Die neueste Ausgabe unseres Rundbriefes Schattenberichte – Nachrichten aus der Opferperspektive ist noch kurz vor Jahresende erschienen. Wie immer geben wir hier einige Einblicke in unsere Arbeit. Auch dabei ist der Einleger der Antidiskriminierungsberatung Brandenburg.
Die Artikel im Einzelnen:
– Editorial – Unteilbar für eine solidarische Gesellschaft
– Erfahrungsbericht einer Betroffenen
– Vor Ort: Angermünde, Guben, Calau & Prenzlau
– Kurznachrichten aus der Arbeit der Opferperspektive
– Publikation “Beratung von Opfern rechter und rassistischer Gewalt”
PDF Version: Schattenberichte Dezember 2018
Antidiskriminierung – Nachrichten aus Antidiskriminierungsberatung Brandenburg (ADB)
– Diskriminierende Behandlung: Rassistische Erfahrungen im Gesundheitsbereich
– Hausordnung oder Grundgesetz? Neue Broschüre der ADB: Grenzen von Grundrechtseingriffen in Gemeinschaftsunterkünften für Geflüchtete
PDF Version: Nachrichten der Antidiskriminierungsberatung Dezember 2018
Ältere Ausgaben sind unter der Rubrik Material > Schattenberichte zu finden: www.opferperspektive.de/schattenberichte
In unserem Rundbrief Schattenberichte – Nachrichten aus der Opferperspektive informieren wir regelmäßig über unsere Arbeit und über das Ausmaß rechter Gewalt und rassistischer Diskriminierung. Er erscheint zwei Mal im Jahr. Spender*innen und Fördermitglieder erhalten ihn regelmäßig per Post oder als digitalen Rundbrief. Teilen Sie uns dazu bitte ihr Mailadresse mit. Sie können den Schattenbericht gern per Mail abonnieren.
Monat: Dezember 2018
In Brandenburg droht 2019 ein Wahlsieg der AfD. Dietmar Woidke, der Ministerpräsident, würde ihn gern verhindern. Doch wirkt er ziemlich hilflos.
Es gibt einen Satz, den Brandenburgs SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke häufig verwendet: “Da müssen wir uns keine Sorgen machen.” Dieser Satz verrät wenig über Brandenburg, aber viel über ihn. Fragt man Woidke nach der Lage seiner Regierung, nach der SPD, nach der Landtagswahl am 1. September, sagt er: “Da müssen wir uns keine Sorgen machen.”
Wirklich? Geht es um Landtagswahlen im kommenden Jahr, dann reden die meisten über Sachsen. Darüber, dass dort die AfD triumphieren könnte. Dabei gibt es ein Land, in dem die Lage ähnlich bedrohlich für die Regierungsparteien ist, vielleicht bedrohlicher: Brandenburg.
Weiter lesen. hier.
REPs eröffnen Schlammschlacht
Eine deutsche Staatsbürgerin mit kurdischen Wurzeln wird Vorsitzende eines AfD Verbandes im brandenburgischen Havelland. Dies empört die Republikaner und deren neuen Brandenburger Landeschef, der mit seinem extrem rechten Verein „Bürgerbündnis Havelland“ bisheriger Platzhirsch in diesem Landkreis ist. Beide engagierten sich allerdings noch Anfang des Jahres für die gemeinsame Sache. Der REP- und gleichzeige Bürgerbündnis Chef unterstützte die jetzige Vorsitzende des AfD Kreisverbandes Havelland bei einem ihrer rechten „Frauenmärsche“ in Berlin.
Leyla Bilge neue AfD Kreisvorsitzende
Foto: Leyla Bilge (links) mit ihrem Bodygard (rechts, mit „Lebensrunen“-Tattoo) während einer ihrer „Frauenmärsche“ am 9. Juni 2018 in Berlin.
Der havelländische Pressesprecher der Alternative für Deutschland, Gerald Hübner, verkündete vorgestern scheinbar Sensationelles. In einer überwiegend ironisch verfassten Pressemitteilung, welche in ersten Linie offenbar Rassismus‑, Sexismus- und Homophobie-Vorwürfe gegen seine Partei aufs Korn nehmen sollte, verkündete der Mann, der in Berlin als Angestellter des LKA arbeitet und vor zwei Jahren wegen rechter Aussagen bei Veranstaltungen der „PEGIDA Havelland“ mit drohenden personalrechtlichen Konsequenzen zu kämpfen hatte, das nun die „gebürtige Kurdin“ Leyla Bilge zur neuen Kreisvorsitzenden der havelländischen AfD gewählt wurde. Explizit betonte er dabei, dass diese sich „mit ihrem Verein auch der Entwicklungs- und Flüchtlingshilfe in Syrien und Irak“ widme.
Gab es etwa eine Kurskorrektur in der „AfD“ ?
Nein, die Fakten sprechen eher dagegen.
Im November 2017 soll Leyla Bilge beispielsweise Moderatorin einer Konferenz des rechten Compact Magazins in Leipzig gewesen sein. Dort habe sie Björn Höcke – Anführer des völkisch-nationalistischen Flügels in der AfD – u.a. als „die Stimme Deutschlands“ bezeichnet. Der „Alternative für Deutschland“ soll sie zudem bereits im Sommer 2016 beigetreten sein.
Am 17. Februar 2018 organisierte Bilge in Berlin einen so genannten „Frauenmarsch“, auf dem u.a. auch PEGIDA-Mann Lutz Bachmann auftrat. Die Berliner Innenbehörde erkannte zudem auch Neonazis, Mitglieder der „Identitären Bewegung“, „Reichsbürger“ und NPD Funktionäre auf der Demonstration.
Das Engagement Leyla Bilges im Havelland erscheint jedoch tatsächlich neu. Auf dem Magdeburger Konvent der Bundespartei Mitte November 2018 hatte sie sich nämlich noch um einen Listenplatz für die Kandidatur zu den Europawahlen 2019 beworben – vorerst erfolglos. Der Abstieg in die Provinz verwirrt deshalb zunächst. Jedoch werden 2019 im Land Brandenburg Kommunal- und Landtagswahlen abgehalten. Es könnte eine zweite Chance für Bilge sein.
REP Chef Christian Kaiser empört über Bilges neuen Posten
Foto: Christian Kaiser, Chef des „Bürgerbündnisses Havelland“ und Brandenburger REPUBLIKANER während eines Redebeitrages an einem mit „Lebensrunen“ verzierten Podium (Kundgebung am 2. Juli 2018 in Rathenow).
Doch kurz nach dem Bekanntwerden der AfD Pressemitteilung zur Neubesetzung des Kreisvorsitzes der Partei empörte sich bereits die Konkurrenz in Form des Brandenburger Landesverbandes der REPUBLIKANER über diese Wahlentscheidung. „Niemand braucht eine Kurdin um Politik für die BRD zu machen“, so Brandenburgs REPs auf ihrer offenbar neuen, zweiten Seite bei Facebook. „Deutsche für Deutschland“ ergänzte der Chef der Brandenburger REPUBLIKANER, Christian Kaiser, zudem beim Teilen der Meinung seines Parteiverbandes.
Die REPs und ihr Chef in Brandenburg unterstellen der AfD zudem indirekt Unehrlichkeit. In ihrer mutmaßlich rassistisch motivierten „Kritik“ berufen sie sich auf Björn Höcke. Dieser gilt wiederum als Kopf des völkisch-nationalistischen „Flügels“ in der AfD, der sich in einem seiner fünf Grundsätze u.a. wie folgt positioniert: „Nur Ideologen glauben, […] dass jeder zu einem Deutschen wird, sobald er die Landesgrenze überschritten hat“.
Diese grundsätzliche „Kritik“ an der neuen AfD-Kreisvorsitzenden passt zwar zu den aktuellen Entwicklungen bei den REPs, verwirrt allerdings doch ein wenig im Hinblick darauf, dass Kaiser, der auch Chef der extrem rechten Vereinigung „Bürgerbündnis Havelland“ ist, Bilge noch bei ihrem „Frauenmarsch“ im Februar diesen Jahres mit einem Lautsprecherwagen, Anlagentechnik und nicht zuletzt mit dem Logo-besetzten Podium des Vereins unterstützte.
Andererseits offenbart die Empörung der REPs die perfide Masche der extremen Rechten, willige Menschen, welche nicht dem landläufigen Bild ihrer Bewegung entsprechen und somit gerne als Aushängeschild gezeigt werden, so lange für sich auszunutzen, wie es für die Sache dienlich ist.
Die plötzliche fundamentale Ablehnung der „gebürtigen Kurdin“ kann nämlich nicht darüber hinwegtäuschen, dass der havelländische „Platzhirsch“ der extremen Rechten, Christian Kaiser, durch die bundesweit bekanntere Bilge um seinen Einfluss in der Region fürchten muss.
Die Silvesternacht in Köln, die Städte Kandel, Chemnitz und Köthen sind zu Schlagworten geworden. Sie stehen für rassistische Mobilisierungen, die eines gemeinsam haben: Sexualisierte Gewalt wird benutzt, um gegen Geflüchtete, Migrant*innen und People of Colour (POC) zu hetzen. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um reale sexualisierte Übergriffe handelt. Wenn nur der „ferne Verdacht [besteht], dass eine Gewalttat (mit sexueller Komponente) von einem nicht-deutschen Mann begangen wurde, wird sie für Rechte und besorgte BürgerInnen zum Anlass und zur Legitimation rassistischer Hetze, während sexualisierte Gewalt durch weiße deutsche Täter gänzlich ausgespart und damit tabuisiert wird.“ (Berg, Goetz & Sanders, 2018). Zuletzt, vor nur wenigen Tagen, mobilisierten aus genau diesem Anlass sowohl die AfD und die rassistische Initiative Zukunft Heimat, als auch die NPD zu Kundgebungen im Brandenburgischen Königs Wusterhausen.
Unser Text ist in Anlehnung an den Artikel „Toxische Männlichkeit von Kandel bis Chemnitz“ entstanden, der sich mit der Instrumentalisierung sexualisierte Gewalt durch die extreme Rechte beschäftigt und Anfang September kurz nach den Eskalationen in Chemnitz von Anna Berg, Judith Goetz und Eike Sanders auf der Seite des apabiz veröffentlicht wurde. Wir sehen ihn als einen für eine antifaschistische Analyse und Debatte wichtigen Beitrag, da er sich aus feministischer Perspektive den rassistischen Mobilisierungen nähert.
Nun sind einige Monate seit den Eskalationen in Chemnitz und auch Köthen vergangen. Beim #wirsindmehr-Konzert in Chemnitz setzten 65.000 Menschen ein Zeichen; über 200.000 demonstrierten in Berlin für Unteilbarkeit und Solidarität. Nicht nur die Groß- und Massenaktionen bekommen Zuspruch, auch auf lokaler Ebene, in kleinen Städten in Brandenburg engagieren sich Menschen gegen die rassistische Mobilisierung. Das gibt Kraft und Mut! Aber es ist noch lange kein Grund, sich wieder gemütlich zurückzulehnen.
Wir schauen auf die Lage in Brandenburg und beschreiben, welche Rolle hier „toxische Männlichkeit“¹ spielt. Außerdem wollen wir einige Vorschläge und Ideen für feministische und antifaschistische Interventionen vorstellen.
Chemnitz, Köthen, Cottbus, Königs Wusterhausen
Der Vergleich springt förmlich ins Gesicht: Nach Chemnitz und Köthen blickten viele in Brandenburg nach Cottbus. Würde es hier zur nächsten Eskalation rechter Gewalt kommen? Zu Recht rückte Cottbus in den Fokus, denn hier demonstriert inzwischen seit über einem Jahr die, auch über Brandenburg hinaus vernetzte, rassistische Initiative Zukunft Heimat Hand in Hand mit der Brandenburger AfD. Nachdem anfangs mehrere Hundert Menschen demonstrierten, steigerte sich die Beteiligung in diesem Jahr auf bis zu 3.000 Teilnehmende. Der Anlass: Eine Auseinandersetzung zwischen Rechten und Geflüchteten nach einem Junggesellenabschied Anfang Mai 2017, bei der auch Messer eingesetzt wurden. Dem vorausgegangen waren, laut der Initiative Cottbus schaut hin, rassistische Aufstachelungen durch rechte Hooligans. Ähnlichkeiten zur Mobilisierung in Chemnitz sind – neben personeller Beteiligung – in Cottbus folgende zu beobachten:
Ersten schüren rechte Hooligans wie die Fans des Energie Cottbus um die Hooligan-Gruppierungen Inferno Cottbus, Unbequeme Jugend und deren Umfeld die rassistische Stimmung und damit die Gewaltbereitschaft (zum Zusammenhang von Fußball und Männlichkeit siehe zum Beispiel: hier). Sie stellen nicht nur wesentliche Teile der Zukunft Heimat ‑Demonstrationen, sondern marschierten bereits Anfang 2017, also vor der Demonstrationskampagne, durch Cottbus und riefen „Nafris raus“. Auch an unmittelbaren Angriffen am Rand der Demonstrationen waren sie beteiligt.
Zweitens können RassistInnen in Cottbus, wie auch in Chemnitz, auf eine organisierte rechte Szene zurückgreifen. Den Demonstrationen von Zukunft Heimat gelingt ein Schulterschluss der extremen Rechten von AfD, NPD, Hooligans, ehemaligen Spreelichter-Aktivisten, Aktivisten der Identitären Bewegung, der Kampagne EinProzent, RechtsRock-Musikern und verschiedenen anderen Neonazis. Seit Monaten sagen Umfragen für die AfD in Cottbus die höchsten Wahlergebnisse im Land voraus. Verbindungen der rechten Szene in Cottbus und Südbrandenburg ins benachbarte Sachsen sind über Jahre gewachsen.
Stärker sei der dritte Punkt betont: Auch in Cottbus nehmen die Instrumentalisierung sexualisierter Gewalt und das Bild des männlichen Beschützers einen wichtigen Platz in der Mobilisierung ein. Frauen*, Kinder (und hier insbesondere Mädchen*) und ältere Menschen werden als besonders schutzbedürftige Zielgruppen von Gewalt in der Stadt ausgemacht. Bezüge zu sexualisierten Übergriffen in der Kölner Silvesternacht 2015/16, und dem Mord an einer 15-jährigen Jugendlichen in Kandel werden immer wieder hergestellt. Zeitgleich wird auf die Gefahr einer vermeintlichen Islamisierung verwiesen, die bald alle Frauen* unter Schleier hüllt. Junge Mädchen* werden gar auf die Bühne gezerrt, um als Objekt des Beschützers präsentiert zu werden. Frauen* werden dabei stets als passive Opfer inszeniert. Dort, wo Frauen* aktive Rollen übernehmen, tun sie das in der ihnen zugewiesenen Sphäre: Als Mütter, die ihre Töchter beschützen.
Toxische Männlichkeit heißt in Cottbus und auch anderenorts weiße, deutsche, cis-Frauen zu schützen. Sei es die Großmutter vor „kriminellen Ausländerbanden“ ganz im Stile der NPD, oder die junge Frau vor sexualisierter Gewalt, wie sie in Cottbus auf diversen Plakaten und Reden zur Schau gestellt wird. Die Frau ist und bleibt dabei ein Objekt unter Verfügung des Mannes. Sie müsse davor geschützt werden, dass „fremde junge Männer unsere Mädchen als jederzeit verfügbare Beute betrachten“ (EJGF, S.8). Die Täter sind angeblich ausschließlich nicht-weiße Männer. Dass sexualisierte Gewalt hauptsächlich im (familiären) Nahfeld geschieht und die (meist männlichen) Täter häufig Väter, Ehemänner, Bekannte oder Nachbarn sind, wird in dieser Skandalisierung ausgespart genauso wie der Fakt, dass die Fälle häuslicher Gewalt auch in Brandenburg steigen. Die vielen Fälle von familiärer und häuslicher Gewalt und Gewalt innerhalb von (Liebes-)Beziehungen werden dabei jedoch nicht nur innerhalb der extrem rechten Mobilisierung verschwiegen. Auch in Presseberichten zu solchen Fällen von (tödlicher) Gewalt ist nicht selten schlicht von „Familiendramen“ oder „erweitertem Suizid“ zu lesen, wenn ein Mann Frau* und Kinder ermordet, um eine Trennung zu verhindern. Dabei ist diese extremste Form der toxischen Männlichkeit, in der ein Mann über das Leben einer Frau und möglicher Kinder verfügt, nicht geografisch beschränkt: Im Jahr 2017 kamen in Deutschland 147 Frauen bei Fällen häuslicher Gewalt ums Leben. Eine Aussparung dieser Fälle männlicher Gewalt gegen Frauen*, die eben nicht von scheinbar „zugereisten Fremden”, sondern zum großen Teil von hier geborenen Männern ausgeübt wird, weist umso mehr auf die Instrumentalisierung der Thematik zur rassistischen Mobilisierung weiter Kreise hin. Genauso lässt sich das Aussparen von betroffenen Schwarzen Frauen*, Women* of Color und queeren Menschen deuten, die, über die sexistische Diskriminierung hinaus, auch durch rassistische oder homo- und trans*-feindliche Zuschreibungen betroffen sind.
Dabei ist Cottbus nicht der einzige Ort in Brandenburg, in dem ein neues Chemnitz droht. Erst vergangene Woche fanden mehrere Kundgebungen in Königs Wusterhausen statt. Anlass dafür war ein Vorfall Ende November, bei dem eine 15-Jährige zwei Männern einer sexuellen Nötigung beschuldigte. Schnell war klar, dass die Herkunft der Männer die rassistische Stimmung weiter anheizen würde. Dabei gossen Boulevardzeitungen wie Bild und B.Z. fleißig Öl ins Feuer. So zitierte die B.Z. anonym einen Polizisten, der Stadt und Polizeileitung vorwarf, den Vorfall unter Verschluss gehalten zu haben, aus Angst vor rassistischen Ausschreitungen. Die lokale Polizeidirektion wies den Vorwurf zurück. Am 3. Dezember 2018 verkündete schließlich die Staatsanwaltschaft, dass sich die Beschuldigungen gegen die beiden Männer nicht erhärtet hätten. Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft erklärte der Öffentlichkeit, dass man nicht ausschließen könne, dass die junge Frau den Vorwurf erfunden habe. Doch obwohl die Staatsanwaltschaft kurz zuvor die Vorwürfe gegen die beiden Männer entkräftete, wurde der Vorfall als Aufhänger genutzt, um über die Asylpolitik zu schimpfen und potentielle Opfer (Frauen und Mädchen) zu „verteidigen“. In sozialen Medien werteten RassistInnen die Entkräftung der Vorwürfe als „Fakenews“, die beiden geplanten Kundgebungen wurden trotz der neuen Informationen durchgeführt. Bei der Kundgebung von Zukunft Heimat vor der Stadtverordnetenversammlung, bei der der extrem rechte AfD-Spitzenfunktionär Andreas Kalbitz als Redner auftrat, nahmen allerdings lediglich 70 Menschen teil. Am Bahnhof von Königs Wusterhausen versammelten sich hingegen einige Stunden später mehrere Hundert Menschen. Zu der Kundgebung hatte eine Nein zum Heim-Facebook-Seite aufgerufen, hinter der die NPD steht.
Ob die rassistische Mobilisierung in Königs Wusterhausen fortgesetzt werden soll, ist ungewiss. Derzeit liegen keine Anmeldungen vor. Es lässt sich nur eine vage Vermutung aussprechen, dass die Entkräftung der Vorwürfe gegen die Beschuldigten durch die Staatsanwaltschaft eine weitere Mobilisierung und Eskalation gedämpft habe. Auf der anderen Seite ist auch die Aussage der Staatsanwaltschaft, dass es sich womöglich um eine erfundene Tat handelte, mit großer Vorsicht zu genießen. Zwar gilt seit 2017 im Fall von Vergewaltigung das Prinzip „Nein heißt Nein“. Für die Strafbarkeit eines Übergriffes kommt es danach nicht mehr darauf an, ob mit Gewalt gedroht oder diese angewendet wurde. Und, ob sich die betroffene Person gegen den Übergriff körperlich gewehrt hat. Entscheidend ist – theoretisch –, dass das Opfer die sexuelle Handlung nicht gewollt hat. Dabei hat sich an der Beweislage in den meisten Fällen aber nichts geändert. Betroffene müssen detailliert ihre Peinigung schildern und am Ende steht Aussage gegen Aussage. Ein unsensibler Umgang von Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht mit Betroffenen, beispielsweise durch die Bagatellisierung der Tat, führt dazu, dass Betroffene sich nicht ernst genommen fühlen. Kein Wunder also, dass der Strafbestand der Vergewaltigung weltweit eine der niedrigsten Verurteilungsraten aufweist. Zudem sehen sich Frauen* permanent (medial und gesellschaftlich) mit dem Vorwurf konfrontiert, sich Vorwürfe sexualisierter Gewalt auszudenken, um Männer zu Unrecht zu belasten. Die Bereitschaft von Betroffenen überhaupt einen sexualisierten Übergriff oder eine Vergewaltigung anzuzeigen, ist Umfragen zufolge gering, insbesondere, wenn sich der Vorfall im nahen Umfeld ereignet hat (1, 2). Zu groß ist das Schamgefühl, das viele Betroffene empfinden. Jede zweite und dritte Tat bleibt im Dunkelfeld. All diese Gründe führen dazu, dass viele Betroffene eine (juristische) Auseinandersetzung mit dem Täter meiden. Nicht zu unterschätzen ist dabei die doppelte psychische Belastung und weitere Traumatisierung: zunächst durch die aggressiv motivierte Gewalttat selbst, in der Sexualität als Mittel eingesetzt wird, um Betroffene zu erniedrigen und Macht auszuüben und im weiteren Verlauf durch die Aberkennung und Infragestellung der Wahrnehmung der betroffenen Person durch Gesellschaft und Justiz (3, 4).
Feministisch-antifaschistische Intervention
Wie können feministische und antifaschistische Strategien aussehen, die sich gegen die rassistische Instrumentalisierung sexualisierter Gewalt richten, ohne dabei die Glaubwürdigkeit von Betroffenen infrage zu stellen und somit Rassismus gegen Sexismus auszuspielen? Wir haben ein paar Anregungen gesammelt:
1. Vor Ort zu sein und Solidarität zu zeigen, kann nachhaltig wirken. Es gilt, lokale Strukturen zu stärken und Solidarität mit den Betroffenen rassistischer Gewalt zu zeigen. Dabei ist ein martialisches Auftreten im schwarzen Block nicht immer hilfreich, wie es Interventionen in der Vergangenheit gezeigt haben. Das politische Angebot sollte sich an die Bedürfnisse der lokalen Gegebenheiten und potentiellen Bündnispartner*innen anpassen.
2. Zudem sollten wir den Blick für die Betroffenen sexualisierter Gewalt nicht verlieren. Dass es bei den Mobilisierungen in Chemnitz, Köthen, Cottbus und Königs Wusterhausen nicht um das Ernstnehmen von Betroffenen geht, sondern hier die Glaubwürdigkeit von Frauen* gegen Rassismus ausgespielt wird, ist eine Dynamik, die wir schon von der Silvesternacht Köln 2015 kennen. Wir müssen immer wieder aufzeigen, dass der vermeintliche Feminismus des weißen Mannes, kein Feminismus ist, nie war und nie sein wird, sondern Ausdruck einer toxischen Männlichkeit und eines rückwärtsgewandten patriarchalen Weltbildes ist. Dies erkannten schon die Autor*innen des Artikels „Toxische Männlichkeit von Kandel bis Chemnitz“: „Die einzige stichhaltige Argumentation gegen die monokausal-rassistische Erklärung sexualisierter Gewalt und das daraus resultierende Mobilisierungspotential ist der immer wieder zu führende Beweis, dass das Problem nicht die Ethnizität oder die Migrationsgeschichte von Tätern und Betroffenen ist, sondern eine bestimmte Form von Männlichkeit. Ein Identitätsangebot, für das sich Typen aus Tunesien, Afghanistan und Sachsen gemeinsam entscheiden, über alle politischen Grenzen hinweg. Und solange der gesamte Rest der Gesellschaft sexualisierte Gewalt als Resultat dieser Männlichkeit nicht ernst nimmt, werden die faktischen und ausgedachten Betroffenen von ausschließlich als migrantisch gedachter Männergewalt immense mobilisierende Wirkung haben.“ (Berg, Goetz & Sanders) Aus diesem Grund müssen wir eine breite Öffentlichkeit schaffen zur Thematisierung (sexualisierter) Gewalt gegen FLTI*, die sich nicht an der Herkunft und Religion des Täters orientiert. Zeigt euch solidarisch mit allen Betroffenen sexualisierter Gewalt, hört ihnen zu und unterstützt sie. Achtet aufeinander und schaut nicht weg.
3. Wir müssen über „toxische Männlichkeit“ sprechen! Genauso fehlt es im deutschen Sprachraum bisher an einer klaren Benennung der fast alltäglichen sexistischen Morde an Frauen*. Im Englischen existiert seit Langem der Begriff „femicide“, der Morde an Frauen* aufgrund ihres Geschlechts beschreibt. Erst seit kurzer Zeit wird auch in Deutschland das Wort „Femizid“ benutzt, um so die Aufmerksamkeit auf die strukturelle Ebene dieser Morde zu lenken, die eben nicht einfach nur „Tragödien“ sind.
4. Recherche und Informationen sind auch weiterhin wichtig: Der Hinweis, dass in der AfD Nazis aktiv sind, lässt zwar scheinbar kaum jemanden mehr aufschrecken. Doch in den kleinen Städten, in denen wir uns bewegen, spielt dieses Wissen auch weiterhin eine Rolle. Die politische Einordnung und die lokale Wirklichkeit aufzuzeigen, hilft denen, die sich seit Jahren gegen Nazis engagieren und denjenigen, die es sich bisher noch zu bequem gemacht haben, den Ernst der Lage vor Augen zu führen. Recherche kann dabei auch dazu beitragen, die Doppelmoral der Nazis zu offenbaren: Nicht selten versuchen gerade diese sich auf Demonstrationen als besorgte Männer, die sexualisierte Übergriffe verurteilen, zu stilisieren und gleichzeitig politische Gegner*innen in sozialen Netzwerken mit der Androhung sexualisierter Gewalt einzuschüchtern.
5. Wir brauchen breitere Bündnisse – aber nicht um jeden Preis. Feminismus darf nicht gegen Antifaschismus ausgespielt werden. Der Kampf gegen Neonazis und RassistInnen darf nicht auf Kosten feministischer Kämpfe gehen. Zu Recht kritisieren Anna Berg, Judith Goetz und Eike Sanders, dass nicht nur die Geschehnisse in Chemnitz von Männern gemacht werden, sondern auch von Männern analysiert und diskutiert werden. Antifaschistische Politik droht „wieder zur reinen Männersache zu werden“. Seid solidarisch mit anderen Kämpfen! Nur durch mehr Sichtbarkeit von FLTI* in antifaschistischen Debatten und das Zusammenführen feministischer mit anderen politischen Kämpfen, können wir wirksam werden. Dazu gehört auch (wieder) eine verstärkte Kritik an Männlichkeitskonzepten, dem Geschlechterverhältnis und dem Umgang mit sexualisierter Gewalt (nicht nur) in linken Räumen.
6. Zuletzt der in unseren Augen wichtigste Tipp: Achtet auf euch und achtet aufeinander. Die permanente Präsenz von repressiven, reaktionären und menschenfeindlichen PolitikerInnen, AktivistInnen, Demonstrierenden, Statements, Debatten und Aktionen spüren wir im Alltag. Häufig sind wir uns gar nicht klar, dass wir gerade nicht mit individuellen Problemen zu kämpfen haben, sondern sie Abbild der gesellschaftlichen Veränderungen sind. Sprecht über eure Erfahrungen, eure Ängste und darüber, wie diese euch als Individuum und eure politische Arbeit beeinflussen.
Be careful with each other, so we can be dangerous together!
¹ Toxische Männlichkeit meint ein in unserer Gesellschaft vorherrschendes Konstrukt von Männlichkeit. Männlich sozialisierte Personen sollen demnach hart, furchtlos und stark sein. Empathie, Zärtlichkeit oder Achtsamkeit dagegen finden in dieser Vorstellung keinen Platz. Sie wirkt sich auf das eigene emotionale Erleben und die sozialen Beziehungen aus (mehr Informationen dazu u.a. hier: https://missy-magazine.de/blog/2018/08/16/hae-was-heisst-toxic-masculinity/).
??? Techno, Trash & Ablasshandel ???
? 15.12. ? 21 Uhr ? Datscha ?
? Techno (Hölle): DJ rAve Maria (https://soundcloud.com/leibniz) ? Pope
of Potsdam ? Ryuho Okawa & Hogen Fukunaga ? Die Vorhölle ? Tebass van
Elst ?
? 80s/Pop/Tash (Himmel): Broken Steißbein ? Koshr ? Jesus Fistus ?
„Wer von euch ohne Sünde ist, der Werfe den ersten Stein.“
So steht es geschrieben im Johannes Evangelium (8,7). Hüten muss sich
aber heute der/die/das, der/die/was die christliche Lehre noch in
orthodoxer Lesart als eigenes Lebensprojekt auffasst und also einen,
nein viele! Steine geworfen hat. Daher ist der Hintergrund des 15.12.
der offensichtliche: ein Genosse war wieder zu christlich unterwegs…
Sie sagen: Störung des religiösen Frieden! Sie sagen: Straftatbestand
nach §167 / § 113!
Wir sagen: Gegenreformation.
In einer Stadt, in der im Gewand der Versöhnung niederste Götzenanbetung
als christlich ausgegeben wird, kann die Aufgabe der revolutionären
Philologen – „Und solche sind wir nun einmal“ (Karl Held) – nur sein,
auf die Tafeln zu verweisen, die Moses nach seinem Rendezvouz mit dem,
der ist, was er sein wird, erhielt. Die #1 des Dekalogs lautet:
DU SOLLST NEBEN MIR KEINE ANDEREN GÖTTER HABEN!
Die weltliche Vertretung der Trinität in Potsdam ist – man muss es so
sagen – der degenerierte Antichrist. Wer das nicht hören will, der
bleibe fern.
Allen anderen versprechen wir: blühende Landschaften.
Ab 21 Uhr führen uns zwei altgediente und stadtbekannte Häretiker
metaphorisch durch die unheiligen Hallen des gotteslästerlichen
Preussentempels und in den Abend ein. Dazu wird ein Gläschen heißer
Messwein gereicht.
Impulse und Gespräche mit Sabine Seyb von “ReachOut”, Berlin, Augusto Jone Munjunga von Palanca e.V., Eberswalde und Marcus Reinert vom Verein Opferperspektive, Potsdam. Moderiert von Sofia Hamaz.
Ort: Martin-Luther-Saal, Kirchstraße 6, 16225 Eberswalde
Tag der Menschenrechte, Montag, 10. Dez., 19 Uhr:
Herzliche Einladung im Rahmen des Gedenkens und Mahnens anlässlich des 28. Todestages von Amadeu Antonio.
Afrikanischer Kulturverein Palanca e.V.
Barnimer Kampagne “Light me Amadeu”
Alle Jahre wieder versucht der Staatsapparat mit der Forderung des
Verbots der Roten Hilfe und anderer linker Organisationen jedes allzu
grundlegende Aufbegehren gegen die Herrschaft von Kapital und Staat zu
kriminalisieren und so im Keim zu ersticken. Aktuell ist es das
Bundesinnenministerium unter Horst Seehofer (CSU), das die Rote Hilfe
e.V. verbieten möchte.
Gerade in Zeiten, in denen Polizeigesetze in allen Bundesländern und
auch in Brandenburg verschärft werden sollen, Rassismus und
Fremdenfeindlichkeit wieder wachsen und linke Strukturen angegriffen
werden, ist Solidarität überlebenswichtig.
Die Rote Hilfe hat ihre Tradition im antifaschistischen Kampf der 1920er
Jahre. Heute hat sie in ihren 43 Ortsgruppen über 9000 Mitglieder im
ganzen Land. Durch die Solidaritäts- und Öffentlichkeitsarbeit für
betroffene linke Aktivist*innen ist sie mittlerweile zur größten linken
Organisation in Deutschland geworden, die weiterhin Mitglieder gewinnt.
Die Rote Hilfe gibt Hilfestellung im Fall von Ermittlungsverfahren oder
vor Gericht. Wir organisieren Veranstaltungen, vermitteln Anwält*innen
oder leisten finanzielle Unterstützung für Aktivist*innen. Ob bei
Anti-Pogida-Demos, Hausbesetzungen in der Potsdamer Innenstadt oder bei
Aktionen gegen die AfD: die Rote Hilfe unterstützt die Betroffenen.
Der Angriff auf die Rote Hilfe ist ein Angriff auf die
außerparlamentarische linke Arbeit, auf den Antirassismus, den
Antifaschismus und den Antikapitalismus. Zeigt euch solidarisch – tretet
in die Rote Hilfe ein!
Eure Rote Hilfe Potsdam
& Brandenburg Südwest
Am 6. Dezember 1990 starb Amadeu Antonio, der als angolanischer Vertragsarbeiter in die DDR kam. In der Nacht auf den 25. November 1990 wurde er vor einem Gasthof in Eberswalde von etwa 60 rechten Jugendlichen mit Knüppeln angegriffen und ins Koma geprügelt. Er erlag Tage später seinen Verletzungen.
In Gedenken an Amadeu Antonio findet am Donnerstag, den 6. Dezember um 17 Uhr eine Kundgebung an der Mahn- und Gedenktafel (Eberswalder Str. 261, 16225 Eberswalde) statt. Zur anschließenden Begegnung und gemeinsamen Essen laden der Afrikanische Kulturverein Palanca e.V., die Barnimer Kampagne “Light me Amadeu” und die Antifaschistische Initiative Eberswalde in die Räume von Palanca in der Coppistraße ein.
Anlässlich des Gedenkens wird momentan unsere Ausstellung [Kein schöner Land] zu Todesopfern rechter Gewalt in Brandenburg in der Maria-Magdalenen-Kirche in Eberswalde gezeigt. Zur Eröffnung berichtete Andreas Michael, Mitarbeiter der Opferperspektive, über die aktuelle Situation in Eberswalde. Den Redebeitrag dokumentieren wir hier.
Rechte Gewalt in Eberswalde und die aktuelle Situation für Betroffene
Für das erste Halbjahr zählte die Opferperspektive 97 Angriffe im Land Brandenburg. Bis zum 1. August waren es schon über 100, welche für dieses Jahr registriert wurden. Zum Vergleich: im ersten Halbjahr 2017 wurden 98 Fälle gezählt, im ganzen Jahr 171. 80 Fälle, und damit die weit überwiegende Zahl der Angriffe, war rassistisch motiviert.
Es muss festgestellt werden, dass es in den letzten Monaten keinen Rückgang rechter Gewalttaten gegeben hat. Das Niveau rassistischer Gewalt bleibt stabil hoch, obwohl viele Gründe, die in den letzten drei Jahren für den Anstieg rechter Gewalttaten herangezogen wurden, derzeit nicht gegeben sind. Weder gibt es in diesem Jahr Landtags- oder Bundestagswahlen, noch kommen derzeit in hoher Zahl Geflüchtete in Brandenburg an. Rassistische Gewalt ist in den letzten drei Jahren für einen Teil der Brandenburger Bevölkerung offenbar zu einer normalen und akzeptierten Handlungsweise im Umgang mit Migrant*innen geworden.
Allein im Landkreis Barnim registrierte die Opferperspektive bis dato 13 rechte Gewalttaten. Dies stellt einen Anstieg gegenüber den Vorjahren dar. So gab es 2015 sechs, 2016 fünf und 2017 elf Angriffe, die Gesamtzahl der Angriffe ist damit die höchste, welche seit Beginn des Monitorings im Jahr 2002 durch die Opferperspektive dokumentiert wurde. Dazu muss gesagt werden, dass 2017 in fast allen anderen Landkreisen die Gewalttaten einen leichten Rückgang hatten.
Die Stadt Eberswalde ist ein Schwerpunkt rechter Angriffe im Barnim, hier stieg die Angriffszahl von sechs im Jahr 2017 auf acht Angriffe an. Das häufigste Tatmotiv bei diesen Angriffen ist Rassismus, bei 85% aller Taten lag diese Motivation zugrunde. Betroffen davon sind vor allem Menschen mit realer oder zugeschriebener Migrationsgeschichte, vermeintlich Geflüchtete aber auch internationale Studierende. So zum Beispiel Anfang August als eine Gruppe junger Frauen in Eberswalde mit dem Fahrrad unterwegs war und bei einem Streit mit einem Autofahrer erst rassistisch beleidigt wurde und dann eine von ihnen in den Gegenverkehr geschubst wurde. Glücklicherweise konnte das ihr entgegen kommende Fahrzeug rechtzeitig bremsen, sodass Schlimmeres verhindert wurde.
Neben diesen rassistisch motivierten Gewalttaten, die vor allem in Bernau, Biesenthal, Eberswalde und Wandlitz die häufigste Tatmotivation bilden, wurden durch Opferperspektive auch zwei körperliche Angriffe auf politische Gegner*innen bzw. nicht Rechte registriert. Körperverletzungsdelikte, einfache wie gefährliche, bilden weiterhin die mit Abstand häufigsten Tatbestände. Die Opferperspektive zählte vier einfache und eine gefährliche Körperverletzung in Eberswalde, eine gefährliche so wie eine einfache Körperverletzung in Bernau, eine versuchte gefährliche Körperverletzung in Biesenthal und eine versuchte einfache Körperverletzung in Wandlitz. In Biesenthal wurde ein Mann aus Somalia, welcher mit dem Fahrrad durch die Bahnhofsstraße fuhr, rassistisch beleidigt und dann mit einem schweren Kettenfahrradschloss beworfen. In Eberswalde wurden an verschieden Tagen junge Menschen aus der russischen Förderation rassistisch beleidigt und angegriffen, in einem Fall konnte der Angriff abgewehrt werden. Ebenfalls in Eberswalde gab es einen rassistisch motivierten Angriff auf eine Frau aus Vietnam.
Neben diesen tätlichen Angriffen registrierte die Opferperspektive drei Fälle von Nötigungen und Bedrohungen, beispielsweise Mitte April in Wandlitz. Am Liepnitzsee werden zwei Männer rassistisch beleidigt und bedroht, bis sie den See verlassen. Aber auch in Bernau und Eberswalde kommt es immer wieder zu rassistischen Beleidigungen und Bedrohungen. Aufgrund der Tatsache, dass es im Barnim nur sehr wenig Kontakt zu den Betroffenen gibt, geht die Opferperspektive hier davon aus, dass die Zahlen nicht das tatsächliche Ausmaß widerspiegeln. Aus der allgemeinen Beratungspraxis heraus lässt sich sagen, dass, wie auch in den Vorjahren, Menschen mit Fluchterfahrung die Hauptbetroffenengruppe rechter Gewalt in Brandenburg sind.
Bei rassistischen Gewaltdelikten kommen allerdings auch Übergriffe auf Personen mit zugeschriebener oder realer Migrationsgeschichte hinzu. Sie erleben rassistische Gewalt und Anfeindungen in allen Lebensbereichen: Durch Nachbar*innen im eigenen Wohnumfeld, beim Sport, Einkaufen oder auf offener Straße. Verstärkt treffen die Beratenden Betroffene in einem Zustand großer Hoffnungslosigkeit: Der erfahrene Rassismus ist für die Angegriffenen so allgegenwärtig, dass die Möglichkeit eines Alltags jenseits dieser Erlebnisse völlig unrealistisch ist. Oft wird der tatsächliche körperliche Angriff nicht mehr als herausragendes Erlebnis wahrgenommen, sondern als ein weiterer Baustein in einer Kontinuität der Ablehnung, die psychisch wesentlich schwerer wiegt. Wege aus dieser Situation zu finden ist nicht nur eine große Herausforderung für die Betroffenen, die Unterstützenden vor Ort und die Beratenden. Sie ist vielmehr eine zentrale Problemstellung für die Landespolitik und die Brandenburger Gesellschaft. Hier muss der in der Landesverfassung formulierte Anspruch, als Land der „Verbreitung rassistischen Gedankenguts“ entgegen zu treten, mit Leben gefüllt werden. Das eben dort erwähnte „friedliche Zusammenleben der Menschen“ wird in Brandenburg durch rassistische GewalttäterInnen Tag für Tag infrage gestellt.
In den allermeisten Fällen führt rassistische Gewalt bei Betroffenen zu einem Rückzug aus dem öffentlichen Raum ins Private. Die durch RassistInnen erzwungene Isolation verstärkt aber oft die psychischen Auswirkungen der Angriffe und erschwert die Verarbeitung der Gewalterfahrung, die bei Menschen mit Fluchtbiografie häufig nicht die Erste ist. Selbst die alltäglichen Dinge, wie das Einkaufen von Lebensmitteln, werden zu einer komplexen Aufgabe: Telefonketten werden gebildet, Freund*innen um Unterstützung gebeten, damit die Wohnung nicht mehr verlassen werden muss, Unternehmungen außerhalb werden auf das Notwendigste beschränkt. Dies sind die Begleitumstände, unter denen viele Menschen mit Fluchtgeschichte versuchen müssen, in der Brandenburger Gesellschaft anzukommen. Eine Gesellschaft, in der sich Alteingesessene und Neuankommende auf Augenhöhe begegnen können, ist nicht möglich, solange im öffentlichen Raum die Orte fehlen, an denen sich Geflüchtete angstfrei bewegen können.
Die Entwicklung hinsichtlich rechter Gewalt bleibt besorgniserregend. Rassistische Gewalt ist zur Normalität geworden. Diese hat Teile der Gesellschaft erfasst, welche zuvor durch rechte AkteurInnen nicht erreichbar waren. Eine neue Dynamik gewinnt die Situation durch die AfD, die sich mit ihrer politischen Ausrichtung in Brandenburg immer eindeutiger dem extrem rechten Spektrum zuordnen lässt und bei Wahlen als erfolgreicher Ausdruck dieser Stimmung fungiert. Die hasserfüllte Präsenz und Lautstärke, die rassistische Positionen derzeit in gesellschaftlichen Debatten haben, erwecken bei rechten GewalttäterInnen den Eindruck, dass die Mehrheit der Gesellschaft hinter ihren Taten steht. Es besteht in dieser Situation die Gefahr, dass Rassismus und Gewalt Gegenpositionen aus den politischen Diskussionen vor Ort verdrängen. Wenn sich rassistische GewalttäterInnen derart als gesellschaftlich wirksam erleben, existiert die Gefahr, dass diese Erfahrung auch zukünftig reaktivierbar bleibt. Die Betroffenen der rechten Angriffe hingegen, fühlen sich derzeit so bedroht und verunsichert, dass eine Teilhabe für sie nur stark eingeschränkt möglich ist. Selbst bei einem Rückgang rechter Gewalt wird es längere Zeit dauern, bis das Vertrauen in Gesellschaft und Institutionen wieder ein Maß annehmen kann, welches für ein unbelastetes Zusammenleben notwendig ist.
‑Die Schutzzonen-Aktion der NPD-
Die NPD kündigte bereits in einem Video, welches bei ihrer Kundgebung auf dem Bad Belziger Marktplatz in diesem Sommer unter dem Motto “Wir schaffen Schutzzonen” gedreht wurde, ihre Pläne für ganz Deutschland an. Auf dem YouTube-Account des stellvertretenden NPD-Parteivorsitzenden Ronny Zasowk, heißt es dazu: „Auf einer Kundgebung im brandenburgischen Bad Belzig haben wir darauf aufmerksam gemacht, dass wir Bürger das Recht haben, uns selbst zu schützen, wenn der Staat dazu nicht mehr Willens oder in der Lage ist. Wir rufen alle Deutschen dazu auf, in ihrer Heimat Schutzzonen einzurichten, mit denen unseren Landsleuten wieder mehr Sicherheit geboten wird.” (https://www.youtube.com/watch?v=OkJgb4_1ZwI)
Ausrüstung und Infomaterialien verteilten sie schon länger bei Kundgebungen und Infoständen an die eigene Anhängerschaft. Dazu zählte nicht nur ein Taschenalarm sondern auch Pfeffersprays für die “Kameraden”. Laut der NPD-nahen Facebookseite “Schutzzone” wurde am 30. Oktober die “Schutzzonen-Gruppe” in Bad Belzig eingerichtet. “Nun wird in Bad Belzig für Ordnung gesorgt” heißt es dort. Auf Facebook berichten Anwohner darüber, die Gruppe schon häufiger gesehen zu haben. Scheinbar klingelten sie sogar an Wohnungen.
‑Sie machen ernst, wenn man ihnen Raum lässt!-
„Die Fallzahlen in der Kriminalitätsstatistik sinken – in Bad Belzig und Umgebung wie auch bundesweit“, erklärte Bürgermeister Roland Leisegang (parteilos) bereits in diesem Jahr gegenüber der MAZ. Dennoch versucht die NPD dieser Tage, anderen rechten Parteien in nichts nach zu stehen. Angst schüren vor vermeintlichen Übergriffen und bewusste Grenzüberschreitung wider jeglicher Realität in unserer Stadt gehört auch hier zum Repertoire. Für uns ist diese Grenzüberschreitung aber auch symptomatisch für die Akzeptanz, die die NPD mittlerweile nicht zuletzt auch in der SVV genießt. Die NPD scheint für einige Abgeordnete ein akzeptabler Partner auf kommunaler Ebene geworden zu sein: Fußballturniere oder Genehmigungen für das (nicht korrekte) Entfernen von vermeintlich linksextremen Graffiti. Herr Schär bekommt den Spielraum und nutzt diesen im Internet wo er sich als engagierter Bürger darstellen kann. Im rechtsextremen Wahn ist der Weg selbst die Rolle des Ordnungshüters zu übernehmen da nicht mehr weit.
‑Klare Kante gegen Bürgerwehr und NPD-
In Anbetracht der unzähligen Übergriffe auf unser Infocafé “Der Winkel” in den letzten Jahren kann man sich nur Schutz vor dieser “Schutzzone” wünschen. Auch bleibt grundsätzlich festzuhalten, dass in diesem Land die Polizei für Recht und Ordnung auf der Straße sorgt und eben zurecht keine Privatpersonen ohne jegliche Rechtskenntnis und Befugnisse.
Wir fordern den Stadtverordneten Herrn Andre Schär (NPD) auf, diese Aktivitäten, die in keinem demokratischem Rahmen vertretbar sind, einzustellen sowie alle weiteren Stadtverordneten und den Bürgermeister sich klar gegen derartige Willensbekundungen zur Selbstjustiz zu positionieren!
Nicht zuletzt ist der Schaden, der für Bad Belzig und die Region aus solchen Aktionen entsteht, nicht absehbar. Welcher Tourist hat schon Lust nach einem Besuch der Burg oder der Therme einer selbsternannten rechtsextremen Bürgerwehr in die Arme zu laufen. Auch zeigen sich viele Bürgerinnen und Bürger in den sozialen Netzwerken ängstlich und besorgt. Wir befinden uns im Jahr 2018 und nicht 1933. Es ist höchste Zeit, sich der von der NPD ausgehenden Gefahr u.A. für das Bild Bad Belzigs bewusst zu werden! Das bedeutet nicht nur diese Entwicklung nicht zu normalisieren, sondern auch klar Stellung zu beziehen und Rechtsextremen keine Freiräume zu bieten.
Belziger Forum e.V. gegen Rechtsextremismus und Gewalt
Die planmäßig letzte Versammlung der extrem rechten Vereinigung „Bürgerbündnis Havelland“ im Jahr 2018 fand am Montagabend auf dem Rathenower August Bebel Platz unter dem Zeichen der so genannten Gelbwesten-Bewegung statt. Die zur Spitzenzeit 15, an der angemeldeten Kundgebung teilnehmenden Vereinsmitglieder sowie Sympathisierende aus Rathenow, Premnitz, Brandenburg an der Havel und Berlin wollten damit offenbar ihre Verbundenheit mit Protestierenden in Frankreich demonstrieren. Dort führte die Entscheidung der französischen Regierung die Spritpreise vorgeblich zu Gunsten der Umwelt zu erhöhen zu teilweise heftigen, aber – auf das Land bezogen – durchaus typischen Protesten aller politischen Lager.
In der Bundesrepublik erfahren die Aktionen der „Gelbwesten“ allerdings bisher fast ausschließlich bei extrem rechten Gruppen aus dem PEGIDA-Spektrum einen Widerhall. Erst am vergangenen Samstag zeigten sich beispielsweise in Berlin mehrere Teilnehmende eines Marsches der flüchtlingsfeindlichen Initiative „Zukunft Heimat“ in gelben Warnwesten. Andere PEGIDA-ähnliche Gruppen, wie zB eine Initiative aus Mönchengladbach, versuchten in kleiner Anzahl durch das kontinuierliche Überqueren von Zebrastreifen – erfolglos und begleitet von großem Spott in den sozialen Medien – den Verkehr lahm zu legen.
In Rathenow blieb es am Montagabend, ähnlich wie in Berlin, lediglich bei einem symbolischen Zeigen von gelben Warnwesten mit der Aufschrift: „Bürgerbündnis Havelland“. Dennoch ließ der Vorsitzende des offiziell „gewaltfreien“ Vereines, Christian Kaiser, durchblicken, dass er durchaus Sympathie mit diesen – aus seiner Sicht – „antikapitalistischen“ Protesten habe, auch wenn dabei eben auch Autos angezündet werden. Denn Schuld seien ja angeblich die Politiker, welche das Volk zur „Weißglut“ brächten. Ähnliche Protestformen von autonomen Gruppen, beispielsweise anlässlich des G20-Gipfels im vergangenen Jahr in Hamburg, wurden vom „Bürgerbündnis“ hingegen damals verurteilt und sich mit der Polizei solidarisiert. Die Realität wird eben so hingebogen wie sie für die Propaganda erforderlich ist.
Der gleiche Widersinn trifft für die Attribute „unabhängig“ und „parteilos“ zu, welche noch immer groß auf dem Gruppenbanner prangen. Denn der Vorsitzende des „Bürgerbündnisses Havelland“ ist seit jüngstem auch Landesvorsitzender der extrem rechten Partei „ Die REPUBLIKANER“ (REP). Dazu wurde ihm gestern auch offiziell von einem seiner Getreuen auf der Kundgebung gratuliert.
Allerdings bleibt unklar, ob tatsächlich alle Vasallen des Kaisers Engagement für die REPs gut heißen. Ein erheblicher Teil des „Bürgerbündnisses“ ist nämlich regelmäßiger Gast bei den AfD Stammtischen in Rathenow. Konflikte im eigenen Milieu sind somit vorprogrammiert, insbesondere wenn der Kaiser – wie gestern wieder – über die blaue Partei lästert.
Ansonsten blieb die gestrige Versammlung des „Bürgerbündnisses Havelland“ im üblichen Niveau. Die üblichen Gestalten versuchten auf die für sie typischen Art und Weise, ihr immer gleiches Anliegen und ihren schwierigen Kampf mit sich selbst den genervten Passanten und Anwohnenden näher zu bringen. Zu den vier Redenden am Montagabend gehörten, neben dem bereits erwähnten Kaiser aus Rathenow-West mit seinem gewohnt ambivalentem Verhältnis zur deutschen Sprache, auch wieder die verbittert, von Hass zerfressen wirkende Frau aus Berlin, der Chemtrail-Spezialist aus der Waldsiedlung sowie der trockene (?) Alkoholiker mit seinem wirren Träumen.
Die Veranstaltungsreihe soll im Januar 2019 fortgesetzt werden.
Fotos hier: https://flic.kr/s/aHsmuFNnqg