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(Anti-)Rassismus

Ein Jahr Barnimer Bürger*innenasyl

Vor einem Jahr, am 15. Feb­ru­ar 2019, sind wir als Barn­imer Bürger*innenasyl an die Öffentlichkeit gegan­gen. Unser Anliegen: Abschiebun­gen und die Angst davor verur­sachen sehr viel Leid bei den Betrof­fe­nen, und es ist möglich, aktiv zu wer­den, um Abschiebun­gen zu verhindern!

In diesem ersten Jahr kon­nten wir 19 dro­hende Abschiebun­gen ver­hin­dern. Wir haben den betrof­fe­nen Men­schen sicheren Wohn­raum zur Ver­fü­gung gestellt. Die Men­schen waren aus Eritrea, Sudan, Soma­lia, Libyen, Tschetsche­nien, dem Iran und dem Tschad. Sie kon­nten so wieder ohne Angst schlafen. Die meis­ten von ihnen haben inzwis­chen ihre Dublin-Zeit über­standen, ihre Anträge auf Asyl wer­den nun in Deutsch­land bear­beit­en (auf Grund der Dublin-Verord­nung wer­den Men­schen in das Land, in dem sie zum ersten Mal in Europa reg­istri­ert wur­den, abgeschoben – ungeachtet
der dor­ti­gen teil­weise katas­trophalen (Über-)Lebensbedingungen). Bei anderen Geflüchteten ist die Lage kom­pliziert­er, hier suchen wir zusam­men mit kom­pe­ten­ten Rechtsanwält*innen nach Lösun­gen, um eine Bleibeper­spek­tive in Deutsch­land jen­seits des Bürger*innenasyls zu ermöglichen. Dass wir mit unser­er Arbeit Men­schen sehr direkt unter­stützen kön­nen, ist eine große Moti­va­tion – wir wer­den weitermachen!

Lei­der erre­ichen wir nicht alle von Abschiebung bedro­ht­en Men­schen im Barn­im. Nach wie vor kommt es hier zu Abschiebun­gen. Neu ist, dass die Abschiebun­gen nicht mehr nur von den Mitarbeiter*innen der Barn­imer Aus­län­der­be­hörde durchge­führt wer­den. Der Regelfall scheint es nun zu sein, dass immer auch die Lan­despolizei dabei ist, wenn die Men­schen mit­ten in der Nacht aus ihren Unterkün­ften und Woh­nun­gen geholt wer­den. In Eber­swalde hat sich die Polizei in einem Fall sog­ar in Gebüschen ver­steckt, um einen in der Nacht heimkehren­den Geflüchteten zu
über­raschen. Genaue Zahlen darüber, wie viele Men­schen aus dem Barn­im abgeschoben wur­den, liegen uns bish­er nicht vor. In Bran­den­burg waren es im Jahr 2019 (bis 30. Novem­ber) 129 Dublin-Abschiebun­gen und 172 Abschiebun­gen ins Herkunftsland.

Für unsere Arbeit ist es wichtig uns zu ver­net­zen. Wir arbeit­en auch über die Kreis­gren­zen hin­aus mit Men­schen zusam­men, die sich für eine men­schliche und sol­i­darische Gesellschaft ein­set­zen: Geflüchtete die sich selb­st organ­isieren, um für ihre Rechte einzutreten, Men­schen die sich in ihren Kirchge­mein­den um das Kirchenasyl küm­mern, Engagierte aus den örtlichen Ini­tia­tiv­en, die Geflüchtete bei ihrem Ankom­men in ihren Dör­fern und Städten unterstützen.

Wir freuen uns nach wie vor über Spenden, Mitstreiter*innen und Men­schen, die uns Wohn­raum zur Ver­fü­gung stellen wollen. Mehr Infos unter https://www.b‑asyl-barnim.de/

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(Anti-)Rassismus Antifaschismus Bildung & Kultur

WO KOMMWA DENN DA HIN?

Normalisierung rechtsradikaler Politik

Diskus­sionsver­anstal­tung
Fre­itag, 24. Jan­u­ar 2020 — 18:00

Völkisch­er Nation­al­is­mus. Ver­schwörungs­the­o­rien. Ras­sis­mus. Faschis­tis­che Gedanken­wel­ten. Kon­struk­te und Ideen jen­seits des demokratis­chen Kon­sens hal­ten Neue und Alte Rechte nach Innen zusam­men. Nach Außen gibt sie sich bürg­er­lich und kon­ser­v­a­tiv, sie ist in unseren Par­la­menten angekom­men inklu­sive recht­sradikaler Gesin­nung und Verbindun­gen in die Szene. Doch man präsen­tiert sich gern harm­los, ist bemüht, koali­tions­fähig aufzutreten und Wähler*innen außer­halb des recht­en Spek­trums zu gewin­nen. In den let­zten Jahren sind recht­sradikale Posi­tio­nen weit in unsere poli­tis­chen und gesellschaftlichen Diskurse hereingerückt und die Zivilge­sellschaft gerät zunehmend unter Druck.

Nicht zulet­zt hier in Bran­den­burg bekom­men wir dies zu spüren: Christoph Berndt, Grün­der des flüchtlings­feindlichen Vere­ins “Zukun­ft Heimat”, ringt um den Vor­sitz des Bran­den­burg­er Kul­tur­auss­chuss­es. Dessen Parteifre­unde der­weil wer­den nicht müde, gemein­nützige Akteur*innen juris­tisch und öffentlich anzuge­hen. Wo die bürg­er­liche Anschlussfähigkeit an ihre Gren­zen stößt, hil­ft man sich mit Dro­hge­bär­den. Darunter fall­en die Dele­git­imierung von För­der­mit­teln oder der Vor­wurf der Parteilichkeit gegenüber poli­tisch missliebi­gen zivilge­sellschaftlichen Akteur*innen.

Diese Entwick­lun­gen kom­men nicht von unge­fähr, son­dern sind Ergeb­nis und Teil von (neu-) recht­en Strategien.

Wie sehen diese Strate­gien aus? Wo kom­men sie her? Wie kön­nen wir Nor­mal­isierung ver­ste­hen? Wie macht sie sich bemerk­bar und wie machen wir sie sicht­bar? Was kön­nen wir also tun, um ihr entgegenzuwirken?

Es disku­tieren

Andreas Kem­per (Sozi­ologe, Pub­lizist, Rechtsextremismusexperte)

Frauke Büt­tner (Geschäfts­führerin des Aktions­bünd­nis Bran­den­burg gegen Gewalt, Recht­sex­trem­is­mus und Fremdenfeindlichkeit)

Fer­at Kocak (Aktivist und Antifaschist, Betrof­fen­er von rechtem Terror)

Mod­er­a­tion: Mobiles Beratung­steam (Bran­den­bur­gis­ches Insti­tut für Gemeinwesenberatung)

Es han­delt sich um eine Koop­er­a­tionsver­anstal­tung der Ini­tia­tive “Kein Forum für rechte Kad­er” und dem VVN — BdA Bran­den­burg. Es unter­stützen uns außer­dem die   Lan­deshaupt­stadt Pots­dam und der All­ge­meine Studieren­de­nauss­chuss der Uni­ver­sität Potsdam.

~Wichtiger Hin­weis~
Die Ver­anstal­tenden behal­ten sich vor, von ihrem Haus­recht Gebrauch zu machen und Per­so­n­en, die durch demokratie– und men­schen­feindliche Äußerun­gen oder Hand­lun­gen in Erschei­n­ung getreten sind, den Zutritt zu unseren Ver­anstal­tun­gen zu ver­wehren oder sie von diesen auszuschließen. Hierzu zählen ins­beson­dere Per­so­n­en, die neon­azis­tis­chen oder extrem recht­en oder son­st extrem­istis­chen Parteien oder Organ­i­sa­tio­nen ange­hören, der extrem recht­en Szene zuzuord­nen sind oder bere­its in der Ver­gan­gen­heit durch ras­sis­tis­che, nation­al­is­tis­che, anti­semi­tis­che, sex­is­tis­che, homo­sex­uellen- oder trans­feindliche Äußerun­gen oder Hand­lun­gen in Erschei­n­ung getreten sind.

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(Anti-)Rassismus Flucht & Migration Law & Order

Der Tod der Rita O.

Als der Name Rita fällt, schließt die Frau lieber die Tür. Sie will keinen Ärg­er. Deshalb soll sie hier auch nicht näher beschrieben wer­den, nur so viel: Sie lebt im sel­ben Heim, in dem auch Rita lebte; ein paar Zim­mer weit­er. Sie war eine ihrer Fre­undin­nen. Rita, sagt die Frau, war ein guter Men­sch. Eine für­sor­gliche Mut­ter, ver­ant­wor­tungs­be­wusst, nur manch­mal etwas dis­tanziert. Aber defin­i­tiv nie­mand, der ein­fach so verschwindet.

Rita Awour Ojungé kam 2012 aus Kenia nach Deutsch­land. Eine Zeit lang arbeit­et sie als Au-pair. Mit einem Kameruner bekommt sie zwei Söhne, heute zwei und vier Jahre alt. Dann wird ihr Asy­lantrag abgelehnt, man ver­legt sie in ein Heim in der tief­sten Bran­den­bur­gis­chen Provinz.

Am 7. April 2019, einem Son­ntag, ver­schwindet Ojungé aus dem Heim. Sie ist 32 Jahre alt.

Mehr als zwei Monate später find­et man ihre Leiche, zer­stück­elt und von Brand­spuren geze­ich­net, 300 Meter von dem Heim ent­fer­nt im Wald.

Zur bre­it­en Öffentlichkeit dringt der Fall zunächst kaum durch. Dass er es über­haupt in über­re­gionale Medi­en schafft, ist dem Appell ver­schieden­er Migrantenor­gan­i­sa­tio­nen zu ver­danken. Es ste­ht ein Ver­dacht im Raum: Wurde nicht richtig ermit­telt, weil Rita “nur” eine Geflüchtete war?

Über zwei Wochen verge­hen, bis die Polizei eine Such­mel­dung her­aus­gibt. Weit­ere zwei Wochen, bis die Beamten nicht von einem Ver­mis­sten­fall, son­dern von ein­er Straftat aus­ge­hen – und das auch erst, nach­dem sich der Vater von Ojungés Kindern an einen Hil­fsvere­in wen­det, der die Staat­san­waltschaft einschaltet.

Am 12. Juni, mehr als zwei Monate nach Ojungés Ver­schwinden, startet die Polizei schließlich eine große Suchak­tion in den umliegen­den Wäldern. Sie find­et die Leiche ein­er Frau. Am 25. Juni wird diese offiziell als Ojungés Über­reste iden­ti­fiziert. Der Tagesspiegel berichtet über den Fall, die taz auch.

Bis heute, acht Monate nach Ritas Ver­schwinden, ist nie­mand ver­haftet wor­den. Viele Fra­gen bleiben offen.

Ange­hörige, Migrantenor­gan­i­sa­tio­nen und Men­schen, die in den Fall involviert sind, kri­tisieren die lange Ver­fahrens­dauer, man­gel­nde Trans­parenz, vor allem aber die nur langsam voran­schre­i­t­en­den Ermit­tlun­gen. Polizei und Staat­san­waltschaft hinge­gen weisen die Vor­würfe, nicht richtig zu ermit­teln, weit von sich.

Doch die Geschichte der Rita Ojungé wirft nicht nur die Frage auf, ob die Behör­den mit zweier­lei Maß messen. Son­dern auch, ob es über­haupt so weit hätte kom­men müssen. Ob Heim­leitung und der zuständi­ge Land­kreis die War­nun­gen der Bewohn­er ernst genug genom­men haben.

Ein heißer Sep­tem­bertag. Das Asyl­be­wer­ber­heim Hohen­leip­isch ist auf einem ehe­ma­li­gen Kaser­nen­gelände unterge­bracht, gut zwei Kilo­me­ter vom Zen­trum der 2.000-Einwohnergemeinde ent­fer­nt. Es gibt einen Bus, der bis vor kurzem nur mon­tags bis fre­itags alle zwei Stun­den und am Woch­enende gar nicht fuhr. Inzwis­chen fährt er zumin­d­est die ganze Woche durch.

Wer die Ein­gangsp­forte passiert, gelangt auf ein weitläu­figes Are­al, läuft über Gras und aufge­platzte Beton­plat­ten. “Dschun­gel” nen­nen die Bewohn­er diesen Ort, oder “Busch”, viele auch ein “offenes Gefäng­nis”. Weil sie sich beim Betreten ein- und abmelden müssen, Besuch­er ihren Ausweis vorzeigen und das Gelände gegen 22 Uhr ver­lassen müssen.

Offiziell leben 97 Men­schen hier, fast alle ohne Bleibeper­spek­tive. Afgha­nen sind dabei, Inder, Men­schen aus Ghana und der Elfen­beinküste. Sie dür­fen wed­er arbeit­en noch einen Sprachkurs absolvieren. Einige nicht ein­mal den Land­kreis ver­lassen. Es gibt Men­schen, die leben seit über zehn Jahren hier.

In ein­er der beigen Bar­rack­en sitzt die Frau, die sagt, sie sei Ojungés Fre­undin gewe­sen, auf ihrem Bett; ihr Name soll in dieser Geschichte Lydia Dim­ka sein. In einem Regal ste­hen eine Pfanne mit Nudel­resten, daneben Salz, Olivenöl. Es gibt nur eine Gemein­schaft­sküche im Trakt, sie muss die Dinge in ihrem Zim­mer lagern. Es riecht abge­s­tanden, modrig.

Am Sam­stag, den 6. April, erzählt Dim­ka, habe sie sich eine Bürste von Ojungé geborgt.

Am Son­ntag habe sie Ojungé nicht gesehen.

Am Mon­tag wollte sie die Bürste zurück­geben, traf aber nur Ojungés Nach­barn an. Er spielt eine bedeu­tende Rolle in der Geschichte. Ojungé sei nicht da, habe er ihr erzählt. Sie sei kurz einkaufen.

Dem Vater der zwei Kinder, dem Kameruner, er lebt in Berlin, erzählt der­selbe Nach­bar später, Ojungé sei an jen­em Son­ntag nach Berlin gefahren. Und habe ihm aufge­tra­gen, auf die Kinder aufzu­passen. Was ungewöhn­lich ist: Zu dieser Zeit fuhr doch son­ntags noch kein Bus. Und Ojungé sei, so berichtet es Dim­ka, die Strecke bis zum näch­sten Bahn­hof eigentlich nie zu Fuß gelaufen.

Als Dim­ka von den unter­schiedlichen Geschicht­en erfährt, wird sie skep­tisch. Ojungé hat­te nicht nur – was ungewöhn­lich für sie war – ihre Kinder zurück­ge­lassen. Sie hat­te auch wed­er Bankkarte noch eine Tasche mitgenommen.

Es musste etwas passiert sein.

Die Polizei hat den Fall viel zu lange als Vermisstenfall behandelt”

Am Dien­stag kommt der Vater von Ojungés Kindern laut Presse­bericht­en nach Hohen­leip­isch, um bei den Jun­gen zu sein. Er bezieht ein Zim­mer im Heim, gibt eine Ver­mis­sten­mel­dung bei der Polizei auf. Und gibt dabei an, er glaube, der Nach­bar habe etwas mit Ojungés Ver­schwinden zu tun.

Am 16. April durch­suchen Polizis­ten mit Spürhun­den erst­mals die Zim­mer des Heims, ergeb­nis­los. Sie hät­ten sich dabei auf das Gelände beschränkt, bericht­en Anwohn­er, den angren­zen­den Wald hät­ten sie nicht durch­sucht. Der ermit­tel­nde Ober­staat­san­walt Ger­not Bantleon wider­spricht dem später.

Fakt ist: Der abge­suchte Radius ist zu eng gesteckt, Ojungé bleibt verschwunden.

Als es Ende April immer noch keine Spur von ihr gibt, wen­det sich der Vater von Ojungés Kindern an den Vere­in Opfer­per­spek­tive, eine Ini­tia­tive, die sich um Opfer rechter Gewalt in Bran­den­burg küm­mert. Der Vere­in appel­liert an die Polizei, die Ermit­tlun­gen zu inten­sivieren. Dabei erfahren die Mitar­beit­er, dass die Polizei den Fall als Ver­mis­sten­fall führt, nicht als mögliche Straftat. Die Ini­tia­tive stellt daraufhin Strafanzeige bei der Staat­san­waltschaft Cottbus.

Der Oberstaatsanwalt weist die Behauptung von sich

Mar­tin Vese­ly arbeit­et für die Opfer­per­spek­tive, er hat den Vater von Ojungés Söh­nen betreut. “Die Polizei hat den Fall viel zu lange als Ver­mis­sten­fall behan­delt”, sagt er. “Die Beamten hat­ten augen­schein­lich kein Inter­esse daran, den Din­gen wirk­lich auf den Grund zu gehen.”

Die Ini­tia­tive schal­tet eine Anwältin ein, Christi­na Clemm. Sie habe Polizei und Staat­san­waltschaft mehrfach kon­tak­tiert, sagt Clemm. Dabei hät­ten ihr die Beamten gesagt, dass man ger­ade in einem Fall organ­isiert­er Krim­i­nal­ität ermit­tle. Und keine freien Kapaz­itäten mehr habe. “Man kann sich gut aus­malen, welche Maß­nah­men ergrif­f­en wor­den wären”, sagt Clemm, “wenn die Frau eine weiße Deutsche gewe­sen wäre, die ihre Kinder zurück­ge­lassen hat – und keine geflüchtete Frau aus Afrika.”

Es ist die Frage, die über allem schwebt: Han­del­ten die Behör­den etwa aus ras­sis­tis­chen Motiv­en nachlässig?

Ober­staat­san­walt Bantleon weist die Behaup­tung von sich; spricht von einem “ganz nor­malen Prozedere”, das bei Afrikan­ern genau­so gelte wie bei Deutschen.

Bleibt die Frage, warum die Beamten an jen­em 16. April nur das umliegende Are­al durch­sucht­en – nicht aber den Bere­ich weit­er außen, jenen Teil, in dem man später Teile von Ojungés Über­resten fand. Immer­hin liegt der nur 300 Meter vom Heim entfernt.

Eine aufwendi­ge Suche muss organ­isiert und geplant wer­den”, sagt Bantleon. Dazu brauche es mehr Polizis­ten und Hunde, als auf Anhieb zur Ver­fü­gung stün­den. Er nen­nt es eine Frage der Per­son­alpoli­tik. “Wir sprechen hier vom südlichen Bran­den­burg, einem dünn besiedel­ten Gebi­et. Da kann nicht jed­er Polizeiposten mit 100 Mann beset­zt sein.”

Ein neuer Zeuge rückt in den Fokus: Ojungés vierjähriger Sohn

Doch schon kurz nach der ersten Suchak­tion mehren sich die Anhalt­spunk­te, dass es sich um mehr als einen Ver­mis­sten­fall han­delt. Denn durch Inter­ven­tion der Opfer­per­spek­tive rückt ein neuer Zeuge in den Fokus: Ojungés vier­jähriger Sohn. Er sagt aus, er habe gese­hen, wie der Nach­bar seine Mut­ter an jen­em 7. April geschla­gen und ver­schleppt habe. Ein Beamter befragt den Jun­gen dazu. Allerd­ings kein­er, der in der Befra­gung von Kindern geschult ist. Was erneut zu Ver­w­er­fun­gen führt.

Der Junge sei nicht fachgerecht ver­hört wor­den, heißt es später seit­ens der Opferperspektive.
Die Aus­sagen des Jun­gen seien nicht ein­deutig gewe­sen, seit­ens der Polizei. Man habe beispiel­sweise keine Blut­spuren im Zim­mer gefun­den. Ein Haft­be­fehl wird nicht erlassen.

Spricht man mit Heim­be­wohn­ern und Men­schen aus Ojungés Umfeld, teilen viele den Ein­druck des Jun­gen: Der Nach­bar habe etwas mit der Tat zu tun. Ein Mann Anfang 30, der liebevoll zu Kindern war und im näch­sten Moment auf­brausend wer­den konnte.

Der Mann bleibt ein Mys­teri­um. Mit sein­er Herkun­ft geht es los: Die Polizei spricht zunächst von einem Nige­ri­an­er; der Land­kreis sagt, der Mann komme aus dem Tschad; Ober­staat­san­walt Bantleon sagt, es han­dle sich um einen Kenianer.

Plötzlich gibt es einen Anfangsverdacht

Ein Bewohn­er des Heims in Hohen­leip­isch – auch er möchte unerkan­nt bleiben – beschreibt den Nach­barn als abweisend. Als jeman­den, der einem nicht in die Augen sah, der meist in seinem Zim­mer blieb. Und unter Leuten oft in Schlägereien geri­et. Er zeigt ein Foto des Nach­barn: weißes Unter­hemd, die Haare an den Seit­en kurz, die Dreads zum Zopf gebun­den; er wirkt in sich gekehrt.

Der Nach­bar sei unberechen­bar gewe­sen, sagt auch Lydia Dim­ka, Rita Ojungés Fre­undin. Man wusste nie, woran man bei ihm war. In der Zeit nach dem Fund der Leiche habe er viel getrunk­en und manch­mal, nachts, laut geschrien und geweint. Mitunter habe er Ojungé dann um Verge­bung gebeten. Auch sie habe bei der polizeilichen Vernehmung gesagt, sie glaube, dass er der Täter sei.

Der zuständi­ge Ober­staat­san­walt Ger­not Bantleon sagt im Sep­tem­ber, der Mann sei ver­nom­men wor­den und bestre­ite die Tat. “Aus der Vernehmung haben wir keine Erken­nt­nisse gewin­nen kön­nen.” Es gebe mehrere Per­so­n­en, die die Möglichkeit hat­ten, die Frau zu töten. Weit­er wolle er sich nicht äußern.

Im Dezem­ber klingt das schon etwas anders. Bantleon spricht nun von einem Anfangsver­dacht gegen den Mann. Welche neuen Erken­nt­nisse dazu führten, wolle er nicht sagen. Die Anhalt­spunk­te wären jedoch immer noch nicht aus­re­ichend für einen hin­re­ichen­den oder gar drin­gen­den Tatver­dacht – und damit auch nicht stark genug, um Haft­be­fehl zu erlassen.

Ojungé hatte sich bereits über den Nachbarn beschwert

Ojungé und der Nach­bar hat­ten eine Vorgeschichte. Ojungé habe sich, so bericht­en es Heim­be­wohn­er und Mar­tin Vese­ly von der Opfer­per­spek­tive, min­destens zwei Mal über den Nach­barn bei der Heim­leitung beschw­ert. Lydia Dim­ka sagt, Ojungé habe dabei expliz­it die Ver­legung des Mannes gefordert, habe gesagt, sie füh­le sich von ihm bedro­ht. Der Land­kreis Elbe-Elster, für die Unter­bringung der Asyl­be­wer­ber zuständig, bestre­it­et das und beruft sich dabei auf die Heimleitung.

Dabei ist unklar, ob der Nach­bar über­haupt im Zim­mer neben ihr hätte leben dür­fen. Das Schutzkonzept des Heimes sieht eigentlich die getren­nte Unter­bringung von Fam­i­lien und allein­reisenden Män­nern vor. Roland Neu­mann, zuständi­ger Dez­er­nent des Elbe-Elster-Kreis­es, sagt dazu, der Nach­bar sei Ojungés Lebens­ge­fährte gewe­sen, die Rede ist von ein­er “eheähn­lichen Gemein­schaft”, er sei im Ein­ver­ständ­nis bei­der, also auch Ojungés, umgezogen.

Es gibt Men­schen, die sagen, Ojungé und der Nach­bar hät­ten eine Beziehung geführt. Sie habe das Ver­hält­nis been­den wollen, er aber habe sich geweigert. Von Eifer­sucht ist die Rede.

Fakt ist: Es kommt monate­lang zu kein­er Ver­legung. Der Nach­bar lebt nach Ojungés Ver­schwinden weit­er­hin im Heim. Der Vater von Ojungés Kindern, der ihn für den Täter hält, muss neben ihm leben. Eben­so die zwei Kinder, wovon eines aus­ge­sagt hat, es habe gese­hen, wie der Mann seine Mut­ter geschla­gen und weggez­er­rt hat. Im Mai wird der Nach­bar zwar in einen anderen Trakt, den für allein­reisende Män­ner, ver­legt, auf Wun­sch des Vaters von Ojungés Kindern und um “Kon­flik­t­si­t­u­a­tio­nen zwis­chen den Män­nern zu ver­mei­den”, wie es beim Land­kreis heißt. Er bleibt aber auf dem Gelände, wird nicht in ein anderes Heim ver­legt. Wed­er die Polizei noch das eingeschal­tete Jugen­damt haben Bedenken.

Erst als Ojungés Leiche iden­ti­fiziert ist, am 25. Juni, kommt die Polizei vorge­fahren. Zehn Minuten geben sie dem Nach­barn, um seine Sachen zu pack­en, so berichtet es Lydia Dim­ka. Dann brin­gen sie ihn in ein anderes Heim. Die Ver­legung sei in “Abstim­mung mit Polizei, Aus­län­der­be­hörde und dem Stab Asyl” erfol­gt, heißt es seit­ens des Land­kreis­es, um “aufk­om­menden Span­nun­gen und Ver­mu­tun­gen zu begeg­nen”. Nur hat­te es die nach Aus­sagen der Bewohn­er da schon längst gegeben.

Das verdeut­licht auch ein ander­er Umstand: Noch vor der Ver­legung des Nach­barn, so berichtet es Mar­tin Vese­ly von der Opfer­per­spek­tive, wurde der Vater von Ojungés Kindern von der Polizei kon­tak­tiert. Ihm wurde ein Doku­ment vorgelegt, das ihn warnte, gegen den Nach­barn vorzuge­hen. Eine Gefährder­ansprache. Bei der Polizei war man sich der Span­nun­gen also dur­chaus bewusst.

Unter Umstän­den wäre es auch möglich gewe­sen, einige der Bewohn­er zu ver­legen. Etwa Fam­i­lien mit Kindern.

Das Lan­desauf­nah­mege­setz sieht grund­sät­zlich vor, dass Men­schen, die beson­ders schutzbedürftig sind, in Aus­nah­me­fällen aus Gemein­schaft­sun­terkün­ften ver­legt und auch in Woh­nun­gen unterge­bracht wer­den kön­nen. Das Heim in Hohen­leip­isch aber entspreche allen Anforderun­gen, heißt beim Land­kreis, auch denen beson­ders schutzbedürftiger Menschen.

Bei der Betreiber­fir­ma des Heims, der Human-Care GmbH, klingt das ähn­lich. Der Tagesspiegel zitiert die Geschäfts­führerin mit den Worten, die Unterkun­ft liege zwar im Wald, aber das sei ja nicht schlimm; viele Men­schen wür­den schließlich gern in den Wald ziehen. Eine Inter­viewan­frage von ZEIT ONLINE wird abgelehnt mit der Begrün­dung, der Reporter habe sich “unbefugt und verdeckt” auf dem Gelände aufge­hal­ten. (Was nicht stimmt, die Per­son­al­dat­en wur­den am Ein­gang aufgenom­men, als der Reporter bei ein­er Bewohner­in zu Gast war.)

Die Ermittlungen würden noch Zeit in Anspruch nehmen. “Viel Zeit.”

Wenn Lydia Dim­ka, Rita Ojungés Fre­undin, ihr Leben in dem Heim beschreiben soll, spricht sie vor allem von Angst. Angst, ihre Kinder draußen spie­len zu lassen, begin­nt doch direkt vor der Pforte der Wald. Angst vor ras­sis­tis­chen Über­grif­f­en; erst im Mai hat­te ein Unbekan­nter Über­reste eines Schweins vor das Heim gelegt.

Angst aber auch, nachts im Heim zur Toi­lette zu gehen, einem Raum, der sich nur ein paar Türen weit­er, am Ende des Ganges, befind­et. Viele Frauen wür­den lieber einen Eimer benutzen, sagt Dim­ka. Andere wür­den Nach­barn bit­ten, aufzu­passen, wenn sie gehen. Die Angst sei schon immer da gewe­sen. Das Ver­schwinden von Rita Ojungé aber habe sie noch verstärkt.

Mitte Juli veröf­fentlicht­en die Bewohn­er einen offe­nen Brief. Sie sprachen von Iso­la­tion, von fehlen­den Freizeit­möglichkeit­en, von dreck­i­gen Gebäu­den und Kak­er­lak­en. Und forderten, unter­stützt vom Flüchtlingsrat Bran­den­burg, ihre Ver­legung. Vergebens. 2011 hat­te es schon ein­mal Demon­stra­tio­nen zur Schließung des Heimes gegeben. Auch damals erfolglos.

Eine Schließung ist nicht in Sicht

Der Ver­trag für das Heim läuft zum Ende des Jahres aus, Human-Care hat sich erneut bewor­ben; der Land­kreis hat sich aber für einen anderen Betreiber, die Inter­na­tionaler Bund Berlin-Bran­den­burg gGmbH, entsch­ieden. Eine Schließung ist vor­erst nicht in Sicht.

Eine Bewohner­in sagt: “Für den Land­kreis ist das Heim ide­al, man kann die Men­schen hier so lange zer­mür­ben, bis sie von sich aus aufgeben. Und vielle­icht zurück in ihre Heimat gehen.”

Ob es aber einen Zusam­men­hang gibt zwis­chen den Zustän­den im Heim, den fehlen­den Per­spek­tiv­en der Bewohn­er und dem Mord an Rita Ojungé, ist schw­er zu sagen. Mar­tin Vese­ly von der Opfer­per­spek­tive sagt: “Es gibt keine zwin­gende lin­eare Abfolge von den Zustän­den im Heim zum Mord. Und doch spielt die Unter­bringung trau­ma­tisiert­er Men­schen auf diese Art natür­lich mit hinein.”

Am 14. Dezem­ber, einem ver­reg­neten Sam­stag, wird Rita Ojungé schließlich in Berlin beerdigt. Etwa 60 Men­schen kom­men in der kleinen Kapelle der St. Hed­wigs-Gemeinde zusam­men, die meis­ten aus der keni­an­is­chen Exil-Com­mu­ni­ty. “Wir wis­sen bis heute nicht, was mit Rita passiert ist”, sagt Ojungés Cou­sine, die die Trauer­feier organ­isiert hat, am Ende ihrer Ansprache. “Das macht es so schw­er, Abschied von ihr zu nehmen.” Ojungés Mut­ter, sie lebt in Kenia, ist nicht erschienen. Es ist zu viel für sie.

Ein neues Gerücht

Denn auch der Beerdi­gung gehen Ungereimtheit­en voraus: Die Staat­san­waltschaft sagte noch im Som­mer, sie gebe den Kör­p­er frei. Ver­schiedene Hil­f­sor­gan­i­sa­tio­nen und Ver­wandte Ojungés sam­meln daraufhin Geld, um die Mut­ter aus Kenia zur Beerdi­gung einzu­fliegen. Sie lan­dete Ende August. Doch dann erk­lärte die Staat­san­waltschaft, die Unter­suchung würde sich länger ziehen als gedacht, der Kör­p­er könne doch nicht freigegeben wer­den. Das Visum der Mut­ter lief aus, sie musste wieder in die Heimat zurück. Erst im Novem­ber gibt die Staat­san­waltschaft die Leiche frei; nach fünf Monat­en in der Gerichtsmedi­zin. Eine lange Zeit.

Unter den Bewohn­ern in Hohen­leip­isch kur­siert der­weil das Gerücht, Ojungés ehe­ma­liger Nach­bar, der Mann gegen den nun ein Anfangsver­dacht beste­ht, sei inzwis­chen unter­ge­taucht. Beim zuständi­gen Land­kreis heißt es dazu nur, man habe ihn der anderen Unterkun­ft zugewiesen. “Eine tägliche Aufen­thalt­spflicht ist damit nicht verbunden.”

Der ermit­tel­nde Ober­staat­san­walt Ger­not Bantleon sagt, er könne den Mann derzeit nicht fes­t­nehmen, dazu fehlten Anhalt­spunk­te. Und dass die Ermit­tlun­gen noch Zeit in Anspruch nehmen wür­den. “Viel Zeit.”

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(Anti-)Rassismus Antifaschismus Geschichte & Gedenken

Cottbus und die Lausitz als Inbegriffe rassistischer Mobi

Cottbus und die Lausitz als Inbegriffe rassistischer Mobilisierung

Was wird uns von 2019 in Erin­nerung bleiben? Für den Jahres­rück­blick befra­gen wir zivilge­sellschaftliche Ini­tia­tiv­en über die Sit­u­a­tion in ihrem Bun­des­land. Heute: Bran­den­burg mit dem Opfer­per­spek­tive e.V. , Beratungsstelle für Betrof­fene rechter Gewalt.

2019 wurde in Bran­den­burg gewählt: Kom­mu­nale Par­la­mente, Bürgermeister*innen und – wie auch in Sach­sen und Thürin­gen – ein neuer Land­tag. Die extrem rechte AfD erlangte bei der Land­tagswahl 23,5 % der Zweit­stim­men und stellt nun die zweit­stärk­ste Frak­tion. Gegenüber der rot-schwarz-grü­nen Lan­desregierung bildet sie die größte Oppo­si­tion­spartei. So weit, so bekan­nt. Dieser Text soll keine Wahlanalyse darstellen, son­dern ein paar Schlaglichter auf die extrem recht­en Aktiv­itäten und Net­zw­erke im zurück­liegen­den Jahr werfen.

 Keine andere extrem rechte Partei hat es seit 1990 in Bran­den­burg geschafft, das Wäh­ler­poten­zial für ras­sis­tis­che, nation­al­is­tis­che und anti­semi­tis­che Posi­tio­nen so für sich zu nutzen, wie die AfD in 2019: Im Mai ist sie flächen­deck­end in die Gemein­den, Städte und Kreistage einge­zo­gen; in Cot­tbus, Spree-Neiße und Märkisch-Oder­land wurde sie sog­ar stärk­ste Partei. Im Sep­tem­ber entsch­ieden sich dann fast ein Vier­tel der Wäh­len­den für die recht­saußen Partei. An der fehlen­den Aufk­lärung über die AfD kön­nen diese hohen Wahlergeb­nisse nicht gele­gen haben. Gewählt wurde die AfD trotz und wegen ihrer extrem recht­en Verbindun­gen. So wurde etwa über Cot­tbus als Sam­melpunkt für neon­azis­tis­che Musik­er, rechte Fußball­hooli­gans, Kampf­s­portler und andere rechte Organ­i­sa­tio­nen umfänglich berichtet. Cot­tbus und die Lausitz sind inzwis­chen zum Inbe­griff ras­sis­tis­ch­er Mobil­isierung in Bran­den­burg gewor­den[1]. Mit der Nominierung von Christoph Berndt, ein­er der Haup­tini­tia­toren der Cot­tbuser Proteste, auf Platz 2 der Lan­desliste für die Land­tagswahl würdigte die AfD die außer­par­la­men­tarische Rechte. Die Liste der Kandidat*innen und gewählten Abge­ord­neten zeigt: In der AfD ver­sam­melt sich ein bre­ites extrem recht­es Net­zw­erk. Es reicht von den ras­sis­tis­chen Protesten des Vere­ins Zukun­ft Heimat in Cot­tbus von Süd­bran­den­burg bis zur Beteili­gung von AfD-Politiker*innen an Nazi­aufmärschen in der Uck­er­mark im Nor­den Brandenburgs.

Verschiebung von Süden …

Die Opfer­per­spek­tive lis­tet seit knapp 20 Jahren sys­tem­a­tisch die recht­en Gewalt­tat­en im Land auf. 2019 ist erst­mals seit vier Jahren ein deut­lich­er Rück­gang der Angriff­szahlen zu verze­ich­nen. In den ver­gan­genen Jahren gehörte beson­ders die Stadt Cot­tbus zu den Schw­er­punk­ten rechter Gewalt. In diesem Jahr nah­men im Süden Bran­den­burgs die Angriffe ab. Eine Ver­lagerung in die par­la­men­tarische Arbeit spielt dabei sich­er eine Rolle. Einen wesentlicheren Ein­fluss wird dabei die Repres­sion gegen Teile der extrem rechte Szene haben, die sich ins­beson­dere in ein­er Großrazz­ia gegen lokale Hooli­gan-Kreise der Kampfge­mein­schaft Cot­tbus nieder­schlug. Dabei sorgte vor allem jour­nal­is­tis­che, zivilge­sellschaftliche und poli­tis­che Aufmerk­samkeit auf die extrem recht­en Entwick­lun­gen im Süden des Lan­des für Hand­lungs­druck bei den Strafver­fol­gungs­be­hör­den. Wir gehen lei­der davon aus, dass dieser Rück­gang nur tem­porär ist, zumal die Jus­tiz in Cot­tbus seit langem nicht mit den Gerichtsver­fahren hin­ter­herkommt und damit ein Gefühl der Straf­frei­heit an die Täter*innen ver­mit­telt. Immer wieder mah­nt die Opfer­per­spek­tive eine kon­se­quente juris­tis­che Ver­fol­gung an.

In Cot­tbus erlangte die AfD über­durch­schnit­tliche Wahlergeb­nisse und stellt in der Stadtverord­neten­ver­samm­lung die stärk­ste Frak­tion. Die Andro­hun­gen der extrem Recht­en gegen die Klimaproteste von Ende Gelände am let­zten Novem­ber­woch­enende zeigen, wie selb­st­be­wusst die extreme Rechte auch weit­er­hin in der Lausitz ist. Neben Gewalt- und Mor­daufrufen in sozialen Medi­en gehörte auch ein Trans­par­ent dazu. Es war von Teilen der Fan­szene des FC Energie Cot­tbus eine Woche zuvor mit dem Spruch „Wann Ende im Gelände ist, bes­timmt nicht ihr! Unsere Heimat – unsere Zukun­ft! Ende Gelände zer­schla­gen“ bei einem Fußball­spiel in Cot­tbus gezeigt. Für Auf­se­hen sorgte zudem ein Graf­fi­ti, gemalt von offen­bar recht­en Polizis­ten, das zuerst „Stoppt Ende Gelände“ titelte und anschließend – nach­dem die Beteiligten zum Über­stre­ichen der Wand ver­don­nert wur­den – das extrem rechte Kürzel „DC!“, welch­es für „Defend Cot­tbus“ ste­ht, hin­ter­ließen. Dass sich die Anfein­dun­gen gegen die Klimabe­we­gung und ihre Aktiv­itäten in der Lausitz richt­en, ist insofern nicht ver­wun­der­lich, ist doch der Braunkohleab­bau ein bes­tim­mender Fak­tor für die regionale Wirtschaft. Auch im Wahlkampf nutzte die AfD das The­ma und set­ze sich deut­lich für den Erhalt der Braunkohle ein. In einem von der Opfer­per­spek­tive begleit­eten Fall, ging die Feind­schaft gegenüber Klimaaktivist*innen von Bedro­hung in kör­per­liche Gewalt über: Bei ein­er Live-Aufze­ich­nung des Rund­funk Berlin-Bran­den­burg (RBB) auf dem Cot­tbuser Alt­markt zum The­ma Kohleausstieg schlug eine Kohle-Befür­wor­terin ein­er jun­gen Frau, die sie als Kli­maak­tivistin aus­machte, zweimal ins Gesicht.

…in den Norden

Während in den Vor­jahren Süd­bran­den­burg die Sta­tis­tik rechter Gewalt anführte, übern­immt in 2019 zunehmend der Nor­den des Lan­des diese Rolle. Schon 2018 war die Uck­er­mark ein­er der Schw­er­punk­te, ins­beson­dere bei ras­sis­tis­chen Angrif­f­en. Auch in diesem Jahr sind die Städte Anger­münde, Pren­zlau, Schwedt und Tem­plin immer wieder Schau­platz von recht­en Angrif­f­en. Anfang des Jahres hat­te der polizeiliche Staatss­chutz deswe­gen das Per­son­al aufge­stockt. Häu­fig sind die Gewalt­tat­en im Nor­den Bran­den­burgs ras­sis­tis­che Gele­gen­heit­stat­en von unor­gan­isierten Grup­pen oder Einzeltäter*innen.

Unter den mut­maßlichen Täter*innen find­en sich aber auch ehe­mals organ­isierte Neon­azis und bekan­nte rechte Mörder. Ein­er ist Mar­co S., der zusam­men mit zwei weit­eren Tätern den damals 16-jähri­gen Mar­i­nus Schöberl aus Pot­zlow tötete. Er soll im Juni diesen Jahres mit einem weit­eren Täter einen 24-jähri­gen Syr­er in Pren­zlau ange­grif­f­en und ras­sis­tisch beschimpft haben. Der andere Angreifer soll dabei ein Jagdmess­er aus seinem Ruck­sack gezo­gen haben. Im April wurde Mar­co S. für das Zeigen sein­er Hak­enkreuz-Tätowierung am Unteruck­ersee zu ein­er Bewährungsstrafe verurteilt. Auch andere bekan­nte Neon­azis find­en sich bei recht­en Gewalt­tat­en wieder: In Bad Freien­walde (Märkisch-Oder­land) wur­den ehe­ma­lige Aktive der Kam­er­ad­schaft Märkisch Oder Barn­im wegen eines ras­sis­tis­chen Angriffs verurteilt. In Neu­rup­pin begin­nt derzeit ein Prozess gegen eine Gruppe von Neon­azis, die den Freien Kräften Prig­nitz nah­este­hen, wegen eines ras­sis­tis­chen Angriffs in Witt­stock (Ost­prig­nitz-Rup­pin).

Anders als im Süden find­en sich im Nor­den eher lose miteinan­der ver­bun­dene Struk­turen, auch öffentliche Ver­samm­lun­gen sind sel­tener. Bei den weni­gen Events find­en die ver­schiede­nen Spek­tren der extrem Recht­en zusam­men: An ein­er neon­azis­tis­chen Demon­stra­tion in Tem­plin im Feb­ru­ar beteiligten sich auch AfD-Aktivist*innen. Kreisvor­standsmit­glied Arib­ert Christ mobil­isierte zuvor auf ein­er Kundge­bung des AfD-Poli­tik­ers Lars Gün­ther in Eber­swalde für den Nazi­auf­marsch. Die neon­azis­tis­che Kle­in­st­partei Der Dritte Weg, die in der Uck­er­mark ihren Aktion­ss­chw­er­punkt hat, war auch in diesem Jahr auf „nation­al­rev­o­lu­tionär­er Streife“. Auch die NPD bewirbt unter „Schutz­zone“ ihr Konzept ein­er recht­en Bürg­er­wehr. Zwar sind diese Aktio­nen häu­fig vor allem eine medi­ale Insze­nierung, doch wirkt diese als Botschaft an andere extreme Rechte und sollte auf­grund ihres recht­ster­ror­is­tis­chen Poten­zials, wie es das Bun­desin­nen­min­is­teri­um in ein­er par­la­men­tarischen Anfrage nen­nt[2], nicht unter­schätzt werden.

Ein Beispiel recht­en Ter­rors beschäftigte uns im Früh­som­mer erneut. Die Grup­pierung Nord­kreuz, die schon zwei Jahre zuvor bekan­nt wurde, legte Lis­ten an, auf denen sich Engagierte, die sich gegen Rechts und für Geflüchtete ein­set­zen, wieder­fan­den. Dabei han­delte es sich sowohl um Politiker*innen als auch um Pri­vat­per­so­n­en. Verbindun­gen soll die Gruppe, die maßge­blich in Meck­len­burg-Vor­pom­mern aktiv war, auch im Nord­west­en Bran­den­burgs gehabt haben. Als Mitte Juni neue, erschreck­ende Details zu den Aktiv­itäten veröf­fentlicht wur­den, waren erst einige Tage seit dem Mord am CDU-Poli­tik­er Wal­ter Lübcke ver­gan­gen. Obwohl rechter Ter­ror aus diesem trau­ri­gen Anlass erneut ins öffentliche Bewusst­sein rück­te, wur­den Betrof­fene der „Fein­deslis­ten“ erst auf zivilge­sellschaftlichen Druck hin informiert. 

Baseballschläger-Jahre

Beson­ders rel­e­vant für den Land­tagswahlkampf der AfD war der Ver­gle­ich der heuti­gen poli­tis­chen Sit­u­a­tion mit der der DDR zur ihrem Ende. „Der Osten“ solle, so der Wun­sch der AfD, an die Proteste aus dem Herb­st 1989 anschließen und gegen die „Merkel-Dik­tatur“ auf­begehren. Dass sich die AfD-Wähler*innen nicht an der Instru­men­tal­isierung der Wen­denar­ra­tive durch die Partei­funk­tionäre aus West­deutsch­land störten, lässt sich angesichts der Wahlergeb­nisse bilanzieren. Was die Beschäf­ti­gung mit diesen Nar­ra­tiv­en und der Umbruch­szeit zu Beginn der 1990er Jahre in Erin­nerung brachte: Die hoch­poli­tis­chen Zeit­en, in denen ras­sis­tis­che Angriffe und Anschläge alltäglich waren, neon­azis­tis­che Struk­turen wach­sen kon­nten und ihnen poli­tisch und sozialar­bei­t­er­isch der Kopf gehätschelt wurde, prägten eine ganze Gen­er­a­tion von Recht­en. Diese Base­ballschläger-Jahre, benan­nt nach dem Hash­tag #base­ballschlaeger­jahre, den der Jour­nal­ist Chris­t­ian Ban­gel auf Twit­ter ein­führte, wur­den durch Erfahrungs­berichte von Betrof­fe­nen aus ver­schiede­nen Orten Bran­den­burgs in den let­zten Monat­en wieder in Erin­nerung gerufen. Es sind die ersten Jahre der 1990er, in denen beson­ders viele Men­schen aus ras­sis­tis­chen, anti­semi­tis­chen, homo­sex­uellen- und trans­feindlichen sowie sozial­dar­win­is­tis­chen Motiv­en getötet wer­den. Die Opfer­per­spek­tive erin­nert mit ein­er Wan­der­ausstel­lung an die Opfer rechter Gewalt in der gesamten Bun­desre­pub­lik[4]. In diesem Jahr kom­men der Mord an Wal­ter Lübcke in Kas­sel und die Morde an Jana Lange und Kevin S. in Halle hinzu (alle Infor­ma­tio­nen zur Ausstel­lung und zur Auslei­he: www.opfer-rechter-gewalt.de)

 

[1]              Aus­führlich ist dies in der Broschüre „Was inter­essiert mich denn Cot­tbus?“ Dynamiken rechter Formierung in Süd­bran­den­burg: der Vere­in Zukun­ft Heimat, an der unsere Mitar­beit­er Josch­ka Fröschn­er mitwirk­te, nachzulesen.

[2]              Kleine Anfrage der Abge­ord­neten Ulla Jelp­ke u. a. und der Frak­tion DIE LINKE. Recht­sex­trem bee­in­flusste Bürg­er­wehren ST-Druck­sache 19/13969

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…wie wir uns Antidiskriminierungsarbeit im Land wünschen”

Liebe Freund*innen, liebe Unterstützer*innen, liebe Aktive,

in diesem Jahr hät­ten wir wieder ein Jubiläum zu feiern. Unsere 2009 ein­gerichtete Antidiskri­m­inierungs­ber­atung Bran­den­burg beste­ht nun 10 Jahre. Doch, wie auch zum 20-jähri­gen Beste­hen der Opfer­per­spek­tive im let­zten Jahr, fällt es schw­er, die Notwendigkeit unser­er Arbeit als freudi­gen Anlass zu sehen.

Die Ereignisse in diesem Jahr – der Mord an Wal­ter Lübcke, die zahlre­ichen Ver­strick­un­gen von Neon­azis in die Sicher­heits­be­hör­den und die Morde an Jana L. und Kevin S. nach dem gescheit­erten Angriff auf die Syn­a­goge in Halle, sind erschreck­end. Angesichts der recht­en Gewalt, der alltäglichen Diskri­m­inierung und Het­ze, von denen uns Rat­suchende und Kooperationspartner*innen immer wieder bericht­en und die wir selb­st erleben, ist diese Eskala­tion jedoch wenig überraschend.

Auch wenn es nichts zu feiern gibt, nutzen wir das 10-jährige Beste­hen als Gele­gen­heit zurück­zuschauen, auf die Pro­jek­te, Ver­anstal­tun­gen und Kam­pag­nen, die wir alleine oder mit anderen ini­ti­iert haben, um dieser Alltäglichkeit ent­ge­gen­zuwirken. Aber auch, um nach vorne zu schauen, wie wir uns eine Antidiskri­m­inierungsar­beit im Land Bran­den­burg in Zukun­ft wünschen.

Eine freudi­ge Nachricht gibt es zum Schluss dann aber doch noch: Nach­dem wir im Okto­ber erfuhren, dass wir im kom­menden Jahr keine Finanzierung für ein Antidiskri­m­inierung­spro­jekt durch das Bun­de­spro­gramm Demokratie Leben! erhal­ten wer­den, riefen wir zu Spenden für unsere Arbeit auf, um ab 2020 zumin­d­est das lan­desweite Antidiskri­m­inierung­spro­jekt im gle­ichen Umfang umset­zen zu kön­nen. Dafür beka­men wir viel Zus­pruch und Unter­stützung. Nun erhiel­ten wir, uner­wartet und zeit­gle­ich zum Druck dieses Rund­briefes, die Auf­forderung, einen Antrag bei Demokratie Leben! zu stellen und gehen nun davon aus, eine Förderung im kom­menden Jahr zu erhalten.

Wir möcht­en uns bei allen bedanken, die sich auf unter­schiedlichen Wegen dafür stark gemacht haben, dass wir nachträglich als Mod­ell­pro­jekt aus­gewählt wur­den. Das ist ein großer Erfolg für uns, denn so kön­nen wir unsere Arbeit im Fach­bere­ich Antidiskri­m­inierungsar­beit mit gle­ich­er per­son­eller Stärke fort­set­zen und weit­er aus­bauen. Die gesam­melten Spenden wer­den als Eigenan­teil in die lan­desweite Beratung fließen.

Mit unserem aktuellen Rund­brief möcht­en wir euch Ein­blicke in unsere Arbeit geben und uns her­zlich für eure Unter­stützung bedanken!

Ihr kön­nt die gesamte Aus­gabe und ältere Aus­gaben hier abrufen: https://www.opferperspektive.de/schattenberichte

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Kundgebung zum Jahrestag des Beschlusses

Freude über geplante Auf­nahme von Geflüchteten – Mah­nung zur umfassenden Kehrtwende bei Ausländerbehörde

Die Ini­tia­tive See­brücke Pots­dam bege­ht mit der heuti­gen Kundge­bung um 14:30 Uhr am Rathaus Pots­dam vor der let­zten diesjähri­gen Sitzung der Stadtverord­neten­ver­samm­lung den Jahrestag des Beschlusses „SICHERER HAFEN“ mit Anlass zur Freude und zur Mah­nung zugleich.

Am 05.12.2018 beschloss die Stadtverord­neten­ver­samm­lung sieben Maß­nah­men¹, um die Lan­deshaupt­stadt Pots­dam zum „Sicheren Hafen“ für geflüchtete Men­schen zu machen. Der Beschluss war Start­punkt für die Lan­deshaupt­stadt Pots­dam, sich bun­desweit für eine zusät­zliche Auf­nahme von geflüchteten Men­schen aus der Seenotret­tung über den bish­eri­gen Verteilungss­chlüs­sel hin­aus zu engagieren. Wir sind in freudi­ger Hoff­nung, dass nun gemäß neuesten Mel­dun­gen² die ersten geflüchteten Men­schen aus der Seenotret­tung nach Pots­dam kom­men sollen.

Unter maßge­blich­er Beteili­gung des Ober­bürg­er­meis­ters Mike Schu­bert und des Ver­wal­tungs­bere­ichs Par­tizipa­tion und Tol­er­antes Pots­dam unter Leitung von Frau Dr. Ursu­la Löbel wurde das bun­desweite Bünd­nis „Städte Sicher­er Häfen“ vor einem hal­ben Jahr gegründet.

Pots­dam ist damit sowohl ausstrahlen­des Vor­bild für eine men­schen­fre­undliche Auf­nah­me­poli­tik für viele Kom­munen als auch eine zen­trale Akteurin für die Migra­tionspoli­tik in Deutsch­land. Wir freuen uns mit der Stadtver­wal­tung über die Nominierung der Lan­deshaupt­stadt als Organ­isatorin des Bünd­niss­es „Städte Sicher­er Häfen“ für den diesjähri­gen „Inno­va­tion in Pol­i­tics Award“³.

Jedoch bringt die zen­trale Rolle im Bünd­nis „Städte Sicher­er Häfen“ eine beson­dere Ver­ant­wor­tung mit sich, die die Frage nach den Bedin­gun­gen eines Sicheren Hafens in der eige­nen Kom­mune stellt. Wir fordern die Stadt Pots­dam auf, den Beschluss „SICHERER HAFEN“ in all seinen sieben Punk­ten kon­se­quent und zeit­nah zu erfüllen. Beson­ders ist die Verbesserung der Bedin­gun­gen in der Aus­län­der­be­hörde wichtig. Nur so kann unsere Stadt ein wirk­lich sicher­er Hafen für Men­schen sein, wenn die Aus­län­der­be­hörde Inte­gra­tionschan­cen fördert statt sie zu blockieren.

Nach jahre­lan­gen Debat­ten über fehlende Umset­zun­gen des Inte­gra­tionskonzeptes und regelmäßi­gen Bericht­en über Missstände in der Aus­län­der­be­hörde fordern wir eine umfassende Kehrtwende der Aus­län­der­be­hörde zu ein­er echt­en Willkom­mens­be­hörde⁴, in deren Mit­telpunkt der Beschluss „SICHERER HAFEN“ ste­ht, näm­lich „alle Möglichkeit­en auszuschöpfen, um Geflüchteten in Pots­dam dauer­hafte legale Aufen­thalts- und Lebensper­spek­tiv­en zu schaffen“.

Unter Beteili­gung der See­brücke Pots­dam Ini­tia­tive wur­den in ein­er Arbeits­gruppe des Bünd­niss­es Pots­dam! Beken­nt Farbe Hand­lungsempfehlun­gen aus­gear­beit­et, die nun mit konkreten Maß­nah­men und Zeit­plä­nen unter­füt­tert wer­den müssen, um die über­fäl­lige Kehrtwende in der Aus­län­der­be­hörde ein­leit­en zu können.

Wir als See­brücke Pots­dam wer­den die Lan­deshaupt­stadt auf den Weg zum Sicheren Hafen vor Ort und bun­desweit weit­er­hin tatkräftig unterstützen!

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Sozialamt Märkisch-Oderland

Am 2.12.2019 haben vor dem Sozialamt Märkisch-Oder­land in Vier­lin­den mehr als 50 Men­schen demon­stri­ert. Sie forderten die Gesund­heit­skarte für Geflüchtete von Anfang an und die Über­weisung ihrer Sozialleis­tun­gen auf ein Kon­to. Märkisch-Oder­land ist der einzige Land­kreis in Bran­den­burg, der diese inhu­mane Prax­is bis jet­zt aufrecht erhält.

Der Protest wurde getra­gen von Betrof­fe­nen und Per­so­n­en aus Selb­stor­gan­i­sa­tio­nen, Willkom­mensini­ta­tiv­en sowie weit­eren Grup­pen aus Bran­den­burg und Berlin. Geschmückt mit einem großen Ban­ner „Equal rights for all peo­ple – also in MOL!“ und „Stop police bru­tal­i­ty!!!“ war ein Protest-Bus aus Bran­den­burg vor Ort. Geflüchteten berichteten über ihre Lebenssi­t­u­a­tion, es wurde gemein­sam getanzt und gegessen.

Medi­en­bericht­en zufolge, lenk­te der Land­kreis bei Ausstel­lung der Gesund­heit­skarte bere­its ein. Der anwe­sende Vize­landrat Friede­mann Han­ke (CDU) rechne mit ein­er entsprechen­den Entschei­dung der Lan­desregierung bis Jahre­sende. Geldüber­weisun­gen würde es weit­er­hin nicht geben, um den Aufen­thalt­sort von Geflüchteten kon­trol­lieren und bess­er mit der Polizei kooperieren zu kön­nen. Während der Vize­landrat vor der Presse vom Funk­tion­ieren sein­er Behör­den­prax­is spricht, kommt es im Sozialamt zu einem weit­eren Vor­fall. Die Polizei nimmt einen Mann gewalt­sam in Gewahrsam.

Schön, dass wir bei der Gesund­heit­skarte mit unserem Protest erfol­gre­ich waren. Jet­zt müssen wir mit der Geld­karte weit­er machen. Die Bedin­gun­gen für uns Geflüchtete hier in MOL sind ein­fach unmen­schlich, da muss sich noch vieles ändern. Vor allem müssen die Schika­nen aufhören.“ So ein Bewohn­er der Gemein­schaft­sun­terkun­ft Müncheberg, der die Aktion mit vor­bere­it­et hatte.

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Vermisst: Sicherer Hafen Potsdam?!

Ein Jahr nach dem Beschluss der Stadtverord­neten­ver­samm­lung, Pots­dam zum „Sicheren Hafen“ für geflüchtete Men­schen zu machen, rufen wir zur Kundge­bung vor dem Rathaus Pots­dam auf.

Wir fordern eine kon­se­quente Umset­zung der vie­len Wil­lens­bekun­dun­gen, Inte­gra­tionskonzepten und Beschlüssen zur Willkom­men­skul­tur in den let­zten Jahren.
Es reicht! Wir wollen keine Lip­pen­beken­nt­nisse mehr, son­dern ein sofor­tiges und kon­se­quentes Han­deln! Es geht um Exis­ten­zen von Men­schen, die jeden Tag sowohl in Pots­dam, in Bran­den­burg als auch im Mit­telmeer gefährdet werden.

Willkom­men­skul­tur statt Ausländerbehörde!
Im Dezem­ber 2018 wurde der Ober­bürg­er­meis­ter per Beschluss dazu verpflichtet, „die Aus­län­der­be­hörde Pots­dam [anzuweisen], alle Möglichkeit­en auszuschöpfen, um Geflüchteten in Pots­dam dauer­hafte legale Aufen­thalts- und Lebensper­spek­tiv­en zu schaf­fen“. Die Aus­län­der­be­hörde agiert seit­dem so als ob es diesen Beschluss nie gegeben hätte. Der Ober­bürg­er­meis­ter fühlt sich nicht in der Lage, klare Anweisun­gen im Sinne des Beschlusses zu geben, trotz Wis­sens um die Missstände.

Es muss endlich Schluss sein mit dieser Poli­tik der Abwehr und Zer­störung von Inte­gra­tionschan­cen in Pots­dam! Allein der recht­fer­ti­gende Ver­weis auf bun­desrechtliche Regelun­gen durch die Aus­län­der­be­hörde ist ein Armut­szeug­nis für Pots­dam. Es gibt nach wie vor trotz schar­fes Asyl- und Aufen­thalt­srecht eine Menge Ermessensspiel­räume, die zugun­sten der Men­schen auslegt wer­den kön­nen. Stoppt die Abwehrhal­tung der Aus­län­der­be­hörde bei der Erteilung von Aufen­thalt­stiteln, Arbeit­ser­laub­nis­sen, Auszugser­laub­nis­sen aus Gemein­schaft­sun­terkün­ften und Familienzusammenführungen!

Fam­i­lien: Zusam­men­führen statt Zerstören!
Trotz Beschlus­slage der Stadt Pots­dam im Jahr 2016, die Ein­reise von in Griechen­land unter men­sche­nun­würdi­gen Bedin­gun­gen leben­den Fam­i­lien­mit­glieder zu ihren Ange­höri­gen in

Deutsch­land zu unter­stützen, wurde bish­er keine einzige Fam­i­lie in diesem Kon­text zusam­menge­führt! Noch schlim­mer: „Reg­uläre“ Fam­i­lien­zusam­men­führun­gen wer­den oft mas­siv verzögert oder gar ver­weigert. Fam­i­lien­tren­nun­gen bedeuten für alle Fam­i­lien­mit­glieder – ins­beson­dere für Kinder – schwere psy­chis­che und soziale Belas­tun­gen, die trau­ma­tisierend wirken können.

Stoppt die Poli­tik der Familientrennungen!
Wir haben diese fam­i­lien­ver­ach­t­ende Prax­is satt!

Statt Tod im Mit­telmeer und Iso­la­tion in Lagern: Auf­nahme von Geflüchteten in Potsdam!
Wir müssen Druck machen – immer wieder, Ja!

Der Beschluss im Dezem­ber 2018 hat die Stadt dazu gebracht, sich mit anderen Städten zu ver­net­zen und sich auf Bun­de­sebene für eine zusät­zliche Auf­nahme von geflüchteten Men­schen einzuset­zen. Wir unter­stützen die Bemühun­gen und sehen den­noch im Angesicht der nüchter­nen Zahlen, dass bish­er kein einziger Men­schen zusät­zlich – also über die nor­male Auf­nah­mepflicht hin­aus – aufgenom­men wor­den ist.

Das Leid der Men­schen geht weit­er. Jede*r Tote im Mit­telmeer ist eine*r zu viel – wir müssen jet­zt handeln:

Zusät­zliche Auf­nahme von Men­schen aus der Seenotrettung!
Zusät­zliche Auf­nahme von Men­schen aus den Massen­lagern und somit Stopp der Iso­la­tion und Zer­mür­bungsstrate­gie in Erstauf­nah­me­lagern wie Eisen­hüt­ten­stadt und Doberlug-Kirchhain!

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Vom Lautsprecher zum Leiseträger

Schwedt (ipr) Ein frühere Admin­is­tra­tor der flüchtlings­feindlichen Face­book-Gruppe “Uck­er­mark gegen Über­frem­dung und Asylmiss­brauch” ist am Dien­stag vor der Strafrich­terin beim Amts­gericht Schwedt mit einem blauen Auge davongekom­men. Ein Ver­fahren wegen Volksver­het­zung in Tatein­heit mit öffentlichem Ver­wen­den von Kennze­ichen ver­fas­sungswidriger Organ­i­sa­tio­nen wurde vor­läu­fig eingestellt. Er muss in den näch­sten drei Monat­en 80 Stun­den gemein­nützige Arbeit­et leisten.

Vorge­wor­fen wurde dem heute 25-jähri­gen Max M. auf einem frem­den Face­book-Pro­fil eine Nazi-Darstel­lung gelikt und dadurch mit seinen Face­book-Fre­un­den geteilt zu haben. Unklar in der Ver­hand­lung blieb, ob er mit dem Pro­fil­in­hab­er befre­un­det war oder ob ein­er sein­er Face­book-Fre­unde das Bild eben­falls gelikt hat­te und er so das straf­bare Bild ent­deckt haben könnte.

Die Fotomon­tage – heute noch prob­lem­los im Netz zu find­en — zeigt einen NSDAP-Parteiauf­marsch mit vie­len Hak­enkreuz-Stan­darten und Adolf Hitler im Wei­h­nachts­mannkostüm. Darauf ist der Text zu lesen: “HO-HO-HOLOCAUST”.

Max M. bestätigte vor Gericht, dass er das Bild kenne, dass er das aber nicht bewusst gelikt habe. Es muss zufäl­lig beim Scrollen passiert sein. Außer­dem habe er bis zu sein­er Vernehmung nicht gewusst, dass Liken auch Teilen bedeute. Der ermit­tel­nde Polizeibeamte bestätigte im Zeu­gen­stand, dass alle, die er in diesem Kom­plex anhörte, darüber ver­wun­dert waren.

Der ehe­ma­lige Bäck­er­lehrling erläuterte, dass er sich nach seinen Haft­strafen, die zu drei Jahren auf Bewährung aus­ge­set­zt wor­den waren, von der recht­en Szene ver­ab­schiedet habe. Er habe alle Bewährungsaufla­gen erfüllt. Er sei sog­ar aus Anger­münde wegge­zo­gen. Er küm­mere sich um seine 2‑jährige Tochter. Er mache eine neue Aus­bil­dung und sei im drit­ten Lehrjahr.

Dass mit dem Scrollen wollte die Rich­terin nicht so recht glauben, schlug let­z­tendlich aber doch vor, das Ver­fahren einzustellen. Die Staat­san­wältin stimmte zu.

Hak­enkreuz auf dem Oberschenkel

Die Vorstrafen von Max M. entsprangen eher unpoli­tis­chen Motiv­en. Anfang Feb­ru­ar 2015 war er in Anger­münde ver­prügelt wor­den. Zwei Per­so­n­en sollen dabei beobachtet wor­den sein, wie sie Max M. erst nieder­schlu­gen und sich dann mit einem Auto davon­macht­en. Als Ret­tungssan­itäter und Polizei zu Hil­fe eilen woll­ten, soll es zu gewalt­täti­gen Reak­tio­nen des Mannes gekom­men sein. Im Kranken­haus ent­deck­te man noch einen Schla­gring in der Hosen­tasche und eine Hak­enkreuztä­towierung auf dem Ober­schenkel. Verurteilt wurde er dann wegen uner­laubten Waf­fenbe­sitzes, Wider­stand gegen Voll­streck­ungs­beamte, Belei­di­gung und Ver­wen­den von Kennze­ichen ver­fas­sungswidriger Organisationen.

Nur vier Tage nach dem Über­fall musste er sich in Schwedt vor dem Jugen­drichter ver­ant­worten. Im Juli 2014 wollte Max M. seine ehe­ma­lige Fre­undin heim­suchen. Das fand die gar nicht gut und rief die Polizei. Im Ergeb­nis brachte ihm das ein Jahr Jugend­haft auf Bewährung wegen Wider­stand gegen Voll­streck­ungs­beamte und Belei­di­gung. Dazwis­chen gab es noch eine Verurteilung wegen Unfall­flucht. Das ergab dann ein Jahr und zwei Monate Haft, die auf drei Jahre zur Bewährung aus­ge­set­zt wurden.

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(Anti-)Rassismus Flucht & Migration

Geflüchtete aus dem Tschad mit Zwang in die Botschaft gebrac

Menschen in die Botschaften ihrer Verfolgerländer zu bringen ist
traumatisierend und setzt Familienmitglieder und FreundInnen einer hohen
Gefahr aus

Am 10.10.2019 wurden in einer koordinierten Aktion Geflüchtete aus
verschiedenen Orten in Brandenburg von der Polizei abgeholt und
zwangsweise in die Botschaft des Tschad nach Berlin gebracht. Dabei
drangen auch in Wandlitz PolizistInnen in die dortige
Flüchtlingsunterkunft ein um einen Geflüchteten mitzunehmen. Ziel der
Operation war, dass die Botschaft bestätigt, dass die Betroffenen
StaatsbürgerInnen des Tschad sind und so in den Tschad abgeschoben
werden können.

Im Tschad, einem der ärmsten Länder der Welt, herrscht ein
diktatorisches Regime. Der Präsident Idriss Déby ist seit 29 Jahren an
der Macht. Laut Amnesty International kommt es dort zu massiven
Menschenrechtsverletzungen – willkürliche Festnahmen, keine Presse- und
Demonstrationsfreiheit, Folter. Im Länderbericht „Freedom  in the World
2017“ der US-amerikanischen Nichtregierungsorganisation Freedom House
gehört das politische System des Landes zu den weltweit repressivsten.

"Menschen in eine solch brutale Diktatur abzuschieben gefährdet das
Leben der Betroffenen", so Thomas Janoschka von der Initiative Barnim
für alle. "Durch die Botschaftszuführungen geraten aber auch
Familienangehörige, FreundInnen, MitstreiterInnen und Bekannte leicht in
das Fadenkreuz des Regimes. Deshalb gehen viele Geflüchtete nicht
freiwillig in die Botschaft." Durch die Zwangsvorführung fühlen sich die
Betroffenen dem Verfolgerregime erneut ausgeliefert, dies führt nicht
selten zu (Re-)Traumatisierung.

Die Initiative Barnim für alle fordert vom Landkreis Barnim und vom Land
Brandenburg, keine Menschen mehr in den Tschad abzuschieben und generell
keine Geflüchteten mehr zwangsweise in die Botschaften ihrer
Verfolgerländer zu bringen.

Initiative „Barnim für alle“ -
Kontakt:
refugees-welcome@so36.net
0151 – 45 68 3203
Inforiot