Bei der Wandelwoche vom 8. — 18. September 2016 können unter dem Motto “Her mit dem guten Leben!” auf mehr als 25 Touren und Veranstaltungen über 50 solidarische Projekte und gemeinschaftsorientierte Betriebe besucht und Geschichten des Gelingens einer Alternative zu Ausbeutung von Mensch und Natur und zum Dogma grenzenlosen Wachstums kennengelernt und diskutiert werden.
Die Touren:
— SoliOli. Solidarität in und mit Griechenland
— Lebenswerter Wohnraum? Eine Fahrradtour zu Sammelunterkünften für Geflüchtete
— Ansätze ökologischen Wirtschaftens erleben
— Permakultur und Stadtgärtnern
— Von der Schafswolle zum Garn
— Lebensmittel*Landwirtschaft*Essen in der Stadt
— Gärtnern, Schenken, DIY und Feiern: selbstorganisiert in Cottbus
— Solidarische Entwicklung im ländlichen Raum nach dem Vorbild Riace? Ein Herz für Humus
— Essbarer Bezirk Kreuzberg — Zwischen Realität und Utopie
— Wirtschaften fürs Gemeinwohl
— Her mit dem guten Leben — für alle! Solidarische Ökonomie und Teilhabe von Geflüchteten
— Ökologisch-soziales Mehrgenerationenwohnen in Werder
— Selbstbehauptung für Frauen
— Made in Barnim — Essbare Landschaften und Lebensmittel aus der Region
— Windrad-Workshop auf dem Tempelhofer Feld
— handgewebt in berlin — Kritische Auseinandersetzung mit Textilien
— Aktivismus in die Suppe gespuckt — Lobbyismus und die Hürden des Kapitalismus
…und manche mehr, die in den nächsten Tagen noch dazukommt: es lohnt sich immer wieder mal auf unserer Touren-Seite Neuigkeiten zu entdecken. Und wenn ihr euch fragt, wo die jeweilige Tour stattfindet, schaut auf die
Karte, die wir mit unserer Partnerin Imwandel.net erstellt haben.
Los geht’s beim Auftakt in Berlin am Do. 08.09. 16–20h auf dem Tempelhofer Feld mit Workshops, Filme, Vorstellung der Touren, Präsentation des WandelMobils, Jammen und Schlemmen und Musik mit die daten, der Auftakt in Brandenburg folgt am Fr. 09.09. 16–21h im Projekthaus Potsdam mit Projektvorstellungen, Diskussionsrunden und Videobeiträgen zu Themen des Wandels bei leckerem Essen aus dem Ofenhaus, Bar, DJ und gemütlichem Ausklang am Lagerfeuer… Spannend wird auch der Abschluss in der Prignitz am Fr./Sa. 16./17.09. in Kyritz mit dem Markt der regionalen Möglichkeiten mit Workshops, Ständen aus der Region, leckerem Essen und viel Raum zum Austausch über das gute Leben in unserer Region…
Her mit dem Guten Leben — wir sehen uns bei der Wandelwoche!
Kategorie: Flucht & Migration
KRIEG IM SCHAFSPELZ
Pressemittelung des linken Bündnis Potsdam zur heutigen antikapitalistischen Demonstration
Über 250 Menschen versammelten sich heute in Potsdam, um gegen das OSZE-Treffen am morgigen 1. September zum demonstrieren. In verlesenen Redebeiträgen wurde auf den Zusammenhang zwischen kapitalistischer Verwertungslogik und den aktuellen Kriegen verwiesen, auch wurde zu einigen Mitgliedsstaaten über Waffenexporte und herrschende autokratische Regime informiert.
Lautstark lief die Demo in die Nähe des Tagungsortes, an dem sich morgen die Außenminister_innen zu informellen Gesprächen inklusive ausgedehntem Freizeitangebot treffen werden und wurde dabei von einem unverhältnismäßig großen Polizeiaufgebot begleitet. Interesse an unserer Demonstration zeigten vor Ort außerdem Mitarbeiter_innen von Verfassungs- und Staatsschutz. Offenbar soll das ganze Treffen der OSZE ohne Zwischenfälle oder Kritik ablaufen.
Aluhutträger_innen, Pogidas und andere unangenehme Gestalten zeigten sich auch am Rande, wurden aber von Demonstrierenden auf Abstand gehalten.
Anna Dreyfuß vom linken Bündnis war mit der Demonstration zufrieden: „Mit dem Motto: Kein Frieden mit dem Kapitalismus! haben wir zumindest den Potsdamer_innen eine Kritik an herrschenden Verhältnissen und der scheinheiligen Friedensrhethorik näher gebracht. Jetzt wollen wir auch morgen noch den Mitgliedern der OSZE mit vielfältigen Aktionen zeigen, dass wir ihre Politik der Ausbeutung, der Kapitalinteressen und der Waffenlieferungen in aller Herren Länder scheiße finden. Es bleibt, darauf hinzuweisen, dass das OSZE-Treffen in Potsdam nur die Kennlernfahrt der Außenminister_innen wird. Am 8. und 9. Dezember trifft sich die gesammelte G‑20-und-OSZE — Bargage in Hamburg…“
Potsdam, 31.08.2016
DER AUFRUF
Am 1. September 2016, dem in Erinnerung an den Überfall der deutschen Wehrmacht auf Polen 1939 zum internationalen Antikriegstag ernannten Datum, treffen sich in Potsdam die Außenminister der OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) um „neue Impulse für eine Friedenssicherung in Europa [zu] setzen.“
Den Frieden in Europa und überhaupt sichern, das klingt doch erstmal gut, warum also Kritik daran üben? Ein erster Blick auf die Zusammensetzung der OSZE dürfte eigentlich schon reichen. Die drei größten Rüstungsexporteure der Welt, die USA, Russland und Deutschland sind Mitglieder in der OSZE. Länder, die direkt von kriegerischen Auseinandersetzungen profitieren, daneben Länder wie die Türkei, die seit Jahren einen Krieg gegen die eigene Bevölkerung führt. Außerdem dabei, die Diktatur Weißrussland und als Partnerland Ägypten, das erst vor kurzer Zeit einen blutigen Militärputsch hinter sich gebracht hat und in dem Menschen gefoltert werden.
Doch für uns steht eine wesentlichere Frage am Anfang der Kritik. Warum gibt es in der Welt Kriege? Nach der Aufgabenstellung der OSZE liegen die Ursachen für kriegerische Auseinandersetzungen vor allem in Korruption, Geldwäsche, Finanzierung des Terrorismus, organisierter Kriminalität, sowie Internetkriminalität, ethnischen Spannungen und unfreien Wahlen.
Für uns sind es knallharte Interessengegensätze. Die internationalen Beziehungen der Länder sind geprägt von Konkurrenz: dem Kampf um Einflussgebiete, Rohstoffe, Absatz- und Finanzmärkten, Handelsrouten, Militärstützpunkte, Zugang zu billigen Arbeitskräften usw. Danach richtet sich die Außenpolitik der Nationen, danach werden Bündnisse geschmiedet und dies sind in letzter Konsequenz die Gründe, die entscheiden über Krieg und Frieden.
Daher richtet sich unsere Kritik auch gegen eine Außenpolitik der kapitalistischen Verwertung und Konkurrenz. Die Gründe für Konflikte liegen nicht in der satanischen Boshaftigkeit einzelner Herrschender. Z.B. sind die Kriege im Nahen Osten immer wieder befeuert durch die Interessengegensätze von Saudi Arabien, der Türkei, den USA und dem Iran. Diese Region ist nicht zu retten durch freie Wahlen oder eine freie Presse, solange Gruppen mit Kalaschnikow und Panzern dort Politik im Interesse der regionalen und internationalen Mächte machen. Es geht den OSZE-Mitgliedern eben nicht um Menschenrechte und Frieden. Ehemalige Kolonialländer, wie Frankreich und Großbritannien haben unzählige Kriege ohne Rücksicht auf Menschenleben geführt. Deutschland hat Krieg in Jugoslawien geführt, anschließend ein korruptes Regime im Kosovo mit aufgebaut, in Afghanistan eine Regierung trotz Wahlbetrug unterstützt und die USA führen weltweit als stärkste Militärmacht Kriege, auch mit dem Wohlwollen ihrer Verbündeten.
Noch immer sterben unzählige Menschen jedes Jahr wegen Flucht und Vertreibung und sind zur Migration gezwungen, weil die Lebensbedingungen in ihren Ländern aufgrund von Kriegen, Verfolgung, korrupter Regime oder fehlender Grundversorgung sowie Hunger ihnen keine lebenswerte Existenz ermöglicht. Weitere Beispiele sparen wir uns an dieser Stelle. Die Konsequenz für uns ist die Erkenntnis, dass die Struktur des Kapitalismus unablässig Kriege befördert, bedingt, ja geradezu herausfordert. Eine Organisation wie die OSZE wird daran nichts ändern!
Nur eine Überwindung des Systems Kapitalismus und der Nation kann einen dauerhaften Frieden zwischen den Menschen sichern, erst eine weltweite Verständigung der Menschen über gemeinsame Interessen und gerechte und ausbeutungsfreie Produktion und Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums kann diesen garantieren!
Kommt zur antinationalen und antikapitalistischen Vorabenddemo am 31.8.2016 um 18.00 Uhr auf dem Luisenplatz!
Krieg dem Kriege!
An den Landrat des Landkreis Oberspreewald-Lausitz Siegurd Heinze,
an die Verantwortlichen in der Kreisverwaltung,
an die politisch Verantwortlichen im Landkreis und im Land Brandenburg,
an die allgemeine Öffentlichkeit,
im Rahmen unserer aufsuchenden Beratungstätigkeit für Betroffene rechter
Gewalt im Land Brandenburg sind wir in die Flüchtlingsnotunterkunft nach
Vetschau gerufen worden. Leider berichteten uns Flüchtlinge vor Ort von
mindestens vier rechtsmotivierten Angriffen in Vetschau seit April 2016
und von häufigen rassistischen Beleidigungen und Anfeindungen im Ort –
angesichts der derzeitigen Situation in Brandenburg nichts
außergewöhnliches. Von den vier Angriffen, die uns berichtet wurden, ist
ein Fall polizeilich angezeigt. Wir gehen von einer höheren Dunkelziffer
aus, da wir vor Ort nur mit einem Teil der Flüchtlinge sprechen konnten.
Betroffene rassistisch motivierter Gewalt, insbesondere Asylsuchende,
bedürfen eines besonderen Schutzes. Für die Dauer des Asylverfahrens
sind Asylsuchende zu einem großen Teil von staatlichen Stellen abhängig,
um für ihre Grundbedürfnisse zu sorgen (Essen, Unterkunft, medizinische
Versorgung etc.).
Einige Flüchtlinge aus der Notunterkunft in Vetschau berichteten uns von
völlig unzumutbaren Zuständen vor Ort (siehe die Erklärung einiger
Flüchtlinge aus Vetschau vom 23.08.2016). Dies betraf zum Einen die
desolaten Zustände in der Unterkunft, hier insbesondere die dauerhafte
sanitäre Versorgung mit improvisierten Campingtoiletten (sog.
„Dixi-Klos“) und die nur zeitweise geöffneten Duschwagen mit
unzureichender Warmwasserversorgung. Selbst für die Krankenstation steht
nur ein „Dixi-Klo“ zur Verfügung. Zudem wird die Essensversorgung von
den Flüchtlingen als extrem unzureichend beschrieben. Die Essensausgabe
findet in einem Zelt statt. Die ehemaligen Garagen, die nun als
Unterkünfte für Menschen dienen, haben keine eingebauten Heizungen. Im
Winter wurde pro Garagenraum ein Radiator ausgegeben, was nicht
ausreichend war. Einige Flüchtlinge wurden aufgrund der Kälte krank.
Außerdem berichteten uns einige Flüchtlinge von fehlendem Zugang zu
dringend notwendiger medizinischer Versorgung, auch bei akuten
psychischen Erkrankungen und akuten Schmerzen. Mindestens zwei
Flüchtlinge leben bereits seit acht Monaten in Vetschau. Von einer
kurzfristigen Unterkunft zur Überbrückung kann daher hier keine Rede
sein. Durch einen Rundgang in der Notunterkunft und durch
Inaugenscheinnahme des Mittagessens konnten wir uns von den Zuständen
selbst ein Bild machen. Wir halten die Aussagen der Flüchtlinge in der
Erklärung daher für glaubwürdig und fordern:
1. Einen würdigen Rahmen zu schaffen, in dem die Flüchtlinge aus
Vetschau, die die Erklärung verfasst haben, ihre Forderungen an die
politischen Verantwortlichen kommunizieren und in dem die Forderungen
der Flüchtlinge gehört und ggf. umgesetzt werden können.
2. Eine vom Landkreis unabhängige Überprüfung der Zustände in der
Flüchtlingsnotunterkunft in Vetschau, insbesondere unter dem Fokus, ob
die durch den Landkreis an den Betreiber der Unterkunft bezahlten und
vertraglich zugesicherten Leistungen seit Inbetriebnahme erbracht
wurden, ggf. Rückforderungen und Behebung von akuten Missständen.
3. Eine öffentliche Solidarisierung mit den Betroffenen rassistischer
Gewalt in Vetschau
Opferperspektive e.V. — Beratung für Betroffene rechter Gewalt, Potsdam
den 25.08.2016
Vom 25.7.–14.8.2016 geht Women in Exile and Friends unter dem Motto “Wir werden immer lauter!” auf Aktionstour quer durch Deutschland. Die dreiwöchige Tour soll auf die Situation von geflüchteten Frauen und Kindern aufmerksam machen und Flüchtlingsfrauen unterstützen, für sich selbst zu sprechen.
Elizabeth Ngari, Mitbegründerin von Women in Exile: “Die Erfahrungen, die wir in Brandenburg machen, sind den Erfahrungen von Frauen aus anderen Bundesländern ähnlich. Flüchtlingsfrauen sind doppelt Opfer von Diskriminierung: Sie werden als Asylbewerberinnen durch rassistische Gesetze ausgegrenzt und als Frauen diskriminiert..”
Women in Exile and Friends wird Unterkünfte besuchen, mit lokalen Initiativen zusammenarbeiten und öffenlichkeitswirksame Aktionen durchführen. So ist beispielsweise am 29.7. eine Protestkundgebung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg geplant. Eine zentrale Forderung ist die Anerkennung geschlechtsspezifischer Fluchtgründe. Der Focus der Tour wird jedoch auf dem Empowerment und gegenseitigem Austausch der Flüchtlingsfrauen liegen.
Elizabeth Ngari: “Über die Jahre haben wir Verbindungen mit zahlreichen Flüchtlingsfrauen und Unterstützer*innengruppen aufgebaut. Jetzt geht es darum, unsere Gemeinsamen Forderungen an die Öffentlichkeit zu bringen.” Wir würden uns freuen, wenn Sie über die Tour berichten und den Termin wahrnehmen, um mit uns über die Situation von Flüchtlingsfrauen zu sprechen. Es besteht auch die
Möglichkeit, die Bustour zu begleiten.
Weitere Information über die Gruppe “Women in Exile & Friends”: http://women-in-exile.net/ oder auf facebook.com/Women-in-Exile-Summer-Bus-Tour-2016
Tourdaten: 25.7. War Starts Here-Camp Altmark // 26.–27.7. Halle/Saale // 28.7.Leipzig // 29.–31.7. Nürnberg // 1.8. Oberursel // 2.–3.8. Köln // 4.8. Osnabrück // 5.8. Bielefeld // 6.8. Göttingen // 7.8. Witzenhausen // 8.–9.8 Bremen // 10.–11.8. Hamburg // 12.8. Potsdam // 13.–14.8. Berlin
Aram M.: „Nach Armenien zurückzukehren ist für mich keine Option!“
Während seines 17. Lebensjahrs stellte der heute 30-jährige Aram fest, dass er sich von Männern angezogen fühlt. Ein Gefühl, das in seinem Heimatland Armenien unter anderem als Krankheit eingestuft wird. Als er im Jahr 2004 zum Wehrdienst eingezogen werden soll, weigert er sich diesen anzutreten, denn als Homosexueller unter Menschen zu sein, die nicht männlich genug sein können, ist für ihn undenkbar. Des Weiteren fürchtet er Übergriffe, sollten sie von seiner Homosexualität erfahren.
Er wird vom Gericht zu acht Monaten Gefängnis verurteilt. Von August 2004 bis April 2005 muss er ins Gefängnis. Dort ist er nicht nur den verbalen Diskrimnierungen der Mithäftlinge und Wärter_innen sondern auch ihren körperlichen Übergriffen ausgesetzt. Durch die Schläge leidet er bis heute unter einer Tinituserkrankung. Nach seiner Freilassung erhält er noch ein Jahr und vier Monate auf Bewährung, Am meisten trifft Aram jedoch die Reaktion seiner Eltern – sie begegnen ihm mit Abneigung und erklären, er sei eine Schande für die Familie. Der Vater schlägt ihm einen Deal vor: wenn Aram sich bemüht, eine Frau zu heiraten und ein aus seiner Sicht normales Leben zu führen, darf er weiterhin im Elternhaus wohnen. Aram stimmt dem zu. Bis zum Jahr 2010 gibt es keine weiteren Probleme, Aram versteckt seine Homosexualität und macht eine Ausbildungen zum Frisör und eine weitere zum Floristen. Eines Tages kommt jedoch sein Vater unerwartet nach Hause und trifft dort Aram und einen Freund eng umschlungen und küssend an. Der Vater verweist seinen Sohn der Wohnung. Dieser lebt fortan in einer Wohngemeinschaft. Jeden Job, den er annimmt, verliert er nach nur wenigen Wochen, da seine Arbeitgeber_innen über seine Homosexualität informiert werden. Aram sieht für sich keine Perspektive in seinem Heimatland und beschließt im März 2011 dieses zu verlassen und in Belgien Asyl zu beantragen. Nachdem sein Antrag abgelehnt wird, bleibt ihm nur die Möglichkeit, wieder nach Armenien zurückzukehren.
Dort hat sich seine Situation jedoch nicht verändert – die Familie wollte weiterhin nichts mit ihm zu tun haben, die gefundene Arbeit verlor er schnell wieder. Nachdem Aram einige Zeit auf der Straße lebte, entschied der sich zum Jahresende 2013 dafür, nach Russland zu gehen und dort ein neues, ein besseres Leben zu beginnen. Er fand Arbeit und hatte eine Wohnung und fand schnell einen Freund. Beide entschließen sich zusammen ein Zimmer in einer 2‑Raum-Wohnung anzumieten. Die Vermieterin, sie wohnt im zweiten Zimmer, ahnt nicht, dass die beiden jungen Männer ein Paar sind. Doch eines Tages beobachtet sie die beiden, wie sie sich küssen. Daraufhin ruft sie die Polizei. Aram und sein Lebenspartner werden verhaftet und in der Polizeistation diskriminiert, geschlagen. Des weieteren wird ihnen sexualisierte Gewalt angedroht, nachdem sie sich weigerten ein Dokument zu unterzeichnen, in dem sie sich zu ihrer Homosexualität bekennen. Als sie wieder freigelassen wurden, fanden sie Unterschlupf in einem Heim. Dort lebten sie jedoch in getrennten Räumen und verbargen ihre Partnerschaft vor den anderen Bewohner_innen.
Am Abend des 30. Mai 2015 trafen sie sich in einem Park, um Zeit gemeinsam zu verbringen. Eine Gruppe von fünf Männer folgte ihnen, beschimpfte sie homophob und schlug sie anschließend zusammen. Sowohl Aram und als auch sein Lebensgefährte verloren während des Übergriffs das Bewusstsein. Die beiden jungen Männer beschließen, weder die Polizei noch ein Krankenhaus aufzusuchen, da sie Angst vor weiterer Repression haben. Sie zogen sich anschließend in ihre Zimmer zurück und warteten bis die Wunden verheilten. Im Verlauf des Juli buchten sie zwei Flugtickets nach Istanbul mit Zwischenstopp in Berlin. Am 29. Juli landete das Paar in Berlin-Tegel und beantragte Asyl. Im sogenannten kleinen Interview machten sie nicht nur Angaben zu ihrem Reiseweg, sondern auch über ihre Erfahrungen in Russland und Armenien.
Vom Flughafen werden sie in die brandenburgische Erstaufnahmestelle nach Eisenhüttenstadt transferiert. Dort müssen sie in getrennten Zelten schlafen, da die Lagerleitung die Partnerschaft der beiden Männer nicht anerkennt. Nach zwölf Tagen wird Aram nach Frankfurt/Oder und Vlad nach Brandenburg an der Havel transferiert. Vlad gelingt es, Kontakt zu lokalen LGBTI-Aktivist_innen herzustellen. Gemeinsam setzen sie sich mit Erfolg für die Zusammenführung des Paares ein. Aufgrund der sich langsam zuspitzenden Situation im Heim und der Erfahrung mit einer anderen LGBTI-Aktivistin — sie wurde im Heim wegen ihrer sexuellen Orientierung angegriffen — wohnen die beiden mit einem weiteren lesbischen Paar in einer Verbundwohnung. Während Aram ein Praktikum in einem Frisösalon macht, geht Vlad zum Deutschkurs. Ende April bekommt Aram einen Brief mit dem Interviewtermin, Vlad erhält keinen Brief. Erst nachdem Unterstützer_innen wiederholt Druck auf das BAMF ausgeübt hatten, erhalten beide einen gemeinsam Termin am 10. Mai. Während seiner Befragung wird der Versuch Arams, über die Diskriminierung in Armenien zu sprechen, vom BAMF-Mitarbeiter mit der Begründung abgelehnt, dass Aram aus Russland eingereist sei und deswegen nur Russland eine Rolle spielt. In dem am 21. Juni erhaltenen Negativbescheid wird darauf verwiesen, dass Aram in Armenien nicht verfolgt werden würde und auch keine begründete Furcht vor Verfolgung vorgebracht hat. Des Weiteren wird darauf verwiesen, dass er Familie vor Ort hat und diese ihn unterstützen könnte. Das BAMF gab Aram im Interview am 10. Mai weder die Möglichkeit über seine Verfolgung in Armenien zu berichten, noch hat es die Aussagen vom 29. Juli 2015 berücksicht, in denen klar steht, dass Arams Familie ihn verstoßen hat und er in Armenien verfolgt wird. Des Weiteren wird seine Beziehung zu Vlad nicht anerkannt.
Wir verurteilen die Praxis des BAMF scharf und fordern die Anerkennung der Lebenspartnerschaft von Vlad und Aram. Des Weiteren fordern wir eine Neubewertung seines Antrags unter Berücksichtigung aller von ihm vorgebrachten Fluchtgründe.
Aram und Vlad bleiben hier!
Offener Brief zur Perspektive der Migrationssozialarbeit als Fachberatungsdienst in Brandenburg
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Dr. Woidke,
sehr geehrte Frau Ministerin Golze,
wir unterstützen nachdrücklich die mit dem Landesaufnahmegesetz beschlossene Ausweitung der Migrationssozialarbeit. Schutzsuchende Menschen sind in vielen Lebenslagen auf eine kompetente Beratung angewiesen, die sie dabei unterstützt, ihre Interessen und Bedürfnisse durchzusetzen. Die überregionalen und auch einzelne regionale Flüchtlingsberatungsstellen in Brandenburg bringen diese Kompetenzen mit und haben in ihrer langjährigen Arbeit eine sehr gute Vernetzung vor Ort aufgebaut. Das Landesaufnahmegesetz übergibt die Bereitstellung der Migrationssozialarbeit als Fachberatungsdienstallerdings in die Hände der Landkreise und kreisfreien Städte, womit aus unserer Sicht einige Probleme verbunden sind.
Die erfolgreiche, in vielen Jahren gewachsene und vor Ort gut verankerte Arbeit der bestehenden unabhängigen und überregional arbeitenden Beratungsstellen wird mit der Kann-Bestimmung in § 12 Abs. 2 LAufnG ganz real aufs Spiel gesetzt, wie erste Erfahrungen bereits jetzt zeigen. Da kein landeseinheitliches Verfahren vorgesehen ist, droht den bestehenden Strukturen in ersten Landkreisen die Entziehung ihrer Existenzgrundlage – etwa in Oberhavel, wo der Landkreis eine Gesellschaft in eigener Trägerschaft gegründet hat, ohne das bestehende Angebot zu beachten. In anderen Landkreisen ist eine Übertragung auf Träger erwartbar, die enge Verbindungen zu Politik und Verwaltung pflegen und kaum praktische Erfahrungen in der Flüchtlingssozialarbeit vorweisen – das bisherige erfolgreiche Konzept wird nicht ausgeweitet, sondern unterhöhlt.
Wir wollen das an zwei ausgewählten Punkten verdeutlichen:
Alles aus einer Hand?
Die Landkreise und kreisfreien Städte sind neben ihrer Zuständigkeit für die Migrationssozialarbeit als Fachberatungsdienst häufig auch für die Unterbringung – oft in Gemeinschaftsunterkünften – und mit den
Ausländerbehörden auch für den Vollzug des Ausländerrechts zuständig. Beratungsarbeit, die immer die individuellen Bedürfnisse von Ratsuchenden in den Mittelpunkt stellt, wird unter den Zweifel gestellt, dass eine – vermeintliche oder tatsächliche – Abhängigkeit der Beratungsstelle vorliege. Es kann zu Interessens- und Loyalitätskonflikten mit dem Arbeitgeber kommen, ggf. unbequeme Beratungsarbeit, etwa wo es um das Sozialamt oder die Ausländerbehörde geht, wird erschwert bzw. unmöglich gemacht. Es ist zu erwarten, dass das Vertrauensverhältnis zu Geflüchteten und vielfach auch zu ehrenamtlichen Begleiter_innen, Dolmetscher_innen und anderen Unterstützer_innen aufgrund der Neustrukturierung maßgeblich und bleibend gestört wird.
Bereits in ihrem offenen Brief vom 14. Dezember 2015, als das LAufnG erst im Entwurf vorlag, hatten die flüchtlingspolitischen und Willkommens-Initiativen im Land Brandenburg dazu geschrieben:
„Unsere Erfahrungen mit Entlassungen engagierter SozialarbeiterInnen und BeraterInnen in den Landkreisen lassen uns um unabhängige Beratung fürchten. Eine vertrauenswürdige Beratungsstelle muss auch gegenüber der Praxis der Ausländerbehörde kritisch sein können. Wenn sie strukturell von der Institution abhängig ist, die sie kritisieren soll, entstehen Interessenkonflikte. Gute Beratung ist unserer Erfahrung nach eines der häufigsten Bedürfnisse von Geflüchteten. Die gleiche Erfahrung machen diejenigen von uns, die an Erstaufnahmeeinrichtungen tätig sind.“
Subsidiarität!
Wir schließen uns der Einschätzung der LIGA der freien Wohlfahrtspflege an, die in der Kann-Regelung eine Abkehr vom Subsidiaritätsprinzip sieht – der Staat soll erst dann tätig werden, wenn in der Vielfalt der Trägerlandschaft niemand gefunden werden kann, der/die das Angebote ermöglicht. Wir betrachten mit Sorge, wie immer neue Verwaltungsstrukturen aus dem Boden sprießen, und zwar längst nicht nur in der Beratung von Asylsuchenden und Geduldeten. Durch die zu befürchtende Umkehr vom Prinzip vielfältiger, freier und vor allem unabhängiger Profile in der Beratungsarbeit wäre ein Qualitätsverlust zu befürchten, der dem Geist des Grundgesetzes widerspricht.
Beratung im Interesse von Asylsuchenden und Geduldeten: unabhängig und parteiisch!
Vor diesem Hintergrund wollen wir Sie eindringlich darum bitten, nicht nur eine zielgruppenspezifische, sondern vor allem eine zielgruppengerechte Migrationssozialarbeit als Fachberatungsdienstin Brandenburg sicherzustellen. Die „aus ihrer Aufnahme- und Aufenthaltssituation begründeten besonderen Lebenslagen“ von Asylsuchenden und Geduldeten machen es geradezu erforderlich, für die in § 12 LAufnG beschriebenen Aufgaben /keine/kommunale Trägerschaft zu ermöglichen, sonst steht nicht nur die langjährige Expertise der
bisherigen Berater_innen auf dem Spiel, sondern der Sinn des ganzen Unterfangens. Es liegt in der Natur der Sache, dass die Interessen von Schutzsuchenden und kommunalen Verwaltungen nicht zusammenfallen, sich oft sogar widersprechen. Beratungsarbeit muss stets parteiisch im Sinn der Ratsuchenden sein.
Diese Beratung muss auch und gerade das Recht auf Information über den Verlauf des Asylverfahrens sowie behördliche Entscheidungen, die die Person unmittelbar betreffen, umfassen.Dazu gehören aber auch das Recht auf Rechtsbehelfe und unentgeltliche Rechtsberatung und ‑vertretung in Rechtsbehelfsverfahren sowie das Recht auf unentgeltliche Erteilung von rechts- und verfahrenstechnischen Auskünften, das Recht auf Begleitung zu Anhörungen beim BAMF durch eine_n Rechtsanwält_in oder „sonstigen nach nationalem Recht zugelassenen oder zulässigen Rechtsberatern“ [1].
Dies ist Schutzsuchenden in Brandenburg nur dann möglich, wenn sie einen Zugang zu einer Beratung haben, von der sie nicht nur sachkundig, sondern auch unabhängig von Interessen Dritter – d.h. auch///*weisungsungebunden*/– über ihre Pflichten im Asylverfahren, aber auch über andere sie betreffende rechtliche Regelungen informiert und beraten werden. Die Wohlfahrtsverbände in Brandenburgund freie Trägerbieten seit vielen Jahren eine solche Beratung an, weil insbesondere im ländlichen Raum Fachanwält_innen fehlen. Sie berücksichtigen dabei Qualitätsstandards und die Bestimmungen des
Rechtsdienstleistungsgesetzes.
Wir appellieren deswegen an Sie, alles Ihnen Mögliche zu tun, um die bisherigen unabhängigen Beratungsstrukturen in ihrer Existenz zu sichern und für die neu aufzubauenden Strukturen zu gewährleisten, dass konzeptionell, personell und institutionell /Unabhängigkeit/gegeben ist. Die ausstehenden Verordnungen zum LAufnG sollen unter allen Umständen dazu genutzt werden, die Qualität der Beratung sicherzustellen.
Mit freundlichen Grüßen
Flüchtlingsrat Brandenburg
Dieser Brief wird unterstützt von:
Barnimer Kampagne „Light me Amadeu“, Eberswalde
ESTAruppin e.V.
Evangelische Jugend Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz
Farfalla, Waßmannsdorf
FluMiCo – Flucht & Migration Cottbus
Flüchtlingshilfe Großbeeren e.V.
Hennigsdorfer Ratschlag
Initiative Barnim für alle
Kontakt- und Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt, Bernau
Landesjugendring Brandenburg e.V.
Netzwerk Flucht und Migration Stadt Guben
Perleberg hilft
Vielfalt statt Einfalt – für ein freundliches Frankfurt (Oder)
Willkommen in Fürstenberg
Willkommensinitiative Joachimsthal
Willkommen in Oberhavel
Willkommen in Oberkrämer, Leegebruch und Velten
Willkommen in Oranienburg e.V.
Willkommen in Wandlitz/AG Basdorf
Willkommen in Zehdenick
Pfarrer Andreas Domke, Vorsitzender der Synodalen AG „Flucht und
Migration“ des Kirchenkreises Oberes Havelland
Angela Rößler, Potsdam-Konvoi
Annelies Rackow, Verein zur Förderung der Lebensqualität VFL-Bautzen
e.V., Schlieben
Bärbel Böer, Flüchtlingsnetzwerkkoordination, Brandenburg an der Havel
Franziska Kusserow, Potsdam-Konvoi
Klaus Kohlenberg, Freie Asylsuchenden-Beratungsstelle in Oranienburg-Lehnitz
Marianne Strohmeyer, Multitudeinitiative
Mathias Tretschog, Schluss mit Hass
Rainer E. Klemke, Willkommensteam des Bürgervereins Groß Schönebeck
Andrea Honsberg, Eberswalde
Anke Przybilla, Wandlitz
Dr. Darja Brandenburg, Ludwigsfelde
Gabriele Jaschke
Lynne Hunger, Potsdam
Dr. Margarete Steger
Michael Elte, Oranienburg
[1] Verfahrensrichtlinie 2013/32/EU, Artikel 19–23, und
Aufnahmerichtlinie 2013/33/EU, Kapitel V, Artikel 26, beide
veröffentlicht im Amtsblatt der Europäischen Union vom 29.06.2013.
Stellen Sie sich vor, Sie sind verliebt. Stellen Sie sich vor, der geliebte Mensch erwidert Ihre Gefühle. Sie führen eine Beziehung. Richtig ernsthaft und es fühlt sich gut an. So eine Sache, die mit Respekt und Austausch zu tun hat, mit Spaß und geteilten Interessen, so eine Sache mit langen Gesprächen und allem, was für Sie dazu gehört,
allem, was Sie glücklich macht.
Stellen Sie sich vor, Sie ziehen mit dem liebsten Menschen in eine Wohnung und der Vermieter kündigt ihnen nach kurzer Zeit den Mietvertrag, weil er Ihre Liebe für Sodomie hält. Stellen Sie sich vor, auf einem Ihrer gemeinsamen Spaziergänge werden sie beide zusammengeschlagen, weil andere es als ekelerregend empfinden, wenn Sie beide Hand in Hand gehen. Stellen Sie sich vor, bei der Polizei werden Sie nicht ernst genommen, ausgelacht, Ihnen wird sogar die Schuld an den Schlägen zugeschrieben. Schließlich sind Sie ja nur zwei Männer, die sich lieben.
Das war für Aram M. und seinen Partner Vlad B. lange die Realität. Aram flieht aus Armenien nach Russland, nachdem er in seinem Geburtsland ausgegrenzt und diskriminiert, von seiner Familie verstoßen wurde, weder Arbeit noch Wohnung fand. Alles wegen seiner Homosexualität. Alles, weil er nicht verstecken wollte, dass er Männer liebt. In Moskau lernt er Vlad kennen, die beiden verlieben sich, werden ein Paar. Nachdem sie im Park zusammengeschlagen wurden entschließen sich die beiden, nach Deutschland zu gehen, in ein Land, in dem sie sich Freiheit und Akzeptanz für ihr Leben wünschen.
Sie kaufen sich Flugtickets, verlassen ihr altes Leben und wollen ein neues beginnen, von dem sie sich Besseres erhoffen, Freiheit zum Beispiel, die Freiheit, zu lieben, wen sie wollen, die Freiheit, ihre Liebe zu zeigen, zu feiern, die Freiheit, sich nicht zu verstecken, ohne Angst zu leben.
Am Flughafen Berlin-Tegel nimmt man ihnen die Pässe ab und anschließend werden die beiden in die Erstaufnahmeinrichtung nach Eisenhüttenstadt gebracht. Kaum dort angekommen beginnt die Ernüchterung — aufgrund der im Sommer 2015 zunehmenden Anzahl von Menschen, die vor Krieg und Verfolgung Schutz suchen, werden sie in Mannschaftszelten untergebracht. Ihre Partnerschaft wird auch in Eisenhüttenstadt nicht ernst genommen, es scheint für die Sozialarbeiter_innen vor Ort unmöglich, dass zwei Männer ein Paar, eine Familie bilden, die Konsequenz daraus: Sie werden unterschiedlichen Zelten zugewiesen. Die zwei, die so lange als Paar gekämpft haben, ein Paar sein zu dürfen, die als Paar ihre Heimat verlassen haben, werden gleich als erstes in dem vermeintlich freiheitlichen Land getrennt. Und es geht genauso weiter: nach 12 Tagen erfolgt die Unterbringung in Notunterkünften, Aram kommt nach Frankfurt/Oder, Vlad nach Kirchmöser, einem Stadtteil von Brandenburg an der Havel. Dort lernt er Alissa kennen. Sie ist selbst aus Russland geflohen, nachdem in ihrer Nachbarschaft Flugblätter aushingen, die sie als Pädophile diffamierten. Alissa ist lesbisch und LGBTI-Aktivistin und stellt den Kontakt zu Emma Silverstein her. Die kümmert sich, nimmt Kontakt zu Harald Petzold, Bundestagsabgeordneter der LINKEN und deren queerpolitischer Sprecher, auf. Der macht Druck beim BAMF: wie es sein könne, ein Paar nach solchen traumatischen Erlebnissen zu trennen. Wenige Tage später zieht Aram zu Vlad ins Heim. Aber der Ärger hat kein Ende: die Sozialarbeiter_innen der Notunterkunft raten den beiden, ihre Homosexualität zu verbergen, sonst drohe Ärger mit anderen muslimischen Heimbewohner_innen.
Sechs Monate leben sie in dem Heim, sechs Monate geht das Versteckspiel weiter. So hatten sie sich das Leben in Deutschland nicht vorgestellt. Die beiden wollen in eine eigene Wohnung. Sie haben nach wie vor Angst. Es gibt viel Austausch mit dem Sozialamt, viele Diskussionen, es kostet viel Kraft, viel Energie. Endlich beziehen sie mit einem anderen lesbischen Paar eine Verbundwohnung in Brandenburg an der Havel, drei Zimmer für vier Personen. Endlich etwas Privatsphäre. Aram spricht Englisch und etwas Deutsch, Vlad beginnt mit dem Deutschunterricht. Aram bemüht sich um Arbeit, findet eine Praktikumsstelle in einem Friseursalon. Er mag es, wieder zu arbeiten, lernt immer besser Deutsch zu sprechen. Auch die Kund_innen nehmen Anteil an seiner Geschichte, sie fragen, wo er herkommt, warum er gegangen ist. Die meisten wissen gar nicht, wie schlimm die Situation queerer Menschen an vielen Orten dieser Erde ist.
Mittlerweile sind sie Teil der LGBTI-Community in der Havelstadt, sie gehen gemeinsam zu Partys und beginnen sich ein neues Leben aufzubauen. Gemeinsam mit Vlad und Aram sowie anderen LGBTI-Aktivist_innen vor Ort haben wir, eine Gruppe von Unterstützer_innen, eine Refugee-LGBTI-Conference vom 15. bis 17. April organisiert und durchgeführt, mit dem Ziel, Menschen zusammenzubringen und zu unterstützen. Nun brauchen Aram und Vlad Unterstützung, denn nach fast einem Jahr bekommt das Paar die Einladungen zum Interview beim BAMF. Beide erhalten unterschiedliche Termine. Wieder werden sie als Paar nicht ernst genommen. Ihr Anwalt ruft mehrmals beim BAMF an und verweist darauf, dass die beiden zusammen als Lebenspartner nach Deutschland gekommen sind und deshalb auch einen gemeinsamen Termin erhalten müssen — mit Erfolg.
Während des Interviews wurde Aram nicht zu seiner Situation in Armenien befragt. Immer wieder, wenn er versucht, darauf zu sprechen zu kommen, wird er abgewürgt. Schließlich habe er mehrere Jahre in Russland verbracht und sei von dort in die Bundesrepublik eingereist, so die Argumentation der BAMF-Mitarbeiterin. Und warum die beiden ihre Homosexualität nicht dezenter gelebt hätten. Das hätten sie doch nach dem vermeintlichen Überfall im Park auch getan und da hätten sie dann ja auch keine Probleme gehabt. Ansonsten ist auch hier die Partnerschaft kein Thema. Es gehe um Aram persönlich, sein russischer Partner tue da nichts zur Sache. Nach einem Monat und 12 Tagen kommt der Negativbescheid, das Asylverfahren ist abgeschlossen — vorerst.
Begründung: Da Aram über Russland eingereist sei, gelte §3AsylG nicht, da er nicht aus dem Land käme, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt. Eine begründete Furcht vor Verfolgung als Homosexueller in Armenien habe er nicht vorgetragen. Außerdem sei die Verfolgung als Homosexueller in Armenien nicht wahrscheinlich. Sein Lebenspartner Vlad hat bisher keine Antwort vom BAMF.
Halten wir fest: Aram wurde beim Interview daran gehindert, über die Gründe der Ausreise von Armenien nach Russland zu sprechen. Das BAMF erkennt die Partnerschaft der beiden Menschen nach wie vor nicht an, denn in ihrem Weltbild scheinen nur Mann und Frau ein Paar bilden zu können. Sollten Menschen sich nicht diesem Muster unterordnen, wollen sie Dokumente sehen, eine Heiratsurkunde zum Beispiel. Nur ist die Heirat gleichgeschlechtlicher Menschen sowohl in Armenien, in Russland und auch in Deutschland nicht möglich.
Wir lassen unsere Freunde nicht alleine und kämpfen für die Anerkennung der beiden als Lebenspartner und dafür, dass weder Aram nach Armenien, noch Vlad nach Russland abgeschoben wird. Wir haben uns entschlossen, unseren Kampf öffentlich zu führen, zum einen, um nicht nur Aram und Vlad, sondern auch anderen LGBTI-Geflüchteten zu zeigen, dass sie nicht alleine sind, und zum anderen, um auf die diskriminierende Praxis des BAMF aufmerksam zu machen.
Wir werden am Mittwoch den 29. Juni um 19:00 Uhr in der Geschäftstelle der Partei DIE LINKE, Kirchhofstraße 1–2, 14776 Brandenburg an der Havel, ein erstes offenes Treffen veranstalten. Ziel ist es, Öffentlichkeit zu schaffen und gemeinsam zu beraten, wie wir die beiden in Zukunft unterstützen können.
Orgateam der Refugee-LGBTI-Conference
Wir solidarisieren uns mit allen No Border Protesten und Aktionen. Gleichzeitig ist mit offenen Grenzen noch nicht alles getan. Selbst wenn Menschen es entgegen aller Gewalt und Risiken schaffen, in die Festung Europa oder bis nach Deutschland zu kommen, wird ihnen hier systematisch ein selbstbestimmtes Leben verwehrt.
Das Leben in Sammelunterkünften ohne Privatsphäre und massiver Kontrolle, aggressiven Gruppendynamiken und der ständigen Bedrohung durch Machtdemonstrationen in Form von sexualisierter Gewalt u.a. vom Wachpersonal ausgesetzt…
Das Arbeitsverbot, der Ausschluss von Ausbildungsmöglichkeiten wie z.B. Studium, die Perspektivlosigkeit durch „Duldung“ als Aufenthaltsstatus, der immer nur einige Monate gilt…
Die ständige Angst vor Abschiebung, vor Abschiebehaft und Polizeigewalt…
Die Kriminalisierung von politischem Aktivismus…
Diese Politik gewollter und gewaltsamer Isolation macht Vernetzungsarbeit von politisch aktiven Refugees untereinander kosten‑, aufwands- und repressionsintensiv und erschwert systematisch, dass Menschen mit und ohne Fluchterfahrung sich gemeinsame soziale Umfelder erschaffen. So soll die Wahrscheinlichkeit von Widerstand gegen dieses widerliche Abschiebungssystem verringert werden. Aber auch gegen Protest von Betroffenen, Freund*innen, Familie oder antirassistischen Unterstützer*innen werden Leute aus ihren Lebenszusammenhängen gerissen und ihrer Entscheidungsfreiheit darüber beraubt.
All das sind legale Handlungsweisen der sogenannten gesellschaftlichen Mitte. Diese Verbrechen finden tagtäglich statt und stützen sich auf einen breiten gesellschaftlichen Konsens. Parteien machen Wahlwerbung mit Abschiebeversprechen an bürgerliche Mitte bis extreme Rechte. In dieser allgemeinen Stimmung gab es in den letzten beiden Jahren mehr als 1000 Angriffe auf Unterkünfte von Geflüchteten. Anschläge, die Menschen einschüchtern, lebensgefährlich bedrohen und Tote mindestens in Kauf nehmen oder sogar anstreben. Eine breite öffentliche Skandalisierung und offensive Gegenbewegung sowie ernsthafte Bestrebungen zur Verfolgung und — noch viel wichtiger — zur Prävention solcher Gewalttaten bleiben aus. Hätten stattdessen z.B. tausend Bullenwachen, Banken oder Abschiebebehörden in Deutschland gebrannt, sähe das Medienecho und der gesamtgesellschaftliche Aufschrei vermutlich anders aus…
Für jede Geflüchtetenunterkunft, die brennt – für jedes Heim, was ihr baut: Das kriegt ihr zurück!
NO LAGER!
Innenminister Schröter hat für zwei Familien aus Forst und Potsdam trotz hunderter Unterschriften, Briefe und Stellungnahmen die Ersuchen der Härtefallkommission abgelehnt. Beide Familien – Roma aus Serbien – sind bestens integriert und in der hiesigen Gesellschaft verankert.
MitschülerInnen, LehrerInnen, NachbarInnen, Kirchenmitglieder und BürgerInnen aus Forst und Potsdam haben sich geäußert und eingemischt. Alle appellieren, den Familien ein dauerhaftes Bleiberecht zu gewähren. Es sind die Stimmen aus der Zivilgesellschaft – oft von der Landesregierung für ihre engagierte Arbeit mit Geflüchteten gelobt – die hier übergangen und offenbar nicht gehört werden, wenn es um das Aufenthaltsrecht geht.
Stattdessen liegt der Entscheidung des Innenministers ganz offensichtlich zugrunde, dass beide Familien eine in seinen Augen zu kurze Aufenthaltszeit hätten und aus Serbien kommen und damit aus einem so genannten sicheren Herkunftsland. Damit führt der Innenminister die Arbeit der Härtefallkommission ad absurdum. Migrations- und ordnungspolitische Erwägungen, die aktuellen bundesgesetzlichen Asylrechtsverschärfungen zugrunde liegen, dürften die Arbeit der Härtefallkommission nicht berühren. Die bundesrechtlichen Verschärfungen im Hinblick auf die sicheren Herkunftsländer zielen pauschal auf schnellere Abschiebungen ganzer Gruppen, während es Aufgabe der Härtefallkommission ist, den Einzelfall unabhängig von Herkunft und Aufenthaltsdauer zu betrachten und zu erörtern.
Mit seinen Entscheidungen, im Fall von Menschen aus sicheren Herkunftsstaaten gegen die Kommission zu stimmen, konterkariert der Innenminister die Arbeit der Härtefallkommission und stellt sie somit grundsätzlich in Frage. Menschen aus sicheren Herkunftsstaaten können in der Regel gar keine lange Aufenthaltszeit in Deutschland haben. Umso beachtlicher ist es, wenn sie in dieser vergleichbar kurzen Zeit eine starke Verankerung in der örtlichen Gesellschaft erreichen. Insofern kann auch bei ihnen in einer kurzen Zeit ein besonderer Härtefall vorliegen, der für eine Aufenthaltsgewährung relevant wäre.
Es geht bei den Überlegungen der Härtefallkommission weder um den Herkunftsstaat noch um Aufenthaltszeiten, sondern um das persönliche Schicksal der Menschen. Wird dies bei Menschen aus sicheren Herkunftsstaaten nicht beachtet, wird ihnen grundsätzlich die Einzelfallprüfung im Härtefallverfahren verwehrt. Das widerspricht dem auf dem humanitären Einzelfall basierenden Ansatz der Härtefallkommission.
Trotz relativ kurzer Aufenthaltsdauer von zwei bzw. drei Jahren haben es die Familien Novakovi? und Brki? in außergewöhnlicher Weise geschafft, aktive Mitglieder der örtlichen Gesellschaft zu werden. Sie sind berufstätig, ehrenamtlich aktiv, dolmetschen und unterstützen andere Geflüchtete. Sie sind Mitglieder im Sportverein und interkulturellen Initiativen, die Kinder der Familie Novakovi? sind in der Schule längst integriert und gehen erstmals gern und mit einem Gefühl der Sicherheit zur Schule. Beide Familien haben zahlreiche UnterstützerInnen, FreundInnen und NachbarInnen gewonnen, die sie unterstützen und nun gegen die Entscheidung des Ministers protestieren.
Vor diesem Hintergrund ist es absurd, dass kurz nach Ende der “Dekade der Romainklusion”, in der sich die Europäische Union mit verschiedenen Programmen um die Inklusion von Roma bemüht hat, Kinder, die sich hier bestens in Schulleben und Kita integriert haben, in die Perspektivlosigkeit abgeschoben werden sollen – mit der Folge, eine Schule nicht mehr besuchen zu können.
Mit seiner Gutsherrenart wischt der Innenminister die Integrationsbemühungen zahlreicher Menschen einfach zur Seite und stellt sich für die vielen höflichen, aber auch fassungslosen Briefe von Ehrenamtlichen, LehrerInnen, ArbeitgeberInnen, FreundInnen und NachbarInnen taub. Einerseits positioniert er sich gegen rechte Übergriffe, andererseits torpediert er die Arbeit eben jener Menschen, die sich im Land Brandenburg gegen Rechts und für die Aufnahme von Flüchtlingen engagieren und häufig das Bollwerk gegen rechte Hetze vor Ort bilden. So kann keine Integration geflüchteter Menschen gelingen, so wird ein grundfalsches Signal in die Gesellschaft gesendet.
Wir fordern die Landesregierung und den Innenminister auf, den Familien Novakovi? und Brki? ein dauerhaftes Bleiberecht zu gewähren und sie nicht aus dem Kreis ihrer neuen FreundInnen und NachbarInnen zu reißen.
Die Kinder dürfen nicht aus der Schule bzw. Kita und ihrem gewohnten Umfeld genommen und dahin abgeschoben werden, wo sie wieder Diskriminierung und Anfeindungen ausgesetzt wären.
Wir fordern eine vorbehaltlose Prüfung des humanitären Einzelfalls in der Härtefallkommission, unabhängig von Herkunftsstaat und ordnungspolitischen Überlegungen.
Pogida die 9.
Die Potsdamer Verkehrsbetriebe rechneten wohl mit äußerst massiven Störungen, so ließen sie schon über zwei Stunden vor Veranstaltungsbeginn keine Straßenbahnen mehr in Richtung Humboldtbrücke fahren. Es gab drei angemeldete Gegenkundgebungen, zum einen eine des SV Babelsberg 03, in der Schwanenallee. Hier nahmen bis zu 250 Menschen an der Kundgebung teil, die sich letztendlich direkt hinter dem Startpunkt des Pogida-Aufmarsches positionieren konnte. So war eine Beschallung der Anfangskundgebung gewährleistet. Hier soll es wohl auch zu polizeilichen Übergriffen mittels Pefferspray gekommen sein, auch Festnahmen waren zu verzeichnen.
Die Pogida-Neonazis waren heute mit nur etwa 40 Personen auf der Straße. Sie wurden jedochvon der Polizei gebeten den Gehweg zu benutzen, aus Sicherheitsgründen. Was sie auch taten. Die Neonazis um Christian Müller setzten ihren Weg durchs Schmuddelwetter relativ zügig zurück. Auf Höhe der Mangerstraße passierten sie eine Gegenkundgebung der Linken. Hier protestierten ca. 200 Menschen lautstark. Blockadeversuche, nahe der Kundgebung, wurden durch die Polizei vereitelt.
Die Abschlusskundgebung der Neonazis fand vor dem ehemaligen Kreiswehrersatzamt statt. Hier redeten unter anderem eine Person von Bärgida und natürlich Müllers Christian. Er verkündete gewohnt schwankend, dass er abtreten wollen würde, dass jemand anders die Anmeldung des nächsten Aufmarsches übernehmen werde, dieser solle wohl am 7. April vom Hauptbahnhof starten. Aber wie immer sind die Aussagen des Müllerschen Neonazis wenig verläßlich. Der sogenannte „Pressesprecher“ Herbert Heider setzte sich für einen Zwei-Wochen-Rhythmus ein, Müller dagegen kündigte an jede Woche aufmarschieren zu wollen.
Die gesamte Abschlusskundgebung wurde lautstark übertönt von den über 500 Teilnehmenden an der Kundgebung des Bündnisses „Potsdam bekennt Farbe“. Gegen Ende der Neonazi-Veranstaltung gab es noch einen Störversuch. Laut Presse versuchten wohl einige Aktivist_innen Pogida das Fronttranspi abspenstig zu machen. Insgesamt begleiteten wohl ca. 800 Antirassist_innen und Antifaschist_innen den Pogida-Aufmarsch kritisch.
Nachdem Müller die Veranstaltung für beendet erklärte, teilte sich Pogida in zwei Gruppen auf. Eine lief in Polizeibegleitung wieder zurück zur Glienicker Brücke, mit dabei waren Christian Müller und weitere 15 ‑20 Neonazis. Die zweite Gruppe von ebenfalls 15 Personen wurde über die Humboldtbrücke und Zentrum Ost zum Hauptbahnhof geleitet.