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Wir werden immer lauter!”

Vom 25.7.–14.8.2016 geht Women in Exile and Friends unter dem Mot­to “Wir wer­den immer lauter!” auf Aktion­s­tour quer durch Deutsch­land. Die drei­wöchige Tour soll auf die Sit­u­a­tion von geflüchteten Frauen und Kindern aufmerk­sam machen und Flüchtlings­frauen unter­stützen, für sich selb­st zu sprechen.
Eliz­a­beth Ngari, Mit­be­grün­derin von Women in Exile: “Die Erfahrun­gen, die wir in Bran­den­burg machen, sind den Erfahrun­gen von Frauen aus anderen Bun­deslän­dern ähn­lich. Flüchtlings­frauen sind dop­pelt Opfer von Diskri­m­inierung: Sie wer­den als Asyl­be­wer­berin­nen durch ras­sis­tis­che Geset­ze aus­ge­gren­zt und als Frauen diskriminiert..”
Women in Exile and Friends wird Unterkün­fte besuchen, mit lokalen Ini­tia­tiv­en zusam­me­nar­beit­en und öffen­lichkeitswirk­same Aktio­nen durch­führen. So ist beispiel­sweise am 29.7. eine Protestkundge­bung vor dem Bun­de­samt für Migra­tion und Flüchtlinge in Nürn­berg geplant. Eine zen­trale Forderung ist die Anerken­nung geschlechtsspez­i­fis­ch­er Flucht­gründe. Der Focus der Tour wird jedoch auf dem Empow­er­ment und gegen­seit­igem Aus­tausch der Flüchtlings­frauen liegen.
Eliz­a­beth Ngari: “Über die Jahre haben wir Verbindun­gen mit zahlre­ichen Flüchtlings­frauen und Unterstützer*innengruppen aufge­baut. Jet­zt geht es darum, unsere Gemein­samen Forderun­gen an die Öffentlichkeit zu brin­gen.” Wir wür­den uns freuen, wenn Sie über die Tour bericht­en und den Ter­min wahrnehmen, um mit uns über die Sit­u­a­tion von Flüchtlings­frauen zu sprechen. Es beste­ht auch die
Möglichkeit, die Bus­tour zu begleiten.
Weit­ere Infor­ma­tion über die Gruppe “Women in Exile & Friends”: http://women-in-exile.net/ oder auf facebook.com/Women-in-Exile-Summer-Bus-Tour-2016
Tour­dat­en: 25.7. War Starts Here-Camp Alt­mark // 26.–27.7. Halle/Saale // 28.7.Leipzig // 29.–31.7. Nürn­berg // 1.8. Oberursel // 2.–3.8. Köln // 4.8. Osnabrück // 5.8. Biele­feld // 6.8. Göt­tin­gen // 7.8. Witzen­hausen // 8.–9.8 Bre­men // 10.–11.8. Ham­burg // 12.8. Pots­dam // 13.–14.8. Berlin

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Antifaschismus Law & Order

Brandenburg unter Beobachtung

Unter­suchungsauss­chuss zum NSU startet unter kri­tis­ch­er Begleitung von NSU Watch Brandenburg
INFORIOT – Es ist so weit. In Bran­den­burg startet ein par­la­men­tarisch­er Auss­chuss, der die Ver­strick­un­gen von Neon­azis und V‑Leuten aus Bran­den­burg in die Aktiv­itäten und Struk­turen des Nation­al­sozial­is­tis­chen Unter­grun­des (NSU) aufk­lären will. Am Dien­stag fand die erste kon­sti­tu­ierende Sitzung des Unter­suchungsauss­chuss­es im Bran­den­burg­er Land­tag statt – allerd­ings unter Auss­chluss der Öffentlichkeit. Erst im April war die Ein­set­zung des Auss­chuss­es beschlossen worden.
Foto zeigt einen Flyer von NSU Watch Brandenburg im Vordergrund und Personen im Hintergrund
Wenn im Sep­tem­ber nun die zehn Auss­chuss­mit­glieder von SPD, CDU, Linke, Grüne und AfD zur eigentlichen inhaltlichen Arbeit übergeben, geht es an die Sub­stanz: Die zen­trale Frage, ob das Land Bran­den­burg die Tat­en des NSU hätte ver­hin­dern kön­nen, muss im Auss­chuss beant­wortet wer­den. Carsten Szczepan­s­ki alias „Piat­to“, die „Top-Quelle“ des Bran­den­burg­er Ver­fas­sungss­chutzes hat­te Infor­ma­tio­nen zu Plä­nen des NSU-Kern­trios und gab diese an den Ver­fas­sungss­chutz weit­er. Der Ver­fas­sungss­chutz, so der Vor­wurf, habe die Infor­ma­tio­nen nicht an zuständi­ge Ermit­tlungs­be­hör­den weit­ergeben. Zu ein­er Fes­t­nahme des Trios kam es bekan­ntlich nicht. Zehn Morde, diverse Anschläge und Über­fälle folgten.
Es ist nicht das einzige Fehlver­hal­ten des Bran­den­burg­er Ver­fas­sungss­chutzes, das es aufzuar­beit­en gilt. Auch der V‑Mann-Skan­dal um den Guben­er Neon­azi Toni Stadler, die unaufgek­lärte Anschlagsserie der Nationalen Bewe­gung — auch hier war der Ver­fas­sungss­chutz involviert – oder die Nation­al­rev­o­lu­tionären Zellen, ein ter­ror­is­tis­ch­er Zusam­men­schluss von Neon­azis aus Berlin und Bran­den­burg, der auch „Piat­to“ ange­hörte, gehören zu den vie­len The­men, die nach Ein­schätzung der Ini­tia­tive NSU Watch Bran­den­burg zu klären sind.
NSU Watch Bran­den­burg gegründet
Zeit­gle­ich zur kon­sti­tu­ieren­den Sitzung des Unter­suchungsauss­chuss­es, stellte sich NSU Watch Bran­den­burg vor. NSU Watch Bran­den­burg als Teil des bun­desweit­en Net­zw­erkes NSU Watch, hat sich die Auf­gabe gestellt, den Unter­suchungsauss­chuss kri­tisch zu begleit­en. „Der NSU stellt eine Zäsur in der bun­des­deutschen Nachkriegs­geschichte dar“, so Felix Hansen als Vertreter des bun­desweit­en Zusam­men­hanges am Dien­stag bei ein­er Pressekon­ferenz. NSU Watch, ein Zusam­men­schluss aus antifaschis­tis­chen Grup­pen und Einzelper­so­n­en, beobachtet seit 2013 den Straf­prozess gegen Beate Zschäpe und vier weit­ere Angeklagte. Im Prozess in München ist auch Bran­den­burg immer wieder ein The­ma, aktuell geht es um die Zeitschrift „Weißer Wolf“, ein Heft in dem bere­its 2002 ein Hin­weis auf den NSU auf­tauchte. Der „Weiße Wolf“ war in den 90er Jahren in der Bran­den­burg­er JVA hergestellt wor­den – maßge­blich beteiligt war damals Carsten Szczepanski.
Fehlende Aufk­lärungs­bere­itschaft
Aus Sicht der Antifaschist_innen ist es kein Ruhmes­blatt für die Bran­den­burg­er Poli­tik, dass der Unter­suchungss­chuss erst jet­zt, über vier Jahre nach der Selb­stent­tar­nung des NSU, ein­gerichtet wurde. Neben­klagean­wälte im Prozess vor dem Ober­lan­des­gericht in München kri­tisieren schon länger die fehlende Aufk­lärungs­bere­itschaft der Bran­den­burg­er Behör­den, unter anderem, weil sich das Innen­min­is­teri­um weigerte Akten an das Gericht her­auszugeben, und Ver­fas­sungss­chutzmi­tar­beit­er während der Zeu­ge­nan­hörun­gen ver­meintlichen Gedächt­nis­lück­en vorschoben. Für NSU Watch Bran­den­burg ist klar: „Die V‑Mann-Skan­dale im Land Bran­den­burg haben gezeigt, dass das V‑Leute-Sys­tem mehr Schaden als Nutzen gebracht hat“. Durch die Arbeit des Ver­fas­sungss­chutzes wird der Auf­bau mil­i­tan­ter Neon­azistruk­turen gestärkt, denn „hier wer­den Gelder in die Neon­aziszene gepumpt“, sagte ein Sprech­er. Außer­dem hät­ten antifaschis­tis­che und zivilge­sellschaftliche Recherchen mehr zur Aufk­lärung beige­tra­gen, als der Verfassungsschutz.
Logo NSU Watch Brandenburg. Dokumentation und kritische Begleitung des Untersuchungsausschusses
NSU Watch unterstützen

Die Beobach­tung durch NSU Watch Bran­den­burg heißt konkret: Pro­tokolle der Sitzun­gen des Unter­suchungss­chuss­es erstellen, um diese ein­er bre­it­en Öffentlichkeit zugängig zu machen sowie Dossiers und Recherchen zu erstellen, die nach und nach auf der Home­page brandenburg.nsu-watch.info veröf­fentlicht wer­den. Als unab­hängige Ini­tia­tive ist NSU Watch auf Spenden angewiesen.

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Antifaschismus

Oranienburg: Bedrohung nach Farbangriff auf AfD

INFORIOT – Unbekan­nte verübten in der Nacht zum 11. Juli einen Far­ban­schlag auf das Oranien­burg­er Restau­rant „Alte Fleis­cherei“, das auch als Diskothek genutzt wird. Neben Farbe sollen laut Medi­en­bericht­en auch Antifa-Sym­bole an das Gebäude gesprüht wor­den sein. Es wird ver­mutet, dass der Far­ban­schlag in Zusam­men­hang mit ein­er AfD-Ver­anstal­tung mit dem Kli­maskep­tik­er Michael Lim­burg ste­hen soll, die am 11. Juli in dem Meis­ter­saal des Restau­rants stat­tfand. Dabei fan­den in der „Alten Fleis­cherei“ in der Ver­gan­gen­heit nicht nur AfD-Ver­anstal­tun­gen statt. Auch ein bekan­nter Aktivist aus dem örtlichen NPD-Umfeld ist dort des Öfteren als DJ tätig.

Screenshot: Facebook.
Screen­shot: Facebook.

Haus­be­suche angekündigt
Der­weil tobt im Inter­net der virtuelle Mob. Der Inhab­er der Diskothek, Dirk Arndt, veröf­fentlichte ein Foto der beschmierten Fas­sade und ver­fasste dazu auf seinem pri­vat­en Face­book-Account eine län­gere Has­s­nachricht, in der er „die Antifa“ für die „feige Atacke“ (Fehler im Orig­i­nal) ver­ant­wortlich macht. Zudem rief er seine Fre­un­desliste zur Mith­il­fe auf, um die „linken Nazis“ aus­find­ig zu machen. Promt melde­ten sich einige Per­so­n­en, die sich für Haus­be­suche bei Antifaschist_innen aussprachen. So habe man solche Angele­gen­heit­en in der Ver­gan­gen­heit gek­lärt, hieß es in diversen Postings.

Screenshot: Facebook.
Screen­shot: Facebook.

Screenshot: Facebook.
Screen­shot: Facebook.

Screenshot: Facebook.
Screen­shot: Facebook.

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Screen­shot: Facebook.

Den Vorschlag griff Arndt in einem Post­ing auf und schrieb: „ich hoffe jemand hat was gese­hen Zeit für Haus­be­suche“ (Fehler im Orig­i­nal). Neben weit­eren Per­so­n­en, die augen­schein­lich der lokalen recht­en Szene zuzuord­nen sind, fand dieser Vorschlag auch Zus­pruch bei dem örtlichen Tätowier­er Olaf Wern­er, der den Beitrag mit einem „Gefällt mir“ verse­hen hat­te. Wern­er gilt als Mitini­tia­tor der “Oranien­burg­er Abendspaziergänge”. In einem Vlog trat er als Sprachrohr der “Abendspaziergänge” auf und ver­bre­it­ete krude Ver­schwörungs­the­o­rien. Auf dem “Spazier­gang” am 16. März 2016 filmte er außer­dem die Red­ner. Wern­er weist zudem deut­liche Verbindun­gen zur lokalen Neon­aziszene auf. In seinen Laden „Colour of Skin“ wer­den nicht nur Bilder mit NS-Bezug tätowiert, auch ein Recht­srock-Musik­er durfte sich im „Colour of Skin“ an der Nadel austoben.

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Olaf Wern­er im Vlog. Screen­shot: Facebook.

Ein Inhab­er mit frag­würdi­gen poli­tis­chen Ansichten
In einem MOZ-Artikel ver­sucht sich Dirk Arndt zu recht­fer­ti­gen. Berühungsängte habe er mit der AfD nicht: “Solange die Partei infor­ma­tive Vorträge hält und nicht het­zt, ist sie jed­erzeit bei mir willkom­men”. In ein­er „recht­en Ecke“ sehe er sich nicht. Seine öffentliche Mei­n­ungs­bekun­dun­gen auf Face­book sprechen jedoch eine andere Sprache. Im Post­ing zum Anschlag schrieb er: „Die Eltern des Täters müssen Geschwis­ter sein.“ Dieser Ausspruch kommt nicht von irgend­woher, son­dern ist eine Anlehnung an die Textzeile aus dem beliebten Lied „Eure Eltern sind Geschwis­ter“ der Recht­srock­band „Die Lunikoff Ver­schwörung“. Im Refrain des Lieds heißt es: „Hey ihr Zeck­en, eure Eltern sind Geschwis­ter“. „Die Lunikoff Ver­schwörung“ ist eine Band des Ex-Landser-Sängers Michael Regen­er, nach­dem sich seine Band „Lunikoff“ 2003 aufgelöst hatte.

Ein weit­er­er Blick auf die Face­book­seite von Dirk Arndt zeigt seine inhaltliche Nähe zu Ver­schwörungs­the­o­rien, Rus­s­land-Fanatismus, Anti-Amerikanis­mus und anti-mus­lis­mis­chen Rassismus.

Weit­ere Verbindun­gen der „Alten Fleis­cherei“ in die rechte Szene
Nicht zum ersten Mal fand eine AfD-Ver­anstal­tung in der „Alten Fleis­cherei“ statt. Bere­its am 25. Feb­ru­ar ver­anstal­tete der AfD Kreisver­band Ober­hav­el einen Infoabend zu Syrien mit Bil­ly Six, einem Reporter der neurecht­en Wochen­zeitung „Junge Frei­heit“. Die Ver­anstal­tung fand einen Tag vor dem zehn­ten “Abendspazier­gang” in Oranien­burg statt. Auch in Zehdenick ver­suchte die Partei so von der ras­sis­tis­chen Stim­mungs­mache im Land­kreis zu pro­fil­ieren und organ­isierte am 09. Dezem­ber 2015 einen Infoabend zu Asyl am Vor­abend des “Spazier­gangs” in der Stadt.

pepe3Regelmäßig find­en in der „Alten Fleis­cherei“ diverse Tanzver­anstal­tun­gen statt. Die „Fleis­chereipar­tys“ bein­hal­ten ver­schiedene Genre und The­men. In der „Alten Fleis­cherei“ wer­den. „Onkelz­par­tys“ — in Anlehnung an die als rechts gel­tende Band “Böhse Onkelz”, ver­anstal­tet, die vom entsprechen­dem Pub­likum besucht wer­den. Außer­dem tritt in der „Alten Fleis­cherei“ ein Aktivist aus dem örtlichen NPD-Umfeld als DJ auf. Unter den Namen „Infekt“ bzw. „Infekt & Virus“ legt der Vel­tener Pierre „Pepe“ Schön in der „Alten Fleis­cherei“ auf. Erst im April dieses Jahres hat­te er dort einen Auftritt.

Pierre Schön beim Auflegen. Screenshot: Facebook.
Pierre Schön beim Aufle­gen. Screen­shot: Facebook.

Schön gehört zum Umfeld des Vel­tener NPD-Stadtverord­neten Robert Wolin­s­ki. Im Sep­tem­ber 2012 ver­suchte Wolin­s­ki ein soge­nan­ntes „nationales Fußball­turnier“ in Vel­ten zu ver­anstal­ten. Die Nutzung der Sportan­lage des örtlichen Rug­by-Vere­ins wurde ihnen jedoch nicht gewährt. Als Reak­tion darauf ver­anstal­teten die Jun­gen Nation­aldemokrat­en (JN), die Jugen­dor­gan­i­sa­tion der NPD, am 1. Sep­tem­ber eine Protestkundge­bung in Vel­ten. Die Teil­nehmer der Kundge­bung tru­gen ein­heitliche JN-Shirts. Auch Schön beteiligte sich an der Kundge­bung und trug eines der lim­i­tierten Tshirts. Zudem nahm Schön an diversen Neon­azi-Aufmärschen in der Region teil, beispiel­sweise am 01. Mai 2012 in Witt­stock. Bis heute scheint Schön sich nicht von der NPD gelöst zu haben. Aber seinem pri­vat­en Face­book-Account postete er erst im Mai die Schul­hof-CD der NPD — „Neuer Pop Deutsch­land Vol. 88“. Die „88“ ist ein Code der Neon­aziszene, welch­es für die Buch­staben „HH“ im deutschen Alpha­bet ste­hen. Die Abkürzung „HH“ ist ein Chiffre für den Neon­azi­gruß „Heil Hitler“.

Rechts: Pierre Schön auf der JN-Kundgebung am 01.09.2012 in Velten.
Rechts: Pierre Schön auf der JN-Kundge­bung am 01.09.2012 in Velten.

 
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Screen­shot: Facebook.

Geschicht­strächtiger Ort
Die „Alte Fleis­cherei“ war ursprünglich eine Fleisch- und Wurst­waren­fab­rik. Sie wurde 1926 durch die jüdis­chen Brüder Eduard und Georg Bach gegrün­det. Eduard Bach starb 1929. Der Betrieb wurde durch seine Frau Emma und Sohn Mar­tin weit­erge­führt. Als auch in Oranien­burg zum Boykott jüdis­ch­er Geschäfte aufgerufen wurde, ging es mit dem Fab­rik abwärts. Die Bachs emi­gri­erten nach Madeira und kamen nie zurück. Heute erin­nert eine Gedenk­tafel an das Schick­sal der Fam­i­lie Bach vor dem ehe­ma­li­gen Fab­rikge­bäude. Im Meis­ter­saal, aus­gerech­net dort, wo die AfD jüngst ihre Ver­anstal­tung abhielt, hängt eine Dauer­ausstel­lung „300 Jahre jüdis­ches Leben und Lei­den in Oranien­burg“ der jüdis­chen Gemeinde Oranien­burg und des His­torikes Hans Biereigel.

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Havelland: Brandstiftungen an Flüchtlingswohnungen und rechte Propagandaaktionen

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In der Nacht von Mon­tag zu Dien­stag, dem 12. Juli 2016, wur­den im Raum Rathenow-Prem­nitz mehrere mut­maßliche Straftat­en began­gen, bei denen eine frem­den­feindliche Moti­va­tion nicht auszuschließen ist.
Brand­s­tiftun­gen in Premnitz
In der havel­ländis­chen Kle­in­stadt Prem­nitz wurde, nach Polizeiangaben, zunächst gegen 04.35 Uhr ein Brand auf einem Balkon im Erdgeschoss eines Ein­fam­i­lien­haus­es in der Franz-Mehring-Straße fest­gestellt. Ein Anwohn­er hat­te das Feuer bemerkt und anschließend die Bewohner_innen ver­ständigt. Gemein­sam wurde der Brand gelöscht und die Polizei ver­ständigt. Per­so­n­en kamen nicht zu schaden.
Wenig später stellte die Polizei dann weit­ere Beschädi­gun­gen, die offen­bar eben­falls durch ein Entzün­den vorgerufen wur­den, an einem anderen Erdgeschoss­balkon in der August- Bebel- Straße fest. Nach Befra­gung durch die Beamt_innen stellte sich her­aus, dass die Bewohner_innen den Brand gegen 03.00 Uhr eigen­ständig fest­stell­ten und anschließend selb­st mit Wass­er löschten.
Die Krim­i­nalpolizei ermit­telt nun wegen des zweifachen Ver­dacht­es auf Brand­s­tiftung. Da in den betrof­fe­nen Woh­nun­gen zum Zeit­punkt des Bran­daus­bruch­es Asyl­suchende ihren Lebens­mit­telpunkt hat­ten, wurde das Staatss­chutzkom­mis­sari­at mit den Ermit­tlun­gen betraut. Ein frem­den­feindlich­er Hin­ter­grund kann, laut Polizeiangaben, derzeit nicht aus­geschlossen wer­den. Es lägen jedoch bis­lang auch noch keine konkreten Hin­weise auf eine solche Motivlage vor, so die Beamt_innen in ein­er ersten Pressemitteilung.
Sprühak­tion in Rathenow
Eben­falls am frühen Dien­stag­mor­gen wur­den in der havel­ländis­chen Kreis­stadt Rathenow mehrere in ara­bisch ver­fasste Slo­gans, die ins Deutsche über­set­zt in etwa: „Geht zurück in Euer Land“ bedeuten sollen, fest­gestellt. Diese waren u.a. in der Nähe des Bahn­hofs, des Job­cen­ters und eines Flüchtling­sheimes  ange­bracht wor­den. Die unbekan­nten Täter_innen hat­ten dafür offen­bar Sprüh­sch­ablo­nen genutzt. Eine frem­den­feindliche Aktion liegt nahe.
Seit Wochen tauchen in der Umge­bung von Rathenow, ins­beson­dere auf den Straßen Rich­tung Ste­chow, Nennhausen und Prem­nitz außer­dem auch  immer wieder gesprühte Slo­gans der PEGI­DA-Bewe­gung auf. Die Parole „Merkel muss weg“ wurde dort beispiel­sweise mehrfach in bei­de Fahrbah­n­rich­tun­gen auf die Straße gesprüht. Auch hier ist eine Aktion von Frem­den­fein­den, die im  momen­ta­nen Kurs der Kan­z­lerin eine all zu flüchtlings­fre­undliche Poli­tik sehen, denkbar.
Der Großteil der Sprühereien wurde inzwis­chen ent­fer­nt oder übersprüht.
Frem­den­feindliche Stimmungsmache
In Rathenow radikalisiert sich seit spätestens Okto­ber 2015 eine rechte Bürg­er­be­we­gung, die bei regelmäßi­gen Ver­samm­lun­gen kon­tinuier­lich gegen Flüchtlinge und den Islam Stim­mung macht. Zeitweise nah­men an deren Ver­anstal­tun­gen bis zu 600 Men­schen teil. Momen­tan hat sich ein har­ter Kern von 50 Per­so­n­en her­aus­ge­bildet, von denen ein Teil auch zu über­re­gionalen PEGI­DA-Ver­samm­lun­gen fährt oder Ver­anstal­tun­gen poli­tis­ch­er Gegner_innen stört.
In Prem­nitz hat­te die frem­den­feindliche Stim­mungs­mache, die damals maßge­blich von der NPD und deren Gesinnungsgenoss_innen betrieben, wurde, bere­its im Jahr 2013 zu einen Anschlag auf eine im Bau befind­liche Flüchtling­sun­terkun­ft geführt. Der inzwis­chen recht­skräftig verurteilte Täter wollte dadurch ein Zeichen gegen die Unter­bringung von Asyl­suchen­den in der Stadt setzen.
Fotos: hier

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Antifaschismus

Rathenow: NPD Stadtrat wegen Körperverletzung und Versicherungsbetrug verurteilt

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Das Amts­gericht Rathenow hat am Dien­stagvor­mit­tag den Rathenow­er NPD Stad­trat Michel Müller zu ein­er Frei­heitsstrafe von ins­ge­samt zwölf Monat­en, aus­ge­set­zt zu drei Jahren auf Bewährung, sowie zu ein­er Wiedergut­machungszahlung in Höhe von 1.800,00 Euro verurteilt.
Dem 35-Jähri­gen wurde u.a. Kör­per­ver­let­zung vorge­wor­fen. Eine noch nicht getil­gte Geld­strafe in einem anderen Ver­fahren floss eben­falls in die Urteils­find­ung mit ein.
Zech­tour endete mit Körperverletzung
Der Angeklagte Müller zeigte sich im Fall der Kör­per­ver­let­zung weit­ge­hend geständig. Gab jedoch vor zur Tatzeit erhe­blich betrunk­en gewe­sen zu sein. Gemein­sam mit Fre­un­den habe er sich nach dem Besuch eines Fußball­spieles des BFC Dynamo im Dezem­ber 2014 in Berlin erhe­blich betrunk­en. Die Zech­tour soll sich auch in Rathenow fort­ge­set­zt haben und vor­erst in ein­er Gast­stätte in der Stadt geen­det haben. Dort sei Müller auf sein Opfer getrof­fen. Nach der Aus­sage des Betrof­fe­nen, während des ersten Prozesstages im Dezem­ber 2015, soll der Angeklagte dann ohne erkennbaren Grund zugeschla­gen haben. Der Zeuge gab an, durch die gewalt­täti­gen Hand­lun­gen des Angeklagten erhe­blich ver­let­zt wor­den zu sein. Er sagte damals aus, dass Müller ihm die Quer­fort­sätze 2- 4 gebrochen, eine Rip­pen­prel­lung erlit­ten sowie mehrere Ver­let­zun­gen im Gesicht zuge­fügt hatte.
Nur ver­min­dert Schuldfähig
Ein wesentlich­er Bestandteil des heuti­gen Ver­hand­lungstages bestand nun darin, die Schuld­fähigkeit des Angeklagten festzustellen. Dies­bezüglich hat­te das Gericht extra ein Gutacht­en anfordern lassen. Es sollte fest­stellen, ob Müller während der Tat min­destens 2,0 Promille Alko­hol im Blut hat­te. Ab diesem Gren­zw­ert wird näm­lich im All­ge­meinen eine ver­min­derte Schuld­fähigkeit angenom­men. Das Gutacht­en attestierte Müller einen Promillew­ert 2,4 bis 2,8. Damit war § 21, StGB, in dem die ver­min­derte Schuld­fähigkeit geregelt ist, erfüllt.
Aus­ge­wo­genes Urteil
Der Angeklagte wurde den­noch im Fall der Kör­per­ver­let­zung zu ein­er Frei­heitsstrafe von elf Monat­en verurteilt. Ein weit­er­er Monat kam dazu, weil Müller eine Geld­strafe aus dem ver­gan­genen Jahr noch nicht getil­gt hat­te. Im Juni 2015 war er vom Amts­gericht Bran­den­burg an der Hav­el wegen Ver­sicherungs­be­trug in Tatein­heit mit Urkun­den­fälschung verurteilt wor­den. Müller war in Kloster Lehnin ohne Kfz-Haftpflicht gefahren und hat­te an einem nicht zuge­lasse­nen Fahrzeug andere Num­mern­schilder angeschraubt.
Die Gesamt­frei­heitsstrafe in der heuti­gen Ver­hand­lung wurde jedoch zur Bewährung aus­ge­set­zt. Auf­grund sein­er erhe­blichen Vorstrafen, darunter gefährliche Kör­per­ver­let­zung, Land­friedens­bruch und Bei­hil­fe zum ver­sucht­en Mord, legte das Gericht die Bewährungs­dauer auf drei Jahre fest. Weit­er­hin muss Müller dem Betrof­fe­nen der Kör­per­ver­let­zung eine Wiedergut­machung von 1.800,00 Euro zahlen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Bericht vom ersten Prozesstag:
https://presseservicern.wordpress.com/2015/12/16/rathenow-prozessauftakt-gegen-npd-stadtrat/

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Antifaschismus

Neuruppin: JWP Mittendrin erinnerte an Emil Wendland

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Am (Samstag)Vormittag haben am Schulplatz in Neu­rup­pin  unge­fähr 30 Men­schen aus dem Umfeld des linksalter­na­tiv­en Jugend­wohn­pro­jek­tes Mit­ten­drin an die bru­tale Tötung von Emil Wend­land in der Nacht vom 1. Zum 2. Juli 1992 erin­nert. Eine dreiköp­fige Gruppe Naziskins hat­ten den auf ein­er Park­bank schlafend­en Woh­nungslosen vor 24 Jahren zunächst mit Schlä­gen und Trit­ten mal­trätiert. Dann wurde eine Bier­flasche auf seinem Kopf zer­schla­gen und abschließend mit einem Mess­er auf ihn eingestochen. Wend­land ver­starb kurze Zeit später an inneren Blutungen.
Die Tat stellte lokal den Höhep­unkt neon­azis­tis­ch­er Exzesse Anfang der 1990er Jahre da. „Es gab nur wenige Tage ohne Mel­dun­gen in den Zeitun­gen von recht­en Über­grif­f­en, Anschlä­gen auf Asyl­suchen­den­heime, Tre­f­fen von 200+ Nazis, recht­en Parolen, Sprühereien“, wie das JWP Mit­ten­drin in einem Aufruf zu dessen heutiger Gedenkkundge­bung schrieb. Trotz­dem geri­et der bru­tale Gewal­takt über die Jahre lang ins Abseits der Lokalgeschichte. Bere­its seit 1993 wurde die Tat nicht mehr in der Sta­tis­tik des Innen­min­is­teri­ums zu Todes­opfern extrem rechter Gewalt geführt. Ein offizielles Andenken an den Getöteten blieb jahre­lang aus. Erst die Aufar­beitung der jüng­sten Geschichte Neu­rup­pins durch das JWP Mit­ten­drin führte zur Schaf­fung eines kleinen Ortes der Erin­nerung in der Nähe des Schulplatzes. Durch Recherchen des Moses Mendel­sohn Zen­trums in den ehe­ma­li­gen Prozes­sak­ten zum Ver­fahren gegen die dama­li­gen Täter wur­den 2015 zudem auch ein­deutige Belege für einen Gewal­takt mit extrem rechter Moti­va­tion gefun­den.  Das Bun­desin­nen­min­is­teri­um ergänzte daraufhin seine Sta­tis­tik. Emil Wend­land wurde somit auch offiziell als Todes­opfer rechter Gewalt anerkannt.
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Neu­rup­pin zählt auch heute noch zu den Haup­tak­tion­sräu­men des neon­azis­tis­chen Milieus im Land Bran­den­burg. Im ver­gan­genen Jahr ver­anstal­teten lokale Neon­azis eine Großdemon­stra­tion zum Tag der so genan­nten „deutschen Zukun­ft“. Gestern (Fre­itag) ver­sam­melten sich Sympathisant_innen der neon­azis­tis­chen „Freien Kräfte Neu­rup­pin – Osthavel­land“, um den Tod von Emil Wend­land für pro­pa­gan­dis­tis­che Zwecke zu miss­brauchen. Die Tötung des Woh­nungslosen wurde als „sub­kul­turelle Per­spek­tivlosigkeit“ rel­a­tiviert und neon­azis­tis­che Weltan­schau­ungsmuster als Grund­lage für die Tat verleugnet.
Fotos von der Gedenkkundge­bung des JWP Mit­ten­drin: hier
Fotos von der Neon­azikundge­bung am Fre­itag: hier

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Antifaschismus Arbeit & Soziales

Emil Wendland

Das Bild zeigt die Gedenktafel für Emil Wendland in Neuruppin.
Foto: pri­vat

Emil Wend­land wurde am 11.02.1942 in Gas­tau geboren und am 1. Juli 1992 von seinen Tätern im Schlaf völ­lig wehr­los über­rascht und getötet. Sein erster Beruf war Lehrer, später arbeit­ete er als Verkauf­sstel­len­leit­er in der Molk­erei-Verkauf­sstelle. Emil Wend­land wurde alko­holkrank. Mitte der 1980er Jahre besiegte er die Krankheit – lei­der nur für kurze Zeit. Als Nach­barn ihn am 9. Novem­ber 1990 auf ein Glas Sekt ein­lu­den, um die neu gewonnene Frei­heit zu feiern, wurde er rück­fäl­lig und schaffte es nicht mehr, absti­nent zu wer­den. Nach der „Wende“ über­nachtete er immer öfter auf Bänken im Freien, da er nicht mehr in der Lage war, nach Hause zu kom­men.1
Der Ort

Neu­rup­pin war in den 1990er Jahren ein Zen­trum des mil­i­tan­ten Neon­azis­mus in Bran­den­burg. Oft kam es zu Gewal­taus­brüchen. Bere­its im Som­mer 1990 schlu­gen die Recht­en los: 15 Neon­azi-Skin­heads über­fie­len mit Base­ballschlägern und dem Ruf „Recht­sradikale wer­den siegen“ ein Zelt­dorf, auf dem gegen den sow­jetis­chen Mil­itär­flug­platz am Stad­trand protestiert wurde. Am Fol­ge­tag greifen die Recht­en erneut an. Ein weit­eres Beispiel: Wenige Monate nach dem Mord an Emil Wend­land ziehen im Novem­ber 1992 acht Rechte zu einem Wohn­heim für Wol­gadeutsche im Ort­steil Gilden­hall und wer­fen ins­ge­samt zwölf Molo­tow-Cock­tails auf das Gebäude. Den Bewohner_innen gelingt es nur knapp, das Feuer zu löschen. Neben Migrant_innen und sozial Rand­ständi­gen ist vor allem die alter­na­tive Jugend­szene Angriff­sziel der Recht­en. Das linksori­en­tierte Jugendzen­trum „Mit­ten­drin“ wird mehrmals über­fall­en. Für über­re­gionale Aufmerk­samkeit sorgt das Treiben des aus West­deutsch­land zuge­zo­ge­nen Alt-Nazis Wil­helm Lange, der jahre­lang pri­vat „Jugen­dar­beit“ mit jun­gen Recht­en betreibt. Die Stadt reagiert auf die rechte Szene mit „akzep­tieren­der Jugen­dar­beit“ im Jugendzen­trum „Bunker“. Ab 1998 fungiert der Klub als Neon­az­itr­e­ff­punkt in Selb­stver­wal­tung – erst im Jahr 2000 wird der „Bunker“ geschlossen.2

Die Tat

Nach einem Saufge­lage mit rechter Musik fassen in der Nacht zum 1. Juli 1992 drei Neon­aziskin­heads aus der örtlichen recht­en Szene den Entschluss, „Assis aufzuk­latschen“ (laut Gericht waren es drei, nach Angaben von damals aktiv­en Antifas aber min­destens fünf).3 Sie waren der Auf­fas­sung „die Obdachlosen verun­stal­ten das Stadt­bild und seien in Neu­rup­pin uner­wün­scht“4. Weil sie wis­sen, dass im Neu­rup­pin­er Rosen­garten öfter obdachlose Men­schen über­nacht­en, gehen sie gegen 1.00 Uhr gezielt zur kleinen Parkan­lage in Zen­trum der Fontanes­tadt. Dort find­en sie den auf ein­er Park­bank schlafend­en, voll­trunk­e­nen Emil Wend­land. Die Gruppe baut sich vor dem Mann auf; Math­ias Pl. sichert anfänglich das Gelände ab. Remo B. schre­it den schafend­en Mann an „Wach auf!“ und tritt ihm mit seinen Stahlkap­pen­schuhen in den Bauch und anschließend mit voller Wucht immer wieder gegen den Kopf. Mirko H. zer­schlägt seine mit­ge­brachte Bier­flasche auf dem Kopf des Mannes. Nach den bru­tal­en Mis­shand­lun­gen lassen sie den bewusst­losen Emil Wend­land mit lebens­ge­fährlichen Ver­let­zun­gen liegen und gehen weg. An der an dem Platz angren­zen­den Friedenss­chule sagt Mirko H. zu seinen bei­den Kumpels: „Ich geh noch ein­mal zurück, den bring ich um“.5 Er dreht um, ren­nt zu dem ver­mut­lich bewusst­losen Wend­land zurück und sticht immer wieder mit einem 18cm lan­gen Jagdmess­er auf den Oberkör­p­er seines Opfers ein. Ein Stich durchtren­nt die Herz­schla­gad­er, sodass Wend­land inner­lich verblutet. Kurze Zeit später kom­men die drei gemein­sam zum Tatort zurück und sam­meln die Scher­ben der Bier­flasche ein, auf der ihre Fin­ger­ab­drücke sein kön­nten. Anschließend gehen sie nach Hause. Zwei Tage später wer­den die Täter festgenommen.

Das Verfahren

Das Landgericht Pots­dam verurteilt im Okto­ber 1993 den 20-jähri­gen Haupt­täter Mirko H. wegen Totschlags zu sieben Jahren Jugend­strafe. Obwohl das Gericht fest­stellt, dass die Täter ihr Opfer für „einen Men­schen zweit­er Klasse gehal­ten“ hat­ten und die Gruppe sich zum „Pen­ner klatschen“ verabre­det hat­te, wird das sozial­dar­win­is­tis­che Motiv in der Urteils­be­grün­dung nicht gewürdigt. Remo B., der ‘Pen­ner’ „so eklig find­et wie Aus­län­der“6. wird im Feb­ru­ar 1994 im Beru­fungsver­fahren vor dem Landgericht Pots­dam wegen gemein­schaftlich­er gefährlich­er Kör­per­ver­let­zung verurteilt. Unter Ein­beziehung weit­er­er Straftat­en erhält er eine Jugend­strafe von zwei Jahren und acht Monat­en. Auch in diesem Ver­fahren wird der sozial­dar­win­is­tis­che Hin­ter­grund der Tat vom Gericht erkan­nt. In der Urteils­be­grün­dung heißt es: „… faßte man spätestens zu diesem Zeit­punkt den Entschluß, in der Nacht ‚Assis aufzuk­latschen’; gemeint war damit das Zusam­men­schla­gen von Obdachlosen oder anderen Per­so­n­en, die man als mißliebig ver­acht­enswert ansah.“7 Über die Gerichtsver­fahren gegen Matthias Pl., der in sein­er polizeilichen Vernehmung u.a. sagte: „Ich finde es richtig, Assis einen Denkzettel zu ver­passen. Die leben nur von unseren Steuergeldern, außer­dem ver­schan­deln sie das Stadt­bild. […] Wenn wir rechts ori­en­tierten uns nicht um so was küm­mern, tut es kein­er.“8, ist nichts bekannt.

Das Gedenken

Anlässlich des 20. Todestag fand erst­mals ein öffentlich­es Gedenken für Emil Wend­land statt. Am Tatort, dem Neu­rup­pin­er Rosen­garten, wurde eine Gedenk­tafel für den Getöteten enthüllt.
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Die Quellen

1 JWP-Mit­ten­Drin: Emil “Bruno” Wend­land ging den Weg des Todes – Ein MAZ-Leser­brief vom 24.07.1992, auf: jwp-mittendrin.de 14.03.2002, zulet­zt abgerufen: 13.01.2016
2 Opfer­per­spek­tive: „Nationale Jugen­dar­beit“: das Beispiel Neu­rup­pin, auf Opferperspektive.de 13.10.2006 sowie: Artikel Neu­rup­pin, in: Antifaschis­tis­ches AutorIn­nenkollek­tiv (Hg.) Hin­ter den Kulis­sen … Faschis­tis­che Aktiv­itäten in Bran­den­burg – Update 1999, Berlin 1994, S. 56–63
3 JWP-Mit­ten­drin. Info­s­eite zur Emil Wend­land-Kam­pagne, jwp-mittendrin.de, zulet­zt abgerufen: 13.01.2016
4 Moses Mendelssohn Zen­trum, Abschluss­bericht des Forschung­spro­jek­tes „Über­prü­fung umstrit­ten­er Alt­fälle Todes­opfer recht­sex­tremer und ras­sis­tis­ch­er Gewalt im Land Bran­den­burg seit 1990“, 2015, S. 58
5 Gericht­surteil, Amts­gericht Neuruppin
6 Moses Mendelssohn Zen­trum, Abschluss­bericht des Forschung­spro­jek­tes „Über­prü­fung umstrit­ten­er Alt­fälle Todes­opfer recht­sex­tremer und ras­sis­tis­ch­er Gewalt im Land Bran­den­burg seit 1990“, 2015, S. 62
7 Gericht­surteil, Amts­gericht Neuruppin
8 Moses Mendelssohn Zen­trum, Abschluss­bericht des Forschung­spro­jek­tes „Über­prü­fung umstrit­ten­er Alt­fälle Todes­opfer recht­sex­tremer und ras­sis­tis­ch­er Gewalt im Land Bran­den­burg seit 1990“, 2015, S. 62

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Flucht & Migration Gender & Sexualität

Aram M. will nicht zurück

Aram M.: „Nach Arme­nien zurück­zukehren ist für mich keine Option!“
Während seines 17. Leben­s­jahrs stellte der heute 30-jährige Aram fest, dass er sich von Män­nern ange­zo­gen fühlt. Ein Gefühl, das in seinem Heimat­land Arme­nien unter anderem als Krankheit eingestuft wird. Als er im Jahr 2004 zum Wehr­di­enst einge­zo­gen wer­den soll, weigert er sich diesen anzutreten, denn als Homo­sex­ueller unter Men­schen zu sein, die nicht männlich genug sein kön­nen, ist für ihn undenkbar. Des Weit­eren fürchtet er Über­griffe, soll­ten sie von sein­er Homo­sex­u­al­ität erfahren.
Er wird vom Gericht zu acht Monat­en Gefäng­nis verurteilt. Von August 2004 bis April 2005 muss er ins Gefäng­nis. Dort ist er nicht nur den ver­balen Diskrimnierun­gen der Mithäftlinge und Wärter_innen son­dern auch ihren kör­per­lichen Über­grif­f­en aus­ge­set­zt. Durch die Schläge lei­det er bis heute unter ein­er Tini­tuserkrankung. Nach sein­er Freilas­sung erhält er noch ein Jahr und vier Monate auf Bewährung, Am meis­ten trifft Aram jedoch die Reak­tion sein­er Eltern – sie begeg­nen ihm mit Abnei­gung und erk­lären, er sei eine Schande für die Fam­i­lie. Der Vater schlägt ihm einen Deal vor: wenn Aram sich bemüht, eine Frau zu heirat­en und ein aus sein­er Sicht nor­males Leben zu führen, darf er weit­er­hin im Eltern­haus wohnen. Aram stimmt dem zu. Bis zum Jahr 2010 gibt es keine weit­eren Prob­leme, Aram ver­steckt seine Homo­sex­u­al­ität und macht eine Aus­bil­dun­gen zum Frisör und eine weit­ere zum Floris­ten. Eines Tages kommt jedoch sein Vater uner­wartet nach Hause und trifft dort Aram und einen Fre­und eng umschlun­gen und küssend an. Der Vater ver­weist seinen Sohn der Woh­nung. Dieser lebt for­t­an in ein­er Wohnge­mein­schaft. Jeden Job, den er annimmt, ver­liert er nach nur weni­gen Wochen, da seine Arbeitgeber_innen über seine Homo­sex­u­al­ität informiert wer­den. Aram sieht für sich keine Per­spek­tive in seinem Heimat­land und beschließt im März 2011 dieses zu ver­lassen und in Bel­gien Asyl zu beantra­gen. Nach­dem sein Antrag abgelehnt wird, bleibt ihm nur die Möglichkeit, wieder nach Arme­nien zurückzukehren.
Dort hat sich seine Sit­u­a­tion jedoch nicht verän­dert – die Fam­i­lie wollte weit­er­hin nichts mit ihm zu tun haben, die gefun­dene Arbeit ver­lor er schnell wieder. Nach­dem Aram einige Zeit auf der Straße lebte, entsch­ied der sich zum Jahre­sende 2013 dafür, nach Rus­s­land zu gehen und dort ein neues, ein besseres Leben zu begin­nen. Er fand Arbeit und hat­te eine Woh­nung und fand schnell einen Fre­und. Bei­de entschließen sich zusam­men ein Zim­mer in ein­er 2‑Raum-Woh­nung anzu­mi­eten. Die Ver­mi­eterin, sie wohnt im zweit­en Zim­mer, ahnt nicht, dass die bei­den jun­gen Män­ner ein Paar sind. Doch eines Tages beobachtet sie die bei­den, wie sie sich küssen. Daraufhin ruft sie die Polizei. Aram und sein Lebenspart­ner wer­den ver­haftet und in der Polizeis­ta­tion diskri­m­iniert, geschla­gen. Des wei­eteren wird ihnen sex­u­al­isierte Gewalt ange­dro­ht, nach­dem sie sich weigerten ein Doku­ment zu unterze­ich­nen, in dem sie sich zu ihrer Homo­sex­u­al­ität beken­nen. Als sie wieder freige­lassen wur­den, fan­den sie Unter­schlupf in einem Heim. Dort lebten sie jedoch in getren­nten Räu­men und ver­bar­gen ihre Part­ner­schaft vor den anderen Bewohner_innen.
Am Abend des 30. Mai 2015 trafen sie sich in einem Park, um Zeit gemein­sam zu ver­brin­gen. Eine Gruppe von fünf Män­ner fol­gte ihnen, beschimpfte sie homo­phob und schlug sie anschließend zusam­men. Sowohl Aram und als auch sein Lebens­ge­fährte ver­loren während des Über­griffs das Bewusst­sein. Die bei­den jun­gen Män­ner beschließen, wed­er die Polizei noch ein Kranken­haus aufzusuchen, da sie Angst vor weit­er­er Repres­sion haben. Sie zogen sich anschließend in ihre Zim­mer zurück und warteten bis die Wun­den ver­heil­ten. Im Ver­lauf des Juli bucht­en sie zwei Flugtick­ets nach Istan­bul mit Zwis­chen­stopp in Berlin. Am 29. Juli lan­dete das Paar in Berlin-Tegel und beantragte Asyl. Im soge­nan­nten kleinen Inter­view macht­en sie nicht nur Angaben zu ihrem Reiseweg, son­dern auch über ihre Erfahrun­gen in Rus­s­land und Armenien.
Vom Flughafen wer­den sie in die bran­den­bur­gis­che Erstauf­nahmestelle nach Eisen­hüt­ten­stadt trans­feriert. Dort müssen sie in getren­nten Zel­ten schlafen, da die Lager­leitung die Part­ner­schaft der bei­den Män­ner nicht anerken­nt. Nach zwölf Tagen wird Aram nach Frankfurt/Oder und Vlad nach Bran­den­burg an der Hav­el trans­feriert. Vlad gelingt es, Kon­takt zu lokalen LGBTI-Aktivist_in­nen herzustellen. Gemein­sam set­zen sie sich mit Erfolg für die Zusam­men­führung des Paares ein. Auf­grund der sich langsam zus­pitzen­den Sit­u­a­tion im Heim und der Erfahrung mit ein­er anderen LGBTI-Aktivistin — sie wurde im Heim wegen ihrer sex­uellen Ori­en­tierung ange­grif­f­en — wohnen die bei­den mit einem weit­eren les­bis­chen Paar in ein­er Ver­bund­woh­nung. Während Aram ein Prak­tikum in einem Frisösa­lon macht, geht Vlad zum Deutschkurs. Ende April bekommt Aram einen Brief mit dem Inter­viewter­min, Vlad erhält keinen Brief. Erst nach­dem Unterstützer_innen wieder­holt Druck auf das BAMF aus­geübt hat­ten, erhal­ten bei­de einen gemein­sam Ter­min am 10. Mai. Während sein­er Befra­gung wird der Ver­such Arams, über die Diskri­m­inierung in Arme­nien zu sprechen, vom BAMF-Mitar­beit­er mit der Begrün­dung abgelehnt, dass Aram aus Rus­s­land ein­gereist sei und deswe­gen nur Rus­s­land eine Rolle spielt. In dem am 21. Juni erhal­te­nen Neg­a­tivbescheid wird darauf ver­wiesen, dass Aram in Arme­nien nicht ver­fol­gt wer­den würde und auch keine begrün­dete Furcht vor Ver­fol­gung vorge­bracht hat. Des Weit­eren wird darauf ver­wiesen, dass er Fam­i­lie vor Ort hat und diese ihn unter­stützen kön­nte. Das BAMF gab Aram im Inter­view am 10. Mai wed­er die Möglichkeit über seine Ver­fol­gung in Arme­nien zu bericht­en, noch hat es die Aus­sagen vom 29. Juli 2015 berück­sicht, in denen klar ste­ht, dass Arams Fam­i­lie ihn ver­stoßen hat und er in Arme­nien ver­fol­gt wird. Des Weit­eren wird seine Beziehung zu Vlad nicht anerkannt.
Wir verurteilen die Prax­is des BAMF scharf und fordern die Anerken­nung der Lebenspart­ner­schaft von Vlad und Aram. Des Weit­eren fordern wir eine Neube­w­er­tung seines Antrags unter Berück­sich­ti­gung aller von ihm vorge­bracht­en Fluchtgründe.
Aram und Vlad bleiben hier!

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Flucht & Migration

Ausweitung der Migrationssozialarbeit

Offen­er Brief zur Per­spek­tive der Migra­tionssozialar­beit als Fach­ber­atungs­di­enst in Brandenburg
 
Sehr geehrter Herr Min­is­ter­präsi­dent Dr. Woidke,
sehr geehrte Frau Min­is­terin Golze,
 
wir unter­stützen nach­drück­lich die mit dem Lan­desauf­nah­mege­setz beschlossene Ausweitung der Migra­tionssozialar­beit. Schutz­suchende Men­schen sind in vie­len Lebensla­gen auf eine kom­pe­tente Beratung angewiesen, die sie dabei unter­stützt, ihre Inter­essen und Bedürfnisse durchzuset­zen. Die über­re­gionalen und auch einzelne regionale Flüchtlings­ber­atungsstellen in Bran­den­burg brin­gen diese Kom­pe­ten­zen mit und haben in ihrer langjähri­gen Arbeit eine sehr gute Ver­net­zung vor Ort aufge­baut. Das Lan­desauf­nah­mege­setz übergibt die Bere­it­stel­lung der Migra­tionssozialar­beit als Fach­ber­atungs­di­en­stallerd­ings in die Hände der Land­kreise und kre­is­freien Städte, wom­it aus unser­er Sicht einige Prob­leme ver­bun­den sind.
Die erfol­gre­iche, in vie­len Jahren gewach­sene und vor Ort gut ver­ankerte Arbeit der beste­hen­den unab­hängi­gen und über­re­gion­al arbei­t­en­den Beratungsstellen wird mit der Kann-Bes­tim­mung in § 12 Abs. 2 LAufnG ganz real aufs Spiel geset­zt, wie erste Erfahrun­gen bere­its jet­zt zeigen. Da kein lan­de­sein­heitlich­es Ver­fahren vorge­se­hen ist, dro­ht den beste­hen­den Struk­turen in ersten Land­kreisen die Entziehung ihrer Exis­ten­z­grund­lage – etwa in Ober­hav­el, wo der Land­kreis eine Gesellschaft in eigen­er Träger­schaft gegrün­det hat, ohne das beste­hende Ange­bot zu beacht­en. In anderen Land­kreisen ist eine Über­tra­gung auf Träger erwart­bar, die enge Verbindun­gen zu Poli­tik und Ver­wal­tung pfle­gen und kaum prak­tis­che Erfahrun­gen in der Flüchtlingssozialar­beit vor­weisen – das bish­erige erfol­gre­iche Konzept wird nicht aus­geweit­et, son­dern unterhöhlt.
Wir wollen das an zwei aus­gewählten Punk­ten verdeutlichen:
 
Alles aus ein­er Hand?
Die Land­kreise und kre­is­freien Städte sind neben ihrer Zuständigkeit für die Migra­tionssozialar­beit als Fach­ber­atungs­di­enst häu­fig auch für die Unter­bringung – oft in Gemein­schaft­sun­terkün­ften – und mit den
Aus­län­der­be­hör­den auch für den Vol­lzug des Aus­län­der­rechts zuständig. Beratungsar­beit, die immer die indi­vidu­ellen Bedürfnisse von Rat­suchen­den in den Mit­telpunkt stellt, wird unter den Zweifel gestellt, dass eine – ver­meintliche oder tat­säch­liche – Abhängigkeit der Beratungsstelle vor­liege. Es kann zu Inter­essens- und Loy­al­ität­skon­flik­ten mit dem Arbeit­ge­ber kom­men, ggf. unbe­queme Beratungsar­beit, etwa wo es um das Sozialamt oder die Aus­län­der­be­hörde geht, wird erschw­ert bzw. unmöglich gemacht. Es ist zu erwarten, dass das Ver­trauensver­hält­nis zu Geflüchteten und vielfach auch zu ehre­namtlichen Begleiter_innen, Dolmetscher_innen und anderen Unterstützer_innen auf­grund der Neustruk­turierung maßge­blich und bleibend gestört wird.
Bere­its in ihrem offe­nen Brief vom 14. Dezem­ber 2015, als das LAufnG erst im Entwurf vor­lag, hat­ten die flüchtlingspoli­tis­chen und Willkom­mens-Ini­tia­tiv­en im Land Bran­den­burg dazu geschrieben:
„Unsere Erfahrun­gen mit Ent­las­sun­gen engagiert­er Sozialar­bei­t­erIn­nen und Bera­terIn­nen in den Land­kreisen lassen uns um unab­hängige Beratung fürcht­en. Eine ver­trauenswürdi­ge Beratungsstelle muss auch gegenüber der Prax­is der Aus­län­der­be­hörde kri­tisch sein kön­nen. Wenn sie struk­turell von der Insti­tu­tion abhängig ist, die sie kri­tisieren soll, entste­hen Inter­essenkon­flik­te. Gute Beratung ist unser­er Erfahrung nach eines der häu­fig­sten Bedürfnisse von Geflüchteten. Die gle­iche Erfahrung machen diejeni­gen von uns, die an Erstauf­nah­meein­rich­tun­gen tätig sind.“

Subsidiarität!

Wir schließen uns der Ein­schätzung der LIGA der freien Wohlfahrt­spflege an, die in der Kann-Regelung eine Abkehr vom Sub­sidiar­ität­sprinzip sieht – der Staat soll erst dann tätig wer­den, wenn in der Vielfalt der Träger­land­schaft nie­mand gefun­den wer­den kann, der/die das Ange­bote ermöglicht. Wir betra­cht­en mit Sorge, wie immer neue Ver­wal­tungsstruk­turen aus dem Boden sprießen, und zwar längst nicht nur in der Beratung von Asyl­suchen­den und Gedulde­ten. Durch die zu befürch­t­ende Umkehr vom Prinzip vielfältiger, freier und vor allem unab­hängiger Pro­file in der Beratungsar­beit wäre ein Qual­itätsver­lust zu befürcht­en, der dem Geist des Grundge­set­zes widerspricht.
 
Beratung im Inter­esse von Asyl­suchen­den und Gedulde­ten: unab­hängig und parteiisch!
Vor diesem Hin­ter­grund wollen wir Sie ein­dringlich darum bit­ten, nicht nur eine ziel­grup­pen­spez­i­fis­che, son­dern vor allem eine ziel­grup­pen­gerechte Migra­tionssozialar­beit als Fach­ber­atungs­di­en­stin Bran­den­burg sicherzustellen. Die „aus ihrer Auf­nahme- und Aufen­thaltssi­t­u­a­tion begrün­de­ten beson­deren Lebensla­gen“ von Asyl­suchen­den und Gedulde­ten machen es ger­adezu erforder­lich, für die in § 12 LAufnG beschriebe­nen Auf­gaben /keine/kommunale Träger­schaft zu ermöglichen, son­st ste­ht nicht nur die langjährige Exper­tise der
bish­eri­gen Berater_innen auf dem Spiel, son­dern der Sinn des ganzen Unter­fan­gens. Es liegt in der Natur der Sache, dass die Inter­essen von Schutz­suchen­den und kom­mu­nalen Ver­wal­tun­gen nicht zusam­men­fall­en, sich oft sog­ar wider­sprechen. Beratungsar­beit muss stets partei­isch im Sinn der Rat­suchen­den sein.
Diese Beratung muss auch und ger­ade das Recht auf Infor­ma­tion über den Ver­lauf des Asylver­fahrens sowie behördliche Entschei­dun­gen, die die Per­son unmit­tel­bar betr­e­f­fen, umfassen.Dazu gehören aber auch das Recht auf Rechts­be­helfe und unent­geltliche Rechts­ber­atung und ‑vertre­tung in Rechts­be­helfsver­fahren sowie das Recht auf unent­geltliche Erteilung von rechts- und ver­fahren­stech­nis­chen Auskün­ften, das Recht auf Begleitung zu Anhörun­gen beim BAMF durch eine_n Rechtsanwält_in oder „son­sti­gen nach nationalem Recht zuge­lasse­nen oder zuläs­si­gen Rechts­ber­atern“ [1].
Dies ist Schutz­suchen­den in Bran­den­burg nur dann möglich, wenn sie einen Zugang zu ein­er Beratung haben, von der sie nicht nur sachkundig, son­dern auch unab­hängig von Inter­essen Drit­ter – d.h. auch///*weisungsungebunden*/– über ihre Pflicht­en im Asylver­fahren, aber auch über andere sie betr­e­f­fende rechtliche Regelun­gen informiert und berat­en wer­den. Die Wohlfahrtsver­bände in Bran­den­bur­gund freie Träger­bi­eten seit vie­len Jahren eine solche Beratung an, weil ins­beson­dere im ländlichen Raum Fachanwält_innen fehlen. Sie berück­sichti­gen dabei Qual­itäts­stan­dards und die Bes­tim­mungen des
Rechtsdienstleistungsgesetzes.
Wir appel­lieren deswe­gen an Sie, alles Ihnen Mögliche zu tun, um die bish­eri­gen unab­hängi­gen Beratungsstruk­turen in ihrer Exis­tenz zu sich­ern und für die neu aufzubauen­den Struk­turen zu gewährleis­ten, dass konzep­tionell, per­son­ell und insti­tu­tionell /Unabhängigkeit/gegeben ist. Die ausste­hen­den Verord­nun­gen zum LAufnG sollen unter allen Umstän­den dazu genutzt wer­den, die Qual­ität der Beratung sicherzustellen.
Mit fre­undlichen Grüßen
Flüchtlingsrat Brandenburg
 
 
Dieser Brief wird unter­stützt von:
Barn­imer Kam­pagne „Light me Amadeu“, Eberswalde
ESTArup­pin e.V.
Evan­ge­lis­che Jugend Berlin-Bran­den­burg-schle­sis­che Oberlausitz
Far­fal­la, Waßmannsdorf
Flu­Mi­Co – Flucht & Migra­tion Cottbus
Flüchtling­shil­fe Großbeeren e.V.
Hen­nigs­dor­fer Ratschlag
Ini­tia­tive Barn­im für alle
Kon­takt- und Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt, Bernau
Lan­desju­gen­dring Bran­den­burg e.V.
Net­zw­erk Flucht und Migra­tion Stadt Guben
Per­leberg hilft
Vielfalt statt Ein­falt – für ein fre­undlich­es Frank­furt (Oder)
Willkom­men in Fürstenberg
Willkom­mensini­tia­tive Joachimsthal
Willkom­men in Oberhavel
Willkom­men in Oberkrämer, Leege­bruch und Velten
Willkom­men in Oranien­burg e.V.
Willkom­men in Wandlitz/AG Basdorf
Willkom­men in Zehdenick
Pfar­rer Andreas Domke, Vor­sitzen­der der Syn­odalen AG „Flucht und
Migra­tion“ des Kirchenkreis­es Oberes Havelland
Angela Rößler, Potsdam-Konvoi
Annelies Rack­ow, Vere­in zur Förderung der Leben­squal­ität VFL-Bautzen
e.V., Schlieben
Bär­bel Böer, Flüchtlingsnet­zw­erkko­or­di­na­tion, Bran­den­burg an der Havel
Franziska Kusserow, Potsdam-Konvoi
Klaus Kohlen­berg, Freie Asyl­suchen­den-Beratungsstelle in Oranienburg-Lehnitz
Mar­i­anne Strohmey­er, Multitudeinitiative
Math­ias Tretschog, Schluss mit Hass
Rain­er E. Klemke, Willkom­men­steam des Bürg­ervere­ins Groß Schönebeck
Andrea Hons­berg, Eberswalde
Anke Przy­bil­la, Wandlitz
Dr. Dar­ja Bran­den­burg, Ludwigsfelde
Gabriele Jaschke
Lynne Hunger, Potsdam
Dr. Mar­garete Steger
Michael Elte, Oranienburg
[1] Ver­fahren­srichtlin­ie 2013/32/EU, Artikel 19–23, und
Auf­nah­merichtlin­ie 2013/33/EU, Kapi­tel V, Artikel 26, beide
veröf­fentlicht im Amts­blatt der Europäis­chen Union vom 29.06.2013.

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Für ein Landesantidiskriminierungsgesetz

Heute haben die Grü­nen auf ihrer Frak­tion­s­pressekon­ferenz erk­lärt, dass sie ein Lan­desan­tidiskri­m­inierungs­ge­setz (LADG) im Land­tag ein­brin­gen wer­den. Der Vere­in Opfer­per­spek­tive fordert ein solch­es schon länger und begrüßt die Geset­zesini­tia­tive, denn diese würde eine wichtige Lücke im Schutz vor Diskri­m­inierung durch staatliche Stellen schliessen.
Im Jahr 2013 hat sich das Land Bran­den­burg die Bekämp­fung von Ras­sis­mus als Staat­sziel in der Lan­desver­fas­sung ver­ankert. Auch europäis­ches Recht und das Grundge­setz verpflicht­en staatliche Stellen, die Bewohner_innen des Lan­des vor Diskri­m­inierun­gen zu schützen. Den­noch gibt es in Bran­den­burg immer noch keinen vollen Rechtss­chutz für Betrof­fene von Diskriminierungen.
Zwar schützt das All­ge­meine Gle­ich­be­hand­lungs­ge­setz (AGG) des Bun­des Betrof­fene auf den Gebi­eten des Arbeits- und Zivil­rechts, die z.B. durch Arbeit­ge­ber oder Ver­mi­eterin­nen diskri­m­iniert wer­den. Doch gegenüber Diskri­m­inierun­gen durch staatliche Stellen, z.B. durch Polizis­ten oder Lehrerin­nen, ist das AGG nicht anwend­bar. Diesen Bere­ich zu regeln ist Auf­gabe der Bundesländer.
Mit der Ein­führung eines LADG würde Bran­den­burg 1.) einen Rechtss­chutz für Betrof­fene von Diskri­m­inierung durch staatlich­es Han­deln ein­führen, 2.) die öffentliche Hand verpflicht­en, konkrete Maß­nah­men gegen Diskri­m­inierung in ihren Insti­tu­tio­nen umzuset­zen und 3.) eine mit umfassenden Kom­pe­ten­zen aus­ges­tat­tete Lan­desan­tidiskri­m­inierungsstelle aufbauen.
Nad­ja Hitzel-Abdel­hamid von der Antidiskri­m­inierungs­ber­atung Bran­den­burg im Vere­in Opfer­per­spek­tive erk­lärt dazu: “Mit einem LADG hört das Land auf, allein von seinen Bürger_innen Fair­ness zu fordern, und fängt vor­bild­haft bei sich selb­st an: Mit einem LADG ver­bi­etet es seinen eige­nen Insti­tu­tio­nen jede Form von Diskri­m­inierung und sorgt damit in den staatlichen Struk­turen dafür, dass alle Men­schen in Bran­den­burg gle­ich behan­delt werden!”
Men­schen, die durch staatliche Insti­tu­tio­nen aus ras­sis­tis­chen Grün­den, wegen ihrer Herkun­ft, Nation­al­ität, Sprache, ihres Geschlechts, ihres Leben­salters, ihrer sex­uellen Iden­tität, religiösen oder weltan­schaulichen Überzeu­gun­gen oder wegen ihres sozialen Sta­tus diskri­m­iniert wer­den, wür­den in ihrer Posi­tion gestärkt, weil ihnen ein Rechtsweg eröffnet würde.
Ein voller Rechtss­chutz ist drin­gend nötig, denn Diskri­m­inierun­gen nehmen in der Gesellschaft ins­ge­samt mas­siv zu. Sie fan­gen an, wenn Witze über Schwule gemacht oder Mus­lime belei­digt wer­den und set­zen sich fort, wenn Polizist_innen Men­schen auf­grund ihrer Haut­farbe als Täter behan­deln oder eine Schü­lerin mit Kopf­tuch bei gle­ich­er Leis­tung schlechtere Noten als ihre Mitschüler_innen erhält. Von Beschw­er­den wegen Diskri­m­inierung prof­i­tiert das Land, denn nur wenn Men­schen sich beschw­eren, wer­den Muster von Diskri­m­inierung sicht­bar und so veränderbar.
Ein LADG sorgt für gle­iche Chan­cen und gle­iche Teil­habe für alle, die in Bran­den­burg leben.

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