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Freiland zu Anschuldigungen des Verfassungsschutz

Hal­lo Welt, hier unsere Stel­lung­nahme zu den Anschuldigun­gen des Ver­fas­sungss­chutz gegenüber dem frei­Land und der hier stattge­fun­de­nen Ver­anstal­tung rand.gestalten.

-> 2019-10-16 Stel­lung­nahme frei­Land rand.gestalten.pdf

Diese Stel­lung­nahme haben wir auf Anforderung des Ober­bürg­er­meis­ters der Stadt Pots­dam geschrieben. Sie sollte darauf­fol­gend den Stadtverord­neten durch den Ober­bürg­er­meis­ter mit ein­er Bew­er­tung der Ver­wal­tung sowie ein­er Stel­lung­nahme des Ver­fas­sungss­chutz zur Ken­nt­nis gegeben wer­den. Aus unbekan­nten Grün­den erlaubt der Ver­fas­sungss­chutz nun nicht, dass seine Stel­lung­nahme – welche dem Ober­bürg­er­meis­ter bere­its vor­liegt – eben­falls für die Stadtverord­neten und damit eigentlich auch der bre­it­en Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Lieber möcht­en sie sich mit der Ver­wal­tung im geheimen Gespräch austauschen.

Aus unser­er Sicht ist der Ver­fas­sungss­chutz ein Geheim­di­enst mit eigen­er poli­tis­ch­er Agen­da; ins­beson­dere wenn es darum geht, die Extrem­is­mus­the­o­rie und Gle­ich­set­zung von Links und Rechts zu befeuern. Ganz aktuell sieht man das mal wieder daran, dass sie sich endlich dazu entsch­ieden haben, ein paar der führen­den Nazis der AfD unter Beobach­tung zu stellen — natür­lich nicht ohne gle­ichzeit­ig her­aus zu posaunen, dass man auch Überwachung einiger Abge­ord­neter der Linkspartei erwäge. [1]

Des weit­eren entzieht sich der VS immer wieder jed­er par­la­men­tarischen Kon­trolle – in unserem aktuellen Fall sieht man das exem­plar­isch. Erst eine Stel­lung­nahme an einen aus­gewählten Empfänger*innenkreis raus­geben, aber wenn diese dann veröf­fentlicht wer­den soll, wird alles zurück­ge­zo­gen und das „per­sön­liche Gespräch” gesucht.

Wir haben unter diesen Vorze­ichen daher gestern die Pots­damer Ver­wal­tung gebeten, zumin­d­est unsere Stel­lung­nahme veröf­fentlichen zu dür­fen, welche wir aus oben genan­nten Grün­den bish­er nicht selb­st her­aus­gegeben haben.

Das Bran­den­burg­er Innen­min­is­teri­um hat übri­gens kür­zlich auf eine Anfrage der AfD zu den rand.gestalten fol­gende Antwort gefunden:

In diesem Sinne liegen keine Erken­nt­nisse vor, dass es sich bei der Liegen­schaft des Kul­turzen­trums Frei­land in Pots­dam um ein Szeneob­jekt gewal­to­ri­en­tiert­er Link­sex­trem­is­ten han­delt. Zudem wur­den öffentlich auf dem Gelände des Frei­lands bis­lang keine extrem­istis­chen Ver­anstal­tun­gen bewor­ben.” [2]

By the way: Das ist das selbe Innen­min­is­teri­um, dem auch der Ver­fas­sungss­chutz unter­stellt ist. Aber egal.

Dieser Ken­nt­nis­stand liegt der Lan­deshaupt­stadt Pots­dam vor. Wir sind daher sehr irri­tiert, dass sie sich nicht selb­st­be­wusst vor ein seit Jahren von ihr gefördertes Kul­turzen­trum stellt.

[1] https://www.tagesspiegel.de/politik/hoecke-kalbitz-und-tillschneider-im-visier-verfassungsschutz-beginnt-mit-ueberwachung-von-drei-afd-politikern/25542650.html

[2] https://www.parlamentsdokumentation.brandenburg.de/starweb/LBB/ELVIS/parladoku/w7/drs/ab_0100/104.pdf (Kopie auf inforiot.de)

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Law & Order

Gedenkkundgebung für Sven Beuter

Am Don­ner­stag den 20.02.2020 find­et um 19 Uhr in der Havel­straße 13 an der Gedenkplat­te eine Kundge­bung für den von einem Neon­azi ermorde­ten Punk Sven Beuter statt.

Sven Beuter wurde am 15.02.1996 von Sascha L. ange­grif­f­en und erlag am 20.02.1996 den Fol­gen des bru­tal­en Angriffs. Sascha L. ist, so erschreck­end es sein mag, nach wie vor Neon­azi und im Bran­den­burg­er Stadt­bild präsent. Oft ist er an sein­er Klei­dung zu erken­nen, die deut­lich aufzeigt, dass L. nach wie vor das faschis­tis­che Gedankengut nicht abgelegt hat, son­dern es offen zur Schau trägt. Auf der Klei­dung ste­ht z.B. “Hass Made in Ger­many”, “Fresst keinen Dön­er” oder “Aryan”. Zulet­zt provozierte L. beim Gedenken 2015 mit weit­eren Neon­azis und zeigte seinen Hohn gegenüber dem getöteten Sven Beuter.

Wer glaubt, dass solche Tat­en der Ver­gan­gen­heit ange­hören, der irrt. Der Anschlag in Halle oder das Atten­tat auf Wal­ter Lübcke zeigen, dass sich zwar der Täter­ty­pus geän­dert hat, aber nicht die mor­dende faschis­tis­che Ide­olo­gie dahin­ter. Es ist nach wie vor wichtig, an die Opfer solch­er grausamen Tat­en zu erin­nern, ihnen zu gedenken und zu mahnen.

Daher kommt am Don­ner­stag den 20. Feb­ru­ar um 19 Uhr in die Havel­straße 13 zur Gedenkplat­te um Sven Beuter zu gedenken.

Nie­mand ist vergessen. Nichts ist vergeben.

Antifa Jugend Brandenburg/Havel, linksjugend[solid] Brb/Havel und das Alter­na­tive Schul­bünd­nis Brandenburg

Weit­ere Infor­ma­tio­nen zum Opfer find­et ihr unter fol­gen­den Link: Hier

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Flucht & Migration Law & Order

Massenabschiebung mit Polizei-Einsatz in Doberlug-Kirchhain

Massenabschiebung mit Polizei-Großeinsatz in Doberlug-Kirchhain, Brandenburg — Protest der Geflüchteten

Bericht von Refugee Assem­bly Bran­den­burg (RAB) vom 22.01.20:

Let­zte Nacht gab es eine Polizeirazz­ia in der Erstaufnahmeeinrichtung
Dober­lug-Kirch­hain mit dem Ziel, Asyl­suchende mit Dublin­prob­lem zu
find­en und nach Frankre­ich abzuschieben. Mehr als 20 Men­schen wur­den aus
der Erstauf­nah­meein­rich­tung sowie aus Heimen abgeschoben. Drei Familien
und viele Einzelper­so­n­en wur­den in einem Bus als Massen-Abschiebeaktion
nach Frankre­ich abgeschoben. Wir haben gehört, dass drei Personen
Panikat­tack­en bekom­men haben und notärztliche Behand­lung benötigten.

Einige Geflüchtete haben ver­sucht, im Lager Aufmerk­samkeit zu bekommen
und mit der Polizei zu reden um die Aktion zu stoppen.
Heute haben mehr als 60 Geflüchtete im Lager protestiert und haben das
Gelände ver­lassen um vor der Außen­stelle der Zen­tralen Ausländerbehörde
weit­er zu protestieren. Die wüten­den Geflüchteten forderten den Stopp
von Abschiebun­gen, das Öff­nen von Gren­zen und den Stopp von nächtlichen
Polizei-Oper­a­tio­nen in Flüchtlingslagern.

Wir müssen daran erin­nern, dass dies die deutschen Geset­ze sind, die
Massen­ab­schiebun­gen und nächtliche Mil­i­tarisierung der Lager erlauben.
Diese Geset­ze müssen zum Besseren verän­dert wer­den und wir glauben, dass
nur die, die direkt von diesen Geset­zen betrof­fen sind, in der Lage
sind, sie zu ändern. Wir unter­stützen legale Proteste von Geflüchteten
und Asyl­suchen­den über­all in Deutsch­land und wir wer­den nicht aufhören
bis wir Antworten haben.

Asyl­suchende und Geflüchtete der Ein­rich­tung in Doberlug-Kirchhain

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(Anti-)Rassismus Flucht & Migration Law & Order

Der Tod der Rita O.

Als der Name Rita fällt, schließt die Frau lieber die Tür. Sie will keinen Ärg­er. Deshalb soll sie hier auch nicht näher beschrieben wer­den, nur so viel: Sie lebt im sel­ben Heim, in dem auch Rita lebte; ein paar Zim­mer weit­er. Sie war eine ihrer Fre­undin­nen. Rita, sagt die Frau, war ein guter Men­sch. Eine für­sor­gliche Mut­ter, ver­ant­wor­tungs­be­wusst, nur manch­mal etwas dis­tanziert. Aber defin­i­tiv nie­mand, der ein­fach so verschwindet.

Rita Awour Ojungé kam 2012 aus Kenia nach Deutsch­land. Eine Zeit lang arbeit­et sie als Au-pair. Mit einem Kameruner bekommt sie zwei Söhne, heute zwei und vier Jahre alt. Dann wird ihr Asy­lantrag abgelehnt, man ver­legt sie in ein Heim in der tief­sten Bran­den­bur­gis­chen Provinz.

Am 7. April 2019, einem Son­ntag, ver­schwindet Ojungé aus dem Heim. Sie ist 32 Jahre alt.

Mehr als zwei Monate später find­et man ihre Leiche, zer­stück­elt und von Brand­spuren geze­ich­net, 300 Meter von dem Heim ent­fer­nt im Wald.

Zur bre­it­en Öffentlichkeit dringt der Fall zunächst kaum durch. Dass er es über­haupt in über­re­gionale Medi­en schafft, ist dem Appell ver­schieden­er Migrantenor­gan­i­sa­tio­nen zu ver­danken. Es ste­ht ein Ver­dacht im Raum: Wurde nicht richtig ermit­telt, weil Rita “nur” eine Geflüchtete war?

Über zwei Wochen verge­hen, bis die Polizei eine Such­mel­dung her­aus­gibt. Weit­ere zwei Wochen, bis die Beamten nicht von einem Ver­mis­sten­fall, son­dern von ein­er Straftat aus­ge­hen – und das auch erst, nach­dem sich der Vater von Ojungés Kindern an einen Hil­fsvere­in wen­det, der die Staat­san­waltschaft einschaltet.

Am 12. Juni, mehr als zwei Monate nach Ojungés Ver­schwinden, startet die Polizei schließlich eine große Suchak­tion in den umliegen­den Wäldern. Sie find­et die Leiche ein­er Frau. Am 25. Juni wird diese offiziell als Ojungés Über­reste iden­ti­fiziert. Der Tagesspiegel berichtet über den Fall, die taz auch.

Bis heute, acht Monate nach Ritas Ver­schwinden, ist nie­mand ver­haftet wor­den. Viele Fra­gen bleiben offen.

Ange­hörige, Migrantenor­gan­i­sa­tio­nen und Men­schen, die in den Fall involviert sind, kri­tisieren die lange Ver­fahrens­dauer, man­gel­nde Trans­parenz, vor allem aber die nur langsam voran­schre­i­t­en­den Ermit­tlun­gen. Polizei und Staat­san­waltschaft hinge­gen weisen die Vor­würfe, nicht richtig zu ermit­teln, weit von sich.

Doch die Geschichte der Rita Ojungé wirft nicht nur die Frage auf, ob die Behör­den mit zweier­lei Maß messen. Son­dern auch, ob es über­haupt so weit hätte kom­men müssen. Ob Heim­leitung und der zuständi­ge Land­kreis die War­nun­gen der Bewohn­er ernst genug genom­men haben.

Ein heißer Sep­tem­bertag. Das Asyl­be­wer­ber­heim Hohen­leip­isch ist auf einem ehe­ma­li­gen Kaser­nen­gelände unterge­bracht, gut zwei Kilo­me­ter vom Zen­trum der 2.000-Einwohnergemeinde ent­fer­nt. Es gibt einen Bus, der bis vor kurzem nur mon­tags bis fre­itags alle zwei Stun­den und am Woch­enende gar nicht fuhr. Inzwis­chen fährt er zumin­d­est die ganze Woche durch.

Wer die Ein­gangsp­forte passiert, gelangt auf ein weitläu­figes Are­al, läuft über Gras und aufge­platzte Beton­plat­ten. “Dschun­gel” nen­nen die Bewohn­er diesen Ort, oder “Busch”, viele auch ein “offenes Gefäng­nis”. Weil sie sich beim Betreten ein- und abmelden müssen, Besuch­er ihren Ausweis vorzeigen und das Gelände gegen 22 Uhr ver­lassen müssen.

Offiziell leben 97 Men­schen hier, fast alle ohne Bleibeper­spek­tive. Afgha­nen sind dabei, Inder, Men­schen aus Ghana und der Elfen­beinküste. Sie dür­fen wed­er arbeit­en noch einen Sprachkurs absolvieren. Einige nicht ein­mal den Land­kreis ver­lassen. Es gibt Men­schen, die leben seit über zehn Jahren hier.

In ein­er der beigen Bar­rack­en sitzt die Frau, die sagt, sie sei Ojungés Fre­undin gewe­sen, auf ihrem Bett; ihr Name soll in dieser Geschichte Lydia Dim­ka sein. In einem Regal ste­hen eine Pfanne mit Nudel­resten, daneben Salz, Olivenöl. Es gibt nur eine Gemein­schaft­sküche im Trakt, sie muss die Dinge in ihrem Zim­mer lagern. Es riecht abge­s­tanden, modrig.

Am Sam­stag, den 6. April, erzählt Dim­ka, habe sie sich eine Bürste von Ojungé geborgt.

Am Son­ntag habe sie Ojungé nicht gesehen.

Am Mon­tag wollte sie die Bürste zurück­geben, traf aber nur Ojungés Nach­barn an. Er spielt eine bedeu­tende Rolle in der Geschichte. Ojungé sei nicht da, habe er ihr erzählt. Sie sei kurz einkaufen.

Dem Vater der zwei Kinder, dem Kameruner, er lebt in Berlin, erzählt der­selbe Nach­bar später, Ojungé sei an jen­em Son­ntag nach Berlin gefahren. Und habe ihm aufge­tra­gen, auf die Kinder aufzu­passen. Was ungewöhn­lich ist: Zu dieser Zeit fuhr doch son­ntags noch kein Bus. Und Ojungé sei, so berichtet es Dim­ka, die Strecke bis zum näch­sten Bahn­hof eigentlich nie zu Fuß gelaufen.

Als Dim­ka von den unter­schiedlichen Geschicht­en erfährt, wird sie skep­tisch. Ojungé hat­te nicht nur – was ungewöhn­lich für sie war – ihre Kinder zurück­ge­lassen. Sie hat­te auch wed­er Bankkarte noch eine Tasche mitgenommen.

Es musste etwas passiert sein.

Die Polizei hat den Fall viel zu lange als Vermisstenfall behandelt”

Am Dien­stag kommt der Vater von Ojungés Kindern laut Presse­bericht­en nach Hohen­leip­isch, um bei den Jun­gen zu sein. Er bezieht ein Zim­mer im Heim, gibt eine Ver­mis­sten­mel­dung bei der Polizei auf. Und gibt dabei an, er glaube, der Nach­bar habe etwas mit Ojungés Ver­schwinden zu tun.

Am 16. April durch­suchen Polizis­ten mit Spürhun­den erst­mals die Zim­mer des Heims, ergeb­nis­los. Sie hät­ten sich dabei auf das Gelände beschränkt, bericht­en Anwohn­er, den angren­zen­den Wald hät­ten sie nicht durch­sucht. Der ermit­tel­nde Ober­staat­san­walt Ger­not Bantleon wider­spricht dem später.

Fakt ist: Der abge­suchte Radius ist zu eng gesteckt, Ojungé bleibt verschwunden.

Als es Ende April immer noch keine Spur von ihr gibt, wen­det sich der Vater von Ojungés Kindern an den Vere­in Opfer­per­spek­tive, eine Ini­tia­tive, die sich um Opfer rechter Gewalt in Bran­den­burg küm­mert. Der Vere­in appel­liert an die Polizei, die Ermit­tlun­gen zu inten­sivieren. Dabei erfahren die Mitar­beit­er, dass die Polizei den Fall als Ver­mis­sten­fall führt, nicht als mögliche Straftat. Die Ini­tia­tive stellt daraufhin Strafanzeige bei der Staat­san­waltschaft Cottbus.

Der Oberstaatsanwalt weist die Behauptung von sich

Mar­tin Vese­ly arbeit­et für die Opfer­per­spek­tive, er hat den Vater von Ojungés Söh­nen betreut. “Die Polizei hat den Fall viel zu lange als Ver­mis­sten­fall behan­delt”, sagt er. “Die Beamten hat­ten augen­schein­lich kein Inter­esse daran, den Din­gen wirk­lich auf den Grund zu gehen.”

Die Ini­tia­tive schal­tet eine Anwältin ein, Christi­na Clemm. Sie habe Polizei und Staat­san­waltschaft mehrfach kon­tak­tiert, sagt Clemm. Dabei hät­ten ihr die Beamten gesagt, dass man ger­ade in einem Fall organ­isiert­er Krim­i­nal­ität ermit­tle. Und keine freien Kapaz­itäten mehr habe. “Man kann sich gut aus­malen, welche Maß­nah­men ergrif­f­en wor­den wären”, sagt Clemm, “wenn die Frau eine weiße Deutsche gewe­sen wäre, die ihre Kinder zurück­ge­lassen hat – und keine geflüchtete Frau aus Afrika.”

Es ist die Frage, die über allem schwebt: Han­del­ten die Behör­den etwa aus ras­sis­tis­chen Motiv­en nachlässig?

Ober­staat­san­walt Bantleon weist die Behaup­tung von sich; spricht von einem “ganz nor­malen Prozedere”, das bei Afrikan­ern genau­so gelte wie bei Deutschen.

Bleibt die Frage, warum die Beamten an jen­em 16. April nur das umliegende Are­al durch­sucht­en – nicht aber den Bere­ich weit­er außen, jenen Teil, in dem man später Teile von Ojungés Über­resten fand. Immer­hin liegt der nur 300 Meter vom Heim entfernt.

Eine aufwendi­ge Suche muss organ­isiert und geplant wer­den”, sagt Bantleon. Dazu brauche es mehr Polizis­ten und Hunde, als auf Anhieb zur Ver­fü­gung stün­den. Er nen­nt es eine Frage der Per­son­alpoli­tik. “Wir sprechen hier vom südlichen Bran­den­burg, einem dünn besiedel­ten Gebi­et. Da kann nicht jed­er Polizeiposten mit 100 Mann beset­zt sein.”

Ein neuer Zeuge rückt in den Fokus: Ojungés vierjähriger Sohn

Doch schon kurz nach der ersten Suchak­tion mehren sich die Anhalt­spunk­te, dass es sich um mehr als einen Ver­mis­sten­fall han­delt. Denn durch Inter­ven­tion der Opfer­per­spek­tive rückt ein neuer Zeuge in den Fokus: Ojungés vier­jähriger Sohn. Er sagt aus, er habe gese­hen, wie der Nach­bar seine Mut­ter an jen­em 7. April geschla­gen und ver­schleppt habe. Ein Beamter befragt den Jun­gen dazu. Allerd­ings kein­er, der in der Befra­gung von Kindern geschult ist. Was erneut zu Ver­w­er­fun­gen führt.

Der Junge sei nicht fachgerecht ver­hört wor­den, heißt es später seit­ens der Opferperspektive.
Die Aus­sagen des Jun­gen seien nicht ein­deutig gewe­sen, seit­ens der Polizei. Man habe beispiel­sweise keine Blut­spuren im Zim­mer gefun­den. Ein Haft­be­fehl wird nicht erlassen.

Spricht man mit Heim­be­wohn­ern und Men­schen aus Ojungés Umfeld, teilen viele den Ein­druck des Jun­gen: Der Nach­bar habe etwas mit der Tat zu tun. Ein Mann Anfang 30, der liebevoll zu Kindern war und im näch­sten Moment auf­brausend wer­den konnte.

Der Mann bleibt ein Mys­teri­um. Mit sein­er Herkun­ft geht es los: Die Polizei spricht zunächst von einem Nige­ri­an­er; der Land­kreis sagt, der Mann komme aus dem Tschad; Ober­staat­san­walt Bantleon sagt, es han­dle sich um einen Kenianer.

Plötzlich gibt es einen Anfangsverdacht

Ein Bewohn­er des Heims in Hohen­leip­isch – auch er möchte unerkan­nt bleiben – beschreibt den Nach­barn als abweisend. Als jeman­den, der einem nicht in die Augen sah, der meist in seinem Zim­mer blieb. Und unter Leuten oft in Schlägereien geri­et. Er zeigt ein Foto des Nach­barn: weißes Unter­hemd, die Haare an den Seit­en kurz, die Dreads zum Zopf gebun­den; er wirkt in sich gekehrt.

Der Nach­bar sei unberechen­bar gewe­sen, sagt auch Lydia Dim­ka, Rita Ojungés Fre­undin. Man wusste nie, woran man bei ihm war. In der Zeit nach dem Fund der Leiche habe er viel getrunk­en und manch­mal, nachts, laut geschrien und geweint. Mitunter habe er Ojungé dann um Verge­bung gebeten. Auch sie habe bei der polizeilichen Vernehmung gesagt, sie glaube, dass er der Täter sei.

Der zuständi­ge Ober­staat­san­walt Ger­not Bantleon sagt im Sep­tem­ber, der Mann sei ver­nom­men wor­den und bestre­ite die Tat. “Aus der Vernehmung haben wir keine Erken­nt­nisse gewin­nen kön­nen.” Es gebe mehrere Per­so­n­en, die die Möglichkeit hat­ten, die Frau zu töten. Weit­er wolle er sich nicht äußern.

Im Dezem­ber klingt das schon etwas anders. Bantleon spricht nun von einem Anfangsver­dacht gegen den Mann. Welche neuen Erken­nt­nisse dazu führten, wolle er nicht sagen. Die Anhalt­spunk­te wären jedoch immer noch nicht aus­re­ichend für einen hin­re­ichen­den oder gar drin­gen­den Tatver­dacht – und damit auch nicht stark genug, um Haft­be­fehl zu erlassen.

Ojungé hatte sich bereits über den Nachbarn beschwert

Ojungé und der Nach­bar hat­ten eine Vorgeschichte. Ojungé habe sich, so bericht­en es Heim­be­wohn­er und Mar­tin Vese­ly von der Opfer­per­spek­tive, min­destens zwei Mal über den Nach­barn bei der Heim­leitung beschw­ert. Lydia Dim­ka sagt, Ojungé habe dabei expliz­it die Ver­legung des Mannes gefordert, habe gesagt, sie füh­le sich von ihm bedro­ht. Der Land­kreis Elbe-Elster, für die Unter­bringung der Asyl­be­wer­ber zuständig, bestre­it­et das und beruft sich dabei auf die Heimleitung.

Dabei ist unklar, ob der Nach­bar über­haupt im Zim­mer neben ihr hätte leben dür­fen. Das Schutzkonzept des Heimes sieht eigentlich die getren­nte Unter­bringung von Fam­i­lien und allein­reisenden Män­nern vor. Roland Neu­mann, zuständi­ger Dez­er­nent des Elbe-Elster-Kreis­es, sagt dazu, der Nach­bar sei Ojungés Lebens­ge­fährte gewe­sen, die Rede ist von ein­er “eheähn­lichen Gemein­schaft”, er sei im Ein­ver­ständ­nis bei­der, also auch Ojungés, umgezogen.

Es gibt Men­schen, die sagen, Ojungé und der Nach­bar hät­ten eine Beziehung geführt. Sie habe das Ver­hält­nis been­den wollen, er aber habe sich geweigert. Von Eifer­sucht ist die Rede.

Fakt ist: Es kommt monate­lang zu kein­er Ver­legung. Der Nach­bar lebt nach Ojungés Ver­schwinden weit­er­hin im Heim. Der Vater von Ojungés Kindern, der ihn für den Täter hält, muss neben ihm leben. Eben­so die zwei Kinder, wovon eines aus­ge­sagt hat, es habe gese­hen, wie der Mann seine Mut­ter geschla­gen und weggez­er­rt hat. Im Mai wird der Nach­bar zwar in einen anderen Trakt, den für allein­reisende Män­ner, ver­legt, auf Wun­sch des Vaters von Ojungés Kindern und um “Kon­flik­t­si­t­u­a­tio­nen zwis­chen den Män­nern zu ver­mei­den”, wie es beim Land­kreis heißt. Er bleibt aber auf dem Gelände, wird nicht in ein anderes Heim ver­legt. Wed­er die Polizei noch das eingeschal­tete Jugen­damt haben Bedenken.

Erst als Ojungés Leiche iden­ti­fiziert ist, am 25. Juni, kommt die Polizei vorge­fahren. Zehn Minuten geben sie dem Nach­barn, um seine Sachen zu pack­en, so berichtet es Lydia Dim­ka. Dann brin­gen sie ihn in ein anderes Heim. Die Ver­legung sei in “Abstim­mung mit Polizei, Aus­län­der­be­hörde und dem Stab Asyl” erfol­gt, heißt es seit­ens des Land­kreis­es, um “aufk­om­menden Span­nun­gen und Ver­mu­tun­gen zu begeg­nen”. Nur hat­te es die nach Aus­sagen der Bewohn­er da schon längst gegeben.

Das verdeut­licht auch ein ander­er Umstand: Noch vor der Ver­legung des Nach­barn, so berichtet es Mar­tin Vese­ly von der Opfer­per­spek­tive, wurde der Vater von Ojungés Kindern von der Polizei kon­tak­tiert. Ihm wurde ein Doku­ment vorgelegt, das ihn warnte, gegen den Nach­barn vorzuge­hen. Eine Gefährder­ansprache. Bei der Polizei war man sich der Span­nun­gen also dur­chaus bewusst.

Unter Umstän­den wäre es auch möglich gewe­sen, einige der Bewohn­er zu ver­legen. Etwa Fam­i­lien mit Kindern.

Das Lan­desauf­nah­mege­setz sieht grund­sät­zlich vor, dass Men­schen, die beson­ders schutzbedürftig sind, in Aus­nah­me­fällen aus Gemein­schaft­sun­terkün­ften ver­legt und auch in Woh­nun­gen unterge­bracht wer­den kön­nen. Das Heim in Hohen­leip­isch aber entspreche allen Anforderun­gen, heißt beim Land­kreis, auch denen beson­ders schutzbedürftiger Menschen.

Bei der Betreiber­fir­ma des Heims, der Human-Care GmbH, klingt das ähn­lich. Der Tagesspiegel zitiert die Geschäfts­führerin mit den Worten, die Unterkun­ft liege zwar im Wald, aber das sei ja nicht schlimm; viele Men­schen wür­den schließlich gern in den Wald ziehen. Eine Inter­viewan­frage von ZEIT ONLINE wird abgelehnt mit der Begrün­dung, der Reporter habe sich “unbefugt und verdeckt” auf dem Gelände aufge­hal­ten. (Was nicht stimmt, die Per­son­al­dat­en wur­den am Ein­gang aufgenom­men, als der Reporter bei ein­er Bewohner­in zu Gast war.)

Die Ermittlungen würden noch Zeit in Anspruch nehmen. “Viel Zeit.”

Wenn Lydia Dim­ka, Rita Ojungés Fre­undin, ihr Leben in dem Heim beschreiben soll, spricht sie vor allem von Angst. Angst, ihre Kinder draußen spie­len zu lassen, begin­nt doch direkt vor der Pforte der Wald. Angst vor ras­sis­tis­chen Über­grif­f­en; erst im Mai hat­te ein Unbekan­nter Über­reste eines Schweins vor das Heim gelegt.

Angst aber auch, nachts im Heim zur Toi­lette zu gehen, einem Raum, der sich nur ein paar Türen weit­er, am Ende des Ganges, befind­et. Viele Frauen wür­den lieber einen Eimer benutzen, sagt Dim­ka. Andere wür­den Nach­barn bit­ten, aufzu­passen, wenn sie gehen. Die Angst sei schon immer da gewe­sen. Das Ver­schwinden von Rita Ojungé aber habe sie noch verstärkt.

Mitte Juli veröf­fentlicht­en die Bewohn­er einen offe­nen Brief. Sie sprachen von Iso­la­tion, von fehlen­den Freizeit­möglichkeit­en, von dreck­i­gen Gebäu­den und Kak­er­lak­en. Und forderten, unter­stützt vom Flüchtlingsrat Bran­den­burg, ihre Ver­legung. Vergebens. 2011 hat­te es schon ein­mal Demon­stra­tio­nen zur Schließung des Heimes gegeben. Auch damals erfolglos.

Eine Schließung ist nicht in Sicht

Der Ver­trag für das Heim läuft zum Ende des Jahres aus, Human-Care hat sich erneut bewor­ben; der Land­kreis hat sich aber für einen anderen Betreiber, die Inter­na­tionaler Bund Berlin-Bran­den­burg gGmbH, entsch­ieden. Eine Schließung ist vor­erst nicht in Sicht.

Eine Bewohner­in sagt: “Für den Land­kreis ist das Heim ide­al, man kann die Men­schen hier so lange zer­mür­ben, bis sie von sich aus aufgeben. Und vielle­icht zurück in ihre Heimat gehen.”

Ob es aber einen Zusam­men­hang gibt zwis­chen den Zustän­den im Heim, den fehlen­den Per­spek­tiv­en der Bewohn­er und dem Mord an Rita Ojungé, ist schw­er zu sagen. Mar­tin Vese­ly von der Opfer­per­spek­tive sagt: “Es gibt keine zwin­gende lin­eare Abfolge von den Zustän­den im Heim zum Mord. Und doch spielt die Unter­bringung trau­ma­tisiert­er Men­schen auf diese Art natür­lich mit hinein.”

Am 14. Dezem­ber, einem ver­reg­neten Sam­stag, wird Rita Ojungé schließlich in Berlin beerdigt. Etwa 60 Men­schen kom­men in der kleinen Kapelle der St. Hed­wigs-Gemeinde zusam­men, die meis­ten aus der keni­an­is­chen Exil-Com­mu­ni­ty. “Wir wis­sen bis heute nicht, was mit Rita passiert ist”, sagt Ojungés Cou­sine, die die Trauer­feier organ­isiert hat, am Ende ihrer Ansprache. “Das macht es so schw­er, Abschied von ihr zu nehmen.” Ojungés Mut­ter, sie lebt in Kenia, ist nicht erschienen. Es ist zu viel für sie.

Ein neues Gerücht

Denn auch der Beerdi­gung gehen Ungereimtheit­en voraus: Die Staat­san­waltschaft sagte noch im Som­mer, sie gebe den Kör­p­er frei. Ver­schiedene Hil­f­sor­gan­i­sa­tio­nen und Ver­wandte Ojungés sam­meln daraufhin Geld, um die Mut­ter aus Kenia zur Beerdi­gung einzu­fliegen. Sie lan­dete Ende August. Doch dann erk­lärte die Staat­san­waltschaft, die Unter­suchung würde sich länger ziehen als gedacht, der Kör­p­er könne doch nicht freigegeben wer­den. Das Visum der Mut­ter lief aus, sie musste wieder in die Heimat zurück. Erst im Novem­ber gibt die Staat­san­waltschaft die Leiche frei; nach fünf Monat­en in der Gerichtsmedi­zin. Eine lange Zeit.

Unter den Bewohn­ern in Hohen­leip­isch kur­siert der­weil das Gerücht, Ojungés ehe­ma­liger Nach­bar, der Mann gegen den nun ein Anfangsver­dacht beste­ht, sei inzwis­chen unter­ge­taucht. Beim zuständi­gen Land­kreis heißt es dazu nur, man habe ihn der anderen Unterkun­ft zugewiesen. “Eine tägliche Aufen­thalt­spflicht ist damit nicht verbunden.”

Der ermit­tel­nde Ober­staat­san­walt Ger­not Bantleon sagt, er könne den Mann derzeit nicht fes­t­nehmen, dazu fehlten Anhalt­spunk­te. Und dass die Ermit­tlun­gen noch Zeit in Anspruch nehmen wür­den. “Viel Zeit.”

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Kundgebung zum Jahrestag des Beschlusses

Freude über geplante Auf­nahme von Geflüchteten – Mah­nung zur umfassenden Kehrtwende bei Ausländerbehörde

Die Ini­tia­tive See­brücke Pots­dam bege­ht mit der heuti­gen Kundge­bung um 14:30 Uhr am Rathaus Pots­dam vor der let­zten diesjähri­gen Sitzung der Stadtverord­neten­ver­samm­lung den Jahrestag des Beschlusses „SICHERER HAFEN“ mit Anlass zur Freude und zur Mah­nung zugleich.

Am 05.12.2018 beschloss die Stadtverord­neten­ver­samm­lung sieben Maß­nah­men¹, um die Lan­deshaupt­stadt Pots­dam zum „Sicheren Hafen“ für geflüchtete Men­schen zu machen. Der Beschluss war Start­punkt für die Lan­deshaupt­stadt Pots­dam, sich bun­desweit für eine zusät­zliche Auf­nahme von geflüchteten Men­schen aus der Seenotret­tung über den bish­eri­gen Verteilungss­chlüs­sel hin­aus zu engagieren. Wir sind in freudi­ger Hoff­nung, dass nun gemäß neuesten Mel­dun­gen² die ersten geflüchteten Men­schen aus der Seenotret­tung nach Pots­dam kom­men sollen.

Unter maßge­blich­er Beteili­gung des Ober­bürg­er­meis­ters Mike Schu­bert und des Ver­wal­tungs­bere­ichs Par­tizipa­tion und Tol­er­antes Pots­dam unter Leitung von Frau Dr. Ursu­la Löbel wurde das bun­desweite Bünd­nis „Städte Sicher­er Häfen“ vor einem hal­ben Jahr gegründet.

Pots­dam ist damit sowohl ausstrahlen­des Vor­bild für eine men­schen­fre­undliche Auf­nah­me­poli­tik für viele Kom­munen als auch eine zen­trale Akteurin für die Migra­tionspoli­tik in Deutsch­land. Wir freuen uns mit der Stadtver­wal­tung über die Nominierung der Lan­deshaupt­stadt als Organ­isatorin des Bünd­niss­es „Städte Sicher­er Häfen“ für den diesjähri­gen „Inno­va­tion in Pol­i­tics Award“³.

Jedoch bringt die zen­trale Rolle im Bünd­nis „Städte Sicher­er Häfen“ eine beson­dere Ver­ant­wor­tung mit sich, die die Frage nach den Bedin­gun­gen eines Sicheren Hafens in der eige­nen Kom­mune stellt. Wir fordern die Stadt Pots­dam auf, den Beschluss „SICHERER HAFEN“ in all seinen sieben Punk­ten kon­se­quent und zeit­nah zu erfüllen. Beson­ders ist die Verbesserung der Bedin­gun­gen in der Aus­län­der­be­hörde wichtig. Nur so kann unsere Stadt ein wirk­lich sicher­er Hafen für Men­schen sein, wenn die Aus­län­der­be­hörde Inte­gra­tionschan­cen fördert statt sie zu blockieren.

Nach jahre­lan­gen Debat­ten über fehlende Umset­zun­gen des Inte­gra­tionskonzeptes und regelmäßi­gen Bericht­en über Missstände in der Aus­län­der­be­hörde fordern wir eine umfassende Kehrtwende der Aus­län­der­be­hörde zu ein­er echt­en Willkom­mens­be­hörde⁴, in deren Mit­telpunkt der Beschluss „SICHERER HAFEN“ ste­ht, näm­lich „alle Möglichkeit­en auszuschöpfen, um Geflüchteten in Pots­dam dauer­hafte legale Aufen­thalts- und Lebensper­spek­tiv­en zu schaffen“.

Unter Beteili­gung der See­brücke Pots­dam Ini­tia­tive wur­den in ein­er Arbeits­gruppe des Bünd­niss­es Pots­dam! Beken­nt Farbe Hand­lungsempfehlun­gen aus­gear­beit­et, die nun mit konkreten Maß­nah­men und Zeit­plä­nen unter­füt­tert wer­den müssen, um die über­fäl­lige Kehrtwende in der Aus­län­der­be­hörde ein­leit­en zu können.

Wir als See­brücke Pots­dam wer­den die Lan­deshaupt­stadt auf den Weg zum Sicheren Hafen vor Ort und bun­desweit weit­er­hin tatkräftig unterstützen!

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(Anti-)Rassismus Antifaschismus Flucht & Migration Law & Order

Sozialamt Märkisch-Oderland

Am 2.12.2019 haben vor dem Sozialamt Märkisch-Oder­land in Vier­lin­den mehr als 50 Men­schen demon­stri­ert. Sie forderten die Gesund­heit­skarte für Geflüchtete von Anfang an und die Über­weisung ihrer Sozialleis­tun­gen auf ein Kon­to. Märkisch-Oder­land ist der einzige Land­kreis in Bran­den­burg, der diese inhu­mane Prax­is bis jet­zt aufrecht erhält.

Der Protest wurde getra­gen von Betrof­fe­nen und Per­so­n­en aus Selb­stor­gan­i­sa­tio­nen, Willkom­mensini­ta­tiv­en sowie weit­eren Grup­pen aus Bran­den­burg und Berlin. Geschmückt mit einem großen Ban­ner „Equal rights for all peo­ple – also in MOL!“ und „Stop police bru­tal­i­ty!!!“ war ein Protest-Bus aus Bran­den­burg vor Ort. Geflüchteten berichteten über ihre Lebenssi­t­u­a­tion, es wurde gemein­sam getanzt und gegessen.

Medi­en­bericht­en zufolge, lenk­te der Land­kreis bei Ausstel­lung der Gesund­heit­skarte bere­its ein. Der anwe­sende Vize­landrat Friede­mann Han­ke (CDU) rechne mit ein­er entsprechen­den Entschei­dung der Lan­desregierung bis Jahre­sende. Geldüber­weisun­gen würde es weit­er­hin nicht geben, um den Aufen­thalt­sort von Geflüchteten kon­trol­lieren und bess­er mit der Polizei kooperieren zu kön­nen. Während der Vize­landrat vor der Presse vom Funk­tion­ieren sein­er Behör­den­prax­is spricht, kommt es im Sozialamt zu einem weit­eren Vor­fall. Die Polizei nimmt einen Mann gewalt­sam in Gewahrsam.

Schön, dass wir bei der Gesund­heit­skarte mit unserem Protest erfol­gre­ich waren. Jet­zt müssen wir mit der Geld­karte weit­er machen. Die Bedin­gun­gen für uns Geflüchtete hier in MOL sind ein­fach unmen­schlich, da muss sich noch vieles ändern. Vor allem müssen die Schika­nen aufhören.“ So ein Bewohn­er der Gemein­schaft­sun­terkun­ft Müncheberg, der die Aktion mit vor­bere­it­et hatte.

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Antifaschismus Law & Order

Neonazi-Konzert fand in Roddan statt

In Rod­dan (Land­kreis Prig­nitz) führten Neon­azis im Geheimen ein Konz­ert durch. Grund: ein Lie­der­ma­ch­er mit indiziert­er Musik trat auf. Das Bran­den­burg­er Innen­min­is­teri­um erfuhr davon erst hin­ter­her, wie es jet­zt auf par­la­men­tarische Anfrage von Land­tagsab­ge­ord­neten mitteilte.

Geheimes Konz­ert

Eine typ­is­che Dor­f­gast­stätte im ländlichen Raum mit klein­er Bühne auf hal­ber Höhe und Holzvertäfelung in natür­lichem braun, an der Wand eine überdi­men­sion­ale schwarz-weiß-rote Fahne und davor sitzend ein Musik­er mit Gitarre. Auf seinem Telegram-Kanal ver­bre­it­ete der neon­azis­tis­che Lie­der­ma­ch­er „Fyl­gien“ als erster die Bilder seines Konz­ertes im Nor­den Bran­den­burgs. Dazu noch ein paar Schnapp­schüsse, die den Musik­er mit mut­maßlichen Fans zeigte (Redak­tioneller Hin­weis: alle Fotos liegen als Screen­shots vor). Doch zu erken­nen geben wollte sich sein Anhang anscheinend nicht. Alle Gesichter waren unken­ntlich gemacht – offen­bar aus Grün­den. Denn offiziell angemeldet war die Ver­samm­lung, wie das Bran­den­burg­er Innen­min­is­teri­um auf eine par­la­men­tarischen Anfrage der Land­tagsab­ge­ord­neten Andrea Johlige und Thomas Dom­res (bei­de LINKE) zu erken­nen gab, nicht.

Auftritt Lie­der­ma­ch­er mit indiziert­er Musik

Lie­der­ma­ch­er Sebas­t­ian D mal ohne Gitarre: Als Sprech­er während ein­er extrem recht­en Demon­stra­tion in Tem­plin (2019)

Grund für die Geheimhal­tung dürfte übri­gens eben jen­er Auftritt des Lie­der­ma­ch­ers „Fyl­gien“ gewe­sen sein. Denn Sebas­t­ian D aus Tem­plin (Uck­er­mark), so dessen bürg­er­lich­er Name, spielt indizierte Musik. Dabei han­delt es sich um Liedgut, welch­es wegen seines jugendge­fährden­den Charak­ters nicht in der Öffentlichkeit vor­ge­tra­gen wer­den darf. Ds veröf­fentlichte Eigen­pro­duk­tion: „Mein Glaube heißt Deutsch­land“ war bere­its 2011 von ein­er Indizierung durch die Bun­de­sprüf­stelle für jugendge­fährdende Medi­en (BPjM) betrof­fen. Im Milieu erfreut er sich jedoch – möglicher­weise ger­ade wegen der­ar­ti­gen Liedgutes – bester Beliebtheit. So verge­ht kaum ein Woch­enende an dem D nicht irgend­wo in einem neon­azis­tis­chen Club­haus in Deutsch­land auftritt. Am 14. Sep­tem­ber 2019 war dies nun der Saal in der kleinen Gemeinde Rod­dan, ein Ort­steil von Legde/Quitzöbel in der Nähe der Stadt Havel­berg. Dort trat D gemein­sam mit Maik S aus Magde­burg, welch­er im Milieu unter dem Pseu­do­nym „Eid­streu“ fir­miert, sowie der For­ma­tion „Her­munduren“ aus dem Raum Eisenach/Schmalkalden (Thürin­gen) auf.

Tre­f­fen mil­i­tan­ter Neonazis

Die „Freien Kräfte Prig­nitz“ während eines Auf­marsch in Wittstock/Dosse (2015)

Anlass des Konz­ertes war – so wird es aus einem Konz­ert­fly­er ersichtlich – die Jahres­feier der „Freien Kräfte Prig­nitz“ (FKP), ein vere­in­sähn­lich­er Zusam­men­schluss mil­i­tan­ter Neon­azis aus den Städten Wit­ten­berge und Lenzen. „Alle Per­so­n­en, welche der Grup­pierung FKP zugerech­net wer­den, sind polizeilich bekan­nt“, schreibt das Innen­min­is­teri­um in sein­er Antwort auf die par­la­men­tarische Anfrage der LINKE-Abge­ord­neten zu Konz­ert und Ver­anstal­ter. „Ein Großteil der Per­so­n­en“ sei zu dem als „poli­tisch rechtsmo­tivierte Straftäter (PMK – rechts -) erfasst“. Allerd­ings wür­den diese Tat­en nicht in direk­tem Zusam­men­hang mit dem Label „Freie Kräfte Prig­nitz“ beste­hen. Unter diesem Namen betäti­gen sich die ihm zuge­ord­neten Neon­azis fast „nur“ als Aktivis­ten im vor­poli­tis­chen Raum, beispiel­sweise als Teil­nehmende von Aufzü­gen. Erst­mals gaben sich die „Freien Kräfte Prig­nitz“, laut Innen­min­is­teri­um, während ein­er Demon­stra­tion am 14.01.2014 in Magde­burg zu erken­nen. Die Gruppe sei gut ver­net­zt, habe Kon­tak­te nach Sach­sen-Anhalt und Meck­len­burg-Vor­pom­mern. Darüber wird unter dem Label „Freie Kräfte Prig­nitz“ eine Face­book-Seite betrieben, auf der „Ver­anstal­tung­sh­in­weise gegeben, Kom­mentare und Bilder zu eige­nen Aktio­nen gepostet sowie Berichte über Aktio­nen ander­er recht­sex­trem­istis­ch­er Grup­pierun­gen und Parteien geteilt“ werden.

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Antifaschismus Law & Order

SS Treuelied auf Gedenkkranz

In Rathenow wurde vor Kurzem ein ehe­ma­liger Naziskin-Anführer zu Grabe getra­gen. Der mehrfach verurteilte Mann war ein­er schw­eren Krankheit erlegen. Seine ein­sti­gen Kam­er­aden kon­dolierten mit dem SS Treuelied.

Ver­ab­schiedung im Geiste der SS 

„Wenn alle Brüder schweigen“ – die „alten Fre­unde“ erin­nerten mit ein­er Zeile aus dem „SS Treuelied“

Etliche grüne Kränze lagen auf einem Ron­del für Urnenbestat­tun­gen auf dem Städtis­chen Fried­hof in Rathenow. „Wenn alle Brüder schweigen“ ist mit gold­en­er Schrift auf ein­er schwarzen Trauer­schleife zu lesen – ein ungewöhn­lich­es Geleit zur let­zten Ruhe. Es ist eine Zeile aus dem Lied „wenn alle untreu wer­den“, welch­es in der Zeit des Nation­al­sozial­is­mus als “SS Treuelied” Ver­wen­dung fand. Im SS Lieder­buch kam es deshalb gle­ich hin­ter dem „Horst Wes­sel Lied“ und dem „Lied der Deutschen“. Der Ver­stor­bene, dem dessen „alte Fre­unde“ auf diese Art und Weise gedacht­en, war Mario Knud­sen, ein­er der Köpfe der neon­azis­tis­chen Szene in Rathenow. Er starb im Okto­ber 2019 nach langer schw­er­er Krankheit.

Base­ballschläger­jahre

Knud­sen und seine „alten Fre­unde“ gal­ten in den 1990er Jahren als Bürg­er­schreck. Mit Glatze, Bomber­jacke, Base­ballschlägern und Springer­stiefeln macht­en sie Rathenow unsich­er. „Skins verun­sich­ern Rathenow – muss eine Bürg­er­wehr gegrün­det wer­den?“, betitelte die Märkische All­ge­meine Zeitung im Früh­jahr 1991 u.a. das Treiben der Gruppe. Zu ihren Opfern gehörten Ange­hörige der sow­jetis­chen Gar­ni­son, aus­ländis­che Ver­tragsar­beit­er, Geflüchtete, Ange­hörige link­er Sub­kul­turen, aber auch ganz nor­male Bürg­er. Wie etwa im Jan­u­ar 1991, als Knud­sen, sein Kumpan Sandy A und weit­ere Nazi-Skins in Prem­nitz zwei Ehep­aare, welche ger­ade von ein­er Faschingspar­ty kamen, mit Gegen­stän­den attack­ierten und bru­tal zusam­men­schlu­gen. Eine Blutsspur zog sich durch die Region. Mehrfach saß Knud­sen vor Gericht, zulet­zt im Novem­ber 1998. Er und Sandy A hat­ten im Früh­jahr 1997 zwei junge Män­ner – nach einem Stre­it in ein­er Frie­sack­er Diskothek – bru­tal zusam­mengeschla­gen. Nach sechs rel­a­tiv „milden“ Urteilen, darunter eine Bewährungsstrafe für den zuvor erwäh­n­ten Über­fall in Prem­nitz, wurde Knud­sen schließlich zu ein­er Frei­heitsstrafe von einem Jahr und neun Monat­en ohne Bewährung verurteilt.

Der „Fre­un­deskreis Rathenow“ gedenkt in den Far­ben: schwarz-weiß-rot.

Erst in den 2000er Jahren beruhigte sich die Sit­u­a­tion schein­bar. Knud­sen führte anscheind ein bürg­er­lich­es Fam­i­lien­leben, wurde Vater ein­er Tochter. Doch dies war offen­bar nur Fas­sade. Im April 2005 war Knud­sen von Maß­nah­men des Bran­den­burg­er Innen­min­is­teri­ums bei der Auflö­sung der Kam­er­ad­schaft “Hauptvolk” betrof­fen. Damals wur­den die Woh­nun­gen von ins­ge­samt 39 Mit­gliedern dieser vere­in­sähn­lichen Struk­tur durch­sucht und die Organ­i­sa­tion offiziell aufgelöst. Die Tätigkeit und der Zweck des “Hauptvolkes” richtete sich u.a. gegen die ver­fas­sungsmäßige Grun­dord­nung und lief Strafge­set­zen zuwider, so das Innen­min­is­teri­um. Im Kam­er­ad­schaft­srund­brief Heft 1 waren u.a. die Abze­ichen von 20 Divi­sio­nen der Waf­fen SS abge­bildet. Das “Hauptvolk” sah sich als Elitege­mein­schaft und in der Tra­di­tion vor­ge­nan­nter NS Organ­i­sa­tion. Knud­sens langjähriger Kumpan Sandy A war eben­falls in der Kam­er­ad­schaft aktiv. Dieser galt sog­ar als deren Kopf. Die Web­site der Organ­i­sa­tion war auf A’s Namen angemeldet. Ein Trauerkranz des “Hauptvolkes” war bei Knud­sens Beerdi­gung jedoch nicht zu find­en – offen­bar wegen des Ver­botes der Kam­er­ad­schaft. Stattdessen legte ein “Fre­un­deskreis Rathenow” einen in schwarz-weiß-rot gehal­te­nen Kranz mit der Auf­schrift: “Im Leben uns treu, im Tode an unser­er Seite” sowie das Grabgesteck mit eben jen­er Zeile aus dem SS Treuelied nieder. Später bedank­te sich Knud­sens Fam­i­lie bei seinen “treuen Kumpels”, sowie im Beson­deren bei “Sandy A”.

Fotos hier:

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Antifaschismus Klima & Umwelt Law & Order

Kritik an Polizei wegen Verstößen gegen Grundrechte

Während der Aktion­stage von Ende Gelände im Lausitzer und Leipziger Revi­er kam es aus Sicht des Aktions­bünd­niss­es zu mehreren Rechtsver­stößen von Seit­en der Polizei. Der Rechts­bei­s­tand von Ende Gelände weist auf fol­gende gravierende Rechtsver­stöße hin:
Ein­schränkung der Versammlungsfreiheit

Die Polizei Bran­den­burg und Sach­sen und die zuständi­gen Ver­samm­lungs­be­hör­den ver­sucht­en im Vor­feld das Grun­drecht auf Ver­samm­lungs­frei­heit erhe­blich einzuschränken. So ver­trat die Bran­den­burg­er Polizei eine grun­drechts­feindliche Recht­sauf­fas­sung im Hin­blick auf das Tra­gen von weißen Anzü­gen und Staub­masken. Das Eil­ver­fahren dage­gen wurde zweitin­stan­zlich gewon­nen. Das OVG Berlin-Bran­den­burg hat die Polizei Bran­den­burg darauf hingewiesen, dass ihre Recht­sauf­fas­sung nicht mit dem Grundge­setz vere­in­bar ist, wom­it den Teilnehmer*innen erhe­bliche Schika­nen erspart blieben. In Sach­sen wur­den sog­ar per All­ge­mein­ver­fü­gung Ver­samm­lungsver­bot-Zonen in drei Land­kreisen aus­gewiesen. Auch in Sach­sen wurde in Eil­ver­fahren gegen diese Ver­samm­lungsver­bote vorge­gan­gen. Die Gerichte urteil­ten in diesen Ver­fahren gegen die Ver­samm­lungs­frei­heit und ließen das Ver­samm­lungsver­bot bestehen.

Recht­san­walt Michael Plöse zu den Eil­ver­fahren: “Ich bin davon überzeugt, dass die Eilentschei­dung des Oberver­wal­tungs­gerichts Berlin-Bran­den­burg sehr zur Deeskala­tion der Lage beige­tra­gen hat. Das war ein wichtiges Judikat auch für die Anerken­nung der Vielgestaltigkeit und Offen­heit der von der Ver­samm­lungs­frei­heit geschützten Aktions­for­men. Dem gegenüber ist es wirk­lich ärg­er­lich, wie unkri­tisch die säch­sis­che Ver­wal­tungs­gerichts­barkeit die Ver­samm­lungsver­bot­szo­nen gerecht­fer­tigt hat. Aus­ge­hend von Szenar­ien zwis­chen Ter­ro­ralarm und Zom­bieapoka­lypse redete sie einen polizeilichen Not­stand her­bei, der umfassende Frei­heit­sein­schränkun­gen ermöglichte. Das ist Angst-Recht­sprechung, nicht demokratis­che Streitkultur.“

Trotz­dem ließen sich die Aktivist*innen durch die Ver­bote nicht von ihrem Protest abhal­ten. Dazu Nike Mahlhaus, Press­esprecherin von Ende Gelände: „Durch die Ein­schränkung des Ver­samm­lungsrechts wurde ver­sucht, unseren legit­i­men Protest zu unter­drück­en. Dieser muss aber dort sicht­bar wer­den, wo die Kli­makrise geschaf­fen wird: an den Orten der Zer­störung. Zivil­er Unge­hor­sam ist heutzu­tage wie auch his­torisch notwendig, um soziale Verän­derun­gen her­beizuführen. Wir brauchen einen sofor­ti­gen Kohleausstieg und einen schnellen und gerecht­en Struk­tur­wan­del. Das haben wir gestern ein­mal mehr deut­lich gemacht.“

Polizeige­walt

Im Ver­lauf der Aktion kam es zu mas­siv­er Polizeige­walt und ver­let­zten Aktivist*innen durch den Ein­satz von Schlagstöck­en, Pfef­fer­spray, Schlä­gen und Trit­ten sowie Schmerz­grif­f­en durch die Polizei. Im Tage­bau Vere­inigtes Schleen­hain wur­den sitzende Aktivist*innen über­fal­lar­tig und wieder­holt von Polizeiein­heit­en mit Schmerz­grif­f­en und Faustschlä­gen ange­grif­f­en, wodurch Panik ent­stand. Dort gab es zudem einen riskan­ten Ein­satz der Polizei mit Polizeipfer­den. Auch ander­norts wurde beobachtet, wie die Polizei Aktivist*innen anlass­los mit Schlä­gen und Schmerz­grif­f­en sowie Pfef­fer­spray attack­ierte. Mehrere Men­schen mussten sich von Demosanitäter*innen an den ver­schiede­nen Aktion­sorten behan­deln lassen. Dabei wur­den Demosanitäter*innen von einzel­nen Polizeigrup­pen an ihrer Arbeit gehindert.

Gewahrsam­nah­men

Während der Gewahrsam­nah­men im Gelände der Mibrag wur­den Aktivist*innen per­ma­nent gefilmt, ohne dass dazu irgen­dein weit­er­er Anlass gegeben war. Einige der Aktivist*innen wur­den zudem bei eisi­gen Tem­per­a­turen für mehrere Stun­den im Außen­bere­ich der mobilen Gefan­genen­sam­mel­stelle festgehalten.

Ein­schränkung der Pressefreiheit

Presservertreter*innen wur­den an mehreren Stellen mas­siv von der Polizei an ihrer Berichter­stat­tung gehin­dert. Es kam auch zu Durch­suchun­gen von Journalist*innen. Eine Autokolonne von Medienvertreter*innen wurde gezielt gestoppt und für län­gere Zeit ohne Angabe von Grün­den fest­ge­hal­ten. Sicher­heit­skräfte der LEAG ver­sucht­en außer­dem, Pressevertreter*innen durch Andro­hung von Strafanträ­gen einzuschüchtern und hin­derten sie am Zugang zu den Tage­bauarealen zur Berichterstattung.

Nike Mahlhaus kom­men­tierte: „Die Reak­tio­nen auf unsere Proteste offen­baren ein Demokratiede­fiz­it: Nicht nur, dass die Regierung seit Jahren nicht han­delt und die säch­sis­chen Behör­den im Vorhinein ver­sucht haben, unseren legit­i­men Protest mit Ver­samm­lungsver­boten zu krim­i­nal­isieren. Auch während unser­er Aktion wurde die Presse­frei­heit eingeschränkt und so die Berichter­stat­tung ver­hin­dert. Die Antwort auf die Kli­makrise muss mehr Demokratie sein, nicht weniger.“

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Antifaschismus Geschichte & Gedenken jüdisches Leben & Antisemitismus Law & Order

Gedenkveranstaltungen zum Gedenken an die Novemberpogrome

In diesem Jahr gab es erst­ma­lig zwei Gedenkver­anstal­tun­gen, um an die Schreck­en der Novem­ber­pogrome zu erinnern.

Gedenken am ehe­ma­li­gen jüdis­chen Altenheim in Babelsberg

Bei ein­er Ver­anstal­tung am Vor­mit­tag wurde an einem authen­tis­chen Ort der Shoa, dem ehe­ma­li­gen jüdis­chen Altenheim in der Spitzweg­gasse 2a, gedacht. Von hier aus gin­gen 1943 die let­zten Trans­porte aus Pots­dam in die Ver­nich­tungslager. In den Rede­beiträ­gen wurde auf die Enteig­nun­gen in Neu-Babels­berg einge­gan­gen und welche Orte seit 1933 von NS-Verbänden
beset­zt und bewohnt wor­den sind. Anschließend wur­den von ca. 30 Men­schen am Gedenkstein Blu­men und Kränze niedergelegt, sowie mit ein­er Schweigeminute der Novem­ber­pogrome gedacht.

Gedenken am OdF Mahnmal

Um 19 Uhr trafen sich unge­fähr 200 Leute am Denkmal für die Opfer des Faschis­mus am Platz der Ein­heit. In mehreren Beiträ­gen wurde an die Geschehnisse der  Novem­ber­pogrome erin­nert und ein Gedicht von Hali­na Biren­baum ver­lesen. Ein Rede­beitrag von der Emanzi­pa­torischen Antifa Pots­dam kennze­ich­nete die lange Tra­di­tion von Anti­semitismus, auch vor 1933, in Deutsch­land und dass dieser bis heute tief in der Gesellschaft ver­ankert ist.
Dazu  sagt Lisa Redlich von der EAP „Gedenken ist nicht nur das
Erin­nern an  ein bes­timmes Ereigniss oder an eine bestimmte
Begeben­heit. Es ist auch  wichtig zu betra­cht­en wie es zu dem Ereig­nis gekom­men ist und dann daraus auch die Schlüsse auf das hier und heute zu ziehen“ Den Rede­beitrag find­en sie weit­er unten in der kom­plet­ten Länge.

Respekt- und würde­los­es Ver­hal­ten der Polizei Brandenburg 

Dass die Polizei Bran­den­burg jegliche Würde ver­loren hat, zeigte sich gestern mal wieder. Ein Gedenken von Opfer­ver­bän­den und
Antifaschisten*innen zu stören, in dem sie einen Verantwortlichen
wollen, ist ein Skan­dal und zeigt, dass sie jegliches
Geschichtsver­ständ­nis ver­mis­sen lassen. In Bran­den­burg müssen
Gedenkver­anstal­tun­gen nicht angemeldet wer­den, weshalb ihre Nach­frage wie eine Pro­voka­tion und Schikane wirkte.

Fotos unter: https://www.flickr.com/photos/presseservice_rathenow/49040300236/in/album-72157711714431958/

Rede­beitrag der EAP:

Heute ste­hen wir wieder hier am Mah­n­mal für die Opfer des Faschismus.
Jedes Jahr müssen wir erneut fest­stellen, wie wichtig eine aktive
Gedenkkul­tur ist und wie wichtig es ist aus dem Gedenken Rückschlüsse auf das hier und heute zu ziehen! Vor exakt einem Monat, dem 9.10.2019 kam es zu einem neon­azis­tis­chen Angriff auf eine Syn­a­goge in Halle.
Dabei star­ben zwei Men­schen. Der Angriff, der am jüdis­chen Feiertag Jom Kip­pur stat­tfand, zielte klar gegen Jüdin­nen und Juden.

Der 9.11. ist ein Datum von her­aus­ra­gen­der Bedeu­tung. Vor 81 Jahren wur­den Syn­a­gogen und Geschäfte jüdis­ch­er Men­schen zer­stört, Men­schen wur­den ver­haftet und ermordet. Auch hier direkt hin­ter uns wurde die Syn­a­goge geplün­dert und aus­ger­aubt. Keine 100 Meter weit­er links wurde das Geschäft von Abra­ham Kall­mannsohn in der Schw­ert­fegerstraße 1 geplün­dert und er wurde im KZ Sach­sen­hausen interniert. An diese Gräueltat­en zu erin­nern ist die Ver­ant­wor­tung der­er wir uns heute annehmen müssen. Erin­nern heißt nicht vergessen.

Der 9.11.1938 war Test­lauf und Start­punkt für die spätere sys­tem­a­tis­che Ver­nich­tung durch Massen­er­schießun­gen in Osteu­ropa und Ver­ga­sun­gen in den Konzen­tra­tionslagern. Nach dem 9.11.1938 war klar, dass gegen anti­semi­tis­che Het­ze und Gewalt­tat­en aus der deutschen Bevölkerung nicht  mit Wider­stand zu rech­nen war – ganz im Gegenteil!
Die Aneig­nung von und Auseinan­der­set­zung mit der Geschichte muss bis in unsere Gegen­wart hinein­re­ichen! Auch wenn Deutsch­land 1945 besiegt wurde, ist der Anti­semitismus in  großen Teilen der Gesellschaft verblieben und erneuert sich unen­twegt. Alleine im let­zten Jahr gab es 1.799 doku­men­tierte anti­semi­tis­che Angriffe. Das sind 5 anti­semi­tis­che Angriffe am Tag!

Dieser mod­erne Anti­semitismus hat eine lange Tra­di­tion in Deutsch­land. Schon Jahrzehnte bevor die Nationalsozialist*innen die Macht in die Hände gelegt beka­men. So kam es beispiel­sweise schon 1916, mit­ten im ersten Weltkrieg, zu soge­nan­nten „Juden­zäh­lun­gen“ in der Reich­swehr. Mit  dieser Zäh­lung sollte gek­lärt wer­den, ob Juden ihre soge­nan­nten „vater­ländis­chen“ Pflicht­en in aus­re­ichen­der Zahl erfüll­ten. Die Ergeb­nisse dieser staat­sof­fiziellen Unter­suchung wur­den nicht an die
große Glocke gehangen, denn von den 500.000 deutschen Juden diente 1/5 in der Reich­swehr. Die für „Kaiser und Vater­land“ kämpfend­en Juden erhofften sich durch ihren Kampfein­satz die volle Gle­ich­berech­ti­gung und  Anerken­nung der deutschen Gesellschaft zu erkämpfen. Aber noch nicht ein­mal unter Ein­satz ihres Lebens war ihnen dies möglich. Sie gal­ten weit­er­hin als Pro­jek­tions­fläche. Alle Auswüchse und Missstände des sich
etablieren­den Kap­i­tal­is­mus wur­den mit ihnen iden­ti­fiziert und somit per­son­al­isiert. Ein Umstand, der aus der kapitalistischen
Waren­pro­duk­tion und dem ihr notwendi­gen falschen All­t­ags­be­wusst­sein erwächst. Dabei war für die Anti­semiten uner­he­blich, was Juden in der Real­ität tat­en oder wer sie waren. Denn, wie Adorno so tre­f­fend for­mulierte: „Der Anti­semitismus ist das Gerücht über den Juden.“

Nach der Beendi­gung des ersten Weltkrieges durch die Kapit­u­la­tion des deutschen Reich­es nahm der Anti­semitismus fol­glich nicht ab. Im Gegen­teil, auch die Auf­stände und Massen­streiks der Jahre 1918 und 1919 wur­den nicht lediglich auf eine kriegsmüde, nach Brot und Frei­heit strebende Bevölkerung zurück­ge­führt, son­dern von Beginn an gal­ten die Urheber*innen als „jüdis­che Bolschewist*innen“. Und entsprechend hart wurde mit ihnen umgegangen.

Liebe Zuhörende, der 9. Novem­ber ist nicht nur der Tag an dem wir der Reich­s­pogrom­nacht mit ihren Schreck­en und grausamen Fol­gen gedenken. Wir gedenken auch der Tausenden Toten die von Freiko­rps ermordet wur­den. Diese Freiko­rps bestanden zumeist aus ehe­ma­li­gen Sol­dat­en, die sich nach der deutschen Nieder­lage zum Schutz eines reak­tionären Deutsch­lands zusam­men schlossen. Sie unter­standen dem dama­li­gen SPD-Vertei­di­gungsmin­is­ter Noske und han­del­ten auf seinen Befehl. So auch als sie in Berlin im März 1919 ein Mas­sak­er an linken Proletarier*innen anrichteten. Damals flo­gen erst­mals Flugzeuge Luftan­griffe und schmis­sen Brand­bomben auf Wohn­vier­tel. Maschi­nengewehre wur­den in
belebten Straßen einge­set­zt. Diese Gewalt über­traf in ihrer Stärke und Durch­schlagskraft die vorher einge­set­zte rev­o­lu­tionäre Gewalt um ein Hun­dert­fach­es. Wur­den während der Novem­ber­rev­o­lu­tion 1918 nur Wenige getötet, fie­len der ent­fes­sel­ten Gewalt der Freiko­rps allein im März 1919 in Berlin 1.200 Men­schen zum Opfer: größ­ten­teils Zivilist*innen. An  diesen Gewal­taus­brüchen waren auch Pots­damer Freiko­rps beteiligt. Zu nen­nen sind hier das Freiko­rps Pots­dam und das Freiko­rps Hülsen, beide
waren in Pots­dam sta­tion­iert. Das Pots­damer Freiko­rps Hülsen ging später  als Teil der 3. Infan­terie Divi­sion in der Wehrma­cht auf und war unter anderem am Über­fall auf Polen im Jahr 1939 beteiligt.

Es dürfte also nie­man­den der Anwe­senden ver­wun­dern, wenn sich die Ange­höri­gen und die Kom­mandieren­den der Pots­damer Freiko­rps oder ander­er Freiko­rps Ver­bände später den Nazis anschlossen oder sog­ar an deren Spitze stellten.

In der Zeit nach Beendi­gung des 1. Weltkrieges und vor der Machtüber­gabe  an die NSDAP fühlten sich auch schon ver­schiedene Täter (es waren und sind ja meist Män­ner) dazu berufen Morde und Mas­sak­er an ver­meintlichen oder realen Gegner*innen zu bege­hen. Damals wie heute han­delt es sich bei den Tätern ange­blich um Einzeltäter. Damals wie heute sind diese Men­schen einge­bun­den in ein poli­tis­ches Umfeld das geprägt ist von Unter­gangsäng­sten und Bedro­hungsszenar­ien. Damit wirre Ideen aber zu Tat­en wer­den, braucht es mehr: Es braucht eine indif­fer­ente oder sich sog­ar pos­i­tiv auf die Tat­en beziehende Bevölkerung und es braucht einen Staat, welch­er die anti­ju­dais­tis­che, die anti­semi­tis­che, die faschis­tis­che oder ras­sis­tis­che Bedro­hung kon­fton­ta­tion­s­los hinnimmt.
Hierzu braucht es weit­er­hin eine Gesellschaft in der die
gesellschaftlichen Beziehun­gen der Men­schen nicht bewusst geregelt sind, sich die Men­schen in freier Konkur­renz als Privateigentümer*innen gegenüber­ste­hen und men­schlich­es Han­deln  lediglich als per­sön­lich­es Fehlver­hal­ten aus­gelegt wird,begründet durch per­sön­liche Überzeu­gung oder Abstam­mung. Die gesellschaftlichen Ver­hält­nisse haben sich seit­dem nie grundle­gend geändert!

Angesichts des im Bran­den­burg­er Land­tag sitzen­den bayrischen Neon­azis Kalb­itz, der bis heute nicht ver­bote­nen rechts-ter­ror­is­tis­chen Organ­i­sa­tion Com­bat 18 oder der wei­thin bekan­nten Unter­stützung (neo)nazistischer Grup­pen durch Teile des deutschen Sicher­heit­sap­pa­rates muss klar sein, dass eine faschis­tis­che Gefahr mit­nicht­en geban­nt ist!

Fakt ist, dass auf die Reich­s­pogrom­nacht jahrzehn­te­lang hin gear­beit­et wurde und es ist wichtig sich nicht nur dieses Datum mit all seinen Schreck­en ins Gedächt­nis zu rufen, son­dern auch die unzäh­li­gen Grausamkeit­en, die den Weg dor­thin geeb­net haben und danach noch fol­gten. Denn nur so ist Ler­nen aus der Geschichte möglich. Nicht indem wir uns an, vom Fluss der Geschichte los­gelöste, sin­guläre Ereignisse erin­nern, son­dern indem wir die Geschichte als von Men­schen gemachte Real­ität anerken­nen, in der viele ver­schiedene Aspek­te zu dem führten dessen wir heute mah­nen wollen.

Gegen jeden Antisemitismus!

Inforiot