dem Tag, an dem die erste Lesung im Potsdamer Landtag stattfinden wird.
Deshalb ruft an diesem Mittwoch das Bündnis #noPolGBbg – ein breiter Zusammenschluss von politischen Initiativen, Geflüchteten, Studierenden und weiteren zivilgesellschaftlichen Akteuren – zu einer Kundgebung am Platz am Stadtbrunnen (Heronplatz) in Cottbus auf.
Dazu erklärt Saskia Thiele vom Sprecher*innenrat des Bündnis folgendes: „Das Polizeigesetz soll verschärft werden, um besser gegen Terrorgefahren gerüstet zu sein – aber nicht nur. Von den Gesetzen und ihren Auswirkungen sind letztendlich alle betroffen. Die Verschärfung kann auf den ersten, oberflächlichen Blick für ein größeres Sicherheitsgefühl sorgen. Beim zweiten, genauen Blick wird deutlich, dass die Gesetze einen Einschnitt in die persönliche Freiheit bringen. Der aktuelle Entwurf beschreibt etwa vorbeugende Ingewahrsamnahme, Telekommunikationsüberwachung, Aufenthaltsvorgaben und Kontaktverbote. Mit diesen Maßnahmen werden Repressionen gegenüber allen Menschen vereinfacht. Dagegen setzen wir uns entschieden zur Wehr.“
Bereits am vergangenen Samstag nahmen rund 2000 Menschen an der Großdemonstration gegen das neue Polizeigesetz in Potsdam Teil. Nun muss der Protest in alle Regionen Brandenburgs getragen werden, um den flächendeckenden Widerstand zu zeigen. „Vor allem in Cottbus, wo seit Jahresbeginn die Polizeikontrollen massiv ausgebaut worden sind, ist spürbar, was verstärkte Repression macht.“ ergänzt Saskia Thiele. „Es geht nicht, darum das Miteinander zu stärken, sondern einzig darum, Macht zu demonstrieren und die Bevölkerung kontrollierbar zu machen. Wir protestieren solange bis das Gesetz vom Tisch ist, auch am Mittwoch in Cottbus.“, sagt Saskia Thiele abschließend.
Weitere Infos: www.nopolgbbg.de Kontakt:kontakt@nopolgbbg.de
Am Freitag den 9. November jähren sich die Novemberpogrome der Nazis zum 80. Mal. Um diesem historischen Ereignis angemessen zu gedenken wurde ein Bündnis verschiedener Gruppen und Einzelpersonen gegründet. Aber nicht nur das Gedenken an Vergangenes ist das Ziel des Bündnisses, sondern auch zu verdeutlichen, dass diese Vergangenheit bis heute nachwirkt, auf unser alltägliches Leben Auswirkungen hat und keinesfalls einfach abgeschlossen ist. Auch in Potsdam kam es z.B. zu Verhaftungen von Jüdinnen und Juden, die Synagoge wurde verwüstet und ebenso der jüdische Friedhof. Die Opfer waren Potsdamer*innen und die Täter*innen ebenso. Diesen Fakt wollten wir den Büchern und Akten entreißen und auf der Straße sichtbar machen. Nicht nur für die über 50 Personen die alljährlich an der Gedenkfeier am Mahnmal für die Opfer des Faschismus teilnehmen, sondern für alle Potsdamer*innen. Deshalb planten wir, nach historischer Recherche in Archiven und Bibliotheken, Plakate aufzuhängen um Orte zu kennzeichnen die exemplarisch einen Einblick in die Vergangenheit ermöglichen. Es sollten „Orte der Täter*innen“ und „Orte der Opfer“ gekennzeichnet werden.
Nun stellen sich die Potsdamer Stadtwerke quer. Ihre Laternen seien nicht dafür da zusätzliche Plakate oder Schilder anzubringen. Schreiben sie und lassen regelmäßig Wahlplakate von der SPD bis zur AfD zu. Dieses geschichtsvergessene Verhalten finden wir skandalös!
Dazu sagt Melyssa Diedrich von der EAP: „Es scheint in diesem stadteigenen Unternehmen weder Anstand noch auch nur ein Fünkchen historischen Sachverstand zu geben. Im nächsten Jahr werden wir die Potsdamer Stadtwerke verstärkt in den Fokus nehmen. Und zwar nicht nur als ‚Ort der Täter*innen‘ sondern als einer der Profiteure der systematischen Ausbeutung von Menschen durch die Nazis“.
17.11.18 | 20 Uhr | Spartacus (Friedrich-Engels-Straße 22, 14473 Potsdam)
Inforiot — das unabhängige Portal für alternative News und Termine in Brandenburg — wird 18 Jahre alt. Endlich volljährig! Endlich Vollbart! Endlich Vollrausch! Für diesen besonderen Anlass wollen wir all die Zecken von Schwedt bis Spremberg, von Frankfurt(Oder) bis Wittenberge, von Eberswalde bis KW, von Neuruppin bis Strausberg zum großen Geburtstags-Zeckentreff vereinen. Mit ordentlich Punk und Oi, HipHop bis Alltimes, Punker*innenkneipe, Lesung und vielem mehr wollen wir mit euch auf weitere 18 Jahre anstoßen!
Lesung:
„Brandenburg muss brennen, damit wir grillen können“ mit Florian Ludwig
Live:
Oironie (Uckermark/Berlin, Punk)
Oiphory (Neuruppin, Punk)
PC TOYS (Strausberg, Hiphop)
Djanes:
Candy Gurls (Potsdam, Hot Jamz)
No Cap No Style (Berlin, fem HipHop/Trap)
Es „brandenburgt“
„Brandenburg muss brennen, damit wir grillen können“ ist wohl einer der witzigsten Buchtitel, der derzeit in gut sortierten Buchländen zu finden ist. Der Roman ist geschrieben von Florian Ludwig, der als Linker im Brandenburger Städtchen Rathenow aufgewachsen ist. Wortgewandt schreibt er über die Zeit Ende der Achtziger und den Beginn der Neunziger Jahre. Eine Zeit, die eigentlich alles andere als witzig war. Inforiot wollte mehr darüber wissen und sprach mit Florian über sein neues Buch.
Inforiot: „Nachts sind alle Glatzen blau“ ist einer dieser Sätze in deinem Buch: er trägt Humor in sich, aber auch die bittere Realität der Neunziger Jahre. Du schreibst über die Zeit nach dem Ende der DDR, als Jugendlicher mit vielen Möglichkeiten und einem Haufen Scheiße an der Backe. Wie war es denn damals mit den Nazis in deiner Stadt?
Florian: Vielleicht würde ich eher fragen, wie es für uns damals war. Einige der damaligen Protagonisten brachten ja subkulturelle Formen aus DDR-Zeiten mit rüber in die sogenannte Wendezeit, ob nun als Punks, Grufties oder Autonome.
Im Zeitraum zwischen der Grenzöffnung 1989 und der offiziellen Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 explodierte die Naziskinbombe, jeder Dödel konnte sich auf den Wochenmärkten zwischen Stralsund und Suhl eine grüne Bomberjacke und Springerstiefel kaufen. So auch in Rathenow. Kevin, Maurice, Ronny und Mario (klischeebeladene Beispielnamen) hatten den Gleichschritt ja schon aus DDR-Zeiten drauf.
Das Problem war, dass sich in Rathenow eine rechte, extrem enthemmte Gewaltszene entwickelte. Für uns als linksalternative Subkultur stellte sich die Frage, bis zu welchem Niveau gehen wir da mit. Die Ostbullen, als regulierender Faktor, spielten keine Rolle mehr. Aus Selbstschutz wurden zum Beispiel Häuser besetzt, da einige Leute selbst in ihren Wohnungen nicht mehr sicher waren. Das Positive an diesen Besetzungen war, dass die Leute sich untereinander besser kennenlernten, gemeinsam neue Aktionsformen ausprobieren konnten. Aus diesen Strukturen entwickelten sich Projekte, die in einigen Städten in Brandenburg noch heute existieren.
Schade, dass damals soviel Energie und Kreativität für antifaschistische Arbeit aufgebracht werden musste. Aber es war eben notwendig, ja ohne zu dramatisieren, existenziell notwendig.
Inforiot: Im Buch geht es um Berndte, um Oimel und andere junge Punks, auf der Suche nach Freiräumen, die sie im Fußball, im Alkohol, auf Partys oder besetzten Häusern finden. Sie wollen provozieren und wollen sich ausprobieren. Welche Bedeutung hatte und hat in deinen Augen linke Subkultur in einer Kleinstadt?
Florian: Zum einen hat sie die selbe Funktion wie in Großstädten auch. Sie steht für Protest gegen die Sauereien in dieser Gesellschaft und kann Orientierung und Basis sein für junge Leute, die Fragen haben, auf der Suche nach Orientierung, Freundschaft und auch Spaß sind.
Das Problem in Kleinstädten beziehungsweise im ländlichen Raum ist, dass alle alle kennen, sowohl Freund als auch Feind. Da quatscht der Bürgermeister die Politaktivistin in der Kaufhalle mit Vornamen an, der Dorfbulle erkennt deine letzte gesprühte Parole am Geruch und die Nachbarn tratschen schon über deine Entgleisungen beim letzten Punkkonzert, obwohl du noch nicht mal zu Hause angekommen bist.
Inforiot: Wie ist es heute in Rathenow? Das Bürgerbündnis Havelland, mit seinen rassistischen Versammlungen, hast du dir ja schon angeschaut. Der Gegenprotest ist eher verhalten. Gibt es denn noch Punks in der Stadt?
Florian: Na gut, der Protest gegen diese Dödeltruppe ist ja nicht von Punks abhängig. Soweit ich das verfolge, gab und gibt es diesen Protest, manchmal leise, manchmal laut, oft auch intelligent.
Punk in Rathenow, ja den gibt es! Selbst aus meiner Generation sind da noch Leute in Bands aktiv. Andere organisieren Veranstaltungen zu Punk in der DDR oder lassen sich auch mal von mir was vorlesen.
Inforiot: „Gehen oder bleiben?“ – die Frage, stellen sich wohl die meisten mit 18 Jahren. Du lebst schon seit vielen Jahren in Berlin. Hast du jemals drüber nachgedacht wieder nach Brandenburg zu ziehen?
Florian: Holt die Lüneburger Heide nach Brandenburg und ick komm zurück!
Vor ein paar Jahren hatte ich mal so was wie Landsehnsucht. Aber nach mehr als 20 Jahren bin ich hier verwurzelt, habe erlebt, wie die Stadt sich verändert. So mancher Urberliner spendierte mir inzwischen eine Bockwurst und es gibt immer noch Ecken in der Stadt, da „brandenburgt“ es ganz schön…
Inforiot: Und zu guter Letzt: Inforiot wird nun auch volljährig. Sollen wir gehen oder bleiben?
Florian: Bleiben, auf jeden Fall!
Brandenburg ohne Inforiot, das wäre wie Polizeiruf 110 ohne Wachtmeister Horst Krause, wie ein gut sortierter Infoladen ohne die SUPERillu, wie Potsdam ohne Frauenkirche und Zwinger – oder so…
Vor 18 Jahren wurde Inforiot als ein linkes Portal für Politik und Subkultur in Brandenburg ins Leben gerufen. Viele, die mit uns aufgewachsen sind, waren Punks oder sind es heute noch. Am 17. November feiern wir daher ein wenig Retro mit einem Punkkonzert. Und Florian wird aus „Brandenburg muss brennen, damit wir grillen können“ lesen.
17. November | ab 20 Uhr | Freiland Potsdam
Potsdam — Die jüngsten Ereignisse in Chemnitz und Köthen zeigen es deutlich: Die seit 2015 ungebrochene Konjunktur rassistischer Stimmung und Organisierung stellt lokale Akteur*innen vor neue Herausforderungen. Was kann dem lautstarken Wüten gegen die angebliche Überfremdung und dem Streben nach einer autoritären Veränderung der Gesellschaft entgegengesetzt werden? Gemeinsam wollen wir darüber ins Gespräch kommen und in einen praxisorientierten Austausch über Handlungsansätze und Gegenstrategien auf lokaler, regionaler und internationaler Ebene gehen. Wir laden politisch Aktive, Politiker*innen, Mitarbeiter*innen in kommunalen Verwaltungen und Sozialarbeiter*innen herzlich zu dieser Tagung ein.
Angelehnt an die Broschüre „Tipps und Tricks für Antifas“ hat die fabb (F_Antifa Brandenburg) ein eigenes Heft mit „Tipps und Tricks für F_Antifas“ erstellt.
Was kannst du machen, wenn du in deiner Kleinstadt-Antifa die einzige Frau* bist? Ist es ausschließend, wenn ihr ein Frauen*-Plenum einfordert? Und was zur Hölle soll eine Emo-Runde sein und was hat diese mit politischer Arbeit zu tun? Auf all diese Fragen will die Broschüre Antworten geben. Dafür wurden unterschiedlichste Instrumente zusammengetragen, die FLTI*s (FrauenLesbenTransInter) in ihrer politischen Praxis unterstützen können, und diese um Erfahrungen aus Brandenburger Strukturen ergänzt.
Die Herausforderungen, denen FLTI*s in ländlichen Regionen begegnen, sind oft anders als die in der (Groß-)Stadt. Sexismus wird als unwichtiges Problem betrachtet, die Auswahl an feministischen Verbündeten ist gering und Abgrenzungen schwierig. Trotzdem oder gerade deswegen ist es wichtig, eine feministische Praxis einzufordern und die Arbeit von FLTI*s in ländlichen Gegenden sichtbar zu machen.
Die Broschüre will Mut machen und empowern. Dabei sind alles Tipps und Tricks nur als Anregungen gedacht, ein Scheitern bei neuen Methoden und Ideen gehört (leider) oft dazu.
Für eine feministische Praxis!
Die Broschüre findet ihr zum Download unter: http://fabb.blogsport.eu/2018/10/10/broschuere-tipps-tricks-fuer-f_antifas/