Kategorien
(Anti-)Rassismus Antifaschismus

Chronik rechter Vorfälle 2020 in Märkisch-Oderland

Die Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt Märkisch­-Oder­land (BOrG) doku­men­tiert kon­tinuier­lich rechte Vor­fälle im Land­kreis und erstellt daraus Chroniken. Im Jahr 2020 haben wir 107 Vor­fälle im Land­kreis aufge­nommen, von Pro­pa­gan­da über Veranstal­tungen hin zu Angrif­f­en. Damit stieg die Zahl der reg­istri­erten Vor­fälle von 67 im Jahr 2019 um 60%. Dies lässt sich zum einen durch mehr Pro­pa­gandafälle, aber auch durch eine akti­vere Melder*innenstruktur erklären.

Überblick: Rechte Vorfälle im Jahr 2020

Die häu­fig­sten Vor­fälle im Jahr 2020 mach­ten Pro­pa­gandafälle aus (37 Vor­fälle). Dies sind zum Beispiel Schmier­ereien oder das Kleben von Stick­ern mit recht­en Inhal­ten. Rechte Selb­st­darstel­lung, also die Bewer­bung oder das Auftreten als rechte Struk­tur oder Parteien, sowie die Ver­harm­lo­sung und/oder Ver­her­rlichung des Nation­al­sozial­is­mus sind dabei die häu­fig­sten Motive. Ras­sis­mus, Anti­semitismus oder die Bedro­hung von poli­tischen Gegner*innen spie­len bei den Propa­gandafälle eher eine unter­ge­ord­nete Rolle. Zu beto­nen ist jedoch, dass sich zum einen immer eine ras­sis­tis­che und bedrohliche Di­mension in der recht­en Selb­st­darstel­lung zeigt und zum anderen expliz­it bei Stick­ern ras­sis­tis­che Motive in Kom­bi­na­tion mit Sti­ckern von Parteien oder Organ­i­sa­tio­nen gek­lebt wur­den. Auf die Betrachter*innen wirken sie im Stadt­bild so gemein­sam und beziehen sich aufeinander.

Mit 36 Ver­anstal­tun­gen im Jahr 2020 ist dies die zwei­thäu­fig­ste Vor­fall­sart. Nicht trotz, son­dern ger­ade wegen der Pan­demie hat sich die Zahl hier deut­lich gegenüber dem Vor­jahr (15 Ver­anstal­tun­gen im Jahr 2019) erhöht. Neben eini­gen Parteiver­anstal­tun­gen der „Alter­na­tive für Deutsch­land“ (AfD), die the­ma­tisch nicht die Pan­demie und die Maß­nahmen dage­gen auf­grif­f­en, waren die soge­nannten „Corona­Maßnahmen“ der Aus­lös­er für ein Gros der Ver­anstal­tun­gen. Bere­its im Zeitraum von März bis Juni gab es einige Ver­anstal­tun­gen dazu im Land­kreis. Ab Ok­tober fan­den dann aber regelmäßig Kundge­bungen in Straus­berg (Quer­denken Straus­berg 334) und in Wriezen (Schweige­marsch der AfD) statt. Beson­ders im Kon­text der Querdenken­Kundgebungen gab es hier immer wieder NS-­ver­harm­losende Bezüge.

Außer­dem haben wir 18 Pöbeleien, Belei­di­gun­gen und/oder Bedro­hun­gen aufgenom­men, wovon ein Großteil anti­semi­tisch mo­tiviert war (7 Vor­fälle von 18). Weit­ere Motive waren Ras­sis­mus (6 von 18), LGBTIQ*­Feindlichkeit (2 von 18) und gegen politi­sche Gegner*innen ge­richtet, NS­verherrlichend oder als rechte Selbstdar­stellung ver­mit­telt (je 1 von 18). Die Zahl der von uns reg­istri­erten sechs Angriffe im Jahr 2020 ist im Ver­gle­ich zum Vor­jahr leicht zurück­ge­gan­gen (8 Angriffe 2019). Dabei waren vier Angriffe ras­sis­tisch motiviert und erfol­gten gegen ver­meintlich als Geflüchtete wahrgenommene Per­so­n­en oder Geflüchtete­nun­terkün­fte. Zwei Angriffe richteten sich gegen poli­tis­che Gegner*in­nen. Eben­so gab es im Jahr 2020 sechs Sachbeschädi­gun­gen, wovon 4 anti­semi­tisch motiviert waren.

Straus­berg sticht wie auch schon die Jahre zuvor mit der Anzahl der Vor­fälle her­vor (ins­gesamt 32). Dies liegt vor allem an der guten Melder*innenstruktur vor Ort. Engagierte Men­schen melden uns hier Vor­fälle. Dies schafft eine gute Daten­lage und einen rea­listschen Überblick. Aber auch Wriezen mit 16 Vor­fällen und Müncheberg mit 14 Vorfäl­len, sowie Peter­sha­gen mit 11 Vor­fällen ste­chen her­aus. An den vie­len anderen Orten in Märkisch-­Oder­land ist von ein­er hohen Dun­kelziffer auszuge­hen. Es ist anzunehmen, dass sich die Zahlen in allen größeren Ortschaften auf einem ähn­lichen Niveau be­wegen, hier fehlen uns jedoch Melder*innen­strukturen und es kön­nen nur Vor­fälle aufgenom­men wer­den, die in der Presse, Sozialen Medi­en oder durch Polizeimeldun­gen öffentlich bekan­nt wer­den. Ins­beson­dere aus Bad Freien­walde hören wir immer wieder von ras­sis­tis­chen Vor­fällen, die auch regel­mäßig Angriffe bein­hal­ten. Unsen­si­ble Reak­tionen von Poli­tik und Polizei, sowie die Alltäglichkeit dieser Angriffe lassen die Be­troffenen oft resig­nieren und Anzeigen oder Hil­fege­suche wer­den unter­lassen. Damit lässt sich kein abschließen­des Bild der Lage in Märkisch-­Oder­land zeich­nen. Wir sind hier auf Hil­fe durch alle Mit­men­schen im Land­kreis angewiesen. Melden Sie uns rechte Vor­fälle jed­er Art. Nur so kön­nen wir gemein­sam etwas tun.

Bewaffneter Rechtsextremismus: Ein bundesweiter Trend auch in Märkisch-Oderland

Her­vorge­hoben sei an dieser Stelle folgen­der Vor­fall: Im März stellte die Polizei bei Haus­durch­suchun­gen mehrere Waf­fen und Nazide­vo­tion­alien sich­er, zwei Män­ner wur­den wegen Waf­fen­han­dels festgenom­men. Ger­ade in den ver­gan­genen Jahren waren ver­schwun­dene Waf­fen aus Bestän­den von Polizei und Bun­deswehr auch medi­al immer wieder The­ma. Zu sel­ten wird darauf hinge­wiesen, was mit diesen Waf­fen passiert: Oft­mals gelan­gen sie in die Hände von Neon­azis und beken­nen­den Ras­sis­ten. Meis­tens sam­meln diese die Waf­fen, trainie­ren damit oder leg­en geheime Lager an, um am “Tag X” darauf zugreifen und poli­tis­che Gegner*innen angreifen zu kön­nen. Doch immer wieder schre­it­en Neon­azis zur Tat und ver­let­zen und töten Men­schen. Lei­der besit­zen viele rechte Aktivis­ten zudem Waffen­scheine, da hier­für viel zu sel­ten der poli­tis­che Hin­ter­grund geprüft wird. Promi­nentes Beispiel dafür ist Tobias R., dem At­tentäter von Hanau, der 2020 neun Men­schen aus ras­sis­tis­chen Motiv­en tötete. Mel­dun­gen über Waf­fen­funde bei Neon­azis sind deshalb äußerst brisant und Lokal­ und Kommunalpolitiker*innen sowie Sicherheits­behörden soll­ten alles dafür tun, die Herkun­ft dieser Waf­fen aufzuk­lären und nicht zulas­sen, dass die rechte Szene sich weit­er bewaffnet.

Rassistische Mobilisierungen stärken rechte Strukturen

Als in Folge des lan­gen Som­mers der Mi­gration 2015 die ras­sis­tis­chen Mobilisierun­gen und Gewalt­tat­en schla­gar­tig zunah­men, zeigte sich dies auch in Mär­kisch-­Oder­land. Nicht nur gab es viele An­griffe und ras­sis­tis­che Ver­anstal­tun­gen, auch waren die meis­ten Pro­pa­gan­da­vor­fälle mit ras­sis­tis­chen Inhal­ten. Dies hat sich mitt­lerweile gewan­delt. Die ras­sis­tis­che Mobili­sierung hat zu ein­er Stärkung von recht­en Struk­turen beige­tra­gen, wie nicht nur an Wahlergeb­nis­sen zu sehen ist. Das hohe Maß an Vor­fällen, die in die rechte Szene hinein­wirken und die Organ­i­sa­tio­nen in der öffentlichen Wahrnehmung stärken, ist ein weit­eres Resul­tat davon. Auch jen­seits des Wahlkampfes wie im Jahr 2019 waren im let­zten Jahr viele Vor­fälle zu verze­ich­nen, die mit Parteien und Organ­i­sa­tio­nen zusam­menhängen. Ein beson­deres Augen­merk gilt hier auf neu ent­standene Struk­turen im Jahr 2020. Neben der „Divi­sion MOL“, die in der S5­Region aktiv ist, ist auch die zunehmende Aktiv­ität des „III. Weg“ zum Ende des Jahres zu beacht­en. Die neon­azis­tis­che Kleinstpar­tei zeich­net sich durch ihre Mil­i­tanz und einen elitären Habi­tus aus. Mit­tler­weile hat sich ein „Stützpunkt“ in Bad Freien­walde gegründet.

Antisemitismus weiter präsent

Das Tat­mo­tiv Anti­semitismus trat im Jahr 2020 sehr häu­fig auf. Dies zeigt, wie tief ver­wurzelt Anti­semitismus in der Gesellschaft ist. Sechs Fälle von anti­semi­tis­chen Pöbelei­en, vier Fälle von Sachbeschädi­gun­gen und eine Pro­pa­gan­damel­dung zeu­gen von einem großen und auch gewalt­täti­gen Poten­zial. Die Sachbeschädi­gun­gen richt­en sich in der Regel gegen Gedenko­rte, wie am 27. Jan­u­ar in Seelow, wo im Nach­gang zum Gedenken an die Befreiung von Auschwitz Blumenge­binde zer­stört wur­den oder am 31. Dezem­ber in Wriezen, wo zum wieder­holten Male die Gedenk­tafel für die in der Reichspogrom­nacht abge­bran­nte Syn­a­goge beschädigt wurde. Die Pöbeleien zeigen, dass sich Jüd*innen nicht sich­er in Märkisch-­Oder­land bewe­gen können.

Die AfD weit rechts

Der Kreisver­band der AfD Märkisch­-Oder­­land ist wie der gesamte Lan­desver­band nicht nur Flügel­nah, son­dern maßge­blich­er Teil des Flügels. Die unge­broch­ene Solidari­tät gegenüber des wegen sein­er Neon­azi-Ver­gan­gen­heit aus der Partei ausgeschlos­senen Andreas Kalb­itz, eine Ver­anstal­tung mit Björn Höcke in Hönow im Sep­tem­ber, so­wie eine kurz darauf fol­gende Ver­anstal­tung mit Götz Kubitschek, dem zen­tralen Intellek­tuellen der Neuen Recht­en machen dies deut­lich. Auch die aktive Zusam­me­nar­beit mit der Jun­gen Alter­na­tive Bran­den­burg, die schon länger als recht­sex­tremer Verdachts­fall von den Behör­den geführt wird, macht deut­lich, wie weit rechts die AfD in Märkisch­-Oder­land ste­ht. Betrof­fene aus Regio­nen und Gemein­den, in denen die AfD beson­ders stark ist, bericht­en immer wieder von Anfein­dungen seit­ens der AfD und ihrer Anhän­ger*innen. Men­schen, die sich ein­deutig und kon­se­quent von der AfD abgren­zen, sind Ziel von anony­men Pöbeleien im Inter­net, aber auch auf der Straße. Ihnen gehört unser Dank und unsere Unterstützung.

Die voll­ständi­ge Chronik und ergänzte Infor­ma­tio­nen sind in Form ein­er Broschüre hier zu down­load­en. Gedruck­te Exem­plare kön­nen gerne auch kosten­frei bestellt wer­den. Dazu ein­fach eine Mail an: ag-borg@horte-srb.de

Kategorien
(Anti-)Rassismus Flucht & Migration Law & Order

Afghanistan Abschiebung verschoben

Afghanistan Abschiebung ver­schoben: Jet­zt poli­tis­che Kon­se­quen­zen ziehen!

Der für heute geplante bun­desweite Sam­me­lab­schiebe-Char­ter nach Afghanistan wurde wegen Sicher­heits­be­denken ver­schoben. Dies bestätigt die Kri­tik von PRO ASYL und den Lan­des­flüchtlingsräten an den Abschiebun­gen nach Afghanistan, das laut Glob­al Peace Index das unsich­er­ste Land der Welt ist. Afghanistan befind­et sich sicher­heit­stech­nisch im freien Fall. Die prekäre Sicher­heit­slage hat sich durch den am 1. Mai begonnenen Abzug der NATO-Trup­pen weit­er ver­schärft. Wie das Macht­vaku­um gefüllt wird, ist ungewiss. Eine Zunahme der Angriffe durch die Tal­iban und Ver­suche zur Machtüber­nahme sind zu erwarten. Darüber hin­aus hat sich die wirtschaftliche Lage in Afghanistan auf Grund der Covid-19-Pan­demie extrem ver­schlechtert, sodass Abgeschobe­nen ohne famil­iäres oder soziales Net­zw­erk die Vere­len­dung dro­ht. Trotz­dem bleibe der Grund­satz des Innen­min­is­teri­ums zu Abschiebun­gen nach Afghanistan weit­er unverän­dert, wie dpa berichtet. Dass der für Dien­stag geplante Abschiebe­flug nicht voll­ständig abge­sagt, son­dern lediglich ver­schoben wurde, ist vol­lkom­men unangemessen.

PRO ASYL und die Lan­des­flüchtlingsräte fordern:

  • Die Bun­desregierung und die Bun­deslän­der müssen einen sofor­ti­gen und aus­nahm­slosen Abschiebestopp nach Afghanistan erlassen. Aus der prekären und völ­lig ungewis­sen Sicher­heit­slage sowie angesichts der desas­trösen wirtschaftlichen Sit­u­a­tion, die sich eben­falls mit dem Trup­pen­abzug weit­er ver­schär­fen wird, muss ein bun­desweites Abschiebe­ver­bot nach Afghanistan fol­gen, welch­es es bei der näch­sten Innen­min­is­terkon­ferenz zu beschließen gilt. Bere­its jet­zt kön­nen und müssen die Bun­deslän­der auch in eigen­er Ver­ant­wor­tung die Abschiebun­gen nach 60 a) Abs. 1 Aufen­thG für sechs Monate aus­nahm­s­los aussetzen.

Geflüchtete sind nach der Abschiebung aus Deutsch­land häu­fig auch in Afghanistan stig­ma­tisiert. Viele Gerichte, darunter auch der Ver­wal­tungs­gericht­shof in Baden-Würt­tem­berg, haben fest­gestellt, dass ihnen eine Rück­kehr ohne ein sta­biles famil­iäres oder soziales Net­zw­erk in Afghanistan nicht zuzu­muten ist.

  • )  Das Auswär­tige Amt muss die Lage und Ver­fol­gungssi­t­u­a­tion umge­hend neu bew­erten, da die Lage­berichte Grund­lage für Asy­lentschei­dun­gen des Bun­de­samt für Migra­tion und Flüchtlinge (BAMF) sind. Bish­er wer­den Asy­lanträge abgelehnt mit der Begrün­dung, es gebe inner­halb des Lan­des sichere Gebi­ete, soge­nan­nte inner­staatliche Fluchtal­ter­na­tiv­en. Doch nach dem Trup­pen­abzug der NATO kön­nen auch Städte wie Kab­ul nicht länger als sich­er gel­ten. Wie aus einem Spiegel-Artikel vom 29.04.2021 her­vorge­ht, schließen Außen- und Vertei­di­gungsmin­is­teri­um selb­st einen „Sturm auf Kab­ul” durch auf­ständis­che Grup­pen nicht mehr aus.

 

  • Mit dem Trup­pen­abzug muss allen afghanis­chen Ort­skräften – Dolmetscher:innen, Fahrer:innen und son­sti­gen Mitar­bei­t­en­den der Bun­deswehr, der Bun­de­spolizei und ander­er Organ­i­sa­tio­nen – mit ihren Fam­i­lien­ange­höri­gen schnell und unbürokratisch die Auf­nahme im Bun­des­ge­bi­et ange­boten wer­den. Sie müssen eine Aufen­thalt­ser­laub­nis in Deutsch­land erhal­ten. Diese Men­schen jet­zt zurück­zu­lassen, wäre für sie und ihre Fam­i­lien lebensgefährlich.

 

  • Die Bun­desregierung muss jet­zt den Fam­i­li­en­nachzug aus Afghanistan zu ihren in Deutsch­land leben­den Ange­höri­gen mit allen Mit­teln beschle­u­ni­gen und unter­stützen. Hierzu muss eben­so wie für Ort­skräfte ein schnelles, unbürokratis­ches Ver­fahren instal­liert wer­den. Für diese ist die Eröff­nung zweier Büros in Kab­ul und Masar‑e Sharif geplant, von wo aus die Auf­nahme organ­isiert wer­den soll. Da die Visaabteilung der Botschaft in Kab­ul infolge eines Anschlags weit­er­hin geschlossen ist, müssen diese Büros auch für den Fam­i­li­en­nachzug genutzt wer­den. Eine kurzfristige Auf­s­tock­ung des Per­son­als an den Botschaften in Islam­abad oder Neu-Del­hi – die derzeit für Visaanträge afghanis­ch­er Staat­sange­höriger zuständig sind – ist notwendig. Angesichts der Zeitk­nap­pheit und der Gefahren, die den Antrag­stel­len­den bei der Reise dor­thin dro­hen, reicht das jedoch nicht aus. Es kann schutz­suchen­den Afgha­nen nicht zuge­mutet wer­den, monate­lang in Neu-Del­hi oder Islam­abad auf Ter­mine zur Visumsver­gabe zu warten.

 

  • Das BAMF muss seine Wider­ruf­sprax­is ändern. In jün­ger­er Zeit wider­ruft das BAMF in zahlre­ichen Fällen, in welchen noch vor weni­gen Jahren jun­gen unbe­gleit­eten Min­der­jähri­gen die Flüchtling­seigen­schaft wegen (dro­hen­der) Zwangsrekru­tierung durch die Tal­iban zuge­sprochen wor­den war, kurz nach Erre­ichen der Volljährigkeit den Flüchtlingssta­tus. Das darf nicht länger gängige Prax­is sein. Auch Abschiebungsver­bote wer­den mit Erre­ichen der Volljährigkeit wider­rufen, da das Bun­de­samt davon aus­ge­ht, dass es jun­gen Män­nern möglich ist, ein Leben am Rande des Exis­tenzmin­i­mums auch ohne famil­iäres oder soziales Net­zw­erk zu führen. Dies ist indessen – wie jüngst im oben genan­nten Urteil des VGH Baden-Würt­tem­berg deut­lich aufgezeigt wurde – nicht der Fall. Wider­rufe des BAMF müssen fol­glich unterbleiben.

 

  • Ein gesichertes Bleiberecht muss es auch für jene Afgha­nen geben, die nur mit ein­er Dul­dung in Deutsch­land leben oder sich seit Jahren im Asylver­fahren befind­en. Kein Afghane, keine Afghanin in Deutsch­land darf in der jet­zi­gen Lage zurück­geschickt wer­den – egal, ob sie erst vor weni­gen Monat­en angekom­men sind oder seit Jahren hier leben. Die Fol­gen ein­er Dul­dung sind nicht nur ein Leben in ständi­ger Angst, Per­spek­tivlosigkeit und Armut, son­dern auch gerin­gere Chan­cen auf dem Arbeits- und Woh­nungs­markt, in der Bil­dung und in der Entwick­lung per­sön­lich­er Poten­ziale. Let­ztlich sind dies auch ver­passte Chan­cen für die Gesellschaft, in der diese Men­schen leben. Mit Blick auf die gemein­same gesellschaftliche Zukun­ft ist es geboten, diesen Men­schen jet­zt eine Lebensper­spek­tive zu eröff­nen und ihnen die in einem solchen Fall anstelle von Ket­ten­dul­dun­gen geset­zlich vorge­se­henen Aufen­thalt­ser­laub­nisse zu erteilen.
Kategorien
(Anti-)Rassismus Flucht & Migration

Memorandum von Geflüchteten an den Brandenburger Landtag

Wir sind schutz­suchende Men­schen, die direkt von Ital­ien nach Deutsch­land über ein Relo­ca­tion­pro­gramm gekom­men sind. Wir ver­bracht­en zwei Tage auf offen­er See, bevor uns das Ret­tungss­chiff Open Arms ret­tete. Da Ital­ien das Ein­fahren des Schiffs block­ierte, ver­bracht­en wir weit­ere 20 Tage zwis­chen dem 1. und 20. August 2019 auf dem Mit­telmeer. Nun leben wir in Pots­dam, in ein­er Stadt, die sich „Sicher­er Hafen“ nen­nt. Aber unser Asylge­such ist abgelehnt worden!

Pots­dam ist kein Sicher­er Hafen für uns. Die deutsche Poli­tik hat uns unser Recht auf eine Aufen­thalt­ser­laub­nis beraubt! Bevor wir in Deutsch­land angekom­men sind, führte das Europäis­che Unter­stützungs­büro für Asyl­fra­gen (EASO) ein­schließlich des deutschen Inlands­ge­heim­di­en­stes in Poz­za­lo in Ital­ien unser Asylver­fahren durch. Unser Asylge­such wurde von der deutschen Bun­desregierung nach eini­gen Monat­en akzep­tiert: Die von dem Seenotret­tungss­chiff Open Arms geretteten Migrant*innen unter­schrieben ein Doku­ment, das die deutsche Regierung zuvor an ital­ienis­che Ein­wan­derungs­beamte schickte.

Eben­falls unter­schrieb die ital­ienis­che Ein­wan­derungs­be­hörde in Cro­tone Ital­ien dieses Doku­ment, aber uns wurde das Recht ver­weigert, die Kopie des Doku­ments zu erhal­ten. In Ital­ien sagten sie, dass die deutsche Regierung mit diesem Doku­ment unser Asyl akzep­tiert. Als wir in Deutsch­land anka­men, ver­langte das Bun­de­samt für Migra­tion und Flüchtlinge (BAMF) erneut einen Asy­lantrag, was aber nahezu für alle der 132 Migrant*innen aus der Relo­ca­tion abgelehnt wurde!

Es scheint uns, dass die deutsche Regierung uns “relo­cat­ed” hat, um uns in eine Falle für eine mögliche Abschiebung zu lock­en, denn einige von uns haben mehrmals Dul­dun­gen und Abschiebebeschei­de erhal­ten, weshalb viele auf­grund der Sit­u­a­tion Deutsch­land ver­lassen haben und in andere Zuflucht­slän­der geflo­hen sind. Wir entwick­eln Trau­ma­ta und andere gesund­heitliche Prob­leme. Das ist kein Leben in einem Sicheren Hafen!

Wir haben vor, eine bessere Zukun­ft aufzubauen! Aber wo ist unser Recht, diese Zukun­ft zu begin­nen? Dies ist ein bar­barisch­er Akt, um unsere Zukun­ft durch die deutsche Regierung zu beenden.

Hört auf, unser Bleiberecht und unser Recht auf Schutz zu verweigern!

Hört auf, ras­sis­tisch zu uns zu sein!

Wir brauchen unser Bleiberecht, wir sind ver­wirrt, wie kann die Regierung uns umsiedeln, während sie uns gle­ichzeit­ig auf­fordert, zu gehen? Wohin? Nach Ital­ien oder ins Mittelmeer?

Die Men­schen in Pots­dam sagen, dass sie ein Sicher­er Hafen sein wollen. Warum sollen wir dann abgeschoben werden?

Das Wichtig­ste, was über allem ste­ht, ist: Wir brauchen eine Per­spek­tive, um in Deutsch­land zu bleiben.
Wie kann sich Deutsch­land offiziell ein sicheres Land nen­nen, wenn wir keine Sicher­heit­en haben?

Wenn wir eine Dul­dung nach der anderen erhal­ten, wenn wir jedes Mal mit einem mul­mi­gen Gefühl zur Aus­län­der­be­hörde gehen, mit der Angst, abgeschoben zu wer­den. Stattdessen erwarten wir jedes Mal einen Auf­schrei aus dem Par­la­ment, wenn Abschiebun­gen stat­tfind­en — neuerd­ings sog­ar mit­tenin der Nacht. Der Zus­tand des prekären Aufen­thalts dauert für viele Schutz­suchende 5 oder 6 Jahre, ver­lorene Jahre im Leben eines Men­schen. Das zähe Ver­fahren zeigt, wie restrik­tiv die Aus­län­der­be­hörde mit Aufen­thalts­genehmi­gun­gen umgeht.

Wir fordern daher, dieses Sys­tem der Ket­ten­dul­dun­gen zu been­den, Abschiebun­gen zu ver­mei­den und stattdessen alle beste­hen­den Bleiberecht­sregelun­gen zu nutzen, um Bleibeper­spek­tiv­en zu schaffen!

Wir fordern vom Bran­den­burg­er Landtag:

• Abschiebun­gen sind Ent­führun­gen! Wir wollen einen Abschiebestopp durch die Lan­desregierung, nicht nur in Corona-Zeiten!

• Weisen Sie Ihre Aus­län­der­be­hör­den an: Wir wollen Empow­er­ment- und Bleiberecht- Vere­in­barun­gen statt Abschiebun­gen! Die Aus­län­der­be­hör­den sollen durch eine Anweisung der Lan­desregierung uns eine mehrjährige Zeit garantieren, in der wir einen Weg zum sicheren Aufen­thalt gezeigt bekom­men und nutzen kön­nen, wie wie z.B. über Deutschkurse und Aus­bil­dungs- und Jobmöglichkeiten.

• Set­zen Sie sich dafür ein, dass die Kom­munen wie Pots­dam selb­st­ständig geflüchtete Men­schen aufnehmen kön­nen! Weg mit dem Veto-Recht der Bun­desregierung gegen eine selb­st­bes­timmte Aufnahme!

Wir fordern von der Pots­damer Stadtregierung:

• Geben Sie nie­man­den zur Abschiebung frei! Pots­dam ist kein Sicher­er Hafen, wenn abgeschoben wird!

• Weisen Sie Ihre Aus­län­der­be­hörde an: Wir wollen Empow­er­ment- und Bleiberecht-Vere­in­barun­gen statt Abschiebun­gen! Die Aus­län­der­be­hörde Pots­dam soll durch eine Anweisung der Stadtregierung uns eine mehrjährige Zeit garantieren, in der wir einen Weg zum sicheren Aufen­thalt gezeigt bekom­men und nutzen kön­nen, wie wie z.B. über Deutschkurse und Aus­bil­dungs- und Jobmöglichkeiten.

Wir danken für Ihr Verständnis!

King­gs­ley Anok­wute, Sylvester Ochuko und Sun­day Endurance
c/o Refugees Eman­ci­pa­tion e.V. Dor­tus­tr. 46, 14467 Potsdam
Email: info@refugeesemancipation.com  Tel: 017636266043

Kategorien
(Anti-)Rassismus Flucht & Migration

Protest gegen die Ausländerbehörde am 27.4.2021

Aufruf für den 27. April 2021:
An alle geflüchteten Men­schen, an alle Sup­port­er und an alle, die wirk­lich einen SICHEREN HAFEN FÜR ALLE haben wollen:
Wir, geflüchteten und schutz­suchen­den Men­schen, protestieren! Raus auf die Straße am Dien­stag, den 27. April um 11:30 Uhr vor dem Rathaus Pots­dam, Friedrich- Ebert-Straße 79/81!
Wir, Frauen, sind am 8. März am Frauen­tag auf die Straße gegan­gen und haben laut­stark unser Bleiberecht in Pots­dam einge­fordert. Wir haben gegen den struk­turellen Ras­sis­mus in der Pots­damer Aus­län­der­be­hörde demon­stri­ert! Wir haben ein Gespräch mit dem Ober­bürg­er­meis­ter gefordert – er wollte aber nicht mit uns über unsere Sit­u­a­tion reden und schick­te nur eine Stel­lvertreterin vor!
Wir sind wütend! Seit mehr als 2 Jahren spricht der Ober­bürg­er­meis­ter davon, dass Pots­dam ein „Sicher­er Hafen” für geflüchtete Men­schen sei! Seit 2 Jahren hat sich unsere Sit­u­a­tion nicht verbessert! Seit 2 Jahren block­iert und drangsaliert die Pots­damer Aus­län­der­be­hörde unser Leben. Wir wollen eine Lebens- und Bleibeper­spek­tive haben wie alle anderen Potsdamer*innen auch! Wir sind hier und wir bleiben hier. Unsere Kinder wach­sen hier auf. Viele von uns arbeit­en — alle bezahlen Steuern. Wir sind Teil dieser Gesellschaft!
Wir wer­den nicht mehr still sein, bis wir gle­iche Rechte für alle haben.

Wir wollen Tat­en sehen und keine leeren Worte hören. Es ist genug gere­det wor­den! Wir fordern:
1. Rück­tritt vom Aus­län­der­be­hör­denchef Andy Meier! Wer seit Jahren das Inte­gra­tionskonzept ignori­ert, wer seit Jahren alle Spiel­räume nutzt, um unser Leben schw­er zu machen, darf kein Chef der Aus­län­der­be­hörde in einem „Sicheren Hafen” sein!
2. Willkom­men­skul­tur statt Aus­län­der­be­hörde! Wir wollen einen Par­a­dig­men­wech­sel – wir wollen eine kom­plett andere Behörde, damit sie alle Spiel­räume nutzt, um unsere Bleibeper­spek­tive zu verbessern!
3. Keine weit­ere Block­ade mehr gegen die Erteilung von Aufen­thalt­ser­laub­nis­sen für uns Frauen, deren Kinder deutsche Staat­sange­hörigkeit haben.

4. Stopp das Sys­tem der Ket­ten­dul­dun­gen! Abschiebun­gen stop­pen! Stattdessen: Empow­er­ment-Vere­in­barun­gen für alle abgelehn­ten Schutz­suchen­den, ange­fan­gen mit geflüchteten Per­so­n­en aus der Seenotrettung.
5.Sofortige Erteilung von Arbeitserlaubnissen!
6.Sammellager auflösen! Unter­bringung in zen­tral gele­ge­nen Woh­nun­gen. Wir wollen Auszugser­laub­nisse für alle und wir wollen die Chance haben, einen Wohn­berech­ti­gungss­chein zu bekommen!

ENGLISH
Call for 27 April 2021: To all refugee, to all sup­port­ers and to all who real­ly want to have a SAFE HABOUR FOR ALL:
We, refugees and peo­ple seek­ing pro­tec­tion, are protesting!
Get out on the street on Tues­day, 27 April at 11:30 am in front of Pots­dam City Hall, Friedrich-Ebert-Straße 79/81!
We, women, took to the streets on 8 March on Women’s Day and loud­ly demand­ed our right to stay in Pots­dam. We demon­strat­ed against the struc­tur­al racism in the Aus­län­der­be­hörde! We demand­ed a talk with the may­or — but he did­n’t want to talk to us about our sit­u­a­tion and only sent a deputy!
We are angry! For more than 2 years the May­or has been talk­ing about Pots­dam being a “safe Har­bour” for refugees! For 2 years our sit­u­a­tion has not improved! For 2 years the Aus­län­der­be­hörde has been block­ing and harass­ing our lives. We want to have a per­spec­tive to live and stay like all oth­er peo­ple in Potsdam!
We are here and we will stay here. Our chil­dren are grow­ing up here. Many of us work — all of us pay tax­es. We are part of this society!
We will not be qui­et until we have equal rights for all. We want to see action and not hear emp­ty words. There has been enough talk!

We demand: 1. Res­ig­na­tion of the head of Aus­län­der­be­hörde: Andy Meier! Who has been ignor­ing the Inte­gra­tionskonzept of Pots­dam for years, who has been using all lee­way to make our lives dif­fi­cult for years, should not be the head of Aus­län­der­be­hörde in a “safe Harbour”!
2. Wel­come cul­ture instead of Aus­län­der­be­hörde! We want a par­a­digm shift — we want a com­plete­ly dif­fer­ent Aus­län­der­be­hörde so that it uses all lee­way to improve our prospects of staying!
3. No more block­ing the grant­i­ng of res­i­dence per­mits for us women whose chil­dren have Ger­man nationality.
4. Stop the sys­tem of chain Dul­dun­gen! Stop depor­ta­tions! Instead: Empow­er­ment agree­ments for all reject­ed pro­tec­tion seek­ers, begin­ning with refugees from sea rescue.
5. Grant work per­mits immediately!
6. Close all Camps! We want accom­mo­da­tions in cen­tral­ly locat­ed flats with pri­va­cy. We want move-out per­mits for all and we want to have the chance to get a “Wohn­berech­ti­gungss­chein” as every­body else in a sit­u­a­tion with few money!

Kategorien
(Anti-)Rassismus Antifaschismus jüdisches Leben & Antisemitismus Law & Order Parlamentarismus

Die tödliche Dimension von Rechts wird unterschätzt

Die tödliche Dimension von Rechtsterrorismus, Antisemitismus, Rassismus und rechter Gewalt wird noch immer unterschätzt

Neun Men­schen wur­den beim recht­ster­ror­is­tisch und ras­sis­tisch motivierten Atten­tat in Hanau am 19. Feb­ru­ar 2020 ermordet. Doch trotz aller Erk­lärun­gen von Strafver­fol­gungs­be­hör­den, Jus­tiz und Innen­poli­tik wird die tödliche Dimen­sion rechter, ras­sis­tis­ch­er und anti­semi­tis­ch­er Gewalt noch immer nicht aus­re­ichend erfasst.  

Ras­sis­mus, Anti­semitismus und Ver­schwörungsnar­ra­tive haben in 2020 während der Coro­n­a­pan­demie zu ein­er für viele Men­schen extrem bedrohlichen Zunahme von poli­tisch rechts motivierten Gewalt­tat­en geführt. Am 19. Feb­ru­ar 2020 wur­den in Hanau Fer­hat Unvar, Gökhan Gül­tekin, Hamza Kur­tović, Said Nesar Hashe­mi, Mer­cedes Kier­pacz, Sedat Gür­büz, Kaloy­an Velkov, Vili Viorel Păun und Fatih Saraçoğlu durch einen ras­sis­tisch motivierten Atten­täter ermordet, der weit­ere Men­schen ver­let­zte und anschließend seine Mut­ter und sich selb­st tötete. Dass Ras­sis­mus und Recht­ster­ror­is­mus die Motive für eines der schw­er­sten recht­ster­ror­is­tis­chen Atten­tate seit der Jahrtausendwende waren, wird auch von den Strafver­fol­gungs­be­hör­den eben­so wie von Bun­des- und Lan­despoli­tik­ern anerkannt.

Wie schon in den Vor­jahren müssen wir fest­stellen, dass in den Jahres­bi­lanzen der Strafver­fol­gungs­be­hör­den der Län­der und des BKA zahlre­iche Gewalt­tat­en aus 2020 fehlen, in denen die Täter mit unglaublich­er Bru­tal­ität vorge­gan­gen sind und offen­sichtlich aus ras­sis­tis­ch­er und rechter Moti­va­tion gehan­delt haben”, kri­tisiert Robert Kusche vom Ver­band der Beratungsstellen für Betrof­fene rechter, ras­sis­tis­ch­er und anti­semi­tis­ch­er Gewalt (VBRG e.V.). „Dabei haben die Betrof­fe­nen die Schussver­let­zun­gen, Tritte, Schläge und Messer­stiche der recht­en Täter oft nur durch glück­liche Umstände überlebt.”

Die nach wie vor man­gel- und lück­en­hafte Erfas­sung und Anerken­nung von Ras­sis­mus, Anti­semitismus und Recht­sex­trem­is­mus als Tat­mo­tive durch Polizei und Jus­tiz ver­schleiert das Aus­maß der tödlichen Dimen­sion rechter Gewalt und lässt die Betrof­fe­nen im Stich”, betont Robert Kusche.

Fol­gende Beispielfälle vol­len­de­ter und ver­suchter Tötungs­de­lik­te haben Opfer­ber­atungsstellen des VBRG in 2020 reg­istri­ert, die bis­lang von den Lan­deskrim­i­nalämtern und dem BKA nicht als Poli­tisch motivierte Krim­i­nal­ität-Rechts (PMK-Rechts)-Gewalttaten gew­ertet werden.

Altenburg, 12.02.2020: Ein 52-Jähriger wird in sein­er Woh­nung von zwei jun­gen Män­nern mit Bezü­gen zur recht­en Szene mit einem Mess­er ange­grif­f­en und mit Schlä­gen und Trit­ten gegen Oberkör­p­er und Kopf so lange mis­shan­delt, bis er stirbt. Zu ihren Motiv­en geben die Angreifer im Mord­prozess am Landgericht Gera im März 2020 an, sie hät­ten den Mann für seine ange­bliche Homo­sex­u­al­ität und ver­mutete Pädophilie bestrafen und ihm einen „Denkzettel” ver­passen wollen. Bis­lang ist offen, ob das LKA Thürin­gen den Mord als PMK-Rechts Tötungs­de­likt wertet. www.ezra.de

Schwe­in­furt, 25.02.2020: Ein 19-jähriger Algerier wird am Faschings­di­en­stag auf dem Roß­markt durch einen Messer­stich in den Herz­muskel lebens­ge­fährlich ver­let­zt. Bei dem 27-jähri­gen Täter wer­den zahlre­iche recht­sex­treme Pro­pa­gandage­gen­stände und ein­schlägige Szenek­lei­dung gefun­den. Den­noch lässt das Urteil der Schwurg­ericht­skam­mer des Landgerichts Schwe­in­furt die Frage nach Ras­sis­mus als Tat­mo­tiv offen. Der Täter wird wegen gefährlich­er Kör­per­ver­let­zung zu fünf Jahren Haft verurteilt. In den PMK-Rechts Sta­tis­tiken des LKA Bay­ern wird der Fall nicht erwäh­nt. www.bud-bayern.de

Halle/Saale, 01.05.2020: An ein­er Straßen­bahn­hal­testelle wer­den kurz vor 1 Uhr nachts zwei syrische Geflüchtete von drei Unbekan­nten umringt, ras­sis­tisch und homo­phob belei­digt und dann unver­mit­telt zu Boden geschla­gen. Ein­er der bei­den Ange­grif­f­e­nen erlei­det lebens­bedrohliche Kopf- und Gesichtsver­let­zun­gen und muss mehrfach operiert wer­den. Die Ermit­tlun­gen wegen ver­sucht­en Totschlags sind über Monate block­iert, weil die Staat­san­waltschaft Halle die Ermit­tlungsak­ten „ver­liert”. Das LKA Sach­sen-Anhalt führt den Angriff nicht in der PMK-Rechts Sta­tis­tik. Auch in der Anklage, die die Staat­san­waltschaft Halle mit­tler­weile erhoben hat, fehlen Ras­sis­mus und Homo­pho­bie als Tat­mo­tive. www.mobile-opferberatung.de

Stral­sund, 21.05.2020: Eine Gruppe von fünf Recht­en greift nach ras­sis­tis­chen Belei­di­gun­gen einen Geflüchteten aus Soma­lia an und schlägt ihn bewusst­los. Dann zer­ren die Angreifer den leblosen Kör­p­er des Betrof­fe­nen auf eine viel befahrene Straße. Nur Dank des beherzten Ein­greifens eines Zeu­gen über­lebt der Betrof­fene den Angriff. Obwohl der Betrof­fene die ras­sis­tis­chen Belei­di­gun­gen ver­standen und der Ers­thelfer die Angreifer als Rechte beschrieben hat, wertet das LKA Meck­len­burg-Vor­pom­mern den Angriff nicht als PMK-Rechts Gewalt­tat. Eine Anklage gegen die polizeibekan­nten Angreifer gibt es bis heute nicht. www.lobbi-mv.de

Guben, 22.05.2020: Zwei Geflüchtete sind mit dem Fahrrad auf dem Weg zum Super­markt, als ein Auto mit über­höhter Geschwindigkeit auf sie zufährt mit frt Absicht, sie anz­u­fahren. Beim Ver­such auszuwe­ichen, ver­let­zt sich ein­er der Geflüchteten. Dann legt der Aut­o­fahrer den Rück­wärts­gang ein und ver­sucht erneut, die Geflüchteten anz­u­fahren. Kurze Zeit später ver­sucht der Aut­o­fahrer einen drit­ten Geflüchteten anz­u­fahren. Die Amok­fahrt endet erst, als das Auto des Angreifers sich am Bürg­er­steig verkan­tet. Die Täter flücht­en zu Fuß und wer­den kurze Zeit später gefasst. Ein­er von ihnen wird der recht­en Szene zuge­ord­net. Eine Anklage ist bis heute nicht erhoben. Das LKA Bran­den­burg wertet den Fall nicht als PMK-Rechts Gewalt­tat. www.opferperspektive.de

Dres­den, 30.08.2020: Bei ein­er Open-Air-Technopar­ty in der Dres­den­er Hei­de mit vie­len Besucher*innen aus der alter­na­tiv­en Szene belei­digt ein 16-jähriger Rechter zunächst eine Besucherin ras­sis­tisch und zeigt den Hit­ler­gruß. Dann sticht er mit einem Mess­er auf einen jun­gen Mann und eine jun­gen Frau ein und ver­let­zt bei­de lebens­ge­fährlich. Die Staat­san­waltschaft Dres­den hat inzwis­chen Anklage wegen zweifachen ver­sucht­en Mordes erhoben, sieht jedoch kein recht­es Tat­mo­tiv. Das LKA Sach­sen führt den Angriff nicht als PMK-Rechts Gewalt­tat. www.raa-sachsen.de/support/beratung

13.06.2020, Coburg: Am Gold­bergsee greifen drei Män­ner eine syrische Fam­i­lie mit Kleinkindern an. Mit der Dro­hung „Ich steche euch ab, ihr K***[rassistisches Schimpf­wort]!” schlägt der Haupt­täter so bru­tal mit ein­er Met­all­stange auf den Kopf des Fam­i­lien­vaters, dass dieser dauer­haft den Großteil seines Hörver­mö­gens ver­liert. Obwohl die Staat­san­waltschaft von ein­er ras­sis­tisch motivierten Tat aus­ge­ht und Ras­sis­mus im Plä­doy­er her­vorhebt, hält das Amts­gericht Coburg das Angriff­s­mo­tiv für ungek­lärt und verurteilt den Angreifer wegen Kör­per­ver­let­zung zu ein­er 16-monati­gen Haft­strafe. Das LKA Bay­ern führt den Angriff nicht als PMK-Rechts Gewalt­tat. www.bud-bayern.de

Esens, 20.07.2020: Am Abend des 20. Juli 2020 wird ein soma­lis­ch­er Fam­i­lien­vater unver­mit­telt vom Gast­ge­ber ein­er pri­vat­en Par­ty mit einem umge­baut­en Luft­gewehr bedro­ht und dann durch Schüsse lebens­ge­fährlich ver­let­zt. Der Betrof­fene ver­liert einen Teil sein­er Lunge und muss inten­sivmedi­zinisch behan­delt wer­den. Das Landgericht Aurich verurteilt den 29-jähri­gen Täter, der Mit­glied recht­sex­tremer Chat­grup­pen war und in sein­er Woh­nung Schwarzpul­ver gehort­et hat­te, im März 2020 zu 9,5 Jahren Haft wegen ver­sucht­en Mordes und benen­nt Ras­sis­mus und Aus­län­der­feindlichkeit als Tat­mo­tive. Den­noch wird der Fall vom LKA Nieder­sach­sen bis­lang nicht als PMK-Rechts Gewalt­tat genan­nt. https://betroffenenberatung.de/

Kategorien
(Anti-)Rassismus Flucht & Migration Law & Order

Asylpolitik kostet Leben

Asylpolitik kostet Leben

Drei Suizide von Geflüchteten in Berlin und Brandenburg innerhalb weniger Wochen

Im Feb­ru­ar und März 2021 nah­men sich drei Geflüchtete aus Pots­dam, Eber­swalde und Berlin das Leben. Für Ange­hörige und Berater*innen ste­ht fest: Die drei Män­ner wur­den durch das Asyl­sys­tem mas­siv unter Druck geset­zt. Sie erhiel­ten nicht den Schutz, den sie in Deutsch­land gesucht hatten. 

Pots­dam:
A. H. aus Afghanistan nahm sich am 16. Feb­ru­ar 2021 mit 43 Jahren das Leben.
Er hat­te seit neun Jahren um die Fam­i­lien­zusam­men­führung mit sein­er Frau gekämpft. 
Ohne Erfolg. 

In sein­er Zeit in Deutsch­land war A.H. psy­chisch und kör­per­lich zunehmend erkrankt. Er hat­te eine Niere ver­loren und litt unter starken Schmerzen auf­grund von drei Brüchen an der Wirbel­säule. Nach neun Jahren auf der Flucht hat­te er im Dezem­ber endlich den Flüchtlingssta­tus in Deutsch­land bekom­men. Doch die neun­jährige Tren­nung von sein­er Frau und sein jahre­langer Kampf um Fam­i­li­en­nachzug war verge­blich und trieb ihn in die Verzwei­flung. Er hat­te psy­chother­a­peutis­che Behand­lung, Gesund­heits­ber­atung und eine Selb­sthil­fe­gruppe in Anspruch genom­men. Seit der Pan­demie litt er jedoch unter einem Man­gel an geeigneten Ange­boten Pots­dam und an sozialer Isolation.

Shorreh Bad­dieh, Trau­mather­a­peutin bei XENION:
„Ins­beson­dere in Bran­den­burg ist die Ver­sorgungsstruk­tur für geflüchtete Men­schen mit psy­chis­chen Prob­le­men schlecht. Ich mache mir aktuell um mehrere mein­er Patien­ten große Sor­gen wegen Suizidge­fahr. Sie brauchen drin­gend Hil­fe, tre­f­fen aber vor allem in der Akutver­sorgung immer wieder auf Men­schen mit geringer interkul­tureller Kom­pe­tenz und erhal­ten keine Dol­metschung in ihre Muttersprache.”

Chris­tiane Weber, Psy­chol­o­gis­che Psy­chother­a­peutin bei XENION:
„Wir sehen aktuell, dass der psy­chis­che Druck ger­ade bei den Men­schen, die sich in ein­er unsicheren Aufen­thaltssi­t­u­a­tion befind­en und auf­grund ihrer Geschichte bere­its schw­er belastet sind, enorm steigt. Coro­na wirkt dabei wie ein Bren­n­glas. Das große Prob­lem ist, dass es keine reg­uläre Ver­sorgungsstruk­tur im Sinne von qual­i­fizierten ther­a­peutis­chen Ange­boten für sie gibt, und auch der Zugang zu den Akut­sta­tio­nen der Psy­chi­a­trien oft schwierig ist. Dies ist aber ger­ade jet­zt umso nötiger, um Men­schen in Exis­ten­zkrisen zu stärken und damit Suizid­präven­tion zu ermöglichen. Hinzu kommt, dass unsere Gutacht­en, in denen wir auf die psy­chis­che Belas­tung und Suizidal­ität hin­weisen, mit­tler­weile immer häu­figer von Behör­den und Gericht­en als Gefäl­ligkeitsgutacht­en diskred­i­tiert werden.”
 
Eber­swalde: 
Salah Tayar aus dem Tschad nahm sich am 11.3.2021 mit 35 Jahren das Leben. 
Er hat­te seit acht Jahren um ein Recht zu bleiben gekämpft. 
Ohne Erfolg. 

Salah Tayar kam als junger Mann im Tschad wegen Unge­hor­sam in ein Mil­itärge­fäng­nis. In den zweiein­halb Jahren dort wur­den er regelmäßig gefoltert. Nach jahre­langer Flucht durch Libyen und übers Mit­telmeer erre­ichte er Deutsch­land. Sein Asy­lantrag wurde abgelehnt, weil der Tschad als sich­er gilt. Im April hätte er einen let­zten Ter­min vor dem Ver­wal­tungs­gericht Frankfurt/Oder im Klagev­er­fahren – mit kaum Aus­sicht auf Erfolg- gehabt. Fre­unde und Ange­hörige beschreiben, dass die unklare Aufen­thaltsper­spek­tive ihn in eine tiefe Depres­sion stürzte.

Sein Cousin Yahia Mohammed:
„Salah hat jahre­lang für ein men­schen­würdi­ges Leben gekämpft, im Tschad und in Deutsch­land. Trotz allem, was er durchgemacht hat, wurde ihm kein Schutz gewährt. Sein Asyl wurde abgelehnt, obwohl er seine ganze Geschichte offen­gelegt hat­te. Das hat ihm jede Per­spek­tive auf ein Leben in Würde ger­aubt. Daran ist Salah zerbrochen.” 
Weit­er führt Yahia Mohammed aus:
„Salah hat 8 Jahre im Heim in Eber­swalde gelebt, er hat­te eine Dul­dung und damit keine umfassende Arbeit­ser­laub­nis. Die Sit­u­a­tion im Heim ist schlimm, es gibt nichts zu tun, das treibt Men­schen in die Hoff­nungslosigkeit. Der Ras­sis­mus im öffentlichen Raum in Eber­swalde kommt hinzu. Es gibt viele Men­schen, den es so geht, die nicht mehr wis­sen, wie sie die Sit­u­a­tion aushal­ten sollen.”
 
Mustafa Hussien von Barn­im für Alle:
“Salah floh vor Folter, vor der Unter­drück­ung und Poli­tik der tschadis­chen Regierung unter der Führung von Dik­ta­tor Idriss Deby. Salah lebte unter uns als ruhiger und guter Men­sch. Es gibt eine Gruppe von Geflüchteten, die noch leben, aber unter den gle­ichen Bedin­gun­gen wie Salah lei­den. Wir als Gruppe ‚Barn­im für Alle’ und als in der Region lebende Geflüchtete erk­lären unsere völ­lige Ablehnung dieser Poli­tik und wollen dafür kämpfen, dass sich die Geset­ze verändern.”

Berlin
Alpha Oumar Bah aus Guinea nahm sich in der Nacht vom 16.3.2021/17.3.2021 mit 27 Jahren das Leben. Er hat­te seit mehr als drei Jahren um eine Bleibeper­spek­tive gekämpft. Ohne Erfolg. Er hat­te sehr große Angst vor ein­er Abschiebung. 

Alpha Oumar Bah lebte in ein­er Unterkun­ft für Geflüchtete in Berlin und ver­di­ente seinen Leben­sun­ter­halt bei ein­er Reini­gungs­fir­ma. Er war im Asylver­fahren und lebte in der Angst vor Abschiebung.
Der Berlin­er Innense­n­a­tor Andreas Geisel hat­te im Feb­ru­ar eine Del­e­ga­tion des Regimes in Guinea ein­ge­laden, um die Iden­tität von Geflüchteten aus Guinea zu klären und damit die nöti­gen Doku­mente für eine Abschiebung ausstellen zu kön­nen. Im Vor­feld wur­den schwarze Men­schen im Gör­l­itzer Park wegen ange­blich­er Deal­erei kon­trol­liert. Nach Aus­sagen der Polizei gegenüber der taz sei die Polizei zu dieser Zeit zudem auf der Suche nach „rel­e­van­ten Per­so­n­en zur Vorstel­lung vor der Guineis­chen Expertenkom­mis­sion”[1]gewe­sen. Bei einem Pres­seter­min in Gör­l­itzer Park unter­stre­icht der Innense­n­a­tor diese ras­sis­tis­che Prax­is. Bish­er wurde in 15 von 22 Men­schen aus Berlin die Guineis­che Staats­bürg­er­schaft fest­gestellt und die Betrof­fe­nen abgeschoben. Als eines von drei Bun­deslän­dern beteiligte sich Berlin unter anderem am 16.3. an den bun­desweit­en Sam­me­lab­schiebun­gen nach Guinea. Die Del­e­ga­tion soll im Herb­st erneut nach Berlin kom­men. Am 15.03.2021 gab es in der Unterkun­ft, in der Alpha Oumar Bah lebte, einen Polizeiein­satz, um die Abschiebung ein­er anderen Per­son zu vol­lziehen. Es ist anzunehmen, dass all dies Alpha Oumar psy­chisch mas­siv unter Druck setzte.
 
Rachid von Ayében Berlin
„Die Del­e­ga­tion aus Guinea hat die Aus­bil­dungs­dul­dung nicht anerkan­nt. Men­schen, die mit­ten in der Aus­bil­dung standen, wur­den nach Guinea abgeschoben. Wir fra­gen den Innense­n­a­tor von Berlin, wie kann das sein? Dieses Vorge­hen hat Panik aus­gelöst. Die Angst vor ein­er Abschiebung ist unsag­bar groß. Dass die Del­e­ga­tion erneut im Herb­st 2021 nach Deutsch­land kom­men soll, erschreckt die Men­schen sehr.”
 
Alpha von Ayében Berlin
„Die Sit­u­a­tion in Guinea ist sehr schwierig, zum einen ist die Bevölkerung schut­z­los der glob­alen Covid-19 Pan­demie aus­ge­set­zt, auf der anderen Seite bre­it­et sich Ebo­la erneut aus. Hinzu kommt, dass viele Oppo­si­tionelle im Gefäng­nis sitzen. Gle­ichzeit­ig gibt es schwere Men­schen­rechtsver­let­zun­gen. Die Lage in Guinea ist desaströs.”
 
Wir fordern von der Berlin­er und Bran­den­burg­er Lan­desregierung poli­tis­che Konsequenzen: 
> Öffentliche voll­ständi­ge Aufk­lärung der Suizide.
> Anerken­nung des Gesuch­es auf Schutz und Asyl.
> Erle­ichterung der Familienzusammenführung.
> Gedol­metschte und kul­tursen­si­ble Akutver­sorgung und Therapieangebote.
> Bleiberecht für psy­chisch belastete und trau­ma­tisierte Menschen.
> Keine Abschiebung in Län­der, die von Men­schen­rechtsver­let­zun­gen gekennze­ich­net sind.
> Keine Zusam­me­nar­beit mit dik­ta­torischen Reg­i­men zur Beschaf­fung von Abschiebepapieren.

Wir laden ein zur Kundgebung: 
13. April, 12–17 Uhr
Eber­walde Ausländerbehörde
Pfeilstr/Schicklerstr. 
 

https://www.berliner-krisendienst.de/ar

https://www.berliner-notruf.de

Si vous êtes en crise ou si le sui­cide est un sujet dif­fi­cile pour vous en ce moment, prenez soin de vous si vous voulez lire ce texte maintenant. 
Con­seil anonyme à :

 

If you are in cri­sis or sui­cide is a dif­fi­cult top­ic for you right now, please take care of your­self if you want to read this text right now. 
Anony­mous coun­selling at: 

Wenn du in ein­er Krise bist oder Suizid ger­ade für dich ein schwieriges The­ma ist, bitte achte auf dich, ob du diesen Text ger­ade lesen möchtest.
Anonyme Beratung unter:

Kategorien
(Anti-)Rassismus

Unter Weißen – Was es heißt, privilegiert zu sein

Wie erlebt jemand dieses Land, der dazuge­hört, aber für viele anders aussieht? Eine Lesung über unbe­wusste Priv­i­legien und ver­steck­ten Ras­sis­mus aus der Per­spek­tive von Einem, der täglich damit kon­fron­tiert ist.

Unter Weißen – Was es heißt, priv­i­legiert zu sein
Autoren­le­sung und Gespräch mit Mohamed Amjahid
Mon­tag, 12. April 2021 | 18.00 Uhr
Online-Ver­anstal­tung: www.adb-brandenburg.de/livestream

Wenn er sich in der U‑Bahn neben eine Frau set­zt, umk­lam­mert diese plöt­zlich ihre Hand­tasche. Am Flughafen wird er regelmäßig von Polizis­ten zur Rou­tinekon­trolle her­aus­gepickt und eine Flüchtling­shelferin am Münch­n­er Haupt­bahn­hof erk­lärt ihm, wie man Seife benutzt. Mohamed Amjahid, Sohn marokkanis­ch­er Gas­tar­beit­er und als Jour­nal­ist bei ein­er deutschen Zeitung unfrei­willig „Inte­gra­tionsvor­bild”, kann von vie­len solch­er Sit­u­a­tio­nen bericht­en, die Nicht-Weiße wie er in der deutschen Mehrheits­ge­sellschaft täglich erleben. Ob skur­ril, empörend, pein­lich oder unge­wollt pater­nal­is­tisch – diskri­m­inieren­des Ver­hal­ten und ras­sis­tis­che Vorurteile find­en sich keineswegs bloß bei unverbesser­lichen Recht­en, son­dern auch bei denen, die sich für aufgek­lärt und tol­er­ant halten.

In seinem neuen Buch “Der weiße Fleck” zeigt der Autor, wie stark struk­tureller Ras­sis­mus, weiße Priv­i­legien und Othering/Andersmachung unsere Gesellschaft polar­isieren. Ras­sis­tis­ches Denken ist tief in unser­er Gesellschaft ver­ankert — und doch unsicht­bar für die weiße Mehrheits­ge­sellschaft. Diese blind­en Fleck­en will Mohamed Amjahid in seinem Buch auflösen. Er beschreibt dabei nicht nur, wie das Sys­tem weißer Priv­i­legien wirkt, son­dern zeigt auch ganz konkret, wie
wir unseren Ras­sis­mus ver­ler­nen kön­nen, um dem Ziel ein­er friedlichen, gerecht­en und inklu­siv­en Gesellschaft gemein­sam näher zu kommen.

Veranstalter*in: Antidiskri­m­inierungs­ber­atung Bran­den­burg / Opfer­per­spek­tive — Sol­i­darisch gegen Ras­sis­mus, Diskri­m­inierung & rechte Gewalt e.V.

Diese Ver­anstal­tung wird im Rah­men des Mod­ell­pro­jek­ts „changel­og – Gle­ich­be­hand­lung kom­mu­nal” durchge­führt. Changel­og ist in den Städten Cot­tbus und Pots­dam aktiv, bietet Betrof­fe­nen von ras­sis­tis­chen Diskri­m­inierun­gen Beratung sowie Unter­stützung an und wirbt um mehr Diskri­m­inierungssen­si­bil­ität in bei­den Stadtgesellschaften.

Gefördert vom Bun­desmin­is­teri­um für Fam­i­lie, Senioren, Frauen und Jugend im Rah­men des Bun­de­spro­gramms „Demokratie leben!”

Wichtiger Hin­weis:
Die Ver­anstal­tenden behal­ten sich vor, von ihrem Haus­recht Gebrauch zu machen und Per­so­n­en, die durch demokratie‑,menschen- oder ver­fas­sungs­feindliche Äußerun­gen oder Hand­lun­gen in Erschei­n­ung getreten sind, den Zutritt zu unseren Ver­anstal­tun­gen zu ver­wehren oder sie von diesen auszuschließen. Hierzu zählen ins­beson­dere Per­so­n­en, die neon­azis­tis­chen oder extrem recht­en oder son­st extrem­istis­chen Parteien oder Organ­i­sa­tio­nen ange­hören, der extrem recht­en oder son­st ein­er extrem­istis­chen Szene zuzuord­nen sind oder bere­its in der Ver­gan­gen­heit durch ras­sis­tis­che, nation­al­is­tis­che, anti­semi­tis­che, sex­is­tis­che, homo­sex­uellen- oder trans­feindliche Äußerun­gen oder Hand­lun­gen in Erschei­n­ung getreten sind. 

Kategorien
(Anti-)Rassismus

Wir werden weiter kämpfen“

Geflüchtete in Brandenburg/Havel machen Spon­tan-Kundge­bung vor der Aus­län­der­be­hörde. Sozialamt und DRK nehmen Gespräch­sange­bot an. Inte­gra­tions­beauf­tragte von Stadt und Land vor Ort.

So, wie wir heute hier ste­hen, wün­schen wir uns die Gesellschaft: Geflüchtete ste­hen mit Deutschen Seite an Seite und arbeit­en als Team“. So eröffnete Eric Mbi­akeu am Dien­stag (30.3.21) eine angemeldete Kundge­bung auf dem Neustädtis­chen Markt. Ins­ge­samt 100 Geflüchtete sowie 20 Unterstützer_innen nah­men teil, auch Frau Lem­mer­meier und Frau Tietz als Inte­gra­tions­beauf­tragte des Lan­des und der Stadt hörten sich die Rede­beiträge an.

Von der einge­planten Musik beka­men sie dabei kaum zu hören: Die Bewohner_innen der Sam­melun­terkün­fte Flämingstraße und Upstall­straße hat­ten so viel zu sagen, dass die angemelde­ten drei Stun­den durchge­hend mit Rede­beiträ­gen und poli­tis­chem Gesang gefüllt waren. Ins­ge­samt bracht­en 13 Men­schen aus neun Län­dern ihre Sor­gen, Hoff­nun­gen und Forderun­gen zum Ausdruck.

Wir sind gekom­men, um hier zu bleiben“ stellte etwa Franklin aus Kamerun klar — und ergänzte: „Wir wollen ein aktiv­er Teil der deutschen Gesellschaft wer­den“. Doch die Leben­sträume viel­er junger Geflüchteter stün­den vor ein­er harten Probe: „Wenn du jahre­lang in einem Lagerst wohnst, hörst du auf zu Träumen“.
Unter den Redner_innen nah­men einige zum ersten Mal an ein­er poli­tis­chen Ver­samm­lung Teil. So etwa ein 17-jähriger Junge aus Tschetsche­nien: „Ich lebe seit sieben Jahren in Deutsch­land, ich kenne das Land mein­er Eltern kaum. Deutsch­land ist meine Heimat. Aber wegen mein­er Dul­dung darf ich keine Aus­bil­dung anfan­gen. Was soll ich machen?“.

Andere Forderun­gen wie bezahlbares Wohnen, gute öffentliche Mobil­ität, starkes Inter­net und faire Löhne hät­ten dabei all­ge­meine Gültigkeit: „Den Kampf um soziale Gerechtigkeit müssen ja nicht nur die Geflüchteten führen: Wir kön­nen nur eine offene und sol­i­darische Gesellschaft wer­den, wenn alle Men­schen gute Lebens­be­din­gun­gen haben — egal ob als deutsche Rent­ner­in, Allein­erziehen­der oder eben als neuer Mit­bürg­er“, erk­lärt Josch­ka Waas von See­brücke Pots­dam die poli­tis­che Hal­tung der Teilnehmenden.

Zwis­chen­drin gab es auch ruhige Momente. Mit ein­er Schweigeminute gedacht­en die Men­schen der jüng­sten Todes­fälle Bran­den­burg­er Lagerbewohner_innen, darunter Salah Tay­yar. Der Mann aus dem Tschad hat­te sich vor zwei Wochen offen­bar auf­grund der dro­hen­den Abschiebung in Eber­swalde das Leben genommen.
„Wie viele sollen in den Lagern noch an Coro­na, Gewalt und dro­hen­der Abschiebung ster­ben?“, fragte Fiona aus Kenia im Anschluss sichtlich bewegt in den Raum. „No Jus­tice – No Peace“ („Ohne Gerechtigkeit – Kein Frieden“) und „Stopp Duldung!“-Sprechchöre waren die Antwort.
In Absprache mit der über­aus fre­undlich auftre­tenden Ein­sat­zleitung der Polizei tru­gen einige der Kundgebungsteilnehmer_innen daraufhin spon­tan mit Schildern ihre Forderun­gen vor die Aus­län­der­be­hörde der Stadt. „Wir suchen kein Prob­lem mit der Stadt, son­dern Möglichkeit­en für eine Besserung“, brachte Serges aus Kamerun dort mit Mega­fon zum Ausdruck.

Am Ende zeigten die Veranstalter_innen sehr zufrieden mit der Aktion. „Wir kon­nten 200 Infor­ma­tion­szettel an inter­essierte Brandenburger_innen verteilen und freuen uns über das Presse-Echo“, freute sich Eric Mbi­akeu als Anmelder der Demon­stra­tion. Dass die Leitung von Sozialamt und DRK ihr Gespräch­sange­bot auf­greifen, nehmen sie pos­i­tiv zur Ken­nt­nis. An den Dia­log haben sie konkrete Erwartun­gen: „Es muss kurz- und mit­tel­fristige Maß­nah­men für wesentliche Besserung geben“, stellt Mbi­akeu klar. Die Leute stellen sich auf einen lan­gen und schwieri­gen Weg ein. „Wir wer­den auch auf der Straße weit­erkämpfen, bis wirk­lich etwas erre­icht ist“, kündigt Franklin aus Kamerun am Ende der Ver­anstal­tung an.

Und auch über­re­gion­al soll es weit­erge­hen: Schon am 6. April wollen einige der Geflüchteten nach Eber­swalde fahren, um an der dor­ti­gen Gedenk-Demon­stra­tion für Salah Tay­yar teilzunehmen.

Kategorien
(Anti-)Rassismus Flucht & Migration

Wir weinen, aber niemand hört uns zu”

Geflüchtete aus Bran­den­burg a.d. Hav­el wollen am 30. März unter dem Mot­to „Leben im Lager? Keinen Tag länger!” gegen ihre Lebens­be­din­gun­gen protestieren.

Mitte März im Indus­triege­bi­et von Bran­den­burg a.d. Hav­el: Es sind Minus­grade – und trotz­dem tre­f­fen sich zum wieder­holten Mal Bewohner_innen der Sam­melun­terkun­ft Upstall­straße und Flämingstraße vor ihren Häusern und pla­nen einen Protest vor der Ausländerbehörde.

Worum geht es ihnen? „Ich habe Frau und Kinder. Trotz­dem darf ich nicht mit ihnen zusam­men wohnen”, klagt Bebe­to. Er ist aus Kamerun und wartet seit fünf Jahren auf eine Auszugser­laub­nis aus dem Lager. Auch Eric ist unzufrieden: „Seit Coro­na haben wir absolutes Besuchsver­bot im Lager. Per­ma­nent und unbe­fris­tet. Das ist unmen­schlich, wir brauchen Coro­na-taugliche Regeln”. Auch aus dem Lager raus dür­fen die Bewohner_innen nicht uneingeschränkt: Auf nicht mehr als neun Tage pro Monate haben sie ein Anrecht. „Ist das ein Gefäng­nis?”, fragt ein Bewohn­er kritisch.

Ein­heit der Fam­i­lie und gute Inte­gra­tions­be­din­gungen — nur zwei von ganzen sechzehn Missstän­den, welche die Bewohner_innen ben­nen. Unter ihnen solche, die eigentlich ein Grun­drecht sind: Fam­i­lien­leben und soziale Teil­habe, Bewe­gungs­frei­heit und Mobil­ität, Pri­vat­sphäre und Gesund­heit, Bil­dung und Arbeit.

Die Bewohner_innen richt­en ihre Forderun­gen an konkrete Entscheidungsträger_innen: Mit Jörg Vogler von den Verkehrs­be­trieben Bran­den­burg an der Hav­el GmbH wollen sie über die Wieder-Inbe­trieb­nahme der Buslin­ie C in der Upstall­straße sprechen. Von Doreen Brandt von der Aus­län­der­be­hörde erwarten sie schnellere Entschei­dun­gen beim The­ma Auszug und eigene Woh­nung. Gegenüber den Betreibern der zwei Bran­den­burg­er Heime, das Deutsche Rote Kreuz und die PulsM GmbH, wollen sie gegen die elek­tro­n­is­che Anwe­sen­heit­skon­trolle und die nächtliche Schließung der Küchen ansprechen.

Doch am Ende sehen die jun­gen Leute in den Lagern selb­st Prob­lem und fordern ihre Auflö­sung: „Sie machen das Gegen­teil von Inte­gra­tion – sie isolieren und nehmen uns die Würde”, so Eric. Mit der Kundge­bung wollen sie erre­ichen, dass man ihnen endlich zuhört.
Unter­stützung erhal­ten sie dabei neben See­brücke Brandenburg/Havel, See­brücke Pots­dam und Weltof­fenes Werder auch von eini­gen anderen poli­tisch aktiv­en Geflüchteten aus Bran­den­burg, die ihre Anreise angekündigt haben.

Am 30. März um 15:00 Uhr wollen sie den Protest vor die Aus­län­der­be­hörde am Neustädter Markt tra­gen und laden alle Brandenburger_innen ein, dazu zu kommen.

Kategorien
(Anti-)Rassismus Flucht & Migration

Wir sind alle Salah!“ 400 Menschen gegen Rassismus

Wir sind alle Salah!“ 400 Menschen gegen Rassismus in Eberswalde

400 Men­schen haben am Son­ntag in Eber­swalde gegen das ungerechte Asyl­sys­tem und den struk­turellen Ras­sis­mus in Deutsch­land demonstriert.

Der 21. März ist der inter­na­tionale Tag gegen Ras­sis­mus – trau­riger Anlass an diesem Tag war der Tod von Salah Tay­yar aus dem Tschad. Nach acht Jahren in Deutsch­land war er ohne sichere Aufen­thaltsper­spek­tive und hat keinen anderen Ausweg mehr gese­hen und sich am 11.03. das Leben genom­men. Ange­hörige und Freund*innen, Aktivist*innen der Gruppe „Barn­im für alle“ und ander­er Geflüchteten-Grup­pen aus Bran­den­burg und Berlin hiel­ten teils kämpferische, teils nach­den­kliche Reden auf dem Bahn­hofsvor­platz. Im Anschluss kamen 200 Men­schen vor das Haus im Bran­den­bur­gis­chen Vier­tel in Eber­swalde, in dem Salah gewohnt hat­ten, um an ihn zu erinnern.

Fotos: https://umbruch-bildarchiv.org/wir-sind-alle-salah/

Inforiot