Wir haben uns schweren Herzens entschieden, die Arbeit der Geflüchtetenberatung des Utopia e.V. vorübergehend einzustellen. Wir können unter den momentanen Bedingungen keine Beratung, die unseren Ansprüchen genügt, realisieren. Wir haben diese Arbeit über ein Jahrzehnt ehrenamtlich und unter hohen persönlichem Aufwand gemacht und uns teilweise bewusst entschieden, in prekären finanziellen Verhältnissen zu leben, um die Zeit für die Beratung aufbringen zu können. Persönliche Umstände führen nun dazu, dass die Ressourcen der Mitarbeiter*innen so knapp sind, dass eine zeitnahe und qualitativ hochwertige Beratung, die die Klient*innen zu Recht erwarten, nicht mehr möglich ist.
Wir sehen es als eine Voraussetzung, um die Arbeit wieder aufnehmen zu können, dass es mindestens eine hauptamtliche Personalstelle gibt. Es braucht eine mit finanziellen und zeitlichen Ressourcen ausgestattete Geflüchtetenberatung, um die Arbeit angemessen fortzuführen sowie das ehrenamtliche Engagement weiterer Mitarbeiter*innen zu koordinieren. Der Verein ist daher um eine Förderung bemüht.
Die Geflüchtetenberatung prägte über Jahre die Arbeit des Vereins. Die unabhängige und kostenlose Begleitung und Beratung Asylsuchender während des Asylverfahrens, im Alltag und bei Fällen von Diskriminierung war bei den Klient*innen gut etabliert. Durch die Einstellung der ehrenamtlichen Beratungsarbeit wird die psychosoziale Versorgung der Stadt weiter verschlechtert. Umso schwerer fällt der Abschied auf Zeit. Die Klient*innen werden in Zukunft an andere Beratungsstellen verwiesen.
Monat: Februar 2016
Für Samstag, den 5. März 2016, plant das rassistische und nationalistische „Bürgerbündnis Deutschland“ eine Großdemo im havelländischen Rathenow (Brandenburg). Die Rassist*innen wollen sich zunächst ab 14.00 Uhr auf dem Märkischen Platz im Rathenower Zentrum versammeln und dann durch die Neustadt marschieren. Der Veranstalter erwartet mindestens 800 Teilnehmer*innen – eine Zahl die durchaus reell erscheint.
Peripherer Aufmarsch als Strategie
Denn während in den nahen Mittel- und Großstädten, wie Brandenburg an der Havel, Potsdam oder Berlin rassistische Aufmärsche nur wenige Sympathisant*innen anlocken oder den Rassist*innen durch starke Proteste ein eiskalter Wind entgegenweht, sind kleinere, zivilgesellschaftlich oder antifaschistisch eher schwach strukturierte Städte, wie Oranienburg, Lübben oder eben auch Rathenow, mit den kontinuierlichen und vor allem deutlich massiveren Auftritten der Menschenfeinde deutlich überfordert. PEGIDA-Ableger, „Abendspaziergänger“ oder eben auch vermeintliche „Bürgerbündnisse“ haben diese Chance erkannt und überziehen deshalb die gesamte Region mit Daueraufmärschen und ähnlichen Propaganda-Shitstorms. Neu dabei ist, dass diese Gruppen sich auch untereinander immer weiter vernetzen, um noch weiter auszustrahlen und letztendlich noch größere Aufmärsche zu forcieren.
Nationalistisches Netzwerk will marschieren
Eine dieser Vernetzungen ist beispielsweise das „Bürgerbündnis Deutschland“, welches sich aus dem seit Oktober 2015 aktiven „Bürgerbündnis Havelland“ sowie dessen Kontakte entwickelt hat. Es versteht sich als Netzwerk von ähnlich gesinnten Initiativen und Einzelpersonen aus Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Berlin. Eine klare Abgrenzung zur extremen Rechten gibt es dabei nicht. Auch nicht zum militanten Neonazimilieu. Nahezu allen im Bürgerbündnis Deutschland vernetzten Initiativen können so beispielsweise Verbindungen zu extrem rechten Organisationen, von der AfD, über NPD, bis zu DIE.RECHTE und dem III. Weg nachgewiesen werden. Selbst die „Freien Kräfte Neuruppin /Osthavelland“, eine bundesweit vernetzte Neonazivereinigung, und die verbotene „Widerstandsbewegung Südbrandenburg“ („Spreelichter“) sind durch Stellvertreter- oder Ersatzinitiativen vertreten. Dazu kommt noch die so genannte EinProzent Kampagne mit der noch eine viel größere, bundesweite Vernetzung der extremen Rechten angestrebt wird.
Stammtischredner empfiehlt sich als Bundes-Führer
Als Anführer des Bürgerbündnisses Deutschlands gilt der Immobilienmakler Nico Tews aus der Gemeinde Kotzen (Ortsteil Landin) bei Rathenow. Das ehemalige CDU Mitglied, das bis Oktober 2015 keine nennenswerte Rolle in der havelländischen Kommunalpolitik spielte, hat sich mittlerweile durch seine Aktivitäten beim „Bürgerbündnis Havelland“ in der regionalen PEGIDA-Sympathisant*innenszene profiliert. Selbstgefällig versucht der Egomane aus dieser Position die regionale Politik zu diktieren. Diesbezüglich ist auch ein stetiger Radikalisierungstrend zu erkennen. Wurde anfangs immer wieder die strickte Bürgerlichkeit des von ihm und einer weiteren Person geführten Volksmobs beschworen, lassen sich die heute immer offener auftretenden rassistischen und faschistoiden Wesensmerkmale dieser Bewegung kaum noch leugnen. Tews selber hatte außerdem während einer Kundgebung der PEGIDA Havelland betont, dass es ihm mittlerweile egal sei, ob er als „Fremdenhasser“ bezeichnet werde, so lange es Deutschland diene.
Das Problem heißt Rassismus
Das Rassismus aber längst kein Phänomen von einigen wenigen größenwahnsinnigen Stammtisch-Apologeten ist, sondern wieder als breites gesellschaftliches Problem hinter der bröckeln Fassade eines vermeintlich weltoffenen und toleranten Landes zum Vorschein kommt, beweisen die ständigen Versammlungen dieser so genannten besorgten Bürger*innen, Übergriffe auf Geflüchtete oder Brandanschläge auf deren Unterkünfte im gesamten Bundesgebiet. Auch in Rathenow ist diese Entwicklung deutlich erkennbar. Seit Oktober 2015 nahmen an den bisher zehn Versammlungen kontinuierlich zwischen 300 und 600 Personen, darunter einige Neonazis, aber eben auch viele zuvor kaum politisch aktive Bürger*innen, teil. Trotzdem gelang es den führenden Köpfen dieses Bürgerbündnisses über Wochen hinweg durch permanente Hass-Propaganda im Internet, demagogischen Reden auf den Kundgebungen und aggressive Märsche in Rathenow nicht nur ein Klima der Hysterie zu erzeugen, sondern eben auch die tendenziös geführte Debatte tief in die vielbeschworene Mitte der Gesellschaft zu tragen. Ein Vorstoß, welcher der NPD oder anderen in Brandenburg oder speziell in Rathenow aktiven extrem rechten bzw. neonazistischen Organisation im Vorfeld bisher nicht gelang. Verschwunden sind diese Strukturen jedoch deshalb bei weitem nicht, sie haben sich vielmehr unter diese neuen Volksbewegung gemischt und versuchen dort, teils verborgen, teils ganz offen, vor allem völkische oder rassistische Versatzstücke in die Debatte einzuflechten. Bisweilen werden die bündlerischen Aufzüge auch für neonazistische Propagandaaktionen genutzt. Auch die Gewalt gegen Geflüchtete hat in den letzten Wochen im Kontext der Asyldebatte, nach Jahren der Ruhe, wieder deutlich zugenommen. Erst am 12. Und 13. Februar diesen Jahres registrierte die Polizei zwei mutmaßlich rassistisch motivierte Gewaltdelikte gegen Menschen, die in Rathenow Schutz vor Verfolgung in ihren Heimatländern gesucht hatten.
Solidarität statt Hass
Diese kontinuierliche Entfaltung von Menschenfeindlichkeit gilt es zeitnah entgegen zu wirken. Dass dies nur in einem solidarischen Miteinander geschehen kann, sollte sich dabei von selbst verstehen. Dem bisherigen Ellbogenprinzip, in dem die Menschen (wirtschafts)systembedingt zu einem Konkurrenzkampf um Ressourcen vereinzelt, mithilfe willkürliche Grenzziehungen voneinander getrennt und entfremdet oder durch geschlechtsspezifische Rollenmodelle als Ungleiche unter Gleichen isoliert werden, wollen wir künftig die Kraft der Solidarität entgegensetzen und gemeinsam die Herausforderungen unserer Zeit annehmen.
Aktionen am 5. März
Als erstes eigenes Zeichen wollen wir deshalb am 5. März 2016 gemeinsam und mit vielfältigen Aktionen dem geplanten rassistischen Großaufmarsch entgegentreten. Dabei wollen wir zunächst, in Anlehnung an die antirassistische Demonstration im Januar diesen Jahres, eigene Akzente setzen. Wir rufen deshalb alle engagierten Menschen dazu auf, ab 12.00 Uhr am Dunckerplatz, direkt vor dem Rathenower Bahnhof, zu erscheinen. Von dort aus werden wir als Demonstrationszug durch die Stadt, bis ins Zentrum, in die Nähe des Aufmarschortes des Bürgerbündnisses Deutschland, gehen. Das „Bürgerbündnis“ hat seine Veranstaltung von 14.00 bis 21.00 Uhr auf dem Märkischen Platz in Rathenow angemeldet. Dieser Ort markiert das Stadtzentrum und ist im Wesentlichen über drei Zugangspunkte erreichbar. Der westliche Zugang erfolgt über die Berliner Straße Ecke Wilhelm Külz Straße. In diesem Bereich, genauer gesagt am August Bebel Platz, hat das Aktionsbündnis Rathenow: Miteinander Füreinander die zentrale Gegenveranstaltung der Zivilgesellschaft angemeldet. Die Kundgebung wird ab 14.00 Uhr durchgeführt und befindet sich in unmittelbarer Nähe des Endpunktes der antifaschistischen Demonstration. Weitere Zugänge zum Märkischen Platz gibt es über die Berliner Straße Ecke Puschkinstraße über die Goethestraße Ecke Forststraße. In letztgenanntem Bereich starteten bisher auch die Abendspaziergänge des „Bürgerbündnisses Havelland“.
Genauere Infos werden in den nächsten Tagen noch folgen!
Rassistische Großdemo stoppen!
Für eine solidarische Gesellschaft, gegen Hetze und Ausgrenzung!
An dem heutigen Freitagabend fand in Oranienburg eine antirassistische Demonstration mit knapp 250 Teilnehmer_innen statt. Der Anlass der Demonstration war die anhaltende rassistische Mobilisierung in Oranienburg und die zehnte Versammlung der RassistInnen.
Unter den Motto „Zeit zu Handeln – Gemeinsam gegen Rassismus“ versammelten sich die Demonstrant_innen am Oranienburger Bahnhof. Nach einer kurzen Wartezeit ging die Demonstration auch schon los und führte über einen kleinen Umweg durch ein Plattenbaugebiet in der Sachsenhausener Straße zum Schloss. Dort wurde eine weitere Kundgebung abgehalten.
Ebenfalls am Schloss fand die Kundgebung des sog. „Abendspaziergangs“ statt und eine Gegenveranstaltung des Bürgermeisters Hand-Joachim Laesicke im Vorhof des Schlosses. Das als größeres Event angekündigte rassistische Kundgebung mit dem rechten Islamhasser und PI-News-Autor „Michael Mannheimer“, alias Karl-Michael Merkle, zog erwartungsgemäß viele AnhängerInnen an. Über 500 Personen gesellten sich zur rassistischen Kundgebung und lauschten der Hetze von Merkle. Durch unsere lautstarke Kundgebung wurden die Reden der HetzerInnen deutlich übertönt. Allerdings wurde die antirassistische Kundgebung aufgrund der Kälte vorzeitig beendet. Trotzdem gab es lautstarken Protest. Anders als die Veranstaltung des Bürgermeisters im Schlossvorhof, die bereits bevor der Hauptgast des rechten Aufzuges zu reden begann, sich aufgelöst hatte. Eine reale Auseinandersetzung mit den verschwörungstheoretischen und anti-muslimischen Thesen des Merkle fand durch die Bürgerschaft nicht statt. Vereinzelt reihten sich jedoch Teilnehmer_innen aus dem Schlossvorhof in die antirassistische Kundgebung ein.
Nachdem die Gegenproteste der letzten rechten Demonstrationen weitestgehend eingebrochen sind, rief der Bürgermeister Hans-Joachim Laesicke zusammen mit dem Pfarrer Humburg und allen Fraktionsvorsitzenden zu einer Demonstration unter den Motto „Herz statt Hetze“ auf. Die Demonstration zog von der St. Nikolai-Kirche zum Schlossvorhof. In einem Redebeitrag auf der antifaschistischen Demonstration in Gedenken an Sven Beuter am vergangenen Samstag in Brandenburg/Havel hatten wir erörtert, warum eine Teilnahme für antirassistisch und antifaschistisch gesinnte Menschen an dieser Demonstration aus unserer Sicht nicht möglich seiIn einem Redebeitrag machten wir heute zudem deutlich, dass wir mit der derzeitigen Verschärfung des Asylrechts und vor allem mit den Beschluss des Asylpakets II nicht einverstanden sind. Sollten die Politiker_innen aber irgendwann einsehen, dass das Problem Rassismus heißt, und nicht die Verteidigung „unserer“ Werte gegen vermeintliche „Extremist_innen“ verschiedenster Colour ist, dann wäre auch eine gemeinsame Veranstaltung möglich.
Dass die Demonstration des Bürgermeisters mit 400 Personen sehr gut besucht war, war absehbar, schließlich hat der „Ritter Hansi“ zur Audienz gebeten. Wenn die bloße Ankündigung einer antirassistischen Demonstration in der Stadt dafür sorgt, dass die hohe Prominenz der Stadt und Politik sich erhebt um auch mal wieder gegen Rassismus zu demonstrieren, dann ist auch dies als Erfolg aus unserer Sicht zu werten.
Für den heutigen Abend ziehen wir eine positive Bilanz. Dass sich etwa 250 Antirassist_innen und Antifaschist_innen an einem Freitagabend nach Oranienburg bewegt haben um ein deutlichen Zeichen gegen die andauernde rassistische Hetze zu setzen, werten wir als Erfolg. Obwohl die Demonstrationsstrecke sehr kurz war und die Kundgebung in Hör- und Sichtweite zu den RassistInnen nicht viele Handlungsmöglichkeiten hergegeben hat, wollen wir uns trotzdem bei all denjenigen bedanken, die dennoch nach Oranienburg gekommen und auf unserer Kundgebung geblieben sind. Zudem müssen wir leider kritisch anmerken, dass nicht alle Teilnehmer_innen der antirassistischen Demonstration sich an den zuvor angekündigten Aktionskonsens gehalten haben. Wir würden uns künftig wünschen die Antifaschist_innen würden sich an die Wünsche der lokale Engagierten mehr hören.
Unser Ziel den Widerspruch auf die Straße zu bringen wurde erfüllt. Wir haben in alle Deutlichkeit gezeigt, dass wir den RassistInnen den Raum für ihre Hetze nicht überlassen werden! Es sollte jedoch klar sein, dass es nicht bei einem Zeichen bleiben darf. Wir werden die aggressive rassistische Hetze in Oranienburg nicht weiter hinnehmen und können jetzt schon sagen: wir kommen wieder!
Auf diesem Wege wollen wir außerdem auf weitere Veranstaltungen in Brandenburg, die Unterstützung bedürfen, aufmerksam machen:
- 5. März | 12:00 | Bhf. Rathenow: Antifa-Demo gegen Neonazis-Großdemonstration
- 12. März | 16:00 | Schulplatz Neuruppin: Antifa-Demo: „Es reicht! Gerade machen gegen Nazis und Rassisten!“
Neonazis gedenken öffentlich SA-Sturmbannführer — Utopia e.V. ruft zu Entschlossenheit im Kampf gegen Rechts auf
Am Abend des 23. Februar fanden sich in unmittelbarer Nähe des Sitzes des antifaschistischen und antirassistischen Vereins Utopia ein an einer Hauswand angebrachtes Bild von Horst Wessel sowie ein Grablicht und ein Trauerblumenstrauß. Horst Wessel, dessen Todestag sich am 23. Februar jährte, war eine Symbolfigur des Nationalsozialismus wird bis heute in neonazistischen Kreisen verehrt.
Der Utopia e.V. deutet dieses „Gedenken“ als erneute Provokation der rechten Szene in Frankfurt (Oder), die im Zuge der bundesweiten rassistischen Mobilisierung auch in der Oderstadt seit über einem Jahr einen Aufschwung erfährt. Neonazis und Rassist*innen treten mit ihrer Hetze nicht nur unverhohlen auf inzwischen regelmäßig stattfindenden rechten Veranstaltungen öffentlich auf, sondern etablieren sich auch zunehmend im Frankfurter Stadtbild.
Die krude Ehrung des SA-Sturmführers Wessel zeigt, in welcher Tradition sich die Frankfurter Neonaziszene gern sehen möchte; Wessel verkörperte eine rassistische Ideologie der Ungleichwertigkeit von Menschen, extremen Nationalismus sowie die Überzeugung, durch brutale und alltägliche Gewalt den öffentlichen Raum schrittweise unterwerfen zu können.
Die propagandistische Aktion der Neonazis macht deutlich, dass das Engagement des Utopia e.V. sowie aller anderen demokratischen und antifaschistischen Akteure weiterhin notwendig ist. Rechten Tendenzen gilt es sich entschlossen entgegenzustellen; neonazistische Propaganda darf nicht unwidersprochen bleiben. Erst am 20. Februar protestierten über 250 Menschen gegen einen rechten Aufmarsch in der Stadt – ein Zeichen dafür, dass die Frankfurter Zivilgesellschaft und Politik Menschenverachtung und Hass nicht ohne weiteres hinnimmt.
Utopia e.V.
Der heutige antifaschistische Mittwoch startete mit einer großen, lautstarken und offensiven Demonstration unter dem Motto “Rassismus tötet! Die mörderischen Verhältnisse kippen!”.
500 Menschen liefen vom Lustgarten in Richtung Potsdam Nord, zum Dorint-Hotel. Während dieser Demonstration wurden vielerlei inhaltsreiche Redebeiträge gehalten. Diese setzten sich mit staatlichem Rassismus und dem massenhaften Tod von Refugees bei ihrer gefährlichen Flucht auseinander, außerdem wurde die Auseinandersetzung der Potsdamer Presse mit Pogida aufgrund ihrer Inhaltslosigkeit kritisiert.
Um 18.30 Uhr war die Demonstration beendet. Die Teilnehmenden begaben sich umgehend in Richtung Bornstedt, um dort die Neonazis von Pogida gebührend in Empfang zu nehmen. Zunächst gab es etwas Verwirrung bei den anwesenden Polizeikräften, ob die Teilnahme an der von Norbert Müller angemeldeten Demonstration möglich sei oder nicht. Ein Teil der Demonstrierenden begab sich zu 18.50 Uhr dorthin, der andere Teil versuchte auf dezentralem Weg an die Neonazis heranzukommen.
Pogida begann mit einiger Verspätung um 19.00 Uhr mit der Kundgebung. Es wurden verschiedene Redebeiträge verlesen. Nach einer kurzen Begrüßung durch Christian Müller, ergriff der Potsdamer Herbert Heider das Wort, er hatte in der Vergangenheit schon öfter für Pogida gesprochen, zumeist im OpenMic-Teil des Aufmarsches. Mittlerweile gehört er zu den planmäßigen Redner_innen. Das Herausragende bei ihm dürften die sehr ausgiebigen Zitate aus den Aufrufen der Gegendemonstrant_innen und von der Antifa gewesen sein. Am Ende kritisierte er, dass bei den letzten Pogida-Versammlungen alle drei Strophen des Deutschlandliedes gesungen wurden. Während dieser Auftaktkundgebung waren die Gegendemonstrant_innen durchgängig sehr gut hörbar bei Pogida. Nach einer Stunde lief Pogida dann endlich los. Ihre ursprünglich geplante Route, die Kirschallee hinunter, wurde allerdings von engagierten Antifaschist_innen blockiert. So bogen sie in die Erwin-Barth-Straße ein, auf der sich auch eine Blockade vorbereitete . Allerdings liefen sie nur weitere 50 Meter und dann war auch an diesem Mittwoch wieder Schluß für die 60 Hansel die wenig mehr von sich geben, als dass sie das Volk und Pogida seien. Nach kurzem Stillstand lief Pogida die Route wieder zurück. Wenn sie auch sonst nichts lernen: Niederlagen können sie mittlerweile gut akzeptieren und entsprechend handeln.
Am Ausgangspunkt wieder angekommen erfolgten weitere Reden von Pogida. Der Anmelder Müller startete seine, laut Eigenangaben von Bärgida übernommene Rede, thematisch sehr reichsbürgerlich. Zitierte seitenweise Auszüge aus dem Grundgesetz, der Potsdamer Konferenz und der Konferenz von Jalta. Knackpunkt: Deutschland sei kein souveräner Staat, sondern stünde unter der Kontrolle der Allierten. Diese Macht wiederum solle Putin nutzen um die zum Faschismus neigende deutsche Staatsführung abzusetzen. So oder so ähnlich ging es weiter, die geneigten Zuhörenden dürften allerdings genauso wenig Spaß daran gehabt haben ihm zu lauschen wie die weniger geneigten, denn Christian Müller las den kompletten Redebeitrag ab und dies sehr holprig. Am Ende erzählte er noch was zu seiner kriminellen Karriere und dass er sich bei Pogida in Zukunft im Hintergrund halten aber trotzdem weiter planen möchte.
Als weiterer Redner trat „Curd Schumacher“ auf, bei dem getrost bezweifelt werden darf, dass er wirklich so heißt. „Curd Schumachers“ Hauptkritikpunkt waren die Gegenproteste. Diese waren ihm zu laut, zu gewalttätig und allgemein habe er solche Zustände bisher nicht erlebt (außer vielleicht in Leipzig, wie er ergänzte). Er sah angesichts der überwältigenden Masse von lautstarken Gegendemonstrant_innen seine Haut in Gefahr und die Abreise gefährdet. Nichts davon trat ein. Leider.
Stattdessen ließ Christian Müller noch kurz darüber abstimmen ob nun alle drei Strophen des Deutschlandliedes gesungen werden sollten (Mehrheit der Neonazis überraschenderweise dafür) und stimmte dieses dann inbrünstig an.
Die Abreise der Neonazis gestaltete sich dann recht schwierig. Da der Kundgebungsort nach wie vor von allen Seiten von Gegendemonstrant_innen eingekesselt war. Erst 40 Minuten nach Beendigung der Gruselveranstaltung konnten die Neonazis den Bus in Richtung Potsdamer Innenstadt nehmen.
Der mehrstündige Gegenprotest wurde durch die Polizei mit dem Einsatz von Pfefferspray, körperlicher Gewalt und Festnahmen erschwert.
Bis zum Ende des Aufmarsches kamen von Christian Müller sich massiv widersprechende Aussagen zur Zukunft von Pogida. Vielleicht übernimmt Markus Johnke von Legida aus Leipzig die offizielle Anmeldung, vielleicht aber auch nicht. Unter Umständen wird Pogida den Wochentag in Zukunft wechseln, unter Umständen aber auch nicht. Möglicherweise zieht sich Müller komplett aus Pogida zurück, oder auch nicht. Denn den nächsten Aufmarsch am Bassinplatz wird er wiederum anmelden und anführen. Einen Lichtblick gibt es allerdings: Pogida soll wohl in Zukunft nur noch alle zwei Wochen stattfinden. Glauben tun wir das allerdings erst wenn wir es sehen.
Dies ist die # 1 in der Serie „Wer steckt dahinter?“ 1 der antifaschistischen recherchegruppe frankfurt (oder).
Andy Köbke, Jahrgang 1991, ist seit Mitte der 2000er Jahre in Neonazi-Kreisen in Frankfurt (Oder) aktiv. Bereits im Alter von 15 Jahren beteiligte er sich an der Beschmutzung des Synagogengedenksteins auf dem Frankfurter Brunnenplatz. 2 Mit drei weiteren Angeklagten wurde er wegen Volksverhetzung, Störung der Totenruhe und des öffentlichen Friedens zu einer mehrmonatigen Bewährungsstrafe verurteilt. 3 Seit mindestens Januar 2007 nimmt Köbke an Demonstrationen der extremen Rechten teil. Er hat nicht sich nur in der Region an Demonstrationen beteiligt, sondern ist auch in anderen Teilen Brandenburgs, wie bei dem „Heldengedenken“ in Halbe im Jahr 2007, aktiv dabei gewesen.
Eine politische Heimat fand er als Teil der neonazistischen FCV-Hooligans, die bis zur erneuten Umbenennung des regional erfolgreichsten Fussballvereins, regelmäßig dessen Spiele besuchten.4 Hier war er an mehreren Angriffen auf linksalternative Fangruppierungen, beteiligt. 5 Die „FCV-Ultras“, wie sie sich gern selbst sahen, sehnten sich nach alten Erfolgen in der DDR-Oberliga und leisteten ihren Support stets in den alten Farben des FC Vorwärts. Vielmehr noch fielen sie dabei jedoch durch die Verherrlichung des Nationalsozialismus und aggressiven Antisemitismus auf.6 Aktuell gehört er zum Umfeld der neonazistischen Gruppierung „Terrorcrew – Kameradschaft Kommando Werwolf“(KSKW), die vornehmlich illegale Konzerte extrem rechter Bands organisiert. 7
Seit im Jahr 2015 die rassistischen Gruppierung „Frankfurt/Oder wehrt sich“8 gegründet wurde, ist er regelmäßiger Teilnehmer ihrer Aufmärsche und Kundgebungen und trat am Rande der Veranstaltungen mehrfach gewaltbereit auf. Dass seine ‘rechte Karriere’ seit mittlerweile fast zehn Jahren andauert, ist ein Zeichen dafür, wie fest verankert sein menschenverachtendes Weltbild ist.
Auf seinem Facebookprofil offenbart er auch sein sexistisches und frauenverachtendes Gedankengut. Dort posiert Köbke mit einem T‑Shirt, auf dem eine eindeutige orale Vergewaltigungsszene einer Frau dargestellt ist. 9 Das Bild kann hier auf einer separaten Seite eingesehen werden. Wir wollen unseren Leser*innen damit die Entscheidung, ob sie sich diese Widerlichkeit zumuten wollen, selbst überlassen. In Zeiten, in denen sich der deutsche „Herrenmensch“ aufmacht, die Rechte der deutschen weißen Frau zu verteidigen, wirkt dieses Bild entlarvend.10
Sein Blick auf die Welt spiegelt sich in den „Gefällt-mir“-Angaben 11 auf seinem Facebookprofil wieder. Die Gruppe „Bier, Fussball und Titten“ 12 kann hier exemplarisch gelten für seine Vorstellung von Freizeitgestaltung und der Rolle von Frauen in ihr.
Mit wem Köbke politisch sympathisiert, bleibt den Betrachter*innen mit Blick auf die genannten Angaben bei Facebook auch nicht verborgen. Seine Vorlieben reichen von Freien Kameradschaftsstrukturen und rechten Hooligan-Gruppierungen, über rassistische Initiativen bis hin zu den extrem rechten Parteien „Der III. Weg“ und NPD.13
Quellen
1 Vgl. antifaschistische recherchegruppe frankfurt (oder): „Wer steckt dahinter?“,
https://recherchegruppeffo.noblogs.org/post/category/wer-steckt-dahinter/
2 Vgl. Uwe Rada: „Synagogen-Gedenkstein geschändet“, die tageszeitung (taz), 11.11.2006,
http://www.taz.de/1/archiv/?dig=2006/11/11/a0069
3 Vgl. antifaschistische recherchegruppe frankfurt (oder): „Gedenksteinschändung endet vor Gericht.“, in: „recherche output #2“, 2007. Online zu finden unter:
https://recherchegruppeffo.noblogs.org/post/2007/03/01/gedenksteinschaendung-endet-vor-gericht/
4 Der 1. FC Frankfurt hieß in der Zeit des Bestehens der Gruppierung (ca 2006 – 2012) Frankfurter FC Viktoria 91 die Gruppe bezog sich aber positiv auf dessen Vorgänger, den erfolgreichen DDR-Oberligisten FC Vorwärts Frankfurt. Seit der Umbenennung des Vereins in 1. FC Frankfurt tritt die Gruppe nicht mehr als solche in Erscheinung. Es sind nur noch vereinzelt Personen aus dem Umfeld bei Spielen zu sehen.
5 Vgl. beispielsweise antifaschistische recherchegruppe frankfurt (oder): „Es hat sich nichts geändert – Landespokalspiel SV Babelsberg 03 vs. FFC Viktoria“, 18.11.2011,
https://recherchegruppeffo.noblogs.org/post/2011/11/18/es-hat-sich-nichts-geaendert-landespokalspiel-sv-babelsberg-03-vs-ffc-viktoria/
6 Vgl. antifaschistische recherchegruppe frankfurt (oder): „Freunde, die niemand haben will.“, in: „recherche output #1“, 2006. Online zu finden unter: https://recherchegruppeffo.noblogs.org/post/2006/10/01/freunde-die-niemand-haben-will/ Vgl. darüber hinaus antifaschistische recherchegruppe frankfurt (oder): „Rechte Frankfurter Ultras aktiv wie nie“, in: „recherche output #3“, 2007. Online zu finden unter:
https://recherchegruppeffo.noblogs.org/post/2007/10/02/rechte-frankfurter-ultras-aktiv-wie-nie/ sowie zahlreiche Artikel zum Thema unter https://recherchegruppeffo.noblogs.org/
7 Vgl. antifaschistische recherchegruppe frankfurt (oder): „Watch out for the Werwolf!“, 02.06.2013,
https://recherchegruppeffo.noblogs.org/post/2013/06/02/watch-out-for-the-werwolf/
8 Vgl. antifaschistische recherchegruppe frankfurt (oder): „Der Aufstand der Ekelhaften“, 06.02.2015, https://recherchegruppeffo.noblogs.org/post/2015/02/06/der-aufstand-der-ekelhaften/ sowie ‘Frankfurt (Oder) wehrt sich’ mit dem ‘III. Weg’“, 21.05.2015, https://recherchegruppeffo.noblogs.org/post/2015/05/21/frankfurt-oder-wehrt-sich-mit-dem-iii-weg/ und „’Frankfurt/Oder wehrt sich’ IV. Akt – inhaltsleerer und aggressiver“, 13.08.2015, https://recherchegruppeffo.noblogs.org/post/2015/08/13/frankfurtoder-wehrt-sich-iv-akt-inhaltsleerer-und-aggressiver/ .
9 Vgl. „Andy Kalöbke” auf Facebook, Beitrag von Andy Köbke vom 20.07.2015 um 21:27
10 Vgl. Amadeu Antonio Stiftung – Fachstelle Gender und Rechtsextremismus in Kooperation mit Netz gegen Nazis (Hrsg.): „Das Bild des ‘übergriffigen Fremden’ – warum ist es ein Mythos? Wenn mit Lügen über sexualisierte Gewalt Hass geschürt wird“, Berlin 2016.
11 Vgl. „Andy Kalöbke“, „Gefällt-mir“-Angaben von Andy Köbke auf Facebook
12 Ebd. und die Gruppe „Bier, Fussball und Titten“,
13 Vgl. ebd.
INFORIOT Die antifaschistische Recherchegruppe aus Frankfurt/Oder hat eine neue, überarbeitete Internetseite. Diese ist zu erreichen über die Adresse: recherchegruppeffo.noblogs.org. Die Gruppe selbst teilt mit:
Liebe Leser*innen,
nachdem auf unserer alten Seite wegen technischer Probleme in den letzten 1 1/2 Jahren nichts passiert ist, starten wir nun mit einer neuen und überabreiteten Version. Im Zuge der rassistischen Mobilisierungen ist im letzten Jahr in Frankfurt (Oder) und Umland einiges geschehen. Mit insgesamt sechs Versammlungen im Jahr 2015 machten Rassist*innen im “freundlichen Frankfurt” von sich reden. Auf facebook organisierte sich der rassistisch eingestellte Teil der Frankfurter Bevölkerung in Gruppen wie “Frankfurt/Oder wehrt sich”. Im Zuge der lokalen rassistischen Mobilisierungen traten sowohl altbekannte Gesichter wie Svem Lemke oder Björn Brusak mehrfach in Erscheinung. Aber auch bisher eher unbachtete Protagonist*innen wie das Neonazipärchen Franziska und Peer Koss machten von sich reden.
Mit Hilfe unserer neuen Seite wollen wir euch in Zukunft noch besser und übersichtlicher über die extreme Rechte in in der Region informieren. Ihr findet hier alle Inhalte, die ihr auf unserer alten Seite auch gefunden habt. Auch die Texte, die wir aufgrund der technischen Probleme nicht auf unserer alten Seite veröffentlicht hatten. Ganz frisch ist der Text “#1 | Andy Köbke – Eine klassische Frankfurter Neonazikarriere“. Es soll der erste Text unser neuen Serie “Wer steckt dahinter?” sein, in der wir euch monatlich Akteure der extremen Rechten vorstellen, die sich hinter den Strukturen in Frankfurt (Oder) und dem Umland verbergen. Wie gewohnt stehen euch unsere Chronologie zu rechten Vorfällen, das Projekt “AfD-Watch” und unsere Veröffentlichungen zur Verfügung.
Mit der neuen Seite werdet ihr euch in Zukunft über rechte Umtriebe in der Region auf dem Laufenden halten können. Faschist*innen, Nazis und Rassist*innen können sicher sein, dass wir ihnen auf die Finger schauen.
Eure antifaschistische recherchegruppe frankfurt (oder)
Seit November letzten Jahres prangt ein Infozettel im Sozialamt Neuruppin. Flüchtlinge, „die in einem anderen Land bereits einen Asylantrag gestellt haben“, sollen weniger Geld bekommen. Grund sei das vom Bundestag beschlossene Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz.
Betroffen sind alle Flüchtlinge im Landkreis, die unter die sogenannte Dublin-III-Verordnung fallen. Sie sollen in das EU-Land abgeschoben werden, in das sie zuerst eingereist sind. Nun kürzt ihnen das Sozialamt Neuruppin die Sozialleistungen um das monatliche Taschengeld von 143 Euro. Die Folgen: Die Betroffenen können sich keine Fahrkarten mehr kaufen, keine Handy-Karten, keine besonderen Lebensmittel, sie können AnwältInnen nicht mehr bezahlen. Es bleibt ihnen nur ein Existenzminimum, das zum Überleben ausreichen soll.
Tatsächlich wurde mit dem neuen Gesetz die Sozialleistungen für bestimmte Flüchtlinge unter das menschenwürdige Existenzminimum gesenkt, nach Ansicht vieler ExpertInnen ein klarer Verfassungsbruch. Denn das Bundesverfassungsgericht hatte im Jahr 2012 entschieden: „Auch eine kurze Aufenthaltsdauer oder Aufenthaltsperspektive in Deutschland rechtfertigt es im Übrigen nicht, den Anspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums auf die Sicherung der physischen Existenz zu beschränken. Die in Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz garantierte Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren.“ Doch die Bundesregierung spielt auf Zeit, bis das Bundesverfassungsgericht das verfassungswidrige Gesetz kassiert.
Dieses verfassungswidrige Gesetz hat das Sozialamt Neuruppin nun falsch gelesen und eigenmächtig noch einmal verschärft. Denn nach dem Gesetz sollen nicht Flüchtlinge im Dublin-III-Verfahren gekürzte Leistungen erhalten, sondern Flüchtlinge, die nach einem Beschluss der EU in andere Länder „umgesiedelt“ wurden und sich der Zwangsumsiedlung widersetzen.
Im September 2015 hatte die EU die Umsiedlung von 160.000 Flüchtlingen aus Griechenland und Italien beschlossen, bis Anfang Januar wurden gerade einmal 272 eritreische und syrische Flüchtlinge nach Finnland, Schweden und Luxemburg umgesiedelt.
Gegen die rechtswidrigen Leistungskürzungen wurde von einigen Betroffenen Widerspruch eingelegt, Klagen beim Sozialgericht sind anhängig. Kay Wendel vom Flüchtlingsrat kommentiert die Praxis des Sozialamts: „Die illegalen Leistungskürzungen zeigen, welcher Geist durch die Asylrechtsverschärfungen aus der Flasche entlassen wurde:
Drangsalierung und Abwehr von Flüchtlingen, Schluss mit der Willkommenskultur. Dass das Sozialamt das Recht offensichtlich beugt, ist eine Folge davon. Sozialministerin Diana Golze sollte dieser
illegalen Praxis umgehend ein Ende bereiten.“
Der 23. Februar mag in Rathenow kein ungewöhnlicher Tag mehr zum demonstrieren zu sein. Nahezu alle zwei Wochen hat die havelländische Kreisstadt ja mittlerweile mit Aufmärschen des rechtsoffenen „Bürgerbündnisses Havelland“ zu rechnen. Ebenso ist es inzwischen normal das Neonazis auf diesen Aufzügen nicht nur geduldet, sondern sich auch teilweise recht freizügig entfalten können. Eine Einladung, die das aktionsorientierte Neonazimilieu offenbar gerne annimmt, zumal dieser 23. Februar für sie auch eine ganz besondere Bedeutung hat. Es ist nämlich der Todestag von Horst Wessel, ein Tag den Neonazis gerne zum Andenken an den 1930 getöteten SA Sturmführer nutzen. Offenbar auch an diesem Dienstagabend. Mehrere Neonazis aus Premnitz und Potsdam, darunter Mitglieder und Sympathisant_innen der verbotenen Kameradschaft Hauptvolk sowie der Sänger Rechtsrock-Band „Preussenstolz“, trugen während des „Abendspaziergangs“ nämlich mehrere auffällige Holzkreuze und Grablichter, die offensichtlich an einen Verstorbenen erinnern sollten. Das damit tatsächlich Horst Wessel gemeint war ist natürlich reine Spekulation, würde aber zur typischen Vorgehensweise dieses Personenkreises passen. Erst vor drei Monaten nutzten beispielsweise Rathenower und Premnitzer Neonazis eine Versammlung des Bürgerbündnisses Havelland, die in zeitlicher Nähe zum nationalsozialistischen „Gedenktag für die Gefallenen der Bewegung“ (9. November 1923) lag, bzw. den anschließenden „Abendspaziergang“ durch die Goethestraße (bis 1945 „Straße des SA“), um dem Aufzug den Charakter eines nazistischen „Fackelmarsches“ zu geben.
Neonazis werden offensichtlicher
Diese offensichtliche Symbolik scheint auch immer mehr Bürger_innen abzuschrecken, die Anfangs mit der vermeintlich bürgerlichen Protestbewegung sympathisiert haben. Dennoch ist die Teilnehmer_innenzahl der gesamten Versammlung wieder auf bis zu 350, nach einem ersten Abwärtstrend von 550 (am 12.01) auf 400 (am 26.01.) und 300 (am 09.02.), wieder leicht angestiegen zu sein. Eine Verstärkung des bürgerlichen Klientels konnte jedoch nicht beobachtet werden. Es scheint eher so, dass die extreme Rechte auf dem Platz stärken geworden ist bzw. diese bewusst mehr wahrnehmbar ist. Insbesondere der Rathenower NPD Stadtverordnete Michel Müller scheint sich dabei als Strippenzieher im Hintergrund zu bestätigen, wie einige Fotos offenbaren. Die Rolle des Christian Kaiser, der als presserechtlich Verantwortliche auch de facto Chef des „Bürgerbündnisses Havelland“ ist, liegt dagegen offenbar hauptsächlich nur darin, die Veranstaltungen anzumelden und gegebenenfalls ein paar Stammtischreden zu schwingen. Das Kaiser in seinen Redebeiträgen aber oft auch sehr direkt und persönlich gegen vermeintliche „Volksverräter“ und „Medien“ wird, kommt der extremen Rechten dabei noch zusätzlich zu Gute, genau wie seine permanente Hetze gegen Flüchtlinge oder die Regierung Merkel, die offenbar vor allem wegen der Aufnahme von Flüchtlingen angefeindet wird.
Übergriffe auf Flüchtlinge in Rathenow
Das diese Rhetorik in Rathenow anscheinend nun auch handfesten Dimensionen annimmt, dürfte dagegen absehbar gewesen sein. Wie die Polizei bereits in der vergangenen Woche berichtete, sollen nämlich an zwei aufeinander folgenden Tagen in Rathenow mehrere Flüchtlinge von Unbekannten attackiert worden sein.
Am Abend des 12. Februars 2016 sollen zunächst zwei Syrer von drei Männern am Rathenower Bahnhof verfolgt und anschließend mit einem Gegenstand beworfen worden sein. Das geworfene Objekt soll die Flüchtlinge allerdings verfehlt haben und bei der späteren Untersuchung des Falls durch die Polizei nicht mehr auffindbar gewesen sein, ebenso wie die drei Männer.
Ähnlich erfolglos blieb bisher anscheinend auch die Fahndung nach drei weiteren Männern, die am Morgen des 13. Februars 2016 zwei Albaner in der Berliner Straße attackiert haben sollen. Die unbekannten Täter schlugen, gemäß Polizeiangaben, dabei auf einen der Betroffenen ein und besprühten Beide anschließend mit Reizgas.Bei der Flucht vor den aggressiven Männern sollen die Angegriffenen ein mitgeführtes Fahrrad zurückgelassen haben. Als sie dieses einige Zeit später holen wollten, war das Zweirad verschwunden.
Ob zwischen den beiden Fällen ein Zusammenhang besteht, teilte die Polizei nicht mit.
Blendutensil auf Versammlung beschlagnahmt
Weitere Ermittlungen hat die Polizei offenbar auch während der heutigen Veranstaltung des „Bürgerbündnisses Havelland“ gegen einen Versammlungsteilnehmer aufgenommen. Der Mann soll im Verdacht stehen einen Fotografen mehrfach mit einem gebündelten Lichtstrahl geblendet zu haben. Geprüft soll in diesem Zusammenhang auch werden, ob derartige Technik überhaupt in der Bundesrepublik zulässig sei. Das Gerät wurde als Beweisstück sichergestellt.
Gegendemonstrant_innen bereiten sich auf 5. März vor
Neben dem „Bürgerbündnis Havelland“ hatte sich heute übrigens auch die Rathenower Zivilgesellschaft zu ihrer stillen Protestkundgebung auf dem August-Bebel-Platz versammelt. Dabei kamen ungefähr 80 Menschen zusammen. Zu einer direkten Konfrontation mit dem „Bürgerbündnis Havelland“ kam es jedoch nicht. Als letzt genanntes am Bebelplatz vorbeizog, war die Kundgebung der Zivilgesellschaft schon längst beendet. Mit dem fremdenfeindlichen und rechtsoffenen Versammlungen abfinden möchte sich das zivilgesellschaftliche Aktionsbündnis in Rathenow jedoch anscheinend nicht. Es konzentriere sich momentan eher auf die Organisierung von Protesten gegen eine geplante und überregional beworbene Großdemo des rechtsoffenen „Bürgerbündnisses Deutschland“ am Samstag, den 5. März 2016, um 14.00 Uhr. Zu dieser Versammlung werden, gemäß Veranstalter, bis zu 800 Personen plus x erwartet.
Fotos:
Presseservice Rathenow
Sören Kohlhuber
Seit dem 11. Januar dieses Jahres erleben wir in Potsdam jede Woche das gleiche Ritual: ein neu gegründeter Pegida – Ableger namens „POGIDA“ mobilisiert einen rassistischen Mob aus Nazis, rechten Fußballhools, Verschwörungsfans und sogenannten „besorgten Bürger_innen“. Sie ziehen von einem Stadtteil zum anderen und verbreiten dabei einen kruden Mix aus rassistischen Vorurteilen, scheinbar einfachen Forderungen und weinerlichen Parolen. Die Pegiden werden dabei jedes Mal von einem gigantischen Polizeiaufgebot eskortiert, welches unter dem Vorwand der Durchsetzung der Meinungsfreiheit jeweils die halbe Stadt lahmlegt, Grundrechte außer Kraft setzt und versucht, jeglichen Widerstand gegen diese braunen Aufmärsche durch Repression zu verhindern.
Wir wollen raus aus diesem Ritual des Reagierens! Wir wollen endlich wieder offensiv unsere politischen Positionen auf die Straße tragen. Wir wollen deutlich sagen, dass auch Pogida nur ein Ausdruck des rassistischen Normalzustandes in der kapitalistischen Gesellschaft ist. Wir wollen unseren Widerstand und unsere Wut über Asylrechtsverschärfungen und den kalkulierten Tod an den Grenzen der Festung Europa zeigen!
Lasst uns Rassismus beim Namen nennen und für eine andere Welt streiten, statt jede Woche Pogida hinterher zu rennen!
Deshalb: Heraus zur eigenen Demonstration in der Innenstadt, dort, wo die Verantwortlichen sitzen!
Kommt am 24. Februar um 17.00 Uhr zur Demonstration in den Lustgarten. Unser Ziel ist das Dorint – Hotel direkt auf dem Weg nach Bornstedt!
Rassismus tötet, die mörderischen Verhältnisse kippen!
Achtet auf die aktuelle Ankündigungen:
www.nopogida.de
www.facebook.com/pogidawatch/
https://twitter.com/tickerpotsdam
**UPDATE** (22.02.16)
Angemeldete Gegenveranstaltungen:
17 Uhr Antifaschistische Demo „Rassismus tötet“ (Lustgarten bis Dorint-Hotel)
18 Uhr Kundgebung „Refugees welcome – Für Weltoffenheit und Toleranz“ (Bündnis „Potsdam bekennt Farbe“ – Kirschallee/ südlicher Teil bis Pappelallee)
ACHTUNG: Der Zugang zu dieser Kundgebung ist nur von Süden über Reiherweg/Bornstedter Straße möglich. Die Polizei kündigte Vorkontrollen an, die verhindern sollen das Wurfgegenstände zur Kundgebung gelangen.
18.30 Uhr Demonstration „Geflüchtete willkommen. Potsdam bleibt bunt!“ (David-Gilly-Straße zur Pappelallee/Höhe Tramschleife)