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Nazis als Bannerträger

Immer wieder Ost­deutsch­land: Ende Dezem­ber ver­gan­genen Jahres eskalierten Anti-Coro­na-Demos in Magde­burg und Bautzen, wie schon zuvor über Monate im säch­sis­chen Zwönitz. Auch die Angriffe auf Polizei und Pres­sev­ertreter nehmen an Umfang und Inten­sität zu. Nach ein­er Phase der Beruhi­gung im ver­gan­genen Som­mer sind die Anti-Coro­na-Proteste seit dem Spätherb­st wieder aufge­flammt. Im Zen­trum der medi­alen Aufmerk­samkeit ste­hen Sach­sen, Thürin­gen, Bran­den­burg und Sachsen-Anhalt.

Tat­säch­lich gibt es seit 2014, seit dem Beginn von Pegi­da, immer wieder Mobil­isierun­gen eines autoritär eingestell­ten poli­tis­chen Milieus speziell in Ost­deutsch­land. Zu den Ursachen gehört ein starkes Anti-Estab­lish­ment-Ressen­ti­ment, dem unter­schiedliche, aus­tauschbare ide­ol­o­gis­che Untertöne beigemis­cht sind. Mal geht es um Flüchtlinge und den Islam, mal um die Ukraine und Putin. Jet­zt, im Kon­text von Coro­na, erleben wir einen enor­men Auf­schwung an Aufzü­gen, zu denen im Wesentlichen die gle­ichen Leute mobil­isieren wie bere­its 2013 oder 2015 zu Beginn der »großen Flucht«. Auch wenn die Demon­stran­ten natür­lich nicht kom­plett iden­tisch sind, gibt es eine große Schnittmenge.

DER AUTOR
David Begrich, geboren 1972 in Erfurt, ist Mitar­beit­er der Arbeitsstelle Recht­sex­trem­is­mus bei Miteinan­der e. V. in Magde­burg. Der Beitrag erschien zuerst in der poli­tis­chen Monat­szeitschrift »Blät­ter für deutsche und inter­na­tionale Poli­tik« 2/2022. www.blaetter.de
Ganz anders ist die Lage im West­en. Dort bele­gen Unter­suchun­gen, dass jet­zt, anders als 2015, eher Leute demon­stri­eren, die früher dur­chaus in linksalter­na­tiv­en Milieus zu Hause waren. Bere­its zu Beginn der »Querdenken«-Proteste fan­den sich dort Argu­men­ta­tion­s­mo­tive der Eso­terik, der Anthro­poso­phie und der soge­nan­nten alter­na­tiv­en Medi­zin. Ihr gemein­samer Nen­ner lautet, das Virus könne gän­zlich ohne phar­mazeutis­che Mit­tel mit Hil­fe der kör­pereige­nen Immunreak­tion abgewehrt werden.1

Dieses Milieu spielt in Ost­deutsch­land keine tra­gende Rolle. Es existiert nur in Spurenele­menten, in weni­gen Städten. Dafür wer­den ganz andere Kon­ti­nu­itäten sicht­bar: Jene, die in den frühen 1990er Jahren recht­sradikal sozial­isiert wur­den, sind fast alle wieder da. Allerorten sind auf den Demos die früheren Führungsleute der recht­sex­tremen Szene zu sehen. Sie sind heute Mitte vierzig, Anfang fün­fzig — und merken, dass ihre Zeit gekom­men ist. Das Momen­tum ist auf ihrer Seite, ähn­lich wie in den 90er Jahren. Das liegt nicht zulet­zt daran, dass ihrem Agieren noch immer keine Gren­zen geset­zt werden.

Patien­ten wichtiger als Spritzen
Impf­pflicht im Gesund­heits­bere­ich: Sach­sen öffnet eine Hin­tertür / Bun­desweite Debat­te um Umsetzung
Eine entschei­dende Rolle spie­len dabei die »Freien Sach­sen« — ein Zusam­men­schluss recht­sex­tremer Grup­pen in Sach­sen mit ein­er Ausstrahlung bis weit in angren­zende Bun­deslän­der. Kopf der »Freie Sach­sen« ist der Chem­nitzer Recht­san­walt Mar­tin Kohlmann. Er sitzt für die recht­sex­treme Frak­tion »Pro Chem­nitz« im Stadt­par­la­ment und spielte bere­its bei den radikalen Auss­chre­itun­gen 2018 in Chem­nitz eine Schlüsselrolle.

In dem von »Freie Sach­sen« betriebe­nen Telegram-Kanal wird der säch­sis­che Min­is­ter­präsi­dent Michael Kretschmer als »Pumuck­el« tit­uliert, die Polizei als »Kretschmer Milizen« beze­ich­net. Kohlmanns Rhetorik erge­ht sich in Gewal­tal­le­gorien, juris­tisch zwar nicht angreif­bar, aber mit deut­lich­er Botschaft an seine Anhänger­schaft. So verkün­dete er im ver­gan­genen Dezem­ber via Telegram einen »Wei­h­nachts­frieden« mit der säch­sis­chen Regierung und Polizei, um wenig später eine »Wei­h­nacht­sof­fen­sive« des Protests zu verkün­den. Diesen Tri­umphal­is­mus als bloßes Maul­helden­tum abzu­tun, greift viel zu kurz. Die Rhetorik der »Freie Sach­sen« bedi­ent sich ganz bewusst der Sprach­bilder des Bürg­erkriegs und des Vigilantismus.2

Eine Polizei im Rückwärtsgang
Inner­halb des Protests spielt die AfD die Rolle eines poli­tis­chen Mul­ti­p­lika­tors. Sie trägt die The­sen der Coro­naleugn­er und Impfgeg­n­er in die Par­la­mente und agiert so als deren par­la­men­tarisch­er Arm. In Cot­tbus betätigt sich der lokale AfD-Chef, Jean Pas­cal Hohm, als Organ­isator der Proteste, an denen auch Neon­azis und gewalt­bere­ite Hooli­gans teilnehmen.

Und auch in Magde­burg haben recht­sex­treme Hooli­gans eine unangemeldete Demo von mehr als 3000 Leuten ange­führt. Während also Per­so­n­en mit expliziter Gewal­ter­fahrung die ersten Rei­hen der Demon­stra­tio­nen bilden, fil­men rechte Youtu­ber das Geschehen und brin­gen anschließend die Videos in sozialen Net­zw­erken in Umlauf. Dass jede dieser Aktio­nen gefilmt und anschließend ins Netz gestellt wird, erzeugt einen immensen Mul­ti­p­lika­tion­sef­fekt, nach dem Mot­to: »Was in Ort X geht, machen wir bei uns in Y auch!«

Auf diese Weise testen die Recht­en aus, wie weit sie gehen kön­nen. Und das ist fataler­weise sehr weit. Denn ihnen ste­ht — zumin­d­est in den ver­gan­genen Monat­en — eine Polizei gegenüber, die im Rück­wärts­gang agiert. Mehrfach wieder­holte sich das Geschehen vom Novem­ber 2020 in Leipzig, als recht­sex­treme Hooli­gans die Polizei ein­fach zur Seite drück­ten. Inzwis­chen gibt es end­los viele Videoschnipsel im Netz, die zeigen, dass die Polizei in der Regel nachgibt — eine ermuti­gende Botschaft an diese Szene.

Dabei spielt jen­seits der neuen sozialen Medi­en das Hören­sagen noch immer eine wichtige Rolle. Wenn tagsüber ein­er zu seinem Kol­le­gen sagt, »ich hab gehört, heute Abend soll auf dem Dom­platz was los sein. Lass uns da mal hinge­hen«, kann das schnell dazu führen, dass der Platz sich füllt — und zwar, das ist das Beson­dere, mit höchst diversen Teil­nehmern aus der mit­tleren und älteren Gen­er­a­tion bis hin zu Fam­i­lien mit Kindern. Das allein führt aber noch nicht dazu, dass diese Leute auch »Wider­stand« rufend durch die Straßen ziehen. Dazu braucht es pro­test­er­fahrene Akteure, die wis­sen, wie man eine solche Demon­stra­tion anmeldet — oder eben auch nicht und trotz­dem zusam­menkommt. Organ­isatoren, die Flug­blät­ter, Mega­fone, pro­fes­sionelle Trans­par­ente mit­brin­gen, die über poli­tis­ches Bewusst­sein und Ziel­stre­bigkeit ver­fü­gen und die auch wis­sen, wie man eine Polizeikette bei­seiteschiebt. Diese Leute kom­men speziell in Ost­deutsch­land aus der recht­sex­tremen Szene, aber sie senden bewusst in die bre­it­ere Bewe­gung aus.

Wenn man die recht­en Telegram-Kanäle durchge­ht, sieht man nicht nur einen enor­men Radikalisierung­sprozess — in ein­er Telegram-Gruppe wurde dezi­diert die Ermor­dung Michael Kretschmers geplant -, son­dern, dass die Teil­nehmer sich gegen­seit­ig auf ein­er poli­tisch-emo­tionalen Ebene unter­stützen. Das schafft eine Atmo­sphäre der poli­tis­chen Selb­st­wirk­samkeit, ein Gefühl, gemein­sam etwas bewe­gen zu kön­nen. Wenn dieses Gefühl nicht mehr aktiviert wer­den kann, wird weit­er eskaliert — etwa dadurch, dass die ver­meintlich Ver­ant­wortlichen für die gegen­wär­tige Sit­u­a­tion konkret und per­sön­lich in ihrem Leben­sum­feld aufge­spürt und ange­gan­gen wer­den. Beleg dafür sind die Aufzüge vor den Pri­vathäusern der Min­is­ter­präsi­dentin von Meck­len­burg-Vor­pom­mern, Manuela Schwe­sig, und der säch­sis­chen Sozialmin­is­terin Petra Köpping.

Die Stufe der Bedro­hung im pri­vat­en Umfeld ist nicht erst seit den Coro­na-Protesten erre­icht. Viele Bürg­er­meis­ter, Kom­mu­nalpoli­tik­er und Land­tagsab­ge­ord­nete wer­den seit langem bedro­ht und konkret in ihrem pri­vat­en Umfeld ange­grif­f­en. Aber natür­lich erzeugt es weit mehr öffentliche Empörung, wenn das ein­er Min­is­terin geschieht und nicht nur einem Ortsbürgermeister.

Poli­tis­che Reak­tio­nen ohne Plan
Fataler­weise hat die Polizei große Schwierigkeit­en, Leute einzuord­nen, die nicht ihrem klas­sis­chen Feind­bil­draster entsprechen. Polizeiführer sind es gewohnt, nach Delin­quenz Auss­chau zu hal­ten, also nach Extrem­is­ten und Straftätern. Die Sach­lage ist klar, wenn irgend­wo Müll­ton­nen auf die Straße geschoben und angezün­det wer­den. Wenn aber wie bei den derzeit­i­gen Protesten »nur« in erster Rei­he die Hooli­gans laufen, aber in der Mitte die Vierzigjähri­gen in bürg­er­lich­er Klei­dung und dahin­ter die Müt­ter mit Kinder­wa­gen und min­der­jähri­gen Kindern, dann lässt man die Demon­stran­ten trotz Ver­bots oft ein­fach laufen. Dass im bürg­er­lichen Habi­tus auftre­tende Demon­stran­ten sich eskala­tiv ver­hal­ten und zur Gewalt neigen, scheint in der öffentlichen Debat­te unbegriffen.

Ein weit­er­er Grund dafür: In Stil und Inhalt bedi­enen sich die Demon­stri­eren­den mitunter bei der links-alter­na­tiv­en Bewe­gung. Die Organ­isatoren der Proteste sind inzwis­chen dazu überge­gan­gen, ihre Ver­samm­lun­gen nicht mehr anzumelden, son­dern als »Spazier­gang« zu apos­tro­phieren, um auf diese Weise das Ver­samm­lungsrecht zu unter­laufen. Diese poli­tis­che Mimikry-Übung dient auch dem Zweck, Men­schen für die Proteste zu mobil­isieren, die sich selb­st gar nicht als poli­tisch begreifen. Der Begriff »Spazier­gang« knüpft dabei bewusst an die Protest­geschichte bei­der deutsch­er Staat­en an, von ’68 über die Ökolo­giebe­we­gung in West (zu Baustellen von Atom­kraftwerken) und Ost (ent­lang ver­schmutzter Flüsse) bis hin zu ’89.

Wie schon bei Pegi­da ist die rhetorische Bezug­nahme auf den Herb­st 1989 in der DDR all­ge­gen­wär­tig. Die viel beschworene »Coro­na-Dik­tatur« werde bin­nen kurzem in sich zusam­men­brechen, schallt es aus den Rei­hen der Demon­stri­eren­den, wenn man jet­zt Druck auf­baue. Zudem gibt es bei den Aufmärschen den per­ma­nen­ten Appell an die Polizei, sich auf die Seite der Demon­stri­eren­den zu stellen — »solange dafür noch Zeit ist«. Das ist die gle­iche Rhetorik, wie wir sie 1989 erlebt haben. Allerd­ings mit kon­trär­er Bedeu­tung: Denn hin­ter dem »solange dafür noch Zeit ist« steckt im Grunde eine Dro­hung. Ihr Sub­text: Wenn wir an die Macht kom­men, werdet ihr zur Rechen­schaft gezogen.

Doch trotz dieser Dro­hung hält sich die Polizei in erstaunlich­er Weise zurück. Angesichts der Tat­sache, dass die Ver­samm­lun­gen nicht angemeldet sind, die Teil­nehmenden bewusst gegen die Coro­na-Maß­nah­men ver­stoßen und recht­sex­treme Grup­pen wieder­holt gewalt­tätig die Polizei angreifen, ist dies erklärungsbedürftig.

Grund­sät­zlich entschei­det die Polizei vor Ort eigen­ständig im Rah­men der poli­tis­chen Maß­gaben. Für die Ein­satzs­trate­gie ist sowohl die Lageein­schätzung der örtlichen Polizeiführung als auch die poli­tis­che Richtlin­ie der jew­eili­gen Innen­min­is­te­rien maßgebend. Dabei ist offenkundig, dass die polizeiliche Ein­satz­tak­tik gegenüber den Coro­na-Protesten hin­ter ihren oper­a­tiv­en Hand­lungsmöglichkeit­en zurück­bleibt und damit die Demon­stri­eren­den regel­recht ermutigt.

Stattdessen käme es darauf an, diesen Leuten deut­lich zu machen, wo die Gren­zen der Mei­n­ungs­frei­heit ver­laufen. Um nicht missver­standen zu wer­den: Dafür braucht es wed­er Wasser­w­er­fer noch Schlagstöcke oder Pfef­fer­spray. Im Gegen­teil: Sta­tionäre Kundge­bun­gen und pan­demiekon­forme Demon­stra­tio­nen sind polizeilich durch­set­zbar. Für jene, die als Gewalt­täter bekan­nt sind, sollte die Polizei eine präven­tive Ansprache prüfen, nach dem Mot­to: Wir haben Sie im Blick.

Solche, eigentlich übliche Vorge­hensweisen find­en in Sach­sen und Sach­sen-Anhalt derzeit schlichtweg zu sel­ten und zu spät statt. Die eigentliche Ursache liegt in der poli­tis­chen Führung, denn sie entschei­det über die Grundlin­ie des polizeilichen Han­delns. Gegen die Coro­na-Poli­tik demon­stri­eren aber schließlich poten­zielle Wäh­lerin­nen und Wäh­ler, die ihrer­seits Mul­ti­p­lika­toren sind. Deshalb herrscht in den Innen­min­is­te­rien Zurück­hal­tung. Reich­lich spät kam Ver­fas­sungss­chutzchef Thomas Halden­wang im Jan­u­ar mit der Erken­nt­nis um die Ecke, dass bei den Protesten neue, demokratiege­fährdende Allianzen zu Tage treten.

Inzwis­chen ist unter den Demon­stri­eren­den der Schritt zu man­i­fester Gewalt nicht mehr weit, wie die unzäh­li­gen Telegram-Ein­träge beweisen. Es existiert eine extrem selb­st­be­wusste, gewalt­bere­ite Szene, die sich in hal­böf­fentlichen Kom­mu­nika­tion­sstruk­turen verabre­det. In der Fan­tasie dieser Leute kommt Gewalt also zweifel­los vor. Dass sich Akteure find­en, die diese Fan­tasie in die Tat umset­zen, ist zu befürcht­en. Bere­its jet­zt gibt es Angriffe auf Impfzentren.

Die Schwierigkeit für Poli­tik und Polizei beste­ht darin, die Maul­helden von denen zu unter­schei­den, die wirk­lich zur Gewalt greifen, um etwa ein Zeichen gegen eine all­ge­meine Impf­pflicht zu set­zen. Wer bere­it ist, ein Impfzen­trum anzu­greifen oder den säch­sis­chen Min­is­ter­präsi­den­ten zu ermor­den, den ver­mutete die Polizei bish­er eher im Kon­spir­a­tiv­en, nicht in Foren sozialer Medien.

Wenn Protestierende die Demon­stra­tio­nen nicht mehr als Mit­tel der poli­tis­chen Selb­st­wirk­samkeit erleben, beste­ht dur­chaus die Gefahr, dass sie nach neuen, radikaleren und gewalt­tätigeren Aus­drucks­for­men suchen. Der BKA-Präsi­dent Hol­ger Münch fürchtet daher auch Anschläge auf Per­so­n­en des öffentlichen Lebens, die für die Coro­na-Maß­nah­men stehen.

So akut die Gefahr dieser Angriffe derzeit ist, dür­fen wir eines nicht vergessen: Auch im Osten geht bei weit­em nicht die Mehrheit der Leute auf die Straße. So demon­stri­erten auch in Hochzeit­en in ganz Sach­sen-Anhalt nie mehr als rund acht- bis zehn­tausend Men­schen pro Woche. Zum Ver­gle­ich: Zu den Fußball­spie­len des 1. FC Magde­burg pil­gern zu anderen Zeit­en im Durch­schnitt jede Woche 20 000 Zuschauer.

Kurzum: Diese recht­en Mobil­isierun­gen leben auch davon, dass jede Demo repro­duziert wird, als sei sie eine Massen­ver­anstal­tung — von den Extrem­is­ten selb­st, aber zum Teil auch anschließend von den Medi­en. Dabei sind bei den meis­ten Märschen nur zwis­chen 80 und 350 Teil­nehmer dabei. Die extreme Rechte ver­ste­ht es meis­ter­haft, zu behaupten, sie repräsen­tiere die Mehrheit. Schließlich hat sie die ver­gan­genen bald zehn Jahre, von Pegi­da bis Coro­na, auch in Sachen Selb­stver­mark­tung per­fekt genutzt. In dieser Hin­sicht muss die lib­erale Zivilge­sellschaft zumin­d­est Augen­höhe erre­ichen, um endlich klarzu­machen: Die Mehrheit stellen noch immer und beileibe nicht die Rechten.

1 Oliv­er Nachtwey, Robert Schäfer und Nadine Frei: Poli­tis­che Sozi­olo­gie der Coro­na-Proteste, Basel 2020. Nachtwey u. a. weisen darauf hin, dass ein Großteil der von der Studie befragten Per­so­n­en bei zurück­liegen­den Wahlen eine Präferenz für Grüne und Linke aufwies. Dies spiegele die Tat­sache, dass die Impfskep­sis in post­ma­te­ri­al­is­tis­chen, sich selb­st lebensweltlich links/grün ver­ste­hen­den Milieus ver­ankert sei.

2 Die Frak­tion der Linkspartei im säch­sis­chen Land­tag fordert daher zu Recht ein Ver­bot der »Freien Sachsen«.

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(Anti-)Rassismus Antifaschismus Geschichte & Gedenken Law & Order

Kein Wegschauen! Kein Vergessen!

Am 4.11.2021 jährt sich die Selb­stent­tar­nung des soge­nan­nten Nation­al­sozial­is­tis­chen Unter­grunds zum 10. Mal. Die Täter:innen ermorde­ten min­destens 10 Men­schen zum Opfer: Enver Şimşek, Abdur­rahim Özü­doğru, Süley­man Taşköprü, Habil Kılıç, Mehmet Turgut, İsm­ail Yaşar, Theodor­os Boul­gar­ides, Mehmet Kubaşık, Halit Yoz­gat und Michele Kiesewetter.

Seit­dem ist einiges passiert. Es haben Betrof­fene ihre Stimme erhoben und punk­tuell Sol­i­dar­ität erhal­ten. Aber nur wenig lässt darauf hof­fen, dass in Zukun­ft neon­azis­tis­chen Ter­rorzellen das Mor­den erschw­ert wird.

Hierzu zählt, dass der NSU nicht als Ter­rorzelle in einem Net­zw­erk ver­han­delt wurde, nicht vor Gericht in München und nicht in den diversen Unter­suchungsauss­chüssen der Land­tage in u.a. Bran­den­burg. Es war neben dem gesellschaftlichen Kli­ma der 90er Jahre die Ein­bindung ein­er Vielzahl von Neon­azis, welche das Leben und Mor­den des Kern­trios im soge­nan­nten “Unter­grund” erst ermöglicht­en. Von Krankenkassenkarten bis hin zu Waf­fen und gemein­samen Konz­ertbe­suchen reichte die Zusammenarbeit.

Die Ein­bindung staatlich­er Stellen (vom bspw. Bran­den­bur­gis­chen Ver­fas­sungss­chutz und der Bun­desver­fas­sungss­chutz, bis zum Berlin­er LKA und dem Mil­itärischen Abschir­m­di­enst) bzw. ihr zeitlich gut geplantes “Wegse­hen” wurde und wird nicht angemessen aufgear­beit­et. Es häuften sich die Schred­der­ak­tio­nen in Archiv­en und Beamt:innen mit auf­fal­l­en­den Erin­nerungslück­en, zumeist ohne Kon­se­quen­zen für Lauf­bahn und Leben der daran Beteiligten.

Und auch heute zeigen staatliche Stellen wenig bis kein Inter­esse daran, neon­azis­tisch motiviertes Mor­den zu ver­hin­dern. Anders sind die massen­weise auftre­tenden “Einzelfälle” ras­sis­tis­ch­er und anti­semi­tis­ch­er Chat­grup­pen von Polizist:innen und Soldat:innen nicht zu erk­lären — auch nicht der geringe staatliche Willen zur Aufk­lärung über neon­azis­tis­che Gehe­im­bünde, soge­nan­nte Prep­per­grup­pen, wie die Gruppe Nord­kreuz. Diese Gruppe ver­fügte (und ver­fügt ver­mut­lich immer noch) nicht nur über massen­weise Waf­fen und Muni­tion, son­dern beschaffte sich sog­ar Mate­r­i­al zum Umgang mit Leichen.

Daneben entsch­ied sich in eini­gen Bran­den­burg­er Wahlkreisen jede 4. Wähler:in für die ras­sis­tis­che und min­destens in Teilen faschis­tis­che AfD. Es ist die AfD in Zusam­me­nar­beit mit Teilen der CDU und sog­ar der SPD (Stich­wort Sar­razin), welche den poli­tis­chen Nährbo­den für neon­azis­tis­che Täter bildet. Ange­fan­gen bei Has­skom­mu­nika­tion in sozialen Medi­en über Ent­men­schlichung von Teilen der Bevölkerung und Gewalt- sowie Mord­dro­hun­gen und schlussendlich Morde, haben sich rechte Bedro­hungsal­lianzen gebildet.

Gegen dieses Ungetüm des Gesamt­prob­lems wird keine Polizei, kein soge­nan­nter Ver­fas­sungss­chutz und kein Gericht wirkungsvoll vorge­hen kön­nen oder vorge­hen wollen. Es sind wir, die wir das Gedenken an die Opfer des NSU am Leben erhal­ten müssen, genau­so wie wir es sind, die gegen Neon­azis, Rassist:innen und Antisemit:innen vorge­hen müssen.

Kommt deshalb zur Gedenkkundge­bung und Demo am 04.11.2021 ab 17.00 Uhr am Steuben­platz am Land­tag Brandenburg!

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(Anti)militarismus Antifaschismus Flucht & Migration Law & Order

Pushback Police — Bundespolizei Abschaffen!

Kommt am Don­ner­stag den 09.09. um 18 Uhr gemein­sam mit uns, der Balkan­brücke Berlin, der See­brücke Pots­dam und dem bun­desweit­en Fahrrad­protest von Stu­dents for Future ‘Ohne Kerosin Nach Berlin’ raus auf die Straßen Pots­dams! Kommt raus zum Protest gegen die men­schen­ver­ach­t­ende Abschot­tungspoli­tik der EU, die mit Hil­fe von Fron­tex, Bun­de­spolizei und Lufthansa immer wieder Men­schen bewusst in lebens­bedrohliche Sit­u­a­tio­nen bringt!

Start ist Alter Markt/Landtag. Von dort aus wollen wir uns über Zen­trum Ost und Rathaus Babels­berg auf den Weg zum Neubau der Bun­de­spolizei am Horstweg machen.

Verknüp­fung Fron­tex, Bundespolizei

Seit 2015 sind über 18.000 Men­schen im Mit­telmeer ertrunk­en. Statt Geld für die Ret­tung von Men­schen in Seenot auszugeben und ein­er men­schen­rechtlichen Pflicht nachzukom­men, steckt die Frieden­sno­bel­preisträgerin EU immer mehr Geld in die Gren­zschutza­gen­tur Fron­tex. 5,6 Mil­liar­den Euro beträgt das Bud­get bis 2027. Mit lediglich einem Drit­tel des Fron­tex-Jahres­bud­gets kön­nten ins­ge­samt 109 Search and Res­cue Schiffe und Beobach­tungs­flugzeuge betrieben wer­den — eine voll­ständi­ge zivile Flotte zur flächen­deck­enden Seenotret­tung im Mit­telmeer. Das Geld wäre da, doch wieder ein­mal fehlt es an poli­tis­chem Willen zu ein­er men­schen­rechts­basierten Praxis.

Trotz zahlre­ich­er durch Journalist*innen und Men­schen­recht­sor­gan­i­sa­tio­nen belegter Men­schen­rechtsver­let­zun­gen agiert Fron­tex weit­er­hin im rechts­freien Raum: Fron­tex ist bei ille­galen Zurück­weisun­gen, soge­nan­nten Push- und Pull­backs, direkt involviert. Rechtliche, poli­tis­che oder per­son­elle Kon­se­quen­zen: Fehlanzeige.

Deutsch­land ist Teil dieser gewaltvollen Gren­zpoli­tik: Die Bun­desregierung beteiligt sich per­son­ell, finanziell und materiell an den Ver­brechen von Fron­tex. Zum Beispiel zeigen Berichte aus der Ägäis bru­tale und völk­er­rechtswidrige Zurück­weisun­gen von Schutz­suchen­den, bei denen deutsche Beamt*innen zuge­se­hen oder mit­gewirkt haben. 2021 unter­stützt Deutsch­land Fron­tex voraus­sichtlich mit ins­ge­samt 826 Ein­satzkräften der Bun­des- und Lan­despolizeien. Ten­denz steigend: Die am schnell­sten wach­sende EU-Agen­tur soll bis 2027 über eine ständi­ge Reserve von 10.000 Polizist*innen ver­fü­gen, wobei Deutsch­land hier­für knapp 1.100 Polizist*innen entsenden soll. “Von den rund 4.300 Mitarbeiter­innen und Mitar­beit­ern des Bun­de­spolizeiprä­sid­i­ums sind etwa 800 am Haupt­sitz in Pots­dam beschäftigt.” (3)

Lufthansa als Prof­i­teur von Abschiebungen

Machtwech­sel Afghanistan — noch wenige Wochen zuvor schiebt Deutsch­land weit­er nach Afghanistan ab und verken­nt die große Gefahr. Somit trifft die Bun­desregierung Entschei­dun­gen, die Angst und Lebens­ge­fahr für die abgeschobe­nen Men­schen bedeuten. Wenn es um Abschiebun­gen geht, fällt es Deutsch­land und der Lufthansa, dem deutschen Unternehmen das am meis­ten von Abschiebun­gen prof­i­tiert, leicht, Flüge nach Afghanistan zu organ­isieren. Wenn es darum geht, Men­schen vor dem Tod zu ret­ten, stellt das ganze die Bun­desregierung vor ein ver­meitlich großes organ­isatorisches Problem.

Die Lufthansa macht jährlich große Gewinne mit Abschiebun­gen von Men­schen. Und das schon seit Jahrzehnten!

Im Jahr 2019 war die Lufthansa an den Abschiebun­gen von 5.885 Per­so­n­en beteiligt — stolze 25% aller Abschiebun­gen aus Deutsch­land in diesem Jahr. “Im sel­ben Jahr stufte die Bun­desregierung es als Ver­schlus­sache ein, welche Flugge­sellschaften Abschiebun­gen durchführen”(1), da sie fürchteten, dass diese Flugge­sellschaften in öffentlich­er Kri­tik ste­hen würden.
Wir appel­lieren an Pilot*innen Flüge zu ver­weigern, bei welchen Men­schen abgeschoben wer­den. Eine Beru­fung auf Para­graf 12 des Luft­sis­cher­heits­ge­set­ztes, welch­er besagt, dass alle erforder­lichen Maß­nah­men zu tre­f­fen sind, um eine beste­hende Gefahr für Einzelper­so­n­en oder des Luft­fahrzeuges ins­ge­samt abzuwen­den, sollte aus­re­ichen! Denn: im Falle ein­er Abschiebung ist immer von ein­er Gefahr auszuge­hen! In bere­its zwei Fällen kam es bei Abschiebun­gen durch die Lufthansa zu Todes­fällen: “1999 erstick­te der Sudanese Aamir Ageeb bei ein­er Abschiebung in einem Lufthansa-Flugzeug durch Fes­selung der Polizei” (2) und “Kola Bankole aus Nige­ria starb 1993 auf ähn­liche Weise bei ein­er Lufthansa Abschiebung” (2). Lei­der muss immer von Polizeige­walt aus­ge­gan­gen wer­den und allein daraus ergibt sich eine Gefahr für Per­so­n­en im Flugzeug. Hinzu kommt eine hohe Suizidge­fährdung, sowie Lebens­ge­fahr für die Men­schen in den Län­dern, in welche sie abgeschoben werden.

Wir fordern die Lufthansa auf, das Geschäft mit Men­schen­leben zu been­den und sich klar gegen Abschiebun­gen zu posi­tion­ieren. Keine Per­so­n­en sollen gegen ihren Willen von der Lufthansa trans­portiert werden!

Bun­destagswahlen — Ver­ant­wor­tung der Partein und Vertreter*innen

Am Son­ntag den 26. Sep­tem­ber sind Bundestagswahlen.
Lasst nicht zu, dass Deutsch­land weit­ere 4 Jahre von ein­er Partei regiert wird, die Men­schen­rechte mit Füßen tritt und in ihrem Wahl­pro­gramm ganz klar deut­lich macht, dass sie “die Europäis­che Gren­zschutza­gen­tur FRONTEX zu ein­er echt­en Gren­zpolizei und Küstenwache mit hoheitlichen Befug­nis­sen aus­bauen” will. Und dazu ihre per­son­ellen Kapaz­itäten deut­lich auf­s­tock­en will. (4)

Wir wollen, dass die neue Bun­desregierung und ihre Vertreter*innen ihrer Ver­ant­wor­tung, Leben zu ret­ten und zu schützen, endlich aktiv nachkommt! Die kom­pro­miss­lose Ein­hal­tung von Men­schen­recht­en ist mit der Auf­gabe des Gren­zschutzes und der Migra­tions­ab­wehr niemals vere­in­bar. Fron­tex ist nicht reformier­bar und MUSS abgeschafft werden!

Mit vie­len anderen sozialen Bewe­gun­gen und Organ­i­sa­tio­nen fordern wir daher von der deutschen Bundesregierung:

- Der Ein­satz von deutschen Bun­des- und Landespolizist*innen muss sofort been­det wer­den. Es darf kein weit­eres Per­son­al entsendet werden
— Darüber hin­aus muss die deutsche Bun­desregierung infolge ihrer eige­nen Mitver­ant­wor­tung Leg­geri, den Exeku­tivdi­rek­tor von Fron­tex, auf­grund erwiesen­er Men­schen­rechtsver­let­zun­gen auf­fordern, oper­a­tive Tätigkeit­en mit deutsch­er Beteili­gung zu been­den. ((Art. 46 Abs. 2 der Frontex-Verordnung)
— Einen sofor­ti­gen Stopp der Bere­it­stel­lung von polizeilich­er und mil­itärisch­er Aus­rüs­tung für den soge­nan­nten europäis­chen “Gren­zschutz”, sowohl an Fron­tex als auch an nationale Grenzbe­hör­den und einen Stopp des steti­gen Aus­baus der Überwachungstechnologien
— Die Vor­würfe gegen deutsche Beamt*innen müssen kon­se­quent aufgear­beit­et und strafrechtlich ver­fol­gt werden
— Drittstaat­en dür­fen nicht zum Torhüter der EU gemacht wer­den: Exter­nal­isierung­sprak­tiken und Entsendung von Fron­tex Per­son­al in Drittstaat­en beenden!
— Ein sofor­tiges Ende von völk­er­rechtswidri­gen Push- und Pull­backs und bru­taler Grenzgewalt

Fron­tex ist ein zen­traler Baustein des repres­siv­en Gren­zregime der EU, das auf Aus­gren­zung abzielt. Gemein­sam set­zen wir uns für Bewe­gungs­frei­heit für alle Men­schen und ein Ende der ras­sis­tis­chen und men­schen­ver­ach­t­en­den europäis­chen Abschot­tungspoli­tik ein. #Abol­ish­Fron­tex

Lasst uns gemein­sam laut werden!
Seenotret­tung und Men­schen­rechte sind und bleiben #unver­han­del­bar !

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Law & Order

Beratungsstelle fordert unabhängige Beschwerdestelle

In den let­zten Jahren haben ver­schiedene Fälle polizeilichen Fehl-ver­hal­tens die Notwendigkeit aufgezeigt, in Bran­den­burg eine unab­hängige Beschw­erdestelle für Betrof­fene polizeilichen Fehl-ver­hal­tens zu schaf­fen. Vor allem immer wieder vork­om­mende Fälle, in denen sich Men­schen über nicht gerecht­fer­tigte Gewal­tan­wen­dun­gen oder ras­sis­tis­che Diskri­m­inierun­gen durch Polizist:innen beschw­eren, zeigen wie notwendig es ist, die demokratis­che Kon­trolle polizeilichen Han­delns zu verbessern. Zulet­zt sorgte der Fall eines in Kenia gebür­ti­gen Pots­damers, der im Polizeige­wahrsam nach ein­er Ver­let­zung nicht medi­zinisch ver­sorgt wurde und dem deshalb ein Fin­ger­glied amputiert wer­den musste, für Auf­se­hen. Aus diesem Grund begrüßt die Opfer­per­spek­tive e.V. die Vere­in­barung der Regierungs-koali­tion, auch in Bran­den­burg eine unab­hängige Polizeibeschw­erdestelle einzuführen. Allerd­ings stockt der dies­bezügliche Geset­zge­bung­sprozess seit längerem.

Die Opfer­per­spek­tive e.V. veröf­fentlicht heute dazu ein Posi­tion­spa­pi­er, dass die Notwendigkeit ein­er solchen Stelle in Bran­den­burg aufzeigt. In dem Papi­er wird dargelegt, welche Voraus­setz- ungen die Beschw­erdestelle erfüllen muss, um Vor­würfe polizeilichen Fehlver­hal­tens tat­säch­lich über­prüfen zu kön­nen. Der Vere­in fordert, noch in diesem Jahr mit der Ein­rich­tung der Beschw­erdestelle zu beginnen.

Hannes Püschel von der Opfer­per­spek­tive e.V. erk­lärte dazu: „Eine effek­tive demokratis­che Kon­trolle polizeilichen Han­delns und eine schnelle und gründliche Aufk­lärung von Fällen etwaigen Macht­miss­brauchs sind grundle­gende Teile eines funk­tion­ieren­den Rechtsstaates. Die Regierungs­frak­tio­nen ste­hen in der Ver­ant­wor­tung, endlich den Schutz und die Unter­stützung für Men­schen, die in Bran­den­burg Opfer rechtswidriger Hand­lun­gen von Polizeibeamt:innen wer­den zu verbessern.“

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(Anti-)Rassismus Flucht & Migration Law & Order

Stoppt die Inhaftierung Asylsuchender

Fam­i­lie C. floh Anfang Juli 2021 aus der Türkei über die Ukraine nach Berlin. Schlep­per zwan­gen die verzweifel­ten Eltern, ihre 19- und 11-jähri­gen Töchter in Odessa zurück­zu­lassen. Mit den verbleiben­den Kindern – den 16 und 17 Jahre alten Töchtern und ihrem 6‑jährigen Sohn – beantragte die Fam­i­lie bei Ankun­ft am Flughafen BER am 16. Juli Asyl. Der Antrag wurde im Schnel­lver­fahren vier Tage später abgelehnt. Die Fam­i­lie wird seit­dem im Flughafenge­fäng­nis festgehalten.

Der Fam­i­lien­vater wurde in der Türkei Opfer von Folter. Frau C. war bis zu ihrer Flucht in einem poli­tisch exponierten Büro der kur­dis­chen Partei HDP aktiv, deren Par­la­mentsmit­glieder vom Erdo­gan-Regime ver­fol­gt wer­den. Frau C. wurde von den Behör­den observiert und kon­trol­liert und ent­ging Anfang 2021 mit ein­er ihrer Töchter nur knapp einem bewaffneten Angriff auf das Parteibüro.

Die Asyl­be­fra­gung der Fam­i­lie C. wurde ohne Rück­sicht auf die erlit­tene Folter und die psy­chis­che Erkrankung des Vaters durchge­führt. Wed­er fan­den die von ihm vorgelegten Atteste Beach­tung noch wurde ein:e auf die Anhörung von Folteropfern geschulte:r Anhörer:in einge­set­zt. Die Anhörung der Fam­i­lie dauerte ins­ge­samt fast neun Stun­den, Pausen gab es nicht. Die Über­set­zung hat­te erhe­bliche Fehler und Lück­en. Die mehrfache Bitte, eine:n Anwält:in kon­tak­tieren zu dür­fen, wurde der Fam­i­lie ver­wehrt, obwohl nach europäis­chem Recht in allen Phasen des Asylver­fahrens, also auch vor der Anhörung, „effek­tiv Gele­gen­heit“ zu geben ist, ein:e Anwalt:in zu kon­sul­tieren. Ein:e Psychiater:in wurde vor der Asy­lentschei­dung zu keinem Zeit­punkt hinzugezogen.

Erst nach Ablehnung des Asy­lantrags durch das BAMF bekam die Fam­i­lie Kon­takt zu ein­er Anwältin. Einen Eilantrag auf auf­schiebende Wirkung der ein­gere­icht­en Asylk­lage lehnte das Ver­wal­tungs­gericht Pots­dam ohne Anhörung der Betrof­fe­nen im Schnel­lver­fahren am ab.

Als Reak­tion auf die Asy­lablehnung des Gerichts unter­nahm Frau C. einen Suizid­ver­such. Schon am Fol­ge­tag wurde sie anstelle eines zunächst ärztlich anger­ate­nen län­geren Psy­chi­a­trieaufen­thaltes aus dem Klinikum Neukölln in die Haf­tanstalt zurück­ge­bracht, da durch die polizeiliche Auf­sicht erneute Suizid­ver­suche aus­geschlossen seien. Kurz darauf musste sie erneut not­fallmäßig in eine psy­chi­a­trische Klinik aufgenom­men wer­den. Eine nach dem Suizid­ver­such von der Bun­de­spolizei beauf­tragte Ver­tragsärztin erk­lärte bei­de Ehep­art­ner für reise- und flu­gun­fähig. Die Bun­de­spolizei beauf­tragte daraufhin ein­fach einen zweit­en Ver­tragsarzt, der noch am sel­ben Tag wun­schgemäß die Reise­fähigkeit bei­der Ehep­art­ner bescheinigte.

Die Bun­de­spolizei plant nun die Abschiebung der Fam­i­lie am Fre­itag 13. August 2021 mit Ryanair FR 6925 um 6 Uhr ab BER nach Odessa/Ukraine in Begleitung von neun Polizist:innen und einem:r Ärzt:in. Es ist zu ver­muten, dass aus der Ukraine umge­hend eine Abschiebung in die Türkei erfolgt.

Wir lehnen die Inhaftierung Schutz­suchen­der am Flughafen und die Durch­führung von Asylver­fahren unter Haftbe­din­gun­gen grund­sät­zlich ab“, sagt Georg Classen vom Flüchtlingsrat Berlin. „Beson­ders zynisch ist, dass im Flughafen Willy Brandt sog­ar Kinder ins Gefäng­nis ges­per­rt werden.“

Men­schen, die gefoltert wur­den, sind in der Asy­lan­hörung häu­fig nicht zu einem den Anforderun­gen genü­gen­den Sachvor­trag in der Lage. Die Ermit­tlung der Asyl­gründe und die gebotene medi­zinis­che Diag­nos­tik ist bei psy­chisch Trau­ma­tisierten nicht im Schnel­lver­fahren möglich, schon gar nicht in ein­er Haf­tanstalt unter Polizeibewachung. Vielmehr fol­gt dann aus dem Asylge­setz in Verbindung mit den Maß­gaben der EU für beson­ders schutzbedürftige Asyl­suchende ein Anspruch auf unmit­tel­bare Ent­las­sung aus der Haft am Flughafen“, sagt Diet­rich Koch von Xenion e.V.

Wir sind entset­zt über die Grausamkeit und die Rechtswidrigkeit, mit der die Bun­de­spolizei und das BAMF gegen Fam­i­lie C. vorge­hen“, so Lot­ta Schwedler vom Flüchtlingsrat Bran­den­burg. „Die Art und Weise der Asy­lan­hörung in der Haf­tanstalt des Flughafens wider­spricht grundle­gen­den rechtsstaatlichen Prinzip­i­en, die etwa auch bei der Vernehmung von Straftäter:innen zu beacht­en sind.“

Die fort­dauernde Inhaftierung der Fam­i­lie C. ist untrag­bar. Die Fam­i­lie wird mit­samt ihren Kindern ein­er unerträglichen psy­chis­chen Belas­tung aus­ge­set­zt. Die Mut­ter ist suizidal, der trau­ma­tisierte Vater lei­det unter nächtlichen Panikat­tack­en und ist psy­chisch nicht in der Lage, sich um die Fam­i­lie zu küm­mern, und die Kinder wer­den durch die Erleb­nisse in der Haft schw­er traumatisiert.
Der Umgang mit Asyl­suchen­den am Flughafen Willy Brandt, dessen Namensge­ber selb­st Asyl vor dem Naziregime suchen musste, ist eine Schande für Berlin und Brandenburg.

Wir fordern die Län­der Berlin und Bran­den­burg auf,
• die Haf­tanstalt für Asyl­suchende am Flughafen Willi Brandt umge­hend aufzulösen.
Wir fordern die Bun­de­spolizei und das BAMF auf,
• Fam­i­lie C. mit sofor­tiger Wirkung aus der Asyl­haf­tanstalt zu ent­lassen, die Ein­reise zu gewähren sowie
• eine Wieder­hol­ung der Asy­lan­hörung unter fairen Bedin­gun­gen und in Frei­heit mit der Möglichkeit ein­er vorheri­gen anwaltlichen Beratung und fachärztlichen Diagnostik.

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Bildung & Kultur Law & Order

Brandenburg schiebt trotzdem weiter ab

Am 6. Juli 2021 wur­den 27 Män­ner von Han­nover aus nach Kab­ul aus­ge­flo­gen, darunter ein­er aus dem Land Bran­den­burg. Diese 40. Sam­me­lab­schiebung nach Kab­ul seit 2016 fand am sel­ben Tag statt, an dem der Presse zu ent­nehmen war, dass über tausend Afghanis­che Sol­dat­en nach hefti­gen Kämpfen mit den mil­i­tan­ten Tal­iban ins benach­barte Tad­schik­istan fliehen mussten, um ihr Leben zu ret­ten. Nach UN-Dat­en mussten zwis­chen Anfang Mai und Ende Juni fast 84.000 Men­schen inner­halb Afghanistans vor den Kämpfen aus ihren Dör­fern und Städten fliehen. Seit dem Abzug der inter­na­tionalen Trup­pen aus Afghanistan über­schla­gen sich die Mel­dun­gen über neue kriegerische Auseinan­der­set­zun­gen und die Eroberung weit­er­er Gebi­ete durch die Tal­iban-Miliz. Trotz dieser des­o­lat­en und sich laufend zus­pitzen­den Sicher­heit­slage hält die Bun­desregierung an ihrem harten Kurs fest und schiebt – seit Dezem­ber 2020 fast monatlich – Men­schen aus Afghanistan in ihr Herkun­ft­s­land ab.

Unter den Per­so­n­en, die Anfang Juli abgeschoben wurde, ist auch ein 36-Jähriger aus Bran­den­burg, wie dem Flüchtlingsrat Bran­den­burg auf Anfrage bestätigt wurde. „Wir sind schock­iert, dass die bran­den­bur­gis­che Lan­desregierung nicht ein­mal angesichts der aktuellen drama­tis­chen Entwick­lun­gen in Afghanistan bere­it ist, eine human­itäre Hal­tung einzunehmen und min­destens für den Moment einen Abschiebestopp zu ver­hän­gen. Wie viel Gewalt, Elend und Not braucht es denn noch, bis sich ein Lan­desin­nen­min­is­teri­um dazu bequemt, seine Abschiebeprax­is zu über­denken und Men­schen­rechte vor innen­poli­tis­che Kalküle zu stellen?“ kri­tisiert Vin­cent da Sil­va vom Flüchtlingsrat Brandenburg.

Von offizieller Seite wird zwar stets darauf ver­wiesen, dass ‚nur‘ soge­nan­nte Straftäter und Gefährder sowie Mitwirkungs- und Inte­gra­tionsver­weiger­er abgeschoben wer­den. Wer jedoch im Einzelfall darunter gezählt wird, ist – abge­se­hen davon, dass sich der bran­den­bur­gis­che Flüchtlingsrat generell klar gegen Abschiebun­gen ausspricht – sein­er Mei­n­ung nach in eini­gen konkreten Fällen mehr als frag­würdig. Im Feb­ru­ar 2021 wurde ein San­itäter, der gern hier gear­beit­et hätte, als ange­blich­er Inte­gra­tionsver­weiger­er aus Bran­den­burg nach Kab­ul abgeschoben. Und laut Bay­erischem Flüchtlingsrat saß am 6. Juli ein junger Mann an Bord des Abschiebe­fliegers, der ein Aus­bil­dungsplatzange­bot in der Altenpflege hat. Der ange­hende Pfleger wurde als „Straftäter“ abgeschoben. Sein Verge­hen – wofür er auch bere­its längst eine Geld­strafe bezahlt hat: Fahren ohne Fahrerlaubnis.

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Antifaschismus Law & Order

Verfahren gegen Akteur der Cottbuser rechten Szene geplatzt

Das für gestern ange­set­zte Ver­fahren gegen den Cot­tbuser Recht­en Hen­ry K. endete mit ein­er Ein­stel­lung ohne Aufla­gen. Hen­ry K. war beschuldigt im Jan­u­ar 2018 im Anschluss an einen recht­en Auf­marsch des Vere­ins „Zukun­ft Heimat“ in Cot­tbus die Geschäfts­führerin der Opfer­per­spek­tive bedro­ht und sex­is­tisch belei­digt zu haben, da er diese als poli­tis­che Geg­ner­in wahrnahm. (Pressemit­teilung Opfer­per­spek­tive, 22.01.2018 Ein­schüchterungsver­such gegen Berater_innen der Opfer­per­spek­tive in Cottbus)

Das Ver­fahren wurde vom Gericht eingestellt, da die Cot­tbuser Staat­san­waltschaft es ver­säumte der Vertei­di­gung des Beschuldigten inner­halb von drei Jahren die Ver­fahren­sak­ten frist­gerecht zuzustellen.

Erneut platzt ein Ver­fahren gegen einen Akteur der Cot­tbuser recht­en Szene wegen Ver­fahrens­fehlern der Staat­san­waltschaft Cot­tbus. Es ist nicht zu akzep­tieren, dass die zuständi­ge Strafver­fol­gungs­be­hörde nicht in der Lage ist, inner­halb der geset­zlichen Frist Aktenein­sicht zu gewähren und dadurch die Rechts­durch­set­zung ver­hin­dert.“ so Mar­tin Vese­ly von der Opfer­per­spek­tive. “Trotz der jüng­sten Per­son­alauf­s­tock­un­gen in Staat­san­waltschaft und Gericht müssen wir in Cot­tbus weit­er­hin von einem struk­turellen Prob­lem bei der juris­tis­chen Strafver­fol­gung poli­tisch rechtsmo­tiviert­er Tat­en aus­ge­hen. Selb­st wenn die seit vie­len Jahren anhängi­gen Ver­fahren nun Stück für Stück abgear­beit­et wer­den soll­ten, führen die über­lan­gen Ver­fahrens­dauern let­ztlich zu Straf­frei­heit für rechte Täter und zum Ver­trauensver­lust der Betrof­fe­nen in die Funk­tions­fähigkeit des Rechtsstaats. Hier braucht es Lösun­gen, die jet­zt greifen und die so gestal­tet sind, dass in den Ver­fahren der Opfer­schutz angemessen berück­sichtigt wird. Die jahre­lang grassierende rechte Gewalt, vor allem zwis­chen den Jahren 2015 bis 2018, ist in der Stadt wed­er juris­tisch, noch gesellschaftlich aufgear­beit­et wor­den“, so Mar­tin Vese­ly, Berater für Betrof­fene rechter Gewalt der Opfer­per­spek­tive in Südbrandenburg.

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(Anti-)Rassismus Flucht & Migration Law & Order

Protest gegen Abschiebung nach 22 Jahren in Deutschland

Am 26.5.2021 fand eine Sam­me­lab­schiebung nach Nige­ria vom Flughafen Düs­sel­dorf aus statt. Unter den Men­schen, die an diesem Tag abgeschoben wur­den, befand sich auch Obin­na O. Er hat mehr als die Hälfte seines Lebens in Deutsch­land ver­bracht: über 22 Jahre. Freund*innen und Bekan­nte sind fas­sungs­los. Fiona, aktiv bei Barn­im für Alle, zeigt sich schock­iert über die Vorfälle:
 
„Mein Fre­und Obi lebte seit 22 Jahren in Deutsch­land, plöt­zlich wurde er abge­holt und gegen seinen Willen in ein Flugzeug geset­zt. Ihn plöt­zlich aus seinem Leben zu reißen ist ein­fach nur unmen­schlich. Wir wollen uns von dem Abschiebedruck keine Angst machen lassen, darum demon­stri­eren wir am Dien­stag vor der Aus­län­der­be­hörde in Eberswalde.”
Abschiebun­gen wer­den durch Geset­zge­ber, Behör­den und in der Öffentlichkeit häu­fig ver­harm­lost als Rück­führun­gen, Durch­set­zung der Aus­reisepflicht, als Umgang mit einem ange­blichen Vol­lzugs­de­fiz­it, als Beendi­gung eines Aufen­thaltes. Dahin­ter ste­hen jedoch men­schliche Schick­sale. Dass Mitarbeiter*innen der lokalen Aus­län­der­be­hörde sowie der Zen­tralen Aus­län­der­be­hörde entsch­ieden haben, Her­rn O. nach 22 Jahren in Deutsch­land nach Nige­ria abzuschieben, verken­nt seine Leben­sre­al­ität. Er hat sich in Bran­den­burg nicht „aufge­hal­ten”, er hat hier gelebt.
Die Abschiebung zeigt auch die fatal­en Fol­gen von Ket­ten­dul­dun­gen: Über Jahre – manch­mal Jahrzehnte – hin­weg müssen Geduldete befürcht­en, dass ihr Leben in Deutsch­land jed­erzeit been­det wer­den kann. Von einem Moment auf den anderen, ohne Ankündi­gung und ohne die Möglichkeit, Abschied zu nehmen, wer­den sie von der Polizei abge­holt. Ket­ten­dul­dun­gen ver­hin­dern Teil­habe und Ankommen.
„Warum lebte Obin­na O. nach 22 Jahren zum Zeit­punkt sein­er Abschiebung noch immer in ein­er Gemein­schaft­sun­terkun­ft? Warum haben die Mitar­bei­t­en­den der Ver­wal­tung ihn abgeschoben anstatt ihm Wege in ein Bleiberecht zu ermöglichen? Warum sind hier keine Härte­fall­regelun­gen zum Ein­satz gekom­men?” fragte Lot­ta Schwedler vom Flüchtlingsrat Brandenburg.
Der Flüchtlingsrat unter­stützt den Aufruf der Ini­tia­tive Barn­im für alle, die ein­laden, mit ihnen zusam­men am 8. Juni um 12 Uhr vor der Aus­län­der­be­hörde Eber­swalde zu demonstrieren.
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Law & Order Sonstiges

Personalausweis ohne Fingerabdrücke beantragen!

Wir, die bei­den Pots­damer Anti­re­pres­sion­sstruk­turen, rufen euch dazu auf, noch inner­halb der bei­den kom­menden Monate einen Per­son­alausweis ohne gespe­icherte Fin­ger­ab­drücke zu beantra­gen. Ab dem 2. August 2021 gilt der Zwang für Fin­gerabrücke bei der Beantra­gung von Per­son­alausweisen, bish­er ist dies nur frei­willig. Bedenkt dabei die Bear­beitungszeit­en, ger­ade in Zeit­en der Corona-Pandemie.

Im Sep­tem­ber 2019 hat die Europäis­che Union eine Verord­nung erlassen, die Fin­ger­ab­drücke in Per­son­alausweisen verpflich­t­end macht. Im Okto­ber 2020 hat dann der Deutsche Bun­destag das Per­son­alausweis­ge­setz entsprechend angepasst, obwohl es mas­siv Kri­tik von ver­schiede­nen Organ­i­sa­tio­nen aus dem Bere­ich der Men­schen­rechte und des Daten­schutzes gab.

Fin­ger­ab­drücke sind äußerst sen­si­ble bio­metrische Kör­per­dat­en. Sie dienen bere­its heute vie­len als Schlüs­sel für Smart­phones usw. und sind bei Entwen­dung oder Daten­ver­lust jedoch mehr als gefährlich. Auch die poten­tielle Ausweitung von Überwachung und Geset­zen in der Zukun­ft kann dazu führen, dass unser Fin­ger­ab­druck gegen uns einge­set­zt wird. Generell wird hier­bei die Frei­heit weit­er abgeschafft und die Daten­sam­mel­wut verschärft.

Beantragt wer­den kann der Per­son­alausweis nicht nur, wenn er aus­läuft, son­dern auch dann, wenn er stark beschädigt ist oder ver­loren gegan­gen ist. Hier muss dann eine Ver­lust­mel­dung geschehen. Infos dazu und zur Beantra­gung gibt es auf der Web­seite der Lan­deshaupt­stadt Pots­dam (LHP) unter der Rubrik „Arbeits­gruppe Bürg­erser­vice­cen­ter“ des Fach­bere­ich­es 32 „Ord­nung und Sicherheit“.

Die kurzen Schritte:
Sofort online einen Ter­min auf der Web­seite der LHP vere­in­baren. Ein bio­metrisches Pass­fo­to zum Ter­min mit­nehmen sowie den alten Per­son­alausweis, Reisep­a­ss oder die Geburt­surkunde. Beim Ter­min vor Ort deut­lich äußern, dass ein neuer Ausweis ohne Fin­ger­ab­drücke beantragt wird. Meldet euch bei Fragen!

Net­zw­erk zur Unter­stützung repres­sions­be­trof­fen­er Nulldreier*innen (nur03*)
Rote Hil­fe Orts­gruppe Potsdam

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Klima & Umwelt Law & Order

Brandanschlag auf Stromversorgung von Teslawerk

Wir haben in der Nacht vom 25. auf den 26. Mai 2021 die Stromver­sorgung der Baustelle der Tes­la-Giga-Fab­rik in Grün­hei­de bei Berlin gekappt, indem wir an sechs überirdisch ver­legten Hochspan­nungsk­a­beln Brand gelegt haben.

Tes­la ist wed­er grün, ökol­o­gisch noch sozial. Tes­la ist ein Konz­ern, der weltweit Raub­bau betreibt, Lebens­grund­la­gen zer­stört sowie kolo­niale Aus­beu­tungsver­hält­nisse nutzt und her­stellt. Unser Feuer ste­ht gegen die Lüge vom grü­nen Auto­mo­bil. Ziel war die Sab­o­tage der Baustelle der Tes­la-Giga-Fac­to­ry. Die Ide­olo­gie des gren­zen­losen tech­nol­o­gis­chen Fortschritts und der glob­alen Zer­störung der Erde kom­men nicht durch schöne Worte zum Ende.

Gegen den Fortschritt der Zer­störung – set­zen wir die Sabotage
Kli­mas­treik für eine andere Welt!

Arson Attack against Tes­la Gigafac­to­ry in Berlin

In the night 25th to 26th of may 2021 we attacked the elec­tric­i­ty sup­ply at the con­struc­tion site of Tesla‘s Giga-Fac­to­ry in Berlin-Grün­hei­de by set­ting six main high volt­age cables on fire.

Tes­la is nei­ther green, eco­log­i­cal nor social. Tes­la is a com­pa­ny exploit­ing land and peo­ples‘ lives on a glob­al scale, it relies on and pro­duces colo­nial con­di­tions. Our fire stands against the lies about green cars. Tar­get was the sab­o­tage of the con­struc­tion site of Tesla‘s Giga-Fac­to­ry. Putting an end to the ide­ol­o­gy of unlim­it­ed tech­no­log­i­cal progress and the glob­al destruc­tion of the plan­et will not hap­pen just by nice words.

Against the progress of destruc­tion – we put sabotage
Cli­mate strike for a dif­fer­ent world!

Bran­dan­schlag auf Stromver­sorgung von Tes­law­erk in Berlin-Brandenburg

Gegen den Fortschritt der Zer­störung – set­zen wir die Sabotage
Kli­mas­treik für eine andere Welt!

(…) wir erblick­en und hören eine Welt, deren soziales Leben krank ist, zer­split­tert in Mil­lio­nen von Per­so­n­en, die sich fremd sind, krampfhaft um das indi­vidu­elle Über­leben bemüht, aber vere­int unter der Unter­drück­ung eines Sys­tems, welch­es zu allem bere­it ist um seinen Durst nach Gewinn zu stillen, obwohl klar ist, dass dieser Weg der Exis­tenz des Plan­eten Erde zuwider­läuft. (…) Die Verir­rung des Sys­tems und seine dumme Vertei­di­gung des ‚Fortschritts‘ und der ‚Moder­nität‘ zer­schellt an ein­er krim­inellen Real­ität: die Fem­izide. Der Mord von Frauen hat wed­er eine Farbe noch eine Nation­al­ität, er ist weltweit. (…) Und es scheint, als ob die ‚Zivil­i­sa­tion‘ zu uns Orig­i­nalvölk­ern sagen würde: „der Beweis dein­er Unter­en­twick­lung liegt in der niedri­gen Rate an Fem­iziden. Macht eure Megapro­jek­te, eure Züge, eure ther­moelek­trischen Anla­gen, eure Minen, eure Staudämme, eure Shop­ping­cen­ter, eure Haushalts­gerätelä­den – ein­schließlich TV-Kanal – und lernt endlich zu kon­sum­ieren. Seid wie wir. Um die Schulden dieser pro­gres­siv­en Hil­fe zu begle­ichen, genü­gen eure Län­der, euer Gewäss­er, eure Kul­turen und eure Würde nicht. Den Rest müsst ihr mit dem Leben der Frauen begle­ichen.“ (…) Wir sehen und hören die zu Tod ver­wun­dete Natur, die in ihrer Ago­nie die Men­schheit davor warnt, dass das Schlimm­ste noch bevorste­ht. Jede ‚Naturkatas­tro­phe‘ kündigt die näch­ste an und lässt geflissentlich vergessen, dass sie durch die Hand­lung eines men­schlichen Sys­tems verur­sacht wird. (…) Ja, die Straßen müssen zurücker­obert wer­den, aber um zu kämpfen. Denn wie wir bere­its früher sagten, das Leben, der Kampf um das Leben ist keine indi­vidu­elle Angele­gen­heit, son­dern eine kollek­tive. Jet­zt zeigt sich, dass es auch keine Angele­gen­heit von Nation­al­itäten ist, son­dern die ganze Welt umfasst.”

Aus einem Gruß­wort zap­atis­tis­ch­er Indi­gen­er in Lateinameri­ka an uns im glob­alen Norden

Wir haben in der Nacht vom 25. auf den 26. Mai 2021 die Stromver­sorgung der Baustelle der Tes­la-Giga-Fab­rik in Grün­hei­de durch Feuer erfol­gre­ich unter­brochen. Dazu haben wir in 250 Meter Ent­fer­nung zum Tes­law­erk in unmit­tel­bar­er Nähe zur A10 auf Höhe der Aus­fahrt Freien­brink an die Stromein­speisung über sechs Hochspan­nungsk­a­bel (110.000 Volt) inner­halb eines Bauza­unko­r­ri­dors Feuer gelegt. Da eine Unter­brechung der exk­lu­siv für die Fab­rik pro­vi­sorisch oberirdisch ver­legten Kabel­stränge in sein­er Wirkung nicht isoliert vom regionalen Strom­netz durch­führbar ist, kon­nten wir Stro­maus­fälle auch in der Umge­bung nicht voll­ständig auss­chließen. Es war unsere Absicht, die Baustelle von Tes­la zu tre­f­fen, die Arbeit­en an der Baustelle für einen Tag zu erschw­eren, den Bau der Fer­ti­gungsan­la­gen zu unterbrechen.
Da es der Bevölkerung vor Ort wegen der ungle­ichen Kräftev­er­hält­nisse (Kap­i­tal, Poli­tik und Behör­den ver­sus Inter­essen von Anwohner_innen, Klimaschützer_innen und Ökolog_innen) nicht so ein­fach gelin­gen kann, den Bau erfol­gre­ich zu stop­pen, steuern wir hier­mit unsere Sab­o­tage sol­i­darisch bei. Sollte unsere Aktion erfol­gre­ich gewe­sen sein, wird der reich­ste Mann der Welt die Unter­brechung der Bauar­beit­en zwar finanziell kom­pen­sieren — der poli­tis­che Schaden aber ist ihm gewiss.

Warum sabotieren wir Tesla?

In Grün­hei­de bei Berlin wird eine Aut­o­fab­rik gebaut. Tes­la baut dort eine „Giga-Fab­rik“. So großspurig der Name und das Pro­jekt angelegt sind, so großspurig auch der Akteur: Elon Musk. Seine patri­ar­chalen All­macht­sphan­tasien sollen die Welt ret­ten? Darüber kön­nten wir lachen, wenn es nicht so ernst wäre: Die Pro­duk­tion ange­blich „sauber­er, kli­mafre­undlich­er“ akku­be­trieben­er Fahrzeuge ist nur ein neuer Beitrag zur weit­eren Zer­störung des Planeten.

Unsere Aktion zeigt die Angreif­barkeit dieses Pro­jek­ts auf, sie unter­gräbt die ver­meintliche „Allmächtigkeit“, mit der Musk Bran­den­burg heim­sucht. Dort set­zt er bau­rechtliche Bedin­gun­gen wie ein Feu­dal­herr und ignori­ert bspw. alle Ein­wände gegen den dro­hen­den Wasser­man­gel in der Region. Er will seine Fab­rik ein­er­seits nah den pol­nis­chen Arbeiter_innen, ander­er­seits nah dem vielle­icht bald grün regierten Berlin und den dort ansäs­si­gen Käufer_innen strate­gisch posi­tion­ieren. Die Poli­tik, die Ver­wal­tung und einzelne Presse­or­gane, die wegen neuer Arbeit­splätze und dem erhofften wirtschaftlichen Stan­dortvorteil vor Musk buck­eln, wer­den unsere Aktion scharf verurteilen und uns als Ter­ror­is­ten dif­famieren. Das ist eine Ver­drehung von Tat­sachen – unser Angriff zer­stört Sach­w­erte, sabotiert Arbeit­sprozesse und ver­nichtet Geld, aber nicht Lebens­grund­la­gen. Wir haben die Gefahr für Men­schen­leben bei der Aktion aus­geschlossen. Wir ver­ste­hen die Aktion aber als ein flam­mendes State­ment gegen die Lüge vom grü­nen Kap­i­tal­is­mus. Wir wehren uns gegen die weit­eren Zer­störun­gen unser­er Lebens­grund­la­gen vor Ort und glob­al und die Aus­beu­tung von Men­schen durch den expan­siv­en tech­nol­o­gis­chen Wahnsinn. Unser Anschlag ist eine Auf­forderung, den „Green Deal“ anzu­greifen. In Unter­stützung sozialer Kämpfe weltweit. Aus ökol­o­gis­chen Grün­den. Aus antikolo­nialen Grün­den. Aus fem­i­nis­tis­chen Grün­den. Aus klassenkämpferischen Grün­den. Aus let­ztlich rev­o­lu­tionären und herrschafts­feindlichen Gründen.

Pro­pa­gan­dis­tis­che Lügen als Verkauf­sstrate­gie bei gle­ichzeit­iger Gewissensberuhigung
Ökol­o­gis­che Illu­sion hier, kolo­niale Real­ität anderswo
Der Green Deal basiert auf Dieb­stahl, Aus­beu­tung und Raubbau

Das Gerede vom grü­nen Kap­i­tal­is­mus, vom New Green Deal, ist nichts als Pro­pa­gan­da. Der Green Deal bedeutet, den Kli­maschutz als grüne Fort­set­zung des Neolib­er­al­is­mus zu etablieren. Auch er macht die Reichen reich­er auf Kosten der anderen. Durch indi­vidu­elle Elek­tro­mo­bil­ität wird die ökol­o­gis­che Ver­wüs­tung nicht aufge­hal­ten, sie wird fort­ge­set­zt und aus­geweit­et. Wir erleben eine tech­nol­o­gis­che Offen­sive, die außer­dem den wirtschaftlichen Kolo­nial­is­mus des impe­ri­alen Zeital­ters in Form der unge­broch­enen massen­haften Aus­beu­tung von Mil­lio­nen Men­schen für den Luxus im glob­alen Nor­den fort­set­zt. Neben materiellen Gütern ist es jet­zt auch der Luxus sauber­er Luft. Dabei wis­sen wir, dass dies eine Illu­sion ist: Wir leben alle auf dem sel­ben Plan­eten, atmen die selbe Luft.

Der Umstieg vom Auto mit Ver­bren­nungsmo­tor zum smarten Elek­troau­to wird glob­al keinen einzi­gen pos­i­tiv­en Effekt haben. Dort, wo E‑Autos fahren, wird die Luft zwar bess­er sein, aber zur Erzeu­gung dieser erneuer­baren Energie und zum Bau der Autos wer­den nicht-erneuer­bare Rohstoffe in riesi­gen Men­gen ver­braucht. Zum Bau der neuen Strom­trassen, Strom­tankstellen und Elek­tro­mo­toren wird vor allem Kupfer gebraucht. Es kommt zu großen Teilen aus Südameri­ka. Dort arbeit­en Men­schen hart für wenig Geld, um das Met­all aus der Erde zu holen. Land­schaften wer­den zer­stört. Um die Berg­w­erke zu betreiben und das Kupfer zu ver­ar­beit­en, wer­den große Men­gen Strom ver­braucht. Die Kraftwerke wer­den fast über­all mit Kohle betrieben, die aus Chi­na mit Schif­f­en über den Paz­i­fik trans­portiert wird. Die Schiffe wer­den mit dreck­igem Schiffs­diesel betrieben. In Chile wer­den z.B. Men­schen in großer Zahl von den Abgasen der Kohlekraftwerke krank, Ökosys­teme verö­den. Was ist ökol­o­gisch an dem Kohleab­bau in Chi­na oder Aus­tralien? Wie ökol­o­gisch ist die Ver­schif­fung des Kupfers hin­aus in die saubere Welt der Elek­troau­to-Gut­men­schen? Wie klein kann der „ökol­o­gis­che Fin­ger­ab­druck“ ein­er dreck­i­gen Schw­erindus­trie sein, die saubere Autos produziert?

Für den Bau der Auto-Akkus wird viel Lithi­um gebraucht. In den näch­sten 9 Jahren soll der Ver­brauch von Lithi­um um das 20- bis 30-fache steigen. Das bedeutet einen entsprechend höheren Energie­ver­brauch für Förderung, Trans­port und Ver­ar­beitung. In den Förderge­bi­eten sind Vertrei­bung und der Lan­draub an der indi­ge­nen Bevölkerung alltäglich, bspw. in Argen­tinien. Dort wird das Land dem Öko­gewis­sen der­jeni­gen geopfert, die weit­er so expan­siv leben wollen wie bish­er; dort wer­den Lebens­grund­la­gen zer­stört, damit hier finanziell gut gepol­sterte Eltern ihre Kinder mit gutem Öko­gewis­sen weit­er­hin mit dem SUV in den Kinder­garten oder in die Pri­vatschule brin­gen können.

Auch ohne Kobalt funk­tion­iert zur Zeit kein Akku, der in E‑Autos ver­baut ist. Aber Kobalt ist sel­ten. Zur Ver­an­schaulichung: Würde Audi eines sein­er Fab­rika­tion­s­mod­elle, den A4, rein elek­trisch bauen, müssten die Autofabrikmanager_innen dafür den hal­ben Welt­markt an Kobalt leer kaufen. VW hat errech­net, dass es für die E‑Au­to-Pro­duk­tion 130.000 Ton­nen Kobalt bräuchte. Die Welt­pro­duk­tion liegt derzeit bei 123.000 Ton­nen. Da ist wed­er Tes­la noch son­st ein ander­er Autokonz­ern mitein­gerech­net. Allein der Akku eines Road­ster von Tes­la beste­ht aus 6831 Zellen. Es hat seinen Grund, dass Tes­la am kobalt­freien Akku arbeit­et: Es kön­nten gar nicht die vorge­se­henen Men­gen an E‑Autos gebaut wer­den, weil es nicht genug Rohstoffe gibt. Das heißt aber auch, dass die vorhan­den Ressourcen ohne Rück­sicht auf Men­schen und Ökosys­teme aus der Erde gekratzt wer­den. Da kön­nen wir uns sich­er sein.

Auch zu dem, was „nach­haltige“ Energiegewin­nung genan­nt wird, wer­den sel­te­nen Met­alle und Erden gebraucht, ver­braucht, gefördert, ver­ar­beit­et, ver­schifft etc. Das gilt fürs Win­drad wie das Gezeit­enkraftwerk. Alle effizien­ten Elek­tro­mo­toren brauchen diese Met­alle und Erden. Diese kom­men vor allem aus Chi­na und Afri­ka und wer­den dort unter den gle­ichen üblen Bedin­gun­gen gefördert und weit­er­ver­ar­beit­et wie in Südamerika.
Der Ressourcenver­brauch, die sozialen Aus­beu­tungs­be­din­gun­gen und der ökol­o­gis­che Schaden sind enorm. Dazu kommt, dass die meis­ten Akkus nach ein paar Jahren schrot­treif sind. So schrot­treif, wie der ide­ol­o­gis­che Fortschritts­gedanke, der an Expan­sion und Mehrw­ertschöp­fung geknüpft ist — und nicht an soziale und sol­i­darische Ver­hält­nisse für alle Menschen.

Der Patri­arch und sein (Alb-)Traum

Elon Musk, Eigen­tümer und Patri­arch von Tes­la, ist für uns nur ein Vertreter ein­er Kaste von Män­nern, die sich einig sind in ihrem aggres­siv-kap­i­tal­is­tisch-tech­nol­o­gis­chen Mod­ernisierungswillen und ihrem Welt­be­herrschungswahn. Als Ego­ma­nen sehen sie sich als Mit­telpunkt ein­er Welt, die sie zu besitzen glauben. Sie zeich­nen sich durch extreme Ver­ant­wor­tungslosigkeit und anti­soziales Agieren aus.
Aber Elon Musk ist auch der reich­ste Men­sch der Welt und der Grün­der viel­er Unternehmen, der Pro­to­typ des Wirtschaftspa­tri­archen. In seinen Fir­men ist alles genauestens vorgeschrieben. Wer nicht effizient arbeit­et, fliegt raus. Musk glaubt an den gren­zen­losen tech­nisch-kap­i­tal­is­tis­chen Fortschritt – er glaubt auch, dass wir sehr wahrschein­lich in ein­er Sim­u­la­tion leben. So einem kann es total egal sein, über wie viele Leichen er geht. Nicht umson­st plant er die Besied­lung des Mars. Das ist nur logisch, wenn das Leben auf der Erde für die meis­ten Men­schen zur Hölle wer­den wird, wenn es so weit­er läuft wie bish­er. Und er wird‘s wissen.
Es ist hin­länglich bekan­nt, dass sein Unternehmen SpaceX der weltweit führende kom­merzielle Anbi­eter von Raketen­flü­gen ist. Sein SpaceX-Raum­schiff Drag­on ver­sorgt die Inter­na­tionale Raum­sta­tion ISS, ein weit­eres Raum­schiff namens Crew-Drag­on bringt auch Leute dort hin. Musk arbeit­et ger­ade mit „Erfolg“ daran, den Wel­traum­flug zur touris­tis­chen Nor­mal­ität für Reiche zu machen. Das Geld, das er mit den ange­blich so sauberen Elek­troau­tos ver­di­ent, steckt er in den Aus­bau sein­er Raketen­flotte. So ist jed­er Kauf eines Elek­tro-Autos von Tes­la nichts anderes als ein Beitrag zur weit­eren ökol­o­gis­chen Zer­störung der Biosphäre – über die Öko­bi­lanz von Raketen muss man wohl nichts sagen. Als Sym­bol sein­er Potenz ließ er vor Jahren ein Tes­la-Cabrio samt Puppe im Raum­fahrer-Out­fit am Steuer mit ein­er sein­er Raketen ins All ejakulieren. Seit­dem umrun­det das Ding sin­nentleert die Erde.

Das Märchen vom ökol­o­gisch und poli­tisch kor­rek­ten Großin­vestor ist eine neolib­erale Lüge, die jene ver­bre­it­en, die sie glauben wollen. Tes­la baut vor allem Oberk­lasse­mod­elle und SUVs; jet­zt auch einen PKW, der über 300 km/h fahren kann. Der saud­is­che Staats­fonds, unter der Kon­trolle des men­schen­ver­ach­t­en­den Kro­n­prinzen, hält Tes­la-Anteile im Wert von bis zu 3 Mil­liar­den Dol­lar. Der Dik­ta­tor baut und ver­di­ent mit im Brandenburgischen.

Musk ist auch ein patri­ar­chaler Visionär. Er will das men­schliche Gehirn mit Maschi­nen ver­net­zen und hat dazu 2016 die Fir­ma Neu­ralink gegrün­det. Der irdis­che Traum des Elon Musk ist das auf Kün­stlich­er Intel­li­genz beruhende automa­tisierte Fahren. Schon jet­zt wer­den in Tes­la-Autos viele Funk­tio­nen per App ges­teuert. Die neuen Mod­elle fil­men pausen­los das Innere des Autos und auch die äußere Umge­bung. Diese Dat­en wer­den direkt in die Tes­la-Cloud geschickt. Wer einen Tes­la kauft, macht sich zum Teil ein­er dystopis­chen Überwachungsap­pa­ratur. 2020 erhielt Tes­la den Big-Broth­er-Award, der für beson­ders ein­schnei­dende tech­nis­che Kon­trolle vergeben wird. Begrün­dung war, dass die Dat­en per­ma­nent aus­gew­ertet und gespe­ichert wer­den. Es hieß, Tes­la-Autos seien „Überwachungsan­la­gen auf vier Rädern“.
Diese ressourcen-ver­schwen­dende Überwachungsmo­bil­ität soll die Zukun­ft des Indi­vid­u­alverkehrs sich­ern und diesen in den gesellschaftlichen Aus­beu­tungs- und Überwachungskon­text ein­binden. Das war auch bish­er bei der Autoin­dus­trie der Fall: Die Fließban­dar­beit wurde von Ford am Auto­mo­bil durchge­set­zt, damit kosten­ef­fizien­ter pro­duziert wer­den kon­nte. Vor allem aber, um die Arbeiter_innen durch die Zerteilung der Arbeitss­chritte zu isolieren und ihre gew­erkschaftliche Organ­isierung zu unter­graben. Man muss nur nach­le­sen, was Herr Ford dazu geschrieben hat. Genau­so ernst nehmen wir, wie Musk, die Welt for­men will. Er träumt unge­niert den patri­ar­chalen Traum der Herrschaft über Erde und Wel­traum. Mit solchen Män­nern wur­den genü­gend Erfahrun­gen in den let­zten 5000 Jahren gemacht. Sor­gen wir dafür, dass die Zeit für ihn und seines­gle­ichen abge­laufen ist.

Grün­hei­de

Grün­hei­de soll die zweite große Fab­rik von Elon Musk wer­den, die Elek­troau­tos her­stellt. Er nen­nt sie nicht ohne Grund „Giga-fac­to­ry“. Ihre Dimen­sio­nen sind mon­strös, wie die der anderen Giga-fac­to­ries. Die erste baut Akkus in Neva­da (USA). Damit sie gebaut wer­den kon­nte, wur­den auf Ver­lan­gen Musks Geset­ze geän­dert und 1,3 Mil­liar­den Steuern erlassen. Die Giga-fac­to­ry 2 baut Pho­to­voltaikan­la­gen. In Giga-fac­to­ry 3, Shang­hai (Chi­na), wer­den Autos gebaut. Num­mer 4 in Grün­hei­de wird dieser gle­ichen. Pro Jahr sollen dort ab Som­mer 2021 um die 12.000 Arbeiter_innen 500.000 Autos bauen. Später sollen dort 40.000 Men­schen 2 Mil­lio­nen Autos pro Jahr bauen. Das wären pro Tag ca. 5500 Autos.
Die Grund­stück­spreise in der Gegend steigen bere­its jet­zt. Die aus Berlin bekan­nte Gen­tri­fizierung wird den Raum um Erkn­er mit zu erwartenden 35.000 Zuzügler_innen erfassen. Dies geht auf Kosten finanziell schwach aufgestell­ter Haushalte und wird zu starken Vertrei­bun­gen der Bevölkerung aus der Region führen. Entsprechend groß ist die Verun­sicherung und Wut.
Auch konkret vor Ort ist Tes­la eine Katas­tro­phe. Neben der Abholzung der Wald­fläche für den Bau der Fab­rik und der mas­siv­en Zunahme des lokalen und über­re­gionalen Verkehrs wird der hohe Wasserver­brauch die ökol­o­gisch schw­er­wiegend­ste Folge für die Region sein. Der Vor­stand des Wasserver­ban­des Straus­berg-Erkn­er warnte sog­ar vor Trinkwasserk­nap­pheit. Für den Erst­be­trieb prog­nos­tizierte Tes­la den Ver­brauch von 3,3 Mil­lio­nen m³ Wass­er im Jahr. Erst nach heftiger Kri­tik änderte Tes­la seine Ein­schätzung auf 1,4 Mil­lio­nen m³ für den Anfang. Später wer­den es 2,15 Mil­lio­nen m³ Trinkwass­er sein. Langfristig wird bere­its von über 15 Mil­lio­nen m³ Wasserbe­darf im Jahr gere­det. Das bedeutet, nach Ein­schätzung von Ökolog_innen, neg­a­tive Auswirkun­gen auf den Wasser­haushalt der Region und die nahen Land­schafts- und Naturschutzge­bi­ete. Ab 2022 wird es bei dem geschätzten Wasserver­brauch der Fab­rik keine aus­re­ichen­den Wasser­förder­re­ser­ven zur Entwick­lung der Region mehr geben. Das Abpumpen großer Wasser­men­gen ver­stärkt dazu das Prob­lem der sink­enden Grund­wasser­spiegel, was eine Folge der Kli­makatas­tro­phe ist. Das alles bet­rifft den Leit­er des Lan­desumweltamtes von Pots­dam nicht. Anhörun­gen von Tes­la-Geg­n­er_in­nen lassen ihn kalt und er bewil­ligt eine Umwelt­sauerei nach der näch­sten. Nun sollen sog­ar uner­schlossene Trinkwasser­reser­voirs aus­ge­beutet werden.
In der Poli­tik Bran­den­burgs wird mit der Investi­tion von 50 Mil­lio­nen von Daim­ler für die Her­stel­lung von E‑Sprintern in Lud­wigs­felde das Land als „Mobil­itäts­stan­dort“ abgefeiert.
Und Tes­la wirbt dreist mit der „fortschrit­tlich­sten Fab­rik der Welt“. Aber Tes­la nutzt bish­er in seinen Fab­riken Tech­nik (z.B. in der Lack­ier­erei), die hin­sichtlich des Umweltschutzes älter und rückschrit­tlich­er ist, als die der kon­ven­tionellen Auto­bauer in Europa. Der Wasserver­brauch und die Emis­sio­nen sind deut­lich höher. Es ist, als baue man eine Chemiefab­rik in einem Trinkwasserschutzgebiet.
Die Zahlungsmoral von Tes­la ist trotz der Bevorzu­gung durch die lokalen Genehmi­gungs­be­hör­den man­gel­haft. Man kann es sich halt leis­ten. Tes­la bezahlte die Wasser­rech­nung für die Baustelle nicht. Erst als im Okto­ber 2020 das Wass­er abge­dreht wurde, kam das Geld. Man ist es gewohnt, dass für einen Geset­ze geän­dert und Struk­turen angepasst wer­den. Die Hochschule Bran­den­burg richtet einen Stu­di­en­gang „Elek­tro­mo­bil­ität“ ein, damit auch der nötige Inge­nieursnach­wuchs herangezüchtet wer­den kann, die nahe Auto­bahn wird extra für den Fab­rik­be­trieb saniert und die L38 ausgebaut.
Das ist die fort­ge­set­zte Nor­mal­ität der zer­störerischen Indus­tri­al­isierung des 19. Jahrhun­derts, die jet­zt auf der Welle des grü­nen Kap­i­tal­is­mus ins 21. Jahrhun­dert reit­et. In der ohne Rück­sicht auf Men­schen und die natür­lichen Ressourcen, riesige Land­schaften, fast der ganze Kon­ti­nent, fast die ganze Welt, der indus­triellen, vers­marteten Pro­duk­tion unter­ge­ord­net werden.

Kon­sum und Indi­vid­u­alverkehr — oder: eine andere Welt

Für was wird der zum Fetisch erhobene motorisierte Indi­vid­u­alverkehr genutzt? Um die Men­schen totalflex­i­bil­isiert und totalüberwacht zu ihren Arbeit­splätzen zu bekom­men, um sie immerzu kon­sum­ieren zu lassen, um Men­schen möglichst schnell befördern zu kön­nen – damit sie mehr arbeit­en und mehr konsumieren.
Ist ein Elek­tro-SUV eine Verbesserung für irgendetwas?
Um ein Leben führen zu kön­nen, mit dem wir nicht leben­snotwendi­ge Grund­la­gen der Erde zer­stören, braucht es keine Elek­tro­mo­bil­ität. Es braucht ins­ge­samt weniger Mobil­ität, weniger Indi­vid­u­alverkehr, vor allem weniger Kon­sum, dessen Nutzen und damit ver­bun­de­nen Glücksver­sprechun­gen uns täglich einge­häm­mert wer­den. Es braucht kosten­lose öffentliche Verkehrsmit­tel. Es braucht einen Fortschritt des sozialen Miteinan­ders, eine Zukun­ft ohne Aus­beu­tung unser­er Arbeit­skraft. Nur die Aufrechter­hal­tung kolo­nialer Aus­beu­tungsver­hält­nisse macht es möglich, Elek­tro­mo­toren zu pro­duzieren, die Leute hier glauben lässt, die Autos seien ökol­o­gisch sauber.

Und zu den sozialen Aspek­ten gefragt: Möcht­en die wohlhaben­den Tes­la-Käufer­_in­nen mit Öko-Gewis­sen die Minen und Berg­w­erke für ihr „Öko“-Auto neben ihrem „Bauern­garten“ haben? Wollen sie die Kraftwerke, die diese mit Strom ver­sor­gen, von ihrer Eigen­tumswoh­nungs­dachterasse aus erblick­en? Wollen sie die Hüt­ten der geschun­de­nen Arbeiter_innen neben dem Öko-Kinder­garten sehen, in den sie ihre Kinder schicken?
Nein. Diese Men­schen und deren Arbeits­be­din­gun­gen sollen außer­halb der EU bleiben. Sie wollen das Elend nicht sehen. Denn es ist ihnen wahrschein­lich ganz ein­fach egal, dass andere den Blut­zoll für ihre „Priv­i­legien“ zahlen müssen. Es man­gelt nicht an Wis­sen über die glob­alen Zusam­men­hänge. Man kann sich entschei­den, auf welch­er Seite man ste­ht. Man kann einen SUV kaufen oder ansteck­en. Wir empfehlen let­zteres — ohne sich erwis­chen zu lassen, ver­ste­ht sich.

Es gibt genü­gend Erfahrung mit den Ver­sprechun­gen des kap­i­tal­is­tisch-tech­nol­o­gis­chen Fortschritts. Vor 200 Jahren gab kaum noch Wälder in Mit­teleu­ropa, weil die für Berg­bau, Indus­trie, Kriegss­chiffe, Heizen und Bauen ver­braucht wur­den. Die Rodun­gen wur­den abgelöst durch die indus­trielle Förderung der Kohle. Wir wis­sen alle, was die anschließende Kohle­ver­bren­nung angerichtet hat.
Wir wis­sen, dass die Dig­i­tal­isierung der Welt vor allem zu neuen For­men von Herrschaft geführt hat und weit­er führen wird. Tes­la wird immer wis­sen, wer noch im Auto sitzt, was ger­ade gesprochen wird und wohin die Reise geht. Die Dat­en gehören nicht uns, sie wer­den verkauft und bilden eine weit­ere Grund­lage für die Möglichkeit­en total­itär­er Überwachung.

Kli­makatas­tro­phe und der Sinn rev­o­lu­tionär­er Sabotageaktionen

Neben anderem hat der unge­broch­ene Glaube und das Fes­thal­ten aller bish­eri­gen vom Markt beherrscht­en Gesellschafts­for­men an den tech­nis­chen Fortschritt ohne Zweifel bewirkt, dass die Kli­makatas­tro­phe nicht mehr zu ver­hin­dern ist. Sab­o­tage kann große soziale Kämpfe nicht erset­zen, sie kann diese aber unter­stützen oder mutige Akzente set­zen, um Denkräume und Per­spek­tiv­en zu forcieren.
Warum machen wir dann trotz­dem Sab­o­tageak­tio­nen, wenn wir glauben, dass die Kli­maz­er­störung nicht mehr aufge­hal­ten wer­den kann? Weil wir das Aus­maß der kom­menden Katas­tro­phen so ger­ing wie möglich hal­ten möcht­en. Weil Protest und Wider­stand gegen die Zer­störung des Kli­mas durch prof­i­to­ri­en­tiertes Aus­beuten der Ressourcen der Erde einen rev­o­lu­tionären Zukun­ft­saus­blick zum Ziel haben kann. Weil mit der Zer­störung expan­siv­er mark­tradikaler Wirtschaft­spoli­tik die Chance beste­ht, eine grundle­gende sol­i­darische und soziale Lebensweise zu etablieren, die uns Wege in eine andere Gesellschaft weist. Wenn die Ver­wüs­tung der Ökosys­teme weit fort­geschrit­ten ist, kann eine neue Gesellschaft mit den Fol­gen dieser Hin­ter­lassen­schaften bess­er umge­hen, wenn die Herrschaftsver­hält­nisse grundle­gend zer­stört sind. Nur im Wider­stand gegen die existieren­den zer­störerischen Ver­hält­nisse wer­den die Möglichkeit­en der Verän­derun­gen erkennbar.

Die reichen Män­ner, die diese Prozesse der ökol­o­gis­chen Ver­wüs­tun­gen vorantreiben, sind zwar auch nur Ergeb­nisse gesellschaftlich­er Prozesse, und damit bis zu einem gewis­sen Grad aus­tauschbar, aber es sind eben nicht zufäl­lig eben diese Män­ner, die eine Poli­tik der Mod­ernisierung durch Zer­störung repräsen­tieren. Zer­stören wir alles, was Tes­la heißt!

Gegen deren destruk­tiv­en Fortschritts­glauben wehren sich Men­schen weltweit. Für uns gehören viele dieser Kämpfe zusam­men. Sie eint der Wider­stand gegen einen aggres­siv­en Mod­ernisierungss­chub. Wenn in Argen­tinien die indi­gene Frauen rufen, dass man aufhören soll, ihre Kör­p­er und ihre Län­der zu erobern, dann stellen wir uns mit dieser Aktion auch an die Seite dieser Kämpfe.
Die Kämpfe im Ham­bach­er Forst, im Dan­nen­röder Wald und anderen Wäldern des Wider­stands waren und sind für uns eben­so Hoff­nungspunk­te, wie die radikalen Sab­o­tageak­tio­nen ander­er in den Kohlem­i­nen, die den Lügen der Fortschrittsverkünder_innen nicht mehr auf den Leim gehen.

Der Irrsinn von Indi­vid­u­alverkehr und Elek­tro­mo­bil­ität lässt sich übri­gens leicht weit­er angreifen: Im Sep­tem­ber find­et die Inter­na­tionale Auto­mo­bil Ausstel­lung (IAA) in München statt. Wir hof­fen, dass es genü­gend Wider­stand vor Ort, dezen­tral und auch sub­ver­siv im Netz gibt, damit diese ein Fiasko wird.

Vulka­n­gruppe: Gegen den Fortschritt der Zerstörung

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