Kategorien
Flucht & Migration

Gericht setzt Rechtsstaat außer Kraft

Das Ver­wal­tungs­gericht hat mit ein­er Eilentschei­dung vom 09.04.20 unsere geplante Men­schen­kette ver­boten. Da die weit­ge­hen­den Befug­nisse des Ord­nungsamts und der Polizei die polizeis­taatliche Willkür und das Drangsalieren von Men­schen fördern, verzicht­en wir auf eine zen­trale Aktion.

Wir ver­trauen darauf, dass viele Potsdamer*innen am kom­menden Son­ntag und in der darauf­fol­gen­den Woche mit vie­len kreativ­en und dezen­tralen Aktio­nen von ihrem Recht auf Mei­n­ungs­frei­heit Gebrauch machen. Die Lan­desregierung darf nicht in Ruhe gelassen wer­den! Sie muss ein Sofort­pro­gramm zur Auf­nahme der Men­schen in den EU-Elend­slager starten. Alle hiesi­gen Sam­melun­terkün­fte und beson­ders die Erstauf­nah­men für geflüchtete Men­schen müssen aufgelöst wer­den. Die Lan­desregierung ver­stößt gegen den Gle­ich­be­hand­lungs­grund­satz, dass alle Men­schen das Recht auf Gesund­heit und Men­schen­würde haben!

Als SEE­BRÜCKE-Aktion ver­legen wir die Men­schen­kette in den virtuellen Raum: Alle sind dazu aufgerufen, die Osterspaziergänge zu nutzen, um Fotos von sich selb­st und eige­nen Protest-Schildern zu machen, so als ob man in ein­er Men­schen­kette stünde. Die Fotos wer­den aneinan­derg­erei­ht und ver­bun­den mit den schon fer­ti­gen Rede­beiträ­gen zu einem Video zusam­mengeschnit­ten, was schließlich eine lange, bunte Men­schen­kette abbildet. Beispiele wie solche Fotos auss­chauen kön­nen, zeigen wir bald­möglichst auf unser­er Web­seite: https://seebruecke.org/events/menschenkette-am-ostersonntag-leavenoonebehind/

Wir sind fas­sungs­los über die Zer­set­zung des Rechtsstaats durch die eige­nen Behör­den. Das Ver­wal­tungs­gericht hat sich – wie die Polizei – kein­er­lei Mühe gemacht, eine Abwä­gung zwis­chen Grun­drecht der Ver­samm­lungs­frei­heit und der Verord­nung zum Infek­tion­ss­chutz vorzunehmen. Noch nie wurde eine Ver­samm­lung der­art umfassend mit Vor­sichts­maß­nah­men geplant. Jede Einkauf­ss­chlange, jedes Meet­ing in der Arbeitswelt und jede Polizeistreife nehmen nicht annäh­ernd den Infek­tion­ss­chutz wahr, wie wir ihn durch viele Maß­nah­men gewährleis­tet hätten.

Der Staat ver­bi­etet die Ausübung von Grun­drecht­en mit ein­er Härte, die wir an ander­er Stelle erwarten: Die Igno­ranz gegenüber dem Elend an den EU-Gren­zen ist nicht nur lebens­ge­fährlich für die dort fest­ge­hal­te­nen Men­schen: Grundle­gende Men­schen­rechte zu mis­sacht­en ist krim­inell und müsste strafrechtlich ver­fol­gt wer­den! Eben­so ver­stößt der selbe Staat massen­haft gegen den indi­vidu­ellen Infek­tion­ss­chutz für die Men­schen, die gezwun­gener­maßen in Sam­melun­terkün­ften leben. Im Fall von Massen­quar­an­tä­nen wer­den hun­derte Men­schen ein­er Infek­tion­s­ge­fahr durch gegen­seit­iges Ansteck­en ungeschützt ausgeliefert.

Dass sich die Stadt Pots­dam nun entsch­ieden hat, teil­weise Hotels zu nutzen, um die unter Quar­an­täne geset­zte Sam­melun­terkun­ft in der Zep­pelin­straße 55 zu entzer­ren, geht auch auf unseren Protest zurück. Wir begrüßen das Vorge­hen und fordern die kon­se­quente Umverteilung der noch beste­hen­den Sam­melun­terkün­fte auf dezen­trale Unterkün­fte wie möblierte Woh­nun­gen und Hotels. Dabei muss die Selb­st­bes­tim­mung der Bewohner*innen und eine Kom­mu­nika­tion auf Augen­höhe höch­ste Pri­or­ität haben. Gle­ichzeit­ig müssen so viele Men­schen wie möglich aus den Erstauf­nah­men in Eisen­hüt­ten­stadt und Dober­lug-Kirch­hain in die Städte, in Woh­nun­gen und Hotels umverteilt wer­den. Pots­dam muss auch hier einen Schritt nach vorne machen.

Wir kön­nen und dür­fen nie­man­den zurück lassen! #LeaveNoOneBe­hind

seebruecke.org/lokalgruppen/seebruecke-potsdam/
facebook.com/Seebr%C3%BCcke-Potsdam-1850435155011395/
twitter.com/seebrueckepd
youtube.com/channel/UC4D4KkImmw-BLq_5eCsz6Iw

Kategorien
Flucht & Migration Law & Order

Eilantrag gegen Versammlungsverbot

Am 07. April sprach die polizeiliche Ver­samm­lungs­be­hörde für die in Pots­dam angemeldete Men­schen­kette „Lager evakuieren – Leben ret­ten! Leave No One Behind!“ ein Ver­samm­lungsver­bot mit Hin­weis auf die Bran­den­bur­gis­che Eindäm­mungsverord­nung aus. Dage­gen erfahren wir aus ver­schiede­nen Rich­tun­gen großen Zus­pruch. Zehn Organ­i­sa­tio­nen wie u.a. der Migranten­beirat der Lan­deshaupt­stadt Pots­dam, Flüchtlingsrat Bran­den­burg und women in exile e.V. unter­stützen den Aufruf zur Men­schen­kette (Gesamtliste siehe unten). Aus der Poli­tik auf der Stadt‑, Lan­des- und Bun­destagsebene erfahren wir eben­falls eine bre­ite Unterstützung.

Wir haben heute einen Eilantrag beim Ver­wal­tungs­gericht ein­gere­icht, um unser Grun­drecht auf Ver­samm­lungs­frei­heit einzuk­la­gen. Wir fordern für alle Men­schen – egal welch­er Herkun­ft – gle­icher­maßen vol­lum­fänglichen Infek­tion­ss­chutz. Fol­gerichtig wird unsere Men­schen­kette mit einem Sicher­heitsab­stand von 3 m, mit Mund­schutzpflicht und mit zeit­ver­set­zter Anreise ab 15 Uhr durchge­führt. Unsere Sicher­heits­maß­nah­men übertr­e­f­fen jede Einkauf­ss­chlange vor einem Baumarkt.

Das Ver­bot ein­er mit Vor­sichts­maß­nah­men geplanten Ver­samm­lung begrün­det mit der Infek­tion­s­ge­fahr ist zynisch und krim­i­nal­isiert unsere Forderun­gen nach Men­schen­rechte: Wir demon­stri­eren für eine sofor­tige Evakuierung der an den EU-Gren­zen fest­ge­hal­te­nen Men­schen. Zehn­tausende sind den lebens­ge­fährlichen Bedin­gun­gen aus­ge­set­zt. In den Elend­slagern gibt es keinen Infek­tion­ss­chutz! Eben­so sind die momen­tan in Deutsch­land stat­tfind­en­den Massen­quar­an­tä­nen von Sam­melun­terkün­ften unvere­in­bar mit dem indi­vidu­ellen Recht auf Gesund­heit. Sam­melun­terkün­fte müssen jet­zt umverteilt wer­den auf dezen­trale Unterkün­fte wie leere Hotels und möblierten Woh­nun­gen, um weit­ere massen­hafte Quar­an­tä­nen zu verhindern!

Stadtverord­nete von Bünd­nis 90/Die Grü­nen, SPD, Die Linke und Die Andere sprechen sich gegen die rig­orose Ein­schränkung der Ver­samm­lungs­frei­heit aus. Ver­schiedene Land­tags- und Bun­destagsab­ge­ord­nete wie MdL Marie Schäf­fer und Ricar­da Bud­ke (Bünd­nis 90/Die Grü­nen), MdL Isabelle Van­dré (Die Linke) und MdB Nor­bert Müller (Die Linke) haben sich bere­it erk­lärt, am kom­menden Oster­son­ntag als par­la­men­tarische Beobachter*innen zur Ver­fü­gung zu stehen.

Um die eventuellen Kosten des Rechtsstre­its zu tra­gen, rufen wir zu Spenden auf:

Men­sch Men­sch Men­sch e.V.
IBAN DE07430609671167120503
BIC GENODEM1GLS
Ver­wen­dungszweck: See­brücke Pots­dam Menschenkette

Unter­stützer-Organ­i­sa­tio­nen [Stand: 08.04.2020]
— Women in Exile
— Flüchtlingsrat Brandenburg
— Berlin-Bran­den­bur­gis­che Aus­lands­ge­sellschaft (BBAG)
— Pots­dam Konvoi
FEM – Forum des Empow­er­ments und Teil­habe für Migranten e.V.
— Migranten­beirat der Lan­deshaupt­stadt Potsdam
— Hochschul­gruppe Pangea Projekt
GEW Stud­is Brandenburg
DGB Hochschul­gruppe Potsdam
— Die Linke.SDS Potsdam

Ver­anstal­tungsin­for­ma­tion und Aufruf:
https://seebruecke.org/events/menschenkette-am-ostersonntag-leavenoonebehind/

Weit­ere Infos:
https://www.facebook.com/Seebr%C3%BCcke-Potsdam-1850435155011395/
https://twitter.com/seebrueckepd
https://seebruecke.org/lokalgruppen/seebruecke-potsdam/

Kategorien
Flucht & Migration

Erstaufnahme Doberlug-Kirchhain: “Busverbindung jetzt!”

Am Don­ner­stag 9.4.2020 unter­stützen wir in Dober­lug-Kirch­hain die Men­schen in der Erstauf­nahme-Ein­rich­tung durch einen Super­markt-Shut­tle mit pri­vat­en PKWs. Wir fordern: „Busverbindung jet­zt! Schluss mit der Iso­la­tion von Men­schen in der Erstauf­nahme! Lager abschaffen!

Geshut­telt wird von der Erstauf­nahme zum 5 km ent­fer­n­ten Super­mark, um den Bewohner*innen den Einkauf zu ermöglichen. Der vorgeschriebene Abstand wird gewährleis­tet, indem immer ein*e Fahrer*in jew­eils eine Per­son aus der Unterkun­ft trans­portieren. Zudem wer­den wir Masken zur gegen­seit­i­gen Sicher­heit tragen.

Grund der Aktion ist die Ein­stel­lung der einzi­gen Busverbindung von der Erstauf­nahme Dober­lug-Kirch­heim in die fünf Kilo­me­ter ent­fer­nte Stadt. Die Heimbewohner*innen waren bere­its vor der Coro­na-Krise stark isoliert und unter Druck. Die Unterkun­ft ist abgelegten, Mobil­funknetz oder Inter­net fehlen, Abschiebun­gen bei Nacht und Nebel waren an der Tage­sor­d­nung. Mit der Ein­stel­lung des Bus­es, wird die Iso­la­tion der Men­schen in dieser Zeit drastisch gesteigert.

Eine Heim­be­wohner­in zur Sit­u­a­tion: „Viele Men­schen haben Angst in die Kan­tine zu gehen, weil es dort unmöglich ist, Abstand zu hal­ten. Die weni­gen Spender mit Desin­fek­tion­s­mit­tel sind lange leer und wer­den nicht erneuert. Daher ist es beson­ders wichtig, selb­st einzukaufen. Aber der Bus wurde eingestellt. Die schw­eren Taschen müssen wir jet­zt 5 km weit tra­gen. Wir fühlen uns völ­lig allein gelassen und isoliert.“

Die Ein­stel­lung wurde als Präven­tion gegen die Aus­bre­itung der Coro­na-Krise angewiesen. Der Leit­er der zen­tralen Aus­län­der­be­hörde Jansen teilte dem Neuen Deutsch­land mit, dass die Ein­stel­lung der Buslin­ie 571 bis Ende der Coro­na-Krise beste­hen bleibe. Alle anderen Lin­ien des Verkehrs­man­age­ment ElbeEl­ster fahren allerd­ings weit­er. Ein Grund für diese Son­der­maß­nahme wurde bish­er nicht angegeben.

Kategorien
Flucht & Migration

Infektionsschutz muss für alle gelten!

INFORIOT Nach­dem heute bekan­nt wurde, dass die Bewohner_innen ein­er Sam­melun­terkun­ft in Pots­dam mit Ver­weis auf Infek­tion­ss­chutz fest­ge­set­zt wer­den sollen, protestierten heute etwa 30 Men­schen gegen Massen­quar­an­täne und die Zustände in Geflüchteten­heimen. Während drin­nen eine Pressekon­ferenz abge­hal­ten wurde, ver­sam­melten sich Aktivist_innen vor dem Pots­damer Rathaus mit Schildern. Aus Grün­den des Infek­tion­ss­chutzes tru­gen sie Mund­schutz und hiel­ten jew­eils größeren Abstand zu einander.

Sie forderten sofor­tige dezen­trale Verteilung der Men­schen in Woh­nun­gen oder leer ste­hende Hotels. Offen­bar gibt es seit­ens der Stadt Pots­dam keinen Krisen­plan für solche Fälle. Dass in Sam­melun­terkün­ften viele Men­schen unter teils unzu­mut­baren Bedin­gun­gen auf engem Raum leben müssen, wird nicht nur in Zeit­en ein­er Pan­demie zurecht beständig durch linke und Men­schen­rechtsini­tia­tiv­en kri­tisiert. In der aktuellen Sit­u­a­tion ver­stärken sich soziale Ungle­ich­heit­en und struk­turelle Diskri­m­inierung. Zumin­d­est Men­schen, die Risiko­grup­pen ange­hören, hät­ten sofort dezen­tral unterge­bracht wer­den müssen. Stattdessen wer­den sie isoliert und vergessen.

Es kann nicht sein, dass da mehr als 100 Men­schen einkaserniert wer­den. Für sie sollte der gle­iche Infek­tion­ss­chutz gel­ten wie für alle Men­schen während der Coro­na-Pan­demie“, sagte Lisa Bauer, die dem Protes­taufruf ge­fol‍gt war.

Ob eine Eindäm­mungs-Verord­nung das Grun­drecht auf Ver­samm­lungs­frei­heit beschnei­den darf, ist noch nicht abschließend aus­ge­han­delt. In der ver­gan­genen Woche gab es in Pots­dam eine Aktion, in der Aktivist_innen gegen die Grun­drecht­sein­schränkung im Zuge der Coro­n­akrise protestierten. Begrüßenswert ist es alle­male, sich zu posi­tion­ieren, neue Aktions­for­men auszutesten, über den eige­nen Teller­rand hin­auszublick­en, kri­tisch zu bleiben und den Mund­schutz nicht zum Maulko­rb wer­den zu lassen.

Die näch­sten Tage in Pots­dam, die sich zum sicheren Hafen beken­nt, wer­den zeigen, ob sich in der Unterkun­ft in der Zep­pelin­straße ähn­lich schreck­liche Szenar­ien, wie in den ver­gan­genen Wochen in Suhl oder Hal­ber­stadt abspie­len wer­den. Dort wer­den und wur­den die Men­schen teils über Tage durch mas­sive Polizeige­walt drangsaliert und eingesperrt.

Kategorien
Flucht & Migration

Wir haben das Gefühl, man hat uns vergessen“

Es war wohl nur eine Frage der Zeit. Auch in Bran­den­burg wur­den vorige Woche erst­mals Geflüchtete pos­i­tiv auf Coro­na getestet. Die drei betrof­fe­nen Män­ner kom­men aus Syrien, Tschetsche­nien und dem Irak und wur­den nun in Quar­an­tänecon­tain­ern auf dem Gelände ihrer Unterkun­ft unterge­bracht. Es ist die Erstauf­nahme-Außen­stelle Dober­lug-Kirch­hain, die größte Unterkun­ft für Geflüchtete in Bran­den­burg. Über 400 Men­schen leben dort. Wer in die ehe­ma­lige Kaserne kom­men will, muss zunächst fünf Kilo­me­ter durch mil­itärisches Sper­rge­bi­et im Wald zurücklegen.

In dieser Unterkun­ft sind vor allem Men­schen unterge­bracht, die in ein anderes EU- oder Dublin-Sys­tem-Land abgeschoben wer­den sollen. Diese tägliche Angst vor Abschiebun­gen und die Schlaflosigkeit wegen nächtlich­er Polizeiein­sätze hat auch schon vor dem Aus­bruch des Virus die Unterkun­ft zu einem Ort der Unsicher­heit gemacht.

Die Coro­na-Krise ver­größert beste­hende soziale Ungle­ich­heit­en und struk­turelle Diskri­m­inierung tritt noch stärk­er zu Tage,“ sagt Lot­ta Schwedler vom Flüchtlingsrat Bran­den­burg. Der Flüchtlingsrat Bran­den­burg sowie andere Flüchtlingsini­tia­tiv­en, darunter Women in Exile und See­brücke Pots­dam, hat­ten die Bran­den­burg­er Lan­desregierung bere­its in der Woche zuvor aufge­fordert, Geflüchtete bess­er vor ein­er Infek­tion zu schützen und zumin­d­est Men­schen, die Risiko­grup­pen ange­hören, dezen­tral unterzubrin­gen, ähn­lich wie es Schleswig-Hol­stein bere­its beschlossen hat. Neben den leer ste­hen­den Unterkün­ften, die ohne­hin für Geflüchtete vorge­se­hen sind, kön­nten dafür auch leer­ste­hende Hotels, Woh­nun­gen und Ferien­apart­ments genutzt werden.

Wege aus der Polar­isierungs­falle: Haben Intellek­tuelle ihr Deu­tungsmonopol ver­loren? Die großen Debat­ten wer­den heute nicht mehr aus der poli­tis­chen Mitte her­aus geführt. Kap­i­tal­is­mus oder Antikap­i­tal­is­mus, Migra­tion oder Abschot­tung, Faschis­mus oder Antifaschis­mus – Zwis­chen­töne sind…

Jeder hat eine Million Fragen“

Social dis­tanc­ing ist für uns unmöglich, da wir uns Küche und Badez­im­mer teilen,“ erzählt Bijan. Der 34-Jährige ist aus dem Iran geflo­hen. Er hat in Deutsch­land Asyl beantragt und lebt jet­zt in ein­er Gemein­schaft­sun­terkun­ft mit 100 Men­schen in Bran­den­burg. Die Coro­na-Krise hätte aber auch noch andere schlimme Kon­se­quen­zen: „Viele Men­schen hier haben ihre Arbeit ver­loren, Men­schen, die das Geld echt gebraucht haben. Und es ist viel schwieriger, die Behör­den zu erre­ichen. Alles dauert länger. Wirk­lich jed­er hat eine Mil­lion Fra­gen, doch die Kom­mu­nika­tion ist extrem eingeschränkt.“

Wir als Flüchtlingsrat sagen, dass zumin­d­est Men­schen, die Vor­erkrankun­gen oder chro­nis­che Krankheit­en haben eigentlich sofort ausziehen müssten,“ so Schwedler vom Flüchtlingsrat. Da diese Fälle jedoch gar nicht alle erfasst seien, wäre der erste Schritt, zunächst Risiko­grup­pen zu identifizieren.

Doch das Land Bran­den­burg möchte in den näch­sten Wochen gar keine Geflüchtete in andere Unterkün­fte verteilen – aus „Infek­tion­ss­chutz­grün­den“. Schwedler hält dage­gen: „Aus unser­er Sicht ist ein Infek­tion­ss­chutz bei ein­er Masse­nun­terkun­ft niemals möglich.“ Die Gefahr ist, dass, wenn sich einzelne infizieren, eine ganze Unterkun­ft unter Quar­an­täne geset­zt wer­den muss, wie es in anderen Bun­deslän­dern bere­its geschehen ist. „Das erwarten wir auch in Bran­den­burg,“ sagt Schwedler, „auch wenn das Land das ver­mei­den will. Aber wenn eine bes­timmte Anzahl an Infizierten erre­icht wird, ist es das Gesund­heit­samt, das die Entschei­dung trifft.“ Im thüringis­chen Suhl eskalierte die Sit­u­a­tion, nach­dem Mitte März eine ganze Unterkun­ft zwei Wochen lang unter Quar­an­täne geset­zt wor­den war. „Die Leute haben sich gewehrt, woraufhin die Polizei mit mas­siv­er Gewalt eingeschrit­ten ist,“ erzählt Schwedler.

Die Men­schen ste­hen unter unglaublichem Druck und Stress,“ fügt sie hinzu, „entwed­er, weil sie noch nicht wis­sen, wie ihr Asylver­fahren aus­ge­ht, oder weil sie darauf warten, abgeschoben zu wer­den oder hof­fen, dass es doch nicht passiert.“ Bei vie­len sei zusät­zlich die Angst um Fam­i­lien­ange­hörige groß. Viele lit­ten außer­dem unter post­trau­ma­tis­che Belastungsstörungen.

Ein Badezimmer für bis zu 35 Menschen

In der Erstauf­nahme teil­ten sich die Men­schen zu zweit oder dritt kleine Zim­mer. In diesen Räu­men sei nichts außer zwei oder drei Met­all­bet­ten, zwei oder drei Met­all­spinde und ein klein­er Met­alltisch. Die Badez­im­mer teil­ten sich bis zu 35 Leute. Unter solchen Bedin­gun­gen in ein­er Masse­nun­terkun­ft in Quar­an­täne zu sein, ist ein Pulverfass.

In Dober­lug-Kirch­hain gibt es laut Schwedler keinen Tele­fon-Emp­fang, nur ganz spo­radis­chen Inter­net-Emp­fang und nur wenige WLAN-Hotspots, um die sich dann alle Leute sam­meln müssen. Für Geflüchtete ist der Inter­net­zu­gang wichtig, um Kon­takt zu ihren Fam­i­lien zu haben, aber auch um an Bil­dung und Infor­ma­tion zu kommen.

Die Men­schen haben kaum eigene Kochmöglichkeit­en und teilen sich alle eine Kan­tine. „Wir wis­sen, dass da jeden Tag zum Essen jet­zt mit den zwei Metern Abstand, die einge­hal­ten wer­den sollen, eine zwei, drei Kilo­me­ter lange Schlange ste­ht,“ sagt Schwedler, „Ich frage mich, was die machen, wenn es reg­net, wenn man da eine Dreivier­tel Stunde draußen aufs Essen warten muss. Und in den Kan­ti­nen sel­ber sitzen die Men­schen dann wieder dicht an dicht.“

Ein großes Prob­lem in dieser Zeit sei auch Desin­for­ma­tion, berichtet Schwedler, es gebe kaum gesicherte Infor­ma­tio­nen für die Geflüchteten oder diese wür­den nicht weit­ergegeben. „Wir bekom­men so viele Anfra­gen: Was passiert jet­zt mit meinen Aufen­thaltspa­pieren? Wie ver­län­gere ich die, wenn ich nicht zur Aus­län­der­be­hörde gehen kann? Meine Leis­tun­gen sind gekürzt wor­den, ich bekomme nur noch reduzierte Leis­tun­gen meines Taschen­gelds, weil ich an mein­er Pass­beschaf­fung nicht mitwirke, aber das kann ich ger­ade eh nicht. Was kann ich damit machen?“

Kein allgemeiner Abschiebestopp

Abschiebun­gen fän­den momen­tan zwar de fac­to keine statt, so Schwedler, doch laut Aus­sage der Bun­de­spolizei soll sich das zeit­nah wieder ändern. Einen offiziellen Abschiebestopp in Herkun­ft­slän­der gibt es wed­er auf Lan­des- noch auf Bun­de­sebene. Und das, obwohl wegen der all­ge­meinen Ein­reisebeschränkun­gen Men­schen zurück­gewiesen oder im Tran­sit stran­den könnten.

Coro­na hat mein Leben sehr viel schw­er­er gemacht. Und es war davor schon schw­er,“ erzählt Tepeina, eine 35-jährige Kenyaner­in, die seit zwei Jahren in Deutsch­land ist und wie Bijan in ein­er Gemein­schaft­sun­terkun­ft in Bran­den­burg lebt. „Ich habe Angst,“ sagt Tepeina, „Wenn sich eine Per­son ansteckt, wer­den wir uns alle anstecken.“

Bijan hat in sein­er Unterkun­ft den Ein­druck, dass der Coro­na-Virus nicht die Haupt­sorge der Geflüchteten ist: „Ich habe nicht das Gefühl, dass viele Men­schen in meinem Heim Angst haben, sich mit Coro­na anzusteck­en. Men­schen, die hier leben, haben bere­its viel Schlim­meres erlebt.”

Tepeina engagiert sich als Frei­willige bei Refugee Eman­ci­pa­tion, ein­er Selb­stor­gan­i­sa­tion für Geflüchtete. „Dort helfen wir uns gegen­seit­ig,“ sagt sie. „Momen­tan haben wir Geflüchtete das Gefühl, man hat uns vergessen. Wir kriegen ein­fach keine Unter­stützung in dieser Zeit.“

Kategorien
Law & Order

Polizeikontrollstelle ist wieder da! Wir brauchen euch!

Die Polizeikon­troll­stelle ist zurück!

Es haben sich ein paar engagierte Men­schen zusam­mengeschlossen, um der Polizei und dem Ord­nungsamt, auch in der aktuellen Sit­u­a­tion auf die Fin­ger zu schauen.

Warum ger­ade jet­zt? Auf­grund des Coro­n­avirus wur­den in jüng­ster Ver­gan­gen­heit Verord­nun­gen erlassen, welche viele Bere­iche unseres täglichen Lebens betr­e­f­fen und ein­schränken. An manchen Stellen ist das total sin­nvoll, damit das kaputt ges­parte Gesund­heitssys­tem nicht über­lastet wird und die Aus­bre­itung des Virus ver­langsamt wird.  Gle­ichzeit­ig sorgt es aber dafür, dass die Polizei mit ein­er Law and Order Poli­tik viele Macht­befug­nisse bekom­men hat und diese scham­los aus­nutzt. Als Beispiel sind hier die teil­weise willkür­lichen Kon­trollen zu nen­nen, die mit dem Kon­tak­tver­bot begrün­det wer­den, obwohl es dafür gar keinen Anlass gibt. Außer­dem ist zu erwarten, dass es einen Anstieg von Racial Pro­fil­ing geben wird.

Auch in dieser derzeit­ig beson­deren Sit­u­a­tion wollen wir die Polizei und das Ord­nungsamt kri­tisch beobachten.

Dafür brauchen wir euch! Wenn ihr selb­st Polizeikon­trollen mit­bekommt meldet sie uns! Wenn ihr Polizei- oder Ord­nungsamtkon­trollen beoba­chet dann schaut euch an was dort passiert und wenn ihr danach mit der betrof­fe­nen Per­so­n­en reden oder schreiben kön­nt, redet mit ihr und schreibt uns! Gemein­sam kön­nen wir der willkür­lichen Repres­sion und anlass­losen Maß­nah­men das Handw­erk legen!

Wir kön­nen derzeit nur Pots­dam bzw. Bran­den­burg abdecken.

Meldet euch per Mail unter: kontakt@polizeikontrollstelle.de

Kategorien
Antifaschismus Dorfstraße

Cottbuser*innen fordern Evakuierung der Flüchtlingslager

Gestern haben Cottbuser*innen bei der #leavenoonebe­hind-Aktion mit­gemacht und vom Alt­markt zum Rathaus Fußab­drücke gemalt um auf die drin­gend notwendi­ge Evakuierung von #Save­Mo­ria und weit­eren Geflüchteten­lagern aufmerk­sam zu machen. Bürg­er­meis­ter Kelch hat let­zte Woche noch die Sol­i­dar­ität von #Cot­tbus durch die Auf­nahme von an Coro­na erkrank­ten Italiener*innen her­vorge­hoben, aber #Sol­i­dar­i­ty­Is­No­tOn­lyEu­ro­pean #Evakuierung­Jet­zt #Cot­tbu­sist­bunt #Sol­i­dar­itätKen­ntKeine­Gren­zen #Auf­nah­me­Jet­zt #Kein­Men­schIs­tIl­le­gal
Insta­gram
Twit­ter
Face­book

Kategorien
(Anti-)Rassismus Law & Order

Potsdamer*innen fordern Evakuierung der Flüchtlingslager

Seebrücke ruft zur Menschenkette am Ostermontag, den 12. April auf: Lager evakuieren — Leben retten! Refugees Welcome!

Nicht nur die Bun­desregierung son­dern auch die Bran­den­bur­gis­che Lan­desregierung kann gemäß Rechtsgutacht­en¹ Flüch­t­ende aus den Lagern evakuieren.

Min­is­ter­präsi­dent Woid­ke soll auf die Evakuierung der Lager drän­gen und ein Sofort­pro­gramm zur Auf­nahme für die Flüch­t­en­den starten.“ fordert See­brücke-Aktivistin Joli­na Parker.

Es ist ein Ver­brechen, die tausenden Men­schen in den beengten und hygien­isch man­gel­haften Lagern zu ignori­eren und unter Quar­an­täne zu set­zen. Die Losun­gen „Wash your hands” oder “Stay at home” sind für die Men­schen in den Lagern wie Moria blanker Zynis­mus. Dort man­gelt es an Warmwass­er, San­itäran­la­gen und Desin­fek­tion­s­mit­tel. Abstand­hal­ten funk­tion­iert nicht auf eng­stem Raum.

In Zeit­en von Coro­na heißt es: Jed­er Tag, der jet­zt verge­ht, ohne zu han­deln, macht die Katas­tro­phe noch schlimmer.

Eben­so ist die Lage der hiesi­gen Sam­melun­terkün­ften mit Mehrbettz­im­mern und Gemein­schaft­sküchen und ‑san­itäran­la­gen in Zeit­en von Coro­na noch prekär­er als son­st. Massen­quar­an­tä­nen sind gesund­heits­ge­fährdend und men­schen­ver­ach­t­end und unbe­d­ingt zu ver­mei­den! Es müssen sofort alle Kapaz­itäten wie leere Hotels und möblierte Woh­nun­gen genutzt wer­den, um die Enge der Sam­melun­terkün­fte zu entzerren.

DIE POTSDAMER SEE­BRüCKE-INI­TIA­TIVE RUFT AM OSTERSONNTAG, DEN 12. APRIL UM 15 UHR ZUR ANGEMELDETEN MENSCHENKETTE VOM RATHAUS üBER DIE FRIEDRICH-EBERT-STRAßE BIS ZUM LANDTAG AUF.
Ober­bürg­er­meis­ter Mike Schu­bert hat von den katas­trophalen Bedin­gun­gen auf Les­bos berichtet und dazu aufgerufen, keine Zeit mehr zu ver­schwen­den und die Men­schen dort sofort rauszu­holen. Wir wollen, dass diese Botschaft in der Lan­desregierung ankommt.

In der Oster­tra­di­tion hof­fen wir, dass sich viele Potsdamer*innen mit eige­nen Schildern und Trans­par­enten an der Men­schen­kette beteili­gen. Wir wer­den alles tun, um den Infek­tion­ss­chutz zu gewährleis­ten. D.h. der Ver­lauf der Men­schen­kette wird sich­er auffind­bar gekennze­ich­net. Alle Teilnehmer*innen sind verpflichtet, einen Min­destab­stand von 3 m einzuhal­ten und Mund­schutz zu tra­gen (Schal oder Maske). Per­so­n­en mit Erkäl­tung oder ähn­lichen Symp­tomen soll­ten zu Hause bleiben. Wir set­zen auf die Eigen­ver­ant­wortlichkeit und Sol­i­dar­ität unser­er Demoteilnehmer*innen. Gle­ichzeit­ig wer­den wir mit eige­nen Ordner*innen auf die Ein­hal­tung des Infek­tion­schutzes acht­en. Jede*r soll sich­er demon­stri­eren kön­nen“, erk­lärt Anmelder und See­brücke-Aktivist Simon Wohlfahrt.

IN DER WOCHE BIS ZUM 12. APRIL LäDT DIE SEE­BRüCKE POTSDAM EIN, NOCH MEHRSPURENIN DER STADT ZU HINTERLASSEN:Wer Fotos eigen­er Ban­ner oder beobachteter Graf­fi­ti veröf­fentlichen möchte, kann sich an die Face­book-Seite der Ini­tia­tive oder an die E‑Mail-Adresse potsdam@seebruecke.org wen­den. Unter dem Hash­tag #LeaveNoOneBe­hind kön­nen Men­schen im Inter­net ihre Sol­i­dar­ität mit Flüch­t­en­den zeigen.

IN DEUTSCHLAND UND GANZ EUROPA: WIR LASSEN NIEMANDEN ZURüCK – AUCH NICHT AN DEN EU-AUßEN­GREN­ZEN! #LEAVENOONEBEHIND

https://www.facebook.com/Seebr%C3%BCcke-Potsdam-1850435155011395/
https://twitter.com/seebrueckepd
https://seebruecke.org/lokalgruppen/seebruecke-potsdam/

¹https://www.jura.uni-hamburg.de/lehrprojekte/law-clinics/refugee-law-clinic/forschungsprojekt-staedte-der-zuflucht/gutachten-landesaufnahme.pdf
und https://www.dropbox.com/s/21wghgyqi2ped69/L%C3%A4nderkompetenzen%20humanit%C3%A4re%20Aufnahme%20Griechenland.pdf

Kategorien
Antifaschismus

Angriffe von rechts in Eberswalde

Es war der Tag, an dem eine laut­starke und bunte Demon­stra­tion gegen die AfD-Wahlkampfver­anstal­tung ver­gan­genen Spät­som­mer in Eber­swalde stat­tfand. Gle­ichzeit­ig wur­den im Wohnum­feld von Studieren­den und linken Aktivist_innen die Reifen mehrerer Autos zer­stochen. Die zweite Angriff­swelle fol­gte im Novem­ber 2019 – par­al­lel zum jährlichen Gedenken an Amadeu Anto­nio Kiowa, der vor 29 Jahren von Nazis ermordet wurde. Wieder traf es Per­so­n­en aus dem „links-grü­nen“ stu­den­tis­chen Umfeld. Anfang Feb­ru­ar 2020 fol­gte eine weit­ere Angriff­swelle auf Fahrzeuge. Die Beschädi­gun­gen fan­den dies­mal nicht nur in Nähe der Häuser, son­dern auch in den Haus­fluren statt, was eine erhöhte Bedro­hung für die Bewohner_innen deut­lich machte.

Auch wenn die kausalen Zusam­men­hänge zwis­chen den Tat­en und Zeit­punk­ten so manchen in Eber­swalde immer noch nicht gegeben waren, nah­men wir uns dem Prob­lem an und haben mit Unnachgiebigkeit und Vehe­menz erre­icht, dass diese „vere­inzel­ten Sachbeschädi­gun­gen“, selb­st bei der Polizei mit­tler­weile als „poli­tisch motivierte Krim­i­nal­ität“ ver­bucht wird.

Es bleibt anzumerken, dass die Angriffe keines­falls nur Studierende betrafen. Es han­delt sich um Men­schen, die sich für eine sol­i­darische und tol­er­ante Gesellschaft ein­set­zen und sich offen gegen Faschis­mus, Ras­sis­mus und Sex­is­mus posi­tion­ieren. Für uns ist klar: Die Anschläge fan­den gezielt statt. Die Opfer wur­den bewusst ausgewählt.

Auch heute zeigen sich erneut die Fol­gen gesellschaftlichen Nicht­stuns und Wegschauens. Neon­azis fühlen sich so sich­er auf den Straßen Eber­swaldes, dass sie monate­lang Eigen­tum ander­er zer­stören und dabei auch in Häuser ein­drin­gen, um Men­schen zu ter­ror­isieren. Auch wenn viele Insti­tu­tio­nen am guten Image dieser Stadt feilen: Eber­swalde ist keines Wegs ein geläutert­er Ort.

Kategorien
Antifaschismus

Rechtes Märkisch-Oderland? Analyse rechter Vorfälle 2019

Für 2019 ergibt sich aus den Zahlen ein Anstieg gegenüber 2018, auf den wir im Fol­gen­den einge­hen möcht­en. Zudem richt­en wir den Blick auf Neon­azis im Kampf­s­port sowie auf das extrem rechte Net­zw­erk, in dem sich die AfD im Land­kreis bewegt.

 

Überblick: Rechte Vorfälle nehmen im Vergleich zu 2018 zu

Im Jahr 2019 kon­nten wir einen deut­lichen Anstieg rechter Vor­fälle im Land­kreis gegenüber 2018 fest­stellen. Ins­ge­samt gab es 50 Mel­dun­gen wie Bedro­hun­gen, Schmier­ereien, Angriffe und Pro­pa­gan­dade­lik­te. Im Ver­gle­ich haben wir 2018 33 solch­er Vor­fälle reg­istri­ert. Eines der häu­fig­sten Mel­dun­gen sind rechte Graf­fi­tis und Schmier­ereien – ins­beson­dere Hak­enkreuze wur­den sehr häu­fig gesprüht. Die Tatorte sind sowohl öffentliche Räume wie Bushal­testellen oder Wände in öffentlichen Bere­ichen, aber sehr oft auch Pri­vathäuser. Bei let­zteren kommt immer noch eine bedro­hende Kom­po­nente dazu, da die Täter*innen gezielt Nazisym­bole zur Ein­schüchterung anbrin­gen – teil­weise mehrfach an den gle­ichen Orten. Auch explizite Bedro­hun­gen und Belei­di­gun­gen kamen im let­zten Jahr häu­figer vor und haben sich gegenüber 2018 fast ver­dop­pelt. Gegenüber 2018 hat sich auch die Zahl der Angriffe leicht erhöht. Acht Angriffe auf Men­schen und Unterkün­fte von Geflüchteten haben wir 2019 registriert. 
Generell sind die größeren Städte in Märkisch-Oder­land die Zen­tren der Tat­en. Sowohl Seelow als auch Bad Freien­walde, Müncheberg und Wriezen haben ähn­lich hohe Zahlen. Straus­berg sticht mit 21 recht­en Vor­fällen her­vor. Dies muss aber in den Kon­text geset­zt wer­den, dass die Beratungsstelle und ihre Mit­glieder selb­st in Straus­berg aktiv sind und hier viele Fälle selb­st aufn­immt und besseren Kon­takt zu Betrof­fe­nen hat, sowie durch die Arbeit­en der BOrG, des Bünd­niss­es für Men­schlichkeit  und des AJP 1260 e.V., sowie weit­er­er Vere­ine, eine größere Sen­si­bil­ität in den let­zten Jahren hergestellt wer­den kon­nte. Es ist davon auszuge­hen, dass die Zahlen in den restlichen Städten ähn­lich hoch, wenn nicht noch höher sind. Neben den genan­nten Städten gab es Vor­fälle in Rehfelde, Neuen­hagen, Peter­sha­gen, Fred­er­s­dorf, Rüder­s­dorf, Falken­berg, Neu­treb­bin, Neuhard­en­berg und Lietzen.
Zahlre­iche Stu­di­en ver­weisen in diesem Bere­ich auf hohe Dunkelz­if­fern. Belei­di­gun­gen und Angriffe sind für viele Betrof­fen Nor­mal­ität. Die Gewöh­nung und gesellschaftliche Hür­den führen dazu, das viele Vor­fälle nicht angezeigt oder pub­lik gemacht und damit auch nicht von uns reg­istri­ert wer­den. Beson­ders im Oder­bruch, sowohl in den Städten als auch in den Dör­fern, gehen wir von ein­er weit größeren Zahl aus. Der All­t­agsrassis­mus zeigt sich bspw. bei Fußball­spie­len, wo Spieler*innen of Colour(*) belei­digt wer­den, oder auch in öffentlichen Verkehrsmit­teln, wo immer wieder Belei­di­gun­gen und Angriffe stat­tfind­en. Eben­so sind Orte, wo sich die Zivilge­sellschaft offen und klar posi­tion­iert, immer wieder Ziel von Angriffen. 

(*) Als Peo­ple of Colour beze­ich­nen sich viele Men­schen, die von Ras­sis­mus neg­a­tiv betrof­fen sind.

 

Kampfsport als Betätigungsfeld für Neonazis

In beson­derem Maße sticht auch die Ver­anstal­tung am 26. Jan­u­ar 2019 in Straus­berg her­vor. Beim soge­nan­nten „Red Eagle Cup“ im let­zten Jahr trat ein ehe­ma­liger NPD-Kad­er und immer noch aktiv­er Neon­azi in Erschei­n­ung [1]. Er war jedoch nicht nur Gast wie andere Neon­azis an dem Tag, son­dern betreute einen jun­gen Kämpfer vom Ringrand aus. Dies spricht für seine Involviertheit im organ­isieren­den Vere­in. Darüber wird uns immer wieder von Neon­azis berichtet, die in Straus­berg im (Kampf-)Sport tätig sind. Ganz nor­mal wer­den in Gyms rechte Mode­marken wie „Label23“ [2] getra­gen und bewor­ben. Dies ist höchst gefährlich, da Neonazis hier zum einen Erfahrun­gen und Fähigkeit­en sam­meln, poli­tis­che Gegner*innen und von Diskri­m­inierung betrof­fene Per­so­n­en anzu­greifen. Zum anderen ist Kampf­s­port auch gelebter Teil ein­er völkischen Vorstel­lung von Gesund­heit und Wehrhaftigkeit, der allzu häu­fig zum „NS-Lifestyle“ dazuge­hört. Fest ste­ht zudem, dass ein aktiv­er Neon­azi in keinem Fall geeignet ist, Kinder oder Jugendliche in Kampf­s­port anzuleit­en und zu betreuen.
Eine beson­dere Rolle spielt in diesem Kon­text auch der Straus­berg­er Laden „Ger­man Melt­dow Crime Store“, der Kampf­s­portzube­hör und ‑klei­dung verkauft. Neben der schon genan­nten Marke „Label23“ werden hier auch die rechte Marke „ProVi­o­lence“ [3], sowie Base­ballschläger und Mate­r­i­al zum Ver­mum­men verkauft.

Die AfD als Teil des extrem rechten Netzwerks

Die AfD ist im Land­kreis im let­zten Jahr stärk­ste Kraft in den Kom­mu­nal­wahlen und zweit­stärk­ste Kraft in den Land­tagswahlen gewor­den. Sie ist damit auf regionaler und über­re­gionaler Ebene präsent. Auch die Ver­anstal­tun­gen – in der Regel die soge­nan­nten Stammtis­che – der Partei find­en regelmäßig und flächen­deck­end statt und haben sich in manchen Teilen des Kreis­es schon soweit etabliert, dass sie als Selb­stläufer gel­ten kön­nen. Die 16 in der Chronik aufge­führten Aktiv­itäten der AfD kön­nen deshalb nur als klein­er Auss­chnitt der Partei-Aktiv­itäten gese­hen wer­den; die tat­säch­liche Anzahl der AfD-Ver­anstal­tun­gen dürfte weitaus höher liegen. 
Allein in Straus­berg fan­den monatliche öffentliche Stammtis­che statt, welche man so oder so ähn­lich auch in anderen Städten im Land­kreis beobacht­en kann. Die Stammtis­che find­en oft in pri­vat­en Räu­men und Restau­rants statt, wie im „Zum alten Steuer­haus“ in Straus­berg. Das Pub­likum beste­ht, wie bei AfD-Stammtis­chen üblich, eher aus dem engen Mit­glieder- und Sym­pa­thisamt*innenkreis. Jedoch lässt die rel­a­tive Regelmäßigkeit der Ver­anstal­tun­gen  sowie die mitunter parteipromi­nente Unter­stützung aus Berlin ver­muten, dass die Stammtis­che für die AfD vor allem intern eine hohe Bedeu­tung haben. Es ist davon auszuge­hen, dass nicht nur inhaltliche, son­dern auch organ­isatorische Diskus­sio­nen hier geführt, Kon­tak­te inten­siviert und Aktio­nen geplant werden. 
Solche Aktio­nen fan­den im let­zten Jahr vor allem im Rah­men der Land­tags- und Kom­mu­nal­wahlen statt. Mit Wahlkampf­stän­den, aber auch mit Pro­pa­gan­da­ma­te­r­i­al war die AfD stark im öffentlichen Raum präsent. Auf­fäl­lig war, dass AfD-Aufk­le­ber oft in Verbindung mit anderen extrem recht­en Aufk­le­bern auf­trat­en, sodass davon auszuge­hen ist, dass die Ver­bre­i­t­en­den sowohl in AfD- als auch in neon­azis­tis­che Kreise ver­net­zt sind.
Mit Pro­pa­gan­da­ma­te­r­i­al ver­suchte die AfD jedoch nicht nur, ihre men­schen­ver­ach­t­en­den Posi­tio­nen in die Öffentlichkeit zu tra­gen. Auch zur geziel­ten Ein­schüchterung ihrer poli­tis­chen Gegner*innen nutzte sie es: So brachte die AfD in der Nacht zum 3. August in Müncheberg Wahlplakate vor und in unmit­tel­bar­er Nähe zu dem Gelände an, auf dem am näch­sten Tag ein linkes Stadt­fest stat­tfand. Diese Art der Revier­markierung und Bedro­hung hat die AfD mit den Aktiv­itäten der anderen Neonazis im Land­kreis gemein. 
Beson­ders in Straus­berg ist die Nähe und Über­schnei­dung von AfD-Mit­gliedern zur Neonaziszene sehr präsent. Anschaulich lässt sich das an der sogenannten „Brud­er­schaft Straus­berg“ zeigen. Brud­er­schaften sind in Neon­azi-Kreisen sehr beliebte Organ­i­sa­tions­for­men, die üblicher­weise nur für Män­ner zugänglich sind und sol­datis­che Härte und Kampf­bere­itschaft sug­gerieren sollen. Auch wenn der Großteil dieser Brud­er­schaften – so auch das Straus­berg­er Exem­plar – häu­fig lediglich lose Grup­pen von saufend­en und pöbel­nden Män­nern sind, ist die Außen­darstel­lung häu­fig martialisch und extrem ras­sis­tisch und sex­is­tisch. Über­schnei­dun­gen zu AfD und Neon­azi-Szene sind häu­fig, jedoch sel­ten so ein­deutig wie in Straus­berg. Auf face­book veröf­fentlichte ein sachkundi­ger Ein­wohn­er der AfD mehrere Posts, die in Zusam­men­hang mit der soge­nan­nten „Brud­er­schaft Straus­berg“ standen und machte auch im Fol­gen­den aus sein­er Dop­pelmit­glied­schaft keinen Hehl. 
Ger­ade diese (zumin­d­est the­o­retisch) gewalt­bere­it­en Zusam­men­schlüsse im Umfeld der AfD kön­nen als gewalt­tätiger Arm der par­la­men­tarischen Recht­en gese­hen wer­den und stellen für von Ras­sis­mus betrof­fene Men­schen und Linke eine erhe­bliche Bedro­hung dar.
Wenig beachtet, aber den­noch von Bedeu­tung im Feld der Neuen Recht­en war die Kon­ferenz des recht­en Mag­a­zins „Com­pact“ am 10. August in Hönow. Neben dem Chefredakteur des recht­en und ver­schwörungside­ol­o­gis­chen Mag­a­zins Jür­gen Elsäss­er waren diverse AfD-Politiker*innen vor Ort. Das Com­pact-Mag­a­zin räumt dem recht­en „Flügel“ der Partei viel Platz ein und sym­pa­thisiert offen mit den recht­esten Akteuren der Partei [4]. Das eine solche Kon­ferenz in Hönow stat­tfind­et, unter­mauert ein weit­eres Mal, dass die AfD in MOL klar dem recht­en Flügel der Partei zuzuord­nen ist. 


Was kann man tun?

Um Betrof­fe­nen helfen und ein real­is­tis­ches Bild der recht­en Vor­fälle nachze­ich­nen zu kön­nen, sind wir auf Unter­stützung angewiesen. Wir freuen uns über Hin­weise zu allen For­men von recht­en Vor­fällen im Land­kreis. Außer­dem kön­nen sich Betrof­fene, aber auch Beobachter*innen gern direkt bei uns melden. Gebt unsere Kon­tak­t­dat­en gerne weit­er oder kon­tak­tiert uns. Zeigt euch sol­i­darisch mit Betrof­fe­nen rechter Gewalt und schaut nicht weg bei recht­en Vorfällen.
        
E‑Mail: ag-borg@horte-srb.de
Telegram: 0163/ 386 75 82
Mehr Infor­ma­tio­nen und Unter­stützung für Betrof­fene unter www.opferperspektive.de
Inforiot