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Flucht & Migration

Proteste gegen drohende Ketten-Quarantäne in Unterkunft

Seit einein­halb Wochen ste­hen 275 Men­schen in den bei­den Häusern der Sam­melun­terkun­ft in der Ruhls­dor­fer Straße in Stahns­dorf unter Quar­an­täne; nun wur­den weit­ere Infek­tio­nen unter den in Mehrbettz­im­mern unterge­bracht­en Bewohner*innen bekan­nt und die Quar­an­täne kurzfristig ver­längert. Bewohner*innen forderten gegenüber dem Flüchtlingsrat, die ausste­hen­den Testergeb­nisse zu erfahren, ver­langten eine Verbesserung der Lebens­mit­telver­sorgung und kri­tisierten die gemein­same Unter­bringung in Mehrbettz­im­mern, die es ihnen unmöglich macht, sich vor ein­er Infek­tion zu schützen. Sie fra­gen, warum das Per­son­al in der Unterkun­ft teil­weise keinen Mund-Nase-Schutz trägt, und warum das Per­son­al nicht, wie sie auch, unter Quar­an­täne steht.

Wenn Men­schen auch nach dem Bekan­ntwer­den erster Infek­tio­nen weit­er dicht an dicht miteinan­der leben, sich Zim­mer und Gemein­schafts­bere­iche teilen müssen, dann wer­den weit­ere Infek­tions­ket­ten, län­gere Quar­an­tänephasen und enorme Gesund­heit­srisiken für die Betrof­fe­nen bewusst in Kauf genom­men.“, so Mara Hasen­jür­gen vom Flüchtlingsrat Bran­den­burg. „Fehler, die in Hen­nigs­dorf gemacht wur­den, als sich ins­ge­samt rund 75 Bewohner*innen ansteck­ten und über 400 Geflüchtete bis zu sechs Wochen in Massen­quar­an­täne bleiben mussten, wer­den nun in Stahns­dorf wiederholt.“

Das Coro­n­avirus hat längst gezeigt: Soziale Ungle­ich­heit und struk­tureller Ras­sis­mus wer­den durch die Pan­demie nicht nur sicht­bar, son­dern ver­schärft. Geflüchtete Men­schen, die in Bran­den­burg in Masse­nun­terkün­ften leben müssen, sind deut­lich über­pro­por­tion­al gefährdet, sich mit dem Coro­na-Virus zu infizieren: Am 29. Juni waren bere­its 1,7% der geflüchteten Men­schen in Bran­den­burg­er Unterkün­ften infiziert, so die Lan­desregierung (Druck­sache 7/1680) – in der All­ge­mein­bevölkerung liegt dieser Wert laut RKI aktuell dage­gen bei 0,141% (COVID-19-Lage­berichtvom 29.07.2020 des RKI).

Das Krisen­man­age­ment in Pots­dam-Mit­tel­mark ste­ht im ekla­tan­ten Wider­spruch zu den Empfehlun­gen des Robert-Koch-Insti­tuts zum Man­age­ment von COVID-19-Erkrankun­gen in Gemein­schaft­sun­terkün­ften. Ins­beson­dere bei der trans­par­enten Infor­ma­tion und Ein­bindung der Bewohner*innen wur­den gravierende Fehler gemacht. Seit Bekan­ntwer­den der ersten Infek­tio­nen dauerte es fünf Tage, bis über­haupt mit der Tes­tung der übri­gen Bewohner*innen begonnen wurde, so die Pots­damer Neueste Nachricht­en. Eine Ein­teilung in kleine Quar­an­täne-Kohort­en fand nicht statt, von Einzelz­im­merun­ter­bringung ganz zu schweigen. Am Abend des Protests am 29.7.2020 war das Gesund­heit­samt weit­er­hin nicht in der Lage, Betrof­fene angemessen über die bere­its vor­liegen­den Pos­i­tiv-Tes­tun­gen zu informieren. Erst gestern wur­den dann einige Infizierte und Nicht-Infizierte getren­nt. Weit­ere 25 Tests ste­hen laut Medi­en­bericht­en noch aus, zudem seien noch nicht alle Testergeb­nisse zurück.

Mit ein­er respek­tvollen, frühzeit­i­gen, trans­par­enten und nicht zulet­zt mehrsprachi­gen Kom­mu­nika­tion mit Bewohner*innen (vom RKI ein­dringlich emp­fohlen) hätte das Ansteck­ungsrisiko für mehrere hun­dert Men­schen gesenkt; viele Kon­flik­te vor Ort hät­ten ver­mei­den wer­den kön­nen. Dass die Betrof­fe­nen Men­schen sich dage­gen wehren ist abso­lut nachvol­lziehbar. Dass lokale Ver­ant­wortliche protestierende Bewohner*innen stattdessen mit Begrif­f­en wie anstachel­nd und Aufrührer beschreiben, die medi­ale Beze­ich­nung des legit­i­men Protests als Revolte, ist dif­famierend und ein­seitung, die Lage und Grun­drechte der Protestieren­den wer­den hier völ­lig aus dem Blick­feld gelassen. Die zwis­chen­zeitlich vom Land­kreis angekündigte Sank­tion­ierung einiger Protestieren­der nach dem Infek­tion­ss­chutzge­setz durch Abson­derung in Eisen­hüt­ten­stadt ent­behrt jed­er rechtlichen Grund­lage und wurde inzwis­chen zurückgenommen. 

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(Anti-)Rassismus Antifaschismus

Neonazis blieben unter sich

In war­men Som­mertö­nen umwob das Abendlicht der langsam unterge­hen­den Sonne gestern das Rokokoschloss, die klas­sizis­tis­che Musikakademie und die gotisch anmu­tende Kirche rund um den Tri­an­gelplatz in Rheins­berg im Land­kreis Ost­prig­nitz-Rup­pin. Wo nor­maler­weise Touris­ten das his­torische Ensem­ble bestaunen oder die Idylle mit­ten im Rup­pin­er Wald- und Seenge­bi­et suchen, ver­sam­melten sich gestern Neon­azis. Unter dem Mot­to: „Abschiebe­haft statt Straßen­schlacht“ hielt der aus der Kreis­stadt Neu­rup­pin angereiste Ortsver­band der NPD gemein­sam mit weit­eren, vor allem aus Wittstock/Dosse, dem östlichen Havel­land sowie aus Meck­len­burg-Vor­pom­mern angereis­ten Sym­pa­thisieren­den eine Kundge­bung ab.

Schlägereien waren Anlass

Anlass des Neon­azi-Tre­f­fens waren Schlägereien in der ver­gan­genen Woche. Mehrere Män­ner­grup­pen hat­ten sich Don­ner­stag hand­feste Schlagabtäusche geliefert, Videos davon kur­sieren mit­tler­weile im Inter­net. Eine Gruppe deutsch­er Män­ner sei zu einem Wohnort von „Syr­ern“ gezo­gen, um dort „einzure­it­en“, wie es ein mut­maßlich­er Tat­beteiligter in ein­er Press­eser­vice Rathenow vor­liegen­den Sprach­nachricht erk­lärt. Grund seien im Vor­feld getätigte krim­inelle Hand­lun­gen der „Syr­er“ gewe­sen. Doch der Sturm auf das Quarti­er der „Syr­er“ endete für einige deutsche Angreifer offen­bar unrühm­lich – näm­lich im Polizeige­wahrsam. Anscheinend han­delte es sich bei den Ange­grif­f­e­nen auch gar nicht um Staats­bürg­er aus Syrien, son­dern um Bürg­er der Rus­sis­chen Föder­a­tion, genauer gesagt aus der Tschetschenis­chen Repub­lik. Diese mobil­isierten dann am Fol­ge­tag knapp 100 Land­sleute nach Rheins­berg. Eine weit­ere Eskala­tion des Kon­flik­tes wurde aber durch ein Großaufge­bot der Polizei und offen­bar auch durch tschetschenis­che Stre­itschlichter verhindert.

Ide­ol­o­gis­che Forderungen

Die NPD fürchtet den „Volk­stod“

Für die NPD Neu­rup­pin war der Stre­it den­noch ein willkommen­er Anlass. Sie nutzte den Kon­flikt gestern nun, um ihr Pro­gramm zu präsen­tieren. „Aus­län­der und Asy­lanten raus“ lautete ihre in dick­en Großbuch­staben ver­fasste Mes­sage, welche vor­sichtiger­weise noch mit den kleingeschriebe­nen Worten bzw Wort­teilen „krim­inelle“ und „Schein-“ ergänzt wurde. Die Parole sollte offen­bar anlass­be­zo­gen erscheinen, ist jedoch tat­säch­lich sig­nifikant für das völkische Pro­gramm der NPD, dass sich am Abstam­mung­sprinzip: „Deutsch­er ist nur der­jenige, welch­er deutschen Blutes ist“ ori­en­tiert. Die Partei fürchtet den „Volk­stod“ durch den Zuzug von Men­schen aus anderen Län­dern und hat ein Inter­esse Kon­flik­te zwis­chen ver­schiede­nen Nation­al­itäten zu schüren. Ste­fan Köster, NPD Lan­deschef von Meck­len­burg-Vor­pom­mern, nutzte seine Rede zum Beispiel um vor „Ras­sis­mus“ gegenüber „Weißen“ zu war­nen. Im Bran­den­burg­er All­t­ag ist jedoch genau das Gegen­teil zu betra­cht­en, vor allem rechte Über­griffe auf nicht­deutsche Staat­sange­hörige bewe­gen sich nach wie vor auf hohem Niveau.

Erfol­gre­ich­er Protest

Erfol­gre­ich­er Protest

Erfahrun­gen mit rechter Gewalt hat­ten auch einige Men­schen, welche sich gegenüber der NPD Kundge­bung posi­tion­ierten. Eine junge Frau erkan­nte beispiel­sweise unter den Neon­azis einen Mann, der sie vor einiger Zeit ver­prügelte. Davon ein­schüchtern ließ sie sich jedoch nicht und protestierte mit knapp 150 weit­eren Men­schen gegen die Kundge­bung der NPD. Für die kleine Stadt im äußer­sten Nor­den Bran­den­burgs war der Protest ein Erfolg. Denn in der Bran­den­burg­er Prov­inz wäre es nicht außergewöhn­lich, wenn weltof­fene Men­schen manch­mal die Min­der­heit bilden. Doch nicht so in Rheins­berg. Hier blieb der Wirkungs­grad der NPD auf ihr Kundge­bungs­gelände beschränkt. Nur ein paar wenige „alte weiße Män­ner“ bekun­de­ten am Rande ihre Übere­in­stim­mung mit den Forderun­gen der Partei. Jün­gere, weltof­fene Men­schen sam­melten sich hinge­gen beim Gegen­protest und zeigten durch bunte Schilder, Stoff­trans­par­ente und let­z­tendlich auch laute Musik, dass sie die Platzho­heit im Ort haben.

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Flucht & Migration Law & Order

Kein Mensch ist illegal

Ein Geflüchteter aus dem Sudan muss am 11. August beim Amts­gericht Bernau erscheinen. Vorge­wor­fen wird ihm sich “ille­gal” in Deutsch­land aufge­hal­ten zu haben. Der Geflüchtete wurde als Oppo­si­tioneller im Sudan erfol­gt. Als Stu­dent gelang es ihm ein Visum für eine Kon­ferenz in Deutsch­land zu erhal­ten. In einem Straf­be­fehl wird ihm nun vorge­wor­fen, dass er erst etwa 2 Wochen nach Ablauf des Visums Asyl beantragt hat. Er ver­ste­ht nicht warum er krim­i­nal­isiert wird: “Ich bin nach Deutsch­land gekom­men, um Schutz vor dem sudane­sis­chen Staat zu suchen, habe aber stattdessen eine Strafanzeige bekom­men. Woher sollte ich in der ersten Zeit in Deutsch­land die Geset­ze und Ver­fahren ken­nen? Ich brauchte Hil­fe bei der Suche nach Schutz, aber danach wurde es lei­der kompliziert.”

Die deutschen Behör­den gehen immer mas­siv­er gegen Geflüchtete vor. Statt den hier leben­den Men­schen das Ankom­men zu erle­ichtern, wer­den sie sog­ar zu Straftätern abgestem­pelt. Geflüchtete soll­ten nicht durch Abschiebung und Krim­i­nal­isierung bedro­ht werden.

Lassen wir den Betrof­fen nicht allein! Zeigen wir uns sol­i­darisch! Kommt zur Kundge­bung vor dem Amts­gericht! Demon­stri­eren wir gemein­sam gegen die Krim­i­nal­isierung von Geflüchteten!

Der Geflüchtete braucht Geld für Anwalts- und Gericht­skosten und auch das Bezahlen der möglichen Strafe ist ihm aus den Sozialleis­tun­gen die er bekommt nicht möglich. Die Ini­tia­tive “Barn­im für alle” sam­melt deswe­gen für diesen und ähn­liche Fälle Spenden.

Spendenkon­to Barn­im für alle
IBAN: DE 78 1705 2000 1110 0262 22
Sparkasse Barnim

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Antifaschismus Gender & Sexualität Geschichte & Gedenken

Digitale Aktionstage zum Gedenkort KZ Uckermark

Der Ort

Das weit­ge­hend unbekan­nte Jugend­konzen­tra­tionslager Uck­er­mark wurde 1942 ca. 90 km nördlich von Berlin in unmit­tel­bar­er Nähe des Frauenkonzen­tra­tionslagers Ravens­brück durch KZ-Gefan­gene aus Ravens­brück gebaut. Es war das einzige Jugend­konzen­tra­tionslager während der Zeit des Nation­al­sozial­is­mus, das gezielt
für die Inhaftierung von Mäd­chen und jun­gen Frauen ein­gerichtet wurde. In der Zeit zwis­chen 1942 und 1945 wur­den 1.200 Frauen und Mäd­chen im KZ Uck­er­mark interniert und mussten dort unter extrem schlecht­en Lebens­be­din­gun­gen Zwangsar­beit leis­ten. Viele der Mäd­chen und Frauen wur­den als ‚asozial‘ kat­e­gorisiert und in das KZ Uck­er­mark gebracht. Im Jan­u­ar 1945 wurde auf dem teil­geräumten Gelände ein Ver­nich­tung­sort für Häftlinge aus dem KZ Ravens­brück und anderen Konzen­tra­tionslagern errichtet. Bis April 1945 wur­den dort ca. 5.000 Men­schen ermordet.

Dieses Jahr…

…wird das Bau- und Begeg­nungscamp auf­grund der Coro­na-Pan­demie lei­der nicht wie geplant über einen län­geren Zeitraum stat­tfind­en kön­nen. Stattdessen wird es eine dig­i­tale Aktionswoche und einige Führun­gen vor Ort geben. Ein­ge­laden sind alle, die das Gelände ken­nen­ler­nen wollen und Inter­esse haben, sich mit der Geschichte des Ortes und antifaschis­tis­ch­er Erin­nerungspoli­tik zu beschäfti­gen. Der Gedenko­rt Uck­er­mark ist offen zugänglich. Seit diesem Jahr gibt es eine neue Ausstel­lung über die Geschichte des Ortes.

Organisatorisches
  • Uhrzeit­en und Tre­ff­punk­te wer­den auf unserem Blog bekan­nt gegeben
  • Die Führun­gen und Rundgänge sind offen für alle Geschlechter und kosten­los. Wir freuen uns aber über Spenden!
  • Für Teil­nahme an ein­er Führung bitte vorher anmelden unter bau-begeg­nungscamp [at] web.de
  • Alle Infos zur Anfahrt unter: gedenkort-kz-uckermark.de/info/kontakt.htm
  • Das Gelände ist nur bed­ingt bar­ri­erearm – wenn ihr weit­ere Infor­ma­tio­nen oder Unter­stützung bei der Anreise braucht, meldet euch gern bei uns!

3.–9. August 2020: Dig­i­tale Aktionswoche

In dieser Woche wer­den wir euch auf einem Blog Infor­ma­tio­nen, Videos, Audiobeiträge, Texte, Por­traits etc. zu der Geschichte des ehe­ma­li­gen KZ Uck­er­mark und der dort Inhaftierten und deren Ange­höri­gen zur Ver­fü­gung stellen. Wir wer­den ver­schiedene Beiträge posten, die einen täglich wech­sel­nden Schw­er­punkt haben, z.B.:

  • Vorstel­lung der Ini­tia­tive für einen Gedenko­rt ehe­ma­liges KZ Uck­er­mark e.V.
  • Offenes Gedenken
  • Die Ver­fol­gung von Per­so­n­en als soge­nan­nte ‚Asoziale‘ sowie ‚Berufsver­brecherin­nen und Berufsver­brech­er‘ im Nation­al­sozial­is­mus und der Kampf um die Anerken­nung dieser ver­fol­gten Per­so­n­en als NS-Opfergruppe
  • Klas­sis­mus

13.–15. August 2020: Ver­anstal­tun­gen vor Ort

  • 13. August: Führung auf dem Gelände der Mahn- und Gedenkstätte Ravens­brück (ange­fragt)
  • 14. August, 16–18 Uhr: Rundgang der Ini­tia­tive für einen Gedenko­rt ehe­ma­liges KZ Uck­er­mark e.V. über das Gelände
  • 15. August, 14–16 Uhr: Bauhis­torische Führung mit Bar­bara Schulz über das Gelände des ehe­ma­li­gen Jugend KZ und späteren Ver­nich­tung­sorts Uckermark

Da es wegen Hygien­ebes­tim­mungen eine max­i­male Teilnehmer*innenzahl gibt, bitte vorher anmelden unter: bau-begeg­nungscamp [at] web.de

Blog: gedenken.noblogs.org

Fly­er als .pdf

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Geschichte & Gedenken

Wie die SPSG lernte die Bombe zu lieben“

Beim Ein­treten in die Ausstel­lung „Pots­damer Kon­ferenz 1945 – Die Neuord­nung der Welt“ sind wir zunächst erle­ichtert. Gestal­ter­isch erin­nert im Inneren des Schloss­es Cecilien­hof wenig an den Tota­laus­fall des Ausstel­lungsplakates, das die ver­meintlichen vier Pro­tag­o­nis­ten der Ausstel­lung zeigt – Tru­man, Churchill, Stal­in und die Atom­bombe. Zum 75. Jahrestag „eines der bedeu­tend­sten his­torischen Ereignisse des 20. Jahrhun­derts“ ver­spricht die  Stiftung Preußis­che Schlöss­er und Gärten Besucher_innen sehr viel: „am authen­tis­chen Ort“ würde man sie auf eine „mul­ti­me­di­ale Zeitreise schick­en“; mul­ti­per­spek­tivisch seien die Ereignisse dargestellt, und vor allem „sach­lich und ideologiefrei“. 
Eine Zeitreise ins Jahr 1945? Was soll da schon schief gehen… Dass die Kurator_innen sich beson­dere Mühe gegeben haben, das Ver­sprechen der Ide­olo­giefrei­heit umzuset­zen, wird in der Ausstel­lung sehr schnell deut­lich – auf die Darstel­lung ide­ol­o­gis­ch­er und poli­tis­ch­er Moti­va­tio­nen haben sie weitest­ge­hend verzichtet. So wird die Vorgeschichte der Kon­ferenz – Faschis­mus, Shoah, Kriegsver­brechen – zu Beginn des Rundgangs zunächst mit ein paar groß­for­mati­gen Bildern angedeutet. Zu sehen sind Trüm­mer­land­schaften, ein Über­leben­der in KZ-Häftlingsklei­dung, ein weinen­des Kind und Men­schen, die anscheinend schon 1945 den Tag der Befreiung feiern und einen Sol­dat­en hochleben lassen. Erk­lärun­gen dazu gibt es keine, außer, dass diese Bilder vom Ende des „grauenhafte[n], vernichtende[n] Krieges“ stammen. 
Über die Ursachen des Krieges wer­den wir erst im vierten Raum informiert: der Audio­gu­ide erzählt uns, dass der Beginn des Zweit­en Weltkrieges in Europa zwar auf den 1. Sep­tem­ber 1939 „datiert“ würde, „tat­säch­lich hat der Krieg bere­its zwei Jahre früher [in Japan] begonnen“. Unter dem Vor­wand ein­er inter­na­tionalen Per­spek­tive wird der Aspekt der Kriegss­chuld zu ein­er bloßen Datierungs­frage. Kriegsver­brechen und Ver­brechen gegen die Men­schlichkeit wer­den hüb­sch ver­packt als Pik­togramme auf einem großen Zeit­strahl dargestellt. Es wird darauf ver­traut, dass die Besucher_innen schon irgend­wie wüssten, wie das mit diesem Krieg war. Na, ihr wisst schon, Hitler und so, müssen wir das wirk­lich nochmal sagen? 
In den Räu­men, in denen die Kon­ferenz einst stat­tfand, wer­den wir über die Ver­hand­lun­gen informiert. Das Span­nend­ste daran ist aber, wie so oft, das, was nicht gezeigt wird: Nazis. Großzügig umschif­f­en die Ausstel­lung­s­texte bere­its in ihrer Wort­wahl die Ver­ant­wor­tung der deutschen Bevölkerung. Deutsche trifft man in der Ausstel­lung vor allem als Opfer von Zer­störung, Verge­wal­ti­gung und Vertrei­bung. An dieser Stelle erleben wir das erste Mal die angekündigte Mul­ti­per­spek­tiv­ität: auch aus pol­nis­ch­er Per­spek­tive wird die „Umsied­lungspoli­tik“ geschildert. Unter dem Topos des Heimatver­lustes sind Deutsche und Polen hier vere­int. Während wir aus­führlich die Geschichte ein­er deutschen Fam­i­lie nachempfind­en kön­nen, deren Vater „heimwehkrank“ in der Fremde stirbt, sind die Schick­sale von 10 Mil­lio­nen dis­placed per­sons hinge­gen nur eine Rand­no­tiz wert. 
Nach ein­er kurzen Ver­schnauf­pause, bei der Besucher_innen auf den Stühlen der „großen Drei“ Platz nehmen und sich mith­il­fe von aug­ment­ed real­i­ty für ein Foto zwis­chen Churchill und Stal­in set­zen kön­nen, geht es zum End­spurt der Ausstel­lung. Es ist nur noch ein schwarz­er Kor­ri­dor bis wir das Ende der Ausstel­lung erre­ichen. Das Licht am Ende des Tun­nels ist schon zu sehen und der Flucht­punkt der Ausstel­lung klar erkennbar – die Grün­dung der Vere­in­ten Natio­nen. Die meis­ten Besucher_innen um uns herum durch­schre­it­en schnell die let­zten Sta­tio­nen dor­thin, denn während den Opfern von Vertrei­bung ein großer Raum gewid­met ist, wer­den die Grenzziehun­gen und Kon­flik­te im Nahen Osten, die Irankrise, der Krieg im Paz­i­fik und der chi­ne­sis­che Bürg­erkrieg auf knapp 15 Metern abge­han­delt. Ohne historisches Vor­wis­sen sind die Zitate an den Wän­den kaum ver­ständlich und die Enge bedrück­end. Einen Zwis­chen­stopp leg­en die meis­ten Besucher_innen aber dann doch noch ein: durch eine aufwendi­ge Medi­enin­stal­la­tion ist der Abwurf der Atom­bombe zu beobacht­en. Mit san­fter Musik unter­malt fliegt die Kam­era über Hiroshi­ma. Langsam segelt die Bombe durch die Wolken, danach: Krachen, Blitze, Zuck­en und am Ende Stille. Im Zehn-Minu­ten­takt kön­nen die Besucher_innen so „Ver­nich­tung und Leid“ nach­fühlen. Ahja. Aber auch hier: keine Täter, nur Opfer. An den schwarzen Wän­den ste­hen sich so die Zitate eines japanis­chen Jun­gens, der den Bombe­nan­griff über­lebte und über die Ver­bren­nun­gen sein­er Haut berichtet, und das des Co-Piloten des Bomben­fliegers gegenüber – „Oh my god, what have we done!“ Es hätte also nicht mehr die Skulp­tur „Der Frieden“ gebraucht, um die Mes­sage der Ausstel­lung zu ver­ste­hen: Krieg ist ganz doll doof, egal von wem er ange­fan­gen wurde. 
Die SPSG bedi­ent sich damit erin­nerungspoli­tisch eines min­destens weichge­spül­ten, wenn nicht augen­wis­cherischen Narrativs. 
Ein weit­er­er blind­er Fleck der Ausstel­lung ist pro­to­typ­isch für da Wirken der SPSG:  Die Rolle der preußis­chen Herrscher­fam­i­lie beim Auf­stieg des Faschis­mus bleibt vol­lkom­men uner­wäh­nt, genau­so wie die aus der Pots­damer Kon­ferenz resul­tierende Auflö­sung Preußens. Stattdessen ver­ab­schiedet uns der Audio­gu­ide mit der Auf­forderung, doch auch noch die anderen Schlöss­er, beispiel­sweise die bemerkenswerte, frühk­las­sizis­tis­che Ausstel­lung im nahegele­ge­nen Mar­mor­palais, anzuschauen. Na dann… 
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Antifaschismus Parlamentarismus

Marcel Donsch aus Panketal droht kein Parteiausschluss mehr

Was genau dieser Ver­gle­ich bein­hal­tet und wie die Partei ihn begrün­det, ist offen. Trotz mehrfach­er Anfrage blieb der Lan­desvor­stand der AfD zu dem The­ma bis­lang stumm. Don­sch teilte lediglich mit, es habe eine Aussprache stattge­fun­den, die von bei­den Seit­en gle­icher­maßen gesucht wor­den sei.

Ein­geleit­et wurde das Parteiord­nungsver­fahren im Dezem­ber 2018. Don­sch, der seit 2012 im Barn­im lebt und als Straßen­bah­n­fahrer bei der BVG arbeit­et, wurde vom Lan­desvor­stand eine Nähe zu Recht­sex­tremen unter­stellt. Sog­ar von einem Parteiauss­chluss war die Rede.

Im Raum standen mehrere Vor­würfe. Unter anderem ging es um eine Demon­stra­tion der AfD im Jahr 2018 in Bernau, die Don­sch organ­isiert hat­te, und auf der AfD und NPD gemein­sam aufge­treten sein sollen. Außer­dem soll Don­sch in einem Chat die ver­botene SA-Parole “Alles für Deutsch­land” benutzt haben.

Don­sch weist die Vor­würfe zurück. Auf allen Kundge­bun­gen der AfD Barn­im, die er angemeldet habe, auch die 2018 in Bernau, seien zu keinem Zeit­punkt Vertreter der AfD und NPD gemein­sam als Red­ner aufge­treten. Es habe keine gemein­sam angemelde­ten oder organ­isierten Ver­anstal­tun­gen gegeben. Dass sich unter den Ver­samm­lung­steil­nehmern Mit­glieder oder Sym­pa­thisan­ten der NPD oder ander­er Parteien wie zum Beispiel der CDU befun­den haben kön­nten, könne er natür­lich nicht auss­chließen, so Donsch.

Zu dem anderen Vor­wurf teilt er mit: “In ein­er nicht-öffentlichen, inter­nen What­sApp-Nachricht schloss ich eine von mir ver­fasste Nachricht mit den Worten ‚Alles für Deutsch­land‘.” Den Inhalt dieser Aus­sage, sich mit aller Kraft für das Land einzuset­zen, finde er richtig. Don­sch betont, er habe nicht gewusst, dass “Alles für Deutsch­land” der Wahlspruch der Sturmabteilung im Drit­ten Reich war. Das habe er erst nach “inten­siv­er Google-Recherche” her­aus­ge­fun­den. “Mit mein­er Aus­sage wollte ich keineswegs wil­lentlich nation­al­sozial­is­tis­ches Vok­ab­u­lar ver­wen­den”, schreibt Donsch.

Er ver­weist zudem auf den AfD-Mann Ulrich Oehme aus Sach­sen, der den Spruch im Bun­destagswahlkampf auf Plakate druck­en ließ. “Er war so wie ich über­rascht, dass der Ver­fas­sungss­chutz diesen Spruch als ver­boten und extrem­istisch führt.” Laut Don­sch han­dele es sich um eine “gängige, an sich banale Aus­sage, die man in der AfD immer noch häu­fig hört”. Er ver­wende diesen Spruch aber nicht mehr.

Abspaltung auf Kreisebene

Don­sch gilt inner­halb der Partei als umstrit­ten. Als die Kreistags­frak­tion im Sep­tem­ber 2019 in zwei Teile zer­fiel, war er eine treibende Kraft. Auf der einen Seite stand plöt­zlich der Vor­sitzende Klaus-Peter Kulack mit fünf Mit­gliedern und auf der anderen die “AfD – Der Flügel” mit drei Mit­gliedern und Don­sch als Spitze. Später nan­nte man sich in “AfD – Die Kon­ser­v­a­tiv­en” um. Den­noch sym­pa­thisiert Don­sch offen mit dem vom Ver­fas­sungss­chutz als recht­sex­trem eingestuften und inzwis­chen aufgelösten AfD-“Flügel”.  Auf ein­er Demo im März in Bernau sagte er: “Der Flügel ste­ht nicht für Ras­sis­mus, er ste­ht dafür, dass in der AfD ein freier  Gedanke­naus­tausch besteht.”

Erst in den let­zten Wochen ist es ruhiger um Don­sch  gewor­den. Er fällt ver­stärkt mit Beschlussvor­la­gen auf. Ende Juni wün­schte er zudem allen Schülern in einem Post auf der Web­seite der Barn­imer AfD “erhol­same Sommerferien”.

Möglicher­weise passiert das nicht grund­los. Immer­hin gilt Don­sch als ambi­tion­iert.  Schon 2019 ver­suchte er, in den Land­tag einzuziehen – ohne Erfolg. Fol­gt 2023 ein neuer Anlauf? Aus­geschlossen scheint das nicht, auch wenn Don­sch fürs erste abwinkt. 2023 sei noch weit weg, betont er. Momen­tan liege sein Augen­merk auf dem Land­kreis Barnim.

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(Anti-)Rassismus Flucht & Migration

Bündnis „Wann wenn nicht jetzt“ trifft „Kiezkantine“

Das Ver­wal­tungs­gericht Frank­furt / Oder stellt fest: Men­schen mit Fluchter­fahrung müssen in Einzelz­im­mern unterge­bracht wer­den! Die Unter­bringung in Zwangs­ge­mein­schaften in Mehrbettz­im­mern ist nicht im Ein­klang mit der Coro­na-Umgangsverord­nung des Lan­des.“ schreibt das Aktions­bünd­nis für Sol­i­dar­ität und Men­schlichkeit „Offenes MOL“ in ein­er Pressemit­teilung von Anfang Juli.

Das Bünd­nis kämpft gegen die Unter­bringung von Migrant*innen und Geflüchteten in Sam­melun­terkün­ften in der Region – und darüber hin­aus. 2019 war es bere­its Teil ein­er größeren Aktion­srei­he gegen Ras­sis­mus, mit einem Fest der Vielfalt in Müncheberg. Unter dem Mot­to „Wann wenn nicht jet­zt: Sam­melun­terkün­fte auflösen!“ wird nun erneut zu bun­tem Protest und Begeg­nung aufgerufen. Neben Müncheberg sind unter anderem Grim­ma, Zwick­au und Neu­rup­pin dem Aufruf gefolgt.

Kiezkan­tine am 18. Juli am Thäl­manns, Müncheberg

Die Kiezkan­tine bringt geflüchtete Men­schen aus Sam­melun­terkün­ften und ihre Nachbar*innen zusam­men. Nach ein­er Covid-19-bed­ingten Pause wird nun wieder gekocht. Am 18. Juli ab 18 Uhr vor dem Café Thäl­manns in Müncheberg. Mit inter­na­tionalen Köstlichkeit­en, Musik, Film und viel Raum zum Aus­tausch zu den Forderun­gen des „Offe­nen MOL“, ihrer Unterstützer*innen und Freund*innen und den Gedanken und Anliegen der Nachbar*innen. Alle Inter­essierten sind her­zlich ein­ge­laden. Die Ver­anstal­tung findet
unter freiem Him­mel und unter Ein­hal­tung der Hygien­ebe­din­gun­gen statt.

Ort: Thäl­manns, Thäl­mannstr. 75, 15374 Müncheberg (Mark)
Zeit: 18. Juli ab 18 Uhr

Web­seite: www.offenesmol.net
Kontakt:offenes_mol@riseup.net
Der Aufruf in unter­schiedlichen Sprachen: https://www.facebook.com/events/2689085984705608/
Jed­er Men­sch, der in ein­er Zwangs­ge­mein­schaft in ein­er Gemein­schaf­tun­terkun­ft lebt, hat
einen Anspruch auf Einzelun­ter­bringung – und Bran­den­burg hat Platz.
Aktions­bünd­nis Offenes Märkisch-Oderland
https://www.offenesmol.net/

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(Anti-)Rassismus Bildung & Kultur

Jetzt Bildungsteilhabe von Geflüchteten sichern!

Geflüchtete Kinder und Jugendliche seien von den Beschränkun­gen während der Coro­n­akrise beson­ders hart getrof­fen wor­den, erk­lärten der Bun­des­fachver­band unbe­gleit­ete min­der­jährige Flüchtlinge (BumF) e.V., die Gew­erkschaft Erziehung und Wis­senschaft (GEW), die Lan­des­flüchtlingsräte und PRO ASYL am Fre­itag in Berlin. Mit Blick auf die schrit­tweise Wieder­auf­nahme des Regelun­ter­richts an Schulen fordern die Organ­i­sa­tio­nen von den Lan­desregierun­gen sofor­tige Maß­nah­men zur Unter­stützung von geflüchteten Schüler*innen, um ihre Bil­dung­steil­habe zu gewährleis­ten. Sie warn­ten davor, dass sich die ohne­hin beste­hen­den Bil­dung­sun­gerechtigkeit­en im Zuge der Coro­na-Pan­demie ver­schärften. Struk­turellen Benachteili­gun­gen müsse drin­gend ent­ge­gen­wirkt werden.

Den Kindern und Jugendlichen in Sam­melun­terkün­ften fehlten wesentliche Grund­vo­raus­set­zun­gen, um am dig­i­tal­en Fer­nun­ter­richt teilzunehmen und es gäbe keine ver­lässlichen Unter­stützungsstruk­turen, sagte GEW-Vor­sitzende Marlis Tepe. So etwa sei in den Unterkün­ften für Geflüchtete in der Regel kein WLAN im Wohn­bere­ich ver­füg­bar, Lap­tops oder Com­put­er und Druck­er seien sel­ten vorhan­den, Inter­netkontin­gente auf Handys nach weni­gen Tagen ver­braucht. Zudem lebten Fam­i­lien häu­fig auf eng­stem Raum, was Kindern und Jugendlichen das Ler­nen grund­sät­zlich erschwere. Angesichts pan­demiebe­d­ingt ver­schlossen­er Gemein­schafts­bere­iche existierten meist kein­er­lei Rück­zugsmöglichkeit­en mehr. Ehre­namtliche Unter­stützungsange­bote, wie z.B. zur Hausauf­gaben­hil­fe, wur­den stark eingeschränkt und Eltern seien wegen fehlen­der Deutsch-Ken­nt­nisse über­fordert, ihre Kinder beim Ler­nen zu unterstützen.

Auch unbe­gleit­ete Min­der­jährige und junge alle­in­ste­hende Volljährige in Jugend­hil­feein­rich­tun­gen lit­ten auf­grund der Coro­na-Beschränkun­gen ver­stärkt unter man­gel­nder Betreu­ung und Unter­stützung durch Ehre­namtliche. Ihnen fehlten in beson­derem Maße die sozialen Kon­tak­te außer­halb der Ein­rich­tun­gen – mit entsprechend neg­a­tiv­en Auswirkun­gen auf Lern­mo­ti­va­tion und ‑erfolge.

Vor diesem Hin­ter­grund mah­n­ten Lan­des­flüchtlingsräte, PRO ASYL, BumF e.V. und GEW die ver­ant­wortlichen Akteure in den Län­dern, schnell zu han­deln. Es gelte, sowohl die dig­i­tale Infra­struk­tur in den Unterkün­ften auszubauen als auch geeignete Lern­räume sowie mul­ti­pro­fes­sionelle Unter­stützungsange­bote zur Verbesserung der Bil­dung­steil­habe zu schaf­fen. „Bil­dung darf nicht warten“ – erin­nerte GEW-Vor­sitzende Tepe in diesem Zusam­men­hang. Es dürfe keine weit­ere Zeit ver­loren wer­den, um geflüchteten Schüler*innen den Anschluss im neuen Schul­jahr zu ermöglichen. Daher müssten in den Som­mer­fe­rien nicht nur eine adäquate tech­nis­che Ausstat­tung zur Ver­fü­gung gestellt und Vorkehrun­gen für einen eventuellen erneuten Lock­down getrof­fen wer­den. Eben­so wichtig seien zusät­zliche, außer­schulis­che Förder- und Ler­nange­bote, welche das dig­i­tale Ler­nen in Willkom­mens- oder Vor­bere­itungsklassen sowie den Über­gang in Regelk­lassen erleichtern.

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(Anti-)Rassismus Flucht & Migration Law & Order

Gericht stellt Anspruch auf Wohnraum mit alleiniger Nutzung von Küche und Bad außerhalb von Sammelunterkünften fest

Mit Beschluss vom 03. Juli 2020 verpflichtet das Ver­wal­tungs­gericht Pots­dam den Land­kreis Ober­hav­el die „Antrag­stel­lerin außer­halb ein­er Gemein­schaft­sun­terkun­ft in der Weise unterzubrin­gen, dass ihr min­destens ein Wohn­raum sowie eine Küche oder Kochgele­gen­heit und ein Bad zur alleini­gen Nutzung zur Ver­fü­gung ste­hen […].“ Die Antrag­stel­lerin hat­te ein indi­vidu­ell erhöht­es Risiko für einen schw­eren Krankheitsver­lauf im Falle ein­er Infek­tion mit Covid-19 nach­weisen kön­nen. Die Unter­bringung in der Sam­melun­terkun­ft in Hen­nigs­dorf birgt für sie daher eine erhe­bliche gesund­heitliche Gefährdung .

Das Ver­wal­tungs­gericht Frank­furt Oder hat in der ver­gan­genen Woche bere­its einen generellen Anspruch auf Einzelun­ter­bringung in Gemein­schaft­sun­terkün­ften fest­gestellt. Laut Beschluss des Gerichts stellt die Unter­bringung in Mehrbettz­im­mern durch eine mögliche Infizierung mit dem Coro­n­avirus für Betrof­fene ein Gesund­heit­srisiko dar.
Im Falle der Risikopa­ti­entin aus Hen­nigs­dorf geht das Gericht davon aus, „dass die Antrag­stel­lerin zwar in ihrem Einzelz­im­mer ein erhöht­es Infek­tion­srisiko durch Ein­hal­tung der Hygiene- und Ver­hal­tensregeln ver­mei­den kann. Dies gilt jedoch nicht für die Nutzung des San­itär­bere­ichs, der Küche und der Flure, welche die Antrag­stel­lerin benutzen muss, um von ihrem Zim­mer aus den San­itär­bere­ich oder die Küche zu erre­ichen oder die Gemein­schaft­sun­terkun­ft zu ver­lassen sowie den jew­eili­gen Weg zurück.“

Bere­its seit Aus­bruch der Coro­na-Pan­demie fordern zahlre­iche Organ­i­sa­tio­nen die Entzer­rung der Wohn­si­t­u­a­tion in den Sam­melun­terkün­ften, da ein aus­re­ichen­der Schutz vor dem Coro­n­avirus dort nicht gewährleis­tet wer­den kann1.
In etlichen Sam­melun­terkün­ften Bran­den­burgs ist es bere­its zu Infek­tio­nen mit Covid-19 gekom­men. Das bedeutet für die Betrof­fe­nen sehr lang­wierige und schw­er auszuhal­tende Quar­an­täne­maß­nah­men. Der Flüchtlingsrat Bran­den­burg fordert weit­er­hin die Auflö­sung der Zwangs­ge­mein­schaften in Mehrbettz­im­mern und Sam­melun­terkün­ften, um die akuten Infek­tion­srisiken zu beenden.

(Zitate aus dem Beschluss des Ver­wal­tungs­gerichts Pots­dam im Ver­fahren VG 8 L 444/20.A vom 03. Juli 2020)

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Arbeit & Soziales Law & Order Sonstiges Verschwörungsideologie

Die Krise des Kapitals in Zeiten der Pandemie

Die Ein­schränkun­gen des alltäglichen Lebens, der Ökonomie, let­ztlich aller zwis­chen­men­schlichen Beziehun­gen hat ein bish­er ein­ma­liges und ungekan­ntes Aus­maß angenom­men. Bed­ingt durch die Bedro­hung durch das neue Virus SARS-CoV­‑2 hat es einen glob­alen Shut­down gegeben, eine nahezu kom­plette Stil­l­le­gung aller Gesellschaften. In unter­schiedlichem nationalen Aus­maß star­ben hun­dert­tausende Men­schen. Die Fernse­hauf­nah­men aus Nordi­tal­ien, die zeigten, wie Mil­itär­laster Ver­stor­bene abtrans­portieren mussten, ste­hen bis heute sinnbildlich für die Gefahren dieser weltweit­en Pan­demie mit mit­tler­weile über fünf Mil­lio­nen diag­nos­tizierten Erkrank­ten (WHO, Stand: 24.05.2020, 02:00 CEST).Jede Gesellschaft würde unter diesen Bedin­gun­gen lei­den, doch gibt es spez­i­fis­che Fol­gen, die nur in waren­pro­duzieren­den Gesellschaften oder, anders gesagt, im Kap­i­tal­is­mus auftreten.

Diese gilt es hier näher zu beleucht­en und von den nicht-kap­i­tal­is­tis­chen Gesellschaften zu unter­schei­den. In kap­i­tal­is­tis­chen Gesellschaften pro­duzieren voneinan­der unab­hängige Privatproduzenten*innen für den Markt, während sie die bei ihnen beschäftigten Arbeiter*innen aus­beuten. Alle Waren, die sie pro­duzieren, müssen sich im Aus­tausch mit Geld erst als gesellschaftlich notwendig erweisen. Erst wenn sie wirk­lich verkauft wer­den, gilt die Arbeit, die ihre Her­stel­lung erforderte, als wertvoll. Das heißt: erst nach­dem die Dinge hergestellt wur­den, stellt sich her­aus, ob es für sie ein gesellschaftlich­es Bedürf­nis gibt- genauer gesagt- ein zahlungs­fähiges gesellschaftlich­es Bedürf­nis. Die Tren­nung eines Großteils der Men­schheit (Arbeiter*innen) von ihren Pro­duk­tion­s­mit­teln und der Besitz ebendieser von weni­gen (Kapitalist*innen) bedeutet für Erstere ihre Arbeit­skraft an Let­ztere zu verkaufen. Arbeiter*innen bekom­men aber nicht alle Arbeit  bezahlt, son­dern nur den Teil, den sie benöti­gen, um sich selb­st zu repro­duzieren (Leben­shal­tungskosten, Essen, Wohnen usw.). Dieser vari­iert zu jed­er Zeit und Gesellschaft. Pro­duziert wird über­haupt nur, wenn für Kapitalist*innen Aus­beu­tung möglich ist und sie sich einen Prof­it aneignen können.

Wenn dieses Sys­tem, dass schon in „nor­malen“ Zeit­en mit vie­len Ungerechtigkeit­en, Umweltzer­störung, Krieg und Elend ver­bun­den ist, nun in die Krise kommt, nimmt auch diese eine spez­i­fis­che Form an. Kön­nen oder dür­fen keine Waren pro­duziert und verkauft oder Dien­ste nicht ange­boten wer­den, wird die Pro­duk­tion eingestellt. Dies hat den Arbeit­splatzver­lust von Mil­lio­nen Men­schen zur Folge, die zu den vie­len Unbeschäftigten hinzukom­men, kein Geld mehr ver­di­enen und somit ihr täglich­es Über­leben nicht länger gewährleis­ten kön­nen. Auch wenn es in vie­len west­lichen Gesellschaften erkämpfte Sozial­sys­teme gibt, ste­hen diese längst nicht  allen zur Ver­fü­gun­gen und sind in den meis­ten Län­dern der Erde nicht vorhan­den. Klar, auch mit der Krise gibt es für alle genü­gend Essen, Woh­nun­gen, Autos usw., doch die Ver­fü­gungsmöglichkeit­en darüber wer­den für viele schla­gar­tig verklein­ert bzw. ver­schwinden. Dies ist spez­i­fisch für den Kap­i­tal­is­mus. In ein­er bedürfnisori­en­tierten Pro­duk­tion­sweise wür­den ein­fach alle weit­er ernährt und u.a. mit Wohn­raum und Nahrungsmit­teln ver­sorgt wer­den. Eine möglicher­weise entste­hende Knap­pheit (z.B. bei Desin­fek­tion­s­mit­teln, Masken, Klopa­pi­er, usw.) würde nicht bedeuten, ein­fach den Meistzahlen­den alles auszuhändi­gen, son­dern es den jew­eils Betrof­fe­nen zur Ver­fü­gung zu stellen.Da alle Län­der heute mit ihren Wirtschaft­sräu­men in ein­er Konkur­renz  zueinan­der ste­hen, schaf­fen sie Gren­zen gegeneinan­der oder wirtschaftliche Bin­nen­räume wie die EU. Doch auch dann gibt es EU-Außen­gren­zen. Men­schen, die ver­suchen auf­grund vielfältiger Gründe wie Krieg, Umweltzer­störung, schlechter Sozialver­hält­nisse oder Lebens­be­din­gun­gen, etc. aus einem Land in ein anderes zu fliehen, wer­den davon abge­hal­ten, wegges­per­rt oder in Lager ver­frachtet. Ger­ade in Zeit­en ein­er glob­alen Pan­demie zieht dies entsprechend hohe Infek­tion­srat­en nach sich, egal ob in Elend­slagern wie Moria oder dem Geflüchteten­heim nebe­nan. Viele Men­schen in enge Räum­lichkeit­en zu stopfen, ent­behrt spätestens jet­zt jeglich­er Ver­nun­ft. Doch nicht nur Geflüchtete sind von diesem Unsinn betrof­fen. So sind u.a. auch Arbeiter*innen, die sich in einem Schlacht­be­trieb bzw. den dazuge­höri­gen Wohn­heimen mit Coro­na infiziert haben, von dieser Fahrläs­sigkeit betroffen.

In manchem Kranken­haus scheint das Prof­it­streben und nicht ein unaus­ge­feil­ter Pan­demieplan für hohe Ansteck­ungsrat­en unter Patient*innen und Mitarbeiter*innen ver­ant­wortlich zu sein. Auch in ein­er nichtkap­i­tal­is­tis­chen Gesellschaft würde gear­beit­et wer­den, jedoch nicht unter sor­glos­er Gefährdung der Mitar­bei­t­en­den. Unter kap­i­tal­is­tis­chen Bedin­gun­gen, lässt sich all­ge­mein fes­thal­ten, spitzt sich auch eine Krise wie eine Pan­demie noch weit­er zu. Nicht die Abstand­sregeln oder die fehlende Kita-Betreu­ung wer­den auf Dauer den Aus­gang der Krise bes­tim­men. Fraglich bleibt eher wie lange noch ein Schutz von Risiko­grup­pen gegen ein Weg­brechen ökonomis­ch­er Poten­zen aufrecht erhal­ten wer­den kann. Schon kom­men vor allem Neolib­erale mit  ganz unter­schiedlichen Parteibüch­ern um die Ecke und stellen  wirtschaft­spoli­tis­che Erwä­gun­gen vor die Gesund­heit viel­er Mil­lio­nen Men­schen. Und dies obwohl nicht ein­mal gek­lärt ist, welche Spät­fol­gen Coro­na-Infek­tio­nen nach sich ziehen.

Und das dicke Ende kommt erst nach der Krise, da wer­den dann nach bekan­nter Manier die Unternehmer*innen durch mehr Aus­beu­tung, weniger Bezahlung oder Ent­las­sun­gen ihrer Angestell­ten ver­suchen ihre Ver­luste wieder auszu­gle­ichen. Weit­er­hin wird der Staat genau da den Rot­s­tift anset­zen, wo es am nötig­sten ist. Der Staat wird ‑wie gewohnt- in der Jugend­hil­fe sparen, bei sozialen und kul­turellen Ein­rich­tun­gen das Bud­get kürzen und am Ende wer­den von der Krise, die Men­schen am meis­tens getrof­fen sein, welche es schon davor waren.

Auch die sich im Augen­blick ins Astronomis­che ver­schulden­den Staat­en wer­den dann ten­den­ziell für die weniger Vergüteten die Steuern erhöhen. Die Maß­nah­men gegen die Pademie müssen im Auge behal­ten wer­den. Die bish­er in Deutsch­land zweifel­los erfol­gre­iche Bekämp­fung der Pan­demie muss per­ma­nent neu in Frage gestellt und disku­tiert wer­den. Die Aus­set­zung und Beschnei­dung der Bewe­gungs- und Ver­samm­lungs­frei­heit darf nicht zum Selb­stzweck wer­den, unter Wahrung von Abstands- und Hygien­eregeln muss öffentliche Mei­n­ungsäußerung unbe­d­ingt erlaubt sein. Nicht wenige Regierun­gen wer­den die Pan­demie auch nutzen, um oppo­si­tionelle Grup­pen zu krim­i­nal­isieren. Autoritäre Maß­nah­men, die im Zusam­men­hang mit der Pan­demie ver­hängt wer­den, wer­den wahrschein­lich auch danach noch beste­hen. Dem kön­nen wir nur mit Sol­i­dar­ität und Entschlossen­heit begeg­nen. Nicht Repres­sion und Überwachung sind geeignete Maß­nah­men zur Pan­demiebekämp­fung. In ein­er befre­it­en Gesellschaft würde nach den Bedürfnis­sen der Men­schen pro­duziert und Ver­hält­nisse geschaf­fen, in denen Men­schen Abstand­sregelun­gen ein­hal­ten kön­nen und deren Bedürfnis­be­friedi­gung pri­or­itär ist. Der Kap­i­tal­is­mus ist nicht das Ende der Geschichte, auch ger­ade das zeigt diese Krise!

Inforiot