Vom 25.7.–14.8.2016 geht Women in Exile and Friends unter dem Motto “Wir werden immer lauter!” auf Aktionstour quer durch Deutschland. Die dreiwöchige Tour soll auf die Situation von geflüchteten Frauen und Kindern aufmerksam machen und Flüchtlingsfrauen unterstützen, für sich selbst zu sprechen.
Elizabeth Ngari, Mitbegründerin von Women in Exile: “Die Erfahrungen, die wir in Brandenburg machen, sind den Erfahrungen von Frauen aus anderen Bundesländern ähnlich. Flüchtlingsfrauen sind doppelt Opfer von Diskriminierung: Sie werden als Asylbewerberinnen durch rassistische Gesetze ausgegrenzt und als Frauen diskriminiert..”
Women in Exile and Friends wird Unterkünfte besuchen, mit lokalen Initiativen zusammenarbeiten und öffenlichkeitswirksame Aktionen durchführen. So ist beispielsweise am 29.7. eine Protestkundgebung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg geplant. Eine zentrale Forderung ist die Anerkennung geschlechtsspezifischer Fluchtgründe. Der Focus der Tour wird jedoch auf dem Empowerment und gegenseitigem Austausch der Flüchtlingsfrauen liegen.
Elizabeth Ngari: “Über die Jahre haben wir Verbindungen mit zahlreichen Flüchtlingsfrauen und Unterstützer*innengruppen aufgebaut. Jetzt geht es darum, unsere Gemeinsamen Forderungen an die Öffentlichkeit zu bringen.” Wir würden uns freuen, wenn Sie über die Tour berichten und den Termin wahrnehmen, um mit uns über die Situation von Flüchtlingsfrauen zu sprechen. Es besteht auch die
Möglichkeit, die Bustour zu begleiten.
Weitere Information über die Gruppe “Women in Exile & Friends”: http://women-in-exile.net/ oder auf facebook.com/Women-in-Exile-Summer-Bus-Tour-2016
Tourdaten: 25.7. War Starts Here-Camp Altmark // 26.–27.7. Halle/Saale // 28.7.Leipzig // 29.–31.7. Nürnberg // 1.8. Oberursel // 2.–3.8. Köln // 4.8. Osnabrück // 5.8. Bielefeld // 6.8. Göttingen // 7.8. Witzenhausen // 8.–9.8 Bremen // 10.–11.8. Hamburg // 12.8. Potsdam // 13.–14.8. Berlin
Untersuchungsausschuss zum NSU startet unter kritischer Begleitung von NSU Watch Brandenburg
INFORIOT – Es ist so weit. In Brandenburg startet ein parlamentarischer Ausschuss, der die Verstrickungen von Neonazis und V‑Leuten aus Brandenburg in die Aktivitäten und Strukturen des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) aufklären will. Am Dienstag fand die erste konstituierende Sitzung des Untersuchungsausschusses im Brandenburger Landtag statt – allerdings unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Erst im April war die Einsetzung des Ausschusses beschlossen worden.
Wenn im September nun die zehn Ausschussmitglieder von SPD, CDU, Linke, Grüne und AfD zur eigentlichen inhaltlichen Arbeit übergeben, geht es an die Substanz: Die zentrale Frage, ob das Land Brandenburg die Taten des NSU hätte verhindern können, muss im Ausschuss beantwortet werden. Carsten Szczepanski alias „Piatto“, die „Top-Quelle“ des Brandenburger Verfassungsschutzes hatte Informationen zu Plänen des NSU-Kerntrios und gab diese an den Verfassungsschutz weiter. Der Verfassungsschutz, so der Vorwurf, habe die Informationen nicht an zuständige Ermittlungsbehörden weitergeben. Zu einer Festnahme des Trios kam es bekanntlich nicht. Zehn Morde, diverse Anschläge und Überfälle folgten.
Es ist nicht das einzige Fehlverhalten des Brandenburger Verfassungsschutzes, das es aufzuarbeiten gilt. Auch der V‑Mann-Skandal um den Gubener Neonazi Toni Stadler, die unaufgeklärte Anschlagsserie der Nationalen Bewegung — auch hier war der Verfassungsschutz involviert – oder die Nationalrevolutionären Zellen, ein terroristischer Zusammenschluss von Neonazis aus Berlin und Brandenburg, der auch „Piatto“ angehörte, gehören zu den vielen Themen, die nach Einschätzung der Initiative NSU Watch Brandenburg zu klären sind.
NSU Watch Brandenburg gegründet
Zeitgleich zur konstituierenden Sitzung des Untersuchungsausschusses, stellte sich NSU Watch Brandenburg vor. NSU Watch Brandenburg als Teil des bundesweiten Netzwerkes NSU Watch, hat sich die Aufgabe gestellt, den Untersuchungsausschuss kritisch zu begleiten. „Der NSU stellt eine Zäsur in der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte dar“, so Felix Hansen als Vertreter des bundesweiten Zusammenhanges am Dienstag bei einer Pressekonferenz. NSU Watch, ein Zusammenschluss aus antifaschistischen Gruppen und Einzelpersonen, beobachtet seit 2013 den Strafprozess gegen Beate Zschäpe und vier weitere Angeklagte. Im Prozess in München ist auch Brandenburg immer wieder ein Thema, aktuell geht es um die Zeitschrift „Weißer Wolf“, ein Heft in dem bereits 2002 ein Hinweis auf den NSU auftauchte. Der „Weiße Wolf“ war in den 90er Jahren in der Brandenburger JVA hergestellt worden – maßgeblich beteiligt war damals Carsten Szczepanski.
Fehlende Aufklärungsbereitschaft
Aus Sicht der Antifaschist_innen ist es kein Ruhmesblatt für die Brandenburger Politik, dass der Untersuchungsschuss erst jetzt, über vier Jahre nach der Selbstenttarnung des NSU, eingerichtet wurde. Nebenklageanwälte im Prozess vor dem Oberlandesgericht in München kritisieren schon länger die fehlende Aufklärungsbereitschaft der Brandenburger Behörden, unter anderem, weil sich das Innenministerium weigerte Akten an das Gericht herauszugeben, und Verfassungsschutzmitarbeiter während der Zeugenanhörungen vermeintlichen Gedächtnislücken vorschoben. Für NSU Watch Brandenburg ist klar: „Die V‑Mann-Skandale im Land Brandenburg haben gezeigt, dass das V‑Leute-System mehr Schaden als Nutzen gebracht hat“. Durch die Arbeit des Verfassungsschutzes wird der Aufbau militanter Neonazistrukturen gestärkt, denn „hier werden Gelder in die Neonaziszene gepumpt“, sagte ein Sprecher. Außerdem hätten antifaschistische und zivilgesellschaftliche Recherchen mehr zur Aufklärung beigetragen, als der Verfassungsschutz.
NSU Watch unterstützen
Die Beobachtung durch NSU Watch Brandenburg heißt konkret: Protokolle der Sitzungen des Untersuchungsschusses erstellen, um diese einer breiten Öffentlichkeit zugängig zu machen sowie Dossiers und Recherchen zu erstellen, die nach und nach auf der Homepage brandenburg.nsu-watch.info veröffentlicht werden. Als unabhängige Initiative ist NSU Watch auf Spenden angewiesen.
INFORIOT – Unbekannte verübten in der Nacht zum 11. Juli einen Farbanschlag auf das Oranienburger Restaurant „Alte Fleischerei“, das auch als Diskothek genutzt wird. Neben Farbe sollen laut Medienberichten auch Antifa-Symbole an das Gebäude gesprüht worden sein. Es wird vermutet, dass der Farbanschlag in Zusammenhang mit einer AfD-Veranstaltung mit dem Klimaskeptiker Michael Limburg stehen soll, die am 11. Juli in dem Meistersaal des Restaurants stattfand. Dabei fanden in der „Alten Fleischerei“ in der Vergangenheit nicht nur AfD-Veranstaltungen statt. Auch ein bekannter Aktivist aus dem örtlichen NPD-Umfeld ist dort des Öfteren als DJ tätig.

Hausbesuche angekündigt
Derweil tobt im Internet der virtuelle Mob. Der Inhaber der Diskothek, Dirk Arndt, veröffentlichte ein Foto der beschmierten Fassade und verfasste dazu auf seinem privaten Facebook-Account eine längere Hassnachricht, in der er „die Antifa“ für die „feige Atacke“ (Fehler im Original) verantwortlich macht. Zudem rief er seine Freundesliste zur Mithilfe auf, um die „linken Nazis“ ausfindig zu machen. Promt meldeten sich einige Personen, die sich für Hausbesuche bei Antifaschist_innen aussprachen. So habe man solche Angelegenheiten in der Vergangenheit geklärt, hieß es in diversen Postings.




Den Vorschlag griff Arndt in einem Posting auf und schrieb: „ich hoffe jemand hat was gesehen Zeit für Hausbesuche“ (Fehler im Original). Neben weiteren Personen, die augenscheinlich der lokalen rechten Szene zuzuordnen sind, fand dieser Vorschlag auch Zuspruch bei dem örtlichen Tätowierer Olaf Werner, der den Beitrag mit einem „Gefällt mir“ versehen hatte. Werner gilt als Mitinitiator der “Oranienburger Abendspaziergänge”. In einem Vlog trat er als Sprachrohr der “Abendspaziergänge” auf und verbreitete krude Verschwörungstheorien. Auf dem “Spaziergang” am 16. März 2016 filmte er außerdem die Redner. Werner weist zudem deutliche Verbindungen zur lokalen Neonaziszene auf. In seinen Laden „Colour of Skin“ werden nicht nur Bilder mit NS-Bezug tätowiert, auch ein Rechtsrock-Musiker durfte sich im „Colour of Skin“ an der Nadel austoben.

Ein Inhaber mit fragwürdigen politischen Ansichten
In einem MOZ-Artikel versucht sich Dirk Arndt zu rechtfertigen. Berühungsängte habe er mit der AfD nicht: “Solange die Partei informative Vorträge hält und nicht hetzt, ist sie jederzeit bei mir willkommen”. In einer „rechten Ecke“ sehe er sich nicht. Seine öffentliche Meinungsbekundungen auf Facebook sprechen jedoch eine andere Sprache. Im Posting zum Anschlag schrieb er: „Die Eltern des Täters müssen Geschwister sein.“ Dieser Ausspruch kommt nicht von irgendwoher, sondern ist eine Anlehnung an die Textzeile aus dem beliebten Lied „Eure Eltern sind Geschwister“ der Rechtsrockband „Die Lunikoff Verschwörung“. Im Refrain des Lieds heißt es: „Hey ihr Zecken, eure Eltern sind Geschwister“. „Die Lunikoff Verschwörung“ ist eine Band des Ex-Landser-Sängers Michael Regener, nachdem sich seine Band „Lunikoff“ 2003 aufgelöst hatte.
Ein weiterer Blick auf die Facebookseite von Dirk Arndt zeigt seine inhaltliche Nähe zu Verschwörungstheorien, Russland-Fanatismus, Anti-Amerikanismus und anti-muslismischen Rassismus.
Weitere Verbindungen der „Alten Fleischerei“ in die rechte Szene
Nicht zum ersten Mal fand eine AfD-Veranstaltung in der „Alten Fleischerei“ statt. Bereits am 25. Februar veranstaltete der AfD Kreisverband Oberhavel einen Infoabend zu Syrien mit Billy Six, einem Reporter der neurechten Wochenzeitung „Junge Freiheit“. Die Veranstaltung fand einen Tag vor dem zehnten “Abendspaziergang” in Oranienburg statt. Auch in Zehdenick versuchte die Partei so von der rassistischen Stimmungsmache im Landkreis zu profilieren und organisierte am 09. Dezember 2015 einen Infoabend zu Asyl am Vorabend des “Spaziergangs” in der Stadt.
Regelmäßig finden in der „Alten Fleischerei“ diverse Tanzveranstaltungen statt. Die „Fleischereipartys“ beinhalten verschiedene Genre und Themen. In der „Alten Fleischerei“ werden. „Onkelzpartys“ — in Anlehnung an die als rechts geltende Band “Böhse Onkelz”, veranstaltet, die vom entsprechendem Publikum besucht werden. Außerdem tritt in der „Alten Fleischerei“ ein Aktivist aus dem örtlichen NPD-Umfeld als DJ auf. Unter den Namen „Infekt“ bzw. „Infekt & Virus“ legt der Veltener Pierre „Pepe“ Schön in der „Alten Fleischerei“ auf. Erst im April dieses Jahres hatte er dort einen Auftritt.

Schön gehört zum Umfeld des Veltener NPD-Stadtverordneten Robert Wolinski. Im September 2012 versuchte Wolinski ein sogenanntes „nationales Fußballturnier“ in Velten zu veranstalten. Die Nutzung der Sportanlage des örtlichen Rugby-Vereins wurde ihnen jedoch nicht gewährt. Als Reaktion darauf veranstalteten die Jungen Nationaldemokraten (JN), die Jugendorganisation der NPD, am 1. September eine Protestkundgebung in Velten. Die Teilnehmer der Kundgebung trugen einheitliche JN-Shirts. Auch Schön beteiligte sich an der Kundgebung und trug eines der limitierten Tshirts. Zudem nahm Schön an diversen Neonazi-Aufmärschen in der Region teil, beispielsweise am 01. Mai 2012 in Wittstock. Bis heute scheint Schön sich nicht von der NPD gelöst zu haben. Aber seinem privaten Facebook-Account postete er erst im Mai die Schulhof-CD der NPD — „Neuer Pop Deutschland Vol. 88“. Die „88“ ist ein Code der Neonaziszene, welches für die Buchstaben „HH“ im deutschen Alphabet stehen. Die Abkürzung „HH“ ist ein Chiffre für den Neonazigruß „Heil Hitler“.


Geschichtsträchtiger Ort
Die „Alte Fleischerei“ war ursprünglich eine Fleisch- und Wurstwarenfabrik. Sie wurde 1926 durch die jüdischen Brüder Eduard und Georg Bach gegründet. Eduard Bach starb 1929. Der Betrieb wurde durch seine Frau Emma und Sohn Martin weitergeführt. Als auch in Oranienburg zum Boykott jüdischer Geschäfte aufgerufen wurde, ging es mit dem Fabrik abwärts. Die Bachs emigrierten nach Madeira und kamen nie zurück. Heute erinnert eine Gedenktafel an das Schicksal der Familie Bach vor dem ehemaligen Fabrikgebäude. Im Meistersaal, ausgerechnet dort, wo die AfD jüngst ihre Veranstaltung abhielt, hängt eine Dauerausstellung „300 Jahre jüdisches Leben und Leiden in Oranienburg“ der jüdischen Gemeinde Oranienburg und des Historikes Hans Biereigel.
In der Nacht von Montag zu Dienstag, dem 12. Juli 2016, wurden im Raum Rathenow-Premnitz mehrere mutmaßliche Straftaten begangen, bei denen eine fremdenfeindliche Motivation nicht auszuschließen ist.
Brandstiftungen in Premnitz
In der havelländischen Kleinstadt Premnitz wurde, nach Polizeiangaben, zunächst gegen 04.35 Uhr ein Brand auf einem Balkon im Erdgeschoss eines Einfamilienhauses in der Franz-Mehring-Straße festgestellt. Ein Anwohner hatte das Feuer bemerkt und anschließend die Bewohner_innen verständigt. Gemeinsam wurde der Brand gelöscht und die Polizei verständigt. Personen kamen nicht zu schaden.
Wenig später stellte die Polizei dann weitere Beschädigungen, die offenbar ebenfalls durch ein Entzünden vorgerufen wurden, an einem anderen Erdgeschossbalkon in der August- Bebel- Straße fest. Nach Befragung durch die Beamt_innen stellte sich heraus, dass die Bewohner_innen den Brand gegen 03.00 Uhr eigenständig feststellten und anschließend selbst mit Wasser löschten.
Die Kriminalpolizei ermittelt nun wegen des zweifachen Verdachtes auf Brandstiftung. Da in den betroffenen Wohnungen zum Zeitpunkt des Brandausbruches Asylsuchende ihren Lebensmittelpunkt hatten, wurde das Staatsschutzkommissariat mit den Ermittlungen betraut. Ein fremdenfeindlicher Hintergrund kann, laut Polizeiangaben, derzeit nicht ausgeschlossen werden. Es lägen jedoch bislang auch noch keine konkreten Hinweise auf eine solche Motivlage vor, so die Beamt_innen in einer ersten Pressemitteilung.
Sprühaktion in Rathenow
Ebenfalls am frühen Dienstagmorgen wurden in der havelländischen Kreisstadt Rathenow mehrere in arabisch verfasste Slogans, die ins Deutsche übersetzt in etwa: „Geht zurück in Euer Land“ bedeuten sollen, festgestellt. Diese waren u.a. in der Nähe des Bahnhofs, des Jobcenters und eines Flüchtlingsheimes angebracht worden. Die unbekannten Täter_innen hatten dafür offenbar Sprühschablonen genutzt. Eine fremdenfeindliche Aktion liegt nahe.
Seit Wochen tauchen in der Umgebung von Rathenow, insbesondere auf den Straßen Richtung Stechow, Nennhausen und Premnitz außerdem auch immer wieder gesprühte Slogans der PEGIDA-Bewegung auf. Die Parole „Merkel muss weg“ wurde dort beispielsweise mehrfach in beide Fahrbahnrichtungen auf die Straße gesprüht. Auch hier ist eine Aktion von Fremdenfeinden, die im momentanen Kurs der Kanzlerin eine all zu flüchtlingsfreundliche Politik sehen, denkbar.
Der Großteil der Sprühereien wurde inzwischen entfernt oder übersprüht.
Fremdenfeindliche Stimmungsmache
In Rathenow radikalisiert sich seit spätestens Oktober 2015 eine rechte Bürgerbewegung, die bei regelmäßigen Versammlungen kontinuierlich gegen Flüchtlinge und den Islam Stimmung macht. Zeitweise nahmen an deren Veranstaltungen bis zu 600 Menschen teil. Momentan hat sich ein harter Kern von 50 Personen herausgebildet, von denen ein Teil auch zu überregionalen PEGIDA-Versammlungen fährt oder Veranstaltungen politischer Gegner_innen stört.
In Premnitz hatte die fremdenfeindliche Stimmungsmache, die damals maßgeblich von der NPD und deren Gesinnungsgenoss_innen betrieben, wurde, bereits im Jahr 2013 zu einen Anschlag auf eine im Bau befindliche Flüchtlingsunterkunft geführt. Der inzwischen rechtskräftig verurteilte Täter wollte dadurch ein Zeichen gegen die Unterbringung von Asylsuchenden in der Stadt setzen.
Fotos: hier
Das Amtsgericht Rathenow hat am Dienstagvormittag den Rathenower NPD Stadtrat Michel Müller zu einer Freiheitsstrafe von insgesamt zwölf Monaten, ausgesetzt zu drei Jahren auf Bewährung, sowie zu einer Wiedergutmachungszahlung in Höhe von 1.800,00 Euro verurteilt.
Dem 35-Jährigen wurde u.a. Körperverletzung vorgeworfen. Eine noch nicht getilgte Geldstrafe in einem anderen Verfahren floss ebenfalls in die Urteilsfindung mit ein.
Zechtour endete mit Körperverletzung
Der Angeklagte Müller zeigte sich im Fall der Körperverletzung weitgehend geständig. Gab jedoch vor zur Tatzeit erheblich betrunken gewesen zu sein. Gemeinsam mit Freunden habe er sich nach dem Besuch eines Fußballspieles des BFC Dynamo im Dezember 2014 in Berlin erheblich betrunken. Die Zechtour soll sich auch in Rathenow fortgesetzt haben und vorerst in einer Gaststätte in der Stadt geendet haben. Dort sei Müller auf sein Opfer getroffen. Nach der Aussage des Betroffenen, während des ersten Prozesstages im Dezember 2015, soll der Angeklagte dann ohne erkennbaren Grund zugeschlagen haben. Der Zeuge gab an, durch die gewalttätigen Handlungen des Angeklagten erheblich verletzt worden zu sein. Er sagte damals aus, dass Müller ihm die Querfortsätze 2- 4 gebrochen, eine Rippenprellung erlitten sowie mehrere Verletzungen im Gesicht zugefügt hatte.
Nur vermindert Schuldfähig
Ein wesentlicher Bestandteil des heutigen Verhandlungstages bestand nun darin, die Schuldfähigkeit des Angeklagten festzustellen. Diesbezüglich hatte das Gericht extra ein Gutachten anfordern lassen. Es sollte feststellen, ob Müller während der Tat mindestens 2,0 Promille Alkohol im Blut hatte. Ab diesem Grenzwert wird nämlich im Allgemeinen eine verminderte Schuldfähigkeit angenommen. Das Gutachten attestierte Müller einen Promillewert 2,4 bis 2,8. Damit war § 21, StGB, in dem die verminderte Schuldfähigkeit geregelt ist, erfüllt.
Ausgewogenes Urteil
Der Angeklagte wurde dennoch im Fall der Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von elf Monaten verurteilt. Ein weiterer Monat kam dazu, weil Müller eine Geldstrafe aus dem vergangenen Jahr noch nicht getilgt hatte. Im Juni 2015 war er vom Amtsgericht Brandenburg an der Havel wegen Versicherungsbetrug in Tateinheit mit Urkundenfälschung verurteilt worden. Müller war in Kloster Lehnin ohne Kfz-Haftpflicht gefahren und hatte an einem nicht zugelassenen Fahrzeug andere Nummernschilder angeschraubt.
Die Gesamtfreiheitsstrafe in der heutigen Verhandlung wurde jedoch zur Bewährung ausgesetzt. Aufgrund seiner erheblichen Vorstrafen, darunter gefährliche Körperverletzung, Landfriedensbruch und Beihilfe zum versuchten Mord, legte das Gericht die Bewährungsdauer auf drei Jahre fest. Weiterhin muss Müller dem Betroffenen der Körperverletzung eine Wiedergutmachung von 1.800,00 Euro zahlen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Bericht vom ersten Prozesstag:
https://presseservicern.wordpress.com/2015/12/16/rathenow-prozessauftakt-gegen-npd-stadtrat/
Am (Samstag)Vormittag haben am Schulplatz in Neuruppin ungefähr 30 Menschen aus dem Umfeld des linksalternativen Jugendwohnprojektes Mittendrin an die brutale Tötung von Emil Wendland in der Nacht vom 1. Zum 2. Juli 1992 erinnert. Eine dreiköpfige Gruppe Naziskins hatten den auf einer Parkbank schlafenden Wohnungslosen vor 24 Jahren zunächst mit Schlägen und Tritten malträtiert. Dann wurde eine Bierflasche auf seinem Kopf zerschlagen und abschließend mit einem Messer auf ihn eingestochen. Wendland verstarb kurze Zeit später an inneren Blutungen.
Die Tat stellte lokal den Höhepunkt neonazistischer Exzesse Anfang der 1990er Jahre da. „Es gab nur wenige Tage ohne Meldungen in den Zeitungen von rechten Übergriffen, Anschlägen auf Asylsuchendenheime, Treffen von 200+ Nazis, rechten Parolen, Sprühereien“, wie das JWP Mittendrin in einem Aufruf zu dessen heutiger Gedenkkundgebung schrieb. Trotzdem geriet der brutale Gewaltakt über die Jahre lang ins Abseits der Lokalgeschichte. Bereits seit 1993 wurde die Tat nicht mehr in der Statistik des Innenministeriums zu Todesopfern extrem rechter Gewalt geführt. Ein offizielles Andenken an den Getöteten blieb jahrelang aus. Erst die Aufarbeitung der jüngsten Geschichte Neuruppins durch das JWP Mittendrin führte zur Schaffung eines kleinen Ortes der Erinnerung in der Nähe des Schulplatzes. Durch Recherchen des Moses Mendelsohn Zentrums in den ehemaligen Prozessakten zum Verfahren gegen die damaligen Täter wurden 2015 zudem auch eindeutige Belege für einen Gewaltakt mit extrem rechter Motivation gefunden. Das Bundesinnenministerium ergänzte daraufhin seine Statistik. Emil Wendland wurde somit auch offiziell als Todesopfer rechter Gewalt anerkannt.
Neuruppin zählt auch heute noch zu den Hauptaktionsräumen des neonazistischen Milieus im Land Brandenburg. Im vergangenen Jahr veranstalteten lokale Neonazis eine Großdemonstration zum Tag der so genannten „deutschen Zukunft“. Gestern (Freitag) versammelten sich Sympathisant_innen der neonazistischen „Freien Kräfte Neuruppin – Osthavelland“, um den Tod von Emil Wendland für propagandistische Zwecke zu missbrauchen. Die Tötung des Wohnungslosen wurde als „subkulturelle Perspektivlosigkeit“ relativiert und neonazistische Weltanschauungsmuster als Grundlage für die Tat verleugnet.
Fotos von der Gedenkkundgebung des JWP Mittendrin: hier
Fotos von der Neonazikundgebung am Freitag: hier
Emil Wendland

Emil Wendland wurde am 11.02.1942 in Gastau geboren und am 1. Juli 1992 von seinen Tätern im Schlaf völlig wehrlos überrascht und getötet. Sein erster Beruf war Lehrer, später arbeitete er als Verkaufsstellenleiter in der Molkerei-Verkaufsstelle. Emil Wendland wurde alkoholkrank. Mitte der 1980er Jahre besiegte er die Krankheit – leider nur für kurze Zeit. Als Nachbarn ihn am 9. November 1990 auf ein Glas Sekt einluden, um die neu gewonnene Freiheit zu feiern, wurde er rückfällig und schaffte es nicht mehr, abstinent zu werden. Nach der „Wende“ übernachtete er immer öfter auf Bänken im Freien, da er nicht mehr in der Lage war, nach Hause zu kommen.1
Der Ort
Neuruppin war in den 1990er Jahren ein Zentrum des militanten Neonazismus in Brandenburg. Oft kam es zu Gewaltausbrüchen. Bereits im Sommer 1990 schlugen die Rechten los: 15 Neonazi-Skinheads überfielen mit Baseballschlägern und dem Ruf „Rechtsradikale werden siegen“ ein Zeltdorf, auf dem gegen den sowjetischen Militärflugplatz am Stadtrand protestiert wurde. Am Folgetag greifen die Rechten erneut an. Ein weiteres Beispiel: Wenige Monate nach dem Mord an Emil Wendland ziehen im November 1992 acht Rechte zu einem Wohnheim für Wolgadeutsche im Ortsteil Gildenhall und werfen insgesamt zwölf Molotow-Cocktails auf das Gebäude. Den Bewohner_innen gelingt es nur knapp, das Feuer zu löschen. Neben Migrant_innen und sozial Randständigen ist vor allem die alternative Jugendszene Angriffsziel der Rechten. Das linksorientierte Jugendzentrum „Mittendrin“ wird mehrmals überfallen. Für überregionale Aufmerksamkeit sorgt das Treiben des aus Westdeutschland zugezogenen Alt-Nazis Wilhelm Lange, der jahrelang privat „Jugendarbeit“ mit jungen Rechten betreibt. Die Stadt reagiert auf die rechte Szene mit „akzeptierender Jugendarbeit“ im Jugendzentrum „Bunker“. Ab 1998 fungiert der Klub als Neonazitreffpunkt in Selbstverwaltung – erst im Jahr 2000 wird der „Bunker“ geschlossen.2
Die Tat
Nach einem Saufgelage mit rechter Musik fassen in der Nacht zum 1. Juli 1992 drei Neonaziskinheads aus der örtlichen rechten Szene den Entschluss, „Assis aufzuklatschen“ (laut Gericht waren es drei, nach Angaben von damals aktiven Antifas aber mindestens fünf).3 Sie waren der Auffassung „die Obdachlosen verunstalten das Stadtbild und seien in Neuruppin unerwünscht“4. Weil sie wissen, dass im Neuruppiner Rosengarten öfter obdachlose Menschen übernachten, gehen sie gegen 1.00 Uhr gezielt zur kleinen Parkanlage in Zentrum der Fontanestadt. Dort finden sie den auf einer Parkbank schlafenden, volltrunkenen Emil Wendland. Die Gruppe baut sich vor dem Mann auf; Mathias Pl. sichert anfänglich das Gelände ab. Remo B. schreit den schafenden Mann an „Wach auf!“ und tritt ihm mit seinen Stahlkappenschuhen in den Bauch und anschließend mit voller Wucht immer wieder gegen den Kopf. Mirko H. zerschlägt seine mitgebrachte Bierflasche auf dem Kopf des Mannes. Nach den brutalen Misshandlungen lassen sie den bewusstlosen Emil Wendland mit lebensgefährlichen Verletzungen liegen und gehen weg. An der an dem Platz angrenzenden Friedensschule sagt Mirko H. zu seinen beiden Kumpels: „Ich geh noch einmal zurück, den bring ich um“.5 Er dreht um, rennt zu dem vermutlich bewusstlosen Wendland zurück und sticht immer wieder mit einem 18cm langen Jagdmesser auf den Oberkörper seines Opfers ein. Ein Stich durchtrennt die Herzschlagader, sodass Wendland innerlich verblutet. Kurze Zeit später kommen die drei gemeinsam zum Tatort zurück und sammeln die Scherben der Bierflasche ein, auf der ihre Fingerabdrücke sein könnten. Anschließend gehen sie nach Hause. Zwei Tage später werden die Täter festgenommen.
Das Verfahren
Das Landgericht Potsdam verurteilt im Oktober 1993 den 20-jährigen Haupttäter Mirko H. wegen Totschlags zu sieben Jahren Jugendstrafe. Obwohl das Gericht feststellt, dass die Täter ihr Opfer für „einen Menschen zweiter Klasse gehalten“ hatten und die Gruppe sich zum „Penner klatschen“ verabredet hatte, wird das sozialdarwinistische Motiv in der Urteilsbegründung nicht gewürdigt. Remo B., der ‘Penner’ „so eklig findet wie Ausländer“6. wird im Februar 1994 im Berufungsverfahren vor dem Landgericht Potsdam wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Unter Einbeziehung weiterer Straftaten erhält er eine Jugendstrafe von zwei Jahren und acht Monaten. Auch in diesem Verfahren wird der sozialdarwinistische Hintergrund der Tat vom Gericht erkannt. In der Urteilsbegründung heißt es: „… faßte man spätestens zu diesem Zeitpunkt den Entschluß, in der Nacht ‚Assis aufzuklatschen’; gemeint war damit das Zusammenschlagen von Obdachlosen oder anderen Personen, die man als mißliebig verachtenswert ansah.“7 Über die Gerichtsverfahren gegen Matthias Pl., der in seiner polizeilichen Vernehmung u.a. sagte: „Ich finde es richtig, Assis einen Denkzettel zu verpassen. Die leben nur von unseren Steuergeldern, außerdem verschandeln sie das Stadtbild. […] Wenn wir rechts orientierten uns nicht um so was kümmern, tut es keiner.“8, ist nichts bekannt.
Das Gedenken
Anlässlich des 20. Todestag fand erstmals ein öffentliches Gedenken für Emil Wendland statt. Am Tatort, dem Neuruppiner Rosengarten, wurde eine Gedenktafel für den Getöteten enthüllt.
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Die Quellen
1 JWP-MittenDrin: Emil “Bruno” Wendland ging den Weg des Todes – Ein MAZ-Leserbrief vom 24.07.1992, auf: jwp-mittendrin.de 14.03.2002, zuletzt abgerufen: 13.01.2016
2 Opferperspektive: „Nationale Jugendarbeit“: das Beispiel Neuruppin, auf Opferperspektive.de 13.10.2006 sowie: Artikel Neuruppin, in: Antifaschistisches AutorInnenkollektiv (Hg.) Hinter den Kulissen … Faschistische Aktivitäten in Brandenburg – Update 1999, Berlin 1994, S. 56–63
3 JWP-Mittendrin. Infoseite zur Emil Wendland-Kampagne, jwp-mittendrin.de, zuletzt abgerufen: 13.01.2016
4 Moses Mendelssohn Zentrum, Abschlussbericht des Forschungsprojektes „Überprüfung umstrittener Altfälle Todesopfer rechtsextremer und rassistischer Gewalt im Land Brandenburg seit 1990“, 2015, S. 58
5 Gerichtsurteil, Amtsgericht Neuruppin
6 Moses Mendelssohn Zentrum, Abschlussbericht des Forschungsprojektes „Überprüfung umstrittener Altfälle Todesopfer rechtsextremer und rassistischer Gewalt im Land Brandenburg seit 1990“, 2015, S. 62
7 Gerichtsurteil, Amtsgericht Neuruppin
8 Moses Mendelssohn Zentrum, Abschlussbericht des Forschungsprojektes „Überprüfung umstrittener Altfälle Todesopfer rechtsextremer und rassistischer Gewalt im Land Brandenburg seit 1990“, 2015, S. 62
Aram M.: „Nach Armenien zurückzukehren ist für mich keine Option!“
Während seines 17. Lebensjahrs stellte der heute 30-jährige Aram fest, dass er sich von Männern angezogen fühlt. Ein Gefühl, das in seinem Heimatland Armenien unter anderem als Krankheit eingestuft wird. Als er im Jahr 2004 zum Wehrdienst eingezogen werden soll, weigert er sich diesen anzutreten, denn als Homosexueller unter Menschen zu sein, die nicht männlich genug sein können, ist für ihn undenkbar. Des Weiteren fürchtet er Übergriffe, sollten sie von seiner Homosexualität erfahren.
Er wird vom Gericht zu acht Monaten Gefängnis verurteilt. Von August 2004 bis April 2005 muss er ins Gefängnis. Dort ist er nicht nur den verbalen Diskrimnierungen der Mithäftlinge und Wärter_innen sondern auch ihren körperlichen Übergriffen ausgesetzt. Durch die Schläge leidet er bis heute unter einer Tinituserkrankung. Nach seiner Freilassung erhält er noch ein Jahr und vier Monate auf Bewährung, Am meisten trifft Aram jedoch die Reaktion seiner Eltern – sie begegnen ihm mit Abneigung und erklären, er sei eine Schande für die Familie. Der Vater schlägt ihm einen Deal vor: wenn Aram sich bemüht, eine Frau zu heiraten und ein aus seiner Sicht normales Leben zu führen, darf er weiterhin im Elternhaus wohnen. Aram stimmt dem zu. Bis zum Jahr 2010 gibt es keine weiteren Probleme, Aram versteckt seine Homosexualität und macht eine Ausbildungen zum Frisör und eine weitere zum Floristen. Eines Tages kommt jedoch sein Vater unerwartet nach Hause und trifft dort Aram und einen Freund eng umschlungen und küssend an. Der Vater verweist seinen Sohn der Wohnung. Dieser lebt fortan in einer Wohngemeinschaft. Jeden Job, den er annimmt, verliert er nach nur wenigen Wochen, da seine Arbeitgeber_innen über seine Homosexualität informiert werden. Aram sieht für sich keine Perspektive in seinem Heimatland und beschließt im März 2011 dieses zu verlassen und in Belgien Asyl zu beantragen. Nachdem sein Antrag abgelehnt wird, bleibt ihm nur die Möglichkeit, wieder nach Armenien zurückzukehren.
Dort hat sich seine Situation jedoch nicht verändert – die Familie wollte weiterhin nichts mit ihm zu tun haben, die gefundene Arbeit verlor er schnell wieder. Nachdem Aram einige Zeit auf der Straße lebte, entschied der sich zum Jahresende 2013 dafür, nach Russland zu gehen und dort ein neues, ein besseres Leben zu beginnen. Er fand Arbeit und hatte eine Wohnung und fand schnell einen Freund. Beide entschließen sich zusammen ein Zimmer in einer 2‑Raum-Wohnung anzumieten. Die Vermieterin, sie wohnt im zweiten Zimmer, ahnt nicht, dass die beiden jungen Männer ein Paar sind. Doch eines Tages beobachtet sie die beiden, wie sie sich küssen. Daraufhin ruft sie die Polizei. Aram und sein Lebenspartner werden verhaftet und in der Polizeistation diskriminiert, geschlagen. Des weieteren wird ihnen sexualisierte Gewalt angedroht, nachdem sie sich weigerten ein Dokument zu unterzeichnen, in dem sie sich zu ihrer Homosexualität bekennen. Als sie wieder freigelassen wurden, fanden sie Unterschlupf in einem Heim. Dort lebten sie jedoch in getrennten Räumen und verbargen ihre Partnerschaft vor den anderen Bewohner_innen.
Am Abend des 30. Mai 2015 trafen sie sich in einem Park, um Zeit gemeinsam zu verbringen. Eine Gruppe von fünf Männer folgte ihnen, beschimpfte sie homophob und schlug sie anschließend zusammen. Sowohl Aram und als auch sein Lebensgefährte verloren während des Übergriffs das Bewusstsein. Die beiden jungen Männer beschließen, weder die Polizei noch ein Krankenhaus aufzusuchen, da sie Angst vor weiterer Repression haben. Sie zogen sich anschließend in ihre Zimmer zurück und warteten bis die Wunden verheilten. Im Verlauf des Juli buchten sie zwei Flugtickets nach Istanbul mit Zwischenstopp in Berlin. Am 29. Juli landete das Paar in Berlin-Tegel und beantragte Asyl. Im sogenannten kleinen Interview machten sie nicht nur Angaben zu ihrem Reiseweg, sondern auch über ihre Erfahrungen in Russland und Armenien.
Vom Flughafen werden sie in die brandenburgische Erstaufnahmestelle nach Eisenhüttenstadt transferiert. Dort müssen sie in getrennten Zelten schlafen, da die Lagerleitung die Partnerschaft der beiden Männer nicht anerkennt. Nach zwölf Tagen wird Aram nach Frankfurt/Oder und Vlad nach Brandenburg an der Havel transferiert. Vlad gelingt es, Kontakt zu lokalen LGBTI-Aktivist_innen herzustellen. Gemeinsam setzen sie sich mit Erfolg für die Zusammenführung des Paares ein. Aufgrund der sich langsam zuspitzenden Situation im Heim und der Erfahrung mit einer anderen LGBTI-Aktivistin — sie wurde im Heim wegen ihrer sexuellen Orientierung angegriffen — wohnen die beiden mit einem weiteren lesbischen Paar in einer Verbundwohnung. Während Aram ein Praktikum in einem Frisösalon macht, geht Vlad zum Deutschkurs. Ende April bekommt Aram einen Brief mit dem Interviewtermin, Vlad erhält keinen Brief. Erst nachdem Unterstützer_innen wiederholt Druck auf das BAMF ausgeübt hatten, erhalten beide einen gemeinsam Termin am 10. Mai. Während seiner Befragung wird der Versuch Arams, über die Diskriminierung in Armenien zu sprechen, vom BAMF-Mitarbeiter mit der Begründung abgelehnt, dass Aram aus Russland eingereist sei und deswegen nur Russland eine Rolle spielt. In dem am 21. Juni erhaltenen Negativbescheid wird darauf verwiesen, dass Aram in Armenien nicht verfolgt werden würde und auch keine begründete Furcht vor Verfolgung vorgebracht hat. Des Weiteren wird darauf verwiesen, dass er Familie vor Ort hat und diese ihn unterstützen könnte. Das BAMF gab Aram im Interview am 10. Mai weder die Möglichkeit über seine Verfolgung in Armenien zu berichten, noch hat es die Aussagen vom 29. Juli 2015 berücksicht, in denen klar steht, dass Arams Familie ihn verstoßen hat und er in Armenien verfolgt wird. Des Weiteren wird seine Beziehung zu Vlad nicht anerkannt.
Wir verurteilen die Praxis des BAMF scharf und fordern die Anerkennung der Lebenspartnerschaft von Vlad und Aram. Des Weiteren fordern wir eine Neubewertung seines Antrags unter Berücksichtigung aller von ihm vorgebrachten Fluchtgründe.
Aram und Vlad bleiben hier!
Offener Brief zur Perspektive der Migrationssozialarbeit als Fachberatungsdienst in Brandenburg
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Dr. Woidke,
sehr geehrte Frau Ministerin Golze,
wir unterstützen nachdrücklich die mit dem Landesaufnahmegesetz beschlossene Ausweitung der Migrationssozialarbeit. Schutzsuchende Menschen sind in vielen Lebenslagen auf eine kompetente Beratung angewiesen, die sie dabei unterstützt, ihre Interessen und Bedürfnisse durchzusetzen. Die überregionalen und auch einzelne regionale Flüchtlingsberatungsstellen in Brandenburg bringen diese Kompetenzen mit und haben in ihrer langjährigen Arbeit eine sehr gute Vernetzung vor Ort aufgebaut. Das Landesaufnahmegesetz übergibt die Bereitstellung der Migrationssozialarbeit als Fachberatungsdienstallerdings in die Hände der Landkreise und kreisfreien Städte, womit aus unserer Sicht einige Probleme verbunden sind.
Die erfolgreiche, in vielen Jahren gewachsene und vor Ort gut verankerte Arbeit der bestehenden unabhängigen und überregional arbeitenden Beratungsstellen wird mit der Kann-Bestimmung in § 12 Abs. 2 LAufnG ganz real aufs Spiel gesetzt, wie erste Erfahrungen bereits jetzt zeigen. Da kein landeseinheitliches Verfahren vorgesehen ist, droht den bestehenden Strukturen in ersten Landkreisen die Entziehung ihrer Existenzgrundlage – etwa in Oberhavel, wo der Landkreis eine Gesellschaft in eigener Trägerschaft gegründet hat, ohne das bestehende Angebot zu beachten. In anderen Landkreisen ist eine Übertragung auf Träger erwartbar, die enge Verbindungen zu Politik und Verwaltung pflegen und kaum praktische Erfahrungen in der Flüchtlingssozialarbeit vorweisen – das bisherige erfolgreiche Konzept wird nicht ausgeweitet, sondern unterhöhlt.
Wir wollen das an zwei ausgewählten Punkten verdeutlichen:
Alles aus einer Hand?
Die Landkreise und kreisfreien Städte sind neben ihrer Zuständigkeit für die Migrationssozialarbeit als Fachberatungsdienst häufig auch für die Unterbringung – oft in Gemeinschaftsunterkünften – und mit den
Ausländerbehörden auch für den Vollzug des Ausländerrechts zuständig. Beratungsarbeit, die immer die individuellen Bedürfnisse von Ratsuchenden in den Mittelpunkt stellt, wird unter den Zweifel gestellt, dass eine – vermeintliche oder tatsächliche – Abhängigkeit der Beratungsstelle vorliege. Es kann zu Interessens- und Loyalitätskonflikten mit dem Arbeitgeber kommen, ggf. unbequeme Beratungsarbeit, etwa wo es um das Sozialamt oder die Ausländerbehörde geht, wird erschwert bzw. unmöglich gemacht. Es ist zu erwarten, dass das Vertrauensverhältnis zu Geflüchteten und vielfach auch zu ehrenamtlichen Begleiter_innen, Dolmetscher_innen und anderen Unterstützer_innen aufgrund der Neustrukturierung maßgeblich und bleibend gestört wird.
Bereits in ihrem offenen Brief vom 14. Dezember 2015, als das LAufnG erst im Entwurf vorlag, hatten die flüchtlingspolitischen und Willkommens-Initiativen im Land Brandenburg dazu geschrieben:
„Unsere Erfahrungen mit Entlassungen engagierter SozialarbeiterInnen und BeraterInnen in den Landkreisen lassen uns um unabhängige Beratung fürchten. Eine vertrauenswürdige Beratungsstelle muss auch gegenüber der Praxis der Ausländerbehörde kritisch sein können. Wenn sie strukturell von der Institution abhängig ist, die sie kritisieren soll, entstehen Interessenkonflikte. Gute Beratung ist unserer Erfahrung nach eines der häufigsten Bedürfnisse von Geflüchteten. Die gleiche Erfahrung machen diejenigen von uns, die an Erstaufnahmeeinrichtungen tätig sind.“
Subsidiarität!
Wir schließen uns der Einschätzung der LIGA der freien Wohlfahrtspflege an, die in der Kann-Regelung eine Abkehr vom Subsidiaritätsprinzip sieht – der Staat soll erst dann tätig werden, wenn in der Vielfalt der Trägerlandschaft niemand gefunden werden kann, der/die das Angebote ermöglicht. Wir betrachten mit Sorge, wie immer neue Verwaltungsstrukturen aus dem Boden sprießen, und zwar längst nicht nur in der Beratung von Asylsuchenden und Geduldeten. Durch die zu befürchtende Umkehr vom Prinzip vielfältiger, freier und vor allem unabhängiger Profile in der Beratungsarbeit wäre ein Qualitätsverlust zu befürchten, der dem Geist des Grundgesetzes widerspricht.
Beratung im Interesse von Asylsuchenden und Geduldeten: unabhängig und parteiisch!
Vor diesem Hintergrund wollen wir Sie eindringlich darum bitten, nicht nur eine zielgruppenspezifische, sondern vor allem eine zielgruppengerechte Migrationssozialarbeit als Fachberatungsdienstin Brandenburg sicherzustellen. Die „aus ihrer Aufnahme- und Aufenthaltssituation begründeten besonderen Lebenslagen“ von Asylsuchenden und Geduldeten machen es geradezu erforderlich, für die in § 12 LAufnG beschriebenen Aufgaben /keine/kommunale Trägerschaft zu ermöglichen, sonst steht nicht nur die langjährige Expertise der
bisherigen Berater_innen auf dem Spiel, sondern der Sinn des ganzen Unterfangens. Es liegt in der Natur der Sache, dass die Interessen von Schutzsuchenden und kommunalen Verwaltungen nicht zusammenfallen, sich oft sogar widersprechen. Beratungsarbeit muss stets parteiisch im Sinn der Ratsuchenden sein.
Diese Beratung muss auch und gerade das Recht auf Information über den Verlauf des Asylverfahrens sowie behördliche Entscheidungen, die die Person unmittelbar betreffen, umfassen.Dazu gehören aber auch das Recht auf Rechtsbehelfe und unentgeltliche Rechtsberatung und ‑vertretung in Rechtsbehelfsverfahren sowie das Recht auf unentgeltliche Erteilung von rechts- und verfahrenstechnischen Auskünften, das Recht auf Begleitung zu Anhörungen beim BAMF durch eine_n Rechtsanwält_in oder „sonstigen nach nationalem Recht zugelassenen oder zulässigen Rechtsberatern“ [1].
Dies ist Schutzsuchenden in Brandenburg nur dann möglich, wenn sie einen Zugang zu einer Beratung haben, von der sie nicht nur sachkundig, sondern auch unabhängig von Interessen Dritter – d.h. auch///*weisungsungebunden*/– über ihre Pflichten im Asylverfahren, aber auch über andere sie betreffende rechtliche Regelungen informiert und beraten werden. Die Wohlfahrtsverbände in Brandenburgund freie Trägerbieten seit vielen Jahren eine solche Beratung an, weil insbesondere im ländlichen Raum Fachanwält_innen fehlen. Sie berücksichtigen dabei Qualitätsstandards und die Bestimmungen des
Rechtsdienstleistungsgesetzes.
Wir appellieren deswegen an Sie, alles Ihnen Mögliche zu tun, um die bisherigen unabhängigen Beratungsstrukturen in ihrer Existenz zu sichern und für die neu aufzubauenden Strukturen zu gewährleisten, dass konzeptionell, personell und institutionell /Unabhängigkeit/gegeben ist. Die ausstehenden Verordnungen zum LAufnG sollen unter allen Umständen dazu genutzt werden, die Qualität der Beratung sicherzustellen.
Mit freundlichen Grüßen
Flüchtlingsrat Brandenburg
Dieser Brief wird unterstützt von:
Barnimer Kampagne „Light me Amadeu“, Eberswalde
ESTAruppin e.V.
Evangelische Jugend Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz
Farfalla, Waßmannsdorf
FluMiCo – Flucht & Migration Cottbus
Flüchtlingshilfe Großbeeren e.V.
Hennigsdorfer Ratschlag
Initiative Barnim für alle
Kontakt- und Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt, Bernau
Landesjugendring Brandenburg e.V.
Netzwerk Flucht und Migration Stadt Guben
Perleberg hilft
Vielfalt statt Einfalt – für ein freundliches Frankfurt (Oder)
Willkommen in Fürstenberg
Willkommensinitiative Joachimsthal
Willkommen in Oberhavel
Willkommen in Oberkrämer, Leegebruch und Velten
Willkommen in Oranienburg e.V.
Willkommen in Wandlitz/AG Basdorf
Willkommen in Zehdenick
Pfarrer Andreas Domke, Vorsitzender der Synodalen AG „Flucht und
Migration“ des Kirchenkreises Oberes Havelland
Angela Rößler, Potsdam-Konvoi
Annelies Rackow, Verein zur Förderung der Lebensqualität VFL-Bautzen
e.V., Schlieben
Bärbel Böer, Flüchtlingsnetzwerkkoordination, Brandenburg an der Havel
Franziska Kusserow, Potsdam-Konvoi
Klaus Kohlenberg, Freie Asylsuchenden-Beratungsstelle in Oranienburg-Lehnitz
Marianne Strohmeyer, Multitudeinitiative
Mathias Tretschog, Schluss mit Hass
Rainer E. Klemke, Willkommensteam des Bürgervereins Groß Schönebeck
Andrea Honsberg, Eberswalde
Anke Przybilla, Wandlitz
Dr. Darja Brandenburg, Ludwigsfelde
Gabriele Jaschke
Lynne Hunger, Potsdam
Dr. Margarete Steger
Michael Elte, Oranienburg
[1] Verfahrensrichtlinie 2013/32/EU, Artikel 19–23, und
Aufnahmerichtlinie 2013/33/EU, Kapitel V, Artikel 26, beide
veröffentlicht im Amtsblatt der Europäischen Union vom 29.06.2013.
Heute haben die Grünen auf ihrer Fraktionspressekonferenz erklärt, dass sie ein Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG) im Landtag einbringen werden. Der Verein Opferperspektive fordert ein solches schon länger und begrüßt die Gesetzesinitiative, denn diese würde eine wichtige Lücke im Schutz vor Diskriminierung durch staatliche Stellen schliessen.
Im Jahr 2013 hat sich das Land Brandenburg die Bekämpfung von Rassismus als Staatsziel in der Landesverfassung verankert. Auch europäisches Recht und das Grundgesetz verpflichten staatliche Stellen, die Bewohner_innen des Landes vor Diskriminierungen zu schützen. Dennoch gibt es in Brandenburg immer noch keinen vollen Rechtsschutz für Betroffene von Diskriminierungen.
Zwar schützt das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) des Bundes Betroffene auf den Gebieten des Arbeits- und Zivilrechts, die z.B. durch Arbeitgeber oder Vermieterinnen diskriminiert werden. Doch gegenüber Diskriminierungen durch staatliche Stellen, z.B. durch Polizisten oder Lehrerinnen, ist das AGG nicht anwendbar. Diesen Bereich zu regeln ist Aufgabe der Bundesländer.
Mit der Einführung eines LADG würde Brandenburg 1.) einen Rechtsschutz für Betroffene von Diskriminierung durch staatliches Handeln einführen, 2.) die öffentliche Hand verpflichten, konkrete Maßnahmen gegen Diskriminierung in ihren Institutionen umzusetzen und 3.) eine mit umfassenden Kompetenzen ausgestattete Landesantidiskriminierungsstelle aufbauen.
Nadja Hitzel-Abdelhamid von der Antidiskriminierungsberatung Brandenburg im Verein Opferperspektive erklärt dazu: “Mit einem LADG hört das Land auf, allein von seinen Bürger_innen Fairness zu fordern, und fängt vorbildhaft bei sich selbst an: Mit einem LADG verbietet es seinen eigenen Institutionen jede Form von Diskriminierung und sorgt damit in den staatlichen Strukturen dafür, dass alle Menschen in Brandenburg gleich behandelt werden!”
Menschen, die durch staatliche Institutionen aus rassistischen Gründen, wegen ihrer Herkunft, Nationalität, Sprache, ihres Geschlechts, ihres Lebensalters, ihrer sexuellen Identität, religiösen oder weltanschaulichen Überzeugungen oder wegen ihres sozialen Status diskriminiert werden, würden in ihrer Position gestärkt, weil ihnen ein Rechtsweg eröffnet würde.
Ein voller Rechtsschutz ist dringend nötig, denn Diskriminierungen nehmen in der Gesellschaft insgesamt massiv zu. Sie fangen an, wenn Witze über Schwule gemacht oder Muslime beleidigt werden und setzen sich fort, wenn Polizist_innen Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe als Täter behandeln oder eine Schülerin mit Kopftuch bei gleicher Leistung schlechtere Noten als ihre Mitschüler_innen erhält. Von Beschwerden wegen Diskriminierung profitiert das Land, denn nur wenn Menschen sich beschweren, werden Muster von Diskriminierung sichtbar und so veränderbar.
Ein LADG sorgt für gleiche Chancen und gleiche Teilhabe für alle, die in Brandenburg leben.