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(Anti-)Rassismus Flucht & Migration

#Don’tForgetAfghanistan am 26.2.22

#Don’t­For­getAfghanistan am 26.2.22:
Kein Krieg — nirgendwo!
Flüch­t­ende aufnehmen — überall!

Heute vor einem halb Jahr been­dete die deutsche Bun­desregierung die  Evakuierungs­flüge aus Afghanistan. Hun­derte, wenn nicht tausende  Men­schen wurde ein Leben in Sicher­heit ver­wehrt (1). Die Sank­tio­nen  stoppten nicht die Tal­iban, son­dern stürzen große Teile des Lan­des in  eine schlimme Hunger­snot und Armut (2). Inzwis­chen haben  Politiker*innen aus Europa und USA sog­ar mit Vertreter*innen der  Tal­iban gesprochen, unter ihren mut­maßliche Terrorist*innen. Für viele  sieht es so aus, als kön­nten die USA und Europa das Gewal­tregime  anerken­nen (3).

Diese Woche begann ein neuer Krieg in der Ukraine. Neben Per­so­n­en der  Zivilge­sellschaft sprachen auch Politiker*innen von CDU/CSU, SPD, FDP  und den Grü­nen auf den Kundge­bun­gen der let­zten Tage von den Gefahren,  die durch Waf­fen und Krieg aus­ge­hen. Sie mah­n­ten an, dass Krieg kein  Mit­tel der Poli­tik sein darf. Auch riefen sie dazu auf, Flüch­t­ende  schnell aufzunehmen.
Als SEEBRÜCKE Pots­dam unter­stützen wir diese Forderungen.

Doch statt nur auf das Kriegstreiben Ander­er zu zeigen, richtet sich  unser Blick auch auf die Außen- und Flüchtlingspoli­tik der eige­nen  Regierung.
Viele dieser Politiker*innen gehören zu Parteien, die seit Jahren eine  Poli­tik der Mil­i­tarisierung und Abschot­tung mit prägen:
Die CDU/CSU, FDP, Die Grü­nen und die SPD bewil­ligten als  Regierungsparteien Jahr für Jahr Rüs­tung­sex­porte. So wur­den auch  kriegstreibende Län­der wie Kolumbi­en, Alge­rien, Sau­di-Ara­bi­en, Ägypten  und Mexiko in der Aufrüs­tung unter­stützt. Unter der let­zten Regierung  von CDU und SPD wurde wieder ein Reko­rd­w­ert erre­icht (4). Auch die  eigene Aufrüs­tung wurde vor­angetrieben. Die Aus­gaben für das Mil­itär  wuch­sen beständig von 2010 noch 34,9 Mrd. Euro auf heute 53 Mrd. Euro  (2021) (5)
Auch Mil­itärein­sätze sind für diese Parteien keines­falls ein Tabu. Sie  haben die Bun­deswehr für Krieg­sein­sätze in den Koso­vo und nach  Afghanistan (2001 bis 2014) geschickt, auch um Inter­essen der  deutschen Wirtschaft zu schützen (6). Durch diese Kriege lit­ten  zehn­tausende unbeteiligter Zivilist*innen durch Zer­störung ihrer  Häuser, Schulen, Fam­i­lien und ein­er sicheren Heimat.
Zugle­ich sind diese Parteien auch für die mil­i­tarisierte  Abschot­tungspoli­tik der EU ver­ant­wortlich. Die Aufrüs­tung der  EU-“Grenzschutz-Agentur” Fron­tex und die Beendi­gung der zivilen  EU-Seenotret­tung haben sie mit umge­set­zt (7). Für die Zen­trale der  Abschiebe-Behörde Bun­de­spolizei wird momen­tan in Pots­dam ein großer  Neubau errichtet, um noch mehr Per­son­al einzustellen.

Wir find­en: Jet­zt ist ein guter Zeit­punkt, diese Poli­tik erneut zu  hinterfragen!
Wir treten für eine radikale Wende der Poli­tik ein, die Fluchtur­sachen  ver­mei­det und bekämpft.

Wenn im Ukrainekrieg eine friedliche Außen­poli­tik und die Auf­nahme von  Flüch­t­en­den angemah­nt wird, rufen wir deswe­gen dop­pelt so laut:
Ein Ende den Rüs­tung­sex­porten und Kriegseinsätzen!
Wir sol­i­darisieren uns mit allen Men­schen, die sich im Krieg in der  Ukraine, sowie in allen Kriegs- und Krisen­re­gio­nen in der Welt, in  Lebens­ge­fahr befind­en, sowie mit allen Men­schen auf der Flucht.
Sofor­tige und kom­pro­miss­lose Auf­nahme schutzbedürftiger Menschen!

#Don’t For­get Afghanistan:
‑ein bun­desweites Auf­nah­me­pro­gramm für gefährdete Afghan*innen!
‑ein eigenes Lan­desauf­nah­me­pro­gramm in Brandenburg!
‑die Wieder­eröff­nung der Menschenrechtsliste!
‑ein schneller & unbürokratis­ch­er Familiennachzug!
‑keine formelle Anerken­nung der Taliban!

Quellen:
(1) https://seebruecke.org/aktuelles/kampagnen/dont-forget-afghanistan
(2)https://www.tagesschau.de/ausland/asien/afghanistan-un-bericht-101.html
(3)https://www.tagesschau.de/ausland/europa/taliban-afghanistan-gespraeche-103.html
(4)  https://www.tagesschau.de/wirtschaft/unternehmen/ruestungsexporte-deutschland-rekord-ruestungsexportgesetz-101.html
(5)  https://www.iwd.de/artikel/deutschland-bleibt-hinter-ziel-der-nato-zurueck-504087/
(6) https://taz.de/Kritik-an-Afghanistan-Aeusserung/!5141889/
(7)  https://www.labournet.de/politik/eu-politik/eu-sicherheit/neue-frontex-verordnung-aufruestung-der-festung-europa/

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(Anti-)Rassismus Flucht & Migration Inklusion & Ableism

Familie aus Eberswalde mit Kind abgeschoben

Familie aus Eberswalde mit Kind im Rollstuhl wurde nach Russland abgeschoben — Proteste gegen Abschiebungen gehen weiter

Am let­zten Mon­tag ver­sam­melten sich 30 Men­schen vor der Eber­swalder Aus­län­der­be­hörde um gegen eine gefürchtete Abschiebung ein­er Eber­swalder Fam­i­lie nach Tschetsche­nien zu protestieren. Frau Miza­e­va, die Mut­ter von 4 Kindern, hat­te die “Ini­tia­tive Barn­im für alle” um Hil­fe gebeten. Gegen eine mögliche Abschiebung hat­ten sich auch einige Lehrer*innen aus der Märkischen Schule in Eber­swalde gewen­det. An dieser Schule ler­nen 2 autis­tis­che Kinder von Frau Miza­e­va. Ein Unter­stützer durfte sie nicht zu ihrem Ter­min in die Aus­län­der­be­hörde begleit­en. Dieses wurde von der Polizei mit Ver­weis auf Coro­na-Schutz­maß­nah­men unter­sagt. Doch statt ein­er Abschiebung bekam Frau Miza­e­va nun eine Ver­längerung ihrer Dul­dung um 3 Monate. Sie bedank­te sich her­zlich bei den Men­schen vor der Aus­län­der­be­hörde. Ihre Anwältin wird nun weit­er ver­suchen Aktenein­sicht zu bekommen.

Wie die “Ini­tia­tive Barn­im für alle” erst heute erfahren hat, wurde bere­its am 16.02. eine Fam­i­lie mit zwei Kindern aus Eber­swalde nach Rus­s­land abgeschoben. Die Tochter der Fam­i­lie ist auf einen Roll­stuhl angewiesen. Die tschetschenis­che Fam­i­lie wurde um 18 Uhr von 20 Polizist*innen abge­holt. Sie durften wed­er ihre Handys mit­nehmen noch wurde ihnen Zeit gegeben ein paar Sachen einzu­pack­en. In Hand­schellen wurde die Fam­i­lie nach Berlin-Schöne­feld gebracht, von dort ging es weit­er­hin in Hand­schellen zum Flughafen Han­nover und dann am Mor­gen des 17.02. startete das Flugzeug nach Moskau. Trotz ein­er Voll­macht ver­weigert die Eber­swalder Woh­nungs­ge­sellschaft (WHG) Freund*innen der Fam­i­lie das Betreten der Woh­nung, so dass die per­sön­lichen Sachen der Fam­i­lie nicht nach Rus­s­land geschickt wer­den können.

Die unmen­schliche Abschiebe­poli­tik der Barn­imer Aus­län­der­be­hörde wird ein zen­trales The­ma unser­er Kundge­bung am 1. März sein”, so Fiona Kisoso von der “Ini­tia­tive Barn­im für alle”. Auch einige Eber­swalder Fam­i­lien, denen eben­falls die Abschiebung nach Tschetsche­nien dro­ht, haben ihre Teil­nahme angekündigt. Die abgeschobene Fam­i­lie wird sich per Handy an der Kundge­bung beteili­gen. Die Kundge­bung begin­nt um 12:00 Uhr direkt vor der Aus­län­der­be­hörde in Eber­swalde (Pfeilstr./ Goethestr.).

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Sonstiges

Abschiebung der nächsten Familie in Eberswalde droht

Die Barn­imer Aus­län­der­be­hörde betreibt offen­sichtlich die näch­ste Abschiebung ein­er Geflüchteten-Fam­i­lie aus Eber­swalde. Die Ini­tia­tive Barn­im für alle erre­ichte dazu ein Hil­fer­uf aus der Märkischen Schule in Eberswalde.

Wir sind das Lehrerteam ein­er Klasse der Märkischen Schule in Eber­swalde. In unser­er Klasse lernt ein tschetschenis­ch­er Junge mit dem Autismussyn­drom und in ein­er anderen Klasse seine schw­er autis­tis­che Schwest­er. Die Mut­ter hat uns um Hil­fe gebeten, da sie am 21.2.2022 ihre Reisepässe bei der Aus­län­der­be­hörde abgegeben muss. Die Frau hat große Angst abgeschoben zu wer­den. Aus unser­er Sicht wäre eine Abschiebung mit zwei so stark behin­derten Kindern unver­ant­wortlich. Wir möcht­en der Fam­i­lie unbe­d­ingt helfen. Kön­nten Sie uns dabei unterstützen? …“

Die Ini­tia­tive Barn­im für alle wird die Mut­ter zu ihrem Ter­min bei der Aus­län­der­be­hörde am Mon­tag sol­i­darisch und demon­stra­tiv begleit­en. Tre­ff­punkt ist um 10 Uhr vor der Aus­län­der­be­hörde. Unsere Anwe­sen­heit soll öffentlichkeitswirk­sam auf die erneuten Abschiebe­maß­nah­men und ‑dro­hun­gen gegenüber der tschetschenis­chen Com­mu­ni­ty aufmerk­sam machen. Min­i­malziel wäre eine verbindliche Erk­lärung der Aus­län­der­be­hörde, dass aktuell keine Abschiebe­maß­nahme geplant ist.

Die Anwältin der Fam­i­lie hat Aktenein­sicht beantragt, zur Zeit aber noch nicht bekommen.

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Antifaschismus jüdisches Leben & Antisemitismus Parlamentarismus Verschwörungsideologie

Der Judenhasser beim „Widerstand Cottbus“

Die Coro­na-Proteste in Cot­tbus sind die größten im Land Bran­den­burg und gehören zu den bestor­gan­isierten. Sie gel­ten in anderen Orten als Vor­bild. Deut­lich­er noch als ander­swo sind die Cot­tbuser Demon­stra­tio­nen von Recht­sex­tremen dominiert: das Bünd­nis aus AfD, dem Vere­in Zukun­ft Heimat, Neon­azis und Adepten der „Iden­titären“ haben die Protest-Regie bish­er fest unter ihrer Kon­trolle. Noch immer gibt es wöchentlich Demon­stra­tio­nen mit ein­er hohen dreis­tel­li­gen Anzahl an Teilnehmer*innen.

Kolodzik und Gauland vor der Synagoge
Heiko Kolodzik 2013 gemein­sam mit Alexan­der Gauland vor der Syn­a­goge in Cottbus

Dem Gesamt­bild der Cot­tbuser Proteste soll hier ein wichtiges Puz­zlestück hinzuge­fügt wer­den: Die größte Telegram­gruppe für die Coro­n­aproteste wird von einem Hard­core-Anti­semiten admin­istri­ert. Erst im Dezem­ber hat­te es einen grausamen, anti­semi­tisch motivierten Vier­fach­mord in Königs Wuster­hausen gegeben – der Täter war ein „Quer­denker“ und in ein­schlägi­gen Telegramkanälen unter­wegs [1]. Vor diesem Hin­ter­grund sollte die Reich­weite anti­semi­tis­ch­er Het­ze in den Kom­mu­nika­tion­skanälen Bran­den­burg­er Coro­n­aproteste beson­dere Aufmerk­samkeit erfahren. Darum: Blick­en wir auf den Cot­tbuser Telegram-Admin­is­tra­tor Heiko Kolodzik.

Nach­dem im Dezem­ber der lokale AfD-Vor­sitzende Jean-Pas­cal Hohm dazu aufrief unangemeldet zu demon­stri­eren [2] ver­bre­it­ete sich im Jan­u­ar der Link zur Telegram-Gruppe „Wider­stand Cot­tbus“ in der Szene. Die Gruppe wuchs inner­halb von nur zwei Wochen auf über 1.000 Mit­glieder. Vor­rangiges Ziel ist sich intern auf der Straße zu koordinieren. 

Heiko hat den Kanal voll
Exk­lu­sives Schreibrecht

Der Adminin­stra­tor „reißzahn“ brachte mit dem Kanal nicht nur die Spaziergänger miteinan­der ins Gespräch, son­dern nutzte ihn auch als eigenes Sprachrohr. Schon nach weni­gen Tagen begann er Schreibrechte für die Grup­pen­mit­glieder einzuschränken, weil er befürchtete, dass seine „Wahrheit“ zwis­chen den hun­derten anderen Nachricht­en unterge­ht. Zwis­chen­zeitlich ist er fast der einzige, der dort noch regelmäßig schreiben darf, dafür in ein­er hohen Fre­quenz. Inhaltlich geht es bei den Posts von „reißzahn“ um die „Coro­na-Gift­spritze“ und die „BRD-Besatzung“, ihre „Söld­ner“ usw.. Er sieht sich und seine Mitstreiter*innen in ein­er Art End­kampf auf Leben und Tod. Es ist ein ver­schwörungside­ol­o­gis­ches Pot­pour­ri, wie es für Bran­den­burg­er Coro­na-Protestkanäle auf Telegram nicht untyp­isch ist.

Heiko Kolodzik bei YouTube
Videos von Heiko Kolodzik bei YouTube

Der Admin „reißzahn“ ver­weist immer wieder auf die Telegram-Kanäle “Coro­n­aWah­nAr­chiv“, „ImpfWahn“ und „BRD-Besatzer-Poli­tik“ deren Inhalte darauf hin­deuten, dass diese eben­falls von ihm selb­st ver­wal­tet wer­den. Auf allen diesen Kanälen find­en sich PDF-Doku­mente aus der Fed­er des Cot­tbuser Finanzber­aters Heiko Kolodzik. Am 18. Jan­u­ar postete „reißzahn“ ein Foto aus der Per­spek­tive des Fir­men­büros von „Kolodzik & Kol­le­gen“ am Alt­markt. Am 31. Jan­u­ar ver­bre­it­ete „reißzahn“ dann ein PDF mit einem Wider­spruchss­chreiben gegen eine polizeiliche Ver­botsver­fü­gung – dessen Urhe­ber eben­falls „Heiko“ heißt. So wird nachvol­lziehbar: Admin „reißzahn“ ist Heiko Kolodzik.

Heike Kolodzik ist ein Anti­semit mit nation­al­sozial­is­tis­ch­er Schlag­seite. Schon ober­fläch­liche Suchen im Inter­net zeigen dies. Heiko Kolodzik ver­bre­it­et unter seinem vollen Namen und auch im Namen seines Unternehmens ultra-anti­semi­tis­che Inhalte bis hin zu Holo­caust-Leug­nung. Er bezieht sich in seinen kru­den Tex­ten pos­i­tiv auf die Nazi-Ide­olo­gie, beispiel­sweise auf die Schrift „Kampf gegen die Hoch­fi­nanz“ des Nazi-Wirtschaft­s­the­o­retik­ers Got­tfried Fed­er. Auf YouTube und dem Por­tal Odysee ver­bre­it­et er krude selb­st­pro­duzierte Videos.

Homepage von Heiko Kolodzik
Fir­men­sitze von Heiko Kolodzik in Cot­tbus und Hamburg

Dass jemand mit Fir­men­sitz in bester Cot­tbuser Altstadt­lage auf sein­er Home­page offen­bar seit Jahren Inhalte ver­bre­it­et, die sog­ar strafrechtlich rel­e­vant sein kön­nten, zeigt, wie fest rechte Struk­turen in Cot­tbus ver­ankert sind und wie sich­er sie sich fühlen kön­nen. Kolodzik ist aktuell Geschäfts­führer der HIH Wertholz GmbH, die mit Holz han­delt. Bis 2020 hat­te er die gle­iche Funk­tion bei der HWA Hanseatis­che Werte GmbH in Ham­burg inne. Die zuge­höri­gen Adressen in Ham­burg und am Alt­markt in Cot­tbus sind auch als Büros auf den Web­seit­en kolodzik.de und risk-management.org angegeben.

Kolodziks Büro am Altmarkt
Eröff­nung des ersten AfD-Büros 2013 in Cottbus

Kolodziks poli­tis­che Biografie ist mit der AfD ver­bun­den. Nach der Grün­dung der Partei in Cot­tbus war Kolodziks Büro 2013 die Adresse des ersten lokalen Parteisitzes. Kolodziks selb­st war Leit­er der Grün­dungsver­samm­lung und zählt somit zur Grün­dungs­gen­er­a­tion der AfD [3]. 2014 trat er aus der Partei allerd­ings aus, weil er sich nach eigen­er Aus­sage zu den „Zustän­den in Gaza“ nicht frei genug äußern könne [4]. Auch in der aktuellen Telegram-Gruppe zeigt „reißzahn“ ein ambiva­lentes Ver­hält­nis zur AfD. Ein­er­seits wer­den die Aktion­saufrufe der Partei und der mit ihr assozi­ierten Grup­pen ver­lässlich ver­bre­it­et. Auf der anderen Seite wird von „reißzahn“ und anderen auch AfD-Kri­tik geäußert. Die Partei sei zu sys­temkon­form und angepasst. Wahrhaft rev­o­lu­tionär seien nur unangemeldete Ver­samm­lun­gen im Gegen­satz zur tak­tis­chen Flex­i­bil­ität der AfD in dieser Frage.

Matthias Stein mit Schwarzer Sonne bei Telegram
Matthias Stein mit Schwarz­er Sonne bei Telegram

In der „Wider­stand Cot­tbus“ ‑Gruppe gibt es zahlre­iche per­son­elle und organ­isatorische Schnittmen­gen zur örtlichen AfD. Mit-Admin­is­tra­tor ist der Sen­ften­berg­er AfD-Abge­ord­nete Matthias Stein. Bei der Land­tagswahl 2019 scheit­erte dieser nur knapp dabei, ein Direk­t­man­dat zu errin­gen [5]. Bei Telegram posiert Stein mit dem SS-Sym­bol der Schwarzen Sonne. Auch AfD-Kreis­chef Jean-Pas­cal Hohm erteilte am 18. Jan­u­ar tak­tis­che Ratschläge: „Ein­fach nicht so viel Zeug schreiben, was einem auf die Füße fall­en kann“. Zumin­d­est Heiko Kolodzik beherzigt diesen Tipp nicht.

Diese Telegram-Gruppe dient der AfD und ihren Aktio­nen in Cot­tbus als Ver­größerung ihres Res­o­nanzraums. Für einen Anti­semiten wie Heiko Kolodzik sind die aktuellen Coro­na-Proteste ein Glücks­fall: im sozialen Nahraum sein­er Heimat­stadt schenkt ihm im Zuge der aktuellen Mobil­isierun­gen ein Pub­likum Aufmerk­samkeit, dass eine vier­stel­lige Größe hat. Sein Fall zeigt , dass auch härtester Recht­sex­trem­is­mus in der Spaziergänger-Szene auf keinen Wider­spruch mehr trifft. Die Fanatisierung bis hin zu bru­tal­sten Gewalt­tat­en, wie in Sen­zig, ver­läuft in Cot­tbus weit­er ungebremst.

[1] https://www.rbb24.de/panorama/beitrag/2022/02/bmi-antisemitismus-koenigs-wusterhausen-mord-senzig-brandenburg.html
[2] https://www.lr-online.de/lausitz/cottbus/anti-corona-demos-in-cottbus-warum-die-afd-nach-einer-neuen-protest-strategie-sucht-61575063.html
[3] https://www.lr-online.de/nachrichten/die-lausitzer-und-die-alternative-fuer-deutschland-35282308.html
[4] https://www.lr-online.de/nachrichten/cottbuser-afd-mitbegruender-verlaesst-enttaeuscht-landespartei-36016048.html
[5] https://www.lr-online.de/lausitz/senftenberg/wahlanalyse-fuer-oberspreewald-lausitz-und-senftenberg-einzig-roick-kann-afd-die-stirn-bieten-39643717.html

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Sonstiges

Vier Todesopfer antisemitisch motivierter Gewalt in Senzig

In der Antwort des Bun­desmin­is­teri­ums des Inneren auf eine Anfrage der Abge­ord­neten Petra Pau (Die Linke) heißt es: “Laut derzeit­igem Ken­nt­nis­stand war der Tatverdächtige davon überzeugt, dass der Staat mit der Impfkam­pagne einen bösen Plan ver­folge und die Welt­bevölkerung um die Hälfte reduzieren und eine neue Wel­tord­nung unter jüdis­ch­er Führung grün­den wolle.” Neben anti­semi­tis­chen Ver­schwörungsmythen soll sich der Täter in seinem Abschieds­brief zudem ras­sis­tisch geäußert haben.

Wir sind zutief­st erschüt­tert über vier weit­ere Todes­opfer rechter Gewalt. Diese Tat zeigt erneut auf ein­dringliche Weise, welche enorme Gefahr von anti­semi­tis­chen Ver­schwörungserzäh­lun­gen inner­halb der Coronaleugner:innen-Bewegung aus­ge­ht”, sagt Judith Porath, Geschäfts­führerin der Opfer­per­spek­tive — Beratungsstelle für Betrof­fene von rechter Gewalt.

Die Opfer­per­spek­tive e.V. fordert eine gründliche Aufk­lärung der Tathintergründe

Dass die Tat durch die Ermit­tlungs­be­hör­den offiziell als anti­semi­tisch motiviert gew­ertet wird, ist ein wichtiger Schritt. Allerd­ings darf die Ermit­tlungsar­beit an diesem Punkt nicht aufhören.“Da kein Gerichtsver­fahren stat­tfind­en kann, brauchen wir eine öffentliche und lück­en­lose Aufk­lärung, wie es zu dieser furcht­baren Tat kom­men kon­nte. Dazu zählen auch die poli­tis­chen Motive”, so Porath weit­er. Beant­wortet wer­den muss, welche konkreten Umstände zu der Tat geführt haben und inwiefern coro­naleug­nende sowie rechte Net­zw­erke an der Radikalisierung des Täters beteiligt waren. Zudem ist genauestens zu prüfen, inwiefern Per­so­n­en aus dem Umfeld des Täters etwas über dessen Tatvorhaben wussten und welchen Ursprung die Tat­waffe hatte.

Anti­semitismus als zen­trales Ele­ment der Coronaleugner:innen-Bewegungen darf nicht ver­harm­lost werden

In Bran­den­burg wie auch in anderen Bun­deslän­dern hat sich rund um die Mobil­isierung gegen die Infek­tion­ss­chutz­maß­nah­men ein ver­schwörungs­gläu­biges Milieu formiert. In großen Teilen wird dieses von Recht­sradikalen, Neon­azis und Reichsbürger:innen getra­gen. Inzwis­chen bes­tim­men in immer mehr Bran­den­burg­er Orten Ange­hörige dieses Milieus das poli­tis­che Kli­ma und gefährden damit den gesellschaftlichen Zusam­men­halt. Sie bedro­hen Men­schen, die sich um die Umset­zung von Coro­na-Schutz­maß­nah­men bemühen und schreck­en auch vor physis­chen Angrif­f­en nicht zurück. Die Tat von Sen­zig zeigt ein­dringlich die Gefahr, die von den anti­semi­tis­chen und ras­sis­tis­chen Vorstel­lungswel­ten von Impfgegner:innen und Pandemieleugner:innen ausgeht.

Die poli­tis­che Aufk­lärung dieser Tat und ein trans­par­enter Umgang der Ermit­tlungs­be­hör­den mit ihren Erken­nt­nis­sen sind deshalb für die gesellschaftliche Auseinan­der­set­zung mit dieser Bewe­gung von zen­traler Bedeutung.

Diese Auseinan­der­set­zung mit den Mor­den und den poli­tis­chen Entwick­lun­gen, die zu ihnen führten, sind jedoch keine Auf­gabe, die die Ermit­tlungs­be­hör­den allein erfüllen kön­nen. Vielmehr sind die poli­tis­chen und zivilge­sellschaftlichen Akteure im Land Bran­den­burg gefordert, alles dafür zu tun, dass sich die mörderische Ide­olo­gie, die den Tat­en zu Grunde lag, nicht weit­er ver­bre­it­et und sich ein solch­es Ver­brechen nicht wiederholt.

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Antifaschismus Geschichte & Gedenken

Kundgebung zum Gedenken an Sven Beuter

Vor 26 Jahren, am 20. Feb­ru­ar 1996 erlag der Punk Sven Beuter seinen schw­eren Ver­let­zun­gen. Fünf Tage zuvor wurde er vom Neon­azi Sascha L. bru­tal zusam­mengeschla­gen. In Gedenken an Sven Beuter und gegen die weit­ere Ver­bre­itung faschis­tis­chen, anti­semi­tis­chen und recht­sex­tremen Gedankengutes ruft die “Ini­tia­tive zum Gedenken an Sven Beuter” alle Inter­essierten zur Teil­nahme an ein­er Kundge­bung am 20. Feb­ru­ar um 17 Uhr an der Gedenkplat­te vor der Havel­straße 13, dem Ort, an dem Zeug*innen die Tat beobachteten und ein­grif­f­en, auf.

Solche Tat­en gehören lei­der noch immer nicht der Ver­gan­gen­heit an. Die grausamen Anschläge in Halle und Hanau sowie der skru­pel­lose Mord an Wal­ter Lübcke sind nur einige trau­rige Beispiele, welche Kon­se­quen­zen rechte Ide­olo­gien haben kön­nen. Dem muss sich die Zivilge­sellschaft immer wieder und entschlossen ent­ge­gen­stellen. Es ist nach wie vor wichtig, an die Opfer solch­er grausamen Tat­en zu erin­nern, ihnen zu gedenken und zu mah­nen. Mit der in jedem Jahr stat­tfind­en­den Gedenkkundge­bung möcht­en wir auch einen Beitrag leis­ten, den Mord an Sven Beuter im städtis­chen Bewusst­sein wach zu halten.

Mehr Infor­ma­tio­nen zu Sven Beuter, zur Tat und zum Gerichtsver­fahren gegen Sascha L. find­en Sie auf der Seite der Opfer­per­spek­tive unter https://todesopfer-rechter-gewalt-in-brandenburg.de/sven-beuter/.

Lassen Sie uns gemein­sam Sven Beuter gedenken und gle­ichzeit­ig ein klares Zeichen gegen rechte Men­schen­feindlichkeit setzen.

Nie­mand ist vergessen. Nichts ist vergeben.

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Antifaschismus Geschichte & Gedenken

Kampagne zum antifaschistischen Gedenken im Land Brandenburg

Geschichte hin­ter­lässt Spuren

Viele Städte und Dör­fer im Land Bran­den­burg haben ihre eigene lokale Geschichte. Im Wan­del der Zeit, von der Weimar­er Repub­lik, zum Nation­al­sozial­is­mus, über die DDR bis zur heuti­gen Zeit hat die Geschichte Spuren hin­ter­lassen. Sie han­delt von Opfern und Täter:innen, es sind Spuren des Kampfes und Wider­standes, der Ver­nich­tung und Befreiung. Manche Straßen­na­men und Denkmäler wur­den im Zuge der neuen Geschichtss­chrei­bung der poli­tis­chen Umbrüche getil­gt, einige aus­ge­gren­zte Opfer- und Per­so­n­en­grup­pen hat­ten nie den erforder­lichen Rück­halt oder es fehlen erin­nerungspoli­tis­che Forschun­gen und Ini­tia­tiv­en für ein Gedenken, manche lokale Geschichte mag unbe­quem sein und wird ein­fach ver­drängt. Es sind jedoch auch Erin­nerungsstät­ten in den let­zten Jahren neu ent­standen, sie machen Mut für mehr.

His­torisches Erbe

Aktuelle For­men von Anti­semitismus, Ras­sis­mus und Nation­al­is­mus ste­hen immer im Kon­text des his­torischen Erbes, auch wenn sich ihre Aus­prä­gun­gen auf aktuell poli­tis­che The­men berufen. Anti­semitismus, Ras­sis­mus und Nation­al­is­mus haben in Deutsch­land eine lange Tra­di­tion. Es gilt, den Faden der Erin­nerung nicht abreißen zu lassen und das Wis­sen um die his­torische Ver­ant­wor­tung zu fes­ti­gen. Es geht uns zum einen darum, der Opfer zu gedenken, sie sollen nicht vergessen wer­den. In unser­er Erin­nerung und unserem Gedenken geht es aber auch darum, aus der Geschichte zu ler­nen und neue Wege in ein­er Kam­pagne gemein­sam zu bestre­it­en, demokratis­ches und antifaschis­tis­ches Engage­ment zu fördern und sol­i­darisch zu sein.

Es ist geschehen, und fol­glich kann es wieder geschehen

Die Nor­men und Werte des Zusam­men­lebens basieren auf jed­er einzel­nen Per­son in der Gesellschaft und auf ihrem alltäglichen Han­deln. Ide­olo­gien und Mei­n­un­gen der Ungle­ich­heit, des Sozial­dar­win­is­mus und des Ras­sis­mus brin­gen die Gesellschaft und das Zusam­men­leben per­ma­nent ins Wanken. Unsere erin­nerungs- und gedenkpoli­tis­che Arbeit zielt mit dem Gestern auf das Heute und das Mor­gen. Wir wollen Partei ergreifen, für die Opfer diskri­m­inieren­der und ras­sis­tis­ch­er Gewalt von gestern und heute und fra­gen uns dabei, warum weit­er­hin Men­schen in dieser Gesellschaft stig­ma­tisiert, aus­ge­gren­zt und ver­fol­gt werden?

Antifaschis­tis­ches Gedenken und Erin­nern stärken

Wir wollen keinen Schlussstrich unter die Ver­gan­gen­heit set­zen. Als Linke und Antifaschist:innen sind wir Teil eines gesellschaftlich-his­torischen Prozess­es, Geschichte und Gegen­wart sind untrennbar miteinan­der ver­bun­den. Wir erin­nern an die Rev­o­lu­tio­nen und Arbeit­skämpfe der Arbeiter:innenbewegung des let­zten Jahrhun­derts, an die nation­al­sozial­is­tis­che Ver­fol­gung und den Wider­stand, aber auch an den Ras­sis­mus und Neon­azis­mus in DDR und BRD, der zahlre­iche Todes­opfer forderte und deren Gefahr lange nicht geban­nt ist. Über­all im Land gibt es Leucht­türme erin­nerungspoli­tis­ch­er Arbeit, oft­mals von kleinen Grup­pen und Ini­tia­tiv­en getra­gen. Von der Prig­nitz bis in die Lausitz, von der Uck­er­mark bis in den Fläming, wir wollen gemein­sam agieren und antifaschis­tis­che Erin­nerung und Gedenken stärken.

Gemein­sam Gedenken, lokale Struk­turen unterstützen

Exem­plar­isch für die antifaschis­tis­che Gedenk- und Erin­nerungsar­beit haben wir uns für das Jahr 2022/23 einige erin­nerungspoli­tis­che Ereignisse aus­ge­sucht, die wir gemein­sam gestal­ten und begleit­en wollen. Wir rufen dazu auf, im Feb­ru­ar am Gedenken für Sven Beuter in Brandenburg/Havel, im April am Gedenken an Phan Van Toan im Land­kreis MOL, im Mai dezen­tral an die Gedenk- und Befreiungs­feier­lichkeit­en von Nation­al­sozial­is­mus im ganzen Land, im Juli zum Gedenken an Emil Wend­land in Neu­rup­pin, an den Ver­anstal­tun­gen im Gedenken an die Reich­s­pogrom­nacht im Novem­ber, sowie im Feb­ru­ar näch­sten Jahres am Gedenken an Farid Guen­doul in Guben teilzunehmen und die lokalen Struk­turen zu unter­stützen. Weit­ere Infor­ma­tio­nen zu den einzel­nen Gedenkver­anstal­tun­gen, wer­den mit den lokalen Aufrufen sep­a­rat veröffentlicht. 

Gemein­sam sind wir stark – Erin­nern heißt kämpfen!

AG Gedenken & Erin­nern Land Brandenburg

Kon­takt unter: AG_GedenkenundErinnern_Brb@riseup.net

VVN-BdA Land Brandenburg
Geschichtswerk­statt Rotes Nowawes
Soziales Zen­trum JWP “Mit­ten­Drin”
Emil Wend­land Gedenk­ini­tia­tive (@Instagram)
SJ — Die Falken Brandenburg”
AG Geschicht­spro­jekt frei­Land Potsdam
Film­stadt Infer­no 1999
Gedenk­ini­tia­tive Phan Van Toan”
Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt (BOrG) Märkisch-Oderland
Horte Soziales Zentrum
Utopia e.V.

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Geschichte & Gedenken

Konstituierung des Geschichtsprojekts freiLand

Am 7. Und 8. Feb­ru­ar 1945 durch­querte der Todes­marsch aus­ge­hend vom ehe­ma­li­gen KZ Außen­lager Lieberose/Jamlitz Pots­dam. Die beina­he 2000 Häftlinge wur­den von SS-Ange­höri­gen und anderen Trup­pen über Goy­atz, Teupitz und Zossen sowie Lud­wigs­felde schließlich nach Drewitz getrieben. Nach­dem es dort zu Erschießun­gen von „Marschun­fähi­gen“ gekom­men war, führte der Weg der Gefan­genen weit­er über Pots­dam nach Falkensee, um schließlich zum KZ Stamm­lager Sach­sen­hausen zu gelan­gen. Auch wenn sich der genaue Weg der Häftlinge nicht mehr nachvol­lziehen lässt, so führte der Todes­marsch sichtlich durch das Blick­feld der Pots­damer Stadtbevölkerung.

Bere­its vor den Todesmärschen waren nation­al­sozial­is­tis­che Ver­brechen der Deutschen und so auch der Pots­damer Bevölkerung unüberse­hbar, mehr noch sie par­tizip­ierte an ihnen. Als präg­nan­teste Beispiel gilt die NS-Zwangsar­beit. So ver­weist die His­torik­erin Almuth Püschel darauf, dass allein im Jahre 1944 rund 18.000 Zwangsarbeiter:innen in beina­he allen Pots­damer Betrieben schuften mussten. Den­noch sind Erin­nerun­gen im kollek­tiv­en Gedächt­nis der Potsdamer:innen an das nation­al­sozial­is­tis­chen Massen­ver­brechen kaum und ein zen­traler Erin­nerung­sort oder rit­u­al­isiertes Gedenken nicht vorhanden.

Seit dem let­zten Jahr hat sich im soziokul­turellen Zen­trum frei­Land eine Gruppe kon­sti­tu­iert, die sich nicht nur mit dem authen­tis­chen Ort und der dort aus­geübten Zwangsar­beit im ARA­DO-Rüs­tungs­be­trieb während der Zeit des Nation­al­sozial­is­mus auseinan­der­set­zt, son­dern darüber hin­aus einen zen­tralen Erin­nerung­sort schaf­fen will. Seit dem zwanzig­sten Jahrhun­dert war das Gelände in und um das frei­Land herum ein indus­triell genutzter Ort. In der Zeit des Nation­al­sozial­is­mus befand sich hier die Hauptver­wal­tung der ARA­DO-Flugzeug­w­erke GmbH und eine Pro­duk­tion­sstätte des Konz­erns. Auch hier mussten tausende Men­schen aus ver­schiede­nen Län­dern Zwangsar­beit für den ARA­DO-Rüs­tungs­be­trieb leis­ten, die werk­seige­nen Lager für Zwangsarbeiter:innen gehörten mit zu den größten in der Stadt Pots­dam und befan­den sich in unmit­tel­bar­er Nähe. Ein Großteil der Zwangsarbeiter:innen kam aus der Sow­je­tu­nion, ins­beson­dere der Ukraine sowie aus den Niederlanden.

Das Geschicht­spro­jekt zur Zwangsar­beit bei ARADO im frei­Land will an die vor­ange­gan­genen Ini­tia­tiv­en und Arbeit­en anknüpfen und einen erleb­baren Erin­nerung­sort schaf­fen. Dazu Hannes Richter: „Die His­to­rie des Ortes, seine zen­trale Lage, die vor­ange­gan­genen Bemühun­gen ver­schieden­ster Ini­tia­tiv­en und vor allem der bevorste­hende Jahrestag der Ein­wei­hung des Mah­n­mals für die Zwangsarbeiter:innen im Drit­ten Reich auf dem frei­Land-Gelände motivieren uns für die Schaf­fung eines Gedenko­rtes zum The­ma Zwangsar­beit und ARADO.“ Im Frei­Land erin­nert seit dem 08. Mai 2013 ein Mah­n­mal an die Mil­lio­nen Men­schen, welche in der Zeit des Nation­al­sozial­is­mus nach Deutsch­land ver­schleppt und zur Arbeit gezwun­gen wurden.

Für die weit­er­führende Auseinan­der­set­zung und erin­nerungspoli­tis­che Arbeit zur Errich­tung eines Gedenko­rtes sucht das Geschicht­spro­jekt nun Erin­nerun­gen, Doku­mente und Mate­ri­alien über diese Zeit. Von großem Inter­esse sind laut Hannes Richter vor allem Fotos, Doku­mente, Filme, andere Mate­ri­alien oder auch famil­iäre Berichte und Erleb­nisse im Kon­text der NS-Zwangsar­beit bei ARADO. „Vielle­icht find­et sich ja etwas in den Fam­i­lien­al­ben, auf dem Dachbo­den, im Keller oder in den Schränken“, so Hannes Richter. Alle Doku­mente und Mate­ri­alien, die wir erhal­ten, geben uns sicher­lich Auf­schluss über die dama­lige Zeit und wer­den sen­si­bel behan­delt und nur in Rück­sprache mit den Besitzer:innen verwendet. 

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Flucht & Migration Law & Order

Abschiebezentrum am Flughafen BER verhindern!

Mit dem Bau soll noch in diesem Jahr begonnen wer­den, die Fer­tig­stel­lung ist für das Jahr 2025 geplant. Eine erste Demon­stra­tion find­et am Mittwoch, den 9. Feb­ru­ar in Schöne­feld statt. Die Route geht von der S‑Bahn Sta­tion Schöne­feld (16:45 Uhr) bis zur End­kundge­bung am Rathaus Schöne­feld um 17:45 Uhr (Hans-Grade-Allee 11). Die Gegner*innen des Abschiebezen­trums möcht­en den Druck auf die Kommunalpolitiker*innen erhöhen, die zur gle­ichen Zeit eine Sitzung in der Schöne­felder Gemein­de­v­ertre­tung abhal­ten. Denn der Beschluss der Bau­pläne ste­ht noch aus.

Im August 2021 kündigte das Bran­den­bur­gis­che Innen­min­is­teri­um an, in Schöne­feld ein so genan­ntes „Ein- und Aus­reisezen­trum am Flughafen BER” zu bauen. Auf ein­er Fläche von 4 Hek­tar sollen Gebäude für Ankun­ft, Tran­sit, Gewahrsam und Rück­führun­gen entste­hen. Am Flughafen BER gibt es bere­its eine Ein­rich­tung, in der Men­schen vor ihrer Abschiebung bis zu 48 Stun­den fest­ge­set­zt wer­den kön­nen: Der „Aus­reisege­wahrsam Schöne­feld”. Das neue Abschiebezen­trum würde die Haftka­paz­itäten mas­siv erweit­ern. Das Zen­trum soll auf dem Gelände nördlich des jet­zi­gen usreisege­wahrsams gebaut werden.

Laut Alex­is Mar­tel, Press­esprecherin des Bünd­niss­es „Abschiebezen­trum BER ver­hin­dern”, „ist jede Form von Abschiebung und Inhaftierung ein gewaltvoller und zutief­st ras­sis­tis­ch­er Akt, den die Regieren­den ver­suchen zu nor­mal­isieren, zu beschöni­gen oder unsicht­bar zu machen. Durch den Zwang zur Erlan­gung von Visa und Aufen­thalt­stiteln, durch exk­lu­sive Asylver­fahren und die Ein­weisung von Migrant*innen in Lager und Abschiebe­haftein­rich­tun­gen wird Schwarzen Men­schen und Peo­ple of Col­or sys­tem­a­tisch ein selb­st­bes­timmtes Leben und die freie Wahl ihres Aufen­thalt­sortes ver­weigert. Deshalb wer­den wir uns gegen dieses neue Abschiebezen­trum und gegen jede Inhaftierung oder Abschiebung von Men­schen wehren”.

Das neue Abschiebege­fäng­nis wird, wie bere­its jet­zt, einen Ort für Aus­reisege­wahrsam bein­hal­ten, in dem Men­schen für max­i­mal zehn Tage vor ihrer Abschiebung inhaftiert wer­den kön­nen (§ 62b Aufen­thG). Außer­dem wird es ein Tran­sit­ge­bäude geben, in dem min­destens zwei weit­ere For­men der Inhaftierung stat­tfind­en wer­den: Erstens wer­den Men­schen, die bei ihrer Ankun­ft am Flughafen BER einen Asy­lantrag stellen, in einem unfairen Asyl-Schnel­lver­fahren mit erschw­ertem Zugang zu unab­hängiger Rechts­ber­atung oder Unter­stützung vor Ort fest­ge­hal­ten (§ 18a Abs. 1 AsylG). Durch dieses Flughafen-Asylver­fahren kön­nen ganze Fam­i­lien – inklu­sive Kinder – wochen­lang legal inhaftiert wer­den. Zweit­ens kön­nen Men­schen bei der Ein­reise mit dem Flugzeug im Tran­sit­ge­bäude inhaftiert wer­den, noch bevor sie deutsches Ter­ri­to­ri­um betreten und ihr Recht auf Asyl gel­tend machen kön­nen (§ 15 Abs. 6 AufenthG).

Der bish­erige Pla­nung­sprozess war in hohem Maße intrans­par­ent und undemokratisch: Der Bran­den­burg­er Land­tag wurde bei der Pla­nung des Pro­jek­ts umgan­gen. Derzeit wird davon aus­ge­gan­gen, dass ein*e private*r Investor*in mit dem Bau des Zen­trums beauf­tragt und das Gebäude erst nach Fer­tig­stel­lung an das Land Bran­den­burg ver­mi­etet wer­den soll. Auf diese Weise wird ver­mieden, das Par­la­ment um die Bere­it­stel­lung von Haushaltsmit­teln zu bitten.

Mit dem Bau des Flughafens BER wurde der alte Schöne­felder Flughafen zum BER Ter­mi­nal 5 und wird seit­dem haupt­säch­lich für Massen­ab­schiebun­gen per Char­ter­flüge genutzt. Alex­is Mar­tel kom­men­tiert: „Der Name Schöne­feld wird schon jet­zt sehr stark mit Abschiebun­gen assozi­iert. Fast jede Woche starten vom Schöne­felder Flughafen Char­ter­flüge zur Durch­führung von Massen­ab­schiebun­gen. Ein neues Abschiebezen­trum wäre der let­zte Tropfen, der Schöne­feld bun­desweit als Abschiebestadt bekan­nt macht”.

Für das Bünd­nis „Abschiebezen­trum BER ver­hin­dern” ist klar: „Wir wer­den ein Abschiebezen­trum am Flughafen BER nicht akzep­tieren und so lange dage­gen demon­stri­eren, bis die Pläne gestoppt werden!” 

Unterze­ich­nende Organisationen:

Abol­ish Frontex
Balkanbrücke
bor­der­line europe
Cul­ture of deportation
Flüchtlingsrat Brandenburg
Flüchtlingsrat Berlin
Justizwatch
Migrantifa
NoMoreMorias
No Bor­der Assembly
No Nation Truck
Per­spek­tive Selbstverwaltung
Schlafplatzorga
See­brücke Berlin
See­brücke Potsdam
Sea Watch
We will come united
Wir Packen’s An
Women in Exile
Alarmphone

Weit­ere Informationen:

Flüchtlingsrat Bran­den­burg (17.09.2021): „Flüchtlingsrat Bran­den­burg kri­tisiert geplantes Vorzeige-Abschiebe-Zen­trum am
BER”: https://www.fluechtlingsrat-brandenburg.de/fluechtlingsrat-brandenburg-kritisiert-geplantes-vorzeige-abschiebe-zentrum-am-ber/
Bun­desmin­is­teri­um des Innern und für Heimat (26.10.2021): „Ein- und Aus­reisezen­trum am Flughafen BER. Bund und Land machen den Weg
frei.” https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/pressemitteilungen/DE/2021/10/ber-ein-ausreisezentrum.html
No Bor­der Assem­bly (2022): „Abschiebezen­trum BER ver­hin­dern. Demo und Kundge­bung am 9. Feb­ru­ar in Schöne­feld”: https://noborderassembly.blackblogs.org/de/abschiebezentrum-ber-verhindern/
Land­tag Bran­den­burg (18.10.2021): „Antwort der Lan­desregierung auf die Kleine Anfrage Nr. 1561”: https://www.parlamentsdokumentation.brandenburg.de/starweb/LBB/ELVIS/parladoku/w7/drs/ab_4300/4377.pdf

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Antifaschismus Law & Order Verschwörungsideologie

Nazis als Bannerträger

Immer wieder Ost­deutsch­land: Ende Dezem­ber ver­gan­genen Jahres eskalierten Anti-Coro­na-Demos in Magde­burg und Bautzen, wie schon zuvor über Monate im säch­sis­chen Zwönitz. Auch die Angriffe auf Polizei und Pres­sev­ertreter nehmen an Umfang und Inten­sität zu. Nach ein­er Phase der Beruhi­gung im ver­gan­genen Som­mer sind die Anti-Coro­na-Proteste seit dem Spätherb­st wieder aufge­flammt. Im Zen­trum der medi­alen Aufmerk­samkeit ste­hen Sach­sen, Thürin­gen, Bran­den­burg und Sachsen-Anhalt.

Tat­säch­lich gibt es seit 2014, seit dem Beginn von Pegi­da, immer wieder Mobil­isierun­gen eines autoritär eingestell­ten poli­tis­chen Milieus speziell in Ost­deutsch­land. Zu den Ursachen gehört ein starkes Anti-Estab­lish­ment-Ressen­ti­ment, dem unter­schiedliche, aus­tauschbare ide­ol­o­gis­che Untertöne beigemis­cht sind. Mal geht es um Flüchtlinge und den Islam, mal um die Ukraine und Putin. Jet­zt, im Kon­text von Coro­na, erleben wir einen enor­men Auf­schwung an Aufzü­gen, zu denen im Wesentlichen die gle­ichen Leute mobil­isieren wie bere­its 2013 oder 2015 zu Beginn der »großen Flucht«. Auch wenn die Demon­stran­ten natür­lich nicht kom­plett iden­tisch sind, gibt es eine große Schnittmenge.

DER AUTOR
David Begrich, geboren 1972 in Erfurt, ist Mitar­beit­er der Arbeitsstelle Recht­sex­trem­is­mus bei Miteinan­der e. V. in Magde­burg. Der Beitrag erschien zuerst in der poli­tis­chen Monat­szeitschrift »Blät­ter für deutsche und inter­na­tionale Poli­tik« 2/2022. www.blaetter.de
Ganz anders ist die Lage im West­en. Dort bele­gen Unter­suchun­gen, dass jet­zt, anders als 2015, eher Leute demon­stri­eren, die früher dur­chaus in linksalter­na­tiv­en Milieus zu Hause waren. Bere­its zu Beginn der »Querdenken«-Proteste fan­den sich dort Argu­men­ta­tion­s­mo­tive der Eso­terik, der Anthro­poso­phie und der soge­nan­nten alter­na­tiv­en Medi­zin. Ihr gemein­samer Nen­ner lautet, das Virus könne gän­zlich ohne phar­mazeutis­che Mit­tel mit Hil­fe der kör­pereige­nen Immunreak­tion abgewehrt werden.1

Dieses Milieu spielt in Ost­deutsch­land keine tra­gende Rolle. Es existiert nur in Spurenele­menten, in weni­gen Städten. Dafür wer­den ganz andere Kon­ti­nu­itäten sicht­bar: Jene, die in den frühen 1990er Jahren recht­sradikal sozial­isiert wur­den, sind fast alle wieder da. Allerorten sind auf den Demos die früheren Führungsleute der recht­sex­tremen Szene zu sehen. Sie sind heute Mitte vierzig, Anfang fün­fzig — und merken, dass ihre Zeit gekom­men ist. Das Momen­tum ist auf ihrer Seite, ähn­lich wie in den 90er Jahren. Das liegt nicht zulet­zt daran, dass ihrem Agieren noch immer keine Gren­zen geset­zt werden.

Patien­ten wichtiger als Spritzen
Impf­pflicht im Gesund­heits­bere­ich: Sach­sen öffnet eine Hin­tertür / Bun­desweite Debat­te um Umsetzung
Eine entschei­dende Rolle spie­len dabei die »Freien Sach­sen« — ein Zusam­men­schluss recht­sex­tremer Grup­pen in Sach­sen mit ein­er Ausstrahlung bis weit in angren­zende Bun­deslän­der. Kopf der »Freie Sach­sen« ist der Chem­nitzer Recht­san­walt Mar­tin Kohlmann. Er sitzt für die recht­sex­treme Frak­tion »Pro Chem­nitz« im Stadt­par­la­ment und spielte bere­its bei den radikalen Auss­chre­itun­gen 2018 in Chem­nitz eine Schlüsselrolle.

In dem von »Freie Sach­sen« betriebe­nen Telegram-Kanal wird der säch­sis­che Min­is­ter­präsi­dent Michael Kretschmer als »Pumuck­el« tit­uliert, die Polizei als »Kretschmer Milizen« beze­ich­net. Kohlmanns Rhetorik erge­ht sich in Gewal­tal­le­gorien, juris­tisch zwar nicht angreif­bar, aber mit deut­lich­er Botschaft an seine Anhänger­schaft. So verkün­dete er im ver­gan­genen Dezem­ber via Telegram einen »Wei­h­nachts­frieden« mit der säch­sis­chen Regierung und Polizei, um wenig später eine »Wei­h­nacht­sof­fen­sive« des Protests zu verkün­den. Diesen Tri­umphal­is­mus als bloßes Maul­helden­tum abzu­tun, greift viel zu kurz. Die Rhetorik der »Freie Sach­sen« bedi­ent sich ganz bewusst der Sprach­bilder des Bürg­erkriegs und des Vigilantismus.2

Eine Polizei im Rückwärtsgang
Inner­halb des Protests spielt die AfD die Rolle eines poli­tis­chen Mul­ti­p­lika­tors. Sie trägt die The­sen der Coro­naleugn­er und Impfgeg­n­er in die Par­la­mente und agiert so als deren par­la­men­tarisch­er Arm. In Cot­tbus betätigt sich der lokale AfD-Chef, Jean Pas­cal Hohm, als Organ­isator der Proteste, an denen auch Neon­azis und gewalt­bere­ite Hooli­gans teilnehmen.

Und auch in Magde­burg haben recht­sex­treme Hooli­gans eine unangemeldete Demo von mehr als 3000 Leuten ange­führt. Während also Per­so­n­en mit expliziter Gewal­ter­fahrung die ersten Rei­hen der Demon­stra­tio­nen bilden, fil­men rechte Youtu­ber das Geschehen und brin­gen anschließend die Videos in sozialen Net­zw­erken in Umlauf. Dass jede dieser Aktio­nen gefilmt und anschließend ins Netz gestellt wird, erzeugt einen immensen Mul­ti­p­lika­tion­sef­fekt, nach dem Mot­to: »Was in Ort X geht, machen wir bei uns in Y auch!«

Auf diese Weise testen die Recht­en aus, wie weit sie gehen kön­nen. Und das ist fataler­weise sehr weit. Denn ihnen ste­ht — zumin­d­est in den ver­gan­genen Monat­en — eine Polizei gegenüber, die im Rück­wärts­gang agiert. Mehrfach wieder­holte sich das Geschehen vom Novem­ber 2020 in Leipzig, als recht­sex­treme Hooli­gans die Polizei ein­fach zur Seite drück­ten. Inzwis­chen gibt es end­los viele Videoschnipsel im Netz, die zeigen, dass die Polizei in der Regel nachgibt — eine ermuti­gende Botschaft an diese Szene.

Dabei spielt jen­seits der neuen sozialen Medi­en das Hören­sagen noch immer eine wichtige Rolle. Wenn tagsüber ein­er zu seinem Kol­le­gen sagt, »ich hab gehört, heute Abend soll auf dem Dom­platz was los sein. Lass uns da mal hinge­hen«, kann das schnell dazu führen, dass der Platz sich füllt — und zwar, das ist das Beson­dere, mit höchst diversen Teil­nehmern aus der mit­tleren und älteren Gen­er­a­tion bis hin zu Fam­i­lien mit Kindern. Das allein führt aber noch nicht dazu, dass diese Leute auch »Wider­stand« rufend durch die Straßen ziehen. Dazu braucht es pro­test­er­fahrene Akteure, die wis­sen, wie man eine solche Demon­stra­tion anmeldet — oder eben auch nicht und trotz­dem zusam­menkommt. Organ­isatoren, die Flug­blät­ter, Mega­fone, pro­fes­sionelle Trans­par­ente mit­brin­gen, die über poli­tis­ches Bewusst­sein und Ziel­stre­bigkeit ver­fü­gen und die auch wis­sen, wie man eine Polizeikette bei­seiteschiebt. Diese Leute kom­men speziell in Ost­deutsch­land aus der recht­sex­tremen Szene, aber sie senden bewusst in die bre­it­ere Bewe­gung aus.

Wenn man die recht­en Telegram-Kanäle durchge­ht, sieht man nicht nur einen enor­men Radikalisierung­sprozess — in ein­er Telegram-Gruppe wurde dezi­diert die Ermor­dung Michael Kretschmers geplant -, son­dern, dass die Teil­nehmer sich gegen­seit­ig auf ein­er poli­tisch-emo­tionalen Ebene unter­stützen. Das schafft eine Atmo­sphäre der poli­tis­chen Selb­st­wirk­samkeit, ein Gefühl, gemein­sam etwas bewe­gen zu kön­nen. Wenn dieses Gefühl nicht mehr aktiviert wer­den kann, wird weit­er eskaliert — etwa dadurch, dass die ver­meintlich Ver­ant­wortlichen für die gegen­wär­tige Sit­u­a­tion konkret und per­sön­lich in ihrem Leben­sum­feld aufge­spürt und ange­gan­gen wer­den. Beleg dafür sind die Aufzüge vor den Pri­vathäusern der Min­is­ter­präsi­dentin von Meck­len­burg-Vor­pom­mern, Manuela Schwe­sig, und der säch­sis­chen Sozialmin­is­terin Petra Köpping.

Die Stufe der Bedro­hung im pri­vat­en Umfeld ist nicht erst seit den Coro­na-Protesten erre­icht. Viele Bürg­er­meis­ter, Kom­mu­nalpoli­tik­er und Land­tagsab­ge­ord­nete wer­den seit langem bedro­ht und konkret in ihrem pri­vat­en Umfeld ange­grif­f­en. Aber natür­lich erzeugt es weit mehr öffentliche Empörung, wenn das ein­er Min­is­terin geschieht und nicht nur einem Ortsbürgermeister.

Poli­tis­che Reak­tio­nen ohne Plan
Fataler­weise hat die Polizei große Schwierigkeit­en, Leute einzuord­nen, die nicht ihrem klas­sis­chen Feind­bil­draster entsprechen. Polizeiführer sind es gewohnt, nach Delin­quenz Auss­chau zu hal­ten, also nach Extrem­is­ten und Straftätern. Die Sach­lage ist klar, wenn irgend­wo Müll­ton­nen auf die Straße geschoben und angezün­det wer­den. Wenn aber wie bei den derzeit­i­gen Protesten »nur« in erster Rei­he die Hooli­gans laufen, aber in der Mitte die Vierzigjähri­gen in bürg­er­lich­er Klei­dung und dahin­ter die Müt­ter mit Kinder­wa­gen und min­der­jähri­gen Kindern, dann lässt man die Demon­stran­ten trotz Ver­bots oft ein­fach laufen. Dass im bürg­er­lichen Habi­tus auftre­tende Demon­stran­ten sich eskala­tiv ver­hal­ten und zur Gewalt neigen, scheint in der öffentlichen Debat­te unbegriffen.

Ein weit­er­er Grund dafür: In Stil und Inhalt bedi­enen sich die Demon­stri­eren­den mitunter bei der links-alter­na­tiv­en Bewe­gung. Die Organ­isatoren der Proteste sind inzwis­chen dazu überge­gan­gen, ihre Ver­samm­lun­gen nicht mehr anzumelden, son­dern als »Spazier­gang« zu apos­tro­phieren, um auf diese Weise das Ver­samm­lungsrecht zu unter­laufen. Diese poli­tis­che Mimikry-Übung dient auch dem Zweck, Men­schen für die Proteste zu mobil­isieren, die sich selb­st gar nicht als poli­tisch begreifen. Der Begriff »Spazier­gang« knüpft dabei bewusst an die Protest­geschichte bei­der deutsch­er Staat­en an, von ’68 über die Ökolo­giebe­we­gung in West (zu Baustellen von Atom­kraftwerken) und Ost (ent­lang ver­schmutzter Flüsse) bis hin zu ’89.

Wie schon bei Pegi­da ist die rhetorische Bezug­nahme auf den Herb­st 1989 in der DDR all­ge­gen­wär­tig. Die viel beschworene »Coro­na-Dik­tatur« werde bin­nen kurzem in sich zusam­men­brechen, schallt es aus den Rei­hen der Demon­stri­eren­den, wenn man jet­zt Druck auf­baue. Zudem gibt es bei den Aufmärschen den per­ma­nen­ten Appell an die Polizei, sich auf die Seite der Demon­stri­eren­den zu stellen — »solange dafür noch Zeit ist«. Das ist die gle­iche Rhetorik, wie wir sie 1989 erlebt haben. Allerd­ings mit kon­trär­er Bedeu­tung: Denn hin­ter dem »solange dafür noch Zeit ist« steckt im Grunde eine Dro­hung. Ihr Sub­text: Wenn wir an die Macht kom­men, werdet ihr zur Rechen­schaft gezogen.

Doch trotz dieser Dro­hung hält sich die Polizei in erstaunlich­er Weise zurück. Angesichts der Tat­sache, dass die Ver­samm­lun­gen nicht angemeldet sind, die Teil­nehmenden bewusst gegen die Coro­na-Maß­nah­men ver­stoßen und recht­sex­treme Grup­pen wieder­holt gewalt­tätig die Polizei angreifen, ist dies erklärungsbedürftig.

Grund­sät­zlich entschei­det die Polizei vor Ort eigen­ständig im Rah­men der poli­tis­chen Maß­gaben. Für die Ein­satzs­trate­gie ist sowohl die Lageein­schätzung der örtlichen Polizeiführung als auch die poli­tis­che Richtlin­ie der jew­eili­gen Innen­min­is­te­rien maßgebend. Dabei ist offenkundig, dass die polizeiliche Ein­satz­tak­tik gegenüber den Coro­na-Protesten hin­ter ihren oper­a­tiv­en Hand­lungsmöglichkeit­en zurück­bleibt und damit die Demon­stri­eren­den regel­recht ermutigt.

Stattdessen käme es darauf an, diesen Leuten deut­lich zu machen, wo die Gren­zen der Mei­n­ungs­frei­heit ver­laufen. Um nicht missver­standen zu wer­den: Dafür braucht es wed­er Wasser­w­er­fer noch Schlagstöcke oder Pfef­fer­spray. Im Gegen­teil: Sta­tionäre Kundge­bun­gen und pan­demiekon­forme Demon­stra­tio­nen sind polizeilich durch­set­zbar. Für jene, die als Gewalt­täter bekan­nt sind, sollte die Polizei eine präven­tive Ansprache prüfen, nach dem Mot­to: Wir haben Sie im Blick.

Solche, eigentlich übliche Vorge­hensweisen find­en in Sach­sen und Sach­sen-Anhalt derzeit schlichtweg zu sel­ten und zu spät statt. Die eigentliche Ursache liegt in der poli­tis­chen Führung, denn sie entschei­det über die Grundlin­ie des polizeilichen Han­delns. Gegen die Coro­na-Poli­tik demon­stri­eren aber schließlich poten­zielle Wäh­lerin­nen und Wäh­ler, die ihrer­seits Mul­ti­p­lika­toren sind. Deshalb herrscht in den Innen­min­is­te­rien Zurück­hal­tung. Reich­lich spät kam Ver­fas­sungss­chutzchef Thomas Halden­wang im Jan­u­ar mit der Erken­nt­nis um die Ecke, dass bei den Protesten neue, demokratiege­fährdende Allianzen zu Tage treten.

Inzwis­chen ist unter den Demon­stri­eren­den der Schritt zu man­i­fester Gewalt nicht mehr weit, wie die unzäh­li­gen Telegram-Ein­träge beweisen. Es existiert eine extrem selb­st­be­wusste, gewalt­bere­ite Szene, die sich in hal­böf­fentlichen Kom­mu­nika­tion­sstruk­turen verabre­det. In der Fan­tasie dieser Leute kommt Gewalt also zweifel­los vor. Dass sich Akteure find­en, die diese Fan­tasie in die Tat umset­zen, ist zu befürcht­en. Bere­its jet­zt gibt es Angriffe auf Impfzentren.

Die Schwierigkeit für Poli­tik und Polizei beste­ht darin, die Maul­helden von denen zu unter­schei­den, die wirk­lich zur Gewalt greifen, um etwa ein Zeichen gegen eine all­ge­meine Impf­pflicht zu set­zen. Wer bere­it ist, ein Impfzen­trum anzu­greifen oder den säch­sis­chen Min­is­ter­präsi­den­ten zu ermor­den, den ver­mutete die Polizei bish­er eher im Kon­spir­a­tiv­en, nicht in Foren sozialer Medien.

Wenn Protestierende die Demon­stra­tio­nen nicht mehr als Mit­tel der poli­tis­chen Selb­st­wirk­samkeit erleben, beste­ht dur­chaus die Gefahr, dass sie nach neuen, radikaleren und gewalt­tätigeren Aus­drucks­for­men suchen. Der BKA-Präsi­dent Hol­ger Münch fürchtet daher auch Anschläge auf Per­so­n­en des öffentlichen Lebens, die für die Coro­na-Maß­nah­men stehen.

So akut die Gefahr dieser Angriffe derzeit ist, dür­fen wir eines nicht vergessen: Auch im Osten geht bei weit­em nicht die Mehrheit der Leute auf die Straße. So demon­stri­erten auch in Hochzeit­en in ganz Sach­sen-Anhalt nie mehr als rund acht- bis zehn­tausend Men­schen pro Woche. Zum Ver­gle­ich: Zu den Fußball­spie­len des 1. FC Magde­burg pil­gern zu anderen Zeit­en im Durch­schnitt jede Woche 20 000 Zuschauer.

Kurzum: Diese recht­en Mobil­isierun­gen leben auch davon, dass jede Demo repro­duziert wird, als sei sie eine Massen­ver­anstal­tung — von den Extrem­is­ten selb­st, aber zum Teil auch anschließend von den Medi­en. Dabei sind bei den meis­ten Märschen nur zwis­chen 80 und 350 Teil­nehmer dabei. Die extreme Rechte ver­ste­ht es meis­ter­haft, zu behaupten, sie repräsen­tiere die Mehrheit. Schließlich hat sie die ver­gan­genen bald zehn Jahre, von Pegi­da bis Coro­na, auch in Sachen Selb­stver­mark­tung per­fekt genutzt. In dieser Hin­sicht muss die lib­erale Zivilge­sellschaft zumin­d­est Augen­höhe erre­ichen, um endlich klarzu­machen: Die Mehrheit stellen noch immer und beileibe nicht die Rechten.

1 Oliv­er Nachtwey, Robert Schäfer und Nadine Frei: Poli­tis­che Sozi­olo­gie der Coro­na-Proteste, Basel 2020. Nachtwey u. a. weisen darauf hin, dass ein Großteil der von der Studie befragten Per­so­n­en bei zurück­liegen­den Wahlen eine Präferenz für Grüne und Linke aufwies. Dies spiegele die Tat­sache, dass die Impfskep­sis in post­ma­te­ri­al­is­tis­chen, sich selb­st lebensweltlich links/grün ver­ste­hen­den Milieus ver­ankert sei.

2 Die Frak­tion der Linkspartei im säch­sis­chen Land­tag fordert daher zu Recht ein Ver­bot der »Freien Sachsen«.

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