Zum 27. Januar vermeldet Wikipedia folgenden Eintrag: 1945. Die Rote Armee befreit im Zweiten Weltkrieg das weitgehend geräumte Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Das Datum dieses Ereignisses wird 1996 in mahnender Erinnerung als Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus zum nationalen Gedenktag in der Bundesrepublik Deutschland erklärt und 2006 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen auch international zum Holocaustgedenktag proklamiert.
Wie aber kommt man auf die Idee, diesen Gedenktag ausgerechnet in der Lindenstraße 54 zu begehen?
In den Jahren von 1933 bis 1945 diente die Lindenstraße 54 den Nazis als Ort zur Verfolgung von Menschen, die aus verschiedenen Gründen nicht in das Raster der rassistisch determinierten Weltanschauung des NS-Systems passten. Vor dem Amtsgericht wurden Menschen verurteilt, die sich der Vielzahl der NS-Sondergesetze widersetzten: Jüdische Mitbürger, die sich der diskriminierenden Stigmatisierung durch den Namenszusatz Sarah oder Israel entzogen, Frauen und Männer, die sich der rigiden deutschen Arbeitsgesetzgebung widersetzten, Frauen, die sich nicht an das Kontaktverbot zu Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern hielten, Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, die vor der Willkür am Arbeitsplatz flohen und mit dem Gesetz in Konflikt gerieten, weil sie versuchten, ihr durch Einschränkungen gezeichnetes Leben zu verbessern. Von 1934 bis 1944 beherbergte die heutige Gedenkstätte in der Lindenstraße 54/55 das Erbgesundheitsgericht Potsdam, in dieser Zeit wurden hier mehr als 4.000 Anträge auf Unfruchtbarmachung vermeintlich „Erbkranker“ bearbeitet. Die Erbgesundheitsgerichte waren die Vorstufe zur systematischen Ermordung kranker Menschen und von Menschen, die nicht in das NS-Menschenbild passten. Im Landgerichtsgefängnis waren Verurteilte der in Potsdam tagenden Senate des Volksgerichtshofes bis zu ihrem Abtransport in die Hinrichtungsstätten Brandenburg und Plötzensee oder in die vorgesehenen Haftstätten inhaftiert. Das Gefängnis war auch Vollstreckungsort für Urteile, die Wehrmachtsgerichte über Soldaten und Zivilisten gefällt hatten. Aus der Haftanstalt heraus wurden Häftlinge, die vor Gericht freigesprochen wurden, an die Gestapo ausgeliefert und in Konzentrationslager gebracht.
Die Lindenstraße war zwar ein zentraler Ort der rassistischen und politischen Verfolgung in der Zeit des NS-Regimes. Aber für ein Gedenken an den Holocaust gibt es in Potsdam mehrere geeignetere Orte. Ein geeigneter Ort für ein würdiges Gedenken an den Holocaust ist der Gedenkstein in der Babelsberger Spitzweggasse, von wo am 16. Januar 1943 die letzten in Potsdam lebenden Juden nach Riga und in andere Vernichtungslager deportiert wurden. Auch die Gedenktafel am Ort der ehemaligen Synagoge am Platz der Einheit bietet sich für eine zentrale Gedenkveranstaltung an. Auch einzelne Stolpersteine in der Stadt sind authentische Orte für das offizielle Gedenken am Holocaustgedenktag.
Gegen eine Gedenkveranstaltung in der Lindenstraße spricht auch, dass in der Gedenkstätte bis heute kein Gedenkort existiert, der ein würdiges Gedenken an die Opfer des Naziregimes ermöglicht.
Ein Gedenken an der Plastik „Das Opfer“ im Innenhof der Gedenkstätte wird von den Verfolgten des Naziregimes und ihren Interessenverbänden abgelehnt, weil nach 1945 auch Nazifunktionäre in der Lindenstraße inhaftiert waren. Darunter waren z.B. Mitglieder der persönlichen SS-Leibstandarte Hitlers, Funktionäre der SA, des SD, des BDM und der politischen Polizei. Ihnen wurde vorgeworfen, verantwortlich für die Deportation von Zwangsarbeiterinnen aus den von der Wehrmacht besetzten Gebieten ins Reichsgebiet zu sein, Häftlinge im Konzentrationslager misshandelt zu haben oder Menschen wegen des Hörens von „Feindsendern“ bei der Gestapo denunziert zu haben.
Die Konzeption einer Sammelgedenkstätte für Opfer verschiedener politischer Herrschaftssysteme ist außerdem mit der Singularität des Holocausts unvereinbar.
Wir können nicht nachvollziehen, dass der Oberbürgermeister trotz der jahrelangen Bitten und Proteste weiter in dieser Form und an diesem Ort Gedenkveranstaltungen durchführt. Statt die eigene Position zu überdenken und die Position der Opferverbände zumindest zu respektieren, nimmt die Stadtspitze in Kauf, dass die NS-Verfolgten am Gedenken nicht teilnehmen, sondern eigene Veranstaltungen organisieren.
Die VVN-BdA Potsdam fordert die Schaffung eines würdigen Gedenkortes für die Opfer des NS-Regimes in der Lindenstraße.
Wir lehnen die Vereinnahmung der Opfer des Naziregimes unter einen allgemeinen Opferbegriff ab, der auch Nazitäter umfasst.
Wir laden alle antifaschistisch gesinnten Bürgerinnen und Bürger herzlich ein, am 27.01.2014 ab 18 Uhr an der würdigen Gedenkveranstaltung teilzunehmen, die antifaschistische Gruppen am Platz der Einheit und am Ehrenfriedhof auf dem Bassinplatz durchführen.