Am 27.01.2019 fand das alljährliche Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus am Platz der Einheit und am Ehrenfriedhof der sowjetischen Armee in Potsdam statt. Rund 200 Personen fanden sich zusammen, um gemeinsam den Opfern zu gedenken und gleichzeitig zu mahnen. Wie es im Redebeitrag der Gruppierung BlauWeißBunt*Nulldrei e.V aus Babelsberg hieß:
„Wir müssen zum einen zurückzuschauen, um die Gräuel der Nazis nicht zu vergessen. Zum anderen jedoch vor diesem Hintergrund die Gegenwart und die Zukunft einer kritischen Prüfung zu unterziehen.“.
Es wurden Biografien der Holocaust-Überlebenden Jean Améry, Willy Frohwein und Ruth Klüger vorgetragen. Alle drei Schicksale ermahnen uns, das Geschehene weiter zutragen und Geschichte nicht zu vergessen. So sagte Melyssa Diedrich von der EAP zu Beginn der Veranstaltung: „Wir wollen versuchen die Willkür, den Terror und die Unerbittlichkeit Nazideutschlands, vor allem aber das Leben und Überleben der Menschen, ihren Umgang mit dem Erlebten nachzuzeichnen“.
Im folgenden findet ihr die Kurzbiografien von Jean Améry, Willy Frohwein und Ruth Klüger sowie den Redebeitrag von BlauWeißBunt*Nulldrei.
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Er wurde am 31. Oktober 1912 als Sohn jüdischer Eltern in Wien geboren. Er absolvierte in den 1930er Jahren eine Buchhändlerlehre und arbeitete anschließend als Buchhändlergehilfe in Leopoldstadt. 1937 heiratet er und floh mit seiner Frau gemeinsam vor den Nazis 1938 nach Belgien. Dort arbeitete er als Möbeltransporteur und Lehrer.
Nach dem Überfall durch die deutsche Wehrmacht wurde er als „feindlicher Ausländer“ festgenommen und im südfranzösischen Lager Gurs interniert. Seit dem war er getrennt von seiner Frau, welche 1944 verstarb. Aus dem Lager konnte er 1941 nach Belgien fliehen, wo er sich dem Widerstand gegen die Nazis einer österreichisch-deutschen Widerstandsgruppe anschloss.
1943 wurde er beim Flugblatt verteilen von der Gestapo festgenommen und später von der SS gefoltert, so wurde er ausgepeitscht und an einem Pfahl aufgehängt, wodurch ihm die Schultergelenke ausgerenkt wurden.
Schließlich wurde er am 15. Januar 1944 nach Auschwitz deportiert, dort musste er ab 1944 als Schreiber arbeiten. Nach der Auflösung des KZ Auschwitz wegen der bevorstehenden Befreiung durch die Rote Armee, wurde er zunächst nach Mittelbau-Dora in Thüringen und dann nach Bergen-Belsen in Niedersachsen gebracht. Am 15. April 1945 wurde dieses KZ schließlich von der Britischen Armee befreit und er kehrte nach Brüssel zurück.
In der Zeit nach 1945 bis zu seinem Lebensende versuchte er das Erlebte persönlich, aber darüberhinaus auch gesellschaftlich zu reflektieren, einzuordnen und zu verarbeiten. Er schrieb verschiedene Romane und kommentierte immer wieder gesellschaftstheoretische Diskussionen.
Geprägt durch seine eigene Geschichte, seine Identität und Zuschreibung als Jude, als der er sich verstand und doch nicht verstand, formulierte er in „Jenseits von Schuld und Sühne“:
„Ist es so, daß ich der Auschwitzhäftling, dem es wahrhaftig nicht an Gelegenheit gefehlt hat, zu erkennen was er ist, was er sein muß – ist es denkbar, daß ich immer noch kein Jude sein wollte […] ? Wenn heute Unbehagen in mir aufsteigt, sobald ein Jude mich mit legitimer Selbstverständlichkeit einbezieht in seine Gemeinschaft, dann ist es nicht darum, weil ich kein Jude sein will: nur weil ich es nicht sein kann. Und doch sein muß. Und mich diesem Müssen nicht bloß unterwerfe, sondern es ausdrücklich anfordere als einen Teil meiner Person. Zwang und Unmöglichkeit Jude zu sein, das ist es, was mir undeutliche Pein schafft“
Auch über die Zeit der Lager hinaus verstörte ihn der wiederaufkommende Antisemitismus gerade auch in der deutschen Linken. Er schrieb: „Das klassische Phänomen des Antisemitismus nimmt aktuelle Gestalt an. Die alte besteht weiter, das nenn ich Koexistenz. […] Anti-Israelismus, Anti-Zionismus in reinstem Vernehmen mit dem Antisemitismus von dazumal. [..] Doch neu ist in der Tat die Ansiedlung des als Anti-Israelismus sich gerierender Antisemitismus aus der Linken. Einst war das der Sozialismus der dummen Kerle. Heute steht er im Begriff, ein integrierender Bestandteil des Sozialismus schlechthin zu werden, und so macht jeder Sozialist sich selber freien Willens zum dummen Kerl.“
Auch äußerte er sich im Aufsatz „Jargon der Dialektik“ zu Problemen der Wissenschaftstheorie und darüber hinaus zu bekannten Vertretern der Kritischen Theorie in Deutschland : „Dort geht es hoch her mit der Reflektiertheit und negativer Positivität, mit Verdinglichung, unglücklichem Bewusstsein und Fungibilität“. Falsche, aus Überheblichkeit gewählte, Formulierungen und Versuche einfachste Dinge geschwollen, tiefgründig und vieldeutig auszudrücken, lehnte er klar ab. „Jedoch ist sowohl in der französischen als auch der deutschen gehobenen Publizistik, die überflüssige bis mißbräuchliche Anwendung des Wortes „dialektisch“, der vergleichsweise harmlose Aspekt des Problems. Wir haben es da mit einem pseudowissenschaftlichen Schlüsselwort zu tun, das, wenn es auch nirgends ein Tor aufschließt, so doch geeignet erscheint, noch dem anspruchslosesten Zeitungsartikel ein Air höherer Intelligenz zu geben.“
Eine seiner persönlichsten Schriften erschien 1976 kurz vor seinem Tod.
In „Hand an sich legen“ setzte er sich mit Suizid und, wie nach seinem Selbsttötungsversuch 1974 klar war, mit seinem eigenen Suizid auseinander. Er forderte auf, den Selbstmörder „nicht als Helden [zu feiern]“ aber „seine verschmähte und geschmähte Handlung gelten [zu] lassen“. Denn „Was gilt, ist die Option des Subjekts. […] Wir sollten ihnen Respekt vor ihrem Tun und Lassen, sollten ihnen Anteilnahme nicht versagen, zumalen ja wir selber keine glänzende Figur machen.“
Er starb durch Selbstmord am 17. Oktober 1978 in Salzburg.
Unvergessen – Jean Améry
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Die nun vorgestellte Person wurde 1923 in Spandau geboren. Sein Vater heiratete eine katholische Frau und gab dafür seinen jüdischen Glauben auf. Der Sohn wurde katholisch getauft, besuchte eine katholische Schule und wurde Mitglied bei den katholischen Pfadfindern.
Als 1935 die rassistischen „Nürnberger Gesetze“ in Kraft traten, galt er plötzlich als sogenannter „Halbjude“. Durch die immer stärkere Stigmatisierung von Jüdinnen und Juden im NS-Staat verlor er seine Schulfreunde und ‑freundinnen und nach der Reichspogromnacht im Jahr 1938 auch seine Lehrstelle als Wäscher und Plätter.
Im Jahr 1942 wurde er zwangsverpflichtet in der Berliner Werkzeugmaschinenfabrik „Sasse“ Munition zu polieren. Er sabotierte die Produktion. Nach mehrmaliger Vorladung und Abmahnung entschloss er sich zur Flucht in die Schweiz.
Aber der Fluchtversuch misslang. Er wurde „wegen Passvergehen und Arbeitsvertragsbruch“ inhaftiert und für vier Wochen in das Arbeitslager in Berlin-Wuhlheide deportiert. Im April 1943 erfolgte der Abtransport in das Konzentrationslager Auschwitz. Mit viel Glück überlebte er. Im Januar 1945 wurde das KZ wegen der heranrückenden Roten Armee geräumt. Er überlebte die Todesmärsche zum KZ Mittelbau-Dora und später zum KZ Bergen-Belsen begeben. Hier wurde er von britischen Soldaten befreit.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges zog er nach Potsdam und wurde Hauptkommissar im Morddezernat. Er lernte seine Frau Waltraud kennen und bekam zwei Kinder mit ihr. Er wurde Mitglied der SED, half beim Aufbau der Volkssolidarität mit, arbeitete in der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes und wurde Mitglied im Kreiskomitee der antifaschistischen Widerstandskämpfer. Herz- und magenkrank, wurde er mit 29 Rentner.
Im Jahr 1965 las er in der Zeitung, dass der KZ-Arzt Horst Fischer verhaftet worden war. Horst Fischer hatte ihn zweimal für den Transport in die Gaskammer ausgewählt, weil er nicht mehr zum Arbeiten taugte. Er meldete sich als Zeuge und trat somit im Prozess als Hauptbelastungszeuge auf.
Seit dieser Zeit suchte er das Gespräch mit Jugendlichen und erzählte ihnen von seinen Erlebnissen. Er war wegen seiner geradlinigen direkten Art sehr überzeugend. Nach einem Zeitzeugengespräch in der Realschule im niedersächsischen Lengede setzten sich die Schüler*innen dafür ein, dass ihre Schule nach ihm benannt wird.
2008 versuchte die CDU-Fraktion in Potsdam, am Standort der ehemaligen Synagoge eine neue Gedenktafel anbringen zu lassen. Deren Inschrift sollte die Verwüstung des Gebäudes in der Reichspogromnacht 1938 und den Abriss des Gebäudes 1957 in der DDR erwähnen. Daraufhin verfasste er einen empörten Brief, der am 11.06.2008 im Hauptausschuss von einem Mitglied der VVN-BdA verlesen wurde. Er erklärte, dass die DDR das Gebäude abreißen ließ, weil sich trotz intensiver Bemühungen niemand fand, der die Jüdische Gemeinde in Potsdam neu gründen wollte. So kam man überein, das Grundstück für den Wohnungsbau freizugeben. Die Stadt Potsdam sagte zu, eine neue Synagoge zu bauen, wenn es in Potsdam wieder eine Initiative zur Gründung einer Jüdischen Gemeinde gibt. Vor diesem Hintergrund ist es nicht gerechtfertigt, die Reichspogromnacht und den Abriss 1957 in einem Atemzug zu nennen. Die CDU zog ihren Antrag nach Aufforderung der damaligen Oberbürgermeisters zurück.
Er starb am 12. Dezember 2009 in Babelsberg und wurde auf dem Friedhof in Drewitz beigesetzt.
Seit 2012 trägt der Platz am Babelsberger Findling seinen Namen. Seither fanden dort mehrmalig die städtischen Gedenkveranstaltung zum Holocaustgedenktag statt.
Unvergessen – Willi Frohwein
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Die nun vorgestellte Person wurde in Wien geboren. Sie ist Jüdin. Ihr Vater war Frauen- und Kinderarzt. Als sie sechs Jahre alt war, wurde Österreich in das nationalsozialistische Deutsche Reich unter Hitler eingegliedert. Es beginnt eine Zeit der ständigen Angst. Alle Juden und Jüdinnen werden aus dem öffentlichen Leben ausgegrenzt. Auch ihre Familie zieht sich zurück, versteckt sich, wird fast unsichtbar.
Ihr Bruder ist noch in Prag, er kann nun nicht mehr zurückkommen. Der Vater muss irgendwann nach Frankreich fliehen. Er wird seine Familie nie nachholen können.
Die Jahre der Isolation verbringt sie lesend: Klassik, Romantik, Lyrik…
Sie ist elf, als sie und ihre Mutter abgeholt werden und nach Theresienstadt gebracht werden. 1,5 Jahre später werden sie nach Auschwitz-Birkenau gebracht.
Sie ist zu jung, um zu arbeiten. Bei der Selektion wird sie zum Sterben ausgemustert. Eine Frau meinte zu ihr, sie soll sich nochmal anstellen und drei Jahre älter machen. So überlebte sie – für den Moment.
Hunger, Schmerz und Angst werden ihre ständigen Begleiter. An einem Ort, wo ihr Körper zerstört wird, ist ihr die Lyrik eine geistige Stütze. „Die schillerschen Balladen wurden meine Appellgedichte, mit denen konnte ich stundenlang in der Sonne stehen und nicht umfallen, weil es immer eine nächste Zeile zum Aufsagen gab, und wenn einem eine Zeile nicht einfiel, so konnte man darüber nachgrübeln, bevor man an die eigene Schwäche dachte.“
Sie schreibt auch Gedichte, ihr „Gegengewicht zum Chaos“ im täglichen Wahnsinn des Konzentrationslagers. „Wer nur erlebt, reim- und gedankenlos, ist in Gefahr den Verstand zu verlieren.“
DER KAMIN (von Ruth Klüger)
Täglich hinter den Baracken
Seh ich Rauch und Feuer stehn.
Jude, beuge deinen Nacken,
Keiner hier kann
dem entgehn.
Siehst du in dem Rauche nicht
Ein verzerrtes Angesicht?
Ruft es nicht voll Spott und Hohn:
Fünf Millionen berg‘ ich schon!
Auschwitz liegt in meiner Hand,
Alles, alles wird verbrannt.
Täglich hinterm Stacheldraht
Steigt die Sonne purpurn auf,
Doch ihr Licht wirkt öd und fad,
Bricht die andre Flamme auf.
Denn das warme Lebenslicht
Gilt in Auschwitz längst schon nicht.
Blick zur roten Flamme hin:
Einzig wahr ist der Kamin.
Auschwitz liegt in seiner Hand,
Alles, alles wird verbrannt.
Mancher lebte einst voll Grauen
Vor der drohenden Gefahr.
Heut‘ kann er gelassen schauen,
Bietet ruh’g sein Leben dar.
Jeder ist zermürbt von Leiden,
Keine Schönheit, keine Freuden,
Leben, Sonne, sie sind hin,
Und es lodert der Kamin.
Auschwitz liegt in seiner Hand,
Alles, alles wird verbrannt.
Hört ihr Ächzen nicht und Stöhnen,
Wie von einem, der verschied?
Und dazwischen
bittres Höhnen,
Des Kamines schaurig Lied:
Keiner ist mir noch entronnen,
Keinen, keine werd ich schonen.
Und die mich gebaut als Grab
Schling ich selbst zuletzt hinab.
Auschwitz liegt in meiner Hand,
Alles, alles wird verbrannt.
Schließlich wurde sie ins Frauen-KZ Christianstadt zur Herstellung von Munition und Sprengstoff verschleppt. Auf einem der Todesmärsche kann sie endlich fliehen.
Danach beginnt eine glücklichere Zeit. „Der erste Sommer nach dem Krieg, der erste Sommer in der Freiheit in Straubing in Bayern. Es hat nachher nichts gegeben, was mich so gerührt hat, was so schön war. Ich habe Fahrradfahren und Schwimmen gelernt. Ich habe angefangen zu menstruieren, bin erwachsener geworden. Ich war nie im Leben vorher oder nachher so angstfrei und ohne das Gefühl, dass in irgendeiner Weise Druck auf mich ausgeübt wird.“
Sie beginnt in Regensburg zu studieren. Dann emigrierte sie mit ihrer Mutter in die USA und studierte dort Germanistik und Bibliothekswissenschaften. Als sie beim Kellnern nach der Nummer auf ihrem Arm gefragt wurde, antwortete sie, dass das die Telefonnummer von ihrem Freund sei.
Sie promovierte und lehrte in Princeton und Göttingen. Sie schrieb Bücher und veröffentlichte Gedichte, bekam Preise und Auszeichnungen.
Auf die Frage nach dem warum antwortet sie „Wenn eine Tierart fast ausgestorben ist, weil sie so intensiv gejagt worden ist, werden die übrig gebliebenen Exemplare besonders gepflegt.“
Sie ist irgendwie davongekommen. Aber sie schreibt „ich wäre ein anderer Mensch geworden, ganz sicher, wenn es Hitler nicht gegeben hätte. Dann wäre die ganze Welt anders gewesen“, denn „was unterwegs verloren geht, bist immer du selbst.“
Deutschland steht sie ambivalent gegenüber, denn „Man weiß halt nicht, was einem dort passieren kann.“
Sie ist heute 87 Jahre alt.
Unvergessen – Ruth Klüger
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Redebeitrag BlauWeißBunt
Am 27. Januar 1945 wurde das Konzentrationslager Auschwitz durch die Rote Armee befreit. Heute ist dieses Datum der internationale Gedenktag an die Entrechtung, Verfolgung, Ausbeutung und Ermordung von Millionen von Menschen durch die Nationalsozialist*innen, ihre Kollaborateur*innen und Zuschauer*innen. Dieser Tag bietet unter anderem Anlass innezuhalten, der Opfer zu gedenken, den Überlebenden, von denen es leider immer weniger gibt, eine Bühne zu geben und die Erinnerung wachzuhalten.
Im vergangenen Jahr sprach Anita Lasker-Wallfisch zur Gedenkstunde im Bundestag. Sie ist Cellistin, 93 Jahre alt und eine der letzten Überlebenden des Mädchenorchesters von Auschwitz sowie des KZ Bergen-Belsen. Nach der Befreiung ging sie nach Großbritannien, machte weiterhin Musik und gründete eine Familie. 1994, nach dem Tod ihres Mannes, besuchte sie im Alter von 69 Jahren das erste Mal wieder Deutschland und kommt seitdem regelmäßig zu Vortragsreisen.
In ihrer Rede erklärte sie, dass der Holocaust der am besten dokumentierte Genozid der Menschheitsgeschichte ist. Zeugnisse von Täter*innen und Opfern sind die traurigen Beweise für dieses akribisch geplante, durchgeführte und von einem Großteil der deutschen Bevölkerung gebilligte Verbrechen. Und trotzdem gibt es Menschen, die versuchen Auschwitz zu verleugnen. Ich erinnere an die Äußerungen eines Herrn Gauland, der meinte, dass der Holocaust und die Verbrechen des Nationalsozialismus „nur ein Vogelschiss in 1000 Jahren deutscher Geschichte“ seien. Solcherlei ist nicht nur für Anita Lasker-Wallfisch unerklärlich und ekelerregend. Gegen Ende ihrer Rede sagte sie noch folgendes: „Es gibt keine Erklärungen oder Entschuldigungen für das, was damals passiert ist. Das einzige was bleibt ist Hoffnung, die Hoffnung, dass irgendwann der Verstand siegt.“
Mit diesem Fazit zeigt sie ganz praktisch, wozu uns der heutige Gedenktag noch Anlass geben sollte. Zum einen zurückzuschauen und die Gräuel der Nazis nicht zu vergessen. Zum anderen jedoch vor diesem Hintergrund die Gegenwart und die Zukunft einer kritischen Prüfung zu unterziehen.
Geschichte wird gemacht, jeden Tag. Eine Motivation meines antifaschistischen Handelns ist es, mich nicht vor mir selbst oder der nächsten Generation verstecken zu müssen, wenn gefragt wird: Was hast du gemacht, als Neonazis vermeintliche Ausländer durch die Straßen jagten? Was hast du gemacht, als Tausende Menschen im Mittelmeer ertrunken sind? Was hast du gemacht, als die AfD an die Macht gekommen ist?
Dann will ich selbstbewusst sagen können: Ich habe mich dagegen gestellt. Ich habe den Mund aufgemacht und ich habe solidarisch gehandelt mit denjenigen, die ausgebeutet, verfolgt und ermordet wurden. Ich habe dafür gekämpft, dass die Hoffnung darauf, dass letztendlich der Verstand siegt, wahr wird.
Das dieses Bestreben unbedingt notwendig ist, zeigen aktuelle Entwicklungen in Politik und Gesellschaft: Der NSU-Prozess endete enttäuschend, ist fast schon wieder aus dem gesellschaftlichen Kurzzeitgedächtnis verschwunden. Rechte Netzwerke reichen tief in die staatlichen Strukturen, wie Verwaltung und Polizei hinein. Die AfD besetzt ihre Landeswahlliste mit strammen Neonazis und wird dafür in aktuellen Wahlumfragen mit 20 bis 23 Prozent belohnt. Zugleich werden Menschen, die sich für Menschenrechte, Freiheit und Solidarität einsetzen kriminalisiert.
Unsere Aufgaben und Verantwortungen beginnen an genau diesem Punkt, denn jede von uns gestaltet aktiv diese Gesellschaft. Jeden Tag. Denn der wichtigste Schritt auf dem Weg eine Barbarei, wie den Nationalsozialismus, zu verhindern ist die Tatsache, dass wir hier heute alle gemeinsam stehen. Die Allianzen, die hier entstehen sind die Grundlage und der Rückhalt für die politischen Auseinandersetzungen, die jede*r von uns in den ganz alltäglichen Situationen zu führen hat. Denn wen es zu erreichen gilt sind nicht wir, die wir uns hier gemeinsam den Worten von Anita Lasker-Wallfisch erinnern, dass Aufgeben keine Option ist – und nie sein kann. Sich diese Mahnung vor Augen zu führen ist in Zeiten des steigenden neoliberalen Verwertungsdrucks und der zunehmenden staatlichen Repression eine große Herausforderung, dennoch nicht unmöglich. Antifaschistischer Aktivismus ist unsere Verantwortung und unsere Aufgabe ist es im Heute die Ereignisse der Vergangenheit und die Potenziale von Morgen zusammen zu führen.