Recherche und Aktion — Nach uns vorliegenden Informationen trainiert Mike Turau die 2. E‑Jugend des Königs Wusterhausener Traditionsvereins SC-Blau Weiss Schenkendorf 1931 e.V. Der brandenburgische Sportverein beschäftigt damit einen langjährig aktiven Neonazi in der Kinder– und Jugendarbeit. Der Unterwanderung von Sportvereinen und Zivilgesellschaft durch Neonazis muss eine klare Absage erteilt werden.
Von „United Skins“ zu den „Freien Kräften“
Der in Königs Wusterhausen (KW) wohnhafte Mike Turau ist kein unbeschriebenes Blatt, sondern seit vielen Jahren für sein neonazistisches Engagement stadtbekannt. Bereits um das Jahr 2000 war er der KWer Neonazikameradschaft „United Skins“ zuzuordnen, die ihrerseits für Angriffe auf alternative Jugendliche, Migrant_innen und Obdachlose verantwortlich gemacht wurde. [1]
Als im Sommer des selben Jahres Carsten Szczepanski, Drahtzieher der lokalen Kameradschaftsszene, als V‑Mann des brandenburgischen Verfassungsschutzes enttarnt wurde, reagierte die Szene in KW und Umgebung mit einigen Jahren der organisatorischen Schwäche. Allerdings sollte dies nicht darüber hinweg täuschen, dass es in der Region auch in den Folgejahren noch zu einigen Aufsehen erregenden Gewalttaten kam: Hier seien unter anderem die Molotovcocktailwürfe auf ein Romalager und das antifaschistische Festival „Le Monde et a nous“ im Jahre 2001, der Brandanschlag auf das Auto eines Polizisten und eine, ebenfalls im Jahr 2005 durch einen Neonazi verübte Attacke mit einer abgebrochenen Glasflasche auf einen jungen Punk zu nennen. Es sollte klar sein, dass Neonazis keine festen Organisationsstrukturen benötigen, um ihr menschenverachtendes Weltbild in die Tat umzusetzen, auch wenn staatliche Behörden die Gefahr, die von unorganisierten Neonazis ausgeht, oftmals bagatellisieren.
Exkurs: Verfassungsschutz aufgeflogen
Als der Fall des V‑Mann „Piatto“ im Jahr 2000 öffentlich wurde, zeigte sich der Fatalismus des bundesdeutschen V‑Mann-Wesens in aller Deutlichkeit. Mit der Enttarnung von Carsten Szczepanski als V‑Mann „Piatto“ des Brandenburgischen Verfassungsschutzes wurde offensichtlich, dass der Geheimdienst jahrelang seine schützende Hand über einen der regionalen Drahtzieher der brandenburgischen Neonaziszene gehalten hatte. Obwohl gegen ihn damals schon u.a. ein Verfahren wegen Gründung einer terroristischen Vereinigung lief und er wegen eines rassistischen Mordversuchs in Untersuchungshaft saß, sorgte der Verfassungsschutz für seine vorzeitige Haftentlassung und unternahm nichts, als dieser weitere militante Neonazistrukturen aufbaute. „Piatto“ hingegen erhielt Hafterleichterungen, finanzielle Zuwendungen in Höhe von 70.000 Mark und behördliche Rückendeckung. Folglich reorganisierte er die lokalen Strukturen der NPD, gab noch aus der Haft ein Fanzine der militanten Neonaziszene heraus, veranstaltete Blood&Honour-Konzerte und handelte, wie nach seiner Enttarnung hochkam, auch noch mit Waffen.
Im Jahr 2005 gehörte Turau schließlich zu einem neu gegründeten, losen und hauptsächlich durch Freundschaften getragenen Netzwerk von etwa 15 Neonazis aus KW und Umgebung [2], die erneut in die Öffentlichkeit traten: die „AG_KWh“. Neben der gemeinsamen Teilnahme an Aufmärschen unterhielt man schon zu jener Zeit enge Kontakte nach Berlin, insbesondere zu Mitgliedern der frisch verbotenen „Berliner Alternative Süd-Ost“ (BASO) und „Kameradschaft Tor“ (KS-Tor) [3]. Dabei handelte es sich um Strukturen, die später überwiegend im Berliner Neonazi-Netzwerk „Nationaler Widerstand Berlin“ (NW-Berlin) aufgehen sollten, zu dem Turau auch heute noch enge Kontakte pflegt.
2006 verfestigte sich die Struktur der KWer Neonazis unter dem Label „Freie Kräfte Königs Wusterhausen“ (FK-KWh). Neben Mike Turau und anderen, gehörte fortan auch ein gewisser Ronny Grunow zu den Aktiven [4]. Auf den Bestattungsunternehmer aus dem Ortsteil Mittenwalde, soll im Text später noch eingegangen werden.
Anfangs mit Sprühereien im Stadtgebiet und durch gemeinsame Auftritten bei Neonaziaufmärschen, machten die FK-KWh bald auch durch Einschüchterungsversuche und offensichtliche Gewaltbereitschaft auf sich aufmerksam. So versuchten zehn Neonazis aus dem Umfeld der FK-KWh am Abend des 25. Mai 2007 ein Punkkonzert KWer Stadtjugendring anzugreifen. Nach einem ersten Angriffsversuch, bei dem Wurfgeschosse in Richtung des Veranstaltungsortes geworfen wurden, folgte nach einer halben Stunde ein weiterer, der jedoch abgewehrt werden konnte. Neben dem Königs Wusterhausener NPD-Vorsitzenden Michael Thalheim, der auf dem Rückzug den Hitlergruß zeigte, wurde in dem Parolen rufenden Mob auch Mike Turau identifiziert. [5]
Am 11. August 2008 verfolgte Mike Turau, in Begleitung von Benjamin Weise, der im selben Jahr im Landkreis für die NPD kandidierte, drei Antifaschist_innen in ihrem PKW durch KW. An einer Ampel versuchten die beiden Neonazis die Scheiben des PKW mit Teleskopschlagstöcken einzuschlagen. Nur durch schnelle Flucht gelang es den Angegriffenen eine weitere Eskalation zu vermeiden. [6]
Zur gleichen Zeit intensivierten die FK-KWh ihre Teilnahme an überregionalen Aufmärschen, wie z.B. am 1. Mai 2008 in Hamburg oder am 23. August des selben Jahres in Quedlinburg (Sachsen-Anhalt). Auch eigene Versammlungen wurden organisiert, so z.B. am 21. August 2008 in KW. Am 24. Januar 2009 hielt Turau auf einem Aufmarsch Freier Kameradschaften in Brandenburg/Havel einen Redebeitrag der FK-KWh. Thematisch hetzte er gegen „Linke“, sowie das „raffende“ und „heimatzerstörende“ Kapital.
Nur drei Tage später, am 27. Januar 2009, dem Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz, versuchten sechs Neonazis aus dem Umfeld der FK-KWh eine Gedenkveranstaltung an die Opfer des Faschismus in Königs Wusterhausen zu stören. Während ein Teil der Gruppe rechte Parolen rief, versuchte Mike Turau die Teilnehmer_innen der Gedenkveranstaltung abzufotografieren. [7] Turaus anhaltende Anti-Antifa-Tätigkeit brachte ihm im Jahre 2013 eine Bewährungsstrafe ein. Nach drei Verhandlungstagen sah es das Amtsgericht Königs Wusterhausen als erwiesen an, dass Turau am 18. September 2010 einen freien Journalisten in Berlin-Schöneweide abfotografiert und dessen Portrait anschließend auf der Internetseite der FK-KWh veröffentlicht hatte. Derartige „Anti-Antifa“-Tätigkeiten stellen für Neonazis keinen Selbstzweck dar, vielmehr sind sie Mittel zur Einschüchterung und Vorbereitung von Gewalttaten gegenüber vermeintlichen und tatsächlichen politische Gegner_innen.
Anbindung an die Berliner Neonaziszene
Spätestens seit 2011 übernimmt Turau zunehmend logistische Aufgaben auf Veranstaltungen des Berliner Neonazinetzwerks NW-Berlin, in enger Verflechtung mit der Berliner NPD. Neben Anti-Antifa-Aktivitäten und Ordnerdiensten auf Kundgebungen und Parteitagen, tritt Turau mittlerweile regelmäßig als Fahrer des Lautsprecherwagens der Berliner NPD in Erscheinung.
Am 14. Mai 2011, versuchte der NW-Berlin im Zuge seiner „Ausländer raus!“-Kampagne einen Aufmarsch in Berlin-Kreuzberg durchzuführen. Noch im U‑Bahnhof veranstalten die Neonazis eine Hetzjagd auf Migrant_innen. Wenig später attackierten sie unter den Augen der Polizei eine kleine Gruppe an Gegendemonstrant_innen. Mike Turau befand sich unter den 120 Neonazis, die konspirativ aus dem gesamten Bundesgebiet angereist waren. Drei Monate später, am 13. August, fuhr Mike Turau den Lautsprecherwagen während einer NPD-Kundgebung in Berlin-Prenzlauer Berg. Das gleiche Bild gab es am 17. Juni 2012 während einer NPD-Kundgebung in Berlin-Friedrichshain.
In seiner Funktion als Ordner bei einer NPD-Saalveranstaltung Berlin-Gropiusstadt, bedrohte er am 16. Februar 2013 anwesende Pressevertreter_innen ohne, dass die Polizei eingriff. Am 14. April 2013 gehörte Mike Turau zum Kreise von acht NPD’ler_innen, die in Berlin-Tiergarten mit Megaphon und einem Transparent eine Kleinst-Kundgebung abhielten. Die Reden hielten die NPD-Funktionär_innen Maria Fank und Andreas Storr. Auf einer Kundgebung am 8. Mai 2013 in Berlin-Karlshorst kümmerte sich Turau gemeinsam mit NPD-Landeschef Sebastian Schmidtke um den Aufbau der Technik, anschließend nahm er an einer NPD-Kundgebung in Königs Wusterhausen teil. Während einer NPD-Kundgebungstour am 13. Juli 2013 war Turau in Hellersdorf, Reinickendorf, Spandau und Marienfehle als Ordner tätig.
Während einer NPD-Kundgebung am 20. August 2013 in Berlin-Hellersdorf attackierte Turau in seiner Funktion als Ordner eine Reporterin des Berliner Kuriers, außerdem steuerte er den NPD-eigenen Lautsprecherwagen. Das gegen ihn eingeleitete Verfahren wegen Körperverletzung dauert derzeit noch an. Gemeinsam mit dem ebenfalls in KW ansässigen Benjamin Weise und weiteren bekannten Berliner Neonaziaktivist_innen, trat Mike Turau am 8. Februar 2014 während einer weiteren NPD-Kundgebungstour als Ordner in Erscheinung.
Jugendtrainer beim SC-Blau Weiss Schenkendorf
Mit Mike Turau beschäftigt der Königs Wusterhausener Fußballverein „SC-Blau Weiss Schenkendorf 1931 e.V.“ einen langjährigen und stadtbekannten Neonazi im Bereich der Kinder– und Jugendarbeit mit Sechs– bis Zehnjährigen. Ein PDF-Dokument des Vereins („Stand: 04.11.2014“) zeigt, dass Mike Turau mindestens seit November 2014 als offizieller Trainer in Erscheinung tritt. Auch bei der Wahl der Sponsor_innen hat man bei dem brandenburgischen Sportverein offenbar keinerlei Berührungsängste. So tritt u.a. das Bestattungshaus Grunow als offizieller Sponsoringpartner des Vereins in Erscheinung.
„Bestattungshaus Grunow“, Sponsor mit fragwürdiger Vorgeschichte
Der an vorhergehender Stelle bereits erwähnte Inhaber Ronny Grunow trat spätestens ab 2008 öffentlich als aktives Mitglied der FK-KWh in Erscheinung, was ihm seinerzeit eine Erwähnung in der antifaschistischen Recherchezeitschrift „Fight Back“ einbrachte. [8]
Grunow war nicht nur regelmäßig mit Mike Turau und weiteren KWer Neonazis auf Nazi-Aufmärschen unterwegs. Im April 2008 beteiligte er sich an einer gewalttätigen Einschüchterungsaktion gegenüber einem Antifaschisten im KWer Ortsteil Zernsdorf. Zuerst verteilten Grunow und weitere Neonazis diffamierende Flugblätter in der Nachbarschaft. Anschließend suchten sie dessen Grundstück auf, beschossen es mit Signalmunition und versuchten unter Rufen wie „Jetzt bist du dran!“ zum Haus vorzudringen. Glücklicher Weise scheiterten sie am Hoftor und der Gegenwehr des Betroffenen. Noch bevor sie ihren Angriff beendeten, zog einer der Neonazis eine Gaspistole und schoss aus nächster Nähe in Richtung des Angegriffenen. [9]
Auch wenn die letzten dokumentierten Aktivitäten Grunows bereits einige Jahre zurück liegen, scheint er sich bis heute nicht vom brauen Milieu gelöst zu haben. In der Facebook-Freundesliste Grunows finden sich heute dutzende offen auftretende Neonazis. Unter den Profilen mit offenen Bekenntnissen zu neonazistischen Gruppen wie der Nazicliuqe „Aryan Blood Brothers Brandenburg“, sogenannten Nein-zum-Heim-Initiativen und den „Freie Nationalisten“, finden sich auch Profile von Mitte der 2000er Jahre namentlich bekannt gewordenen Aktivisten der AG– bzw. FK-KWh, wie z.B. Thomas Heuchler und Daniel Mantai wieder, die ihre rechte Gesinnung auch 2014 noch offen zur Schau stellen.
„Browntown“ Königs Wusterhausen, ein blinder Fleck?
Seit Anfang der 1990er Jahre genießt die 35.000-Einwohner_innenstadt südöstlich von Berlin verdientermaßen den Ruf eines „Browntowns“, eines Rückzugsraums für Neonazis. Wie auszugsweise geschildert, konnte sich in der Region eine aktive Neonaziszene über Jahre hinweg weitgehend ungehindert entfalten. Neben der schützenden Rolle des Staates, dessen V‑Mann Carsten Szczepanski durch die 1990er Jahre hindurch beim Ausbau der Szene eine besonders unrühmliche Rolle spielte, konnten sich die dominant auftretenden Neonazis auch auf die Ignoranz und die stille Duldung weiter Teile der KWer Zivilgesellschaft verlassen. Wenn sich überhaupt Widerspruch regte, schwang nicht selten schon eine gehörige Portion Angst um den Standort, um „den Ruf der Stadt“ mit. In den seltensten Fällen aber eine fundierte antifaschistische Haltung, die sich nicht in kurzweiliger Symbolpolitik erschöpfte. Gab es bis Ende der 2000er Jahre noch antifaschistisch aktive Gruppen und Einzelpersonen, denen es von Zeit zu Zeit erfolgreich gelang, ein Schlaglicht auf die Aktivitäten der rechten Szene in und um KW und den vorherrschenden gesellschaftlichen Konsens zu richteten, so scheint es mittlerweile, dass die Region seit dem Wegbrechen dieser Strukturen ein weitgehend blinder Fleck geworden ist.
Dabei zeigt nicht erst, dass wie im Fall von Mike Turau ein langjähriger und stadtbekannter Neonazi in einem Sportverein auf Kinder losgelassen wird, dass die Beschäftigung mit der Region noch immer angebracht ist. Auch der Zuzug einer Reihe von Neonazis wie René Bethage (ex– BASO) und Andreas Thomä (NW-Berlin) nach KW, das KWer Nazi-Modelabel „Erik and Sons“, die Zusammenarbeit von KWer Neonazis wie Mike Turau, Manuel Arnold und Benjamin Weise mit Berliner Strukturen und die noch immer regen Aktivitäten von NPD Dahmeland, Freien Kräften und anderen Neonazizusammenschlüssen in der Region, sollten von Antifaschist_innen nicht auf die leichte Schulter genommen werden.
[1] fight.back 03 — Antifa-Recherche Berlin-Brandenburg, Februar 2006, S. 39
[2] ebd. S. 41
[3] ebd. S. 40
[4] fight.back 04 — Antifa-Recherche Berlin-Brandenburg, Mai 2009, S. 70
[5] Chronik rechter Aktivitäten, Autonome Antifa Königs Wusterhausen — Eintrag vom 25. Mai 2007
[6] Chronik rechter Aktivitäten, Autonome Antifa Königs Wusterhausen — Eintrag vom 11. August 2008
[7] Chronik rechter Aktivitäten, Autonome Antifa Königs Wusterhausen — Eintrag vom 27. Januar 2009
[8] fight.back 04 — Antifa-Recherche Berlin-Brandenburg, Mai 2009, S. 70
[9] Chronik rechter Aktivitäten, Autonome Antifa Königs Wusterhausen — Eintrag vom 10. April 2008
Am 9. Dezember 2014 konnte die Abschiebung der Familie N. nach Serbien vom Flughafen Tegel in letzter Minute verhindert werden. Die Familie ist bereits seit zwei Jahren in Deutschland, die drei Kinder gehen zur
Schule. Seit nun fast einem Jahr war die Familie in der Übergangsunterkunft in Forst. Dort wurden sie von Nachbarinnen willkommen geheißen und unterstützt, siehe http://www.rbb-online.de/politik/thema/fluechtlinge/brandenburg/fluechtlinge-in-forst.html
Im Morgengrauen holte die Cottbusser Ausländerbehörde die Familie mit ihren drei Kindern unangekündigt ab. Um 6 Uhr morgens standen Polizeibeamte im Zimmer in der Unterkunft in Forst, ließen die Mutter zuerst nicht auf die Toilette, nahmen der Familie das Mobiltelefon ab und transportierten die völlig verängstigten 7, 10 und 11 Jahre alten Kinder, Vater und Mutter in zwei Fahrzeugen voneinander getrennt zum Flughafen. Die Hinweise von Frau N., sie habe die Aufforderung der Ausländerbehörde, freiwillig auszureisen, nicht erhalten, ignorierten sie.
Auch am Flughafen durfte Familie N. nicht den Anwalt verständigen. Ärztliche Gutachten und Atteste, die deutlich darauf hinweisen, dass eine solche Abschiebung angesichts des psychisch labilen Gesundheitszustandes von Frau N. extrem gesundheitsgefährdend sei, wurden geflissentlich ignoriert. Erst als die Familie Passagiere im Flugzeug um Hilfe bat, wurde die Abschiebung abgebrochen. Die Familie wurde im Polizeiwagen zum S‑Bahnhof Südkreuz gebracht und dort ausgesetzt. Vollkommen durcheinander und mit den Nerven am Ende wurden sie dort von einem Freund abgeholt und weiter versorgt.
Die Abschiebung der Familie wurde komplett an ihrem Rechtsbeistand vorbei organisiert. Zu keinem Zeitpunkt wurde der Anwalt über die Pläne und das Handeln der Ausländerbehörde informiert. Er wurde weder davon in Kenntnis gesetzt, dass eine Abschiebung vorbereitet wird noch ob angesichts der psychologischen Erkrankung der Mutter eine
Reisefähigkeitsprüfung vorgenommen wurde.
Für eine gründliche Einzelfallprüfung und vorsichtigen Umgang mit besonders Schutzbedürftigen Flüchtlingen seitens der Ausländerbehörde, wie vom Innenministerium noch eine Woche zuvor öffentlich zugesagt, gab es hier keinerlei Anzeichen und angesichts der überfallartigen Abschiebung auch keine Zeit mehr.
Das Land Brandenburg wies die Forderung nach einem Winterabschiebungsstopp für Roma zurück mit der Begründung, dieser sei nicht nötig. Man hielte sich hier an geltendes Aufenthaltsrecht, das Abschiebungen verbiete, wenn ‘ernsthafter Schaden’ oder ‘eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit’ droht. Diese ‘erhebliche
konkrete Gefahr’ schließt auch mögliche extreme Witterungsbedingungen in Heimatländern ein. An diese Regelungen hielte sich die Landesregierung ohnehin, sagten ein Sprecher der Brandenburger Staatskanzlei:
http://www.rbb-online.de/politik/thema/fluechtlinge/berlin/berlin-fluechtlinge-senat-will-keinen-abschiebestopp-im-winter.html
[
Offenbar bildete im Fall der Familie N. das ‘geltende Aufenthaltsrecht’ nicht die Grundlage für das Handeln der
Ausländerbehörde in Cottbus. Doch auch weitere Roma-Familien in Brandenburg — darunter auch besonders Schutzbedürftige — müssen akut eine Abschiebung noch im Winter befürchten.
Die tief verwurzelte Diskriminierung der Roma in den Staaten des Westbalkan führt dazu, dass viele Betroffene in kaum beheizbaren Behelfsunterkünften leben müssen oder Obdachlosigkeit ausgesetzt sind. Hinzu kommt eine lebensbedrohliche medizinische Unterversorgung. Im Winter verschärft das ihre ohnehin dramatische Situation. Der
Flüchtlingsrat wirkte im letzten Jahr an einer Recherche mit, die die Situation der nach Serbien abgeschobenen Roma beschreibt: http://www.alle-bleiben.info/wp-content/uploads/2014/03/serbien_2013_web.pdf
Inzwischen gibt es einen aktuellen Bericht über die Situation der Abgeschobenen im Kosovo: http://www.fluechtlingsrat-brandenburg.de/wp-content/uploads/2014/12/kosovo_web.pdf. Pro Asyl forderte anlässlich der Innenministerkonferenz einen bundesweiten Winterabschiebungsstopp für Roma vom Westbalkan. Der BundesRomaVerband kritisierte in einer Stellungnahme vom 3. Dezember 2014, dass gerade in Deutschland die Rede von historischer Verantwortung ernst genommen werden sollte und dies bedeute, denjenigen, di strukturell ausgeschlossen und benachteiligt werden, Chancen zu geben anstatt Ausgrenzungsmechanismen zu wiederholen und weiter zu zementieren: http://bundesromaverband.de/wp-content/uploads/2014/12/BRV_03_DEZ.pdf
In Schleswig-Holstein wurde ein genereller Winterabschiebungsstopp in jene Herkunftsländer erlassen, in denen Menschen im Winter existenzielle Härten drohen. Die neue rot-rote Landesregierung in Thüringen beschloss
unmittelbar nach Regierungsantritt ebenfalls einen generellen Winterabschiebungsstopp. Auch Hamburg hat aus humanitären Gründen einen Winter-Abschiebestopp für Flüchtlinge und abgelehnte Asylbewerber aus 15 Ländern erlassen, um sie dort nicht unvorbereitet der Kälte auszusetzen. All diese Schutzmaßnahmen meinen gerade auch betroffene Roma-Familien, die bei einer Abschiebung nach Serbien, Mazedonien oder Kosovo einer direkten existenziellen Gefahr ausgesetzt sind. Die Entscheidungen der Landesregierungen stoßen auch bundesweit auf breite Zustimmung: Rund zwei Drittel der Bundesbürger — nämlich 66 Prozent — begrüßen nach einer Forsa-Umfrage für das Hamburger Magazin Stern diese Entscheidung, die von der Bundesregierung gerügt worden ist.
Der Flüchtlingsrat Brandenburg hat sich in den letzten Jahren regelmäßig für einen Winterabschiebungsstopp eingesetzt. Die inoffizielle Antwort der Landesregierung war stets: Man brauche keinen Winterabschiebungsstopp, weil die Menschen „freiwillig” ausreisen würden. Aus vielen Einzelfällen wissen wir: Häufig wurden die Menschen
dann unter weiter drohender Abschiebung zur „freiwilligen Ausreise” gedrängt — dies ist auch in diesem Jahr wieder der Fall. Von einer Freiwilligkeit kann hier keine Rede sein, solange die Menschen nicht sicher wissen, dass ihnen andernfalls nicht die Abschiebung unter Anwendung von Zwang droht.
Nach der traumatischen Erfahrung der Familie N. letzte Woche wissen wir auch: Von einer Einzelfallprüfung von Abschiebungen im Fall besonderer Härten und besonderen Schutzbedürftigkeit kann in Brandenburg ebenfalls
nicht die Rede sein. Wären an jenem Dienstag morgen nicht mehrere Ehrenamtliche, Beraterinnen, Anwalt und Flüchtlingsrat nicht in den entscheidenden Minuten im Einsatz gewesen, wäre die Familie nun vermutlich in Serbien in der Obdachlosigkeit oder in einer irregulären Siedlung ohne Strom, Wasser und Heizung, ohne die faktische Möglichkeit, die psychische Erkrankung der Mutter zu behandeln, was die Familie mit drei Kindern zusätzlichen Risiken und Belastungen aussetzen würde. Dies macht klar, dass die vom Innenministerium garantierte inzelfallprüfung in Brandenburg schlicht nicht funktioniert und auch dass die Menschen, für die eine Winterabschiebung im Einzelfall eine besondere Hörte darstellen würde, dadurch nicht geschützt sind.
WIR FORDERN DIE LANDESREGIERUNG IN BRANDENBURG AUF, SICH DEN LÄNDERN SCHLESWIG-HOLSTEIN, THÜRINGEN UND HAMBURG ANZUSCHLIEßEN UND UMGEHEND EINEN WINTERABSCHIEBESTOPP ZU VERFÜGEN!
Etwa 300 liebevoll verpackte Geschenkpakete haben Bürgerinnen und Bürger aus Oberhavel für Geflüchtete geschnürt. Der Oranienburger Generalanzeiger (OGA) hatte zu dieser Geste der Freundschaft für Geflüchtete in Oberhavel aufgerufen. Am Dienstag wollten MitarbeiterInnen des OGA, sowie VertreterInnen der Initiativen Hennigsdorfer Ratschlag, Willkommen in Oberhavel und des Flüchtlingsrats Brandenburg einen Teil der Päckchen in der Sammelunterkunft in Hennigsdorf verteilen.
“Die Geflüchteten waren vorher informiert worden und erwarteten uns in ihren Zimmern. Wir wurden freudig begrüßt und übergaben die Geschenke. Es waren schöne Begegnungen, die jedoch auf einmal ein jähes Ende fanden,” berichtet Anne Fischer von Willkommen in Oberhavel.
Matthias Kahl, Fachbereichsleiter für Soziales der Verwaltung Oberhavel, ließ verkünden, die Presse solle das Gelände verlassen und wenig später wurde auch allen anderen mitgeteilt, dass ab sofort generelles Besuchsverbot bestehe. Den Wachleuten der Unterkunft fiel es sichtlich schwer diesen Rausschmiss durchzusetzen, während Familien aus Syrien und dem Tschad in Haus 3 warteten und an diesem Tag leer ausgingen.
Leider wurde der skandalöse Vorfall in der Berichterstattung des OGA über die Spendenaktion mit keinem Wort erwähnt, was sehr verwundert. Der krude Rausschmiss hatte bein allen Beteiligten — nicht zuletzt bei den
betroffenen Flüchtlingen — einen starken Eindruck hinterlassen.
Das Vorgehen der Verwaltung ist rechtswidrig: Die Menschen in Haus 3 erwarteten unseren Besuch und haben in der Unerkunft ein Recht darauf. Aber auch das politische Signal dieser unsäglichen Maßnahme ist fatal. Anstatt die Geschenkaktion als nachbarschaftliche Geste zu unterstützen und ein freundschaftliches Zusammenleben von alten und neuen Oberhavelern zu fördern, sabotiert die Landkreisverwaltung das Engagement hunderter Bürgerinnen und Bürger. Damit liefern sie auch ein Signal der Ausgrenzung an all diejenigen, die Asylsuchende vor Ort willkommen heißen und unterstützen wollen und nicht zuetzt an die geflüchteten Menschen selbst, die bei uns Schutz suchen.
Wir fragen uns: Mit welchem Ziel?
PRESSEKONTAKT:
Ivana Domazet, Flüchtlingsrat Brandenburg, 0176 3148 3547
Simone Tetzlaff, Hennigsdorfer Ratschlag, 0172 398 4191
Kirstin Neumann, Willkommen in Oberhavel, 0173 649 5811
Am Mittwochabend protestierten ungefähr 300 Menschen in Oranienburg (Landkreis Oberhavel) gegen einen so genannten „Abendspaziergang“ für eine angeblich „angemessene Asylpolitik“. An diesem, von der Socialmedia-Kampagne „Nein zum Heim in Oranienburg“ beworbenen Fackelmarsch durch den Innenstadtbereich nahmen ungefähr 250 Personen, davon ungefähr 200 mutmaßliche Hooligans und Neonazis und 50 augenscheinliche „Bürger_innen“, teil. Die Proteste dagegen konzentrierten sich am Bahnhof und am Schloss. Dort kam es auch zu einer kleinen Blockadeaktion.
Oberhavel Nazifrei protestiert
Die Protestierer waren offenbar einem Aufruf des Bündnisses „Oberhavel Nazifrei“ gefolgt, das hinter dem „Abendspaziergang“ eine gezielte Aktion vermutete, um „rechte Hetze auf die Straße“ zubringen. Die Veranstaltung sei, in Anspielung auf die „Nein zum Heim“ –Seite, zu dem „der Höhepunkt einer andauernden Denunzierung, Herabwürdigung und Kriminalisierung hilfsbedürftiger Asylsuchender im Netz“, so „Oberhavel Nazifrei“. Zudem ginge es den Heimgegnern gar nicht darum „für eine angemessene Asylpolitik auf die Straße“ zu gehen, der „Aufmarsch“ sei vielmehr „eine offene rassistische Mobilisierung gegen Asylsuchende, in der sich eine Allianz zwischen NPD, AfD und Rechtspopulisten sowie scheinbar unpolitischen Bürgern herausbildet“, so das Bündnis in seinem Aufruf zu den Protesten weiter. Eine Einschätzung, die, so zeigt es die Unterzeichner_innenliste, von vielen, auch namhaften Personen aus Stadt und Umland geteilt wird. Unter den Erstunterzeichner_innen finden sich so beispielweise der Bürgermeister von Oranienburg, Hans Joachim Laesicke, der Vorsitzende der Oranienburger Stadtverordnetenversammlung, Holger Mücke, der Bundestagsabgeordnete Harald Petzold (DIE.LINKE), der Vorsitzende der Oranienburger SPD, Dirk Blettermann, der Vorsitzende der Oranienburger B90/Die Grünen, Heiner Klemp, und viele andere mehr. Der Aufruf von „Oberhavel Nazifrei“ wurde im Übrigen sogar auf der offiziellen Socialmedia-Seite der Stadtverwaltung Oranienburg veröffentlicht.
Für „Oberhavel Nazifrei“ erfreulich und für einige neutrale Beobachter erstaunlich, kamen dann tatsächlich auch mehrere hundert Menschen für Protestaktionen zusammen. Bereits ab 18 Uhr hatten sich über 200 Menschen am Bahnhof eingefunden, deren Anzahl bis zum Start der „Nein zum Heim“ Veranstaltung auf 300 anwuchs. Es wurde Fahnen und Transparente gegen Nazis und Rassismus gezeigt und die Teilnehmer_innen des Abendspaziergangs lautstark ausgebuht. Die Polizei trennte, wie üblich bei Versammlungen konträren Inhalts, weitgehend beide Lager, durch Gitter und Polizeiketten, von einander ab. So blieb den Sympathisanten von „Oberhavel Nazifrei“ zunächst nur der Bahnhofsbereich um in Hör- und Sichtweite zu demonstrieren. Doch damit wollten sich viele Protestierer nicht zufrieden geben und zogen zum Oranienburger Schloss weiter, um abermals ihren Unmut über den vorbeiziehenden Fackelmarsch auszudrücken.
Vier Personen gelang es dabei auch auf die Strecke zu gelangen und eine Miniblockade durchzuführen. Allerdings ohne die Marschierer aufzuhalten, diese wurden von der Polizei daran vorbeigeleitet.
Mit Brandfackeln für eine „angemessene Asylpolitik“?
Der so genannte „Abendspaziergang“ der Heimgegner_innen hatte sich, entgegen des betont bürgerlichen Mobilisierungscharakters, derweil eher zu einem Aufmarsch entwickelt, bei dem mutmaßliche Hooligans und Neonazis nicht nur einen erheblichen Teil der Versammlungsteilnehmer_innen ausmachten, sondern offenbar auch einen großen Teil der Infrastruktur des Aufzuges zur Verfügung stellten. JN Funktionäre waren als Ordner eingeteilt, der Schönwalder NPD Gemeinderat Burkhard Sahner stellte seine Pkw als Lautsprecherwagen für die Abschlusskundgebung zur Verfügung und die Bernauer NPD Stadtverordnete Aileen Rokohl hielt einen Redebeitrag.
Die wenigen mitgeführten Fackeln mochten zwar hingegen nur entfernt an die nationalsozialistische Märsche zum 30. Januar 1933 erinnern, zeichneten aber dennoch ein sehr bedrohliches Bild: Sollen Brandfackeln die angemessene Antwort auf die derzeitige Asylpolitik sein?
Bemerkenswert ist auch das abermalige auftreten der Initiative „Ein Licht für Deutschland gegen Überfremdung“, deren Anhänger_innen in den letzten Wochen u.a. bei ähnlichen Märschen in Schneeberg (Erzgebirge), Wittstock/Dosse und erst am Montag in Dresden mitliefen sowie am Volkstrauertag unangemeldet mit zahlreichen Fackeln durch Gransee marschierten.
Während des Aufmarsches in Oranienburg gaben sie sich durch ihr braunweißes Banner und Schilder mit aufgemalter Fackel zu erkennen.
Weitere Neonazis stammten aus dem Landkreis Ostprignitz-Ruppin und sind als Sympathisanten der „Freien Kräfte Neuruppin/Osthavelland“ bekannt. Die NPD war außer mit den bereits erwähnten Abgeordneten, u.a. noch durch die Stadtverordneten Detlef Appel aus Oranienburg, Robert Wolinski aus Velten, Uwe Gosslau aus Hennigsdorf, Dave Trick aus Neuruppin und Pascal Stolle aus Bad Belzig vertreten.
„Nein zum Heim“ beansprucht „das Volk“ zu sein
Seit den durchaus teilnehmerstarken Demonstrationen und Kundgebungen der islamkritischen/islamfeindlichen Initiativen „HoGeSa“ („Hooligans gegen Salafisten“) und PEGIDA („Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“) hoffen offenbar auch Brandenburger Neonazis einen großen Teil, der durch die gesellschaftliche Debatte der letzten Monate anpolitisierten Bürger_innen für ihre Zwecke zu gewinnen. Offen zu erkennen geben will sich die neonazistische Szene dabei jedoch anscheinend nicht, sondern lässt sich eher über zwielichte Initiativen vertreten, deren Anliegen nur selten die Auseinandersetzung mit dem Phänomen der militanten Islamist_innen ist. Tatsächlich wird vor allem die Asylpolitik der Bundesrepublik und konkret die Art der Unterbringung von Asylsuchenden scharf kritisiert. Genauer betrachtet hat aber keine dieser Initiativen ein tatsächliches Interesse, Menschen, die aus den Krisenherden dieser Welt in die Bundesrepublik kommen und in der Bundesrepublik Asyl suchen, zu helfen. Da macht auch die Socialmedia-Kampagne „Nein zum Heim in Oranienburg“, hinter der mutmaßlich die lokale NPD steckt, keine Ausnahme. Neu ist lediglich, dass sich die seit 2013 existierende und eigentlich gescheiterte Initiative durch PEGIDA und Co wieder im Aufwind sieht und nun ebenfalls mit dem bekannten Slogan der DDR-Bürgerrechtsbewegung „Wir sind das Volk“ auftritt.
Doch die Demonstration am Mittwochabend in Oranienburg zeigte einmal mehr, dass hier kein bürgerliches Aufbegehren gegen eine vermeintlich verfehlte Asylpolitik stattfand, sondern mehr eine Propagandashow von Hooligans und Neonazis zelebriert wurde.
Fotos:
Presseservice Rathenow
Sören Kohlhuber
INFORIOT Rund 250 Neonazis demonstierten am Mittwoch „für angemessene Asylpolitik“ in Oranienburg (Oberhavel). In sozialen Netzwerken und insbesondere auf der extrem rechten Facebook-Hetzseite „Nein zum Heim in Oranienburg“ wurde für die Demonstration, die durch einen Oranienburger angemeldet wurde, geworben. Als Vorbild für die Ausrichtung der Aktion dienten offenbar die “Pegida”-Großdemonstrationen, die zurzeit jeden Montag in der sächsischen Hauptstadt Dresden mit bis zu 15.000 Menschen gegen die vermeintliche „Islamisierung des Abendlandes“ stattfinden. Der Dresdener Aufruftext wurde für Oranienburg wortgetreu übernommen und auf der Demonstration vorgetragen. Derweil gründen sich auf Facebook erste Brandenburger Pegida-Ableger für das Land Brandenburg und für Potsdam.
Alles nur „besorgte Bürger“?
In sozialen Netzwerken liefen im Vorfeld der Oranienburger Demonstration hitzige Debatten, ob es sich bei der Demonstration um eine neonazistische Veranstaltung handeln würde. Sowohl der Veranstalter als auch SympathisantInnen echauffierten sich über das “Neonazi”-Etikett. Bei der Demowerbung hielten sich die NPD und andere Neonazigruppierungen tatsächlich eher im Hintergrund. Doch am Tag der Demonstration berichtete die PNN darüber, dass beim Anmeldegespräch in Oranienburg der JNler Martin U. den Anmelder begleitet hatte. Die Facebook-Seite zur Demonstration erstellte der stadtbekannte Tätowierer Olaf W., der Verbindungen zur NPD Oberhavel hat.

Bei der Demo selbst waren fast ausschließlich lokale NPD- und JN-Mitglieder für die Durchführung und Infrastruktur verantwortlich. Den Lautsprecherwagen bei der Abschlusskundgebung am Landratsamt und die Musikanlage wurden vom Kreisvorsitzenden der NPD-Oberhavel, Burkhard Sahner, bereitgestellt. Die Ordnerdienste übernahmen unter anderem der Neonazi Philip Badczong.

Die Abschlussrede hielt die NPD-Landesgeschäftsführerin Aileen Rokohl, die in Begleitung ihres Ehemanns Andreas Rokohl und dem gewaltbereiten Barnimer NPD-Kreistagsabgeordnete Marcel Zech vor Ort war. Personen um die neonazistische „Ein Licht für Deutschland gegen Überfremdung“-Kampagne und die Neonazis der “Freien Kräfte Neuruppin/ Osthavelland” trugen dazu mehrere Schilder mit dem Kampagnenslogan. Das hierzu gehörige Transparent hatten sie auf halber Strecke eingerollt.
Als Kontaktperson zur Polizei trat der Velterner NPD-Stadtverordnete Robert Wolinski auf, der am Rande der Demonstration die Gegendemonstrant_innen abfotografierte und auch versuchte, die Presse an ihrer Arbeit zu hindern. Die Polizei reagierte auf diese Aggressionen nicht. Stunden später tauchten seine Bilder auf der “Nein zum Heim in Oranienburg”-Facebookseite auf. Weitere Oberhaveler NPD-Mitglieder und –Verordnete, wie beispielsweise Detlef Appel, Lore Lierse, Uwe Goßlau, Björn Beuchel, Roy Zillgitt und weitere waren ebenfalls auf der Demonstration.
Im Gesamtbild war die Demonstration geprägt von vor allem männlichen, organisierten wie nichtorganisierten Neonazis, dem Hooliganspektrum zugehörende Personen und RassistInnen. Obwohl die VeranstalterInnen im Vorfeld dazu aufgerufen hatten, friedlich zu demonstrieren, waren die TeilnehmerInnen, gerade an der Demonstrationsspitze, offenbar teilweise alkoholisiert, in aggressiver Stimmung und ließen sich mehrfach auf Wortgefechte mit Gegendemonstrant_innen ein. An einer Stelle gab es gar einen Versuch, aus der Demonstration auszubrechen. Mehrfach wurde der Hitler-Gruß angedeutet. Als die Demonstration auf der Schlossbrücke ankam, versuchte ein Rassist einen Pressevertreter wegzuschubsen.

Proteste und Blockadeversuche
Die Auftaktkundgebung am Bahnhof Oranienburg wurde durch den Protest des Bündnis „Oranienburg Nazifrei“ akkustisch dominiert. Knapp 300 BürgerInnen und AntifaschistInnen hatten sich vor dem Runge-Gymnasium neben die Neonazi-Kundgebung versammelt. Der Bündnisaufruf wurde durch zahlreiche PolitikerInnen, Jugendverbände, zivilgesellschaftlich Vereine, GewerbetreiberInnen sowie dem Oranienburger Bürgermeister Hans-Joachim Laesicke und den Lehnitzer Ortsbeiräten unterstützt.

Nachdem die Neonazi-Demonstration sich von Bahnhof über die Bernauer Straße zum Schloss in Bewegung setzte, formierte sich auch die Gegenkundgebung zu einer Demonstration, und steuerte über den Luise-Henrietten-Steg zum Schloss. Dort hatte man ebenfalls eine Gegenkundgebung angemeldet. Als die Demonstration den Schlossplatz erreichte, sprangen eine kleine Gruppe von GegendemonstrantInnen auf die Straße und versuchten, die Schlossbrücke zu blockieren. Umstellt von der Polizei wurde die Neonazi-Demo an ihnen vorbeigeführt. Später versuchte eine größere Gruppe von AntifaschistInnen die Berliner Straße in Höhe des Lild-Martes zu blockieren. Dort wurden sie von der Polizei weggedrängt.
Weitere Bilder: hier und hier.

INFORIOT Nach andauernder rassistischer Hetze wird auf der Facebook-Seite „Nein zum Heim in Oranienburg“ nun zu einer Demonstration gegen die Unterbringung von Geflüchteten in Oranienburg aufgerufen. Im Netz kursiert ein Banner, demzufolge die Demonstration unter dem Motto „Wir sind das Volk — Abendspaziergang für eine angemessene Asylpolitik“ am Mittwoch, den 17. Dezember um 18:30 vom Bahnhof Oranienburg starten soll. Ähnlich wie eine Woche zuvor in Wittstock, wollen soll mit Fackeln durch die Stadt gezogen werden.
Bereits Anfang des Monats formierte sich eine „Nein zum Heim“-Facebook-Gruppe in der Nachbarstadt Leegebruch. In Oberkrämer, an der Grenze zu Leegebruch, soll eine seit zehn Jahren nicht mehr genutzte Fliegerschule zum Asylheim umgebaut werden. In der Facebook-Gruppe finden sich bekannte Neonazis und NPD-Mitglieder, sowie Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr Leegebruch.
Großaufmarsch in Oranienburg?
Breits am 17. November marschierten 70 Neonazis mit Fackeln in Gransee (Inforiot berichtete). Die Demonstration war Auftakt für eine neonazistische Kampagne „Ein Licht für Deutschland gegen Überfremdung“, die bundesweit rassistische Mobilisierungen zuspitzen soll. Als mutmaßlicher Initiator der Kampagne gilt Maik Eminger, der Zwillingsbruder des im NSU-Prozess angeklagten Adré Eminger, sowie weitere Neonazis aus Potsdam-Mittelmark. Mittlerweile verdichten sich Hinweise, dass die Kampagne zusätzlich von Neonazis aus Oberhavel getragen wird. Sowohl auf der Demonstration im sächsischen Schneeberg, als auch in Wittstock trugen Neonazis aus Oberhavel das Kampagnen-Transparent.

Willkommenskultur und Proteste in Oranienburg
Derweil setzen sich verschiedene Initiativen in Oranienburg und im gesamten Landkreis Oberhavel für eine Willkommenskultur ein. Die Initiative „Willkommen in Oberhavel“ leistet praktische Solidarität in den Städten Hennigsdorf, Gransee und Lehnitz. Am Sonnabend fand ein weihnachtliches Kaffetrinken in Lehnitz statt, um die neu angekommenen Geflüchteten zu begrüßen. Auch in Leegebrich hat sich, kurz nachdem die Unterbringung bekannt wurde, eine Willkommensinitiative gegründet.
Das Bündnis „Oberhavel Nazifrei“ mobilisiert zu Protesten gegen den Neonazi-Aufmarsch. Das Bündnis ist ein Zusammenschluss von Parteien, Jugendorganisationen und zivilgesellschaftlichen Verbänden. Sie rufen zu einer Gegenkundgebung auf, die ebenfalls am Oranienburger Bahnhof stattfinden soll.
Mit Sorge und Entsetzen verfolgten wir die Ereignisse während der Einwohner*innenversammlung am Donnerstag, den 27. November im Gauß-Gymnasium in Frankfurt (Oder)-West.
Die als Informationsveranstaltung geplante Veranstaltung wurde von Beginn an von menschenverachtenden Statements begleitet und einer aufgeheizten Stimmung dominiert. In den ersten zehn Minuten verlor sowohl die Moderation als auch das Podium die Kontrolle über die Veranstaltung. Die Diskutant*innen auf dem Podium, Oberbürgermeister Martin Wilke, Brandenburgs Innenminister Karl-Heinz Schröter, der Leiter der Zentralen Erstaufnahmestelle Eisenhüttenstadt Frank Nürnberger, ein Vertreter der Brandenburger Polizei sowie Heidi Pfeiffer vom Internationalen Bund, konnten rassistische Ausuferungen nicht unterbinden. Geflüchtete seien Fremde, deren Kultur und Ethnie zwangsläufig eine Bedrohung der „deutschen“ Kultur darstellt. Zwischenrufe wie „Die haben gar keine Kultur“ oder „Die passen nicht hierher“ bestätigen diesen Eindruck. Aufgeführte Fluchtgründe, wie Krieg oder Verfolgung, wurden seitens der Zuschauer*innen verlacht. Eine Anwohnerin echauffierte sich offen über die Stromverschwendung des Asylsuchenden, denn sie hätte bemerkt, dass dort das Licht lange an sei. Andere sprachen von „Dreck“, den die Geflüchteten verursachen würde und davon, dass die Grundstückswerte sänken aufgrund der Abwertung durch die Geflüchtetenunterkunft.
Anregungen, die Geflüchteten kennenzulernen oder sich für sie einzusetzen, wurden mit Buhrufen und zynischen Kommentaren quittiert. Beispielsweise wurde appelliert, den Geflüchteten Toleranz und Unterstützung bei Schwierigkeiten auf Grund von mangelnden Sprachkenntnissen entgegenzubringen. Menschen im Publikum empörten sich und lieferten mit Aussagen wie: „Wenn ich im Ausland bin, muss ich auch klarkommen“ einen weiteren Beweis für fehlende Empathie. Menschen, die sich für eine Aufnahme von Geflüchteten und gegen Verurteilungen und Überlegenheitsdenken aussprachen, wurden ebenfalls eingeschüchtert und ausgepfiffen.
Einwohner*innenversammlung – Warum überhaupt?
Das Konzept, eine Einwohner*innenversammlung im Zuge der Eröffnung einer neuen Geflüchtetenunterkunft ist hoch umstritten und gehört keinesfalls zum Standardrepertoire der kommunalen Politik. Viele Gemeinden haben sich dagegen entschieden, weil eine derartige Veranstaltung rassistischen Ressentiments und Intoleranz all denen gegenüber Raum gibt, welche nicht als „deutsch“ wahrgenommen werden. Genau das ist der Fall, wenn „Ängste und Sorgen“ der Anwohner*innen von der Stadt „ernst genommen werden“, ohne gleichzeitig deutlich zu sagen, dass das Recht auf Asyl (Grundgesetz) und der Schutz vor Verfolgung (UN-Flüchtlingskonvention) nicht verhandelbar sind.
Warum sollte mensch auch Angst vor jemandem haben, der*die vor Krieg, Hunger und Folter geflohen ist? Warum sollte mensch Angst vor jemandem haben, der*die nicht in Deutschland geboren wurde? Und warum sollte dann eine Einwohner*innenversammlung initiiert werden, weil Menschen, mit eben diesem Hintergrund, in eine Unterkunft ziehen? Wir haben uns stark gemacht gegen eine solche Einwohner*innenversammlung, weil klar ist, wem sie eine Bühne gibt: Rassist*innen. Wir sind dagegen, dass Anwohner*innen eines Stadtteils das Gefühl bekommen, sie könnten entscheiden, ob Menschen mit Fluchthintergrund in ihrer Nachbarschaft leben dürfen.
Nach dem medialen Aufschrei im August dieses Jahres, bei dem Hass gegen vermeintlich kriminelle Asylsuchende geschürt wurde; bei dem v.a. auf dem Internetportal Facebook hunderte rassistische Kommentare und Forderungen nach (Gas-)Kammern, Ermordung und Folter von Geflüchteten grassierten; und nachdem es zwei Versuche rassistischer Mobilisierung in Form von Demonstrationen gegen Geflüchtete gab — seitdem ist spätestens klar, dass Rassismus tief in der Gesellschaft Frankfurts verankert ist. Wer sich in einer derart aufgeheizten Stimmung dafür entscheidet, das hoch umstrittene Konzept einer Einwohner*innenversammlung in Angriff zu nehmen, muss sich erst recht gründlich darauf vorbereiten.
Fehler bei der Planung und Durchführung der Veranstaltung
Aufgrund der Ereignisse im August wurde eine Stadtverwaltungs-AG gegründet, die sich weitestgehend mit einer viel beschworenen „Flüchtlingsproblematik“ auseinandersetzen sollte. Menschen mit Fluchthintergrund wurden von vielen Politiker*innen in den Debatten als Problemauslöser identifiziert: Nicht die Kriege, vor denen sie geflohen sind, nicht die europäische Asylpolitik, die Geflüchtete entwürdigt und grausam abschiebt, und auch nicht der heimische rassistische Mob, der im Internet zu Mord aufruft, werden offen als Probleme genannt. Die bereits genannte Verwaltungs-AG wuchs mit ihrer Aufgabe, namentlich der Organisierung der Einwohner*innenversammlung. Vordergründig Personen aus den entsprechenden Verwaltungsebenen, sowie Vertreter*innen diverser staatlicher Akteure, die sich weitestgehend mit der Thematik „Asyl“ auseinandergesetzt haben, wurden geladen. Wir als Akteur, mit über 15 Jahren Erfahrung in der Flüchtlingsberatung und als antirassistischer Akteur wurden trotz mehrfacher Anfrage dezidiert ausgeladen.
Das Mobile Beratungsteam ‑MBT- aus Frankfurt (Oder) war ebenfalls federführend in der Organisation der Veranstaltung. Unsere Hinweise an das MBT bezüglich des Gefahrenpotentials einer solchen Veranstaltung wurde ebenso weggewischt wie unser Drängen auf eine Ausschlussklausel für stadtbekannte Neonazis. Schließlich griffen weder Polizei noch MBT ein, als offen rassistisch und menschenverachtend gehetzt wurde.
Es ist, was es ist: Rassismus!
Die offenen rassistischen Ressentiments auf der Einwohner*innenversammlung wurden (und werden) als „Ängste und Sorgen“ und nicht als Rassismus begriffen. Wenn Menschen sich dazu versteigen, anderen Menschen das Grundrecht auf Asyl abzusprechen, eine nächtliche Ausgangssperre für Geflüchtete zu fordern, Geflüchtete als generell schmutzig und bedrohlich, kriminell, verschwenderisch und alkoholisiert zu verurteilen — dann ist das Rassismus. Wenn unvereinbare Unterschiede zwischen Menschengruppen ausgemacht werden, wenn die kulturelle Überlegenheit, eine ethnisch bedingte Zugehörigkeit oder das bessere Benehmen “den Deutschen” zu- und anderen Menschen abgesprochen wird — dann ist das ebenso Rassismus.
Solchen Meinungen ein Podium zu bieten, führt nur dazu, dass sich Bürger*innen die Legitimität ihrer „Gefühle“ gegenseitig bestätigen und somit rassistische Denkmuster gefestigt werden. Indem rassistische Aussagen toleriert werden, wird den Bürger*innen signalisiert, dass solche Einstellungen vertretbar sind. Rassismus darf kein unwidersprochener Teil des politischen Diskurses bleiben; die Menschen müssen merken, dass Rassismus keine x‑beliebige Meinung neben anderen ist, sondern ein Verbrechen, eine antihumane Einstellung mit mörderischem Potential.
Was ist also zu tun?
Für uns ist klar, dass nur antirassistisches Engagement und die Etablierung einer Willkommenskultur der herabwürdigenden und flüchtlingsfeindlichen Stimmungsmache etwas entgegensetzen kann. Wir rufen alle Bürger*innen, die sich für die Unterbringung von Flüchtlingen und gegen rassistische Stimmungsmache engagieren wollen, dazu auf, bestehende Initiativen und Projekte zu unterstützen, selbst tätig zu werden und den Austausch mit in Frankfurt (Oder) lebenden Geflüchteten zu suchen. Es muss sich eine antirassistische Zivilgesellschaft entwickeln, die in der Lage ist, Geflüchtete vor einer zunehmenden rassistischen Mobilisierung zu schützen und eine Kultur der Solidarität zu etablieren.
Bezüglich der Einwohner*innenversammlung muss die Konsequenz sein, dass eine solche nicht mehr stattfinden kann. Wenn auf einer Veranstaltung, die Menschen informieren soll, letztendlich nur rassistische Stimmung gegen zukünftige Flüchtlingsunterkünfte gemacht wird, bringt das keinen der Beteiligten weiter! Im Gegenteil: Es stellt eine zusätzliche Bedrohung für die Geflüchteten dar. „Bellende Hunde beißen nicht“ — mit diesem Spruch versuchte zwar ein sichtlich schockierter Polizist nach diesem unheimlichen Frankfurter Abend noch die Fassung zu bewahren. Doch auf diesen hilflosen Optimismus können wir nicht vertrauen: Das rassistische Potential und die fehlende Empathie der Frankfurter*innen ist bei der Veranstaltung offensichtlich geworden. Sich dem entgegenzustellen, sollte eine Konsequenz aus dem Abend sein. Denn das wirkliche Problem sind und bleiben die rassistischen Ressentiments der hier lebenden Bürger*innen und nicht die Geflüchteten, die aus Angst vor Verfolgung oder Krieg oft unfreiwillig ihre Heimat verlassen müssen.
Frankfurt (Oder), den 10.12.2014
Utopia e.V.
Als Frauen sind wir mit Gewalt gegen Frauen konfrontiert, eine der häufigsten Menschenrechtsverletzungen weltweit.
Dieses Schicksal teilen wir mit vielen Frauen auf der ganzen Welt. Aber gleichzeitig erleben wir, dass Flüchtlingsfrauen in Deutschland, durch diskriminierenden Gesetze, vor allem auch durch die Unterbringung in Lagern noch weniger vor Gewalt geschützt sind, als andere Frauen. Deshalb fordern wir, Keine Lager für Frauen, alle Lager abschaffen!
Als Flüchtlingsfrauen erleben wir tagtäglich Verletzungen unserer Menschenrechte:
Wir werden in Europa hin und her geschoben, mit Gutscheinen erniedrigt, mit Arbeitsverboten und dem Asylbewerberleistungsgesetz entrechtet und die Unterbringung in Lagern verletzt unser Recht auf ein selbstbestimmtes Leben. Dieses Schicksal teilen wir mit allen asylsuchenden Frauen und Männern in Deutschland.
Deshalb fordern wir, alle diese diskriminierenden Gesetze abzuschaffen!
In den letzten Monaten können wir beobachten, dass neue diskriminierende Gesetze gegen Flüchtlinge einem neuen Grundprinzip folgen: Verletzung von elementaren Grundrechten für die einen — graduelle Verbesserungen für die anderen. Ob Arbeitsverbote oder Integration, Flüchtlingsschutz oder Abschiebung, Abschiebehaft oder Bleiberecht. Das ganze deutsche Asylsystem spaltet Flüchtlinge und MigrantInnen: Wo früher alle Flüchtlinge und MigrantInnen entrechtet waren, gibt es jetzt ein Aufenthalts- und Asylrecht, das nach hierarchischen Kategorien sortiert: “Nützliche” MigrantInnen, die integriert werden können, “richtige Flüchtlinge”, die zumindest vorübergehend Schutz brauchen und vermeintliche “AsylbetrügerInnen” werden in verschiedene Schubladen sortiert. Gleichzeitig haben zahlreiche Entrechtungen und Sondergesetze für Asylsuchende auch das Ziel, sie von anderen Teilen der Zivilgesellschaft abzuspalten.
Dem setzen wir transnationale Solidarität entgegen.
Wir Flüchtlinge lassen uns nicht spalten in richtige und falsche Asylsuchende, in erwünschte und unerwünschte Asylsuchende. Wir haben alle ein Recht auf Schutz und auf ein menschenwürdiges Leben. Wir, Aktivistinnen mit oder ohne Fluchthintergrund halten zusammen und bekämpfen diese rassistischen Gesetze zusammen.
Am frühen Abend marschierten ungefähr 130 Personen, der Großteil davon Neonazis aus Brandenburg und Berlin, anlässlich eines so genannten „Fackelspaziergangs gegen die Flüchtlingspolitik“ durch die nordbrandenburgische Stadt Wittstock/Dosse. Der Aufmarsch wurde von einem massiven Polizeiaufgebot, ungefähr 500 Beamt_innen sollen vor Ort gewesen sein, begleitet und letztendlich auch durchgesetzt. Ein Blockadeversuch von jugendlichen Antifaschist_innen scheiterte in der Ringstraße. Er soll von der Polizei recht rabiat vereitelt worden sein. Zu Festnahmen sei es aber nicht gekommen sein.
Proteste am Rande
Polizeilich geduldete Protestkundgebungen in Hör- und Sichtweite der Asylgegner_innen gab es hingegen nur am angemeldeten Infotisch in der Pritzwalker Straße Ecke Ringstraße. Dort versammelten sich zuletzt ungefähr 50 Menschen und protestierten mit Fahnen und lautstarker Stimme gegen den daran vorbeiziehenden Fackelmarsch.
In der Ringstraße Ecke Wiesenstraße gab es zu dem einen Andacht durch Mitglieder kirchlichen Gemeinde. Diese fand unter dem Motto: „Rassismus widersprechen! Denn vor Gott sind alle gleich.“ statt.
Am Bahnhof, dem Startpunkt des Fackelmarsches der Asylgegner_innen waren zu dem Transparente der Initiativen „Wittstock bekennt Farbe“ sowie „Schöner leben ohne Nazis“ angebracht.
Etwas abseits des Geschehens, aber dafür im Kern der historischen Altstadt, wurde sich ebenso gegen Nazis und Rassismus positioniert. Hier, auf dem Marktplatz der Stadt, fand die Eröffnung des Weihnachtsmarktes statt, die vom Bündnis „Wittstock bekennt Farbe“ ebenfalls genutzt wurde um Luftballons mit den Slogans „Kein Ort für Nazis“ und ähnliches unter die Bevölkerung zu verteilen. Bürgermeister Jörg Gehrmann nutze zu dem seine Eröffnungsrede auf dem Markt, um seinen Unmut für die Veranstaltung der Asylgegner_innen auszudrücken.
Die Marschierer außerhalb der Innenstadt hielt dies freilich nicht auf.
Braune Allianzen
Zu diesem Fackelmarsch hatten übrigens mehrere Initiativen, Vereinigungen und Organisationen mobilisiert. Alleine aus Wittstock/Dosse fielen zwei Socialmedia-Gruppen auf, die vor allem um Teilnehmer_innen aus der Stadt bemüht waren. Zum einen war dies die Gruppe „Asylpolitik in Wittstock NEIN Danke“ mit 397 Mitgliedern, die zwar ein bürgerliches Antlitz vortäuscht, jedoch stark von neonazistischem Gedankengut vereinnahmt wird, und zum anderen die Gruppe „IN WITTSTOCK AUFGEWACHSEN UND DARAUF BIN ICH STOLZ“ mit 54 Mitgliedern, die von dem einschlägigen Neonazi Oliver M. betrieben wird und im Titelbild auch unter dem Namen „Nationale Sozialisten Wittstock/Dosse“ firmiert. Wobei die Gruppe der in WITTSTOCK AUFGEWACHSENen, nicht mit einer gleichlautenden, aber kleingeschriebenen Gruppe mit über 2.000 Mitgliedern, verwechselt werden sollte.
Darüber hinaus warb auch die NPD Potsdam-Mittelmark aus Bad Belzig sowie die Initiative „Ein Licht für Deutschland gegen Überfremdung“ für die Veranstaltung. Insbesondere letztgenannte Gruppe macht seit einigen Wochen vermehrt von sich Reden. Am Volkstrauertag 2014 marschierte sie unangemeldet mit Fackeln durch die Kleinstadt Gransee (Landkreis Oberhavel). Des Weiteren beteiligten sich Sympathisanten der Initiative am vergangenen Wochenende an einem Aufmarsch von Asylgegner_innen im sächsischen Schneeberg (Erzgebirge). Auch in Wittstock nahmen heute Vertreter_innen von „Ein Licht für Deutschland gegen Überfremdung“ teil. Diese relativ neue Gruppe scheint ein Netzwerk von Neonazis aus Potsdam-Mittelmark, Brandenburg an der Havel, Oberhavel und Ostprignitz-Ruppin zu sein, dass mutmaßlich von dem Grabower Neonazi Maik Eminger gesponnen wurde. Eminger, der ursprünglich aus dem Erzgebirge stammt und dort in neonazistischen Kameradschaften sozialisiert wurde, trat auch als mutmaßlicher Sprecher dieser Initiative in Schneeberg auf. Auch in Wittstock/Dosse war er heute zugegen und hielt während der Zwischenkundgebung im Bereich Friedrich Schiller Straße einen Redebeitrag. Eminger, dessen Bruder André sich zurzeit beim NSU Prozess in München verantworten muss, steht für den militanten Flügel des neonazistischen Milieus und verfügt über zahlreiche Kontakte zu Gleichgesinnten in NPD, JN, III. Weg, Gefangenenhilfe und anderen Neonaziorganisationen.
Zu diesem Netzwerk halten offenbar auch mehrere Stadtverordnete der nationaldemokratischen Partei. So waren heute u.a. auch Dave Trick aus Neuruppin (Landkreis Ostprignitz-Ruppin), Robert Wolinski aus Velten (Landkreis Oberhavel) und Pascal Stolle aus Bad Belzig (Landkreis Potsdam-Mittelmark) nach Wittstock/Dosse gereist.
Ansonsten waren weiterhin bekannte Gesichter der „Nationalen Sozialisten Wittstock/Dosse“, der „Aktionsgruppe Nord Ost“ und der „Freien Kräfte Neuruppin/Osthavelland“ vertreten. Die „Freien Kräfte Prignitz“ waren zu dem mit eigenem Banner angereist.
So genannten „Bürger_innen“ waren hingegen nur zu einem kleinen Teil vertreten. Ungefähr 20 bis 30 Personen können diesem Spektrum zugeordnet werden. Der Rest war mehr oder weniger als Neonazi oder Hooligan erkennbar. Für letztgenannte Gruppe wurde übrigens auch extra der Titel „Hooligans gegen Salafisten“ von „Kategorie C“ über den Pkw-Lautsprecherwagen abgespielt.
weitere Fotos: hier
Der für Samstag, den 6. Dezember 2014, in Wittstock/Dosse geplante Aufmarsch von Asylgegner_innen wird höchstwahrscheinlich ohne besondere rechtliche Einschränkungen stattfinden. Lediglich der Startpunkt des Aufzuges wurde von der Stadthalle zum Parkplatzbereich vor der Bahnhaltestelle umverlegt. Von dort aus soll es zunächst in die nördlichen Stadtgebiete, bis zur Friedrich Schiller Straße gehen. In diesem Bereich ist dann eine Zwischenkundgebung geplant.
Asylgegner_innen wollen direkt zu Flüchtlingsunterkünften
Wie bereits befürchtet, führt diese Marschroute bis in unmittelbarer Nähe zu Wohnungen, in denen Geflüchtete untergebracht sind. Auch der Marsch mit Brandfackeln scheint bisher polizeilich nicht untersagt zu sein. Vielmehr bekräftigte die Revierführung, dass die Polizei mit einem großen Aufgebot vor Ort sein wolle und die Sicherheit angeblich so garantieren könne.
Jedoch sind für den Fackelmarsch ungefähr 500 Personen angekündigt, von denen ein großer Teil gewaltbereite Neonazis sein könnten. Im Internet wurden in einer öffentlichen Veranstaltungsgruppe bereits 362 Personen eingeladen. Nach neun Stunden hatten heute allerdings erst 41 potentielle Versammlungsteilnehmer_innen, darunter aber viele einschlägig bekannte Neonazis aus den Landkreisen Prignitz und Ostprignitz-Ruppin, zugesagt. Eine reelle Teilnehmer_innenzahl schwankt möglicherweise zwischen 100 und 250 Personen.
Protestaktionen geplant
Gegen den Aufmarsch sind aber auch Protestaktionen geplant. Ziel dieser ist es, die Asylgegner_innen möglichst fern von den Flüchtlingsunterkünften zu halten.
Als Anlaufpunkt für alle die, die gegen den geplanten Fackelmarsch protestieren wollen, wurde inzwischen auch ein Infotisch in der Pritzwalker Straße Ecke Ringstraße angemeldet. Dieser befindet sich an der Brücke über die Glinze und somit in unmittelbarer Nähe des Anlaufpunktes der Asylgegner_innen. Der Infotisch wurde für die Zeit von 15.00 bis 22.00 Uhr angemeldet. Protest auf Augenhöhe scheint also in jedem Fall möglich.
Des Weiteren plant die Kirche eine öffentliche Andacht in der Zeit von 15.00 bis 18.00 Uhr in der Wiesenstraße Ecke Meyenburger Chaussee, einem möglichen Passierpunkt der Asylgegner_innen.
Die historische, von der Stadtmauer umschlossene Altstadt scheidet hingegen offenbar als Aufmarschfläche aus. Da die Stadt Wittstock dort eine Weihnachtsveranstaltung durchführt, bleibt den Asylgegner_innen der Zugang zur Innenstadt verwehrt. Dafür will das Bündnis „Wittstock bekennt Farbe“ zusätzlich auf dem Markt Präsenz zeigen, um dort mit Bürger_innen ins Gespräch zu kommen und ihnen Material für ein Bekenntnis zu einer weltoffenen Stadt zu übergeben.
Karte als PDF: Wittstock Plan 6.12