Der Verein Opferperspektive e.V. hat 2017 im Land Brandenburg 171 rechte Angriffe registriert. Dies stellt einen Rückgang gegenüber den Vorjahren (2016: 221, 2015: 203) dar. Die Zahl der rechten Gewalttaten liegt immer noch deutlich über dem Niveau des Zeitraums von 2002 bis 2014. Die Summe der gezählten Körperverletzungsdelikte (148) ist die zweithöchste Zahl, die jemals im Rahmen des Monitorings durch die Beratungsstelle erfasst wurde.
Das häufigste Tatmotiv war 2017 Rassismus: 84 Prozent aller Taten lag diese Motivation zu Grunde. Dies ist ein erneuter Anstieg gegenüber 2016 (79 Prozent). In der Mehrzahl dieser Fälle waren Geflüchtete von den Attacken betroffen. Hierzu erklärt Judith Porath, Geschäftsführerin der Opferperspektive: „Die rassistische Gewaltwelle, die vor allem geflüchtete Menschen betrifft, muss endlich gestoppt werden. Eine Gesellschaft, in der sich Alteingesessene und Neuangekommene auf Augenhöhe begegnen können, ist nicht möglich, solange die Orte fehlen, an denen sich Geflüchtete angstfrei bewegen können.“
Neben den 143 durch die Opferperspektive registrierten rassistischen Gewalttaten (2016: 175) wurden 25 (2016: 24) Angriffe durch Rechte auf politische Gegner_innen verübt. Zwei Übergriffe auf nicht-rechte und alternative Personen (2016: 14) wurden erfasst, außerdem ein Angriff aus einer sozialdarwinistischen Motivation heraus. Mehrheitlich handelte es sich bei den der Beratungsstelle bekannt gewordenen Gewalttaten um Körperverletzungsdelikte, davon 79 einfache und 69 gefährliche Körperverletzungen (2016: 85/101). In Brandenburg wurden 2017 zwei rechtsmotivierte Brandstiftungen, in Templin und Kremmen, verübt (2016: 9). Der Molotowcocktail-Anschlag von Kremmen wird durch die Opferperspektive als versuchtes Tötungsdelikt gewertet. Des weiteren wurden eine versuchte schwere Körperverletzung, 13 Fälle von Nötigung und Bedrohung (2016: 13), 3 massive Sachbeschädigungen (2016: 6), ein rechtsmotivierter Raub und ein Fall von Landfriedensbruch statistisch erfasst. In zwei Fällen versuchten rassistisch motivierte Täter mittels Kraftfahrzeugen, Personen zu verletzen.
Von den Angriffen waren 2017 264 Personen direkt betroffen (2016: 335) und 161 Personen indirekt (2016: 196), z.B. als Zeug_innen oder Angehörige. Von einem großen Dunkelfeld ist nach Ansicht der Opferperspektive auszugehen. Deutlich zugenommen hat die Zahl der betroffenen Kinder (vollendetes 13. Lebensjahr oder jünger). Die Opferperspektive erlangte Kenntnis von 35 Kindern, die 2017 Opfer rechter Gewalttäter wurden – eine deutliche Zunahme gegenüber 2016 (22) und 2015 (26).
Der schon 2016 erkennbare Trend der regionalen Ausdifferenzierung bezüglich rechter Gewalttaten hat sich auch 2017 fortgesetzt und weiter verstärkt. Die kreisfreie Stadt Cottbus ist mit 32 rechtsmotivierten Angriffen erneut der Ort mit den meisten registrierten Angriffen. Dies stellt die zweithöchste Zahl rechter Übergriffe dar, die durch die Opferperspektive jemals in einem Landkreis bzw. einer kreisfreien Stadt registriert wurde (Höchstzahl 41, ebenfalls Cottbus, 2016). Gleichzeitig gibt es in anderen Regionen teils erhebliche Rückgänge: In Spree-Neiße (von 27 Angriffen auf 8 Angriffe), Frankfurt (Oder) (von 16 Angriffen auf 5 Angriffe), in Märkisch-Oderland (von 13 Angriffen auf 2 Angriffe) und im Havelland (von 11 Angriffen auf 2 Angriffe) zeigt sich diese Entwicklung besonders deutlich. Dem entgegen stehen Steigerungen der Angriffszahlen in Teltow-Fläming (14, 2016:11), Oberhavel (12, 2016:11), Barnim (11, 2016: 5) und der Prignitz (8, 2016: 5). Neben Cottbus bleibt der Landkreis Ostprignitz-Ruppin mit 16 rechten Gewaltdelikten (2016: 21) ein Schwerpunkt rechter Gewalt in Brandenburg.
In Cottbus hat sich in der Stadt eine gewalttätige Stimmung, vor allem gegenüber Geflüchteten, verfestigt. Mit den Demonstrationen des rassistischen Vereins „Zukunft Heimat“ ist eine Mobilisierungsplattform entstanden, die unterschiedlichste Strömungen des lokalen, regionalen und überregionalen rechten Spektrums vereint und vernetzt. „Rassistische Gewalt wird durch die aktuelle Straßenmobilisierung legitimiert, indem sie als „Notwehr“ gegen einen angeblichen, durch Zuwanderung bedingten „Volksaustausch“ umgedeutet wird“, erläutert Judith Porath. Auch die örtliche rechte Hooliganszene besucht die Demonstrationen in Cottbus. So kommt es im Umfeld dieser Veranstaltungen wiederholt zu Übergriffen auf politische Gegner_innen aus diesem Personenkreis. Die Opferperspektive sieht die Gefahr, dass Cottbus zum Vorbild für rassistische Kampagnen in weiteren Kommunen im Land Brandenburg wird.
Anbei Sie das Hintergrundpapier der Opferperspektive zur Veröffentlichung der Jahresstatistik 2017 mit ausführlichen Analysen sowie die grafische Aufarbeitung der Statistik. Die Grafiken sind unter Nennung der Quelle (Peer Neumann/ Opferperspektive) frei verwendbar.
Kategorie: Sonstiges
Das Barnimer Grundsicherungsamt zahlt zahlreichen Geflüchteten systematisch zu wenig Geld aus und macht mit Bargeldauszahlung den Betroffenen das Leben schwer. Menschen im Kirchenasyl werden die Leistungen komplett gekürzt, die Betroffenen bleiben dadurch sogar ohne Krankenversicherung.
Kundgebung, 27.3.2018, 17 Uhr
Eberswalde, Friedrich-Ebert-Straße
direkt vor dem Grundsicherungsamt (Paul-Wunderlich-Haus)
Offener Brief an den Barnimer Landrat Bodo Ihrke
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Grundsicherungsamt: L@s refugiad@s tienen el derecho a la ayuda social!
La oficina de asistencia social (Grundsicherungsamt) Barnim, sistematicamente no paga el dinero suficiente, y con pago en efectivo en vez de transferencia dificulta la vida de las personas afectadas. A las personas acogidas por la iglesia incluso se les recorta la ayuda por completo, l@s afectad@s ya ni siquiera tienen seguro medico.
Manifestación: 27 de marzo 2018, 5 p.m.
Eberswalde, Friedrich-Ebert-Straße
delante del Grundsicherungsamt (Paul-Wunderlich-Haus)
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Grundsicherungsamt: Qaxootigu waxay xaq u leeyihiin gargaar lacageed!
Sooshiyaalka Degmada Barnim nidaam ahaan waxay qoxooti badan siiyaan lacag aad u yar oo gacanta laga siiyo taas oo saamayn adag ku yeelanaysa nolosha.
Dadka hela magalgalyada kaniisada waxaa laga jara dhamaan gargaarka ay xaqa u leeyihiin, taasne dad ayay saamaysay oo xata aan helin caymiska caafimaadka.
Kulanka 27.03.2018 saacada 17:00
Goobta Eberswalde, Friedrich-Ebert-Straße.
Waxay toos uga soo horjeeda dhismaha sooshiyaalka.
Hiermit laden wir alle Interessierten zu den anarchistischen Tagen in Potsdam am 4. bis 18. März 2018 ein.
Was sind die anarchistischen Tage?
In erster Linie eine Gelegenheit für Anarchist*innen und Sympathisant*innen, einander kennen zu lernen und sich gegenseitig zu bilden. Dafür haben wir auch ein Programm mit Vorträgen und Diskussionen entworfen. Aber natürlich gibt es an den Kerntagen am Wochenende 16. bis 18. März auch einen Ort, an dem wir einfach gemeinsam rumhängen, reden und essen können.
Wozu sind die anarchistischen Tage gut?
Wir wollen anarchistische Perspektiven, Handlungs- und Organisierungsmöglichkeiten sichtbar machen. Durch die Veranstaltungen soll eine Grundlage für das Forschen nach herrschaftsfreier Praxis geboten werden. Sichtbarkeit und Plattformen für Anarchist*innen fehlen unserem Eindruck nach in Potsdam, dabei bilden sie eine wichtige Voraussetzungen dafür, dass der Anarchismus irgendwann mal wieder gesellschaftsverändernde Kraft entwickeln kann.
Wenn Ihr fragen habt oder Pennplätze braucht, schreibt uns: atagepotsdam@riseup.net
„Die Zeit Gustav Landauers ist noch nicht da“, schrieb Erich Mühsam 1929
anlässlich des zehnten Todestages seines Freundes und Mentors; 90 Jahre
später wird das Werk Gustav Landauers neu entdeckt. Eine umfangreiche
Ausgabe „Ausgewählter Schriften“ und zahlreiche Übersetzungen zeugen von
der eigentümlichen Gegenwart des vor fast 100 Jahren erschlagenen
Anarchisten. Vom universitären Betrieb bis zum „Unsichtbaren Komitee“
reicht die Spanne derer, die sich auf ihn berufen. Warum erscheint
Landauer heute so aktuell und welche Aspekte seines Denkens könnten dazu
beitragen, den Anarchismus zu erneuen? Wir geben eine Einführung in
Landauers Denken, das auf praktisches Beginnen in der gegenwärtigen
Gesellschaft zielt.
6. April, 20 Uhr, Buchladen Sputnik, Potsdam
Als Anarchist vor 100 Jahren in Berlin und Brandenburg
Vortrag: Gustav Landauer Denkmalinitiative
Wie lebten Anarchisten in Berlin und Brandenburg vor rund 100 Jahren?
Was waren ihre Intentionen? Welche Ziele verbinden uns heute mit den
frühen Anarchisten, die für eine freien Gesellschaft und gegen den
repressive Zustände im Kaiserreich und später den Kampf gegen den
Nationalsozialismus entschlossen führten? Auf dieser spannenden
Spurensuche begegnen wir der Vielfalt der Strömungen und Gruppen, ihre
Kampfmethoden und Wirkungen und stellen ihren bleibenden Beitrag zu den
emanzipatorischen Bewegungen der Moderne vor.
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Buchladen Sputnik
Charlottenstrasze 28
D 14467 Potsdam
Fon Fax 0331 5813679
Mo-Fr 13–19 Uhr
Sa 11–16 Uhr
www.sputnik-buchladen.de
sputnik@potsdam.de
Hooligans sind eine der ältesten Jugendkulturen in Deutschland. Seit 40 Jahren prügelt sich die Szene und erwies sich gegen alle Repression als enorm lernfähig. Über die Jahrzehnte hat sie sich ausdifferenziert, erneuert und zum Teil professionalisiert. Es sind nicht mehr die betrunkenen Schläger, die diese Szene prägen, sondern organisierte Fights von international vernetzten Kampfsportlern, wenngleich der Einfluss von Rechtsextremen unvermindert hoch bleibt. Die Gewalt russischer Hooligans bei der Euro 2016 in Frankreich erlaubte einen kurzen Einblick.
Robert Claus hat sich der Szene in seinem Buch intensiv gewidmet: Er sprach mit einem Ex-Hooligan in dessen Yoga-Studio über vergangene Jahrzehnte, recherchierte in russischen Internetforen, um die Vernetzung nach Deutschland zu analysieren und besuchte von Hooligans organisierte MMA-Events, um die Professionalisierung der Szene live zu beobachten. Auf der Veranstaltung wird er uns seine Eindrücke schildern, auch um über die Faszination von Gewalt und Folgen für die Präventionsarbeit zu diskutieren.
„Hooligans. Eine Welt zwischen Fußball, Gewalt und Politik“
(Verlag Die Werkstatt )
Wir bitten um Anmeldung unter lap@cottbus.de oder (0355) 612 2008.
Sicherheitshinweis:
Die Veranstaltenden behalten sich vor, von ihrem Hausrecht Gebrauch zu machen und Personen, die rechtsextremen Parteien oder Organisationen angehören, der rechtsextremen Szene zuzuordnen sind oder bereits in der Vergangenheit durch rassistische, nationalistische, antisemitische oder sonstige menschenverachtende Äußerungen in Erscheinung getreten sind, den Zutritt zur Veranstaltung zu verwehren oder von dieser auszuschließen.
Der Prozess um die Blockade eines Urantransportes gegen eine Kletteraktivistin vor dem Amtsgericht Potsdam wird am am 16. Oktober um 12:30 Uhr in Saal 21 fortgesetzt. Es wird mit dem Urteil an diesem Tag gerechnet, solidarische Unterstützung ist Willkommen!
Der 3. Prozesstag lief am 26.9. bis ca. 16 Uhr. Es wurden durch die Verteidigung zahlreiche Beweisanträge gestellt, die sowohl den Ablauf der Aktion als auch ihre Umstände und Hintergründe (Gefahren von Atomtransporten, Erkrankung von Arbeitern in der Anlage Narbonne Malvési, , etc.) betrafen. Die Richterin ordnete nach den ersten Anträgen das „Selbstleseverfahren“ an. Die Begründung der Anträge wurde nicht mehr verlesen. Damit die Verhandlung schneller voran kommt. Sie verkündete eine Pause von 30 Minuten um… die über 70 Seiten Anträge zu lesen und zu bescheiden. Über 2000 Worte pro Minute hätte sie lesen müssen. Nach einer Stunde verkündete sie dann einen Teil der Beschlüsse. Ein weiterer wird am 16. Oktober verkündet. Der überwiegende Teil der Beweisanträge wurde pauschal abgelehnt, als zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich. Ob die Richterin die Anträge wirklich gelesen hat, darf bezweifelt werden… sie hat ca. 15 Anträge innerhalb einer Stunde gelesen (?) und beschieden.
Richterin Ahle war zu Beginn der Verhandlung – für ihre Verhältnisse – einigermaßen entspannt, aber gegen Ende nicht mehr.
Sie wirkte unkonzentriert und genervt. Insbesondere als sie merkte, dass sie wegen diesem Prozess mal wieder erst spät Feierabend machen kann, wenn alle Kollegen längst fertig sind und die Putzkolonne anrückt. Sie ließ mal wieder ihre Frust auf die Betroffene ab. Obwohl ausgerechnet die Betroffene den größeren Aufwand mit 4‑stündiger Anreise (und 4 ‑stündiger Abreise) nach Potsdam hat – und es sich um ein Ordnungswidrigkeitsverfahren handelt. Richterin Ahle darf und kann jederzeit einstellen (Opportunitätsprinzip). Das will sie partout nicht machen, ihr Urteil steht schon fest.
Mit Bemerkungen à la „Wer hat die Anträge gestellt?“ und „Dann werden wir das nächste mal auch fertig“ setzte sie die Betroffene unter Druck.
Das Gericht muss der mittellosen Betroffenen eine Fahrkarte zur Verfügung stellen. Die ausgestellte Fahrkarte für die Rückfahrt am Dienstag war jedoch für eine Verbindung gültig, die eine Abfahrt vor 16 Uhr erforderlich gemacht hätte. Darauf angesprochen, schob Richterin Ahle die „Schuld“ auf die Betroffene, die mit ihren Anträgen den Prozess in die Länge ziehen würde: „Wer hat die ganzen Anträge gestellt?“ sagte sie. Für Richterin Ahle sind Angeklagten oder Betroffenen, die zur Verteidigung ihrer Rechtsposition die Mittel der Strafprozessordnung anwenden, wie das Recht Beweisanträge zu stellen, lästig. Das verhindert ein schnelles aburteilen. Abhilfe schaffte Richterin Ahle nicht, das sei nicht möglich, die Zahlstelle des Gerichtes habe schon zu. Sie forderte somit die Betroffene dazu auf, mit einer ungültigen Fahrkarte die Rückreise anzutreten!
Als sie den Fortsetzungstermin festlegte, zeigte sie sich sehr gereizt und erklärte, beim nächsten Termin fertig werden zu wollen. Worauf die Betroffene erklärte, das es möglicherweise auch so sein werde, sie aber nicht auf ihre prozessualen Rechte verzichten werde, sie werde sich das Unter-druck-setzen durch Richterin Ahle auch nicht gefallen lassen.
Fortsetzung am 16. Oktober!
Weitere Informationen:
- Prozessberichte: Ankündigung ; Tag 1 ; Tag 2
- Bildergalerie
- Video von Graswurzel.tv zur Aktion
- Aktionsbericht und Pressemitteilung von ROBIN WOOD
- Dossier von Cécile Lecomte über die Uranfabrik in Narbonne Malvési
- Hamburger Kampagne gegen Atomtransporte mit Hintergrundinformationen
- Bundesweite Vernetzung gegen Urantransporte mit Hintergrundinformationen
- Antirep-Seite
Warum steigen die Mieten?
Mal wieder haben wir uns versammelt, um hier in Potsdam gegen steigende Mieten auf die Straße zu gehen. Während die Reallöhne in den letzten 30 Jahren in Deutschland für große Teile der Bevölkerung gesunken sind, Lohnerhöhungen kaum die Inflation ausgeglichen haben, sind die Mieten im Vergleich massiv angestiegen. Eine durchschnittliche 3‑Raum-Wohnung ist in Potsdam kaum noch unter 800 Euro Warmmiete zu beziehen. Nach oben sind die Preise offen, gerade für Wohneigentum sollten Menschen schon mit einem Sack voll goldener Löffel im Mund geboren werden, um sich diese leisten zu können.
Doch warum ist das so? Der Oberbürgermeister von Potsdam hat schon vor Jahren verkündet, dass der Markt die Anzahl der neugebauten Wohnungen regulieren würde. Seine Konsequenz war, die Hände in den Schoß zu legen und nichts zu tun. Wer will sich schon mit der unsichtbaren Hand anlegen?
Doch warum gibt seit Jahren diese massive Teuerung? In allen Ländern dieser Welt besteht die Tendenz, vom Land in die Stadt zu ziehen. Die Menschen, die nur ihre Arbeitskraft zu verkaufen haben, müssen, um Arbeit zu finden in die Städte ziehen. Das ist hier in Potsdam wie überall. Arbeit in Brandenburg gibt es nach der Deindustralisierung in den 90er Jahren vor allem im Speckgürtel von Berlin. In der Uckermark mag es zwar ruhig und beschaulich zugehen, aber eine Lebensgrundlage bieten diese sogenannten strukturschwachen Regionen nur für Wenige.
Der Platz für Neubauten nimmt also ab. Doch dies allein ist nicht der Grund für steigende Mieten. Der Grund dafür ist globaler und durch den Verwertungszwang des Kapitals bestimmt.
Wir befinden uns in einer Zeit der globalen Überakkumulation von Kapital. Die Produktivität hat weltweit einen Stand erreicht, indem sich viele Unternehmungen schlichtweg nicht mehr lohnen. Es macht ökonomisch keinen Sinn mehr noch eine Autofabrik, Produktionsanlagen für Zahnbürsten oder ähnliches zu bauen, die zahlungsfähige Nachfrage wird durch die bestehenden bereits gedeckt. Seit etlichen Jahren herrscht Überproduktion, die Welt erstickt geradezu in Waren wie Textilien, Autos oder Elektrogeräten aller Art, das Wachstum der kapitalistischen Wirtschaft gerät immer mehr an seine Grenzen. Im Rahmen des bestehenden Neoliberalismus wurde versucht, diese Situation auf verschiedene Arten zu beseitigen. Waren wurden zwar massenhaft und billig auf den Markt geworfen, aber ihre Lebenszeit wurde begrenzt, so sind die Menschen gezwungen regelmäßig Neue zu konsumieren. Dann verschuldeten sich die Staaten nahezu ins Astronomische um nicht die Gewinne der Unternehmen zu schmälern und trotzdem weiter anlaufende Ausgaben zu leisten. Weiter wurden durch die Privatisierung ehemals staatlicher Sektoren neue Anlagespähren für das Kapital geschaffen. Als dies nicht genügte, setzte eine staatliche Deregulierung der Finanzmärkte ein, nicht weil die Banker so gierig waren, sondern weil das System in eine Krise gekommen war und neue Verwertungsmöglichkeiten brauchte. Erstmal eine ‚win win‘ Situation. Das Kapital konnte sich durch Zinsen verwerten und die Produktion von Immobilien und Konsumgütern wurde angeschoben. Alle bekamen und bekommen weiterhin Konsumkredite nahezu hinterhergeworfen. Nur zerbrachen diese Kreditverhältnisse vor allem daran, dass die Rückzahlung durch sinkende Reallöhne nicht erfolgen konnten. Dies und ein allgemeiner Nachfragerückgang kennen wir heute als globale Krise von 2007.
So ähnlich ist auch der Zusammenhang hier bei uns. Immobilien sind für Fonds und Kapitalgebende einfach noch lohnende Anlageprojekte. Kapital muss sich bei Gefahr des Untergangs verwerten, ihm ist es egal ob in Form von Produktion oder als Immobilien- und Grundbesitzkapital. Nur, dass die Menschen nicht beliebig hohe Mieten zahlen können. Dies führt dann, wie in Potsdam, zum sozialen Ausschluss ganzer Bevölkerungsgruppen.
Ähnlichen Sachzwängen unterliegt die Stadt. Die Pro Potsdam ist kein Wohlfahrtsprojekt und mal abgesehen von ein paar Prestigeprojekten wie der Heidesiedlung oder der Behlertstraße, die ihr nur durch massiven öffentlichen Druck abgerungen werden konnte, zählt auch für sie nur: mehr Geld mit der Vermietung von Wohnungen zu erwirtschaften, teilweise zur eigenen Refinanzierung, teilweise um Haushaltslöcher der Stadt zu stopfen.
Wenn wir heute fordern, dass Wohnraum keine Ware sein darf, so muss sich dieser Forderung die nach einer grundsätzlichen Abschaffung der Warenform anschließen. Nur ein Ausbruch aus den Marktverhältnissen ermöglicht ein menschenwürdiges Leben für alle nach ihren Bedürfnissen. In Potsdam gibt es jedoch im Vergleich zu anderen Städten noch eine andere Besonderheit, die über den Drang Kapital zu verwerten hinausgeht. Dies ist die Neugestaltung der Potsdamer Innenstadt nach sogenanntem historischen Vorbild. Historisches Vorbild ist dabei alles aus der Preußenzeit und alles, was vor dem 2. Weltkrieg gebaut wurde. Dies wird überwiegend mit dem zusammenhängenden Ensemble und der Schönheit der innenstädtischen Gebäude begründet. Obwohl Schönheit ja bekanntlich subjektiv ist, maßen sich die Preußenfans von ‚Mitteschön‘ und die Jauchs, Joops und Plattners sowie ihre Unterstützer_innen der mittlerweile gescheiterten Rathauskoalition, aber auch die AfD an, objektiv festzustellen, dass FH, Mercure und Rechenzentrum architektonischer Müll sind, während Barberini, Stadtschloss und Garnisonkirche eine Wohltat für das luxusgewöhnte Auge darstellen. Könnte Mensch doch eigentlich meinen, was interessiert mich das Gewäsch einiger Narzist_innen und Freund_innen des preußischen Despotismus, dessen architektonischer Ausdruck nunmal die wiedererbaute Potsdamer Innenstadt ist?
Leider sehr viel. Denn die Brüche in der Gestaltung der Stadt zeugen auf der einen Seite von der Geschichte Potsdams. Viele der Preußentempel sind durch Kriegshandlungen massiv zerstört worden, durch die Bombardierung der westlichen Alliierten, aber auch durch das Geschützfeuer der sowjetischen Armee nachdem die Stadt nicht kapitulierte. Somit erinnerte auch die Neugestaltung der Stadt an ihre dunkle Geschichte und die begangenen Verbrechen auch der Potsdamer_innen. Denn auch Potsdam war eine Stadt der Täter_innen. Hier tagten Teile des Volksgerichtshofes, auch hier wurden Menschen verschleppt und in die Vernichtungslager deportiert, Soldaten, Waffen und anderes Material an die Front gebracht. Auch gerade vom konservativen Potsdam und auch von den sogenannten Widerständlern des 20 Juli wurde der Angriffskrieg auf ganz Europa geplant und durchgeführt. Das Vorkriegspotsdam wieder aufzubauen ist auch eine Art Geschichte zu verfälschen. Die Kainsmale der Täter_innenstadt Potsdam werden einfach überbaut, so als wäre nichts gewesen.
Doch das ist nur die eine Seite der Preußenmedaille. Auf der anderen prangt die Frage: Wem gehört die Stadt?
Alle Neubauprojekte, die bisher am Alten Markt errichtet wurden, sind kommerzialisiert. Nur wer genügend Kohle hat, kann sich dort eine Wohnung leisten, eines der Geschäfte besuchen. Sozialwohnungen wird es ‑wenn überhaupt- nur auf Zeit geben. Ein vormals öffentlicher Raum für alle ist zu einem Raum der Privilegierten verkommen. So läuft das schon seit Jahren, Potsdam verscherbelt seine Grundstücke an private Investoren, die versuchen dann so gewinnbringend wie möglich zu investieren, ob nun mit exklusiven Eigentumswohnungen, überteuerten Mietwohnungen, Museen oder sonstigen Geschäften. Das einzige “öffentliche” Gebäude am Alten Markt ist der an Kitschigkeit nicht mehr zu überbietende Landtag. In diesem thronen wie schon zu Zeiten der Kaiser die Erwählten über Potsdam, offenbar unwissend, dass es kein unverschämteres und anmaßenderes Symbol parlamentarischer Überheblichkeit gibt, als aus der Kopie eines Stadtschloss heraus zu regieren.
Während wahre Demokrat_innen, wie Max Dortu schon vor mehr als 150 Jahren versuchten, diesem monarchistischem Gemäuer mit Pflastersteinen beizukommen, war sich keine der Brandenburger Parteien zu dumm dazu, dieses Symbol absolutistischer Herrschaft 2014 wieder in Betrieb zu nehmen. Die gesellschaftlichen Kämpfe in Potsdam werden weiter gehen. Der Kampf um bezahlbare Mieten kann dabei nur ein Anfang sein. Soziale Gerechtigkeit innerhalb des Kapitalsverhältnisses bleibt ein Oxymoron, ein Widerspruch in sich. Eine Stadt für alle kann es daher letztlich nur in einer Gesellschaft ohne Kapitalismus geben. Bis es soweit ist, müssen wir dem System so viel wie möglich Freiräume abnötigen und dies gelingt vor allem mit Druck von der Straße. Auch wenn die lokale Presse und Politik der Meinung sind, sie können festlegen, welche Formen des Widerstandes angemessen und legitim erscheinen, behalten wir uns vor, das selbst zu entscheiden. Zwangsräumungen gehören verhindert! Leerstehender Wohnraum oder öffentliche Gebäude gehören besetzt! Kein Mensch braucht die Garnisonkirche! Die Fragen, wem diese Stadt gehört, wird somit auch zukünftig eine Klassenfrage sein und wir werden sie klar zu beantworten wissen: UNS ALLEN gehört die Stadt!
*Pressemitteilung, Potsdam, 19. September 2017*
Flüchtlingsaufnahme statt Abschiebelager – Flüchtlingsrat fordert Abschaffung der Isolation von Asylsuchenden
Brandenburgs Innenminister Karl-Heinz Schröter möchte zukünftig Schutzsuchende bis zu zwei Jahre in der Erstaufnahmeeinrichtung festhalten, wo sie grundsätzlich erschwerten Zugang zu Beratungs- und Unterstützungsstrukturen im Land haben. Brandenburg wäre damit eines der ersten Bundesländer, das die restriktive Bundespolitik umsetzt. Ziel ist offensichtlich die möglichst reibungslose Abschiebung von Flüchtlingen unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Rückendeckung erhält Schröter für seine diskriminierende Isolationspolitik durch Landräte und Oberbürgermeister, wie nach einer Beratung mit diesen in Potsdam am Montag bekannt wurde.
Möglich wird der Vorstoß des Innenministers durch das „Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht“, das im Juli 2017 in Kraft getreten ist. Allerdings räumt das Gesetz den Ländern ein, von der Regelung zur Verlängerung des Aufenthaltes in der Erstaufnahme keinen Gebrauch zu machen. Das Innenminister Schröter sich zum wiederholten Male damit profiliert, restriktive Bundespolitik möglichst schnell umzusetzen, verwundert leider nicht.1 Angesichts der unmittelbar bevorstehenden Bundestagswahl schielt Schröter offenbar nach rechts und lässt Schutzbedarfe außer Acht.
Die Folgen, Menschen mit angeblich „schlechter Bleibeperspektive“ bis zu 24 Monaten in der Erstaufnahme unterzubringen, die so als Abschiebelager missbraucht wird, können für die Betroffenen verheerend sein: Der so erschwerte Kontakt zu Unterstützer_innen, Beratungsstellen und Rechtsanwält_innen führt dazu, dass Geflüchtete sowohl im Verfahren als auch bei drohender Abschiebung ohne Hilfestellung oder gar Zugang zu Rechtsschutz bleiben. Es ist davon auszugehen, dass so in hohem Maße zahlreiche Schutzsuchende nicht das Recht auf den Schutz bekommen, der ihnen individuell zusteht. Selbst Minderjährige werden von der Lagerpflicht nicht ausgenommen. Das Kindeswohl ist dann so massiv gefährdet, dass eine Vereinbarkeit mit der UN-Kinderrechtskonvention äußerst fraglich ist. Menschen durch ein Festhalten in der Erstaufnahmeeinrichtung bis zu zwei Jahren den Zugang zum Arbeitsmarkt zu verwehren, verhindert die Integration und widerspricht den Vorgaben der europäische Rechtsnorm für die Aufnahme Asylsuchender.
Schon jetzt sind Rechtsverletzungen in der Erstaufnahme an der Tagesordnung. Maßgebliche EU-Richtlinien, die insbesondere Kinder, Alleinerziehende, Frauen und Kranke schützen und die Qualität der Asylverfahren und die Versorgung gewährleisten sollen, werden in den brandenburgischen Erstaufnahmeeinrichtungen nicht umgesetzt. Den Flüchtlingsrat erreichen regelmäßig massive Beschwerden u.a. über die unzureichende Beratung zum Asylverfahren, Mängel bei der medizinischen Versorgung und Erkennung besonderer Schutzbedarfe. Würden die Pläne des Innenministers umgesetzt, würde dies zur dauerhaften Realität für sehr viele Flüchtlinge in Brandenburg.
Der Flüchtlingsrat fordert deshalb das zuständige Ministerium dazu auf, von diesen Plänen abzusehen. Eine dauerhafte Isolation von Geflüchteten in der Erstaufnahme darf nicht weiter vorangetrieben werden. Weder die Landesregierung noch die Zivilgesellschaft sollten sich damit abfinden, dass ein Parallelsystem für Schutzsuchende geschaffen wird, das ihre systematische Entrechtung und Ausgrenzung vorantreibt. Der Zugang zu Rechtsschutz, Unterstützungsstrukturen und Integrationsleistungen muss für Schutzsuchende in Brandenburg offen sein. Der Flüchtlingsrat kritisiert außerdem den rechtlich fragwürdigen Begriff der „schlechten Bleibeperspektive“ aufs Schärfste, den der Innenminister für eine Entscheidung über die Dauer des Aufenthaltes in der Erstaufnahme offenbar zu Grunde legen will. Der Kern des Asylsystems sieht eine individuelle Prüfung von Fluchtgründen vor, und keine pauschale und oft willkürliche Vorab-Einschätzung und Selektion anhand des Herkunftslandes. Das breit kritisierte Label der „geringen“ oder „schlechten“ Bleibeperspektive dient als zentrales Instrument, schutzsuchenden Menschen Teilhabe zu versagen und sie an ihrem individuellen Recht auf Aufnahme und Schutz vorbei schnell wieder außer Landes zu schaffen. Durch die monate- und jahrelange Abschottung in den Erstaufnahmeeinrichtungen soll dies umgesetzt werden. Brandenburg darf sich an dieser flüchtlingsfeindlichen Politik nicht beteiligen.
1 Der Flüchtlingsrat berichtete: _http://www.fluechtlingsrat-brandenburg.de/aktuelles/pm-mit-der-abschiebequote-gegen-den-rechtsstaat-fluechtlingsrat-fordert-ruecktritt-von-law-and-order-minister-schroeter_ _http://www.fluechtlingsrat-brandenburg.de/aktuelles/pm-von-der-willkommens-zur-abschiebekultur_
Pressekontakt: Lotta Schwedler 0176 214 250 57
Am Donnerstagabend protestierten ungefähr 100 Menschen in Hör- und Sichtweite gegen eine Kundgebung der vermeintlichen „Alternative für Deutschland“ (AfD) in Neuruppin (Landkreis Ostprignitz-Ruppin). Die Proteste wurden vor allem von der regionalen Zivilgesellschaft getragen. Veranstalter war die Initiative „Neuruppin bleibt bunt“, unterstützt vom „Aktionsbündnis Brandenburg“. Auch Mitglieder von „Bündnis 90 – Die Grünen“ und der Partei „DIE.LINKE“, darunter die Bundestagsordnete und Brandenburger stellvertretende Landesvorsitze Dr. Kirsten Tackmann. Die rechtspopulistische „Alternative für Deutschland“ hatte ihrerseits ungefähr 110 Sympathisierende nach Neuruppin mobilisiert, davon allein ca. 40 Personen aus dem benachbarten Landkreis Havelland. Grund für die, für Neuruppiner Verhältnisse, starke Frequentierung einer Versammlung der blauen Partei, war vermutlich der angekündigte Auftritt des umstrittenen Thüringischen AfD-Fraktionsvorsitzenden Björn Höcke. Darüber hinaus nutzte aber auch der lokale Parteifunktionär Michael Nehls die Versammlung, um für seine Bundestagskandidatur zu werben.
Wahlkampf mit dumpfen Parolen

Auch wenn sich die AfD im Allgemeinen als „bürgerlich“ sieht oder gegebenenfalls als „bürgerlich patriotisch“, wie Björn Höcke am Donnerstagabend in Neuruppin, nutzen einzelne Funktionäre immer wieder Slogans, die neonazistischen Organisationen, wie der NPD, ähneln.
Michael Nehls forderte beispielsweise während seines Redebeitrages u.a. „Deutschland den Deutschen“ und lehnte sich dabei möglicherweise an die „nationaldemokratische“ Parole „Deutschland uns Deutschen“ an. Eine Variante dieses Slogans hat übrigens auch die Partei „Die Rechte“ im Programm. Dort heißt es: „Deutschland den Deutschen – Ausländer raus“. Die Wortgruppe in letzt genannter Form wurde übrigens auch von einem rassistischen Mob verwendet, der vor fast auf den Tag genau vor 25 Jahren in Rostock-Lichtenhagen pogromartige Ausschreitungen gegen eine Unterkunft für Asylsuchende entzündete. Auch Nehls macht aus seiner Abneigung gegen „Geflüchtete“ keinen Hehl, nennt sie in seiner Rede „Asylschmarotzer“ oder bezeichnet sie auf seinen Wahlplakaten als „Asylbetrüger“.
Allein als Ein-Themen-Partei, sah sich die AfD jedoch nicht, und positionierte sich am Donnerstagabend auch zur so genannten „Frühsexualisierung“, zum Islam, für mehr Volksentscheide und natürlich gegen ihr Lieblingshassobjekt: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).
Für Björn Höcke gab es anscheinend auch erhebliche Zweifel am derzeitigen funktionieren des demokratischen Grundaufbaus der Bundesrepublik. „Diese Demokratie ist im letzten Degenerationsstadium“, so der Thüringer AfD Fraktionsvorsitzende. Seiner Ansicht nach, handele es sich bei der jetzigen Herrschaftsform um eine „Ochlokratie“ und bezog sich dabei, ganz der Lehrer, auf den griechischen Historiker Polybios. Offensichtliche Anknüpfungsmuster an extrem rechte Ideologiefragmente, wie etwa bei seiner Dresdener Rede im Januar 2017, als er das Mahnmal für die ermordeten Juden Europas als „Denkmal der Schande“ bezeichnete, vermied Höcke, aber. Dennoch wurde sein Redebeitrag von seinen „Fans“ begeistert aufgenommen.
Gastredner Höcke zog vor allem extrem rechte Sympathisierende der AfD

Zugereist waren vor allem Mitglieder und Sympathisierende der extrem rechten und im Brandenburger Verfassungsschutzbericht 2016 namentlich erwähnten Vereinigungen oder vereinsähnlichen Strukturen „Bürgerbündnis Havelland eV“ und „PEGIDA Havelland – Bürgerinitiative iG“. Dabei handelte es sich um ungefähr 20–30 Personen. Beide Organisationen pflegen enge Kontakte zu lokalen Strukturen der „Alternative für Deutschland“ im Landkreis Havelland. Der derzeitige havelländische AfD-Kreistagsabgeordnete Gerald Hübner aus Schönwalde-Glien, der am Donnerstagabend ebenfalls in Neuruppin anwesend war, trat beispielsweise mehrfach bei Versammlungen der „PEGIDA Havelland“ als Redner auf. Aufgrund seiner dortigen Ausführungen wurde der Kriminaltechniker u.a. durch seinen Arbeitgeber, dem LKA Berlin, abgemahnt. Allerdings hatte die Abmahnung nur bis Mai 2017 bestand, da seine Äußerungen, laut einer Güteverhandlung am Arbeitsgericht Berlin, keine strafbaren Inhalte hatten. Unbestritten bleibt jedoch, dass „PEGIDA Havelland“ während ihrer drei bisherigen öffentlichen Veranstaltungen in Schönwalde-Glien zu einem nicht geringen Teil extrem rechte und neonazistische Klientel aus „Identitärer Bewegung“, „Freien Kräften“ und NPD anzog.
Neben extrem rechten Havelländer Sympathisierenden der AfD reiste zur Kundgebung am Donnerstagabend in Neuruppin auch eine 15-köpfige Berliner Delegation an, die regelmäßig an Versammlungen der islam- und asylfeindlichen Vereinigung „Bärgida eV“ sowie der extrem rechten „Bürgerbewegung Pro Deutschland“ nahe stehenden Initiative „Wir für Deutschland“ teilnimmt.
Vereinzelt gaben sich auch jugendliche Neonazis durch entsprechendes Outfit, so genannte „Bekennershirts“ oder szenetypische Modemarken, sowie durch einschlägige Symbolik, wie beispielsweise „Schwarze Sonne“-Tattoos zu erkennen. Zwei Personen präsentierten auch die Schwarz-Weiß-Rote Reichsfahne. Verbotene Kennzeichen wurden allerdings nicht gezeigt.
Kraftvoller Protest

Die Ankündigung einer Kundgebung mit Björn Höcke als Redner hatte jedoch nicht nur Freunde der AfD auf den Neuruppiner Schulplatz mobilisiert. Auch die lokale Zivilgesellschaft, die sich unter dem Label „Neuruppin bleibt bunt“ engagiert, hatte sich angekündigt. Ihr waren die Annäherungsversuche des AfD Politikers an extrem rechte Positionen nicht entgangen. „Neuruppin bleibt bunt“ bzw. dessen Sprecher Martin Osinski hatte deshalb bereits im Vorfeld angekündigt, es „nicht unkommentiert (zu zu)lassen, wenn Bernd Höcke wieder (bis) an die Grenze zur Volksverhetzung geht“. Wobei der Austausch des Vornamens, offenbar beabsichtigt war. Über „Bernd“ statt „Björn“ Höcke zu schreiben oder zu sprechen, hat sich mittlerweile zu einem medialen Running Gag entwickelt. Dennoch sollte mit dem Protest auch ein ernsthaftes Anliegen zum Ausdruck gebracht werden. „Wer Meinungsmache auf Kosten von Menschen treibt, dem zeigen wir die Rote Karte“, stellte Karoline Waack, Flüchtlingskoordinatorin des Ev. Kirchenkreises Wittstock-Ruppin, bereits ebenfalls im Vorfeld klar. Abgetrennt durch eine Polizeiabsperrung, aber dennoch in Hör- und Sichtweite, gaben die Sympathisierenden von „Neuruppin bleibt bunt“ sehr laut und deutlich, mittels Trillerpfeifen oder Plakate mit Aufschriften, wie „Bunt statt Grauland“ oder „Die Linke – Entschieden gegen rechte Hetze“, ihre Meinung zur AfD und ihre Funktionäre kund. Weiterhin wurden mehrere Transparente mit den Aufschriften: „Refugees Welcome“ und „EkelhAfD“ gezeigt. Ein weiteres Transparent mit dem Slogan: „Neuruppin bleibt bunt – Schluss mit dem rechten Spuk“ war zudem in Blickrichtung der AfD Sympathisierenden an einem Gebäude angebracht.
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Die Ehrung des vor 30 Jahren aus dem Leben geschiedenen NS Verbrechers Rudolf Heß hat im neonazistischen Milieu immer noch einen gewissen Stellenwert. Wahlweise wird er als angeblicher „Friedensflieger“, so genannter „Märtyrer des Friedens“ oder vermeintlich unbeugsamer Kämpfer der Bewegung verehrt. Vor allem seine Schlussworte im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess: „Ich bereue nichts“ scheinen für das heutige Neonazi-Milieu immer noch eine starke Faszination auszuüben. Zumindest zierte die Wortgruppe das Frontbanner des zentralen Heß-Gedenkens am vergangenen Samstag in Berlin. An dieser angemeldeten Versammlung beteiligten sich ungefähr 850 Neonazis aus dem gesamten Bundesgebiet sowie offenbar auch aus Österreich, Ungarn, Schweden, Finnland, Frankreich und Groß Britannien.
Offiziell stand die offensichtliche Heß-Glorifizierung in Berlin jedoch unter dem Motto: „Gebt die Akten frei“. Eine offene Verherrlichung der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft bzw. eines ihrer Hauptrepräsentanten tangiert in der Bundesrepublik nämlich den Straftatbestand der Volksverhetzung. Laut Tagesspiegel, wurde den Neonazis deshalb u.a. die polizeiliche Auflage erteilt Heß weder „in Wort, Schrift oder Bild“ zu verherrlichen. Ein Gericht soll die Polizeiauflage schließlich, nach einer Klage der Veranstaltenden, bestätigt haben.
Daran gehalten wurde sich jedoch dennoch nicht. Bereits während einer „Zwischenkundgebung“ laß Redner Sebastian Schmidke (NPD) aus dem Tagebuch von Abdallah Melaouhi vor. Der Tunesier war im Kriegsverbrechergefängnis in Spandau letzter Pfleger von Rudolf Heß. In seinem Buch, das er zusammen mit NPD Politiker Olaf Rose, der am vergangenen Samstag ebenfalls Redner auftrat, veröffentlichte, wird der NS Verbrecher positiv aufgewertet, weswegen Melaouhi, laut Informationen der Zeitung „Die Welt“ aus dem Jahr 2008, mehrfach bei Veranstaltungen der Nationaldemokraten auftrat und deswegen letztendlich auch aus dem Berliner Migrations- und Integrationsrat flog. Der britische „Historiker“ Peter Rushton bezog sich in seiner Rede ebenfalls auf das Tagebuch des tunesischen Pflegers und nannte Heß auch beim Namen. Zuvor hatte Sebastian Schmidke kurz vor Ende des Aufmarsches bereits lautstark die Parole: „Rudolf Heß – das war Mord“ skandiert, die auch von einem Teil der Teilnehmenden wiederholt wurde.
Insgesamt blieb die Anzahl der teilnehmenden Neonazis, für einen international beworbenen Aufmarsch, jedoch deutlich unter dem möglichen Potential. Zum Vergleich: Das Rechtsrock Event am 15. Juli 2017 im thüringischen Themar mobilisierte ungefähr 6.000 Personen aus dem neonazistischen Milieu.
Brandenburger Neonazis in Berlin

Dennoch zog der Heß-Marsch auch einige Brandenburger Neonazis in den Berliner Bezirk Spandau. Vor allem die „nationaldemokratischen“ Strukturen waren der Mobilisierung für den Aufzug gefolgt. Aus dem Landkreis Oberhavel war beispielsweise der Veltener Bürgermeisterkandidat, Stadtverordnete und NPD Landesvorstand Robert Wolinski mit einer größere Gruppe angereist, aus Spreenhagen die Gemeindevertreterin Manuela Kokott samt ihrem Lebensgefährten aus Fürstenwalde/Spree (Landkreis Oder-Spree). Weitere NPD Klientel reisten u.a. aus dem Landkreis Spree-Neiße an.
Der III. Weg war durch dessen „Gebietsleiter Mitter“, Matthias Fischer aus Angermünde (Landkreis Uckermark), sowie Einzelpersonen aus dem Raum Potsdam vertreten.
Aus dem Raum Rathenow/Premnitz (Landkreis Havelland) reiste eine Gruppe von Akteuren aus oder dem Umfeld der verbotenen Kameradschaften „Hauptvolk“ und „Sturm 27“ an, die heute den Hammerskins nahe stehen sollen.
Aus Wittstock/Dosse (Landkreis Ostprignitz-Ruppin) waren einzelne „Autonome Nationalisten“ sowie „Freier Kräfte“ angereist. Unter ihnen auch der Organisator mehrerer asylfeindlicher Versammlungen, Ronny S. Er gilt als einer der führenden Köpfe der Wittstocker Neonaziszene. Er beteiligte sich bereits im Jahre 2004 an einem „Rudolf-Heß-Gedenkmarsch“ in Wittstock/Dosse.
Aus Ostbrandenburg waren zudem einzelne Akteure der so genannten „Freien Kameradschaft MOL“ angereist.
Spontanmarsch in Falkensee

Allerdings erreichten nicht alle Brandenburger Neonazis das „Heß-Gedenken“ in Berlin-Spandau.
In Rathenow sollen beispielsweise zwei Aktivisten, die auf dem Weg dorthin waren, von einer Gruppe von mehreren Personen am Rathenower Bahnhof zusammengeschlagen worden sein. Bei den Angegriffenen soll es sich, unbestätigten Informationen zu Folge, um Akteure des „N.S Havelland“ gehandelt haben. Allerdings hätten diese ohnehin nicht den Veranstaltungsort erreicht, da der Zugverkehr nach Berlin durch einen Brandanschlag auf eine Signalsteuerung von Unbekannten vollständig zum Erliegen kam.

Ähnlich verhielt es sich im Bereich der Bahnlinie des RE2 zwischen Nauen und Berlin-Spandau. Dort war der Zugverkehr ebenfalls durch einen Brandanschlag gestört. Eine Gruppe Anreisender Neonazis, die Polizei sprach später von 120, war daraufhin in Brieselang aus dem Zug gestiegen und hatte sich spontan und zu Fuß in Richtung Spandau gelaufen. Gegen 13.30 Uhr hatten sie dann in Marschformation und Bannern Falkensee erreicht. Dort sollen sie sich dann später mit den Insassen von zwei Bussen, die ebenfalls am „Heß-Gedenken“ in Berlin-Spandau teilnehmen wollten, vereinigt haben und laut Polizei, gegen 17.00 Uhr einen Aufmarsch unter dem Motto „Mord verjährt nicht – Gebt die Akten frei“ angemeldet haben. An dem Aufzug in Falkensee, der gemäß Polizei auf nunmehr 250 Teilnehmende gewachen war, waren vor allem Neonazis aus Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Hamburg beteiligt. Aus Brandenburg nahm eine mehrköpfige Gruppe um den Neuruppiner NPD Stadtverordneten Dave Trick teil, die auch als „Freie Kräfte Neuruppin-Osthavelland“ in Erscheinung tritt. Außerdem beteiligte sich ein Akteur des III. Weges aus dem Landkreis Potsdam-Mittelmark an dem Aufmarsch in Falkensee.
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