Im Kampf gegen die Bedeutungslosigkeit gibt sich die NPD als Kümmerer. Mit einer Art Bürgerwehr streifen Aktivisten durch die Stadt. Die Aktionen sorgen für Befremden.
Wenn es in Cottbus dunkel wird, dann ziehen sie los: junge Männer, manche in roten oder schwarzen T‑Shirts mit dem Buchstaben S auf dem Rücken – dem Logo der NPD-Aktion Schafft Schutzzonen. Verwackelte Fotos dieser Nachtwanderungen landen auf der Facebook-Seite der Partei, die damit wirbt, sie wolle in der brandenburgischen Stadt „nach dem Rechten sehen“.
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Kategorie: Antifaschismus
Gestern Abend sendete der Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) eine öffentliche Diskussion unter dem Titel „Cottbus unerhört“. Sie sollte eine Gelegenheit für „Beteiligte der Unruhen“ bieten, eine Bilanz der Entwicklung in der Stadt zu ziehen.
Im Vorfeld hatten mehrere angefragte Gesprächspartner, darunter Bündnis 90/Die Grünen, die Cottbuser SPD sowie der Cottbuser Aufbruch, eine Teilnahme abgelehnt. Sie waren, nachdem bereits am 1. März eine ähnliche rbb-Diskussion ausgestrahlt worden war, zu der Ansicht gelangt, dass dieses Forum nicht für eine konstruktive Debatte geeignet ist. Außerdem befürchteten sie, dass dem Sprecher des rechten Vereins Zukunft Heimat, Christoph Berndt, einmal mehr ein Podium geboten werden würde. Der Vorsitzende des Aktionsbündnisses, Thomas Wisch, hatte in einem Brief an den rbb eindringlich gewarnt, die Sendung dürfe nicht zum „Verstärker für Hassprediger“ werden.
Die beiden rbb-Moderatoren, Andreas Rausch und Christian Matthée, und ihre Gäste, der Chef der Potsdamer Staatskanzlei Martin Gorholt (SPD), der Cottbuser Oberbürgermeister Holger Kelch (CDU) und der Dortmunder Politikprofessor Dierk Borstel, waren zwar bestrebt, dies zu verhindern. Sie bemühten sich redlich und teilweise auch geschickt, die Beiträge von Christoph Berndt einzuordnen und zu widerlegen. Dass Zukunft Heimat, die AfD und andere Rechte, die für die Sendung geworben hatten, den Abend dennoch als Erfolg verbuchen können, liegt daran, dass sie der Diskussion insgesamt ihre Agenda aufdrücken konnten.
Der erste Grund dafür war, dass Flucht und Migration durchgängig als Problem und Defizit präsentiert wurden. Die Moderatoren beschrieben die Gewalttaten zwischen Flüchtlingen und Deutschen und die darauf folgenden Demonstrationen im vergangenen Winter etwa mit dem Begriff „Flüchtlingssituation“. Sobald Redner, so zum Beispiel ein BTU-Professor, auf positive Aspekte der Zuwanderung zu sprechen kamen, fragten die Moderatoren danach, warum es denn mit der Sprache und Integration derartige Probleme gebe? Ein syrischer Flüchtling sollte erklären, warum es seinen Landsleuten so schwer falle sich zu integrieren, worauf dieser zunächst sachlich einging, dann aber den richtigen Hinweis gab: Man sollte ruhig auch einmal über Erfolge sprechen.
Zweitens konnte der Rechtspopulist Berndt, trotz der Einwände, das eingängige Narrativ der Rechten von einer „unkontrollierten Masseneinwanderung“ als Quell allen Übels ausbreiten. Wenn niemand widerspricht, wenn von einer „Politik der offenen Grenzen“ gesprochen wird, bleibt dies als scheinbares Faktum stehen. Wenn falschen Einwanderungszahlen nicht die Fakten gegenüber gestellt werden, können Lügen die Wirkung gültiger Argumente entfalten.
Das dritte ist, dass die bildmächtige Sprache der Rechten in den demokratischen Diskurs Eingang findet und die Weltwahrnehmung des Publikums mitprägt. Diskussionsteilnehmer übernahmen (versehentlich) rechte Kampfbegriffe wie „Masseneinwanderung“, andere freuten sich über Gespräche, in denen es keine „political correctness“ gebe. Besonders irritierend war der Begriff des „Kollateralschadens“, der von einem Moderator bereits in der Sendung am 1. März eingeführt worden war und der nun abermals bemüht wurde, um den Umstand zusammenzufassen, dass auch Studierende zu Opfern des Rassismus werden, den Zukunft Heimat gegen Flüchtlinge entfesselt.
Mit diesem letzten Punkt stellt sich auch die Frage nach den Standards öffentlicher Gesprächskultur. Zu einer emotionalen Diskussion hatten die Journalisten die Anwesenden eingangs ermutigt, und sie gleichzeitig ermahnt, auf Beleidigungen und rassistische Reden zu verzichten – durchaus mit Erfolg: Grobe Herabwürdigungen und offener Rassismus blieben aus. Das ist gut, aber reicht es? Ist es, um ein Beispiel zu nennen, ethisch vertretbar, wenn Politiker in Fernsehsendungen Abschiebungen nach Afghanistan als Erfolge präsentieren und Teile des Publikums daraufhin johlend „Zugaben“ verlangen?
Zusammenfassend: Erstens wurde im rbb zu wenig darüber nachgedacht, was eine gewinnbringende Fragestellung sein könnte. In der Diskussion tauchte etwa die Frage auf, wie eine überzeugende, demokratische Vision für die Zukunft der Region aussehen könnte. Das könnte spannend sein. Und, zweitens, der rbb muss grundlegend darüber nachdenken, wer mit wem worüber sprechen sollte. Dabei geht es nicht nur darum, ob es sinnvoll ist, Rechtspopulisten in solche Gesprächsrunden einzuladen. Denn dass zwei Männer mit vier Männern in einer öffentlich-rechtlichen TV-Talkshow sprechen, ist im Jahr 2018 schon mehr als bemerkenswert. Und das ist leider noch nicht alles. In der Stunde, die die Sendung dauerte, redeten 57:18 Minuten lang 16 Männer über Fragen der Gesellschaft, bis auf zwei wurden sie mit Namen und Funktion vorgestellt. Drei Frauen kamen insgesamt zu Wort, von denen zwei nur zu ihren Gefühlen befragt wurden.
Auch nach der Urteilsverkündung im NSU-Prozess im Juli dieses Jahres gibt es mehr Fragen als Antworten zum NSU-Komplex. Das Netzwerk des NSU, die Rolle und das Wissen staatlicher Behörden und die Auswirkungen der Taten und der rassistisch geführten Ermittlungen für die Geschädigten und Angehörigen der Ermordeten waren kaum Gegenstand. Dass dem so ist, liegt zu großen Teilen in der Verantwortung der Bundesanwaltschaft. Als oberste Strafverfolgungsbehörde hatte sie im NSU-Prozess eine äußerst wichtige Rolle inne. Sie vertrat zum einen die Bundesrepublik Deutschland als Geschädigte des NSU, zum anderen die Anklage und leitete die Ermittlungen.
Die Autorinnen Isabella Greif und Fiona Schmidt diskutieren am Beispiel der Ermittlungen zum NSU-Komplex und dem Oktoberfestattentat, welche strukturellen Defizite den staatsanwaltschaftlichen Umgang mit rechter und rassistischer Gewalt prägen und welche Kontinuitäten sich daraus ergeben.
Die Veranstaltung findet am 18.10 ab 19:00 im Bürgerbildungszentrum Amadeu Antonio, Beratungszimmer statt.
Das rbb Fernsehen veranstaltet morgen eine Talk-Runde bei der unter anderem Marianne Spring-Räumschüssel von der AfD Cottbus und Christoph Berndt vom völkischen Verein Zukunft Heimat auf dem Podium stehen.
Wir von Cottbus Nazifrei! und der Förderverein Cottbuser Aufbruch e.V. haben Erklärungen abgegeben warum wir das gewählte Format und diese Gäste für einen Dialog zum Thema Migration und Integration in Cottbus für vollkommen verfehlt halten. [1]
Inzwischen haben weitere geladene Gäste wie Rainer Drogla (SPD) und Hans-Joachim Weißflog (Grüne) ihre Teilnahme abgesagt. [2] Gleichzeitig haben die AfD und das neofaschistische Kampagnennetzwerk „EinProzent“, sowie die Identitären damit begonnen zur vollständigen Kaperung dieser Veranstaltung zu mobilisieren. [3]
EinProzent schreibt über seinen deutschlandweiten E‑Mail-Verteiler: „Wir alle können Christoph Berndt im Studio unterstützen. Fassen Sie sich ein Herz und fahren Sie nach Cottbus!“ Die anderen Diskussionspartner werden als „Vertreter der Altparteien“ und als „Gegenspieler“ bezeichnet. Hier wird deutlich welch Geistes Kind das Netzwerke hinter dem vermeintlichen Heimatverein ist. Mit Hilfe von bundesweiten herangekarrten Unterstützer*innen soll hier in Cottbus „Das Volk“ simuliert werden. Es geht ihnen ausdrücklich nicht um einen Dialog.
Wir sind auf lokaler Ebene und so kurzfristig nicht in der Lage auf eine ähnliche Weise zu mobilisieren und wollen das in diesem Fall auch nicht! Durch die Absagen aus der Cottbuser Stadtgesellschaft und die Kaperung von rechts hat diese Sendung ihre Funktion als Seismograph der Stimmung in Cottbus vollständig verloren.
Der rbb beschädigt aus unserer Sicht mit der Durchführung dieser Veranstaltung den Begriff „Dialog“ und auch sich selbst massiv. Wie zweifeln daran, dass die Sicherheit der Gäste in den Räumen der Alten Chemiefabrik sichergestellt werden kann. Die rechte Mobilisierung stellt außerdem eine nicht zu unterschätzende Gefahr für das linke Hausprojekt „Zelle79“ in der unmittelbaren Nachbarschaft dar.
Wir können und wollen unter diesen Umständen einen Aufruf zur Beteiligung am rbb-Talk nicht verantworten.
[1] https://www.facebook.com/cottbus.stellt.sich.quer/posts/2035584666485327?__xts__%5B0%5D=68.ARBcFHwFhiZ0tjCjH2CwtKRXjZzw0r-MTTPauv3amyAv8s8PzwY3uSUO5-AIFsi0wu7clQKH5I7LDYQqQSHZGJu5XcssKx7KS0da1LatRi0JbbJAsR5lVWrNHRNYWDa6neqQvmupSbKAJ-mwflyHXH-97_K2kY3jnLC_Ac4a5jWdmf_zQpyl3w&__tn__=K‑R
[2] https://www.lr-online.de/…/rbb-kassiert-weitere-absagen-fue…
[3] https://einprozent.de/…/donnerstag-zukunft-heimat-im‑r…/2372
Seit 2017 führt der Verein „Zukunft Heimat“ monatlich Demonstrationen in #Cottbus durch. Als Aufhänger dafür werden Straftaten genutzt, die in das Freund-Feind-Schema Ausländer-gegen-Deutsche passen. Nach den bisher größten Demonstrationen im Februar organisierte das rbb Fernsehen am 1. März 2018 eine Fernsehdebatte, die von sich behauptete ein Dialog zu sein. Das dafür gewählte Format war eine Art Arena aus stehenden Zuschauern in deren Mitte sich sechs Teilnehmer*innen und die beiden Moderatoren gegenüberstanden.
Bei den Fragen und Antworten ging es nicht darum sich aufeinander zu beziehen oder einen Perspektivwechsel einzunehmen, sondern ähnlich wie bei einem Wahlduell die Sendezeit zu nutzen, um seine Position vorzutragen und als Sieger*in oder Verlierer*in aus der Debatte hervorzugehen. Obwohl es um #Migration in #Cottbus ging, hatte niemand einen Migrationshintergrund oder arbeitete auch nur im Integrationsbereich. Die Stimmung im Saal war aggressiv und vor allem die rechte Klientel im Publikum unterbrach Redner*innen immer wieder lautstark.
Die Kritik im Nachhinein wurde von den Verantwortlichen nicht berücksichtigt. An diesem Donnerstag soll genau diese Veranstaltung unter ähnlichen Rahmenbedingungen in der Alte Chemiefabrik wiederholt werden. Ausgestrahlt wird die Sendung mit etwas Verzögerung um 21:00 Uhr. Auf dem Podium stehen neben Holger Kelch (CDU), Martin Groholt (SPD) und Prof. Dr. Dierk Borstel erneut die beiden AfD-Mitglieder Marianne Spring-Räumschüssel und Christoph Berndt. Den Vertreter der Regierungspolitik wird damit allein die Position derjenigen entgegensetzt, die die seit Monaten mit einer rassistischen Kampagne versuchen die Stimmung in der Stadt aufzuheizen. Dazwischen steht ein vermeintlicher Rechtsextremismus-Experte aus Dortmund dem die Situation hier in Cottbus kaum vertraut sein dürfte.
In der Ankündigung der Veranstaltung hat der rbb die rechte Erzählung von der permanenten Auseinandersetzung von „Ausländern gegen Deutsche“, die Cottbus zu einem „Brennglas deutscher Migrationspolitik“ machen würden, sogar gleich ganz übernommen. [1]
Die Eingrenzung gesellschaftlicher Konflikte und Kriminalität auf die Frage nach der nationalen Zugehörigkeit bietet die ideale Grundlage für rassistische Stimmungsmache. Die Perspektive der tausenden Menschen, die nach Cottbus fliehen mussten oder die einen anderen Migrationshintergrund haben soll offenbar komplett ignoriert werden, obwohl viele von ihnen inzwischen gut Deutsch sprechen, gesellschaftlichen Funktionen übernehmen und sich tagtäglich mit rassistischen Anfeindungen auseinandersetzen müssen.
Vor allem die erneute Einladung von Christoph Berndt als Vertreter des Zukunft Heimat e.V. durch den rbb ist besonders kritikwürdig. Bei der Gesprächsrunde im März handelte es sich bei dem Verein um einen noch vergleichsweise jungen Akteur in #Cottbus, der eventuell von den Verantwortlichen noch nicht richtig eingeschätzt werden konnte. Inzwischen sind die Verstrickungen von Christoph Berndt und seinem Verein in die neofaschistische Szene aber weithin bekannt. Selbst der lange schweigende Verfassungsschutz Brandenburg hat bestätigt, dass Mitglieder der verbotenen Neonazi-Vereinigung „Spreelichter“ für den Verein arbeiten und die Medienarbeit übernehmen. Die Vorsitzende des Vereinsbüros in der Mühlenstraße 44 Melanie Kreissl war sogar persönlich an der Aktion der Identitären Bewegung bei der Besetzung des Stadthallendaches beteiligt. [2] Auf der letzten Kundgebung hat Christoph Berndt die Ermittlung gegen die rechte Terrorgruppe in #Chemnitz als Lüge bezeichnet. [3]
Das ausgerechnet mit diesen Leuten über Migration und Integration von Ausländern gesprochen werden soll ist schlicht absurd. Die #Identitären werben mit dem Slogan „Integration ist eine Lüge“, denn innerhalb ihres völkischen Weltbildes werden Menschen klar entlang rassistischer und nationalistischer Zuschreibungen unterschieden. Migration und Vermischung sind vermeintlich widernatürliche Vorgänge. Menschen mit dunkler Haut oder muslimischen Glaubens wird pauschal die Fähigkeit zur Integration abgesprochen. Natürlich gibt es im Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft auch Probleme und Konflikte. Aber Rassisten und Nationalisten haben dafür keine menschlichen Lösungen.
Ohne dieser Talk-Runde zu viel Bedeutung beizumessen stellt sie als Podium eines öffentlich-rechtlichen Senders doch ein Art Seismograph für die aktuelle gesellschaftliche Stimmung dar. Die #AfD und der Zukunft Heimat e.V. sind sich dem bewusst und versuchen deswegen auch gezielt ihre Anhänger*innen am Donnerstag in den Saal zu mobilisieren und die Stimmung vor Ort zu dominieren. Beispielsweise der Neonazi Friedbert Müller hat sein Kommen schon angekündigt. Dieser bezeichnet auch schon mal Mithelfer in Auschwitz als „Diener des Volkes“. [4] Diese Menschen wollen kein Recht und Ordnung, sondern die totale Eskalation um ihre Vernichtungsphantasien ungestraft ausleben zu können.
Das Zusammenleben und Integration in einer #Einwanderungsgesellschaft bedeutet, dass die Integrationsbereitschaft sowohl bei den Zugewanderten als auch bei den Einheimischen gefördert werden muss. Das Finden einer gemeinsamen Sprache, der Dialog auf Augenhöhe und das Machen von gemeinsamen positiven Erfahrungen halten wir für den richtigen Weg. Der rbb geht mit dieser Veranstaltung leider in die entgegengesetzte Richtung. Wir von Cottbus Nazifrei! werden uns deswegen daran nicht beteiligen – rufen aber trotzdem alle dazu auf den Zuschauerraum zu besetzen und die persönliche Kritik direkt an die Beteiligten und den rbb zu richten.
WANN: 11. Oktober 2018, 18:15 Uhr
WO: Alte Chemiefabrik Cottbus (Parzellenstraße 21)
Als echtes Dialogformat zwischen Einheimischen und Migranten empfehlen wir ansonsten das Sprechcafé Cottbus und die Initiative Start with a Friend.
[1] https://www.rbb-online.de/…/progr…/11_10_2018/925142378.html
[2] https://www.pnn.de/…/verfassungsschutz-aeusse…/22916578.html
[3] https://www.lr-online.de/…/zukunft-heimat-demonstriert-am‑3…
[4] https://www.facebook.com/…/rpp.175289609…/1745693848807745/…
In weiten Teilen der Stadt unüberhörbar, setzte die extrem rechte Vereinigung „Bürgerbündnis Havelland“ am Montagabend ihre Versammlungsserie in Rathenow fort. Die lärmintensive Kleinkundgebung zog jedoch kaum mehr als die üblichen 22 Teilnehmenden an.
Rathenows letzte „Patrioten“
Trotz Stagnation sahen sich die Redenden – in ihrem Wahn – jedoch im Aufwind, sprachen mit großer Lautstärke von einem (veranstaltungsreichen) „heißen Herbst“ und glaubten weiterhin an eine „Wende“ im Land. Den realen Blick ins „Volk“, in die Gesellschaft, scheinen Rathenows letzte „Patrioten“ aber schon seit geraumer Zeit verloren zu haben. Denn ihre Perspektive nährt sich offenbar ausschließlich aus größeren extrem rechten Veranstaltungen, wie am 29. September in Köthen und am 3. Oktober in Berlin, an denen sich das „Bürgerbündnis“ auch selbst beteiligte. Bei diesen Aufmärschen demonstriert – auch wenn manche Parolen dies vermitteln sollen – allerdings nicht wirklich „das Volk“, also ein gesellschaftlich repräsentativer Teil der Gesellschaft. An diesen Versammlungen nehmen nahezu ausschließlich versprengte Teile der PEGIDA-Bewegung, extrem rechte Hooligans und Neonazis teil.
Laut tönender Antisemitismus
Dieser stärker werdende Einfluss auf das „Bürgerbündnis“, spiegelte sich dann auch in dem laut durch die Stadt tönenden Redebeitrag des Vereinsvorsitzenden Christian Kaiser wider. Stolz und mit selbstsicherer Stimme berichtete er u.a. wie sein Verein bei der extrem rechten WfD-Demonstration zum Einheitsfeiertag „für den Erhalt des Vaterlandes“ demonstriert habe, während „Frau Merkel“ in Israel war „um sich ihren nächsten Doktortitel von den Juden abzuholen“. An einer anderen Stelle seiner Rede brachte er zudem sein „Gefühl“ zum Ausdruck „dass wir in Wahrheit von den Zionisten in Israel gelenkt werden“.
Wahn setzt sich fort
Kaiser selber sieht sich hingegen offenbar als Antagonist, der auch gestern wieder seine Leute zum „Widerstand“ aufrief. „Jeder echte Deutsche kann ein Sandkorn im Getriebe des antideutschen Endkampfes um die Machterhaltung werden und auch sein“, so der Bürgerbündnis-Chef in seinem Wahn. Und: „Wenn wir siegreich hervorgehen, wird Deutschland wieder leben“, so der Kaiser weiter.
Am 22. Oktober will das „Bürgerbündnis“ seine Versammlungsreihe fortsetzen.
Fotos hier: https://www.flickr.com/photos/presseservice_rathenow/sets/72157700648132961
freiLand bleibt!
Liebe Freund*innen, Liebe Unterstützer*innen, Liebe Besucher*innen,
die Versammlung aller freiLand-Nutzer*innen kann euch mitteilen, das freiLand bleibt freiLand – etwas kleiner und auch nur vorerst.
Das freiLand stand kurz vor dem offiziellen Aus. Bis Donnerstag, den 27.09., war vollkommen unklar, ob der Pachtvertrag zwischen den Stadtwerken Potsdam und der freiLand-Betriebsgesellschaft CULTUS UG ab 01.10. fortgesetzt wird. Das gesamte freiLand-Projekt stand auf der Kippe.
Kein Pachtvertrag hätte für das freiLand bedeutet: kein gültiger Betreiberinnenvertrag, und damit keine Basis für die Förderung der Stadt. Weiterhin hätten alle im freiLand angesiedelten Projekte keine rechtliche Grundlage mehr für die von ihnen angemieteten Räumlichkeiten gehabt. Also eigentlich das Aus für einen der wenigen Orte alternativer Kultur und partizipativer Strukturen in dieser Stadt. Auch nachdem nun in letzter Sekunde ein neuer Pachtvertrag unterzeichnet wurde, befinden sich die Betriebsgesellschaft und die zahlreichen im freiLand ansässige Künstler*innen, Initiativen, Sportgruppen und Vereine und deren Veranstaltungen in einem nur vorübergehend gesichertem Status.
Moment mal, was ist denn jetzt los? Gab es nicht im Juni 2018 einen Stadtverordnetenbeschluss und einen klaren Auftrag an die Stadtwerke zur Verlängerung des bestehenden Vertrages? Hat nicht der scheidende Oberbürgermeisters zugesagt, das freiLand unbedingt weiterführen zu wollen? Ja, das gab es alles. Aber was demokratische Absichtsbekundungen in einer Stadt wert sind, deren kommunale Unternehmen per Satzung auf Gewinnmaximierung aus sind und einer eigenen Agenda folgen, wurde hier sehr deutlich.
Kurze Chronologie
2011 eröffnete das freiLand-Kulturzentrum unter der Betriebsgesellschaft CULTUS UG als Pächterin auf dem Gelände der Stadtwerke. Dieser Ort war damals eine der Antworten auf die vielen Proteste in der sogenannten Jugendkulturkrise, die durch etliche Schließungen und Abrisse jugend- und soziokultureller Orte in Potsdam ausgelöst wurde. Zunächst in Kooperation mit Stadtwerken und Landeshauptstadt wurde im freiLand von vielen Initiativen ein florierendes Universum soziokultureller Angebote geschaffen und so dem allgegenwärtigem Defizit ein kleines
Stück utopischer Überschuss entgegengesetzt.
Infolge der Unstimmigkeiten und Skandale bei den Stadtwerken ging die Zusammenarbeit schleichend zurück, die Stadtwerke stellten sich in der Zwischenzeit mehrmals neu auf. Die Probleme nahmen zu. Ab 2017 folgt dann der große Umschwung: Sanierungs-Hardliner Horst Müller-Zinsius will das freiLand in jedem Fall loswerden. Im April 2018 kommt diese Position auch schwarz auf weiß. Vorbei die Zeit des konstruktiven Gesprächs. Die Stadtwerke lassen das freiLand nun auf verwaltungstechnischem Wege „ausbluten“. (Bei einem Unternehmensapparat mit angestellten Sachbearbeiter*innen und Rechtsabteilung auf der einen und einer größtenteils ehrenamtlichen Betriebsstruktur auf der anderen Seite kein großes Problem). Auf Briefe und Emails wird nicht geantwortet, dafür aber mit Nutzungsunterlassungen gedroht, von getroffenen Absprachen plötzlich nichts mehr gewusst, immer neue vermeintliche Sachzwänge erfunden usw.
Der lange Arm eines städtischen Konzerns
Der Beschluss der Stadtverordnetenversammlung, den bestehenden Vertrag zunächst nur um ein Jahr zu verlängern, sollte für etwas Zeit sorgen, um eine langfristige Lösungen zu finden. Aber statt dem Auftrag ihrer Gesellschafterin (die Landeshauptstadt Potsdam) zu folgen, hielt die Geschäftsführung der Stadtwerke das freiLand nun 4 Monate mit unzumutbaren und komplett neuen Forderungen hin, bis letztendlich der Pachtvertrag fast ausgelaufen war. So wurde durch die Zuständigkeitsverweigerung der Stadtwerke der rechtliche und offizielle Status des Kulturzentrums aufs Spiel gesetzt. Erst in letzter Sekunde konnte ein Kompromiss gefunden werden. Die Stadt Potsdam wird Kosten der Stadtwerke für die Geländeunterhaltung übernehmen, das freiLand-Gelände wird verkleinert und Bauanträge können nun durch die Betriebsgesellschaft gestellt werden.
Die freiLand-Betriebsgesellschaft CULTUS UG hat in den zurückliegenden Monaten in einem großen Kraftakt versucht dagegen zu arbeiten, Kompromisse zu finden, alle erdenklichen Gespräche zu suchen und Auflagen zu erfüllen. Alles mit den vorhandenen, sehr begrenzten finanziellen und personellen Ressourcen. Nur diesem Einsatz ist es zu verdanken, dass es derzeit so scheint als wenn wenigstens die bestehenden Nutzungen im freiLand gehalten werden können. Wir Nutzer*innen möchten auch an dieser Stelle nochmals unseren herzlichen Dank für diese Arbeit ausdrücken. Respekt!
Und wie nun weiter?
Vielleicht haben wir uns zu sicher gewähnt in unserem Bemühen der Stadt ihren soziokulturellen Anspruch zu erfüllen. Aber als Nutzer*innenplenum werden wir uns sicherlich nicht so einfach von dem Projekt, für das wir die vergangenen Jahre hart gearbeitet haben, verabschieden. Wäre ja noch schöner! Wir denken, dass Orte wie das freiLand mit niedrigschwelligen Angeboten, partizipativer Struktur und alternativen Ansätzen unverzichtbar sind. Wir werden kämpfen für diesen Ansatz und wir werden damit nicht alleine sein. Egal ob Sportplätze, Proberäume, Ateliers, Werkstätten, Galerien oder Veranstaltungsräume – von bezahlbaren Wohnungen ganz zu schweigen – von allem ist’s zu wenig! Die Politik in der Stadt muss endlich umdenken und die städtischen Unternehmen sollten dabei mitmachen. Dort wo jeder Quadratzentimeter Fläche zu Höchstpreisen verkauft wird, muss sich niemand wundern wenn der Druck auf Kulturstandorte steigt und die sowieso schon zuwenigen Spiel- und Sportflächen schrumpfen.
Wir fordern eine langfristige Perspektive für das freiLand, die Sicherung aller bestehenden Nutzungen und eine konstruktive Diskussion mit der Nutzer*innen-Perspektive im Mittelpunkt.
Wir fordern die Sicherung aller noch vorhandenen Sport‑, Spiel- und Kulturstandorte durch Festschreibung in den Bebauungsplänen.
Wir fordern den Ausbau und Planung von neuen öffentlichen Standorten für Kultur jenseits des Kommerz in der Stadterweiterung.
Nein zum Ausverkauf der Stadt, Nein zum Einstampfen kultureller Projekte und Initiativen. Ja zu einer vielfältigen Stadt für Alle. Ja zu öffentlichen Räumen.
Bei Fragen zu diesem Statement, könnt Ihr uns unter plenum@freiland-potsdam.de erreichen.
Euer freiLand
An zwölf Terminen analysieren renommierte Fachleute die gegenwärtige autoritäre Formierung aus unterschiedlichen Perspektiven und mit einem besonderen Augenmerk auf pädagogische und popkulturelle Aspekte. Die Ringvorlesung wird organisiert vom Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien und von der Fachhochschule Clara Hoffbauer Potsdam und findet vom 10. Oktober 2018 bis 22. März 2019 statt. Der Eintritt ist frei.
Alle Informationen finden sich unter: http://www.ringvorlesungpotsdam.de
Die Veranstaltungen auf einem Blick:
10.10.2018 | Haus der Natur (Lindenstraße 34, 14467 Potsdam)
‚Rechtspopulismus‘, Rechtsextremismus, radikaler Nationalismus – ein aktueller Überblick
PD Dr. Gideon Botsch
24.10.2018 | Haus der Natur (Lindenstraße 34, 14467 Potsdam)
Autoritarismus und Rechtspopulismus
Prof. Dr. Lars Distelhorst
Begrüßung und Einleitung durch den Potsdamer Oberbürgermeister Jann Jakobs
07.11.2018 | Haus der Natur (Lindenstraße 34, 14467 Potsdam)
Erinnerungskultur unter Druck von rechts
Dr. Matthias Heyl
21.11.2018 | Haus der Natur (Lindenstraße 34, 14467 Potsdam)
Grauzonen und rechte Lebenswelten in der Rockmusik
Michael Weiss
05.12.2018 | Friedenssaal im Großen Waisenhaus (Breite Str. 9A, 14467 Potsdam)
Autoritäre Dynamiken – rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2018
PD Dr. Oliver Decker
19.12.2018 | Friedenssaal im Großen Waisenhaus (Breite Str. 9A, 14467 Potsdam)
Pädagogische Strategien gegen Rechtsextremismus in der Jugendarbeit
Silke Baer
09.01.2019 | Friedenssaal im Großen Waisenhaus (Breite Str. 9A, 14467 Potsdam)
Antisemitismus an der Schule – Herausforderungen und Handlungsempfehlungen
Marina Chernivsky
23.01.2019 | Friedenssaal im Großen Waisenhaus (Breite Str. 9A, 14467 Potsdam)
Musik als popkulturelle Ausdrucksform extrem rechter Ideologie
Jan Raabe
06.02.2019 | Friedenssaal im Großen Waisenhaus (Breite Str. 9A, 14467 Potsdam)
Rechtspopulismus und Rechtsextremismus als Herausforderungen für die Lehre
Prof. Dr. Heike Radvan
20.02.2019 | Friedenssaal im Großen Waisenhaus (Breite Str. 9A, 1446 Potsdam)
Mit Recht gegen Rassismus!? Antidiskriminierungsarbeit in der Praxis
Gudrun Greve und Ingmar Pech (Antidiskriminierungsberatung Brandenburg)
06.03.2019 | Haus der Natur (Lindenstraße 34, 14467 Potsdam)
Der Kampf um gesellschaftliche Ordnung und die Pädagogik — Rassismuskritische Erkundungen
Prof. Dr. Paul Mecheril
22.03.2019 | Waschhaus Potsdam (Schiffbauergasse 6, 14467 Potsdam)
Vom Gastarbeiter zum Gangsta-Rapper? HipHop, Migration und Empowerment
Murat Güngör und Hannes Loh
Die Ringvorlesung wird durch die Hoffbauer Stiftung, die Stiftung Großes Waisenhaus und durch die Stadt Potsdam unterstützt.
Die Veranstaltenden behalten sich vor, von ihrem Hausrecht Gebrauch zu machen und Personen, die rechtsextremen Parteien oder Organisationen angehören, der rechtsextremen Szene zuzuordnen sind oder bereits in der Vergangenheit durch rassistische, nationalistische, antisemitische oder sonstige menschenverachtende Äußerungen in Erscheinung getreten sind, den Zutritt zur Veranstaltung zu verwehren oder von dieser auszuschließen.
Unser Autor ist vor Neonazis weggelaufen und er war mit Rechten befreundet. In den Neunzigern in Ostdeutschland ging das zusammen. Und heute?
Die eigene Hässlichkeit kann ein Rausch sein. Wenn man sie umarmt und das Grauen in den Gesichtern derer sieht, die einen beobachten und verachten, aber sich nicht an einen herantrauen, dann strömt Macht durch die Adern wie elektrischer Strom.
Als ich bei über hundert Kilometern pro Stunde einem BMW hinter uns auf die Motorhaube pisse, spüre ich diese Macht. Als ich da im Dachfenster stehe, die Hose bis zu den Oberschenkeln heruntergelassen, sehe ich das große weiße Gesicht des Fahrers: Die Augen geweitet, vor Schreck, Entsetzen, Empörung, bläht es sich auf wie ein Ballon, ich würde gern mit einer Nadel hineinstechen.
Ich bin neunzehn, ich bin zehn Meter groß und acht Meter breit, ich bin unverwundbar.
Als am 27. August 2018 Männer meiner Generation, so um die vierzig, in Chemnitz einen „Trauermarsch“ veranstalten und einige ihre nackten Hintern in die Kameras halten, wie man es bei YouTube sehen kann, denke ich an meine Autobahnfahrt. Als schwere Männer Hitlergrüße zeigen und Menschen angreifen, deren Hautfarbe ihnen nicht passt, als die Polizisten nicht einschreiten, bin ich paralysiert, als würde etwas Dunkles hochkommen, von dem ich dachte, ich hätte es hinter mir gelassen. Aber ich erinnere mich auch an diesen Machtrausch, den Kick, wenn du jemandem klarmachst: Regeln? Und was, wenn ich auf deine Regeln scheiße, mein Freund? Was dann?
Ich sehe Chemnitz und frage mich: Was habt ihr mit mir zu tun? Was ich mit euch?
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