Der Wille des Podiga-Gesichtes Christian Müller ist offenbar nicht zu brechen. Das selbstgedrehte Video minderer Qualität, in dem er vor einer Deutschland-Fahne mit Schlange um den Hals die Welt an seiner Megalomanie teilhaben lies, ist zigfach belächelt worden. Am heutigen Mittwoch hatte sich diese Hartnäckigkeit gelohnt. Ein Großaufgebot der Polizei setzte den nicht mal 1 km langen Pogida-Aufmarsch im dritten Anlauf durch.
Polizei riegelte alles ab
Bereits am frühen Abend glich der Bereich in und um den Potsdamer Hauptbahnhof einer Festung. Die Polizei kontrollierte Passant_innen (und deren Taschen), suchte in und um den Bahnhof nach „gefährlichen Gegenständen“, riegelte die lange Brücke, die Freundschaftsinsel sowie den Lustgarten komplett ab. 1000 Beamt_innen aus drei Bundesländern, Hundestaffeln und ein Helikopter waren ständig im Einsatz, Wasserwerfer standen bereit.
Diese Taktik machte es unmöglich, trotz diverser Versuche Blockaden zu stellen oder zu den Pogidas vorzudringen.
Des Weiteren kam es zu einigen gewalttätigen und fragwürdigen Vorfällen. Augenzeug_innen zufolge prügelten dutzende Polizist_innen auf einen einzelnen Demonstranten ein, der ein Ei geworfen haben soll. Es wurden Journalist_innen und Santitäer_innen an ihrer Arbeit gehindert. Am Hauptbahnhof wurde am Rande des Pogia-Aufzuges eine rassistische Polizeikontrolle mit Festnahme. Genaueres ist noch unbekannt.
POGIDA — ein kruder Haufen mit kruden Inhalten
Relativ pünktlich konnten die 100 Pogida-Anhänger_innen, die sich am Nordausgang des Hauptbahnhof versammelt hatten, losziehen. Während des Aufzuges wurde sowohl die deutsche, als auch die russische Nationalhymne gespielt, gegen Linke und die etablierte Politik, z.B. mit der Parole „Merkel nach Sibirien! Putin nach Berlin!“ gehetzt. Außerdem stimmten Pogida-Teilnehmer_innen die 3. Strophe der Deutschlandhymne an, später wurde die Rede von Charlie Chaplin aus großem Diktator abgespielt. Der Aufmarsch lief vom Hauptbahnhof über die Lange Brücke zum Filmmuseum, drehte dort und lief wieder zurück zum Anfangsort.
Nachdem die Veranstaltung beendet war, verteilten sich die Teilnehmer_innen unkontrolliert, es wanderten kleinere grölende Pogida-Grüppchen in verschiedenen Stadtteilen.
Viel Gegenprotest, mehr als Präsenz zeigen ging leider nicht
Rund 1000 Gegendemonstrant_innen hatten sich eingefunden. Die Kundgebungen des bürgerlichen Bündnisses „Potsdam bekennt Farbe“ zählte etwa 700 Teilnehmer_innen und war mit zweireihigem Hamburger Gitter „gesichert“. Sie konnten nur lautstark den vorbeiziehenden Pogida-Aufzug ihre Haltung entgegenstellen. Daneben bewegten sich weitere 300 Personen dezentral, konnten jedoch wenig ausrichten.
Gerade jetzt: 71 Jahre Auschwitzbefreiung gedenken
Trotz, oder gerade aufgrund, des Pogida-Aufmarsches vergaßen viele nicht, dass sich am 27. Januar der Tag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz jährt. Vor und auch nach den Protesten gedachten Antifaschist_innen am Mahnmal für die Opfer des Faschismus. Eine kraftvolle Spontandemonstration führte Aktivist_innen zum Platz der Einheit, wo zeitgleich zur Pogida-Abschlusskundgebung eine Schweigeminute gehalten wurde.
Ohne den Schutz des Staatsapparates wäre das Aufmärschchen niemals möglich gewesen. Der 11. Januar scheint sich Potsdams Image verändert zu haben, das Medieninteresse war auch diesmal wieder imens. Es bleibt abzuwarten, wie viele Wochen diese massive Polizeipräsenz noch jegliche Aktivitäten im Keim ersticken und Pogida ihren Weg freischaufeln kann.
Wir blicken dennoch zufrieden auf einen Abend voller motivierter Menschen, wichtiger Zeichen und Inhalte und hoffen auf mehr Erfolg beim unvermeidbaren nächsten Mal.
Wie es aussieht, ist leider kein Ende in Sicht: auf der Abschlusskundgebung vor dem Hauptbahnhof kündigte Christian Müller den nächsten Pogida-Aufmarsch gemeinsam mit Bärgida und Pegida Havelland für den 6. Februar 2016 an. Der genaue Ort ist noch nicht bekannt.
Kategorie: Flucht & Migration
Am Samstag, 16.01.2015 18.30Uhr- 21.30Uhr, wird es wieder eine Kundgebung von den „Brandenburger Patrioten“
in Prenzlau auf dem Marktberg geben. Hinter der Bezeichnung steckt NPD, AFD und Freie Kräfte (Kameradschaften).
Mit einer kruden Mischung der verschiedensten Themenbereiche (u.a.: Abschaffung von GEZ-Gebühren, Asylpolitik)
versuchen sie ihren menschenverachtenden Dreck unter die Leute zu bringen.
Wir wollen das nicht hinnehmen und veranstalten eine Gegenkundgebung! Es werden 400‑1000 Rassist*innen erwartet, also zieht euch warm an. Es ist deutsch in Kaltland.
WANN? 16.01.2016 // 18.30 – 21.30 Uhr
WO? Ostseite der Marienkirche in Prenzlau
Am heutigen 12. Januar demonstrierten 200 Antifaschist_innen durch Rathenow. Anlass war der größte Neonazi- und Rassist_innen-Aufmarsch den die Region Berlin-Brandenburg ertragen muss. Heute nahmen an diesem Aufmarsch ca. 550 Menschen teil. An der kurzfristig geplanten Gegendemonstration nahmen dagegen 200 Menschen teil, weitere 120 waren auf der stationären, zivilgesellschaftlichen Kundgebung zugegen. Nach dem Start um 18.00 Uhr vereinten sich die beiden Gruppen auf dem August-Bebel-Platz. Von hier aus wurde dann die Neonazi-Kundgebung gemeinsam und lautstark mit Parolen eingedeckt. Nach ca. einer Stunde lief die antirassistische Demonstration wieder los in Richtung Bahnhof, um den Zugereisten eine sichere Abfahrt zu ermöglichen.
Wir sind zufrieden mit dem Ablauf des Abends, es ging uns in Rathenow darum, die lokalen Akteur_innen zu unterstützen und das ist auf ganzer Linie gelungen. Es gilt zu verhindern, dass sich in Rathenow sächsische Zustände einbürgern und auf diesem Weg war unsere Demonstration der erste Schritt.
INFORIOT Erneut marschierten Neonazis und Rassist_innen durch Oranienburg. Bei dem neunten sog. “Abendspaziergang” nahmen am gestrigen Freitag etwa 250–300 Demonstrant_innen teil. Entgegen der Behauptung von “Nein zum Heim in Oranienburg” stieg die Zahl der Demonstrierenden nicht exorbitant an sondern blieb nahezu konstant, obwohl der Termin auf einen Freitag verschoben wurde. Ein Dutzend Antifaschist_innen versuchten auf die Route zu gelangen, wurden jedoch durch die Polizei daran gehindert.

NPD dominiert die Organisation
Bei der gestrigen Demonstration zeigte sich wieder ein Mal deutlich, dass die sog. “Abendspaziergänge” durch die örtliche NPD gesteuert und ausgerichtet werden. Bereits zum Beginn der Demonstration verteilte der Veltener NPD-Stadtverordnete Robert Wolinski Banner und Schilder an die Teilnehmenden. Auch das NPD-Banner “Asylbetrug macht uns arm” war wieder auf der Demonstration vertreten. Auf der Auftaktkundgebung kündigte der Anmelder Carlo-Eik Christopeit an, dass neben Tee auch “freie Lektüre” angeboten wird. Bei diesen “freie Lektüre” handelte es sich um die Zeitung “Deutsche Stimme”, die durch den NPD-Bundesvorstand herausgegeben wird. Robert Wolinski verteilte die “Deutsche Stimme” auf der Auftaktkundgebung und drum herum. Das mutmaßliche JN-Mitglied Martin Ulbrecht sprach wieder auf der Demonstration.
Die Ordnertätigkeiten wurden ebenfalls weitestgehend von NPD- und NPD-nahnen Aktivisten übernommen, darunter Robert Wegner und Maik Neuber. Neuber hat bereits in Velten die “Abendspaziergänge” am 6. November 2015 und am 7. Januar 2016 angemeldet. Bei der letzten Demonstration in Velten nahmen etwa 300 Rassist_innen und Neonazis teil. Außerdem ist Neuber Oberfeuerwehrmann bei der “Freiwillige Feuerwehr Marwitz 1909 e.V.”. Seine Parteizugehörigkeit bzw. Gesinnung soll der Feuerwehr in Marwitz schon länger bekannt sein.

Mit Verschwörungstheorien gegen Geflüchtete
Die Reden zeugten erneut von flüchtlingsfeindlicher Hetze, antimuslimischem Rassismus, Antisemitismus und kruder Verschwörungstheorien. Der erste Redner, der sich unter den Namen “Sven” vorgestellt hat, sprach von einer “laufenden Umvolkung” und einer “gelenkten Invasion” von sog. Flüchtlingsströmen, der einen angeblichen “Bevölkerungsaustausch” vorantreiben würde. Angeblich werden Moscheen auch in den ländlichen Gebieten entstehen und die “moslemische Kultur” (Fehler im Original) soll die Deutsche verdrängen. Eine derartige Rhetorik gleicht der Losung des sog. “Volkstodes”, die viele neonazistische Gruppen propagieren. Nach Ansicht des Redners soll eine “schleichende Auflösung der deutschen Ethnie drohen”, auch so soll die “ganze Flüchtlingsgeschichte auf einer Lüge aufgebaut sein”. In einem Atemzug erklärte er Geflüchtete zu Tätern, “die bei uns die Chance wittern ihre kriminellen Machenschaften besser und erfolgreicher zu betreiben”.

Im weiteren Verlauf seiner Rede driftete er ab in krude Verschwörungstheorien. So soll die “Massenemigration eine der Auswirkungen der Schaffung der sogenannten Neuen Weltordnung (NWO)” sein, so “Sven”. Die NWO wird in verschiedenen Verschwörungstheorien beschrieben als ein geheimes Bestreben der Eliten, bzw. der USA, um eine autoritäre, supranationale Weltregierung zu schaffen. Im rassistischen Duktus konstruierte der Redner “Sven”, dass die NWO mit den angeblichen Zustrom von Geflüchteten die Souveränität der Staaten negieren, Nationalstaaten auflösen und die Regierungen abschaffen würden und eine Auflösung “der Völker als homogene Ethnien” forcieren. Die “homogenen Ethnien” sollen den angeblichen Plänen der NWO im Weg stehen, die “deutschen Nationalvölker” sollen sich daher gegen die Bestrebungen wehren. Zum Schluss rief er zu einem “zivilen Ungehorsam” und einem “Generalstreik nach Artikel 20 Absatz 4”, die gleichen Forderungen, die auf den rechten Montagsaufmärschen in Berlin, bei Bärgida, geäußert werden.
Verzweifelt um “friedliches” Bild bemüht
Zu Beginn der Demonstration wies Robert Wolinski die Teilnehmenden an in Aufstellung zu gehen, wobei er explizit Frauen vorschickte, um ein eher “harmloseres” Bild der Demonstrationsspitze zu zeichnen. Nicht nur er war bemüht um ein friedlicheres Bild der Demonstration. Auch der Anmelder Carlo-Eik Christopeit wies die Demonstrant_innen an sich ruhig zu verhalten und sich nicht provozieren zu lassen, nachdem es bei der letzten Demonstration mehrere Übergriffe von sog. “AbendspaziergängerInnen” auf Gegendemonstrant_innen gab. Dennoch pöbelte ein Teil der Demonstration in Höhe der Fischerstraße gegen die Gegenkundgebung der Linksjugend [’solid] Oberhavel, die sich auf dem Parkplatz vor Rossmann versammelt hatten.
Nächste Demonstration mit prominentem Islamhasser
Zu Beginn der Demonstration verkündete der Anmelder Carlo-Eik Christopeit den Termin der nächste Demonstration an. Am 26. Februar soll der zehnte “Abendspaziergang” vor dem Schloss in Oranienburg stattfinden. Als Redner kündigte er den Islamhasser Michael Mannheimer an. Hinter dem Pseudonym “Michael Mannheimer” steht der rechte Blogger Karl-Michael Merkle, der als Autor und Referent für den rechtspopulistischen Blog “Politically Incorrect” (PI) tätig ist und als Redner bei diversen PEGIDA-Ablegern im süddeutschen Raum geladen war. Merkle soll die virtuelle Prangerseite “Nürnberg 2.0” betreiben. “Nürnberg 2.0” versteht sich laut Eigenangabe als “Erfassungsstelle zur Dokumentation der systematischen und rechtswidrigen Islamisierung Deutschlands” und der “grundgesetzfeindlichen Entdemokratisierung, der Entrechtung des Bürgers und der Straftaten linker Faschisten zur Unterdrückung des Volkes”. Auf der Seite werden Namen von Journalist_innen, Politiker_innen und Künstler_innen veröffentlicht, die durch ein “Tribunal” bestraft werden sollen. Unter seinem Pseudonym hat Merkle dort und auf seinen Blog zu “bewaffneten Widerstand” gegen die angebliche “Islamisierung Deutschlands” aufgerufen.
Zudem ergriff Christian Müller aus Saarmund das Mikrophon am Ende der Veranstaltung und warb für den Aufmarsch am 11. Januar in Potsdam. Er stellte sich als Anmelder der Demonstration in Potsdam vor und gab an, dass der Berliner PEGIDA-Ableger, Bärgida, sich ebenfalls den Aufmarsch, der gegen 20 Uhr auf dem Bassinplatz beginnen soll, anschließen würde. Das Bündnis “Potsdam bekennt Farbe” meldete eine Gegenveransaltung am Alten Markt an. Weitere Proteste sollen folgen.
Mehr Bilder: hier.
Wir sind keine Gruppe von erfahrenen Antira- Aktivist*innen, sondern trafen uns vor Kurzem im Zuge der »Willkommenseuphorie« und merkten schnell, dass uns vor lauter »Helfen« die politischen Entwicklungen überrollten. Uns wurde klar, dass ohne eine politische Debatte mögliche Analysen und Perspektiven fehlten. Die brauch(t)en wir aber, da wir plötzlich Arbeiten und Aufgaben erledigten, die wir mit einem linksradikalen Selbstverständnis nicht vereinbaren konnten.
Deswegen luden wir zu einem Kongress ein. Wir wollten diskutieren. Und das vor allem mit den Migrant*innen selber. Wir wollten dieser überheblichen Perspektive des »Wir helfen euch Armen« entfliehen und die vergangenen wie die aktuellen Kämpfe von Migrant*innen, aber auch unsere eigenen, in den Mittelpunkt rücken und nach den Verbindungen dazwischen fragen.
Letztlich waren über den Tag verteilt 100 teils organisierte Leute aus Berlin und Brandenburg anwesend. Der Anteil von MigrantInnen war für unseren Erfahrungshorizont recht hoch. Inhaltlich bereiteten wir Thesen und Workshops vor, die in zwei Blöcken über den Tag hinweg parallel liefen.
Einstiegsthesen beim Kongress
1. Die Lagerverwaltung der „Refugees“ hat zwei Ziele: Selbstbestimmte Mobilität von Migrant*innen zu unterbinden, um sie effizient zu registrieren und zu kategorisieren. Gleichzeitig werden sie in einen Status gezwungen (Duldung), in dem sie selbst mobil und flexibel jede Arbeit annehmen müssen. Gelingt ihnen das nicht und es fallen staatliche Kosten an, droht Abschiebung.
2. Vor 25 Jahren gab es bereits eine Verschärfung der Asylgesetze in Deutschland. Die dort erprobten Maßnahmen wurden 10 Jahre später mit den Hartz-Gesetzen in der Breite umgesetzt. Was für die damaligen Asylbewerber*innen an Lebens – Arbeitsbedingungen galt, sollte später für weite Teile der »unteren Berufsgruppen« (auch viele radikale Linke) gelten.
3. Weder gegen die Asylrechtseinschränkungen noch gegen die Hartz-Gesetze gab es erfolgreichen Widerstand, denn soziale oder berufliche Gruppen kämpften politisch isoliert voneinander: Student*innen gegen die Bedingungen an der Uni, Hausbesetzer*innen in ihren Immobilien, die Erzieher*innen & Lehrer*innen in Schule und Kita, die Industriearbeiter*innen in den Fabriken, die von Hartz IV Drangsalierten montags auf der Straße, der Einzelhandel im Supermarkt, die Bahner*innen auf dem Bahnhof und die Migrant*innen gegen Residenzpflicht, Sachgutscheine, Lagerhaltung und Abschiebungen.
4. Die aktuelle Situation stellt uns vor eine ähnliche Entwicklung mit dem Unterschied, dass wir es nicht mit bundesdeutschen, sondern mit weltweiten Verschärfungen der Lebens- und Arbeitsbedingungen zu tun haben.
5. Wir müssen aus den letzten 25 Jahren viel lernen. Zwei Dinge ganz besonders: Dieser Staat kennt nur die kapitalistische Logik. Diese zeigt sich überall: In Waffenexporten, Kriegen, unternehmerischer Lagerverwaltung von Migrant*innen, in den Reformen des Bildungswesens und des Arbeitsmarktes, … Wir müssen uns klar von dieser Logik der Verwaltung und Inwertsetzung distanzieren. Wir können nicht als Verwalter*innen für diesen Staat auftreten. Wir können uns nur auf Augenhöhe begegnen, die zunehmende Verschlechterung der Lebens- und Arbeitsbedingungen in den Mittelpunkt rücken und wieder gemeinsam kämpfen.
Workshops
1. »Experiences in self-organization in Syrian/Kurdistan«
Die »Refugees« sind keine Opfer. Sie sind Subjekte ihrer Geschichte. Die Anschläge in Paris zeigen die Ausweitung des »War on terror« vom Süden in den Norden. Lasst uns aus Syrien lernen, wie sich in solchen Zeiten politisch organisieren lässt.
2. »Experiences in breaking through the croatian border«
Die Erfahrungen in Potsdam zeigen, wie schnell wir in staatliche Strukturen gezogen werden. Eine antistaatliche Organisierung ist nötig. Die Unterstützung an der kroatischen Grenze setzte sich explizit über staatliche Politik hinweg. Aber hat diese Art von Politik ein Perspektive?
3. »Migrant House occupations — a subversive answer or institutionalization?«
Hausbesetzungen eröffnen meist autonome Räume. Erfahrungen aus Italien zeigen jedoch, dass angesichts massiver Wohnungsnot diese Räume nicht per se unabhängig bleiben.
4. »‘Industry of welfare’ of DRK, Caritas, AWO and Co.«
Viele Leute versuchen politische Arbeit mit und für »Geflüchtete« zu leisten. Problematisch ist, dass sie meist gefangen sind zwischen dem Zwang Geld zu verdienen und der kommerziellen Verwaltung von »Geflüchteten«. Die politische Handlungsfähigkeit in solchen Strukturen ist stark begrenzt, nicht wenige verausgaben sich und vereinzeln.
5. »Administration of concurrence — ‘Life’ & Work between ‘Duldung’ & Deportation«
Lohnarbeit ist für »Geflüchtete« die einzige Chance dem Duldungsstatus zu entkommen. Andernfalls droht ihnen die Abschiebung. Zu welchen Arbeitsbedingungen lassen sich die Leute ausbeuten und was hat dies mit den Arbeitsverhältnissen allgemein zu tun?
6. Interregional Mobilization in the Lager
Abschließend stellt sich die folgende Frage: Wie lässt sich mit verstreuten, mehr oder minder organisierten Gruppen gemeinsam politisch handeln? Die Lagerverwaltung ist ein überregionaler Mechanismus, dem wir nur überregional begegnen können.
Zusammenfassung des Feedbacks zum Kongress
Der DIY Charakter des Kongresses sollte eine Ansage sein. Wir wollten ohne Anträge bei irgendwelchen Stiftungen auskommen und auch vermeiden, dass wir uns finanziell ein riesiges Gerüst aufbauen, was uns dann zu bestimmten Formen zwingen kann. Wir wollten sagen: »Hey jede*r kann so einen Kongress ins Leben rufen!«
DIY war aber auch eine Notlösung. Die Vorbereitungsgruppe blieb sehr klein und die Potsdamer Szene konnte trotz ihrer großen Aktivität innerhalb der »Willkommenseuphorie« weder in die Vorbereitung einbezogen noch zur Teilnahme bewegt werden. Dies hat zwei Gründe. Die aktiven Leute sind mit Arbeit und Verantwortung überschüttet und finden keine Zeit für eine politische Auseinandersetzung. Und unsere Idee die politischen Küchentische zu mobilisieren, war eine Illusion. Wir verzichteten bewusst auf Einladungsbündnisse, die in unseren Augen nur Marketing- oder Lippenbekenntnisse sind, sondern sprachen gezielt Wohngemeinschaften an. Wir erhoff(t)en uns eine Debatte unter kritischen Menschen und nicht unter Politiker*innen.
Die Übersetzung während des Kongresses war für uns die größte Herausforderung und hat nur teilweise geklappt. Wichtig war mehrsprachig einzuladen und Englisch als Hauptsprache zu nutzen. Da gerade die älteren Brandenburger*innen, zum Teil aber auch Migrant*innen (die die ganze Zeit drangsaliert werden Deutsch zu lernen) dies nicht gewohnt sind, mussten wir spontan auch andere Lösungen finden. Zwei Dinge haben wir dabei gelernt: 1. Eine gut vorbereitete Moderation ist wichtig, die nicht nur einen Blick für den Inhalt, sondern vor allem für die Leute in der Runde hat. 2. Alle Menschen sollten sich über ihre (nicht) vorhandenen Sprachkenntnisse bewusst sein und im Zweifelsfall Freund*innen mitbringen, die mittels »stiller« Übersetzungen in Diskussionen und Workshops aushelfen können.
Beim Kongress ist sehr deutlich geworden, dass es ein Bedürfnis zu diskutieren gibt. Wir waren überrascht, wie viele Leute bereits am Samstag Morgen teilnahmen. Die Inhalte der Workshops stießen auf positive Resonanz, wobei die eingangs gestellten Thesen nur teilweise inhaltlich bearbeitet wurden. Dies hat vorrangig mit dem »Kommen und Gehen« über den Tag hinweg zu tun und führte letztlich auch zu einer Überforderung im Abschlussplenum. Teilweise wurde beklagt, dass wir nicht zielorientiert auftraten, sondern das Treffen offen formulierten. Wir wollten keinen großen Kongress mit Perspektive anbieten, sondern einen »Stich ins Wespennest« wagen. Rückblickend hätten wir es inhaltlich nicht so breit fächern müssen. Deswegen spitzen wir nun die uns wichtigen Punkte zu. Denn es gibt Redebedarf, es gibt ähnliche Kongresse und es gibt politische Entwicklungen, die wir nicht hinnehmen werden!
Weiter im Stoff – die »eigene Rolle« hinterfragen
Lager abschaffen!
Ausgangspunkt unserer Zweifel und Fragen waren die spezifische Erfahrung und die Beobachtungen, welche wir an unterschiedlichen Stellen in Potsdam machen mussten. Hier zeigte sich zuerst innerhalb der hauptsächlich von der linken Szene in wenigen Tagen aufgebauten Außenstelle der Erstaufnahme, wie schnell wir in staatliche Strukturen gezogen werden und uns plötzlich in der Rolle der Knastaufseher wiederfinden. Kurz darauf bescherte uns die Diskussion um die Errichtung von Leichtbauhallen auf dem Gelände des alternativen Kulturzentrums freiLand die bittere Erkenntnis, dass die Stadtverwaltung bewusst dieses Gelände gewählt hat, in der nicht unbegründeten Hoffnung, dass sich die dortigen Aktiven als dankenswerte Steigbügelhalter_innen eines repressiven Asylsystems erweisen werden. Ähnliche Fälle der Unterbringung in unmittelbarer Nähe zu linken Zentren wurden auch aus anderen Städten berichtet.
Von Lagern außerhalb Deutschlands vermittelte der Workshop zu Erfahrungen an der kroatischen Grenze einen Eindruck. Was als antistaatliche, grenzüberwindende Aktion begann, wurde schnell von sogenannten Sachzwängen bestimmt. Statt politisch frei agieren zu können, wurde man immer wieder auf eine rein versorgende Unterstützung zurückgeworfen. Zudem ließ sich in den drei vor Ort besuchten Lagern folgendes Dilemma formulieren: Während es auf der einen Seite Lager gibt (bspw. Presova/Slowakei), in dem eine chaotische Lage und schlechte hygienische Situation herrscht, aber die Migrant*innen eine mehr oder weniger uneingeschränkte Bewegungsfreiheit haben, existieren auf der anderen Seite Lager (bspw. Dobova/Slowenien), in denen eine erstklassige (auch humanitäre) Infrastruktur und grundlegende Versorgung sicher gestellt ist. Allerdings ist dieses Lager komplett militarisiert und abgeriegelt. Es gibt keine selbstbestimmte Bewegungs- und Handlungsfreiheit.
Unabhängig von den jeweiligen Bedingungen in Lagern und Heimen erweist sich eine politische Mobilisierung in diesen Strukturen als kaum durchführbar. Im Workshop zur interregionalen Lagermobilisierung wurden diesbezüglich kontinuierliche Anstrengungen und Misserfolge der letzten Jahre geschildert. Als besondere Hindernisse wurden die oft schwer erreichbare geografische Lage, die Zugangsverweigerung durch die jeweiligen Betreiber, die starke Fluktuation der Bewohner*innen sowie deren prekäre Lebensumstände benannt.
Als naheliegende Alternative zur Schaffung von freiem, kollektivem Wohnraum gab/gibt es in Potsdam die Idee leer stehende Objekte einer sinnvollen Nutzung zuzuführen. Dafür wollen wir an bereits gemachte Erfahrungen anknüpfen.
Häuser besetzen!
Nicht nur in Italien und Frankreich werden seit Jahren wieder Häuser besetzt, auch in der BRD gibt es wieder Besetzungen. Die Motivation hierfür ist jedoch sehr unterschiedlich. Der Nenner scheint die Migration zu sein. Uns war es wichtig, aus der jüngeren Vergangenheit zu lernen, das »Rad nicht neu zu erfinden« und vor allem nicht bereits begangene Fehler zu kopieren. Hierfür haben wir Erfahrungen von italienischen Hausbesetzungen gesammelt und Leute von der Besetzung in der Ohlauer Straße (Berlin) eingeladen.
Die italienischen Erfahrungen lassen sich in drei Strängen fassen. 1. Die alten besetzten Strukturen sind überfordert oder existieren nicht mehr. Migrant*innen nutzen seit Jahren die Räumlichkeiten, privatisieren diese aber gleichzeitig. 2. Neue Besetzungen werden meist von Linken initiiert und dann für die Migrant*innen geöffnet. Meist geht es hier um die Legalen, die in Italien den kleineren Anteil unter den Migrant*innen ausmachen. Die Häuser sind offiziell besetzt, werden geduldet und italienische Vereine übernehmen dann im Einklang mit dem Staat/der Stadt die »Verwaltung« der Leute. Das heißt, es gibt Geld vom Staat für die Integration der Asylsuchenden. Dies aber nur über den Umweg italienischer Träger. Diesen Job übernehmen meist die Besetzer*innen, also Sprachkurse, Rechtshilfe, Beratung, etc. Hierbei kommt es auch zu Überschneidungen mit der Mafia, die ebenfalls daran verdient. 3. Es gibt Armutsbesetzungen, die oft mit erst kürzlich verarmten Italiener*innen, denen nichts anders übrig bleibt, gemeinsam stattfinden, wobei es weder eine kollektive noch eine wirkliche politische Perspektive gibt. Die Häuser sind oft gut verwaltet und werden von staatlicher/städtischer Seite geduldet.
Die Schulbesetzung in der Ohlauer Straße in Berlin ist drei Jahr her. Im Zuge des Protestcamps auf dem Oranienplatz wurde aufgrund der Wetterlage eine leerstehende Schule besetzt. Es wurde ein festes Gebäude zum Schlafen gebraucht. Die Schule wurde besetzt, der Bürgermeister wurde angerufen und mit dem Kälteschutz-Argument konfrontiert. Das hat funktioniert. Es war eine Doppelbesetzung. Der Hauptteil der Schule war als Unterkunft gedacht, ein kleinerer Teil, ein Pavillon als politischer Aktionsraum. Die Idee ist jedoch nicht aufgegangen, da plötzlich über 300 wohnungslose Menschen meist in Familienzusammenschlüssen kamen, die keinen Beitrag zum vorherigen (oder nachfolgenden) politischen Kampf leisteten. Das hat alle komplett überfordert.
Die Besetzung war keine rechtliche, sondern eine politische Frage. Ein Jahr lang wollte der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg Regeln bestimmen und einführen. Gleichzeitig hat der Bezirk auf Zuspitzung und Eskalation gesetzt. Das hat funktioniert, es kam zwangsläufig zu Streit und einem Toten. Im Zuge dessen gab es mehr Security auf dem Gelände, die die Leute voneinander isolierten, vor allem die Aktivist*innen mit deutschem Pass von denen ohne.
Es sollte ein Haus geöffnet und politische Gruppen eingeladen werden. Das hat nicht funktioniert. Denn schnell war der Großteil des Hauses eine Notunterkunft, in der die individuellen Probleme der Leute wichtiger waren als die politische Dimension, in der sie entstehen. Letztlich haben die Aktivist*innen mit und ohne Migrationserfahrung sehr darunter gelitten, weil sie in eine Situation rutschten, die sie nicht mehr unter Kontrolle hatten, aber auch nicht einfach aufgeben konnten. Ein ähnliches Beispiel des Ausgeliefertseins an scheinbare Sachzwänge wurde aus Frankreich berichtet, wo die Besetzer*innen eines Hauses, das als Frauenschutzraum gedacht war, sich letztlich unfreiwillig als 24/7‑Einlasskontrolleur*innen wiederfanden. Fazit: Es muss sofort von Anfang an um politische Standards gehen. Ein ausschließlich humanitärer Anspruch reicht nicht aus! Denn wohin augenscheinlich »humanitäre« Arbeit ohne politischen Anspruch führt, zeigt uns in makabrer Art und Weise die »Wohlfahrtsindustrie«, die sich derzeit ganz besonders an der Verwaltung von Migrant*innen labt.
»Wohlfahrtsindustrie«? Ohne uns!
»Refugees« sind momentan ein großes Geschäft: Milliarden Euro fließen in Unterbringung, Versorgung, Gebäudereinigung, Sicherheitsdienste, Baugewerbe, Verwaltung, Bullen, Aufrüstung, Sprachkurse, “Staats-Antifa”, Lehrer*innen, Erzieher*innen, etc.
Viele profitieren massiv von der sogenannten »Flüchtlingskrise«. Viele, nur nicht die Betroffenen selbst. Zu den Profiteuren gehören als gemeinnützig eingestufte und private Träger von »Flüchtlings«unterkünften, z.B. das Diakonische Werk, die Arbeiterwohlfahrt, die Caritas, das Deutsche Rote Kreuz und andere. Es ist wichtig zu erkennen, dass es sich hierbei um Unternehmen handelt, deren Umsätze in Millionen gerechnet werden. Jedes einzelne funktioniert mit Hunderttausenden Hauptamtlichen sowie der Unterstützung von mindestens ebenso vielen (meistens jedoch mehr) Ehrenamtlichen. Insgesamt arbeiten für Caritas und Diakonie zusammen, circa 1 Million Menschen. Damit sind sie, nach dem Staat, der zweitgrößte Arbeitgeber in Deutschland. Dabei schlagen diese Unternehmen nicht nur aus Freiwilligen und Angestellten Profit, sondern auch aus den Menschen, die sie »betreuen«. Solche Verbände stellen sich gern als »Wohltäter_innen« dar. Besonders aktuell versuchen sie als »soziale Versorger_innen« von Migrant_innen zu punkten.
In Bund und Ländern werden derzeit Haushalte überarbeitet, um Geld für die »Bewältigung« der sogenannten »Krise« bereitzustellen. Das Geld wandert dann – zumeist über Pauschalen – vom Bund über die Länder und Kreise zu den Kommunen. Verantwortlichkeiten und Gelder werden hin- und hergeschoben bis zur absoluten und scheinbar forcierten Undurchsichtigkeit. Auch bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen wird mittlerweile auf Ausschreibungsstandards verzichtet. Ein Schelm, wer Vetternwirtschaft unterstellt.
Abgesehen von den nur schwer nachvollziehbaren Geldströmen fungieren Träger von »Flüchtlings«unterkünften schlicht als verlängerter Arm des Staates. Sie erfüllen einen staatlichen Auftrag, d.h. Lagerhaltung, Kontrolle, Repression und Ermöglichung von Abschiebung. Es ist eine Irrtum zu glauben, ein menschlicherer Umgang mit den »Geflüchteten« würde daran etwas ändern. Kein*e noch so nette*r Sozialarbeiter*in kann die fehlende Bewegungsfreiheit wett machen oder die Tatsache kompensieren, dass Menschen, die in Deutschland als »Geflüchtete« gelabelt werden, kaum Rechte haben. Selbst wenn Menschen hier im Heim ein paar angenehme Monate haben sollten, in Zeiten von Massenabschiebungen ist das nicht von Bedeutung.
Polemisch gesprochen spielen komfortable Gemeinschaftsunterkünfte mit engagiertem Personal eine noch perfidere Rolle, denn sie verhindern im Zweifelsfall, dass sich die Betroffenen ihrer Entmachtung und Inhaftierung gewahr werden und die Kurve kratzen.
Nun stehen wir vor einer Situation, in der viele Menschen, die sich eigentlich linken und linksradikalen Positionen verpflichtet fühlen, beginnen für solche Träger der Wohlfahrtsindustrie zu arbeiten, in dem Irrglauben, sie täten etwas Gutes.
In diesen Strukturen ökonomisch abhängig zu arbeiten, führt zu einer krassen Reduktion individueller und kollektiver Handlungsfähigkeit.Ein gleichberechtigtes solidarisches Verhältnisses der »Betreuungsperson« zu den »zu betreuenden« Menschen, in diesem Fall Migrant*innen, ist, strukturell bedingt, nicht möglich.
Neben den ökonomischen Vorteilen, welche die staatliche Struktur aus den Netzwerken von Ehrenamtlichen oder schlecht bezahlten, aber engagierten Angestellten zieht, gibt es auch ein großes Interesse an dem Wissen, das in linken Netzwerken und Supportgruppen vorhanden ist.
Indem der Staat ehemals außerstaatliche oder gar antistaatliche Strukturen bezuschusst, zum Beispiel durch Projektfonds, und in die regionalen Verwaltungs- oder Bildungsprogramme einbindet, erhält er aus erster Hand Einblicke in bestimmte Zusammenhänge, die ihm sonst verwehrt bleiben würden. Mit der »Staats-Antifa« Initiative um das Jahr 2000 wurden autonome Antifa-Strukturen angegriffen und nachhaltig geschwächt. 15 Jahre später haben wir es mit der Neuauflage dieses Prinzips, sprich mit einer »Staats-Antira«-Offensive zu tun.
Die Bild-Zeitung titelt »Refugees Welcome«, während über Nacht sämtliche Errungenschaften der selbstorganisierten Kämpfe von Migrant*innen zunichte gemacht werden und das repressivste Asylgesetz in der Geschichte der BRD verabschiedet wird. Hunderttausende Freiwillige übernehmen die Erstversorgung der Neuankommenden und ersparen den lokalen Behörden jede Menge Kosten, während die Menschen von nun an nur entsprechend wirtschaftlicher Verwertbarkeit sortiert werden sollen. Die Rolle der Sozialarbeiter*innen in diesem Kontext ist wieder einmal Befrieden und Verwertbarmachen.
In der Konsequenz kann die Zielvorstellung nur lauten: Heime und Lager abschaffen, Grenzen öffnen, Bewegungsfreiheit für alle.
Genau das sind die Forderungen, die seit Jahrzehnten von selbstorganisierten Migrant*innengruppen formuliert werden und im gesellschaftlichen Diskurs allgemein, aber auch in innerlinken Debatten ungehört untergehen. Viele von uns haben weder Kenntnisse über die Selbstorganisationsstrukturen noch Kontakte zu Migrant*innen(-gruppen). Demzufolge muss der erste Schritt auf dem Weg zu einem gemeinsamen, solidarischen Agieren jetzt erst einmal die Auseinandersetzung mit den bisherigen migrantischen Kämpfen sowie den existierenden Gruppen sein.
Wenn sich linke Menschen trotzdem entscheiden, in die geschilderte Verwaltungsindustrie einzusteigen, müssen sie sich sowohl der Verwertung ihrer Arbeitskraft und ihres Wissens, als auch der möglichen Konsequenzen für ihre politischen Aktivitäten bewusst sein. Sozialarbeit ist meistens Lohnarbeit zu extrem schlechten Bedingungen, die wiederum zu miserablen Konditionen in der jeweiligen Einrichtung führen. Aus diesem Teufelskreis können wir nur ausbrechen, indem die gesamte Logik der staatlichen Flüchtlingsverwaltung – und dazu gehört auch die entsprechende Lohnarbeit/Verwertbarmachung des Menschen – in Frage gestellt wird.
Arbeit verweigern!
Hierbei kommen wir nicht an der Frage vorbei: Wie verdiene ich meine Brötchen?
In Vorbereitung zu einem Workshop haben wir Menschen mit und ohne deutschen Pass zu ihren Möglichkeiten Geld zu verdienen interviewt. Für uns war die These zentral: Die Lagerverwaltung der »Refugees« hat zwei Ziele: Selbstbestimmte Mobilität zu unterbinden, um sie effizient zu registrieren und zu kategorisieren. Gleichzeitig werden sie in einen Status gezwungen (Duldung), in dem sie selbst mobil und flexibel jede Arbeit annehmen müssen. Gelingt ihnen das nicht und es fallen staatliche Kosten an, droht ihnen die Abschiebung.
Wir sprachen länger über das Wechselspiel mit Arbeitsamt und Ausländerbehörde, welche Arbeitsvertragszeiten und Duldungszeiten koppeln. Teilweise führt die Bürokratie zu zirkulären Widersprüchen, da die Leute ohne Arbeit keine Duldung und ohne Duldung keine Arbeit bekommen. Das sind aber nur Randerscheinungen, konkret geht es darum, dass die Leute alle Jobs annehmen müssen, und die Unternehmen sie jederzeit wieder loswerden können. Anders als bei Deutschen, die dann einfach wieder zum Amt gehen (oft weil sie das System auch besser kennen) sind die Migrant*innen durch ihren Duldungsstatus zur Arbeit gezwungen. Erscheinst du nicht auf Arbeit, wird die Duldung nicht verlängert.
Das ist aber nur die eine Seite. Überraschend und neu waren für uns die Dimensionen der Illegalität. Sowohl bei der Registrierung als auch bei der Jobsuche. Das ist sicherlich kein neues Phänomen, aber es drängt sich die Frage auf, die wir auch an uns selber stellen können. In die Illegalität zu gehen bedeutet in die völlige Vereinzelung unterzutauchen. Eine Tatsache, die auch Linke, wenn auch auf einer anderen Ebene, kennen. Wie sollen vereinzelte Leute kämpfen?
Die Antwort müsste lauten: Indem sie über ihren Alltag überhaupt mal reden!
Allgemein glauben die betroffenen Menschen, dass sie durchhalten müssen, wenn nötig auch über Jahre, irgendwann wird es besser. Die Deutschen denken dabei oft an Karriereleitern, Migrant*innen ans schlichte Überleben und das bedeutet Geld zu verdienen.
Doch dieser Durchhaltewille ist eine Selbsttäuschung. Die derzeitige Politik von EU und BRD verfolgt keinen vorgefertigten Plan und ist zugleich auch kein Versagen gegenüber Krisenerscheinungen. Vielmehr zeigt sich eine Transformation des politisch-ökonomischen Systems, zu der man sich nicht nicht verhalten kann. Die stattfindenden Veränderungen drängen jede*n von uns zu einer klaren Positionierung – »Neutralität« ausgeschlossen.
Es wäre ein guter Zeitpunkt mal wieder gemeinsam nach dem »Oben« und »Unten« zu fragen und (gerade als Linke) unser Verhältnis zum Staat zu hinterfragen.
Eure Vorbereitungsgruppe »M. Pitsow« — Januar 2016
„Wir werten den heutigen Tag als großen Erfolg. Die Neonazis konnten ihren Hass und ihre rechte Propaganda nicht wie geplant auf die Straße tragen“, so Christopher Voß, Sprecher der Initiative „Beeskow gegen Rassismus“. Insgesamt haben sich über 200 Personen an den Protesten gegen die rassistische Hetze beteiligt. Die Teilnehmenden bildeten ein Querschnitt der demokratischen Zivilgesellschaft: Geflüchtete, Vertreter_innen von Gewerkschaften, Kirchen, Parteien, Vereinen und auch Einzelpersonen aus der Stadtverwaltung, wie der Bürgermeister Beeskows Frank Steffen, waren anwesend. Zahlreiche Redner_innen machten in ihren Beiträgen klar, dass Beeskow sich der Willkommenskultur für Geflüchtete verpflichtet fühlt. Die Nachricht, dass die Naziroute blockiert sei, wurde auf der Kundgebung der Initiative mit Jubel quittiert.
Die rund 50 Teilnehmenden der extrem rechten Versammlung, unter ihnen maßgeblich Anhänger_innen der Parteien „Der III. Weg“, „Die Rechte“, der „NPD“ und freien Kameradschaften, reagierten aggressiv auf die Blockade ihrer angemeldeten Route. So versuchten die teilweise vermummten Rechten, gewaltsam zu den Gegendemonstrant_innen durchzudringen. Dies wurde von der Polizei vereitelt. Aufgrund der antifaschistischen Blockade wurde die Versammlung der Neonazis beendet.
Die Polizei löste die antifaschistische Blockade anschließend auf und stellte die Personalien aller Beteiligten fest. „Wir halten die Feststellung der Personalien für überzogen. Ziviler Ungehorsam ist ein legitimes Mittel zur Verteidigung einer demokratischen Gesellschaft“ so Christopher Voß.
Obwohl die Teilnehmer_innen der neonazistischen Versammlung gewalttätig waren, wurde etwa 30 Personen eine spontane Kundgebung auf dem Marktplatz gewährt. „Ein Aufmarsch der Neonazis fand heute nicht statt. Das ist der Verdienst von engagierten Antifaschist_innen. Wir werden auch in Zukunft Rassismus und Neonazismus die Stirn bieten. Wir stehen für ein offenes und vielfältiges Beeskow“, so weiter Christopher Voß.
Am 03.01.2016 wollen Rassist_innen der Gruppierung ‘Beeskow wehrt sich’ durch Beeskow marschieren. Als Startpunkt dient ihnen dabei der Bahnhof von Beeskow. Die Initiative “Beeskow gegen Rassismus” ruft alle Bürger_innen dazu auf ein gemeinsames Zeichen der Solidarität mit den Geflüchteten und gegen Rassismus zu setzen. Ab 14:30 Uhr findet in diesem Sinne eine Kundgebung auf dem Parkplatz Bahnhofstraße / Ringstraße statt.
“Wir stehen für ein Beeskow das Geflüchtete willkommen heißt und all jenen, die mit rassistischen Parolen und dumpfen Hass die Atmosphäre vergiften wollen, eine Absage erteilt!”,
so Christopher Voß, Sprecher der Initiative “Beeskow gegen Rassismus”. Auf der Kundgebung werden u.a. Redebeiträge von einem Vertreter der Initiative, des DGB, der DKP, eines Mitgliedes des Landtages sowie der evangelischen Kirchengemeinde Tauche zu hören sein. Für eine musikalische Untermalung ist auch gesorgt.
“Unser Schulterschluss im gemeinsamen Agieren gegen Rassismus und für eine offene Gesellschaft kann als Versprechen für die Zukunft verstanden werden. Wir werden weiter für eine humanistische Flüchtlingspolitik und gegen Rassismus streiten.”
, so Voß.
Im Folgenden geben wir unsere Einschätzung zu den vergangenen zwei Monaten in Cottbus wieder. Unser Text ist zuerst in der Blicklicht (Ausgabe Dezember 2015) erschienen. Er soll es ermöglichen einen groben Überblick zu bekommen wie es zur Zeit in Cottbus aussieht. Einen Anspruch auf Vollständigkeit erheben wir dabei nicht.
Da es momentan nicht mehr jede Woche eine rechte Veranstaltung im Stadtgebiet gibt, scheint die Lage bis zum Jahreswechsel relativ entspannt zu bleiben. Wir haben allerdings Grund zur Annahme das mit dem neuen Jahr eine neue Welle rechter Mobilisierung auftreten wird. Organisationen wie die AfD oder Zukunft-Heimat werden weiterhin Südbrandenburg als Spielplatz für ihre Hetze missbrauchen wollen.
Antifaschistischer Lagebericht – Oktober und November 2015
Cottbus am 09. Oktober 2015: 400 Leute versammeln sich auf dem Norma Parkplatz in Sachsendorf und zogen vor die Erstaufnahmeeinrichtung in der Poznaner Straße, wo ein Willkommensfest stattfand. Eine Situation, die die Erinnerungen an die Pogrome von 1992 wachrief. Unter diesen 400 waren organisierte und unorganisierte Neonazis sowie ein breiter Schnitt durch die Cottbuser Gesellschaft. Einige Personen brachten selbst ihre Kinder mit.
In den folgenden Tagen wurde vor allem auf Facebook die Stimmung gegen Geflüchtete weiter angeheizt und die NPD meldete für den darauf folgenden Freitag ihre erste Demonstration in Sachsendorf an. Die Vereinnahmung des Protestes durch die neonazistische Partei spaltete die aufkeimende Bewegung. Etwa 400 Personen trafen sich am 16.10. um 18 Uhr bei NORMA, an ihre Spitze setzte sich der Reichsbürger Rico Handta aus Großräschen. Nur etwa die Hälfte von ihnen versuchte später um 19 Uhr noch an der NPD-Demonstration auf der Gelsenkirchener Allee teilzunehmen.
Der Ausgangspunkt für die neue rassistische Mobilisierung in Cottbus war die Ankündigung „1000 Flüchtlinge in 72 Stunden“ Tatsächlich kamen in den nächsten Tage nicht einmal 100 Personen. Trotz des schnellen Aufbaus eines breiten Solidaritätsnetzwerks löste die Kriseninszenierung bei einem Teil der Cottbuser Bevölkerung sehr viel Unruhe und Angst aus.
Seit Anfang Oktober wird nun auch hier öffentlich gegen Geflüchtete mobil gemacht. In nicht einmal zwei Monaten wurden in Cottbus und Umgebung 18 Versammlungen durchgeführt. Die rechten Parteien NPD und AfD versuchen aus der rassistischen Stimmung Kapital zu schlagen und auch ein „Reichsbürger“ versucht die Stimmung für das eigene Image zu instrumentalisieren. Um nicht den Überblick zu verlieren, haben wir im Folgenden eine Übersicht der Akteure in Cottbus erstellt.
NPD
Die NPD ist mit ihren jährlichen als Gedenken getarnten Aufmärschen zum 15. Februar in Cottbus gescheitert und sucht neue politische Entfaltungsmöglichkeiten. Die Partei konnte durch langjährige und konsequente antifaschistische Arbeit immer wieder als Neonazi-Organisation offengelegt werden. Sie hat inzwischen einen so schlechten Ruf, dass sie ihre Kampagnen „Nein-zum-Heim“ bzw. „Stadt XY wehrt sich“ als vermeintlich unabhängigen Bürgerprotest tarnen muss. Die NPD versucht gezielt über das Thema „Flüchtlinge“ eine breitere Masse anzusprechen. Sie möchte bürgerlich und durch das Auftreten ehemaliger JN-Kader jünger wirken.
Für Cottbus hat der NPD-Kader Ronny Zasowk das Ziel ausgegeben, alle zwei Wochen einen Aufmarsch in Sachsendorf zu machen bis die Erstaufnahmeeinrichtung geschlossen wird. Das Equipment, die Ordner*Innen und Redner*Innen bei den bisherigen Demonstrationen wurden von auswärtigen NPD-Strukturen gestellt. Zasowk selbst stammt zwar aus Cottbus, doch ist er vor allem auf Bundesebene aktiv und nur noch sehr selten in Cottbus zu sehen. Die Organisator*innen und Redner kamen bis jetzt vor allem von Auswärts. So waren vor allem bekannte Gesichter und NPD-Kader wie Benjamin Mertsch, Markus Noack, Stefan Lux, Oliver Schierack und der verurteilte Neonazi und Totschläger Alexander Bode aus Guben anzutreffen. Die stumpfe rechtsradikale Rhetorik und Parolen wie „Wir wollen keine Asylantenschweine“ wirkten bei den beiden ersten Aufmärschen offenbar schon so abschreckend auf parteifremde Teilnehmer*innen, dass viele die Demonstration bereits vor der Abschlusskundgebung wieder verließen. Der Gebrauch von Reichsfahnen und das teilweise aggressive Auftreten taten ihr übriges.
Reichsbürger
Diejenigen, die sich mit ihren „Sorgen“ nicht der NPD anschließen wollten, blieben am 16.10. bei NORMA. Hier wurden sie allerdings mit dem Reichsbürger Rico Handta aus Großräschen konfrontiert. Dieser ist u.a. in die Organisation der selbsternannten „Montagsdemos“ in Großräschen involviert, wo sich wöchentlich ca. 100–150 Neonazis und Wutbürger zusammen finden. In einer einstündigen Kundgebung wird dort gegen die bestehende Asylpolitik und gegen den Antifaschismus gewettert. Handta hat, wie die NPD, das Ziel ausgegeben, sich alle zwei Wochen Freitags in Cottbus zu versammeln, doch verlegte er mit seinen Anhängern zum 06.11. auf den Altmarkt in die Innenstadt. Sowohl räumlich als auch inhaltlich hat er sich von dem ursprünglichen Protestanlass schnell gelöst. Ihm geht es vor allem um die Verbreitung der These, dass das Deutsche Reich fortbesteht. Seine Verschwörungstheorien vermischen sich immer wieder mit verkürzter Kapitalismuskritik und PEGIDA-Parolen sowie Anekdoten über seinen Umgang mit der Stadtverwaltung, wo er sich scheinbar abwechselnd auf Recht der BRD oder des Deutschen Reiches beruft Handta ist ein umtriebiger Aktivist in der Reichsbürger-Szene und hat schon in der Vergangenheit jede mögliche Bühne genutzt. Er selbst bezeichnet sich als „links“, doch hält ihn dies nicht davon ab, in Cottbus mit Neonazis zusammenzuarbeiten. Der Personenkreis der Demoorganisation ist nahezu deckungsgleich mit denjenigen, die bereits im Februar 2015 den Cottbuser PEGIDA-Ableger „Cogida“ organisiert haben. Eine einheitliche und kosequente politische Linie ist bei Handta nicht zu erkennen. Seine bisherigen Bündnispartner lassen allerdings den Schluss zu, dass er ein klassischer Vertreter der Querfront-Strategie ist. Preußen- und umgedrehten Deutschlandfahnen prägen das Bild der 14-tägigen Kundgebungen wobei die Mobilisierung vor allem über Facebook erfolgt.
AfD
Wenn es um Wähler*innenfang mit Rassismus geht, darf die AfD nicht fehlen. Auch sie kündigte zum ersten Mal am 26.10. einen „Bürgerdialog“ im Stadthaus an, um zum „Widerstand gegen das Asylchaos“ aufzurufen. Dazu wurde die Vorsitzende der AfD Sachsen Frauke Petry angeheuert. Mit einem Aufmarsch am 04. November unter dem Motto „Asylchaos stoppen“ versuchte die AfD den Anschluss an die „Proteste“ zu schaffen und wollte von der sich aufheizenden Stimmung in Cottbus profitieren. Der Aufmarsch fand unter der Federführung des AfD Vorsitzenden Alexander Gauland statt. An den Aktionen der AfD beteiligten sich 150 Menschen im Stadthaus und rund 500 beim Aufmarsch. Cottbus ist für die AfD von strategischem Interesse. So soll der Brückenschlag von Dresden nach Berlin gelingen und sich die sächsischen Verhältnisse auch in Brandenburg ausbreiten. Cottbus wurde als Ort für die „Herbstoffensive“ der AfD unter dem Motto „Heißer Herbst in Deutschland – Heißer Herbst in Cottbus“ ausgewählt. Nachdem die radikalen rechten Strömungen innerhalb der AfD die Hoheit erlangt haben, setzt diese vermehrt auf eine offen rassistiche und nationalistische Rhetorik. Wenn Gauland von „Umvolkung“ und „der Auflösung Deutschlands in einem Strom fremder Menschen“ spricht, ist das ein klares Zeichen, dass der bürgerliche Mantel abgelegt wurde. Am 25.11. gab es erneut einen Aufmarsch gegen gefüchtete Menschen.
Unorganisierte Neonazis
Seien es NPD, Reichis oder AfD: im Umfeld der Veranstaltungen dieser Kreise finden sich immer die gleichen Gesichter wieder. Altbekannte und „neue“ Neonazis, sei es aus dem Fußballumfeld oder vom verbotenen „Widerstand Südbrandenburg“ sind auf oder in der Nähe dieser Veranstaltung anzutreffen. Es liegt nahe, dass ihnen momentan eine politische Heimat fehlt und sie in den „Protesten“ durchaus Anschlusspunkte erkennen. Meist sind diese zurückhaltend und fallen beim ersten Blick nicht weiter auf, jedoch ist das versteckte Gewaltpotenzial bei genauerer Betrachtung klar zu erkennen. Oft sind Kleingruppen im Umfeld der Aufmärsche und vor allem im Anschluss in den Stadtteilen unterwegs auf der Suche nach „Zielen“. Diese können im politischen Gegner, Flüchtlingen oder „normalen“ Bürger gefunden werden. Seit dem Beginn der „Proteste“ Anfang Oktober kam es im Stadtgebiet wieder vermehrt zu rechten Übergriffen.
Ereignisse
Nach der Demonstration am 23.10. in Sachsendorf kam es zu mehreren rechten Übergriffen im gesamten Stadtgebiet.
– Auch im Fußballmilieu bilden sich neue rechte Ableger.
Fazit
Wenn Staatsversagen inszeniert wird und Geflüchtete in den Medien vor allem als Problem erscheinen, gibt dies der rechten Bewegung Auftrieb. Auf der einen Seite verkünden unterschiedliche Parteien lautstark, dass „geflüchtete Menschen willkommen sind“ und auf der anderen Seite haben sie erst vor kurzem der Verschärfung des Asylrechts zugestimmt. Hier wird die ideologische Aufteilung in „legitime“ und „illegitime“ Menschen zugespitzt.
Aber auch die lokale Politik trägt ihren Teil bei, wenn der Cottbuser Bürgermeister davon spricht, dass „der Hahn zugedreht werden muss“ und der Präsident von Energie Cottbus einen Elternbrief gegen die vorübergehende Unterbringung von Geflüchteten in Turnhallen mitinitiiert. So bilden die Schreibtischtäter*innen aus Bundestag und Bundesrat, sowie lokale politische Größen den Nährboden für rassistische Hetze.
Unter diesen Bedingungen fühlen sich Neonazis, Reichsbürger*innen und Rechtspopulist*innen als Vertreter*innen des „wahren“ Volkswillens und glauben, selbst die vermeintlich bedrohte Deutsche Souveränität verteidigen zu müssen.
Nach der ersten Erregung hat sich das Protestpotenzial in Cottbus gerade etwas abgeschwächt, was sich im Zuge der Anschläge von Paris aber auch wieder ändern kann. Die Konkurrenz unterschiedlicher Parteien und Gruppierungen in Cottbus zersplittert die rechte Bewegung. Die Gemeinsamkeit ist der positive Bezug auf „das Volk“, doch ob damit das Staatsvolk, ein rassisch definiertes Volk oder ggf. die staatenlosen Deutschen gemeint ist, da gehen die Sichtweisen schon weit auseinander. Eine weitere Gemeinsamkeit ist „Merkel muss weg“, doch auch hier stehen die NPD und die AfD in direkter Konkurrenz zueinander und es bleibt unklar, ob lediglich bspw. Die Kanzleri ausgetauscht werden soll, oder aber ein Regime errichtet werden soll.
Trotz der Differenzen der einzelnen Akteure sehen wir das Resultat auf der Straße. Zwar sind in Cottbus die pogromartigen Krawalle wie in Heidenau oder Freital ausgeblieben, jedoch mehrt sich die Zahl rechter Angriffe doch immens. Weiterhin kam es im Südbrandenburger Raum zu Brandanschlägen, welche einen rechten Hintergrund sehr nahe legen.
Gegenproteste konnten in Cottbus ihre Wirksamkeit zeigen, indem sich verschiedene Gruppen frühzeitig mit den Geflüchteten solidarisierten. Organisationen und Parteien, welche sich für Geflüchtete stark machen, arbeiten trotz der Kritik an politischen Entscheidungen der Stadtspitze (Unterbringungskonzept) sowie auf Bundesebene (Asylrechtsverschärfung) zusammen. Das bedeutet Stärke und Schwäche zugleich, da rassistische Ansichten und Methoden in den staatlichen Institutionen hinter dem Mob, der sich auf den Straßen formiert, unbehelligt bleiben.
Insgesamt gilt es, dem rassistischen Grundton dieser Tage aktiv entgegenzutreten und vor allem Alternativen anzubieten. Dort wo es weiterhin Massenabschiebungen, immer höhere Grenzzäune und verschärfte Gesetze gibt, wo der rassistische Mob angsteinflößend durch die Straßen zieht und Schlipsträger das ganze legitimieren, dort brauchen wir Solidarität. Für ein menschliches Miteinander bedarf es nicht viel, lediglich dem Verständnis und den Respekt gegenüber den Bedürfnissen unserer Mitmenschen. Rassimus ist KEINE Alternative.
[Autonome Antifa Cottbus][November ’15]
Heute haben sich 47 flüchtlingspolitische Initiativen und Willkommensinitiativen, sowie Engagierte aus diversen Initiativen in Brandenburg mit einem Offenen Brief an die Landesregierung gewandt. Darin sprechen sie sich gegen die Vereinnahmung der Arbeit der Initiativen durch die Politik aus und fordern ein Ende der Praxis, staatliche Versorgungslücken systematisch durch ehrenamtliche Arbeit schließen zu lassen. „Wir fordern die Erfüllung der wichtigsten Voraussetzungen für ein gutes Zusammenleben in Brandenburg, nämlich menschenwürdige Unterbringung sowie Versorgung und Beratung, die Geflüchtete nicht von uns ehrenamtlichen UnterstützerInnen abhängig macht,“ heißt es in dem Brief, der heute der Landesregierung und den Landtagsfraktionen zugesandt wurde.
In dem Zehn-Punkte-Papier kritisieren die Initiativen insbesondere die neuen Asylrechtsverschärfungen auf Bundesebene und fordern die Landesregierung auf, die bestehenden Handlungsspielräume bei der Umsetzung zu nutzen und sich klar gegen diesen Angriff auf das individuelle Grundrecht auf Asyl zu positionieren. Zentrale Forderungen der Initiativen sind außerdem:
Die angemessene Erkennung und Versorgung besonders schutzbedürftiger Flüchtlinge.
Diese ist nach geltender Rechtslage vorgeschrieben, wird von den zuständigen Behörden jedoch kaum umgesetzt. Weil entsprechende Strukturen hierfür fehlen, müssen die Initiativen diese Aufgaben des Staates ohne Vorbereitung, Unterstützung und fachliche Expertise, wie z.B. in der psychologischen Betreuung traumatisierter Flüchtlinge, häufig selbst übernehmen.
Die Gewährleistung unabhängiger, kompetenter und gut ausgestatteter Asylverfahrensberatung in Verantwortung des Landes.
Eine Zuständigkeit der Landkreise, wie sie der Entwurf zum Landesaufnahmegesetz vorsieht, bedroht die Unabhängigkeit der Beratung – zulasten der Geflüchteten und der Initiativen, die sie unterstützen.
Der Respekt vor Grundrechten, auch in Sammelunterkünften.
Immer wieder kommt es zur Missachtung von Grundrechten, wie z.B. durch Besuchsverbote in Gemeinschaftsunterkünften. Hinzu kommt die Unterbringung in abgelegenen, überfüllten Heimen, die von mangelnder Privatsphäre, Enge, Stress und Überwachung geprägt sind und in denen es kaum Zugang zu Gewaltschutzstrukturen gibt. Daher fordern die Initiativen, alle Menschen und vor allem auch besonders schutzbedürftige Flüchtlinge in Wohnungen statt in Sammelunterkünften unterzubringen.
Mit dem Offenen Brief fordern die Initiativen von der Landesregierung, dem Bekenntnis zur Willkommenskultur endlich Taten folgen zu lassen und den Menschen zuzuhören, die Tag für Tag Geflüchtete in Brandenburg versorgen und begleiten.
Der Offene Brief wurde auf einem Vernetzungstreffen der Initiativen Ende November in Blossin initiiert. Eine Vorbereitungsgruppe aus Initiativen, der Aktion Schutzschild der Amadeu-Antonio-Stiftung und dem Flüchtlingsrat Brandenburg hatte das Treffen organisiert. (Siehe Presseerklärung des Flüchtlingsrats vom 30.11.15)
Der Flüchtlingsrat unterstützt in vollem Umfang die Forderungen der Initiativen. „Die ehrenamtlichen Initiativen gestalten die Willkommenskultur in Brandenburg, sehen sich aber immer wieder durch Verwaltungshandeln in ihrem Engagement blockiert und sollen zugleich die verfehlte staatliche Aufnahmepolitik unentgeltlich kompensieren. Das Land ist in der Verantwortung auch langfristig menschenwürdige Aufnahmepolitik zu betreiben. Es darf sich nicht länger auf die Verwaltung eines auch durch verfehlte Politik verursachten „Notstands“ zurückziehen,“ sagt Tobias Becker vom Flüchtlingsrat Brandenburg.
Offener Brief der Initiativen 14.12.15
Pressemitteilung
INFORIOT Am Samstag, den 12. Dezember, versammelten sich in unmittelbarer Nähe zum Bahnhof Strausberg etwa 150 Neonazis und sogenannte „besorgte BürgerInnen“ um gegen die geplante Erstaufnahmeeinrichtung in der ehemaligen Barnim-Kaserne zu demonstrieren. Zeitgleich trafen sich ebensoviele Gegendemonstrant*innen unweit auf einen Parkplatz, darunter auch Landespolitiker, wie der Justizminister Helmuth Markov. Die Polizei war indes mit mehreren Hundertschaften und einem Räumpanzer vor Ort.

Rechte verschiedenster Couleur
Die sogenannte “Bürgerbewegung Heimatland” mobilisierte zu einer Demonstration durch die Strausberger Vorstadt um gegen die geplante Zweigstelle der Erstaufnahmeeinrichtung für Geflüchtete in Eisenhüttenstadt zu demonstrieren. Obwohl Ähnlichkeit zu den seit einigen Wochen immer Montags stattfindenden Bramm-Demonstrationen in der Strausberger Altstadt besteht, sind die VeranstalterInnen offiziell andere gewesen.

Kurz nach 15 Uhr setzte sich der Aufmarsch in Bewegung um dann ein Mal im benachbarten Wohngebiet eine Runde zu drehen. Nach knapp 30 Minuten und etwa einem Kilometer war der Spuk auch wieder vorbei. Die Teilnehmenden des rassistischen Aufmarschs kamen dabei aus unterschiedlichen extrem rechten Strömungen und Gruppierungen. Zahlreich vertreten waren Neonazis von der NPD, wie der wegen seines antisemitischen Tattoos bekannt gewordene Marcel Zech aus Barnim und AnhängerInnen der Partei „Die Rechte“ um Robert Gebhardt aus Bad Freienwalde. Gebhardt veranstaltete zusammen mit Lars Günther, der als Redner und Organisator des Aufzuges in Strausberg aufgetreten ist, ebenfalls zahlreiche rechte Aufmärsche Bad Freienwalde und Wriezen nach dem gleichen Muster. Schwarz gekleidet und das Gesicht fast vermummt präsentierten sich Neonazis des NW-Berlin. Schon bei der Aunkunft von Gegendemonstrant*innen aus Berlin versuchten u.a. Oliver Oeltze und Tim Wendt diese einzuschüchtern und zu bedrohen.

An der Demonstration nahmen auch Mitglieder der „Identitären Bewegung“ und AnhängerInnen des verschwörungstheoretischen Compact-Magazin teil. Mit eigenem Redebeitrag beteiligten sie sich aktiv an der rassistischen Hetzte gegen Geflüchtete. Schon vor einer Woche beteiligten sich beide an den asylfeindlichen Protesten in Lübben. Bereits vor etwa einem Monat waren die gleichen Personen auf einer Demonstration der AfD in Berlin aufgefallen. Ein „Identitärer“, der ebenfalls am Aufmarsch in Strausberg teilnahm soll Mitglied der „Jungen Alternativen“ in Brandenburg sein. Aber auch „besorgte BürgerInnen“, teilweise mit Kindern marschierten zusammen mit gewaltbereiten Neonazis. Für das nächste Jahr haben die Identitäre Bewegung Berlin-Brandenburg eine Offensive für Brandenburg angekündigt. In Neuruppin, Luckenwalde und Cottbus sollen Aktionen folgen.

Inhaltlich wurden erneut die immer gleichen Parolen, bekannt von zahlreichen rassistischen Aufmärschen von PEGIDA bis AfD, gebrüllt. Das Wohngebiet wirkte indes wie ausgestorben. Selten waren Anwohner*innen an Fenstern zu sehen.
Großaufgebot der Polizei erstickt Proteste im Keim
Das Bündnis „Strausberg Sorgenfrei“ mobilisierte zu einer Gegenkundgebung mit Live-Musik und Politprominenz in Hör- und Sichtweite zum Neonaziaufmarsches. Trotz der ausgelassenen Stimmung und emotionalen Reden gegen Rassismus und für Menschlichkeit fanden sich nur 150 Menschen ein um gegen den rechten Aufmarsch zu demonstrieren. Neben dem schlechten Wetter, könnte es auch daran gelegen haben, dass die Polizei den Kundgebungsort der Antifaschist*innen größtenteils eingegittert hatte, während sich die Neonazis relativ frei bewegen konnten.

Es kam aber auch zu Versuchen den Aufmarsch zu stören bzw. zu blockieren. Auf halber Strecke erreichten zahlreiche Gegendemonstrant*innen die Route der Neonazis. Die Polizei unterband dennoch sofort jeglichen Störungsversuch. Insgesamt muss der Polizeieinsatz in Strausberg in Frage gestellt werden. Ein Einsatz eines Räumpanzers gegen Antifaschist*innen, die Schikanierung der anwesenden Pressevertreter*innen sowie das völlig überzogene Großaufgebot für einen 1 km langen Aufmarsch durch ein menschenleeres Wohngebiet stellt Fragen nach der Strategie der brandenburger Polizei. Bei vergleichbaren Veranstaltungen, wie etwa in Cottbus vor einigen Wochen waren nicht mal annähernd so viele Einsatzkräfte vor Ort. Hier kam es dann auch zu versuchten Übergriffen auf Gegendemonstrant*innen und Journalist*innen.

Weiter Fotos findet ihr hier, hier und hier.