Flüchtlingsrat Brandenburg fordert, den klaren Worten des Ministerpräsidenten entsprechende Taten folgen zu lassen.(Pressemitteilung vom 13.08.2018)
In der vergangenen Woche hatte sich Ministerpräsidenten Dietmar Woidke im Morgenmagazin des ZDF kritisch darüber geäußert, dass selbst Geflüchtete, die sich in einer Ausbildung befinden, nicht sicher vor Abschiebung wären. „Auf keinen Fall abschieben, wenn jemand eine feste Arbeitsstelle hat“, forderte Woidke im Interview. Denn das sei nicht nur für die Betroffenen selbst, sondern auch für die Betriebe frustrierend (1). Der Flüchtlingsrat Brandenburg begrüßt die klare Positionierung des Ministerpräsidenten zur Schaffung von Lebensperspektiven für Geflüchtete, die sich in Arbeit und Ausbildung befinden und fordert ihn auf, seinen politischen Handlungsspielraum entsprechend zu nutzen.
Die Praxis in Brandenburg weicht eklatant von Woidkes Forderung ab. „Einige Ausländerbehörden verhindern durch restriktive Praxis, das Geflüchtete eine qualifizierten Berufsausbildung aufnehmen können, selbst bei Vorlage eines unterzeichneten Ausbildungsvertrags. Anderen wird die Beschäftigungserlaubnis sogar nach Jahren der Beschäftigung bzw. nach Beginn der Ausbildung entzogen.“, so Kirstin Neumann vom Flüchtlingsrat Brandenburg. So auch Amir Tunje, er stellte Anfang Juli 2017 einen Antrag auf eine Ausbildungsduldung, legte der Ausländerbehörde Barnim alle erforderlichen Dokumente samt Ausbildungsvertrag zum Maschinen- und Anlagenführer bei einer Eberswalder Metallbaufirma vor. Kurz darauf erhielt er nicht etwa die Erlaubnis, sondern die Aufforderung nach Kenia auszureisen — die Ausländerbehörde hatte bereits einen Flug gebucht. Über ein Jahr hat es gedauert bis die Behörde nach Durchlaufen verschiedener Gerichtsinstanzen und endgültiger Entscheidung des OVG nachgeben und dem Ausbildungsbeginn zum 01.08.18 zustimmen musste. Es ist dem Betrieb zu verdanken, dass er trotz der behördlichen Hindernisse und Verzögerungen an der Ausbildung für Herrn Tunje festgehalten hat.
Der Flüchtlingsrat Brandenburg fordert die brandenburgische Landesregierung auf, Ausländerbehörden anzuweisen ihre Ermessensspielräume zu nutzen. Bei der Erteilung von Arbeitserlaubnissen und der Umsetzung von Bleiberechtsregelungen wie der Ausbildungsduldung liegt es häufig im Ermessen der Ausländerbehörden, diese zu ermöglichen. Momentan nutzen sie ihre Spielräume für das Bleiberecht und die Integration in Brandenburg nur selten zugunsten der Betroffenen. In Bezug auf die Ausbildungsduldung sollte der gesetzliche Anspruch durch eine Überarbeitung des Erlasses vom 27.10.2017 (2) ermöglicht werden: Der Besetzung einer Arbeits- oder Ausbildungsstelle muss stets Vorrang vor aufenthaltsbeendenden Maßnahmen gewährt werden. Auch berufsvorbereitende Maßnahmen und Studium sollten vor Abschiebung schützen. „Es ist unbedingt erforderlich, dass alle Geflüchtete in Arbeit oder Ausbildung eine Aufenthaltserlaubnis und somit eine langfristige Perspektive erhalten, wenn Woidke seine Stellungnahme wirklich ernst meint.“, so Neumann weiter.
(1)https://www.zdf.de/nachrichten/zdf-morgenmagazin/moma-vor-ort-woidke-100.html
(2)http://bravors.brandenburg.de/verwaltungsvorschriften/erlnr_10_2017
Pressekontakt: Kirstin Neumann 0160 56 33 193
Flüchtlingsrat Brandenburg
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Kategorie: (Anti-)Rassismus
97 Angriffe zählte die Opferperspektive im ersten Halbjahr 2018 im Land Brandenburg. Mittlerweile (Stand 1. August 2018) sind es über 100 Angriffe, die in diesem Jahr registriert wurden. Zum Vergleich: im ersten Halbjahr 2017 wurden 98 Fälle gezählt, im ganzen Jahr 171. Die weit überwiegende Zahl der Fälle (80) war rassistisch motiviert, herausragender regionaler Schwerpunkt Cottbus (22 Fälle). Angriffe waren zumeist Körperverletzungsdelikte (einfache KV: 46, gefährliche KV: 33). Die Opferperspektive fordert den Schutz der Betroffenen ernstzunehmen und aktiv zu verfolgen.
Fast täglich registrieren die Berater_innen für Betroffene rechter Gewalt des Vereins Opferperspektive neue Fälle. Da ist die Mutter, die mit ihrer Tochter im Supermarkt Persisch spricht und deswegen verbal rassistisch angegangen wird und, als sie sich dies verbittet, geschlagen wird. Da werden Moscheebesucher_innen mit Steinen beworfen. Da ist die schwangere Frau, die mit ihrem Freund von vermummten Rechten angegriffen wird, weil Neonazis glauben, dass sie rechte Aufkleber abgekratzt hätten.
Es muss festgestellt werden, dass es in den letzten Monaten keinen Rückgang rechter Gewalttaten gegeben hat. Das Niveau rassistischer Gewalt bleibt stabil hoch, obwohl viele Gründe, die in den letzten drei Jahren für den Anstieg rechter Gewalttaten herangezogen wurden, derzeit nicht gegeben sind. Weder gibt es in diesem Jahr Landtags- oder Bundestagswahlen, noch kommen derzeit in hoher Zahl Geflüchtete in Brandenburg an. Auch gibt es außerhalb des Cottbusser Großraums derzeit keine starken politischen Aktivitäten rechter Gruppen im öffentlichen Raum. Rassistische Gewalt ist in den letzten drei Jahren für einen Teil der Brandenburger Bevölkerung offenbar zu einer normalen und akzeptierten Handlungsweise im Umgang mit Migrant_innen geworden.
Dabei stellen in Fällen rassistischer Gewalt die registrierten physischen Angriffe nur die Spitze des Erlebens der Betroffenen dar. Neben den physischen Angriffen sind viele von ihnen täglich mit rassistischer Diskriminierung konfrontiert, werden nicht in Sportstudios gelassen, in Läden nicht bedient oder auf der Straße beschimpft. Das Erleben dieser alltäglichen Feindseligkeit in Verbindung mit der ständigen Angst vor Gewalt belastet die Betroffenen psychisch stark. Für einen syrischen Asylbewerber waren diese anhaltenden Anfeindungen und zwei tätliche Angriffe auf ihn in kurzer Zeit Auslöser einen Suizidversuch zu unternehmen.
Hannes Püschel, Berater der Opferperspektive, berichtet: „Wir haben es derzeit mit vielen Betroffenen, die schwerwiegende psychische Folgen davongetragen haben zu tun. Nach unserer Beobachtung sind staatliche Stellen, von der Polizei über die Justiz bis hin zu Ausländer- und Sozialbehörden immer wieder mit der aktuellen von massiver rechter Gewalt geprägten Situation überfordert und stellen kaum eine Hilfe für die Betroffenen dar. Wir müssen erkennen, dass seit drei Jahren anhaltende Hochphase rechter Gewalt kein vorübergehendes kurzfristiges Phänomen ist. Dementsprechend muss auf diese Lage seitens des Landes, der Kommunen und der Zivilgesellschaft reagiert werden und der Schutz der Betroffene höchste Priorität bekommen.“
Es sollte die große Abrechnung mit Brandenburgs Sozialministerin Diana Golze (Linke) werden. Offen wurde bereits in der Veranstaltungsankündigung im Internet ihr Rücktritt vom Ministeramt gefordert. Doch in den Redebeiträgen von Christian Kaiser und Elke Metzner, die heute die Hauptredenden bei der Kundgebung des extrem rechten Bürgerbündnisses Havelland waren, blieben die Anfeindungen gegen Golze und andere Politiker – im Vergleich zum üblichen Niveau der Veranstaltungsreihe – eher unspektakulär und marginal. Stattdessen strotzten die Reden vor allem wieder von Anfeindungen u.a. gegen Geflüchtete, „Arbeitsunwillige“ und insbesondere gegen den „linksversifften Multikultistaatsapparat der BRD“, der aus Sicht von Veranstaltungsteilnehmenden keine Politik in ihrem Sinne mache. Entsprechend läge der Fehler schon längst nicht mehr im System – das „System“ sei „der Fehler“, so Kaiser in seinem Redebeitrag.
Für fehlerhaft hielt der Vorsitzende des „Bürgerbündnisses Havelland“ e.V. offenbar auch den Straftatbestand der „Volksverhetzung“ und solidarisierte sich erneut mit der verurteilten Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck. Zudem begrüßte er die „Schutzzonen“-Propaganda der NPD und äußerte sich positiv gegenüber so genannten „Bürgerbewehren“.
Ein anderer Veranstaltungsteilnehmer sah hingegen vor allem anwesende Presse als Feindbild und versuchte auf einen Fotografen loszugehen. Ein Security-Mann verhinderte schließlich Tätlichkeiten.
Trotz geringer Teilnehmendenzahl und politischer Bedeutungslosigkeit geht von einigen Veranstaltungsgästen also nach wie vor eine hohe Aggressivität aus, die möglicherweise aus einer Mixtur aus einem falschen Rechteverständnis und Rechthaberei heraus resultiert.
Zu dem scheinen die Veranstaltenden auch nur bedingt Interesse zu haben, ihre Gäste im Zaum zu halten. Redner, wie Wolfgang Hoppe, scheinen jedenfalls an keiner Deeskalation interessiert zu sein. Er drohte einmal mehr vom Podium aus, gegen einen namentlich genannten Pressevertreter vorzugehen.
Beinahe harmlos wirkte dagegen der letzte Redner Ralf Maasch, der angesichts hoher Temperaturen kurz und knapp alle Zuhörenden aufforderte für „arme Tiere“ ein bisschen Wasser herauszustellen. Für Geflüchtete hat er allerdings kein Mitgefühl, wenn die Botschaft auf seinem T‑Shirt richtig gedeutet wird. Darauf werden sie indirekt als kriminelle Subjekte entmenschlicht, für die „Politiker“ haften würden.
Insgesamt nahmen 20 Personen an der abendlichen Versammlung des „Bürgerbündnisses“ teil.
Am 20.07.2018 versuchte eine Gruppe von 6 Anhängern der rechtsradikalen Partei “Der 3. Weg” auf dem Marktplatz in Templin mit einem Bollerwagen Unterschriften zu sammeln und wurde daran durch spontanen Protest erfolgreich gehindert.
Die Gruppe um Matthias Fischer und Patrick Krüger versuchte auf dem Templiner Marktplatz Unterschriften für ihre Wahlzulassung zur Europawahl zu erhalten. Die Polizei, die kurzzeitig anwesend war, verwies die Gruppe, von denen mehrere Personen einschlägig rechtsextreme und zum Teil verfassungsfeindliche Tattoos zur Schau stellten, nicht des Platzes. Auch wurde auf Nachfrage im Ordnungsamt der 3. Weg als normale Partei verhandelt und kein Spielraum gesehen, diesen “Infostand” zu unterbinden. So konnte die Gruppe sich also weiterhin mit einheitlichen TShirts, die sie als “National. Revolutionär. Sozialistisch.” auswiesen, Tattooschriftzügen, wie “Wolf’s hook – White Brotherhood” auf Patrick Krügers Hals und “Aryan hope” auf Mattias Fischers Kopf und mit ihrer rassistischen Propaganda auf dem Marktplatz aufhalten.
Daraufhin formierte sich spontan ein Protest für Bewegungsfreiheit von ebenfalls 6 Passantinnen, die die Neo-Nazis mit Diskussionen, Gesang und einem improvisierten Transparent abschirmten, bis diese nach etwa einer Stunde aufgaben und einpackten – ohne gesammelte Unterschriften.
Die Anastasia-Bewegung
Dieser Artikel erschien zuerst im AIB 119 | 2.2018
Auch wenn er lange auf sich warten ließ, der Sommer ist da! Mit ihm auch eine Reihe von esoterischen Terminen, die es sich lohnt zu verpassen, deren Hintergründe jedoch aufhorchen lassen. Wenn auf einem Festival neben Öko-Workshops „arisches Wissen weitergegeben“ wird und zu der deutschen Nationalhymne krude Strophen gedichtet werden, die von Blendung, fremden Mächten und Erwachen handeln, kann es sein, dass man sich auf einem Anastasia-Festival befindet. Mit entsprechendem Programm warb die Anastasia-Bewegung im letzten Jahr für das Festival inThüringen, an dem nach eigenen Angaben rund 550 Personen teilnahmen. Anfang September 2018 soll ein weiteres Festival mit dem Namen „Wiedergeburt“ stattfinden. Zudem organisieren AnhängerInnen der Szene bundesweit Treffen, Vorträge und Siedlerstammtische.
Die Anastasia-Buchreihe als Quelle der Bewegung
Die Anastasia-Bewegung beruht auf der Buchreihe „Die klingenden Zedern Russlands” von Wladimir Megre. Auf einer Geschäftsreise in die russische Taiga traf der 1950 in Russland geborene Megre 1994 angeblich eine Frau namens Anastasia, die einsam in der Wildnis lebt. Über seine Begegnung mit ihr berichtet Megre in insgesamt 10 Bänden, die in den Jahren 1996 bis 2010 auf russisch erschienen sind und mittlerweile auch auf deutsch vorliegen. Laut infoSekta, der schweizerischen Fachstelle für Sektenfragen, ist die Anastasia-Strömung eine „esoterische Bewegung mit einer stark nationalistischen, verschwörungstheoretischen und rechtsesoterischen Ausrichtung“.
Die Grundidee ist simpel: Jede Familie (bestehend aus Mann, Frau und Kindern) soll einen Hektar Land, den sogenannten Familienlandsitz, bewirtschaften und darauf ihr Haus bauen. Wenn alle Menschen diese Idee verfolgen würden, wären angeblich die Probleme dieser Welt gelöst und die Erde ein Paradies. Doch zwischen diesen fantastisch anmutenden Elementen finden sich auch immer wieder antisemitische, rassistische und sexistische Aussagen. Megre zeichnet eine stark vereinfachte Welt, in der böse Mächte und die Technokratisierung schuld an allem Übel sind.
Im ersten Band der Anastasia-Reihe „Tochter der Taiga” wird ausführlich von der Begegnung Megres mit Anastasia berichtet. Neben Ausführungen über ihre Wunderkräfte, die Bedeutung eines eigenen Gartens und von selbstgezogenem Gemüse, finden sich auch zahlreiche Andeutungen über dunkle Mächte, gepaart mit einem ausgeprägten Sexismus: „Zum Beispiel ist es mir unbegreiflich, wie die dunklen Kräfte es schaffen, die Frauen dermaßen zu verdummen, dass sie ahnungslos die Männer mit ihren Reizen anziehen und ihnen somit die richtige Wahl unmöglich machen, die Wahl der Seele.”[1] Während dem Mann die schöpferische Rolle zugeschrieben wird, gesteht Megre der Frau nur die passive Rolle der Muse zu.
In den weiteren Bänden geht es um die Bedeutung von Bäumen und Steinen, um Pädagogik, „die Schöpfung“ und das Wesen der Menschen. Im dritten Band „Raum der Liebe“ wird das Konzept der Schetinin-Schule vorgestellt. Inspiriert von der Anastasia-Lektüre, entwickelte der Lehrer Michail Petrowitsch Schetinin das Konzept, indem davon ausgegangen wird, dass Kinder allwissend sind und nur noch den Zugang zu ihrem Wissen finden müssen. Dann sei die sonst 11-jährige Schulausbildung auch in nur einem Jahr schaffbar. Zusätzlich zu dem Druck, den dieses Grundverständnis auf jedes einzelne Kind ausübt, kommt ein starker Militarismus und Nationalismus in der Ausbildung. Im europäischen Kontext wurde das Prinzip der Lais-‚Schulen‘ (in Wirklichkeit handelt es sich um Lerngruppen, da es keine Schul-Zulassung gibt) entwickelt, dass der Schetinin-Schule ähnelt, aber auch einige Unterschiede aufweist. Der Begriff ‚Lais‘ soll aus dem Gotischen stammen und übersetzt „ich weiß“ heißen.[2]
Vor allem im sechsten Band „Das Wissen der Ahnen” finden sich vermehrt antisemitische und rassistische Aussagen. So seien angeblich alle Jüd*innen von einem dunklen Oberpriester „programmiert“ worden und seitdem willenlose „Roboter“. Dies sei die Erklärung für all das Leid, dass den Jüd*innen in den letzten Jahrtausenden wiederfahren ist: „Da das schon mehr als ein Jahrtausend geschieht, kann man den Schluss ziehen, dass das jüdische Volk vor den Menschen Schulden hat. Aber worin besteht die Schuld? Die Historiker, die alten wie die neuen, sprechen davon, dass sie Verschwörungen gegen die Macht anzettelten. Sie versuchten alle zu betrügen, vom jungen bis zum alten. […] Das bestätigt die Tatsache, dass viele Juden wohlhabend sind und sogar auf die Regierung Einfluss nehmen können.“[3]
Die AnhängerInnen von Megre nutzen die Bücher als Informationsquelle und befolgen die dort gegebenen Anweisungen zum Aufbau von Familienlandsitzen. Wie ernst die Bewegung zu nehmen ist, zeigt auch die Unterstützung durch die russische Regierung: Mehrere Lokalregierungen haben kostenlos Land für die Gründung von Familienlandsitzen zur Verfügung gestellt.
Die Anastasia-Bewegung
In der Familienlandsitz-Bewegung treffen sich Ökos, „Weltverbesserer“, VerschwörungstheoretikerInnen und RassistInnen. Das verdeutlicht nicht zuletzt ein Beispiel aus Brandenburg.
„Solide arisch leben. […] fest verwurzelt – wie die deutsche Eiche. Deswegen, Männer: Baut ein Heim, legt einen Garten an, zeugt einen Sohn und pflanzt eine Eiche.“ — O‑Töne aus einem Video von Frank Willy Ludwig aus dem Juni 2017[4]. Ludwig ist Anastasia-Anhänger, lebt auf seinem Familienlandsitz in Liepe (Brandenburg)[5] und ist Betreiber der Internetseite „Urahnenerbe Germania“. Dort verknüpft Ludwig den Appell, „Familienlandsitze“ nach Anastasia aufzubauen mit Rasseideologien und antisemitischen Verschwörungstheorien.
Frank Willy Ludwig; Quelle: Urahnerbe Germania, 10.05.2018
Er stellt die Schuld Deutschlands am Holocaust in Frage, die die „vorläufigen Sieger […] uns reindrücken“, spricht von einer „Dämonkratie“, in der wir leben, einem „Weltjudentum“ und ersetzt die letzte Silbe von Wörtern wie Revolution und Zivilisation mit „-zion“.[6]
Kleingärtner werden laut Megre die Welt retten, und so erzählt auch Ludwig von sich als Gärtner und Weltretter.
Ähnlich krude und realitätsfern beschäftigt sich Thomas Patock, der 2016 wegen Holocaustleugnung und Volksverhetzung verurteilt wurde[7], mit den Anastasia-Romanen[8]. In reichsideologischer Manier möchte Patock, selbsternannter König von Wedenland, „den Aufbau von Familienlandsitzsiedlungen innerhalb des Deutschen Reiches sowie allen weiteren Königreichen im Staatenbund der Königreiche Wedenland [fördern]“[9]. Auf seiner Webseite heiltheke.de verkauft er Produkte, die aus Holz, Öl oder den Nüssen der Zedern bestehen.
Neben den oben genannten Akteuren spielen Gruppen, die bereits Land für ihre Familienlandsitz-Siedlung gekauft haben und sie nun aufbauen, eine große Rolle. Einerseits sind sie Vorzeigeobjekte in Reportagen und Fernsehsendungen, andererseits dienen bereits gegründete Siedlungen als Szenetreffpunkte. Mittlerweile existieren in Deutschland 12 Familienlandsitze, weitere sind in Planung.
Ein Beispiel ist das Goldene Grabow, eine Familienlandsitz-Siedlung in Brandenburg, auf der 18 Menschen auf bisher 23°ha leben. Dort fand 2015 nicht nur ein Anastasia-Festival statt, sondern laut einem Bericht des „Blick nach rechts“ auch das Sommerlager des rechtslastigen „Sturmvogel – Deutscher Jugendbund“[10]. Die Gruppe der SiedlerInnen lädt regelmäßig zu „volkssportlichen Wettkämpfen“, Festspielen und esoterischen Männer- und Schwesternkreisen ein. Zu den tabak- und alkoholfreien Events im Anastasia-Vorzeigeprojekt sind auch DorfbewohnerInnen herzlich eingeladen.
[1]Megre 2017: „Tochter der Taiga“, S. 66. 13. Taschenbuch-Auflage, Govinda-Verlag
[2]http://www.infosekta.ch/media/pdf/Anastasia-Bewegung_10112016_.pdf
[3]Megre 2016: „Das Wissen der Ahnen“, S.174. 7. Auflage, Verlag “Die Silberschnur”
[4]https://www.youtube.com/watch?v=CgFqrxCfFI0, letzter Aufruf 13.05.2018
[5]http://www.familienlandsitz.com/raum%20der%20liebe.htm
[6]https://www.youtube.com/watch?v=CgFqrxCfFI0, 14:50, letzter Aufruf 13.05.2018
[7]http://api.ning.com/files/V5Rxz5Og90O8SXY*4Q8*DUrOp9WUZrC2MS8XnHmsV7Kqp0T3nDucBs3sxYqjxiNugRi*kT0EbX5Rrrpkajsq4w9QTP8Sy0U6/WarumriskierenSiedasGefngnis.pdf
[8]http://static.woz.ch/1643/was-ist-die-anastasia-bewegung/990–000-jahre-mit-gott-im-paradies
[9]http://www.heiltheke.de/html/Heiltheke/index.php?XTCsid=b05813a33485a0a29d6d679c21ed20e1
[10]https://www.bnr.de/artikel/hintergrund/unter-dem-banner-des-sturmvogels
Gestern verurteilte das Amtsgericht Senftenberg nach einem Prozesstag den 19-jährigen Matthias W. zu einer Jugendstrafe von acht Monaten, ausgesetzt auf zwei Jahre Bewährung sowie zum Ableisten gemeinnütziger Arbeit im Umfang von 100 Stunden wegen des Angriffes auf eine schwangere Frau sowie weiterer Frauen und Kinder. Die Opferperspektive kritisiert die fehlende Nennung des politischen Motives in der Urteilsbegründung.
Die Aussagen der Verletzten, die als Zeuginnen gehört wurden, waren bedrückend: Der sichtlich angetrunkene Täter hatte sich am 25. August 2017 auf einem Spielplatz in Großräschen zielstrebig vor einer Gruppe von vier türkischen Frauen und ihren elf Kindern aufgebaut, sie rassistisch beleidigt und dann mit dem Finger auf einzelne Frauen gezeigt und sie nacheinander mit dem Tode bedroht. Er schlug einer offenkundig schwangeren Frau zunächst ins Gesicht und trat ihr mit erhobenen Bein in den Bauch als sie sich mit zwei kleinen Kindern auf dem Arm nicht schnell genug entfernen konnte. Einen 5‑jährigen Jungen, der vor ihm weglaufen wollte, trat er in den Rücken. Ein weiteres Mädchen flüchtete sich panisch auf die angrenzende befahrene Straße.
Nur durch glückliche Umstände erlitten die Betroffenen keine schwerwiegenden körperlichen Schäden, auch das Kind der Schwangeren wurde gesund geboren. Die psychischen Tatfolgen dauern dagegen bis heute an, schilderten die Betroffenen: Die Kinder hätten große Angst in der Öffentlichkeit und vermieden es z.B. auf Spielplätze zu gehen.
Anne Brügmann, Beraterin beim Verein Opferperspektive e.V., der die Betroffenen Frauen nach dem Angriff unterstützt und im Verfahren begleitet hatte, kommentierte den Prozess:
„Aus Sicht der Betroffenen ist es positiv, dass das Gericht mit der Verhängung einer Jugendstrafe die Schwere der Schuld des Täters anerkannt hat. Das Verfahren gab ihnen die Gelegenheit, ausführlich von ihrem Erleben öffentlich zu berichten und wahrgenommen zu werden. Allerdings war dies fast ausschließlich durch eine engagierte Nebenklagevertretung möglich. Insbesondere die Richterin hat sich so gut wie gar nicht für den rassistischen Hintergrund der Tat und wenig für die Folgen für die Betroffenen interessiert. Es ist nicht nachvollziehbar, warum die politische Motivation des Angriffs in der Urteilsbegründung mit keinem Wort erwähnt wurde“.
Auch das Plädoyer des Staatsanwalts, die Tat sei „zwar ausländerfeindlich, aber nicht politisch motiviert“ gewesen, ist aus Sicht der Opferperspektive eine Farce. Es reduziert Rassismus bzw. „Ausländerfeindlichkeit“ auf einen vermeintlichen Rand der Gesellschaft. Dabei sind es nicht allein organisierte Rechte, die politisch motivierte rassistische Gewaltstraftaten begehen. Der Angriff in Großräschen war die typische Tat eines Rassisten, der bei Gelegenheit vorsätzlich handelte. Wie alltäglich die Betroffenen den Rassismus erleiden, zeigte sich auch an diesem Verhandlungstag: „Zwar verstehe ich kein deutsch, aber ‚Scheiß Ausländer’ konnte ich verstehen, da wir diese Worte wirklich sehr oft hören”, äußerte eine der Betroffenen.
Vergangenen Sonnabend hielt die AfD Barnim eine Kundgebung unter dem Motto „Unsere Frauen und Töchter sind kein Freiwild“ auf dem Bahnhofsvorplatz in Bernau ab. Vor etwa 80 Teilnehmer*innen vermittelten die Redner*innen das in rechten Diskursen häufig bemühte Bild des „übergriffigen Fremden“ und instrumentalisierten sexualisierte Gewalt für rassistische Hetze und Angriffe auf die Asylpolitik Angela Merkels.
Etwa 40 Gegendemonstrant*innen versammelten sich mit Transparenten wie „Flüchtlinge Willkommen!“ oder „No Deportations“ und riefen Sprechchöre wie „Schluss mit Hetze!“.

Schafe und Wölfe
Der Vorsitzende der AfD Barnim, Klaus-Peter Kulack, eröffnete die Kundgebung mit einer hetzerischen Rede, in der er dazu aufrief, „Dem Gesindel den Kampf an zu sagen“. In Methaphern rief er die Kundgebungsteilnehmer*innen zu Gewalt auf:
„Seht euch vor – aus Schafen werden nämlich ganz schnell reißende Wölfe!“ (Teilnehmerrufe: „Ja!“) „Wir gewähren Leuten Schutz und unser Steuergeld und zum Dank benehmen sich einige wie der letzte Dreck gegen uns. Denen sagen wir: Wie sind nicht mehr eure Schafe, wir sind ab heute eure Wölfe! Wir sind die Herren im Haus und wir werden nur dulden wer sich hier vernünftig und angemessen bewegt. Alle anderen sollen uns fürchten lernen. Die Zeit der Schafe ist vorbei, Widerstand ist angesagt.“ (Sprechchöre „Widerstand!“)
„Wir wollen keine Schafe mehr sein! Gewöhnt euch daran, Wölfe zu sein, ab jetzt und ab sofort. Lasst uns die Wölfe zum Vorbild nehmen. Sie verteidigen ihre Rotte und fletschen die Zähne wenn sie ihr Revier verteidigen. Keine Frau und kein Mädchen ist Freiwild für hergelaufene Nichtsnutze. Und ich denke, wenn Sie merken, dass Sie keine Chance haben und auf selbstbewusste Menschen stoßen, die die ihnen die Zähne zeigen, werden sie ganz schnell dahin zurückkehren wo sie hergekommen sind. Die Zeit der Schafe ist vorbei!“
Kooperation mit der NPD
Unter den Teilnehmer*innen waren einige bekannte Aktivisten der NPD. Andreas Rokohl, langjähriger Aktivist der NPD Barnim, war zudem als offizieller Fotograf auf der AfD-Kundgebung, er trug eine Armbinde mit der Aufschrift „Medien“.

Weiterhin auffällig war, dass vier Teilnehmer T‑Shirts mit der Aufschrift „Schutzzone“ trugen und vor Beginn der Kundgebung für Fotos posierten. Diese wurden später auf der seit Juni 2018 bestehenden Facebook-Seite „Schutzzone Barnim“ veröffentlicht. Über diese Seite wurde auch die AfD-Kundgebung beworben. Hinter der „Schutzzone Barnim“ steckt die NPD Barnim, welche eine bundesweite Kampagne der NPD umsetzt. Ziel dieser Kampagne ist es, öffentlichkeitswirksam Bürgerwehren zu etablieren, um vermeintlich Recht und Ordnung durchzusetzen. Was das bedeutet, sieht man auf den auf „Schutzzone Barnim“ veröffentlichten Fotos. Darauf abgebildet sind durch Bernau patrouillierende Männer, die NPD-Aufkleber verkleben, und mit Reichsflaggen bestückte Gebäude.

INFORIOT — Am Donnerstag, den 05. Juli, verurteilte das Landgericht Neuruppin zwei Kremmener wegen gemeinschaftlich versuchter schwerer Brandstiftung. Sie verübten im April 2017 einen Anschlag auf die Gemeinschaftsunterkunft für Asylsuchende in Kremmen (Oberhavel). Das Gericht erkannte in dem Anschlag ein „fremdenfeindliches Motiv“.
Der 29-jährige Haupttäter Robert Urban muss für vier Jahre und sechs Monate in Haft. Er warf zwei selbst gebaute Brandsätze, so genannte Molotowcocktails, auf die Unterkunft. Durch den Bau und die Benutzung der Brandsätze hat er sich außerdem wegen Verstoß gegen das Waffengesetz strafbar gemacht. Der 35-jährige Mitangeklagte Nico Bensch wurde zu einer Bewährungsstrafe von drei Jahren verurteilt. Er war an der unmittelbaren Tat nicht beteiligt, wird jedoch für die Beteiligung an der Vorbereitung mitschuldig gemacht. Das Urteil des Landgerichtes folgt damit nicht den Forderungen der Staatsanwaltschaft. Diese hatte den Haupttäter wegen versuchten Mordes angeklagt und verlangte eine Haftstrafe von über neun Jahren.
Keine Tötungsabsicht
Zentral für die Entscheidung des Gerichtes war die Frage, ob es einen Tötungsvorsatz gab: Die Unterkunft, war zum Zeitpunkt der Tat bewohnt; in der Nacht brannte in einem der Zimmer Licht, ein Fenster war angekippt. Videoaufzeichnungen der Überwachungskamera zeigten, wie Urban einen Brandsatz gezielt in Richtung Fenster wirft. Einer der Bewohner, der sich in dem Zimmer aufhielt, schilderte vor Gericht, dass der Brandsatz das Fenster bzw. nah daneben die Fassade traf. Der Richter Udo Lechtermann erklärte in der Urteilsverkündung, dass ein Angriff, der in der Nachtzeit passiert und Menschen im Schlaf von dem Feuer überrascht werden, eine ernsthafte Gefährdung darstellt. Einen Mordversuch sieht er jedoch nicht. Dafür seien u.a. die Brandsätze zu klein. Auch schenkte er den beiden Angeklagten glauben, dass sie keine Personen schädigen wollten. Diese sagten aus „ein Zeichen setzen zu wollen“. Der Angriff, so der Richter, „zielte nicht nur auf die Bewohner, sondern auf alle Ausländer in der Region.“
„Dilettantisches Vorgehen“
Beide Täter waren von Beginn an geständig und zeigten Reue. „Es sei eine ganz dumme Aktion gewesen“, gaben Beide als Abschlussworte zu Protokoll. Die Staatsanwaltschaft sah in der Tat eine „dilettantische Aktion, die geeignet war sich selbst zu verletzen“. Urban und Bensch, so rekonstruierte das Gericht die Tatnacht, hatten in der Wohnung von Urban getrunken, RechtsRock gehört, sich über Zuwanderung und Geflüchtete unterhalten. Doch statt nur zu reden, verabredeten sich Beide um Taten sprechen zu lassen. Sie füllten zwei kleine Glasflaschen mit Rasenmäherbenzin, als Lunte dienten Socken. Gemeinsam machten sich die Täter auf den Weg zur zwei Kilometer entfernten Unterkunft. Auf dem Weg will Bensch auf seinen Kumpel eingeredet haben, die Aktion abzublasen. Da dieser nicht hörte, blieb Bensch einige Meter vor der Unterkunft stehen. Urban lief allein zum Gelände und warf beide Brandsätze.
„Zerstörerische Naziideologie“
Auch wenn sich die beiden Angeklagten bemühten, möglichst unpolitisch zu erscheinen, erkannte das Gericht die „nationale Gesinnung, gepaart mit Ausländerfeindlichkeit“. Fotos, Musik, Videos und Chatverläufe der Angeklagten zeigten deutlich deren neonazistische Ideologie.
Bensch beispielsweise hielt sich in Foren auf, deren Mitglieder sich „Deutsches Reich“, „Adolf Hitler“ oder „Eva Braun“ nannten. Urban sammelte insbesondere Militaria-Devotionalien, meinte dies aber nur aus Sammlerleidenschaft zu tun. Benschs Verteidiger, Rechtsanwalt Balke, warb um Nachsicht für die beiden Angeklagten. Er stellte Urban als wenig intelligente dar und auch sein Mandat Bensch sei zu bedauern, da er nun wieder im Keller seiner Eltern leben müsse. Balke ist der Meinung, die Naziideologie sei der einzige Halt, den die Beiden gehabt hätten. Bensch habe aber inzwischen, vor allem durch die U‑Haft, erkannt, wie zerstörerisch die Naziideologie sei und habe sich davon distanziert.
Flüchtlingsrat unterstützt offenen Brief von Tschetschen_innen aus Cottbus
Der Flüchtlingsrat Brandenburg unterstützt den beigefügten offenen Brief, in dem sich Tschetschen_innen aus Cottbus gegen die ihnen entgegengebrachten rassistischen Zuschreibungen sowie die angewandte Polizeigewalt wehren. Wir unterstützen ihre Forderungen nach einer Aufklärung der Vorfälle sowie nach einem Dialog zwischen den Verantwortlichen aus Ministerien, der Stadt Cottbus und den betreffenden Tschetschen_innen.
Die in dem Brief geschilderten Festnahmen etlicher Unbeteiligter, darunter Kranker, die Behandlung und Verwehrung von Rechten und Information auf der Polizeiwache, die Durchsuchungen von Kindern und ihren Eltern bei vorgehaltener Waffe sind unverhältnismäßig. Der offene Brief und das darin geschilderte Vorgehen der Behörden lassen ein rassistisches Profiling durch die Sicherheitsbehörden erkennen, das Tschetschen_innen unter Generalverdacht stellt und sie in ihren Grundrechten verletzt.
Die Verfasser_innen des offenen Briefes machen außerdem auf den antimuslimischen Rassismus gegenüber Tschetschen_innen aufmerksam, der ihnen im Alltag und bei Behörden sowie bei den Vorfällen der vergangenen Wochen entgegen schlägt. Rassistische Diskurse um innere Sicherheit werden dabei genutzt, um die Rechte von Tschetschen_innen im Asylverfahren und während ihres Aufenthaltes weiter einzuschränken, sie von Integrationsleistungen auszuschließen und sie gesellschaftlich zu isolieren.
Dabei werfen die Verantwortlichen demokratische Grundsätze gleich mit über Bord. So sprach der Leiter der Ausländerbehörde Cottbus Carsten Konzack auf dem vergangenen Sachsendorfer Bürgerdialog1 von Ausweisungen der betreffenden Tschetschenen, ohne dass eine Verurteilung seitens der Gerichte erfolgt wäre. Diejenigen, über deren Ausweisung nun in der Öffentlichkeit debattiert wird, haben gegen ihren ablehnenden Asylbescheid Klage beim Verwaltungsgericht eingelegt, das die behördlichen Bescheide prüft. Wenn Carsten Konzack sagt, er könne das Verfahren beschleunigen, ist das nicht nur anmaßend, sondern auch ein fragwürdiger Umgang mit der im Grundgesetz verankerten Gewaltenteilung.
In ihrem Offenen Brief schildern die Betroffenen ihre eigene Perspektive auf die aktuelle Situation in Cottbus und darüber hinaus. Es ist zentral, dass die Adressat_innen diese Perspektive sehr ernst nehmen, denn es ist eine Analyse, die in der öffentlichen Debatte bisher ungehört bleibt. Die Konstruktion von Tschetschen_innen als homogene Gruppe, von der eine Gefahr ausgehen würde, führt dazu, dass individuelle Schicksale, die Verletzlichkeit von einzelnen Betroffenen und die gravierenden Auswirkungen von Rassismus auf Einzelne ausgeblendet werden können. Wenn Menschen entmenschlicht werden, wird die Anwendung von Gewalt zu einem reinen Verwaltungsakt.
Seit Anfang des Jahres kritisiert der Flüchtlingsrat die zunehmende Kriminalisierung von Geflüchteten in Cottbus2. Der Flüchtlingsrat fordert einen selbstreflexiven Umgang der Behörden mit rassistischen Zuschreibungen, die sich in öffentlichen Äußerungen sowie ihren Handlungen widerspiegeln. Wir fordern ein Ende des vorgeschobenen und unverhältnismäßigen Sicherheitsdiskurses seitens der Behörden in Cottbus, deren Leidtragende schutzsuchende Menschen sind. Wir fordern die Aufklärung der Vorfälle in Cottbus und einen Dialog mit den Geschädigten.
1 https://www.lr-online.de/lausitz/cottbus/hartes-vorgehen-gegen-tschetschenen_aid-23645561
2 http://www.fluechtlingsrat-brandenburg.de/aktuelles/wessen-sicherheit-innenminister-auf-dem-rechten-auge-blind
Seit Anfang Juni 2018 beobachten wir einen Prozess gegen zwei kurdische Geschäftsleute aus Brandenburg. Der Vorwurf: gefährliche Körperverletzung.
Vermeintlich Geschädigter und Nebenkläger in dem Prozess ist Herr S. Dieser ist im Ort kein Unbekannter. Seit Jahren terrorisiert er vor allem migrantische Geschäftstreibende, pöbelt in ihren Gaststätten, beleidigt sie rassistisch, weigert sich seine Speisen und Getränke zu zahlen und wird handgreiflich, sobald er darauf angesprochen wird. Wiederholt übte er körperliche Gewalt aus. Fast überall hat er deshalb Hausverbot. Die Betroffenen sind von S. jedoch so stark eingeschüchtert, dass kaum ein Vorfall je zur Anzeige kommt.
Auch Herr F. und Herr L., Angeklagte im oben genannten Prozess, haben seit Jahren Probleme mit S. Über das Hausverbot in ihrem Laden hat er sich wiederholt hinwegsetzt. Die Lage ist so bedrohlich, dass F. und L.s Kund*innen wegbleiben und sie Schwierigkeiten haben, Mitarbeiter*innen zu finden. An einem Abend im Frühjahr 2015 eskaliert die Situation erneut: S. hämmert an die Scheibe, zeigt einen Hitlergruß und den emporgestreckten Mittelfinger und beschimpft die Inhaber rassistisch. Diese stellen S. zur Rede, verweisen auf ihr Hausrecht und rufen die Polizei, um Anzeige zu erstatten. Was dann passiert, gleicht einem Albtraum: Denn wie so oft bei solchen Vorfällen geriert sich der eigentliche Täter als Opfer und erstattet eine Gegenanzeige wegen angeblicher Körperverletzung. Diese Strategie baut auf einer rassistischen Komplizenschaft zwischen Täter und Polizei auf, für die keine Absprache notwendig ist und sie hat Erfolg: Die Beamt*innen ermitteln nur lückenhaft und gehen den Vorwürfen von S. nach, während sie die der beiden Ladeninhaber fallen lassen. In der Folge stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen S. ein und erhebt stattdessen Anklage gegen F. und L. Das liegt nicht nur an der rassistischen Ermittlungsarbeit der Polizei, sondern auch daran, dass sich kaum Zeug*innen finden lassen, die bereit sind, gegen S. auszusagen. Zu groß ist die Angst vor seinen Gewaltausbrüchen.
Im Prozess setzt sich die Täter-Opfer-Umkehr weitgehend fort. Die Verteidigung kommt trotz guter Vorbereitung nicht gegen den rassistischen Grundverdacht an, der besagt, dass ein „vermeintlich oder tatsächlich ausländisches Opfer zunächst immer ein Täter ist“. Trotz zum Teil wirrer und widersprüchlicher Zeugenaussagen ist eine Verurteilung von F. und L. nicht unwahrscheinlich. Für die beiden Angeklagten steht viel dem Spiel: Dieser und ähnliche Vorfälle bedrohen ihre Existenz. Sollte es zu einer Verurteilung kommen, wären sie außerdem vorbestraft, was für F. auch negative Auswirkungen auf sein Aufenthaltsrecht in Deutschland haben kann.
Rassistische Gewalt, einseitige Ermittlungen der Polizei, Kriminalisierung und Aufenthaltsregime, auch für Brandenburg scheint zu gelten: „Staat und Nazis Hand in Hand“. Wir solidarisieren uns mit den Angeklagten, fordern die sofortige Einstellung dieses absurden Verfahrens gegen F. und L. sowie ein Ende der rassistischen Gewalt!