Über die Aufmärsche gegen Corona-Maßnahmen in Frankfurt (Oder)
Etwas mehr als ein Jahr lang schafften es die Frankfurt*innen, anders als in anderen Städten, nicht Seite an Seite mit Neonazis gegen die „Politik“, gegen die Regierungen Brandenburgs und des Bundes und deren Anti-Corona-Maßnahmen, auf die Straße zu gehen. Inzwischen hat sich das geändert. Angeführt werden sie dabei von extrem rechten Akteur*innen.
Als sich am 28. November 2020 etwa 2.500 Menschen auf einer Kundgebung von „Querdenken“ um deren Kopf Michael Ballweg an der Oder versammelten, kamen viele von ihnen aus ganz Deutschland angereist.[1] Schon damals waren neben vielen Personen, die ansonsten eher der sog. „bürgerlichen Mitte“ zuzuordnen waren, auch extrem rechte Akteur*innen mit von der Partie. So waren bekannte ältere Neonazis wie Sven Lemke und der Berliner ex-NPDler Jens Irgang, aber auch Jüngere wie Benjamin Krüger, Dennis Kunert, Romano Gosda und extrem Rechte aus anderen Bundesländern und Polen vor Ort. Der Frankfurter NPD-Funktionär Siegfried „Siggy“ Pauly lief gemeinsam mit Andreas Suchanow (AfD) und anderen einschlägig bekannten Rechten.[2] Trotzdem schafften es NPD, AfD und weitere nicht, an den deutschlandweiten Erfolg der Querdenken-Bewegung anzuknüpfen; vielmehr griffen sie auf altbekannte Themen und Inhalte zurück, um bei Demonstrationen und Kundgebungen im Jahr 2021 Menschen unter ihrem Schirm zu versammeln. Bis auf den zahlenmäßig überlegenen Gegenprotest, entsprachen diese Demonstrationen nicht den Allmachtsphantasien von Massenmobilisierungen.
Mit Einzug der vierten Corona-Welle, den Einschränkungen für Ungeimpfte und einer diskutierten allgemeinen Impfpflicht scheint erneut trockenes Holz auf die noch ungelöschte Wut-Glut gelegt worden zu sein. Los ging es am 05.12.2021 mit einer AfD-Demonstration, dessen Thematik kurzerhand um „Kritik“ an der „Corona-Politik“ ergänzt wurde – obwohl ursprünglich ausschließlich gegen Migration, in Bezug auf die Situation an der polnisch-belarussischen Grenze, gehetzt werden sollte. Erstaunlicherweise konnte die AfD ihren Zulauf durch diese thematische Ergänzung in etwa verdreifachen. Bei der Demonstration nahmen ca. 100 Personen teil. [3] Anfang November folgten dem Aufruf der extrem rechten Partei lediglich 30 Personen. [4] Anwesend bei den letzten AfD-Versammlungen war viel Partei-Prominenz aus Brandenburg und den benachbarten Bundesländern. Darunter u.a. Lars Günther, AfD-Landtagsmitglied mit Leidenschaft für Verschwörungsideologien und mit umfangreichen Kontakten zur Neonazi-Szene. [5] Ebenso anwesend waren Daniel Freiherr von Lützow, stellvertretender Landesvorsitzender der AfD in Brandenburg und Steuerhinterzieher, [6] sowie Birgit Bessin, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der AfD in Brandenburg und Organisatorin von Rechtsrock-Konzerten. [7] Alle drei können dem sog. völkischen „Flügel“ der AfD zugerechnet werden. [8]
Dem Aufmarsch Anfang Dezember 2021 folgte eine weitere Demonstration der AfD Frankfurt (Oder) am 19. Dezember gegen eine allgemeine Impflicht, gegen Migration und für „Freiheit“. [9] Diese sollte über die Stadtbrücke nach Polen führen, durfte auf Grund von Corona-Bestimmungen allerdings nur bis zur Stadtbrücke und musste dort umkehren. Die AfD konnte erneut einige dutzend Personen für ihre Thematik und Positionen begeistern. Neben Lars Günther aus MOL war diesmal ein besonderer Gast ganz vorne mit dabei – Andreas Kalbitz, ein Neonazi im Parlament, der mit seinen Aussagen und seiner Ideologie mittlerweile deutschlandweit so bekannt ist, dass wir an dieser Stelle nicht näher auf ihn einzugehen brauchen.
Diesmal nahmen auch Frankfurter Neonazis, wie Sven Lemke und Dennis Kunert am Aufmarsch teil. Sven Lemke gilt als Kopf der Kameradschaft Kommando Werwolf und ist u.a. wegen schwerer Körperverletzung an einen polnischen Studenten im April 1997 vorbestraft. Aktuell steht er hinter dem Tresen der Südring Kneipe in der Leipziger Str. 115, 15236 Frankfurt (Oder), ein lokaler Treffpunkt der Neonazi-Szene.
Dennis Kunert gehört zu einer Gruppe junger Neonazis aus Frankfurt (Oder), die seit 2015 regelmäßig auf extrem rechten Demonstrationen gewaltbereit auftritt und gemeinsam zu Neonazi-Veranstaltungen und Demonstrationen in ganz Deutschland reiste. Zwischenzeitlich nannten sie sich „Kameradschaft Frankfurt (Oder)“ und „Junge Nationalisten Frankfurt (Oder)“. Als geschlossene Gruppe treten sie aktuell nicht auf.
Mit dem Zusammenwirken dieser Personen, die ein Spektrum von AfD über ältere Kameradschaften bis hinzu jüngeren Rechten abbilden, scheint in Frankfurt ein Brückenschlag passiert zu sein. Eine inhaltliche Trennung der unterschiedlichen Akteure wird damit in Zukunft noch schwieriger werden.
Neben den bereits genannten AfD-Aufmärschen formieren sich, wie überall im Land, auch in Frankfurt (Oder) seit wenigen Wochen sogenannte „Montagsspaziergänge“, die meistens um 18 Uhr vom Frankfurter Rathaus aus startend. Angefangen mit nur wenigen Teilnehmenden, die leicht mit einer Gruppe einer Stadtrundführung verwechselt werden konnte und ähnlich unbeholfen wirkte, schlossen sich am 20. Dezember 2021 ca. 400 bis 500 Personen diesem „Spaziergang“ an. [10] Der Clou an der Sache, dass „man ja nur spazieren gehe und zufällig mehrere hundert andere Menschen das auch an genau den gleichen Orten tun“, findet durch absolute Nichtaktivität der Ordnungsbehörden, allen voran der nur wenigen Polizeikräfte, scheinbare Bestätigung. [11] Durch juristisches Laienverständnis und Konsequenzenfreiheit im Ego gestärkt, laufen die Menschen – deren Zahl Ende Januar 2022 bei etwa 1200 Personen lag – seitdem nicht nur ohne Rücksicht auf Hygienebestimmungen. Sie laufen ferner auch mit Personen, die eindeutig Neonazis sind.
Regelmäßige Gäste dieser Montagsspaziergänge sind neben Wilko Möller und Michael Laurisch (beide AfD, letzterer verbreitet während dem „Spaziergang“ Fake-News) auch Sven Lemke, Dennis Kunert, Eric Hempel und Siegfried Pauly (NPD und Bruderschaft „Wolfsschar“); die NPD Frankfurt (Oder) bewirbt die Montagsspaziergänge ebenfalls und ist selbst meistens vor Ort vertreten. [12]. Einzelne Demo-Teilnehmer*innen bilden sich ein, dass sie die „Autorität“ hätten, etwaige Einschlägige vom „Spaziergang“ auszuschließen, sobald diese offen Werbung für ihre rechte Partei oder ihre extrem rechten Ansichten machen. [13] Allerdings bleibt schon fraglich, ob das im Sinne der Veranstaltenden wäre, die bis jetzt noch nicht öffentlich bekannt sind. Weitere Verbindungen zu anderen rechtsextremen Strukturen in der Region sind anzunehmen. So erinnert ein Video auf dem youtube-Kanal „Spaziergang Frankfurt Oder“ an die Webauftritte der neonazistischen, verbotenen Gruppierung „Spreelichter“ aus Südbrandenburg. [14]
Das Potential dieser „Spaziergänge“ lässt sich derweil in ähnlichen Aktionen andernorts ablesen: Auf vergleichbaren Demonstrationen kommt es immer wieder zu gewalttätigen Eskalationen, so beispielsweise in Cottbus, als am 18. Dezember 2021 Journalist*innen und Polizist*innen von Hooligans, Neonazis und anderen extremen Rechten angegriffen wurden. [15] Ob ähnliche Szenen in Frankfurt (Oder) entstehen, bleibt abzuwarten – bereits jetzt wurden Journalist*innen nach Abschalten ihrer Kamera von Teilnehmenden der Frankfurter Montagsspaziergänge bepöbelt und beleidigt. [16] Einige extrem rechte Teilnehmer*innen sind mehrfach vorbestraft, auch wegen Gewaltdelikten.
Die bürgerlichen Anwesenden sollten sich dieser Tatsache bewusst werden. Ihnen sollte klar sein, dass sie keine Revolutionär*innen sind, die in Mauerfall-Manier auf die Straße gehen und ausblenden können, dass sie bereits durch neonazistische und rechtsradikale Kräfte unterwandert werden. Sie laufen neben und mit Neonazis und lassen sich vor den rechtsextremen Karren spannen.
Sie kritisieren „die da oben“ in Berlin und Potsdam, die weit weg sind, aber sind blind für die faschistischen Hetzer*innen der AfD, NPD und neonazistischer Kameradschaften, die direkt vor ihnen „spazieren“ gehen. Die Normalität, für die sie vielleicht meinen aufzustehen, wird es mit diesen Leuten nicht geben. Von eben diesen ist eher Gegensätzliches zu erwarten: Zum Beispiel die brutale Unterdrückung jener Meinungsfreiheit, die auf den „Spaziergängen“ so selbstverständlich ausgeübt wird.
[1] Beitrag der Antifaschistischen Recherchegruppe Frankfurt (Oder): https://recherchegruppeffo.noblogs.org/post/2021/03/02/kein-platz-fuer-neonazis-extrem-rechte-beteiligung-auf-frankfurter-querdenken-kundgebung-am-28-november-2020/ (zuletzt abgerufen am 21.12.2021)
[2] Foto vom Presseservice Rathenow:
https://www.flickr.com/photos/presseservice_rathenow/50658271381/in/album-72157717086598877/ (zuletzt abgerufen am 21.12.2021)
[3] Moz-Artikel vom 05.12.2021:
https://www.moz.de/lokales/frankfurt-oder/migration-in-brandenburg-100-anhaenger-der-afd-demonstrieren-in-frankfurt-_oder_-gegen-fluechtlinge-und-impfpflicht-61282237.html (zuletzt abgerufen am 21.12.2021)
[4] RBB-Artikel vom 07.11.2021:
https://www.rbb24.de/studiofrankfurt/politik/2021/11/frankfurt-oder-slubice-demo-flucht-gefluechtete-aufnahme-belarus-polen.html (zuletzt aufgerufen am 21.12.2021)
[5] Beitrag der Antifa Recherche Ostbrandenburg:
https://www.rbb24.de/studiofrankfurt/politik/2021/11/frankfurt-oder-slubice-demo-flucht-gefluechtete-aufnahme-belarus-polen.html (zuletzt abgerufen am 21.12.2021)
[6] bz-Artikel vom 16.03.2021:
https://www.bz-berlin.de/tatort/menschen-vor-gericht/steuern-hinterzogen-afd-abgeordneter-von-luetzow-gesteht-vor-gericht (zuletzt abgerufen am 21.12.2021)
[7] Beitrag von Kein Acker der AfD:
https://inforiot.de/birgit-bessin-unterschaetzte-rechte-projektmanagerin/ (zuletzt abgerufen am 21.12.2021)
[8] Inforiot-Artikel vom 25.11.2021
https://inforiot.de/birgit-bessin-unterschaetzte-rechte-projektmanagerin/
[9] Oderwelle-Artikel vom 19.12.2021:
https://oderwelle.de/afd-will-weiteren-protest-gegen-impfpflicht-und-beschraenkungen/ (zuletzt abgerufen am 21.12.2021)
[10] Moz-Artikel vom 20.12.2021:
https://www.moz.de/lokales/frankfurt-oder/protest-gegen-corona-regeln-hunderte-bei-telegram-_spaziergang_-in-frankfurt-_oder_-_-polizei-prueft-strafanzeige-61614337.html (zuletzt abgerufen am 21.12.2021)
[11] Oderwelle-Beitrag auf der Facebook Seite der Oderwelle v. 20.12.2021:
https://www.facebook.com/oderwelle/videos/proteste-in-frankfurt-oder/317566796892236 (zuletzt abgerufen am 21.12.2021)
[12] Beitrag der Antifaschistischen Recherchegruppe Frankfurt (Oder):
https://recherchegruppeffo.noblogs.org/post/2021/07/11/jugendtrainer-nazi-schlaeger-npd-kader-v-mann-oder-wolfsdompteur-die-verschiedenen-leben-des-siegfried-siggy-pauly/ (zuletzt abgerufen am 21.12.2021)
[13] Oderwelle-Beitrag auf der Facebook Seite der Oderwelle v. 20.12.2021 a.a.O.
[14]Spaziergang Frankfurt Oder – Kanal Intro: https://www.youtube.com/watch?v=pWiSOLroHMk
[15] rbb-Beitrag vom 18.12.2021:
https://www.rbb24.de/panorama/thema/corona/beitraege/2021/12/brandenburg-berlin-corona-proteste-hennigsdorf-rathenow-cottbus.html (zuletzt abgerufen am 21.12.2021)
[16] rbb-Beitrag vom 20.12.2021:
https://www.rbb-online.de/brandenburgaktuell/archiv/20211220_1930.html (zuletzt abgerufen am 21.12.2021)